III.

Die Direction der Musikaufführungen in der Universitätskirche hing nicht untrennbar mit dem Amte des Thomas-Cantors zusammen. Indessen war es von Alters her üblich und vom städtischen Rathe gestattet gewesen, daß er sie besorgte. Solange die Universitätskirche nur an den drei hohen Festen, am Reformationsfeste und zu den vierteljährlichen Redeacten benutzt wurde, erwuchs dem Cantor aus dieser Obliegenheit keine sonderliche Belastung. Seit 1710 jedoch wurde auch dort ein regelmäßiger sonntäglicher Gottesdienst [36] gehalten und hierdurch bekam der Posten des Universitäts-Musikdirectors eine erhöhte Bedeutung. Kuhnau wußte sich auf demselben zu behaupten, obgleich anfänglich durch Fasch der Versuch gemacht worden war, ein vom Cantor unabhängiges studentisches Collegium musicum dort in Thätigkeit zu setzen. Unter Anstrengungen und Opfern gelang es Kuhnau, diesen Versuch zu vereiteln; er erklärte sich nämlich bereit, die neue nicht geringe Arbeit ohne Entgelt zu verrichten und für ein derartiges Anerbieten war die Universität sehr empfänglich1. Nach Kuhnaus Tode hatte einstweilen Görner dessen Stelle als Universitäts-Musikdirector verwaltet. Es verräth Bachs genaue Kenntniß der Verhältnisse, daß er es seine erste Aufgabe sein ließ, Görnern diese Function wieder aus den Händen zu nehmen. Nur wenn er sich unter den Studenten einen festen Anhang zu verschaffen wußte, war Aussicht für ihn vorhanden, auf das Leipziger Musikleben in seinem Sinne einzuwirken. Seine Anstellung war am 13. Mai definitiv geworden. Die erste von ihm als Thomascantor componirte Kirchencantate brachte er am 30. Mai, dem ersten Trinitatis-Sonntage, einen Tag vor seiner Einführung auf der Thomasschule zur Aufführung, hiermit seine musikalische Thätigkeit als Cantor gleichsam eröffnend. Als Universitäts-Musikdirector hatte er schon vierzehn Tage früher, am 1. Pfingsttage, zu functioniren begonnen, jedenfalls auch mit einer eignen Composition2. Aber Görner wußte ebensogut, um was es sich handelte, und war entschlossen soviel für sich zu retten, wie möglich war. An den vier genannten Festtagen und den Quartal-Acten mußte er schon zurücktreten, hier wurden die Ansprüche des Cantors durch ein anerkanntes Gewohnheitsrecht zu kräftig unterstützt. Anders verhielt es sich mit dem Dienst an den gewöhnlichen Sonn- und übrigen kirchlichen Fest-Tagen. Es scheint, daß Görner der Universität einleuchtend gemacht hat, der Cantor könne bei seinen Obliegenheiten in der Thomas- und Nikolai-Kirche den halbwegs gleichzeitigen Dienst in der Paulinerkirche nicht überall mit der nöthigen Pünktlichkeit versehen. Jedenfalls fungirte Görner auch jetzt noch in dem sogenannten neuen Gottesdienste als Universitätsmusikdirector [37] weiter. An dritter Stelle kamen die außerordentlichen Universitätsfeierlichkeiten in Frage. Bach ging von dem Grundsatze aus, dieselben seien längst vor Einrichtung des neuen Gottesdienstes üblich gewesen und immer vom Cantor besorgt worden: folglich gehörten sie zu seinen Dienstpflichten. Er handelte auch sofort nach diesem Grundsatze. Am Montag dem 9. August 1723 wurde der Geburtstag des Herzogs Friedrich II. von Sachsen-Gotha, eines um Förderung der Wissenschaft und Kirche besonders verdienten Fürsten, feierlich begangen: ein Baccalaureus der Philosophie, Namens Georg Grosch, hielt eine Rede de meritis Serenissimi Friderici in rem litterariam et veram pietatem3, auf sie folgte eine von Bach componirte und aufgeführte lateinische Ode, »eine vortreffliche Musik«, wie der Leipziger Chronist4 berichtet, »so daß sich diese Solennität zu jedermanns Vergnügen Vormittags gegen 11 Uhr glücklich geendiget«. Heinrich Nikolaus Gerber, der im Jahre 1724 die Leipziger Universität bezog, erzählte später seinem Sohne, er habe schon damals manches Concert unter Bachs Direction angehört5. Dieses kann sich, da an Kirchenmusik hier nicht zu denken ist, und Bach ein eignes Collegium musicum noch nicht dirigirte, ebenfalls wohl nur auf akademische Aufführungen beziehen6. Indessen endgültig entschieden war durch Bachs energische Besitzergreifung die Sache doch keineswegs. Görner war augenscheinlich ein Günstling der an der Universität maßgebenden Persönlichkeiten. Er empfing überdies ein Honorar aus den für die Dienstleistungen des Cantors ausgeworfenen Mitteln. Das ging denn Bach, der wohl zu rechnen verstand und in finanziellen Dingen äußerst genau war, doch endlich über den Scherz. Nachdem er länger als zwei Jahre lang gute Miene zum bösen Spiele gemacht hatte, meinte er, wenn es ihm [38] schon nicht gelingen wollte, die gesammte Direction dem zähen Görner wieder zu entreißen, wenigstens sich sein Einkommen sichern zu sollen. Er wandte sich also mit einer Eingabe an den König-Churfürsten in Dresden, von dem er eine durchgreifende Sicherung seiner Interessen um so eher erwarten zu können glaubte, als er sich bei Hofe wohlgelitten wußte.


»Aller Durchlauchtigster,

Großmächtigster König und Chur Fürst,

Allergnädigster Herr.


Eure Königliche Majestät und Chur Fürstliche Durchlaucht wollen allergnädigst geruhen, Sich in allerunterthänigster Submission vorstellen zu laßen, welcher gestalt das Directorium der Music des alten und neüen Gottesdienstes bey Einer Löblichen Universität zu Leipzig, nebst der Besoldung und gewöhnlichen Accidentien mit hiesigem Cantorat zu S. Thomas iedesmahl. auch bey Lebzeiten meines Antecessoris, verknüpft gewesen, nach deßen Absterben aber in währender Vacanz solches dem Organisten zu S. Nicolai, Görnern, gegeben, und mir bey Antretung meines Amtes das Directorium des so genandten alten Gottesdienstes zwar wiederum überlaßen, die Besoldung aber hernachmals abgeschlagen, und solche nebst dem Directorio des neüen Gottesdienstes vorgedachtem Organisten zu S. Nicolai zugeeignet7 worden; und ob wohl bey Einer Löblichen Universität ich mich geziemend gemeldet, und daß es bey der vormahligen Verfaßung gelaßen werden möchte, Ansuchung gethan, dennoch mehr nicht erhalten können, als daß man mir von dem Salario, welches sonst in zwölff Gülden bestehet, die Helffte desselben angeboten.

Alldieweil aber, Allergnädigster König und Chur Fürst, Eine Löbliche Universität mich zur Bestellung der Music bey dem alten Gottesdienste ausdrücklich erfordert und angenommen hat, ich solches Amt bißher auch verrichtet, das Salarium, welches man zu dem Directorio des neüen Gottesdienstes geschlagen mit demselben vormahls gar nicht, sondern eigentlich mit dem alten Gottesdienst verbunden, auch das Directorium des neüen, zugleich auch beym Anfang des neüen Gottesdienstes mit dem alten verknüpffet worden, und wenn ich auch schon das Directorium des neüen, dem Organisten zu [39] S. Nicolai nicht streitig machen wolte, mir doch die Entziehung des Salarii, so allerdings iederzeit, ehe noch der neüe Cultus angestellet worden, zu dem vormahligen gehöret hat, höchst betrübt und nachtheilig ist, auch Kirchen Patroni, was einmahl zu der ordentlichen Besoldung eines Kirchendieners angesetzt und bestimmet ist, anders zu disponiren, und entweder gäntzlich zu entziehen, oder auch zu verkürzen, sonst nicht gewohnet sind, und ich doch mein Amt bey obbemeldeten alten Gottesdienst schon über zwey Jahr ümsonst verrichten müßen. Als ergehet an Eure Königliche Mayestät und Churfürstliche Durchlaucht mein allerunterthänigstes Suchen und Bitten, es wollen Dieselben an die Löbliche Universität zu Leipzig, damit Sie bey der vormahligen Einrichtung es bewenden, und nebst dem Directorio des alten Gottesdienstes mir auch das Directorium des neüen, insonderheit aber die völlige Besoldung des alten Gottesdienstes und beyderseits vorfallende Accidentien fernerweit angedeyen laßen möge, allergnädigsten Befehl ertheilen. Vor solche Allerhöchste Königliche Gnade werde lebenslang beharren


Euerer Königlichen Mayestät und

Churfürstlichen Durchlaucht

allerunterthänigst-gehorsamster

Johann Sebastian Bach.

Leipzig: den 14. Sept: 1725.


[Adresse:]

Dem Allerdurchlauchtigsten, Großmächtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Friedrich Augusto, König in Pohlen [folgt vollständiger Titel] Meinem allergnädigsten König, Churfürsten und Herrn8


Bach hatte sich in seiner Annahme nicht getäuscht. Schon am 17. Sept. erging vom Ministerium aus Dresden eine Aufforderung an die Universität, den Supplicanten klaglos zu stellen, oder vorzubringen, was sie etwa dagegen einzuwenden hätte. Die Expedition der Sache war so schleunig betrieben worden, daß man sich nicht einmal die Zeit genommen zu haben scheint, Bachs Eingabe genau zu lesen: in dem Referat über den Inhalt seiner Beschwerdeschrift befinden sich Unrichtigkeiten, durch welche die Angelegenheit theilweise in ein falsches Licht geräth9.

[40] Die Universität suchte sich nun ausführlich zu rechtfertigen und setzte Bach von dem Abgange ihres Berichtes in Kenntniß. Bach fand guten Grund zu glauben, daß in diesem Berichte seine Sache nicht wahrheitsgemäß dargestellt sei. Um einer ihm ungünstigen Entscheidung vorzubeugen, schrieb er zum zweiten Male an den König.


»Allerdurchlauchtigster,

Großmächtigster König und Churfürst,

Allergnädigster Herr.


Nachdem Euere Königliche Mayestät auf mein, in Sachen mich Impetranten eines und die hiesige Universität Impetraten andern Theils betreffend, allerunterthänigst beschehenes suppliciren, allergnädigst ergangenen Befehle zu allergehorsamster Folge, bemeldte Universität den erfoderten allerunterthänigsten Bericht erstattet, auch deßen Abgang mir behörig notificiret, und ich hingegen meine fernere Nothdurfft darbey zu beobachten vor nöthig erachte: Als ergehet an Euere Königliche Mayestät und Churfürstliche Durchlaucht mein allerunterthänigst gehorsamstes Bitten, Sie wollen gedachten Bericht dieserwegen in Abschrift mir zu communiciren, und, biß ich darwieder das benöthigste fürgestellet habe, Dero allerhöchste Resolution annoch anstehen zu laßen, allergnädigst geruhen; ich werde solches bestmöglichst zu beschleunigen nicht ermangeln, und Zeit Lebens in allertiefster Submiszion beharren


Eurer Königlichen Mayestät und

Churfürstlichen Durchlaucht

allerunterthänigst-gehorsamster

Johann Sebastian Bach.

Leipzig. den 3. Novembris 1725.


[Adresse:]

Dem Allerdurchlauchtigsten, Großmächtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Friedrich Augusto, König in Pohlen [folgt vollständiger Titel] Meinem allergnädigsten König, Churfürsten und Herrn10


[41] Seiner Bitte wurde gewillfahrtet. Er verfaßte darnach eine gründliche Widerlegung der von der Universität eingereichten Rechtfertigungsschrift. Das Document ist sehr interessant, da es wie kein anderes Bachs durchdringende Verstandesschärfe und schneidige Ausdrucksweise darthut.


»Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster

König und Churfürst

Allergnädigster Herr.


Daß Euere Königliche Majestät und Churfürstliche Durchlaucht mir von demjenigen was die Universität alhier auff meine wegen des Directorii Musices bey dem alten und neuen Gottes Dienst in der Pauliner Kirche und des zu dem erstern gehörigen, bißher verweigerten Salarii wieder sie geführte Beschwerde darwieder eingewendet Abschrifft ertheilen zu laßen allergnädigst geruhen wollen, solches erkenne mit allem unterthänigsten Danck. Ob ich nun wohl vermeinet, es würde die Universität mich sofort gebührend Klaglos stellen, und meinem wohlgegründeten Suchen ohne Weitläuffigkeit stat geben: So muß doch ersehen, wie selbige darwieder unterschiedenes einzuwenden, und zu ihrer Entschuldigung fürzustellen sich Mühe gegeben, daß nemlich

1.) ich ohne allen Grund angegeben, es wäre dasDirectorium der Music bey dem alten und neuen Gottesdienste mit des Cantoris zu St. Thomae Amte nothwendig verknüpfft, da gleichwohl die Universität bey Vergebung des bemeldten Directorii sich in libertate naturali befände, worbey sie iedoch das Directorium des alten Gottesdiensts mir nicht streitig machen noch daß sie mir Krafft eingeführter Observanz deswegen ein Honorarium gereichet, in Abrede seyn. Hiernechst

2.) mein Vorgeben, als hätte ich meine Arbeit seithero ümsonst verrichten müßen, sie üm desto mehr befremde, da aus denen Rationibus Rectoralibus erhelle, welcher gestalt mir sowohl bey allen Quartal-Orationibus, als bey denen Dreyen hohen Festen, wie auch bey dem Festo reformationis Lutheri ein besonderes und ergiebiges Honorarium an 13. Thlr. 10. gr. gereichet worden, und ich solches bißhero iederzeit empfangen hätte. Ferner

3.) daß ich denen gewöhnlichen Quartal-Orationibus bishero [42] zum öfftern in eigener Person nicht beygewohnet, sondern, laut der deshalben beygefügten Registratur, die Absingung derer Moteten durchPraefectos dirigiren laßen. Ingleichen

4.) daß der Cantor zu St: Thomae wegen seiner Sonn- und Festtägigen Amts-Verrichtungen Keinesweges im Stande sey, auch zugleich das Directorium der Music in der Universitäts-Kirche ohne Praejudiz und Unordnung zu übernehmen, immaßen er fast zu eben der Zeit in der Kirchen zu St: Thomae und St: Nicolai die Music zu dirigiren hätte; Besonders

5.) ist gar sorgfältig vorgestellet worden, daß meinem Antecessori vor das Directorium Musices bey dem neuen Gottes-dienst ganz von neuen ein neuesGratial von 12. fl. zugeschlagen worden; Im übrigen

6.) sich so viele von dem Rath wegen der Thomasschüler und derer Stadt- und Kunst-Pfeiffer gemachte Difficultaeten ereignet, daß die Universitaet sich der Beyhülffe derer Studiosorum bedienen, und auff ein ander Subjectum bedacht seyn müßen, welches der Direction der Music in eigener Person ungehindert vorstehen, und das gute Vernehmen mit denen Studiosis, welche sich dem Cantori ohne Entgeld beyzustehen verweigert, beßer unterhalten Könnte; Wozu noch dieses kommen wäre,

7.) daß bey langwieriger Vacanz des officii nach erfolgten Tode des vorigen Cantoris, die Universitaet das Directorium Musices bey dem neuen Gottes-Dienst Johann Gottlieb Görnern übergeben, und das dazu gewiedmete neue Salarium der 12. fl. assigniret, dieses Salarium auch mit dem ehmaligen Directorio bey dem alten Gottesdienst gar keine Verwandschafft hätte, sondern ein neues institutum wäre.

Es werden aber, Allergnädigster König, Churfürst und Herr, diese der Universitaet eingewendete Exceptiones im Grunde nicht bestehen, und gar leicht zu wiederlegen seyn. Denn was anfänglich

1.) die Verknüpffung des neuen Gottesdienstes mit dem alten betrifft, so ist von mir nicht gesaget worden, daß so thane Connexion nothwendig, sondern nur, daß das Directorium des letzteren mit dem Ersten sonst combinirt gewesen sey, und gleichwie die Macht und Freyheit solches zu verbinden oder zu separiren von mir nicht darff untersuchet, sondern an seinen Ort Kann gestellet werden: [43] also acceptire hingegen, daß das Directorium des alten Gottesdienstes nach hergebrachter Observanz, in dem allerunterthänigsten Bericht mir gegönnet und zugestanden worden. Ist aber dieses, so wird das Directorium derMusic bey denen Promotionibus Doctoralibus und andern bey der Universität in der Pauliner-Kirche vorkommenden solennen Actibus nebst dem Honorario mir nicht zu entziehen seyn, weil dieses alles, ehe noch der neue Gottesdienst angeordnet worden, vorher ohnstreitig, zum wenigsten was die Music anbetrifft, ein Connexum des alten Gottesdienstes und in üblicher Observanz gewesen ist. Hiernechst

2.) befremdet mich nicht wenig, wie die Universität sich auf ein ergiebiges Honorarium an 13. Thlr. 10. gr. so ich von ihnen solte empfangen haben, beziehen, und, daß ich die Arbeit Zeithero ümsonst verrichtet habe, läugnen und mir widersprechen können, immaßen das Honorarium was a partes außer demSalario deren 12. fl. ist und das Gratial die besoldung nicht außschließet, wie denn auch meine Beschwerde nicht wegen des Honorarii, sondern wegen des sonst gewöhnlichen und zum alten Gottesdienst gehörigen, mir aber bißher entzogenen Salarii an 12. fl. geführet wird: Ja, wie numehro aus denen von derUniversität selbst angegebenen Rationibus Rectoralibus zu ersehen, so ist mir auch dieses Honorarium, welches in 13. Thlr. 10. gr. sol bestanden haben nicht einmahl völlig gereichet, sondern mir durch die beyden Pedellen, welche es eydlich werden aussagen können, iedes Quartal, an statt derer in Rationibus Rectoralibus angesezten 20. gr. 6. Pf. mehr nicht als 16. gr. 6 Pf. und bey den drey hohen Festen, wie auch bey dem Festo Reformationis Lutheri iedesmahl anstatt 2. Thlr. 12. gr. mehr nicht als 1. Thlr. also an statt 13. Thlr. 12. gr. zusammen nur 6. Thlr. 18. gr. jährlich gezahlet, auch meinen Antecessoribus Schellen und Kuhnauen, laut derer Wittwen ausgestelltenAttestatis, so hiermit sub lit: A et B. beyfügen wollen, vor die Quartal und Fest-Musiquen ein mehrers nicht gegeben, so fort auch von ihnen über ein mehrers nicht quittirt und gleichwohl in dem Extract aus ihren Rationibus Rectoralibus ein viel höhers quantum gesezet worden. Daß ich

3.) denen Quartal-Orationibus zum öfftern in eigener Person nicht beygewohnet, und die Registratur vom 25. Octobris 1725 solches bezeuge, wird ohne Erhebligkeit seyn; Denn gleichwie aus [44] dem Monath und der Zeit erscheinet, daß die Registratur erst als denn sich gefüget, nachdem zu vorher über die Universität ich mich beschweret gehabt, vor der Zeit aber nichts wieder mich zu registriren gewesen; Also wird meine Abwesenheit doch mehr alß ein- oder zweymahl nicht geschehen seyn, und dieses zwar ob impedimenta legitima, da ich nothwendig zu verreisen, insonderheit das anderemahl in Dreßden zu verrichten gehabt; Über dieses sind auch zu bemeldter Quartal-Verrichtung die Praefecti subordinirt, so daß von meinen Antecessoribus Schellen und Kuhnauen solches nie selbsten verrichtet, sondern die Absingung der Moteten durch die Praefectos dirigiret und bestellet worden, Noch weniger Kann

4.) dieses etwas in recessu haben, wenn die Universität urgiret, daß die Abwartung, der Music in beyderseits Kirchen vor eine Person nicht compatible sey: Denn so wird gewiß eine Instanz, welche man von dem Organisten zu St: Nicolai Görnern allhier geben kann, noch wichtiger, und die Music in beyden Kirchen zu dirigiren, vor seine Person noch wenigercompatible seyn, weil der Organist nicht nur ebenfalls zu einer Zeit in der Kirche zu St: Nicolai und zugleich in der Pauliner-Kirche vor und nach der Predigt die Music abzuwarten, sondern auch biß zum allerletzten Liede die Orgel zu schlagen hat, dahingegen der Cantor nach verrichteter Music herausgehen kann, und den Kirchen-Liedern biß zum Beschluß des Gottesdienst eben nicht beywohnen darff, gestalt auch der sel: Kuhnau zu seiner Zeit beydes ganz wohl ohne Praejudiz und Confusion verwaltet hat, auch in der Kirche, wo nicht Musica formalis zu bestellen, die gemeine Music durch Vicarios und Praefectos garwohl kann dirigiret werden. Was insonderheit

5.) die streitigen 12. fl. anbelanget, so wird dieUniversität mit Grunde nimmermehr behaupten können, daß sie meinem Antecessori Kuhnauen vor dieDirection der Music beym neuen Gottesdienst solche 12. fl. von neuen, als ein Gratial zugeschlagen. Es hat vielmehr diese Bewandnüß, daß die 12. fl. von uhralten Zeiten her, das Salarium vor die Bestellung der Music beym alten Gottesdienst ieder Zeit gewesen sind, mein Antecessor auch andere ihm nachtheilige und aus der Separation des Directorii zu besorgendeSuiten zu verhüten, die Music beym neuen Gottes dienst ümsonst dirigiret, und nie einen Pfennig davor verlanget, auch kein vorgegebenes [45] neues Gratial von 12. fl. genoßen hat. Ja es ist nicht allein von Kuhnauen sondern auch von Schellen und also noch vorher, ehe noch jemand an den neuen Gottesdienst gedacht, iedesmahl über solche 12. fl. eine Quittung ausgestellet worden. Und gleichwie der Schell- und Kuhnauischen Wittwen Attestata sub Lit: A et B. deutlich besagen, daß die 12. fl. iederzeit das Salarium vor die Bestellung der Music des alten Gottesdienstes gewesen: Also wird bemeldete Quittungen die Universität zuediren sich nicht entbrechen können. Solchergestalt Kann auch

6.) dem mit der Music des alten Gottesdienstes verknüpfften Salario nicht praejudiciren, obvormahls bey der Direction des neuen Gottesdienstes mit denen Studiosis kein gutes Vernehmen gewesen, und sie dem Cantori die Beyhülffe ümsonst nicht leisten wollen: Denn wie man dieses weder zugeben noch wiedersprechen mag, und wie man weiß, daß die Studiosi, welche Liebhaber der Music, sich allzeit gern und willig dabey finden laßen; So hat sich meinerseits mit denen Studiosis einiges Unvernehmen niemahls ereignet, sie pflegen auch die Vocal- und Instrumental-Music bey mir unverweigerlich und bis diese Stundegratis und ohne Entgeld zu bestellen. Im übrigen

7.) wenn das Directorium Musices bey dem neuen Gottesdienst, zur Zeit und was Görners Person betrifft, in statu quo verbleiben solte, wenn auch niemand in Zweiffel zu ziehen begehret, daß wegen solcher neuen Einrichtung ein neues Salarium ausgemachet werden könne: So ist doch das bißher ihm assignirte Salarium derer 12. fl. Keinesweges ein neues institutum, noch zu dieser neuen Direction als was neues gewidmet worden, sondern man hat solche demDirectorio Musices beym alten Gottesdienst entzogen, und erst nachhero bey währender Vacanz desCantorats zu St. Thomae und als Görner das neueDirectorium erhalten, zu diesem neuen Directorio geschlagen.

Es ist solches bereits vorhin dargethan worden, ja bey denen, welche bißher mit der Music in beyderseits Kirchen zu thun gehabt, beruhet dieses alles in Notorietate, und kann durch derselben Außage auch fernerweit notorisch gemacht und bestärcket werden. Wie wohl ich werde genöthiget, auch numehro diesen besonderen Umstand anzuführen, daß vor zwey Jahren, als mit dem damahligen [46] Rectore Magnifico Junio ich des Directorii wegen zu reden Gelegenheit nahm, und derselbe mir aus einem geschriebenen Rechnungs-Buche, welches vermuthlich ein Liber Rationum Rectoralium gewesen, remonstration thun wolte, es sich so fügen müßen, daß mir auf dem aufgeschlagenen Blat die Rechnung und die deutlichen Worte, da Schellen pro Directorio Musices 12. fl.Salarium aufgezeichnet gestanden, in die Augen gefallen, solches auch dem Rectori Magnifico Junio damahls sogleich von mir gezeiget und vorgestellet worden.

Endlich so hat die Universität durch D. Ludovici, welcher vorigen Sommer das Rectorat verwaltete, mir allbereit die Helffte der Besoldung derer 12. fl. bewilliget und angeboten, und würden sie dieses gewiß nicht gethan haben, wenn sie nicht selbst, daß die Sache auff guten Grunde beruhe, wären überzeuget gewesen, Dahero diese Veränderung mir üm soviel härter zu seyn scheinet, wenn Sie numehro von gar keinen Salario was wißen und mir solches gantz abschlagen wollen; Nachdem ich auch diese bescheheneOfferte in meinem allerunterthänigsten Memoriali ausdrücklich erwehnet, die Universität aber in ihrer Gegen-Vorstellung diesen Punct übergangen und nichts darauff geantwortet: So ist in der That durch dieses Stillschweigen der Grund meiner Praetension, und die Billigkeit meiner Sache auffs neue von ihnen selbst bestätiget, und wie sie selbst überzeuget sind, stillschweigend zu erkennen gegeben worden.

Da nun die Universität nach ihrem eigenen Geständniß und denen von ihnen beygefügten Rationibus Rectoralibus sub 3. et 3. bey den Quartal-Orationibus jährlich 3. Thlr: 10. gr. und den drey hohen-wie auch dem Reformations-Fest mir jährlich ein absonderliches Honorarium an 10. Thlr. und also zusammen jährlich 13. Thlr. 10. gr. krafft eingeführterObservanz reichen und ich, seit meiner bey der Universität Ao. 1723. am PfingstFest angetretenen Function biß zum Außgange des 1725. Jahres, welches zwey und dreyviertel Jahr ausmachet, zusammen 36. Thlr. 18. gr. 6. Pf. empfangen sollen, aber so viel nicht, sondern nur vor 11. Fest-Musiquen soviel Thaler und vor 11. Quartal-Orationes 7. Thlr. 13. gr. 6. Pf. zusammen 18. Thlr. 13. gr. 6. Pf. empfangen und also noch 18. Thlr. 5. gr. zu fodern habe; Das ordentliche Salarium an 12. fl. aber mir auch 23/4. Jahr lang, also 33. fl. restiret; Sie die Universität, da sie[47] wegen des Salarii accordiren wollen und da sie bereits die Helffte zugeben sich erboten, eo ipso meine Foderung vor unrecht und ungegründet nicht gehalten, sondern eingeräumet, auch da sie dieses in ihren allerunterthänigsten Bericht mit Stillschweigen übergangen, hierdurch mir solches nochmahls tacitè zugestanden, und im übrigen nicht das geringste von einiger Erhebligkeit einzuwenden vermögend gewesen: Alß gelanget an Euere Königliche Majestät und Churfürstliche Durchlaucht mein allerunterthänigstes Bitten, numehro der Universität, daß Sie nicht allein bey der vormahligen Einrichtung es bewenden und mir die völlige in 12. fl. bestehende Besoldung des alten Gottesdienstes, nebst denen vormahl damit verknüpfft gewesenen Accidentien derer Promotionum Doctoralium und anderer Actuum Solennium Künfftighin angedeyen laßen, sondern auch das rückständige Honorarium an 18. Thlr. 5. gr. und restirende ordentlicheSalarium an 33. fl. mir noch entrichten, auch alle dißfalls veruhrsachte Unkosten erstatten, oder wofern die Universität sich durch das, was bißhero angeführet worden, noch nicht überzeuget befinden möchte, daß dieselbe, die von Schellen und Kuhnauen so wohl über das absonderliche Honorarium, als über das ordentliche Salarium ausgestellten Quittungen ediren solle, allergnädigst anzubefehlen. Diese hohe Gnade werde Zeit lebens mit allerunterthänigstem Danck erkennen und verharre


Euerer Königlichen Majestät und

Churfürstlichen Durchlaucht

allerunterthänigster

allergehorsamster

Johann Sebastian Bach.«

Leipzig, den 31. Decembris Anno. 1725.


[Adresse: voller Titel wie oben11]


Darauf erfolgte unter dem 21. Januar 1726 ein Schreiben aus Dresden in nicht durchaus bestimmter Fassung, doch scheint Bach in demselben wesentlich Recht zu erhalten. Auffälliger Weise fand die Präsentation des Schreibens bei der Universität erst am 23. Mai desselben Jahres statt. Ob während dieser vier Monate Versuche gemacht sind, eine gütliche Vergleichung herbeizuführen, fällt der [48] Vermuthung anheim. Auch über die Erledigung der immer entschiedener in den Vordergrund tretenden Geldfrage ließ sich etwas bestimmtes nicht herausbringen. Eine Zusammenstellung verschiedener aus den folgenden Jahren vorliegender Notizen ergiebt, daß die Besorgung des neuen Gottesdienstes Görnern verblieb. Für die außerordentlichen Universitäts-Feierlichkeiten scheint bald dieser, bald jener der beiden Rivalen herbeigezogen zu sein, häufiger jedoch Bach. Nachdem er zum 3. August 1725 das für den Namenstag des Professors August Friedrich Müller geforderte Dramma per musica »Der zufriedengestellte Aeolus« componirt hatte, schrieb er schon zum 11. December des folgenden Jahres wieder eine Cantate für die Promotion des Magister Gottlieb Korte zum außerordentlichen Professor, dann zum 12. Mai 1727, dem Geburtstage des damals grade in Leipzig anwesenden Königs Friedrich August, abermals ein Drama musicum, welches die Convictoren der Universität unter seiner Leitung aufführten, ferner die Musik zu den am 17. October desselben Jahres in der Universitätskirche abgehaltenen Trauerfeierlichkeiten für die am 5. September verstorbene Königin Christiane Eberhardine. Görner dagegen war mit der Composition der lateinischen Ode beauftragt worden, welche zu der erwähnten Geburtstagsfeier des Königs in der Universitätskirche vorgetragen wurde. Auch zu der am 25. August 1739 von der Universität begangenen 200jährigen Jubelfeier der Annahme der evangelischen Lehre in Sachsen componirte Görner eine lateinische Ode, von welcher der erste Theil vor, der andere nach der Predigt aufgeführt wurde12. Er wird bei der ersteren dieser beiden Gelegenheiten ganz bestimmt »Director Chori musici academici bei dem neuen Gottesdienste am Paulino« genannt13. Ein Bericht aus dem Jahre 1736 kennt freilich als akademischen Musikdirector nur ihn, und fügt hinzu, daß bei festlichen Veranlassungen solenne Musiken von Studiosen und andern Musikern unter seiner Direction gemacht würden14. Jedoch braucht sich [49] letzteres nicht auf akademische Aufführungen zu beziehen, da die Collegia musica selbständige Festconcerte zu veranstalten pflegten: so brachte z.B. grade im Jahre 1736 Görners Verein zum Geburtstage des Königs eine von Joh. Joachim Schwabe gedichtete Cantate zu Gehör15. Und präcis unterscheidend heißt es aus dem Jahre 1728, die Paulinerkirche habe einen besonderen Musikdirector, Herrn Joh. Gottlieb Görner, für die gewöhnlichen Sonn- und Fest-Tags-Musiken, bei den Fest- und Quartal-Orationen aber habe solches Directorium der Cantor zu St. Thomae von Alters her16.

Bach konnte schließlich mit dem Resultat seiner Bemühung auch wohl zufrieden sein. Er hatte jedenfalls unter der musikliebenden akademischen Jugend eine sichere Position gewonnen. Sie befestigte sich noch mehr, als Schott im Jahre 1729 als Cantor nach Gotha gegangen war und Bach die Direction des alten, berühmten Telemannschen Musikvereins in die Hand bekam. Soweit unter den herrschenden Verhältnissen von einer günstigen Zeit für die öffentliche Musikübung überhaupt gesprochen werden kann, war sie damit für ihn gekommen. Er musicirte mit seinem Verein wöchentlich einmal und zwar im Sommer des Mittwoch Nachmittags von 4 bis 6 Uhr im Zimmermannschen Garten auf der Windmühlengasse, im Winter Freitag Abends von 8 bis 10 Uhr im Zimmermannschen Caffee-Hause auf der Katharinenstraße (das Eckhaus am Böttcher-Gäßchen, jetzt Nr. 7); zur Zeit der Messen wurde wöchentlich zweimal, nämlich Dienstags und Freitags, musicirt. Der Verein that sich unter seiner Leitung durch mehre Festconcerte hervor. Am 8. December 1733 führte er zur Geburtsfeier der Königin das Drama per musica »Tönet ihr Pauken, erschallet Trompeten« auf, im Januar 1734 ein Werk gleicher Gattung »Blast Lärmen, ihr Feinde, verstärket die Macht« zum Krönungsfeste Augusts III., bei des natürlich Bachsche Compositionen; auch mußte die alte weimarische Cantate »Was mir behagt ist nur die muntre Jagd« noch einmal mit verändertem Text[50] zur Geburtstagsfeier des Königs ihre Dienste thun17. Was aber mehr war: der Verein hörte auf in der Neuen Kirche zu musiciren und wurde dadurch für eine Mitwirkung in den Bachschen Kirchenmusiken frei. Der an Schotts Stelle berufene Organist Carl Gotthelf Gerlach war ein Schützling Bachs und durch dessen Verwendung in Besitz des Postens gekommen18. Er mußte sich gefallen lassen, daß sein Gönner ihm den Musikverein entzog. Indessen, war es nun aus Billigkeitsgefühl, war es aus alter Vorliebe für die Musikaufführungen in der Neuen Kirche – der Rath unterstützte ihn mit verhältnißmäßig reichlichen Mitteln, um sich einen eignen kleinen Chor für die Bedürfnisse der Neuen Kirche bilden zu können. In späteren Jahren kam Gerlach auch noch dazu, den Telemannschen Musikverein zu leiten, indem Bach sich von demselben wieder zurückzog. Wir wissen nicht genau, wann dieses geschehen ist; nur, daß der Rücktritt nach 1736 stattfand, steht fest. Doch kehrten die alten Zeiten für die Neue Kirche nicht wieder; der Verein scheint ihr auch ferner fremd geblieben zu sein, wie er denn überhaupt seine frühere Bedeutung verlor und von einer Hand in die andere ging. Der Sammelpunkt der musikalischen Kräfte Leipzigs war Anfang der vierziger Jahre ein anderer geworden19.

Die Leitung der Kirchenmusik in der Thomas- und Nikolai-Kirche nahm Bach selbstverständlich von Anfang an mit allem Eifer in die Hand. Bezeichnend ist es für ihn, daß er sein Cantorat viel weniger als ein Lehramt an einer öffentlichen Schule auffaßte – was es doch zunächst und vor allem war –, wie als ein städtisches Musikdirectorat, mit welchem gewisse Schulstunden verbunden waren. Diese Auffassung, welche er während der ganzen Zeit seiner Wirksamkeit geltend machte, tritt schon äußerlich in seiner Manier sich zu betiteln hervor. Die Amtsvorgänger hießen einfach Cantoren; wurde einmal ein Director musices hinzugefügt, so geschah es unter Hinblick auf die Universitätskirche20. Bach unterschreibt und nennt [51] sich fast immer und von Anfang an Director Musices oder Chori Musici und Cantor, auch wohlDirector Musices allein21, nur ausnahmsweise, wo es sich um Gesangsprüfungen innerhalb der Schule handelte, bloß Cantor. Auch seine Schüler geben ihm jenen Titel22, im Leipziger Adressbuch von 1723 findet er sich ebenfalls so vermerkt23: er wollte offenbar nach allen Seiten hin seine Stellung als eine überwiegend musikalische und selbständige kennzeichnen und mochte dieses mit um so größerer Beflissenheit thun, als die Behörden hartnäckig bei dem einfachen Titel Cantor verharrten. Charakteristisch ist dies Bestreben, welches ihn in mancherlei Conflicte hineinführte, auch deshalb, weil der äußeren Seite eine innere entspricht. Die protestantische Kirchenmusik hatte stets von der Schule abgehangen, und was sie war, das war sie eben mittelst der Schülerchöre geworden. Gewiß wurde Bach nicht durch Hochmuth und Laune veranlaßt, grade sein Verhältniß zur Schule als ein nebensächliches Ding anzusehen. Ohne Zweifel ist Bachs Musik noch stilvolle, echte Kirchenmusik; aber daß sie in sich schon die Keime selbständiger Concertmusik trägt, kann nicht verkannt werden, und tritt auch im Verlaufe von Bachs Wirksamkeit hier und da äußerlich hervor. Er hatte ein Gefühl von dieser Eigenthümlichkeit seiner Künstlerschaft; das giebt sich durch die scharfe Betonung seiner Stellung als Musikdirector, und nicht als Schul- und Kirchen-Beamter, zu erkennen.

Der Rath der Stadt hatte ihn achtungsvoll aufgenommen, aber um seinerseits zur Hebung der Kirchenmusik beizutragen, hätte er tiefer in den Geldbeutel greifen müssen, als ihm thunlich erschien. [52] Bachs nächster Vorgesetzter im Kirchendienst war der Superintendent der Leipziger Diöcese, damals Dr. Salomon Deyling. Derselbe erfreute sich in dem Bereiche seiner Amtstätigkeit und über denselben hinaus einer verdienten hohen Achtung. Er war ein Mann von ausgebreitetem Wissen, kräftigem Charakter und unzweifelhafter administrativer Befähigung. Als armer Leute Kind im Jahre 1677 zu Weida im Voigtlande geboren hatte er sich in Dürftigkeit und Noth mit großer Energie zum Wittenberger Studenten durchgearbeitet, habilitirte sich 1703 in der philosophischen Facultät, wurde zwei Jahre später Archidiaconus in Plauen, schon 1708 Superintendent in Pegau und 1716 Generalsuperintendent in Eisleben. Inzwischen hatte er sich die Würde eines Licentiaten der Theologie errungen und war 1710 in Wittenberg zum Dr. theol. gemacht worden. Seine Berufung nach Leipzig als Pastor an der Nikolaikirche und Superintendent der Diöcese erfolgte 1720. Er trat diese Ämter und zugleich eine außerordentliche Professur, welche sich mit der Zeit in eine ordentliche verwandelte, im Jahre 1721 an. Auch wurde er Assessor des Consistoriums. Seine in diesen Verhältnissen entwickelte reiche Thätigkeit endigte erst der Tod, welcher ihn im Jahre 1755 hinwegnahm24. Die Frage, welche uns hier vor allem interessirt, ist, wie er sich zur Kirchenmusik stellte. Gelegenheit, seine Meinung hierüber zu entdecken, hätte er genug gehabt; die Zahl der von ihm veröffentlichten Schriften ist eine sehr große. Dieselben behandeln philosophische, philologische, mathematische, antiquarische, hauptsächlich aber theologische Dinge und zwar exegetischer, dogmatischer, historischer und praktisch-theologischer Beschaffenheit. Der größte Theil seiner lateinischen Dissertationen ist in den Observationes sacrae enthalten, welche, dreimal fünfzig an Zahl, in drei Theilen zu Leipzig in den Jahren 1708, 1711 und 1715 erschienen. In ihnen zeigt er sehr viel Gelehrsamkeit und eine streng conservative, alt-lutherische Gesinnung. Von musikalischen Sachen handelt unter den 150 Abhandlungen nur eine einzige. Sie [53] ist überschrieben: Hymni a Christianis decantandi (III, XLIV; S. 336–346). Aber auch sie ist fast durchaus theologisch-antiquarischen Inhalts; was die Griechen unter einem Hymnus verstanden, wie viel Arten von Gesängen die Juden unterschieden, bei welchen Gelegenheiten die Griechen Gesänge anzustimmen pflegten, in wie weit die ersten Christen ihnen darin hatten nachahmen sollen, und in wie weit nicht, dieses und einiges andere wird mit Anschluß an zwei Stellen aus dem Epheser- und Colosser-Brief weitläufig und gelehrt erörtert. Erst im letzten Paragraphen kommt er darauf zu sprechen, daß bei den Heiden bestimmte Leute von Obrigkeitswegen bestellt waren, um bei großen Feierlichkeiten Gesänge öffentlich vorzutragen und schließt dann die Abhandlung mit der Nutzanwendung: Cum igitur profanus hominum coetus, et a vero Dei cultu peralienus, in commentitiorum numinum honorem, et ad laudes eorum decantandas, publica quondam Ὑμνψδῶν et Παιανιστῶνin Templis, aliisque conventibus, instituerint Collegia, ac inter ipsas epulas consueverint ὑμνολογεῖν;quanto magis Christianos decet esse Hymnologos et Paeanistas veri Dei? Quanto hos magis decit ψαλμοῖς καὶ ὕμνοις, καὶ ψδαῖς πνευματικαῖς Dei beneficia et laudes in conviviis, ac Templis, publice privatimque celebrare? (Da also einstmals unheilige und der wahren Gottesverehrung fremde Menschen zu Ehren falscher Gottheiten und um deren Ruhm zu besingen öffentliche Genossenschaften von Sängern und Musikern für ihre Gottesdienste und andre Zusammenkünfte eingerichtet haben, und selbst bei Gelagen Hymnen anzustimmen gewohnt waren, wie viel mehr geziemt es den Christen, Sänger und Musiker des wahren Gottes zu sein; wie viel mehr ziemt es sich für sie, mit Psalmen und Hymnen und geistlichen Gesängen Gottes Wohlthaten und Ruhm bei Gelagen und in den Kirchen öffentlich und im häuslichen Kreise zu verherrlichen?) Dies ist alles, was Deyling in den Observationes sacrae über Kirchenmusik äußert, um seine Stellung zu ihr zu kennzeichnen, genügt es aber. Die Parallele zwischen den Hymnoden und Paeanisten einerseits und den protestantischen Kirchenchören andrerseits ist in die Augen fallend, und bei den Convivalgesängen hat er offenbar die Sitte im Auge, gemäß welcher die Schülerchöre bei Festlichkeiten, namentlich Hochzeiten, Tafelmusik zu machen pflegten. Man muß nun bedenken, daß er Obiges in Zeiten schrieb, als über die Figuralmusik [54] beim Gottesdienste, namentlich darüber, ob und in wie weit selbständige Musikchöre sich mit ihr zu befassen hätten, heftiger Streit herrschte. Deyling hielt also eine Kirchenmusik, wie sie Bach vertrat, für wünschenswerth. Ob er lebhaftere und speciellere musikalische Interessen hatte, darf man nach der Dürftigkeit der darüber von ihm gemachten Äußerungen bezweifeln. Es genügte aber vollständig, wenn er Bach freie Hand ließ. Was man von einer Reorganisation des Cultus, welche Bach und Deyling gemeinschaftlich in Angriff genommen hätten, erzählt hat, ist auf unbegründete Vermuthungen und unrichtige Anschauungen zurückzuführen25. Ein Mißverhältniß zwischen dem Inhalt der jedesmaligen Kirchenmusik und den von der Gemeinde gesungenen Liedern konnte, wenn anders der Cantor überhaupt seine Aufgabe begriff, nicht stattfinden, da für die Festtage die zu singenden Gemeindelieder ein für allemal bestimmt waren, für die gewöhnlichen Sonntage aber die Auswahl der Lieder zu den althergebrachten Befugnissen des Cantors gehörte. Ein Mangel an Zusammenhang zwischen der Cantate und den jedesmaligen Epistel- und Evangelientexten war deshalb nicht wohl möglich, weil die den Cantaten zu Grunde gelegten Texte für die betreffenden Sonn- und Festtage mit Bezug auf deren kirchlichen Charakter und den Inhalt des zur Behandlung kommenden Stückes der heiligen Schrift eigens gedichtet zu werden pflegten. Eine Änderung gar des Cultusganges zu Gunsten der Musik hätte eine Verletzung der Amtspflichten Bachs bedeutet, da er bei seinem Antritt vom Rath ausdrücklich angewiesen worden war, im Gottesdienste keinerlei Neuerung vorzunehmen; der Cultus war und blieb zu Bachs Zeit genau der nämliche, wie während Kuhnaus Cantorat. [55] Er bot auch zur Entfaltung der Musik überreichen Raum, welchen Bach nicht einmal vollständig auszunutzen pflegte. Allerdings mußte er die von ihm gewählten Compositions-Texte der Censur des Superintendenten unterwerfen. Ein Zusammenarbeiten wird das weniger genannt werden können, als eine dem Künstler unbequeme Freiheitsbeschränkung, wie denn überhaupt Bach sich jeder Beaufsichtigung gern entzog und in seinem Bereiche selbstherrlich zu schalten liebte. Ein Vorgang, der allerdings in eine spätere Zeit fällt, aber seines Inhaltes wegen schon hier eine passende Stelle findet, mag diese Behauptung begründen. Zum Charfreitag 1739 hatte Bach durch Umherschickung gedruckter Texte, wie er zu thun pflegte, eine Passionsmusik angekündigt. Der Rath wollte wieder einmal am unrechten Orte seine Oberhoheit geltend machen. Ein Rathsdiener wurde beauftragt, dem Cantor mündlich anzuzeigen, daß die angekündigte Passionsmusik zu unterbleiben habe, bis eine ordentliche Erlaubniß seitens der Obrigkeit ertheilt sei. Bach zeigte sich sehr unwirsch. »Er sei dieses Mal nicht anders zu Werke gegangen, als sonst, und was den Text betreffe, so habe derselbe nichts verfängliches, da das Werk ja schon mehre Male aufgeführt sei. Übrigens läge ihm garnichts daran, ob die Aufführung stattfinde, oder nicht, er habe doch nur Mühe davon und keinen Gewinn. Er werde dem Herrn Superintendenten anzeigen, daß ihm vom Rathe die Aufführung verboten sei26.« Rath und Consistorium geriethen einander häufig ins Gehege. Der hieraus entstehende Wirrwarr mußte für Bach eine Veranlassung mehr sein, auf eigne Faust zu handeln27.

Ebenso wie die Cantaten-Texte unterlagen die Gemeindelieder der Censur der Kirchenbehörde. Ein gewisser Kreis von Liedern war ein für allemal sanctionirt; innerhalb dessen konnte sich der Cantor frei bewegen, aber er durfte ihn nicht überschreiten. Es ist möglich, daß Bach dieses doch einmal versucht hat und es dem Consistorium hinterbracht worden war. Es ließ am 16. Februar 1730 dem Superintendenten die Weisung zugehen, er möge Sorge tragen, [56] daß neue, bisher nicht üblich gewesene Lieder nicht wieder ohne Genehmigung der Behörde, wie solches in der letztvergangenen Zeit geschehen sei, gesungen würden28. Wenn man sieht, welchen Feinund Tiefsinn Bach z.B. in der Auswahl derjenigen Choräle beweist, die dem madrigalischen Texte der Matthäus-Passion eingefügt sind, wird man es glaublich finden, daß er das Recht des Cantors, die Gemeindelieder zu bestimmen, gern dazu benutzte, die verschiedenen musikalischen Factoren des Gottesdienstes in eine möglichst lebhafte und innige Wechselwirkung zu bringen. Und wenn er auch nicht der hartnäckige Mann gewesen wäre, der keinen Fußbreit des ihm gehörigen Gebietes ohne den äußersten Widerstand zu räumen pflegte, würde es begreiflich erscheinen, daß er sich in die Anordnung der Kirchenlieder von Niemandem hineinreden lassen wollte. Der Versuch, dieses zu thun, unterblieb nicht. Der Subdiaconus an der Nikolai-Kirche, Magister Gaudlitz, hatte im Jahre 1727 angefangen, zunächst mit Vorwissen des Superintendenten und unter Zustimmung des Cantors zu den von ihm zu haltenden Vesperpredigten zugleich die Lieder anzugeben. Nachdem er dieses ein Jahr lang getrieben, paßte seine Einmischung unserm Meister nicht länger, er ignorirte die Bestimmungen des Subdiaconus und ließ wieder von ihm selbst gewählte Lieder singen. Gaudlitz beschwerte sich beim Consistorium, das, etwas voreilig, den Cantor durch den Superintendenten bedeuten ließ, er möge künftig hin die von den Predigern angegebenen Lieder singen lassen. Jetzt hielt es Bach für zeitgemäß, an den Rath zu gehen. Er schrieb demselben:


»Magnifici,

HochEdelgebohrne, HochEdle, Veste, Hoch- und

Wohlgelahrte, auch Hochweise,

HochzuEhrende Herren und Patroni,


Euere Magnifici HochEdelgebohrne und HochEdle Herren geruhen Sich Hochgeneigt zurück zu errinnern, welchergestalt bey erfolgter vocation des mir anvertraueten Cantorats bey hiesiger Schulen zu St. Thomae ich von Eueren Magnificis HochEdelgebohrnen und HochEdlen Herren dahin verwiesen worden, derer bißanherigen [57] Gebräuchen bey dem öffentlichen Gottesdienst allenthalben gebührend nachzugehen, und keine Neuerung einzuführen, mir auch hierunter Dero hohen Schutz angedeyhen zu lassen hochgeneigt versichert. Unter diesen Gebräuchen und Gewohnheiten ist auch die Verordnung derer Geistlichen Gesänge vor und nach denen Predigten gewesen, welche mir und meinen antecessoribus des Cantorats nach Maßgebung derer Evangeliorum und dahin eingerichteten Dreßdener-GesangBuchs, wie es der Zeit und Umstände convenient geschienen, lediglich überlassen worden, allermaßen, wie das löbliche Ministerium es zu attestiren wissen wird, niemahls contradiction dießfalls entstanden29. Diesem zuwieder aber hat sich der Subdiaconus der Kirchen St. Nicolai HerrMagister Gottlieb Gaudlitz einer Neuerung bißanhero zu unterziehen, und an statt der bißherigen Kirchen Gebrauch gemäß geordneten Lieder, andere Gesänge anzuordnen gesuchet, und als ich wegen besorglicherconsequentien darein zu condescendiren Bedenken getragen, beschwerde bey dem hochlöblichen Consistorio wieder mich geführet, und eine Verordnung an mich ausgewürcket, Inhalts welcher ich hinkünfftig dieienigen Lieder, welche mir von den Predigern angesaget werden würden, absingen lassen solle. Wann dann aber mir solches ohne Vorbewust Euerer Magnificorum HochEdelgebohrnen und HochEdlen Herren als hohen Patronis derer alhiesigen Kirchen zu bewerckstelligen um so viel weniger geziehmen will, da bißanhero von so langer Zeit beständig die Verordnung derer Lieder bey dem Cantorat inturbiret geblieben, ermeldter Herr Magister Gaudlitz auch selbst in seinen an das hochlöbliche Consistorium gerichteten und beygehenden abschrifftlichen Schreiben sub A.30 gestehet, daß, wenn ihm ein oder das anderemahl gefüget worden, mein als des Cantoris Einwilligung hierzu erfordert worden. Wozu kommt, daß wenn bey Kirchen Musiquen. außerordentlich lange Lieder gesungen werden sollen, der Gottesdienst aufgehalten und also allerhand Unordnung zu besorgen stehen würde, zugeschweigen kein eintziger derer Herren Geistlichen, ausser der Herr Magister Gaudlitz als subdiaconus diese [58] Neuerung zu introduciren suchet. Welches ich also Euren Magnificis HochEdelgebohrnen und HochEdlen Herren als Patronis derer Kirchen gehorsamst zu hinterbringen der Nothdurfft erachtet, mit unterthänigen Bitten, mich bey denen bißherigen üblichen Gebräuchen derer Lieder und derer Anordnung hochgeneigt zu schützen. Wofür lebenslang verharre


Eurer Magnificorum HochEdelgebohrnen

und HochEdlen Herren

Leipzig den 20. Sept. 1728.

gehorsamster

Johann Sebastian Bach.«31


Der Rath kam auf diese Weise wiederum mit dem Consistorium in Conflict. Wie sie die Sache unter sich zum Austrage gebracht haben, ist nicht bekannt.

Was Bach zur Verbesserung der Musik in den Hauptkirchen Leipzigs zu thun gesonnen war, konnte nach der Lage der Verhältnisse und der von ihm selbst stetig verfolgten Kunstrichtung im wesentlichen nichts anderes sein, als Sänger und Spieler zu einer höheren Leistungsfähigkeit zu erziehen und durch stete Beschäftigung mit bedeutenden Tonwerken ihren Kunstsinn zu bilden. Letzteres läuft so ziemlich darauf hinaus, daß er selbst möglichst viel componirte. Das entsprach durchaus seinen Wünschen, und er entwickelte, wie wir sehen werden, nach dieser Seite hin alsbald und durch eine lange Reihe von Jahren eine großartige Thätigkeit. Was die Vervollkommnung des Chors betrifft, so hatte er einen bedeutenden Schritt dazu gleich am Beginn seiner Thätigkeit gethan, indem er ein Verhältniß zwischen sich und den Studenten herstellte. Er wußte, daß er ohne die Studenten nicht wohl würde fertig werden können. Aber was sie ihm für seine sonntäglichen Musiken gewährten, war eben doch nur eine von ihrem guten Willen abhängende Unterstützung. Den Stamm des Chors mußten immer die zur Kirchenmusik verpflichteten Thomaner bilden. Diese Verpflichtung bestand nicht nur im Singen. Bei seiner Anstellung hatte sich Bach verbinden müssen, die Schüler nicht allein in der Vocal-, sondern auch in der Instrumental-Musik fleißig zu unterweisen. Wie die [59] Dinge einmal lagen, war solches auch nothwendig. Denn das zur Ausführung der Instrumentalbegleitung vom Rath bestellte städtische Musikcorps war weder hinreichend stark noch tüchtig, um durch sich allein höheren Aufgaben zu entsprechen. Es bestand nur aus sieben Personen: vier Stadtpfeifern und drei Kunstgeigern, die mit einer einzigen Ausnahme zur Gattung der »dunkeln Ehrenmänner« gehörten32. An Instrumentisten, und gewiß auch tüchtigen, fehlte es freilich sonst in Leipzig nicht33, aber ihre Mitwirkung kostete Geld, während die Thomaner umsonst geigen mußten. Bachs Unterricht im Clavier-, Orgel- und Violinspiel werden wir uns im Allgemeinen so zu denken haben, daß, wo er einen hierfür befähigten Schüler entdeckte, er diesen an sich heranzog und durch sein Beispiel und gelegentliche Belehrung zu fördern suchte. Viele junge Leute, deren Namen uns später noch begegnen werden, haben weniger eine wissenschaftliche, als eine musikalische Ausbildung auf der Thomasschule gradezu gesucht, sie sind dann im strengsten Wortverstande Bachs Schüler in Spiel und Composition geworden und haben die Anstalt nicht als angehende Gelehrte, sondern als tüchtige Künstler verlassen. Immerhin aber bildete das Singechor doch den nächsten Zweck, dem die musikalischen Alumnen zu dienen hatten. Welcher Art die Schulung war, die Bach ihnen für diesen Zweck angedeihen ließ, ist eine interessante, aber nicht leicht zu beantwortende Frage.

Es ist uns eine Anzahl von eigenhändigen Zeugnissen Bachs erhalten, welche er über angestellte Singprüfungen ertheilt hat. Sie beziehen sich größten Theils auf junge Leute, die sich zur Aufnahme ins Alumnat der Thomasschule gemeldet hatten. Im Sommer 1729 bewarb sich ein gewisser Gottlieb Michael Wünzer um eine Alumnenstelle. Der Rector Ernesti stellt ihm ein lateinisches Zeugniß aus; darunter schreibt Bach:


[60] »Obig benandter Wünzer hat eine etwas schwache Stimme und noch wenige profectus, dörffte aber wohl (so ein privat exercitium fleißig getrieben würde) mit der Zeit zu gebrauchen seyn.

Leipzig. d. 3 Jun: 1729.

Joh: Sebast: Bach.

Cantor.«


Ein anderes Mal schreibt er:

»Vorzeiger dieses Erdmann Gottwald Pezold von Auerbach, aetatis 14. Jahr, hat eine feine Stimme und ziemliche Profectus. So hiermit eigenhändig attestiret wird

von

Joh: Seb: Bach.«


Ferner:

»Vorzeiger Dieses Johann Christoph Schmied von Bendeleben aus Thüringen aetatis 19 Jahr, hat eine feine Tenor Stimme und singt vom Blat fertig.

Joh: Seb: Bach

Director Musices.«


Oder:

»Carolus Henrich Scharff, aetatis 14 Jahr, hat eine ziemliche Alt Stimme, und mittelmäßige Profectus inMusicis.

J S Bach.

Cantor.«34


Eine Reihe anderer derartiger Zeugnisse wird weiter unten in einem andern Zusammenhange mitgetheilt werden, da sie neue Seiten der Beurtheilung nicht hervortreten lassen. Hier sei noch ein Zeugniß aus späterer Zeit beigefügt, in dem es sich freilich nicht um einen angehenden Thomasschüler handelt. Im Jahre 1740 sollte eine Collaboratorstelle an der Thomasschule neu besetzt werden. Da mit derselben die Verpflichtung verbunden war, den Knaben die Anfangsgründe der Musik beizubringen, so wurden die Bewerber zu Bach geschickt, um sich prüfen zu lassen. Er berichtete über den Ausfall der Prüfung mit diesen Worten:


»Auf Ihro Excellence des Herrn Vice-Cancellarii hohe Ordre sind die drey competenten bey mir gewesen, und habe Sie folgender maßen befunden:

[61] (1) Der Herr M. Röder hat die probe depreciret, weiln er seine resolution geändert und eine Hoffmeister Stelle bey einer Adelichen Familie in Merseburg angetreten.

(2) Der Herr M. Irmler hat eine gar feine Singart; nur fehlet es ihm in etwas am judicio aurium.

(3) Der Herr Wildenhayn spielet etwas auf dem Clavier, aber zum Singen ist er eigenem Geständniß nach, nicht geschickt.

Leipzig. d. 18. Januar. 1740.

Joh: Seb: Bach.«35


So kurz und allgemein gehalten diese Censuren sind, man ersieht aus ihnen doch, auf welche Seiten der Gesangskunst Bach hauptsächlich sein Augenmerk richtete. Das Wort profectus, welches man in der Bedeutung von »Leistungen« damals viel gebrauchte, kann allerdings alles einschließen, was von einem Sänger zu verlangen ist. Es erhält aber hier einen umgränzteren Sinn, wenn man erwägt, daß es sich zunächst um brauchbare Chorsänger handelt, und dann hinzu zieht, was über diesen und jenen Examinanden etwa eingehenderes gesagt wird. Danach forderte Bach von seinen Sängern vorzugsweise Treff-und Taktsicherheit, reine Intonation, Ausgiebigkeit und gern auch eine wohlthuende Klangfarbe des Stimmmaterials (»hat eine feine Stimme«). Aus jenen Zeugnissen spricht der Musiker, nicht der Gesanglehrer. Von Tonbildung, Aussprache, Registerverbindung und andern speciell gesangstechnischen Dingen ist nicht die Rede. Es wäre lächerlich, nur zu denken, daß Bach mit dergleichen Fragen nicht genügend vertraut gewesen wäre; zum Ueberfluß sei daran erinnert, daß er in seiner zweiten Gattin eine geschulte, tüchtige Sängerin besaß. Aus seinem Schweigen darüber folgt auch nicht, daß er sie beim Gesangunterricht ganz außer Acht gelassen habe. Aber wohl wird man behaupten dürfen, daß er es nicht als seine Aufgabe ansah, aus den stimmbegabten Thomanern in derselben Weise Gesangskünstler zu bilden, wie er Krebs, Ernst Bach, seine eignen Söhne u.a. zu bedeutenden Spielern und Componisten erzog. In den sieben wöchentlichen Gesangstunden, an denen, wenn die verschiedenen Chöre ausreichend besetzt waren, gegen 40 Schüler theilzunehmen hatten, war dazu keine Zeit. Er [62] hätte den Begabtesten unter ihnen private Unterweisung zukommen lassen müssen. Um dieses zu thun hätte er wiederum zu der Gesangskunst, von der wir nicht wissen, daß er sie seit seiner Kindheit noch praktisch betrieben, in einem innerlich näheren Verhältniß stehen müssen, als es der Fall war. Bach war, wie seine ganze Entwicklung lehrt, zunächst und vor allem Orgelcomponist. Allen seinen übrigen Instrumentalcompositionen haftet etwas orgelartiges an, und seine Vocalwerke können als die letzte und höchste Verlebendigung des Bachschen Orgelstiles bezeichnet werden. Das Bestehen eines solchen Verhältnisses braucht nicht nothwendigerweise einen Vorwurf einzuschließen, selbst dann nicht, wenn man rein künstlerische Gesichtspunkte ausschließlich geltend machen wollte. Solange es eine selbständige Instrumentalmusik giebt, hat sie mit der Vocalmusik in Wechselwirkung gestanden, haben Übertragungen herüber und hinüber stattgefunden. Bei Bach wohnt aber, wie wir früher gesehen haben, der Orgel noch ein besonderer, idealer Sinn inne, der demjenigen, was in seiner Vocalmusik stilwidrig erscheinen kann, eine höhere Berechtigung giebt. Jedenfalls verlangte er für sich und nach den von ihm gehegten Ansichten über Kirchenmusik etwas anderes von den Sängern, als es seine musikalische Mitwelt that. Er verlangte weniger, indem alles das, was den Menschengesang als solchen charakterisirt, und was in voller Klarheit überall da hervortreten muß, wo er im Tonstück der herrschende Factor ist, weniger durchgreifende Bedeutung für ihn besaß. Mehr verlangte er, indem er in seinen Compositionen den Sängern oftmals musikalisch-technische Aufgaben stellte, auf die eine aus der Idee der Singstimme heraus producirende Phantasie nicht geführt hätte. Es leuchtet ein, daß in einer solchen Musik auch der Unterschied zwischen den Anforderungen an einen Chorsänger und einen Solisten ein geringerer sein mußte, als z.B. in einem Händelschen Oratorium. Ein im Bachschen Chorgesang recht tüchtiger Alumne konnte bald auch für den Vortrag einer Arie brauchbar werden, da ja die Wirkung derselben viel weniger von ihm allein abhing, als dies bei dem Sänger einer Opern- oder Oratoriums-Arie der Fall war. Den Empfindungsgehalt der Bachschen Arien werden freilich die Knaben und Jünglinge nicht mit jener Fülle der Leidenschaft zum Ausdruck gebracht haben, welche diese Musikstücke anzuregen im Stande [63] sind, so daß in deren Vortrage die bedeutendsten Sänger eine ihrer größten Aufgaben zu erblicken pflegen. Daß aber auch Bach ein mechanisches Heruntersingen derselben nicht geduldet haben wird, davon darf man überzeugt sein. Johann Friedrich Agricola, Bachs Schüler während der Jahre 1738–174136, sagt, es sei höchstnöthig, daß ein Sänger aus der Redekunst, oder durch mündliche Anweisung guter Redner, wenn er sie haben könne, oder doch durch genaue Beachtung ihres Vortrages lerne, was für eine Art des Lautes der Stimme zur Ausdrückung jedes Affects oder jeder Figur der Rede nöthig sei, daß er ferner sich nach diesen Regeln fleißig im Lesen oder Declamiren affectreicher Stellen aus guten Rednern und Dichtern übe37. Und wir wissen, daß Bach selbst es liebte, die Redekunst als Beispiel zur Verdeutlichung des richtigen musikalischen Vortrages herbeizuziehen. »Die Theile und Vortheile, welche die Ausarbeitung eines musikalischen Stücks mit der Rednerkunst gemein hat, kennet er so vollkommen, daß man ihn nicht nur mit einem ersättigenden Vergnügen höret, wenn er seine gründlichen Unterredungen auf die Ähnlichkeit und Übereinstimmung beyder lenket; sondern man bewundert auch die geschickte Anwendung derselben in seinen Arbeiten« – sagt sein Freund, der Magister Birnbaum38.

Wenn dieses die Grundsätze waren, welche Bach für seinen Gesangunterricht maßgebend erachtete, so folgt daraus freilich noch nicht, daß er auch deren praktische Durchführung erfolgreich betrieben habe. Hierzu gehörten noch zwei Dinge: pädagogisches Talent auf seiner und musikalisches auf der Schüler Seite. Mit dem, was bei einer andern Gelegenheit über seine große Lehrbefähigung gesagt worden ist39, scheint es im Widerspruche zu stehen, daß der jüngere Ernesti (seit 1734 Rector der Thomasschule) behauptete, er könne unter dem Schülerchore keine Disciplin halten, und daß nach [64] Bachs Tode im Leipziger Rathe das Wort gesprochen werden konnte, »Herr Bach wäre zwar wohl ein großer Musicus, aber kein Schulmann gewesen«40. Aber es ist ein anderes, einen einzelnen lernbegierigen, ehrfurchterfüllten Schüler leiten, als eine unverständige, verwilderte Masse bändigen. Zu ersterem befähigte Bach seine geniale, anregende, echt humane und gewissenhafte Natur; in letzterem behinderte ihn seine Künstler-Reizbarkeit, die Knaben gegenüber hervortrat, welche von seiner Größe keine Vorstellung hatten. Es ging in dieser Beziehung dem reifen Manne in Leipzig nicht anders, als dem Jünglinge in Arnstadt. Daß es mit der musikalischen Begabung unter den Alumnen oft recht dürftig aussah, werden wir gleich des weiteren erfahren. Bach ging von Leipzig aus häufig nach Dresden, hörte dort die ausgezeichneten Leistungen der italiänischen Sänger, das vortreffliche Spiel der königlichen Instrumentalcapelle und war in den Künstlerkreisen sowohl als bei Hofe selbst eine bewunderte Persönlichkeit. Es ist menschlich, daß er unter diesen Umständen die eigne Arbeit mit seinen Thomanern und Stadtmusikanten oft nur mißmuthig verrichtete, und der unlustig gethanen Arbeit pflegt es bekanntlich am Erfolge zu fehlen.

Der hiermit angedeutete Zustand wird übrigens erst nach Verlauf einiger Jahre deutlich offenbar. Anfänglich mag der Reiz der Neuheit, der natürliche Wunsch, die an seine Person geknüpften Erwartungen zu rechtfertigen und vor allem die Freude, endlich einmal wieder nach Herzenslust Kirchenmusik machen zu können, Bach über viele Widerwärtigkeiten leichter hinweggehoben haben. Es liegt wenigstens keine Nachricht vor, welche dieser Annahme im Wege stände. Die ersten Spuren eines Mißverhältnisses werden im Jahre 1729 sichtbar. Zu Ostern dieses Jahres hatten neun Alumnen die Thomasschule absolvirt und verlassen. Es waren brauchbare Musiker gewesen, sogar ein großes Talent befand sich darunter, Wilhelm Friedemann, Bachs ältester Sohn. Bei dieser Gelegenheit kommt zu Tage, daß der Rath, in Sachen des Thomanerchores noch ebenso indolent, wie zu Kuhnaus Zeiten, bei Besetzung der Alumnenstellen schon länger nicht mehr die gebührende Rücksicht darauf genommen hatte, ob die Aspiranten auch musikalisch waren. Der [65] Chor gerieth nun in eine so schlimme Verfassung, daß etwas durchgreifendes geschehen mußte, wenn überhaupt in der herkömmlichen Weise weiter musicirt werden sollte. Nicht nur Bach wurde daher in der dringlichsten Weise vorstellig, es möchten die offenen Stellen nur mit musikalisch tüchtigen Leuten besetzt werden, auch der alte Rector Ernesti bat darum, und der Schulvorsteher Dr. Stiglitz, welcher beider Wünsche dem Rath zu übermitteln hatte, unterstützte sie in einem Schreiben vom 18. Mai durch seine nachdrücklichste Befürwortung41. Als Beilage schickte er eine von Bach selbst gefertigte und geschriebene Übersicht über die neuen Bewerber und ihre Fähigkeiten, sowie über den nothwendigen Bestand der verschiedenen Kirchenchöre ein. Dieselbe lautet:

»Die jenigen Knaben so42 bey itziger vacanz auf die Schule zu S. Thomae als Alumni recipiret zu werden verlangen, sind folgende: als.


(1) Zur Music zu gebrauchende, und zwarSopranisten

(1 Christoph Friedrich Meißner von Weißenfels, aetatis 13 Jahr, hat eine gute Stimme und feine profectus.

(2 Johann Tobias Krebs von Buttstädt, aetatis 13 Jahr, hat eine gute starcke Stimme und feine profectus.

(3 Samuel Kittler von Bellgern, aetatis 13 Jahr hat eine ziemlich starcke Stimme und hübsche profectus.

(4 Johann Heinrich Hillmeyer von Gehrings Waldeaetatis 13 Jahr, hat eine starcke Stimme wie auch feine profectus.

(5. Johann August Landvoigt von Gaschwitz aetatis 13 Jahr, hat eine passable Stimme; die profectus sind ziemlich.

(6. Johann Andreas Köpping von Großboden, aetatis 14 Jahr hat eine ziemlich starcke Stimme; die profectus sind mediocre.

(7. Johann Gottlob Krause von Großdeuben, aetatis 14 Jahr, deßen Stimme etwas schwach und die profectus mittelmäßig.

(8. Johann Georg Leg aus Leipzig, aetatis 13 Jahr, deßen Stimme etwas schwach, und die profectus geringe.


Altisten.

(9) Johann Gottfried Neucke von Grima, aetatis 14 Jahr, hat eine starcke Stimme, und ziemlich feineprofectus.

[66] (10) Gottfried Christoph Hoffmann von Nebra, aetatis 16 Jahr, hat eine passable Altstimme, die profectus sind noch ziemlich schlecht.


(2) Die, so nichts in Musicis praestiren.

(1) Johann Tobias Dieze.

(2) Gottlob Michael Wintzer43.

(3) Johann David Bauer.

(4) Johannen Margarethen Pfeilin Sohn.

(5) Gottlob Ernst Hausius.

(6) Wilhelm Ludewigs Sohn Friedrich Wilhelm.

(7) Johann Gottlieb Zeymer.

(8) Johann Gottfried Berger.

(9) Johann Gottfried Eschner.

(10) Salomon Gottfried Greülich.

(11) Michael Heinrich Kittler von Prettin.

Joh: Sebast: Bach

Direct: Musices

u. Cantor zu S. Thomae«.


Dazu als Nachtrag auf einem andern Blatte:

»Gottwald Pezold von Aurich, aetatis 14. Jahr, hat eine feine Stimme und die profectus sind passable44. Johann Christoph Schmid von Bendelebenaetatis 19 Jahr, hat eine ziemlich starcke Tenor Stimme, und trifft gar hübsch.«

Und endlich als fernere Beilage:


»In die Kirche zuZu S. Thomae

S. Nicolai als als:

zum ersten Chorzum (2 Chor.

gehören.

3 Discantisten3 Discantisten

3 Altisten3 Altisten

3 Tenoristen3 Tenoristen

3 Bassisten.3 Bassisten.


[67] Zur neüen Kirche

als:

zum (3 Chor.Zum (4 Chor:

3 Discantisten2 Sopranisten

3 Altisten2 Altisten

3 Tenoristen2 Tenoristen

3 Bassisten.2 Bassisten.


Und dieses letztere Chor muß auch die Petri Kirche besorgen.«45

Der Antrag fand beim Rathe trotzdem nur ein halbes Gehör. Am 24. Mai verlieh er fünf der Stellen zwar an die musikalisch tüchtigen Knaben Meißner, Krebs, Küttler, Hillmeyer, Neucke, drei dagegen an solche, die »nichts in Musicis praestirten« (Dieze, Zeymer, Berger) und die letzte Stelle erhielt gar ein gewisser Feller, der von Bach nicht genannt wird, also sich ihm offenbar garnicht einmal vorgestellt hatte. Es muß bald darauf noch ein Platz frei geworden sein, denn am 3. Juni wird auch Winzer noch aufgenommen. Pezold und Schmid, beide von Bach empfohlen, blieben unberücksichtigt; Krause – falls der in Bachs Verzeichniß unter 1, 7 genannte gemeint ist – kam erst im October des folgenden Jahres an die Reihe46.

In der Charwoche des Jahres 1729 hatte Bach zum ersten Male seine Passionsmusik nach dem Evangelisten Matthäus aufgeführt. Man sieht also: dieses Werk hatte auf die Leipziger Rathsherren nicht einmal so viel Eindruck gemacht, daß sie dem Schöpfer desselben die Bitte erfüllen mochten, aus den Bewerbern um die vacanten Alumnats-Stellen die neun musikalischsten herauszulesen. Nach einer so gänzlichen Verkennung seines Werthes kann es auffällig erscheinen, daß Bach nicht sofort sein Dienstverhältniß zu lösen suchte; daß ihm sein Beruf einstweilen gründlich verleidet war, kann nicht überraschen. Es geschah in derselben Zeit, daß er die Direction des Telemannschen Musikvereins übernahm, wo er hoffen durfte, mehr Liebe zur Sache und Verständniß seiner selbst zu finden. Diese Aussicht mag ihm noch einigen Muth für die Zukunft eingeflößt haben. Aber in Beziehung auf die Cantorats-Geschäfte wurde auch der Musikverein nur die Quelle neuen Ärgers. Kuhnau hatte früher vergeblich darum nachgesucht, es möchten hinreichende [68] Stipendien ausgesetzt werden, um die Studenten zu einer regelmäßigen und zahlreicheren Mitwirkung im Thomanerchor zu veranlassen. Wie aus einem unten mitzutheilenden Memorial Bachs hervorgehen wird, waren indessen einige wenn auch geringe und ungenügende Vergütungen an mitwirkende Studenten bisher immer noch erfolgt. Unter Bachs Cantorat aber wurden sie dürftiger und dürftiger; endlich blieben sie ganz aus. Der Rath hielt sie jetzt wohl für unnöthig, da bei Bachs Stellung zum Musikverein die Studenten ohnehin in den Thomanerchor kommen würden. Sein Verfahren sieht fast wie Chicane aus, und doch entsprang es sicher aus bloßer geistiger Beschränktheit. Denn als die Kirchenmusik nun merklich schlechter wurde, war der Rath über den Cantor höchlich entrüstet. Am 16. October 1729 starb der Rector Johann Heinrich Ernesti47. Eine längere Vacanz trat ein, dann einigten sich am 8. Juni 1730 die Väter der Stadt, Johann Matthias Gesner zu berufen, da die Erwählung eines Einheimischen viel »jalousie verursachen« würde. Einer der Rathsherren wünschte, daß man bei dieser Berufung besser fahren möchte, als mit dem Cantor48. Die Vernachlässigung seiner Pflichten, welche der Rath seit einiger Zeit zu bemerken glaubte, hatte schon allerhand ermahnende Vorstellungen zur Folge gehabt. Die Herren mußten aber zu ihrer Bestürzung erfahren, daß sie damit die beabsichtigte Wirkung nicht erreichten. Der gekränkte, trotzige Künstler verweigerte ihnen rundweg jede Erklärung, und dergleichen muß sich so oft wiederholt haben, daß einer der Räthe den Cantor kurz als unverbesserlich bezeichnen konnte. Dies geschah in einer Sitzung am 2. August 1730, bei Gelegenheit des in Frage stehenden Umbaues der Thomasschule. Bach hatte, wie erzählt worden ist, bei seiner Berufung die Erlaubniß erhalten, sich im wissenschaftlichen Unterricht so viel als nöthig sei vertreten zu lassen. Die Vertretung hatte der damalige Tertius, spätere Conrector, Magister Pezold, besorgt; man war aber mit derselben, sowie mit dessen Leistungen überhaupt schlecht zufrieden, weshalb der Vorschlag gemacht wurde, einem jüngeren Lehrer, dem Magister Abraham Krügel, die [69] Vertretung zu übertragen. Das nächstliegende wäre gewesen, Bach zur Wiederübernahme des Unterrichts zu veranlassen. Aber jetzt kam die Entrüstung über ihn zu Tage. Er habe sich nicht so, wie es sein sollte, aufgeführt, habe z.B. ohne Vorwissen des Herrn Bürgermeisters ein Mitglied des Thomanerchors aufs Land geschickt, sei selbst verreist, ohne Urlaub zu nehmen, er thue nichts, halte die Singstunden nicht, andrer Beschwerden nicht zu gedenken. Der Vorsitzende schlug vor, ihn in eine der untersten Classen zu versetzen, wo er denn den Elementarunterricht entweder selbst geben, oder, da man die anfänglich ertheilte Dispensation doch nicht wohl zurücknehmen konnte, durch einen Stellvertreter hätte besorgen lassen können. Dieser Vorschlag ging nicht durch, statt dessen wurde beschlossen, »dem Cantor die Besoldung zu verkümmern«, außerdem ihm einen Verweis zu ertheilen und ins Gewissen zu reden49.

Die Beschuldigung, der Cantor thue nichts, nimmt sich recht merkwürdig aus, wenn man erfährt, daß an dem wenige Wochen vorher, nämlich den 25., 26. und 27. Juni, gefeierten Jubelfeste der Augsburger Confession Bach drei große Cantaten seiner Composition zur Aufführung gebracht, daß er, abgesehen von einem monumentalen Werke wie die Matthäus-Passion, während der sieben Jahre seines Cantorats eine Reihe von Kirchen-Cantaten geschaffen hatte, die bei andern als die Frucht eines halben Componistenlebens gelten könnten. Diese Art der Thätigkeit war für den Rath nicht vorhanden; er verlangte, daß der Cantor seine Stunden ordentlich halte und auch im übrigen seine Instructionen nicht eigenmächtig außer Acht lasse. Daß Bach sich den Gesangunterricht etwas leicht gemacht hat, werden wir wohl nicht bezweifeln dürfen. Es war eine Pflichtversäumniß, deren Rechtfertigung nicht unternommen werden soll. Umstände aber, welche sie entschuldigen, sind so zahlreiche und so gewichtige vorhanden, daß deren Darlegung fast einer Rechtfertigung gleichkommen möchte. Früher ist erzählt worden, daß die Nachmittags-Singstunden schon seit Tobias Michaels Zeit ganz der Leitung der Präfecten anheim gegeben zu werden pflegten. Wenn demnach Bach ebenfalls nur am Montag, Dienstag und Mittwoch morgens je eine Singstunde gab – und es scheint, daß er es allerdings [70] so zu halten pflegte50 – so folgte er nur einem alten Brauche. Schwerlich hat vorher irgend jemand etwas dagegen zu erinnern gefunden; die Collegen Michaels meinten sogar, der Cantor sei in den Nachmittagssingstunden ganz unnöthig. Will man weiter gehen, und annehmen, Bach habe selbst jene drei Morgenstunden unregelmäßig ertheilt, so muß vor allem die ungenügende Beschaffenheit des Chors gegenwärtig erhalten werden, für dessen Verbesserung der Rath das seinige zu thun nicht für nöthig hielt, ferner die Schwierigkeit, die es Bach machte, diese theilweise wüste Gesellschaft immer in der richtigen Weise zu behandeln. Dann ist nicht zu vergessen, daß die Zustände auf der Thomasschule fortdauernd trostlose waren, und das Bild, welches oben von denselben entworfen wurde, auch noch für die ersten sieben Jahre von Bachs Amtsführung zutrifft. Die mühselige Reorganisation der Anstalt war einstweilen ein äußerliches Werk geblieben. Verordnungen haben nur Werth, wenn auch die Persönlichkeiten vorhanden sind, sie auszuführen, und an diesen fehlte es eben. Bach mußte bald eingesehen haben, daß in dem Zustande gänzlicher Verkommenheit, in dem vom Lehrercollegium aufgeführten Kriege Aller gegen Alle, in der Verwirrung, welche für ihn besonders noch aus den häufigen Competenz-Conflicten zwischen Rath und Consistorium entstand – daß es unter diesen Verhältnissen das einzig richtige sei, nicht rechts noch links zu sehen und mit möglichster Selbständigkeit zu handeln. Die Neigung hierzu lag von Natur in ihm. Sie mußte um so mehr genährt werden, als die Stellung des Cantors an der Schule in der That eine außergewöhnlich freie war. Um die Singstunden, in denen [71] so ziemlich Bachs ganze Lehrerbeschäftigung bestand, pflegte sich der Rector nicht zu kümmern51. Da in der Leistung der Kirchenmusiken eine Hauptaufgabe der Alumnen beruhte, so war der Cantor für sie fast eine ebenso wichtige Person, wie der Rector selbst. Aspiranten meldeten sich zu des alten Ernestis Zeit ebenso häufig bei Bach, als bei jenem; d.h. sie stellten sich Bach persönlich vor, ließen sich in der Musik prüfen, und er veranlaßte dann ihre Aufnahme52. Dem alten Rector war es zuverlässig auch am liebsten, wenn man ihn möglichst wenig behelligte; wie die Pathen, welche sich Bach für seine im Jahre 1724 und 1728 geborenen Kinder in der Frau und Tochter des Rectors erbat, beweisen, stand er mit ihm dauernd in gutem Einvernehmen. Eine solche Stellung nun, die auf Selbständigkeit gradezu hindrängte, konnte wohl leicht dazu verführen, auch bestehende Schranken gelegentlich umzustoßen, besonders wenn sie von jemandem aufgerichtet waren, vor dem Bach der Künstler, wenn er ehrlich gegen sich selbst sein wollte, doch nur sehr geringen Respect haben konnte. Zu alledem muß endlich als Moment von besonderer Bedeutung die tiefe Verstimmung gezählt werden, die sich des Meisters bemächtigen mußte, wenn er mit dem Besten, was er zu geben hatte, bei seiner Behörde so gänzlich unverstanden blieb.

Er sollte also gemaßregelt werden. Documente bezeugen es, daß es bei dem bloßen Vorsatze, ihm seine Besoldung zu verkümmern, nicht geblieben ist. Der Gehalt, die Accidentien konnten ihm allerdings nicht wohl gekürzt werden. Aber es gab Legate, Vacanz-Gelder und dergleichen zu vertheilen; dann war die Gelegenheit da, den Mißliebigen zu schädigen. Die während der Zeit, welche zwischen Ernestis Tode und der Anstellung Gesners lag, für den Rector eingegangenen Accidentien sollten nach Bestimmung des Raths unter die Wittwe, den Conrector und den Tertius, da beide letztere den Rector in der Schule zu vertreten hatten, zu drei gleichen Theilen [72] vergeben werden. Dagegen machte der Schulvorsteher Dr. Stiglitz durch Eingabe vom 23. September 1730 geltend, daß der Conrector sehr viel mehr Mühe gehabt habe, als der Tertius, da er den Rector nicht nur hinsichtlich der Schulstunden habe vertreten müssen, und daß auch der Cantor statt sonst alle vier, jetzt alle drei Wochen einmal die Inspection gehabt habe. Es wäre daher wohl billig, daß dem Conrector mehr als dem Tertius und auch dem Cantor etwas gegeben würde. Die in Frage stehende Summe betrug 271 Thaler 7 ggr. 3 Pf. Der Rath entschied am 6. November 1730 folgendermaßen: die Wittwe bekam 41 Thaler, der Conrector 130 Thaler 7 ggr. 3 Pf., der Tertius 100 Thaler; Bach bekam nichts53.

Ein ähnlicher Fall war vor Jahresfrist schon einmal vorgekommen, als allerdings der edle Beschluß noch nicht gefaßt war, den Cantor systematisch in seinen Finanzen zu schädigen, aber doch schon eine unzufriedene Stimmung gegen ihn unter den Rathsherren herrschte. Ein gewisser Philippi hatte der Thomasschule ein Legat zugewendet, dessen Zinsen im Betrage von 20 Thalern jährlich vertheilt werden sollten, und zwar 12 Thaler an 12 arme Schüler zu gleichen Theilen, je 1 Thaler dem Rector, Conrector, Tertius und ersten Baccalaureus, den beiden Collaboratoren je 16 ggr., dem Schüler, der die jährliche Danksagungsrede hielte, 2 Thaler. Bei dieser Vertheilung blieb ein Rest von 16 ggr., und es wurde angefragt, ob sie nicht dem Cantor oder dem andern Baccalaureus zukommen sollten, welche beide nicht bedacht waren. Der Rath entschied unter dem 3. December 1729: dem andern Baccalaureus. Bach ging als der einzigste im ganzen Collegium leer aus54.

Als Bach sich 24 Jahre zuvor vor dem Consistorium in Arnstadt wegen einer ähnlichen Dienstvernachlässigung zu verantworten hatte, wie sie ihm jetzt zur Last gelegt wurde, wich er einer weiteren mündlichen Discussion über diesen Gegenstand durch die Zusicherung aus, sich schriftlich über denselben erklären zu wollen55. Den Leipziger Rathsherren gegenüber wollte er sich zwar anfangs überhaupt [73] zu keiner Erörterung herbeilassen; er muß aber nachträglich doch andern Sinnes geworden sein, und verfaßte ein Memorial, das wir als eine schriftliche Fixirung und weitere Ausführung dessen anzusehen haben, was er im vorhergegangenen Jahre theils dem Schulvorsteher mündlich vorgetragen, theils als Anlage zu dessen Bericht an den Rath übergeben hatte.

»Kurtzer, iedoch höchstnöthiger Entwurff einer wohlbestallten Kirchen Music; nebst einigem unvorgreiflichen Bedencken von dem Verfall derselben.

Zu einer wohlbestellten Kirchen Music gehörenVocalisten und Instrumentisten.

Die Vocalisten werden hiesiges Ohrts von denenThomas Schülern formiret, und zwar von vier Sorten, als Discantisten, Altisten, Tenoristen und Ba∫zisten.

So nun die Chöre derer Kirchen Stücken recht, wie es sich gebühret, bestellt werden sollen, müßen dieVocalisten wiederum in 2 erley Sorten eingetheilet werden, als: Concertisten und Ripienisten.

Derer Concertisten sind ordinaire 4; auch wohl 5, 6, 7 biß 8; so mann nemlich per Choros musiciren will.

Derer Ripienisten müßen wenigstens auch achte seyn, nemlich zu ieder Stimme zwey.

Die Instrumentisten werden auch in verschiedene Arthen eingetheilet, als: Violisten, Hautboisten, Fleutenisten, Trompetter und Paucker. NB. Zu denen Violisten gehören auch die, so die Violen, Violoncelli und Violons spielen.

Die Anzahl derer Alumnorum Thomanae Scholae ist 55. Diese 55 werden eingetheilet in 4 Chöre, nach denen 4 Kirchen, worinne sie theils musiciren56, theils motetten und theils Chorale singen müßen. In denen 3 Kirchen, als zu S. Thomä, S. Nicolai und der Neüen Kirche müßen die Schüler alle musicalisch seyn. In die Peters-Kirche kömmt der Ausschuß, nemlich die, so keine Music verstehen, sondern nur nothdörfftig einen Choral singen können.

[74] Zu iedweden musicalischen Chor gehören wenigstens 3 Sopranisten, 3 Altisten, 3 Tenoristen, und eben so viel Bassisten, damit, so etwa einer unpaß wird (wie denn sehr offte geschieht, und besonders bey itziger Jahres Zeit, da die recepte, so von dem Schul Medico in die Apothecke verschrieben werden, es ausweisen müßen57 wenigstens eine 2 ChörigteMotette gesungen werden kan. (NB. Wie wohle es noch beßer, wenn der Coetus so beschaffen wäre, daß mann zu ieder Stimme 4 subjecta nehmen, und also ieden Chor mit 16. Persohnen bestellen könte.)

Machet demnach der numerus, so Musicam verstehen müßen, 36 Persohnen aus.

Die Instrumental Music bestehet aus folgenden Stimmen; als:


2 auch wohl 3 zurViolino 1.

2 biß 3 zurViolino 2

2 zurViola 1

2 zurViola 2

2 zumVioloncello.

1 zumViolon.

2 auch wohl nach Beschaffenheit

3 zu denenHautbois.

1 auch 2 zumBasson.

3 zu denenTrompetten.

1 zu denenPaucken.

summa

18 Persohnen wenigstens zur Instrumental-Music.


NB. Füget sichs, daß das Kirchen Stück auch mit Flöten, (sie seynd nun à bec oder Traversieri), componiret ist (wie denn sehr offt zur Abwechselung geschiehet) sind wenigstens auch 2 Persohnen darzu nöthig. Thun zusammen 20 Instrumentisten. Der Numerus derer zur Kirchen Music bestellten Persohnen bestehet aus 8 Persohnen, als 4. Stadt Pfeifern, 3 Kunst Geigern und einem Gesellen. Von deren qualitäten und musicalischen Wißenschafften aber etwas nach der Warheit zu erwehnen, verbietet mir die Bescheidenheit. Jedoch [75] ist zu consideriren, daß Sie theilsemeriti, theils auch in keinem solchen exercitio sind, wie es wohl sein solte.

Der Plan davon ist dieser:


Herr Reichezur1 Trompette.58

Herr Genßmar 2 Trompette.

vacat 3 Trompette

Paucken

Herr Rother 1 Violine.

Herr Beyer 2 Violine.

vacat Viola.

vacat Violoncello.

vacat Violon.

Herr Gleditsch 1 Hautbois.

Herr Kornagel 2 Hautbois.

vacat 3 Hautbois oder Taille.

Der Geselle Basson.


Und also fehlen folgende höchstnöthige subjecta theils zur Verstärckung, theils zu ohnentbehrlichen Stimmen, nemlich:


2 Violisten zur 1 Violin.

2 Violisten zur 2 Violin.

2 so die Viola spielen.

2 Violoncellisten.

1 Violonist.

2 zu denen Flöten.


Dieser sich zeigende Mangel hat bißhero zum Theil von denen Studiosis, meistens aber von denen Alumnis müßen ersetzet werden. Die Herrn Studiosi haben sich auch darzu willig finden laßen, in Hoffnung, daß ein oder anderer mit der Zeit einige Ergötzligkeit bekommen, und etwa mit einem stipendio oder honorario (wie vor [76] diesem gewöhnlich gewesen) würde begnadiget werden. Da nun aber solches nicht geschehen, sondern die etwanigen wenigen beneficia, so ehedem an den Chorum musicum verwendet worden,successive gar entzogen worden59, so hat hiemit sich auch die Willfährigkeit der Studiosorum verlohren; denn wer wird ümsonst arbeiten, oder Dienste thun? Fernerhin zu gedencken, daß, da die 2 de Violin meistens, die Viola, Violoncello und Violon aber allezeit (in Ermangelung tüchtigerer subjectorum) mit Schülern haben bestellen müßen: So ist leicht zu erachten, was dadurch dem Vocal Chore ist entgangen. Dieses ist nur von Sontäglichen Musiquen berühret worden. Soll ich aber die Fest-Tages Musiquen, (als an welchen in denen beeden Haupt Kirchen die Music zugleich besorgen muß) erwehnen, so wird erstlich der Mangel derer benöthigten subjecten noch deutlicher in die Augen fallen, sindemahlen so dann ins andereChor diejenigen Schüler, so noch ein und andres Instrument spielen, vollends abgeben, und mich völlig dern beyhülffe begeben muß.

Hiernechst kan nicht unberühret bleiben, daß durch bißherige reception so vieler untüchtigen und zurMusic sich garnicht schickenden Knaben, die Music nothwendig sich hat vergeringern und ins abnehmen gerathen müßen. Denn es gar wohl zu begreiffen, daß ein Knabe, so gar nichts von der Music weiß, ja nicht ein mahl eine secundam im Halse formiren kan, auch kein musicalisch naturel haben könne; consequenter niemahln zur Music zu gebrauchen sey. Und die jenigen, so zwar einige principia mit auf die Schule bringen, doch nicht so gleich, als es wohl erfordert wird, zu gebrauchen seyn. Denn da es keine Zeit leiden will, solche erstlich jährlich zu informiren, biß sie geschickt sind zum Gebrauch, sondern so bald sie zurreception gelangen, werden sie mit in die Chöre vertheilet, und müßen wenigstens tact und tonfeste seyn üm beym Gottesdienste gebraucht werden zu können. Wenn nun alljährlich einige von [77] denen, so in musicis was gethan haben, von der Schule ziehen, und deren Stellen mit andern ersetzet werden, so einestheils noch nicht zu gebrauchen sind, mehrentheils aber gar nichts können, so ist leicht zu schließen, daß der Chorus musicus sich vergeringern müße. Es ist ja notorisch, daß meine Herrn Präantecessores, Schell und Kuhnau, sich schon der Beyhülffe derer Herrn Studiosorum bedienen müßen, wenn sie eine vollständige und wohllautende Music haben produciren wollen; welches sie dann auch in so weit haben prästiren können da so wohl einige Vocalisten, als: Bassist, und Tenorist, ja auch Altist, als auch Instrumentisten, besonders 2 Violisten von Einem HochEdlen und Hochweisen Rath a parte sind mit stipendiis begnadiget, mithin zur Verstärkung derer Kirchen Musiquen animiret worden60. Da nun aber der itzige status musices gantz anders weder ehedem beschaffen, die Kunst üm sehr viel gestiegen, der gusto sich verwunderens-würdig geändert, dahero auch die ehemahlige Arth von Music unseren Ohren nicht mehr klingen will, und mann üm so mehr einer erklecklichen Beyhülffe benöthiget ist, damit solche subjecta choisiret und bestellet werden können, so den itzigen musicalischen gustum assequiren, die neüen Arthen derMusic bestreiten, mithin im Stande seyn können, demCompositori und dessen Arbeit satisfaction zu geben, hat man die wenigen beneficia, so ehe hätten sollen vermehret als verringert werden, dem Choro Musico gar entzogen. Es ist ohne dem etwas Wunderliches, da man von denen teütschen Musicis praetendiret, Sie sollen capable seyn, allerhand Arthen von Music, sie komme nun aus Italien oder Frankreich, Engeland oder Pohlen, so fort ex tempore zu musiciren, wie es etwa die jenigen Virtuosen, vor die es gesetzet ist, und welche es lange vorhero studiret ja fast auswendig können, überdem auch quod notandum in schweren Solde stehen, deren Müh und Fleiß mithin reichlich belohnet wird, praestiren können; man solches doch nicht consideriren will, sondern läßet Sie ihrer eigenen Sorge über, da denn mancher vor Sorgen der Nahrung nicht dahin dencken kan, üm sich zu perfectioniren, noch weniger zu distinguiren. Mit einem exempel diesen Satz zu erweisen, darff man nur nach Dreßden gehen, und sehen, wie daselbst von Königlicher Majestät die Musici salariret [78] werden; Es kan nicht fehlen, da denen Musicis die Sorge der Nahrung benommen wird, der chagrin nachbleibet, auch überdem iede Persohn nur ein eintziges Instrument zu excoliren hat, es muß was trefliches und excellentes zu hören seyn. Der Schluß ist demnach leicht zu finden, daß bey cessirenden beneficiis mir die Kräffte benommen werden, die Music in beßeren Stand zu setzen. Zum Beschluß finde mich genöthiget den numerum derer itzigen alumnorum mit anzuhängen, iedes seine profectus in Musicis zu eröffnen, und so dann reiferer Überlegung es zu überlaßen, ob bey so bewandten Ümständten die Music könne fernerhin bestehen, oder ob deren mehrerer Verfall zu besorgen sey. Es ist aber nothwendig den gantzen coetum in drey Classes abzutheilen; Sind demnach die brauchbaren folgende:


(1) Pezold, Lange, Stoll, Praefecti. Frick, Krause, Kittler, Pohlreüter, Stein, Burckhard, Siegler, Nitzer, Reichhard, Krebs major und minor, Schöneman, Heder und Dietel.

Die Motetten Singer, so sich noch erstlich mehr perfectioniren müßen, üm mit der Zeit zur Figural Music61 gebrauchet werden zu können, heißen wie folget:

(2) Jänigke, Ludewig major und minor, Meißner, Neücke major und minor, Hillmeyer, Steidel, Heße, Haupt, Suppius, Segnitz, Thieme, Keller, Röder, Oßan, Berger, Lösch, Hauptmann und Sachse.

Die von lezterer sorte sind gar keine Musici, und heisen also:

(3) Bauer, Groß, Eberhard, Braune, Seyman, Tietze62, Hebenstreit, Wintzer, Ößer, Leppert, Haußius, Feller, Crell, Zeymer, Guffer, Eichel und Zwicker.

Summa. 17 zu gebrauchende. 20 noch nicht zu gebrauchende, und 17 untüchtige.

Leipzig. d. 23. Aug. 1730.

Joh: Seb: Bach.

Director Musices.«


In einem sehr verbindlichen, geschweige denn ehrerbietigen Tone ist dieses Schreiben eben nicht gehalten. Man vergleiche nur [79] Kuhnaus Memoriale, welche in derselben Sache Vorstellungen machen63, um eine Empfindung davon zu bekommen, wie neu dem städtischen Rathe eine solche Sprache sein mußte. Daß Bachs schroffes Auftreten ihn nicht grade geneigt stimmen mochte, zur Abstellung der von ihm aufgezeigten Mißstände zu schreiten, läßt sich denken. Er ließ sogar die Denkschrift mit einer gewissen Demonstration zu Boden fallen. Nach der Sitzung vom 2. August hatte der Bürgermeister Bach rufen lassen, um ihm den bewußten Verweis zu ertheilen, und hatte dabei auch gefragt, ob er geneigt wäre, für den Magister Pezold den wissenschaftlichen Unterricht selbst wieder zu ertheilen. Mag diese Unterredung nun vor oder nach dem 23. August, dem Datum von Bachs Denkschrift, stattgefunden haben, jedenfalls war von dem Inhalte derselben zwischen beiden die Rede. Als Dr. Born am 25. August wieder einer Rathssitzung präsidirte, in welcher er von seiner Unterredung mit Bach Bericht erstattete, hatte er, was das wahrscheinlichste ist, die Denkschrift schon in Händen. Oder er wußte doch ganz bestimmt, daß sie unterwegs und weß Inhalts sie war. Was er vortrug, war aber nur dieses: der Cantor habe sehr wenig Lust bezeigt, die in Frage stehende Schularbeit wieder zu übernehmen, es würde daher gerathen sein, nunmehr dem Magister Krügel den Unterricht anzuvertrauen. Die versammelten Räthe stimmten zu, und die ganze Angelegenheit war erledigt64.

Auch später ist man nicht wieder oder wenigstens nicht in einem Bach günstigen Sinne auf seine Anträge zurückgekommen. Sein Brief an Erdmann läßt es verständlich durchklingen, und die Raths-Rechnungsbücher erheben es zur Gewißheit, daß bis zum Jahre 1746 eine wirksame Erhöhung der zur Unterhaltung der Kirchenmusik in der Thomas- und Nikolai-Kirche gewährten Mittel nicht eingetreten ist.

Sollte aber jemand aus diesen unerfreulichen, peinlichen und beschämenden Vorgängen den Schluß ziehen wollen, die städtische Behörde habe einen gewissen Kitzel gefühlt, den nach Luft und Licht verlangenden Genius ihre materielle Übermacht fühlen zu lassen, habe ihn absichtlich niederzudrücken und somit indirect auch in der Entfaltung seines vollen künstlerischen Vermögens zu hindern gesucht, [80] so würde das als ein ganz entschiedener Irrthum zu bezeichnen sein. Der Rath war wohl zeitweilig über Bach aufgebracht und ließ sich in dieser Stimmung zu einer häßlichen – übrigens nur kurze Zeit durchgeführten – Maßregel hinreißen; er hielt auch überall den Beutel geschlossen, wo es seiner Meinung nach unnöthig war, es sich etwas kosten zu lassen; aber absichtlich gehindert hat er das Gedeihen der von Bach geleiteten Musik nicht. Wenn der Bürgermeister die Jahres-Rechnungen nachschlug, so konnte er im Gegentheil zahlenmäßig beweisen, daß in den letzten Jahren für musikalische Bedürfnisse bedeutend mehr bewilligt und verausgabt war, als früher. Eine umfassende Reparatur der großen Thomas-Orgel, welche 390 Thaler gekostet hatte, war allerdings schon in den Jahren 1720 und 1721 vorgenommen worden. Ihr folgte dann aber in den Jahren 1724 und 1725 eine gründliche, für 600 Thaler hergestellte Erneuerung der »ganz wandelbaren und schadhaften Orgel« der Nikolai-Kirche. Im Jahre 1725 wurde an der großen Thomas-Orgel abermals für 40 Thaler reparirt, zwei Jahre darauf an der kleinen für 15 Thaler, und im Jahre 1730, wo Bachs Verhältniß zum Rathe das gespannteste war, bewilligte dieser eine Summe von 50 Thalern, um das Rückpositiv der Thomas-Orgel selbständig spielbar zu machen. Im Jahre 1729 waren zwei neue »feine« Violinen, eine »dergleichen« Viola und ein Violoncell zum Kirchengebrauch für 36 Thaler angekauft worden; in demselben Jahre ließ der Rath durch Bach das Florilegium Portense von Bodenschatz zum Gebrauche der Thomaner bei der Kirchenmusik für die Summe von 12 Thalern erwerben65. Diese Ausgaben scheinen uns gering auch unter Berücksichtigung des höheren Werthes, welchen das Geld damals hatte. Aber sie waren es nicht im Verhältniß zu dem, was sonst durchschnittlich für die Musik aufgewendet zu werden pflegte. Und doch waren sie es wieder, wenn man sie mit dem vergleicht, was eine Persönlichkeit wie Bach zu beanspruchen berechtigt war. Der Fehler beim damaligen Rathe lag eben darin, daß er sich nicht bewußt war, welch eine einzigartige Kraft er an Bach besaß, und daß, um [81] eine ungehinderte Entfaltung derselben zu ermöglichen, das Doppelte und Dreifache an materieller Förderung noch nicht hingereicht hätte.

Nach den letzten Erfahrungen war Bach gegen seine Behörde begreiflicherweise auf das höchste erbittert. Er erwog jetzt ernstlich den Gedanken, Leipzig zu verlassen. Hätte sich ihm in diesen Monaten irgend eine vortheilhafte Aussicht eröffnet, man kann sicher sein, daß er ihr gefolgt und somit sein Thomas-Cantorat schon nach sieben Jahren zu einem für die Stadt Leipzig wenig ruhmvollen Ende gekommen wäre. Aber dieses war nicht der Fall, sonst wäre Bach wohl nicht auf den Gedanken verfallen, seinen Jugendfreund Erdmann, der mittlerweile kaiserlich russischer Agent in Danzig geworden war, zu ersuchen, ihm dort eine Anstellung zu vermitteln. Was wollte Bach in Danzig? Man sieht, es war ein ingrimmiger Griff ins Blaue hinein. Aber wir verdanken ihm einen der interessantesten Briefe, welche von unserm Meister vorhanden sind.


»Hochwohlgebohrner Herr,


Euer Hochwohlgebohren werden einem alten treuen Diener bestens excusiren, daß er sich die Freiheit nimmet Ihnen mit diesen zu incommodiren. Es werden nunmehr fast 4 Jahre verfloßen seyn, da Euer Hochwohlgebohren auf mein an Ihnen abgelaßenes mit einer gütigen Antwort mich beglückten66; wenn mich dann entsinne, daß Ihnen wegen meiner Fatalitäten einige Nachricht zu geben, hochgeneigt verlanget wurde, als soll solches hiermit gehorsamst erstattet werden. Von Jugend auf sind Ihnen meine Fata bestens bewust, bis auf die mutation, so mich als Capellmeister nach Cöthen zohe. Daselbst hatte einen gnädigen und Music so wohl liebenden als kennenden Fürsten, bey welchem auch vermeinete meine Lebenszeit zu beschließen. Es muste sich aber fügen, daß erwehnter Serenissimus sich mit einer Berenburgischen Princeßin vermählete, da es dann das Ansinnen gewinnen wolte, als ob die musicalische Inclination bey gesagtem Fürsten in etwas laulicht werden [82] wolte, zumahle die neüe Fürstin schiene eine amusa zu seyn: so fügte es Gott, daß zu hiesigem Directore Musices und Cantore an der Thomas Schule vociret wurde. Ob es mir nun zwar anfänglich gar nicht anständig seyn wolte, aus einem Capellmeister ein Cantor zu werden. Weßwegen auch meine Resolution auf ein vierthel Jahr trainirete, jedoch wurde mir diese Station dermaßen favorable beschrieben, daß endlich |: zumahle da meine Söhne denen studiis zu incliniren schienen :| es in des Höchsten Nahmen wagete und mich nacher Leipzig begabe, meine Probe ablegete, und so dann die mutation vornahme. Hierselbst bin nun nach Gottes Willen annoch beständig. Da aber nun 1) finde, daß dieser Dienst bey weiten nicht so erklecklich, als mann mir ihn beschrieben, 2) viele Accidentia dieser Station entgangen, 3) ein sehr theurer Orth und 4) eine wunderliche und der Music wenig ergebene Obrigkeit ist, mithin fast in stetem Verdruß, Neid und Verfolgung leben muß, als werde genöthiget werden, mit des Höchsten Beystand meine Fortune anderweitig zu suchen. Solten Euer Hochwohlgebohren vor einen alten treuen Diener dasiges Orthes eineconvenable station wißen oder finden, so ersuche gantz gehorsamst vor mich eine hochgeneigte Recommendation einzulegen: an mir soll es nicht manquiren, daß dem hochgeneigten Vorspruch und interceßion einige satisfaction zu geben, mich bestens beflißen seyn werde. Meine itzige station belaufet sich etwa auf 700 Thaler, und wenn es etwas mehrere, alsordinairement Leichen gibt, so steigen nach proportion die accidentia; ist aber eine gesunde Lufft, so fallen hingegen auch solche, wie denn voriges Jahr anordinairen Leichen accidentia über 100 Thaler Einbuße gehabt. In Thüringen kann ich mit 400 Thalern weiter kommen als hiesiges Orthes mit noch einmahl so vielen hunderten, wegen der excessiven kostbaren Lebensarth. Nunmehro muß doch auch mit noch wenigen von meinem häußlichen Zustande etwas erwehnen. Ich bin zum 2ten Mahl verheurathet und ist meine erste Frau seel. in Cöthen gestorben. Aus ersterer Ehe sind am Leben 3 Söhne und eine Tochter, wie solche Euer Hoch-wohlgebohren annoch in Weimar gesehen zu haben, sich hochgeneigt erinnern werden. Aus 2ter Ehe sind am Leben 1 Sohn und 2 Töchter. Mein ältester Sohn ist ein studiosus Juris, die andern beyde frequentiren noch einer primam und der andere 2 dam classem, und die älteste Tochter ist auch noch unverheurathet. Die Kinder anderer Ehe [83] sind noch klein, und der Knabe erstgebohrner 6 Jahr alt. Ingesamt aber sind sie gebohrne Musici und kann versichern, daß schon ein Concert vocaliter und instrumentaliter mit meiner Familie formiren kan, zumahle da meine itzige Frau gar einen saubern Soprano singet, und auch meine älteste Tochter nicht schlimm einschläget. Ich überschreite fast daß Maaß der Höfligkeit wenn Euer Hochwohlgebohren mit mehrern incommodire, derowegen eile zum Schluß mit allen ergebensten respect zeitlebens verharrend

Euer Hochwohlgebohren

gantz gehorsamst ergebenster Diener

Leipzig, d. 28 Octobris

1730

Joh: Sebast: Bach.«67


Der Brief hatte nicht den gewünschten Erfolg; Bach ist in Leipzig geblieben. Und, wie wir mit Grund annehmen dürfen: endlich doch nicht allzu ungern. Wären die Verhältnisse wirklich unerträglich gewesen, so hätte ein Mann von seiner Energie zuverlässig nicht eher geruht, als bis er sich aus ihnen befreit sah; und bei seinem großen Rufe würde ihm das auch nicht grade schwer geworden sein. Wenn Bach mit einem gewissen Nachdruck über die hohen Preise der Lebensbedürfnisse in Leipzig, über die Unzulänglichkeit und Unsicherheit seines Einkommens klagt – die Beredsamkeit, mit welcher er in der Denkschrift die finanziell günstige Lage der Dresdener Musiker schildert, erscheint hiernach besonders bedeutungsvoll – so haben ihn vorübergehend ungünstige Umstände und seine allgemeine Verstimmung offenbar zu schwarz sehen lassen. Man braucht solchen Klagen nur ganz einfach die Thatsache entgegen zu setzen, daß Bachs Privatverhältnisse bei seinem Tode wohlgeordnete waren, daß er einen behaglich eingerichteten Hausstand, ja sogar etwas Vermögen hinterließ. Wenn schon Kuhnau meinte, mit dem Solarium fixum könne ein Musicus wie er, der immer von seinen Kunstverwandten Zuspruch erhalte, auch den Studenten, [84] die mit zu Chore gingen, manche Ergötzlichkeit machen müsse, und überdies ein starkes Hauswesen habe, keine großen Sprünge machen68, wie viel mehr galt dieses von Bach, dessen Familie so ungleich stärker war, und dessen Haus kaum irgend ein durchreisender Künstler vorbeiging. Daß er da noch zurücklegen konnte, will gewiß etwas heißen. Unter dem Neide seiner Kunstgenossen erklärt er zu leiden. Man denkt an Görner. Aber wohin hätte ein Mann wie Bach gehen können und keine Neider finden? Gewiß, die musikalischen Mittel waren dürftig; aber darüber konnte er sich von Anfang an nicht täuschen und in einigen Beziehungen hatten sie sich doch schon gemehrt und verbessert. Und war endlich die Haltung der Behörde auch nie sonderlich aufmunternd, ja zu Zeiten gradezu niederdrückend und verletzend, so scharf war – das mußte Bach einsehen – der Gegensatz zwischen ihm und ihr doch nicht geworden, daß es sich hier um Sein oder Nichtsein gehandelt hätte. So zog denn die dunkle Wolke allmählig vorüber und der Himmel wurde wieder hell. Einen sehr erheblichen Einfluß darauf hatte ein noch in demselben Jahre eingetretenes Ereigniß, von dem man überhaupt sagen darf, daß es die glücklichste Periode von Bachs Leipziger Zeit einleiten half.

Im September hatte der neugewählte Rector der Thomasschule Johann Mathias Gesner die Amtsführung übernommen. Gesner war 1691 zu Roth in der Nähe von Nürnberg geboren, studirte in Jena und wurde 1715 Conrector des Gymnasiums zu Weimar69. Hier wirkte er bis 1729 und stand sieben Jahre auch der herzoglichen Bibliothek vor. Dann übernahm er die Leitung des Gymnasiums zu Anspach, gab aber diese Stellung schon nach einem Jahre wieder auf, um nach Leipzig zu gehen. Auch hier hat er nur bis 1734 verweilt. Er hatte sich verbindlich gemacht neben dem Schul-Rectorat nicht zugleich auch eine Universitätsprofessur zu bekleiden. Da dieses bei den Thomas-Rectoren sonst der Fall zu sein pflegte, so schädigte es Gesners Stellung, daß grade er der Universität fern bleiben mußte. Außerdem wies ihn seine Begabung entschieden auf die höchste Lehrstufe. Er folgte daher 1734 einem Rufe an die Universität [85] Göttingen, wo er nach langer glänzender Wirksamkeit im Jahre 1761 gestorben ist70. Was Gesner für die classische Philologie in Deutschland bedeutet, wie er das Studium des Griechischen neu anregte, zuerst wieder Inhalt und Form der alten Schriftsteller von höherem Standpunkte aus betrachtete, und die bildende Kraft derselben in sich und seinen Schülern lebendig werden ließ, weiß jeder Philologe. Von höherer Wichtigkeit fast noch für die Verhältnisse, deren Darstellung hier versucht wird, war die von ihm alsbald entwickelte Begabung als leitender Schulmann. In ihm hatte der Rath den Mann gefunden, dessen er bedurfte, wenn die zur Hebung der Anstalt getroffenen Verwaltungsmaßregeln nicht vergeblich sein und die neue Schulordnung nicht ein todter Buchstabe bleiben sollte. Unter Gesners Leitung begann eine neue Periode der gründlich verfallenen Schule. Er besaß neben reichem, lebendigem Wissen in eminentem Sinne die Gabe anzuregen, in seinem Charakter paarte sich mit Humanität und Milde Festigkeit und Ernst; dem Rathe gegenüber zeigte er feine Formen ohne doch Entschiedenheit vermissen zu lassen. Es konnte nicht ausbleiben, daß er sich dessen hohe Achtung und volles Vertrauen bald erwarb; ja er wurde von Seiten seiner Vorgesetzten mit einer Auszeichnung behandelt, welche beweist, daß es ihnen doch nicht so ganz an Sinn für geistige Bedeutung fehlte, wie man nach Bachs Erlebnissen vielleicht glauben möchte. Es mag hier eine von seinem Nachfolger Johann August Ernesti berichtete Thatsache angeführt werden. Gesner, der schwächlich war, und während seines Rectorats in Leipzig zweimal schwer erkrankte, hatte anfänglich seine Wohnung etwas entfernt vom Schulgebäude, da dieses sich im Umbau befand. Um ihn der Beschwerlichkeit des Schulweges zu überheben, wurde er auf Rathskosten jedesmal in einer Sänfte zur Schule und nach beendigtem Unterricht wieder in seine Wohnung geschafft. Auch insofern erleichterte ihm der Rath die Ausübung seines Berufs, als er ihn von der Verpflichtung zur Inspection entband, die sonst der Rector mit den drei obersten Lehrern in wochenweiser Abwechslung zu besorgen hatte, und [86] die nun an Gesners Statt der collega quartus, Magister Winkler, übernahm. Unter dem Lehrercollegium führte Gesner ein besseres Einvernehmen herbei und ging ihnen in der Amtsführung mit glänzendem Beispiel voran. Der Liebe der Schüler versicherte er sich durch eine neue und geistvolle Art des Unterrichts, durch unermüdliche Theilnahme an aller Fortschritten und Ergehen und durch den Ernst, mit welchem er auf Zucht und Sitte hielt. Er führte die neue Schulordnung mit Genauigkeit durch, suchte auch einzelne Bestimmungen derselben zu erweitern, zu schärfen oder den vorgefundenen Verhältnissen gemäß abzuändern. So wollte z.B. die Schulordnung die lateinischen Morgen- und Abendgebete durch deutsche ersetzt wissen; Gesner, der auf den mündlichen Gebrauch der lateinischen Sprache großes Gewicht legte, beantragte, es möchten die lateinischen Gebete wieder hergestellt werden, weil sonst »die rudité und ignoranz noch mehr überhand nehmen würde«71. Auch wurden im Jahre 1733 auf seinen Antrag nach Maßgabe der neuen Schulordnung deutsch abgefaßte Gesetze für die Schüler gedruckt72. Jemand, der unter Gesner die Thomasschule besucht hatte, schilderte sein Wesen und Thun in folgender anziehender Weise: »Er richtete sich bei der Disciplin sehr genau nach den damals erneuerten Schulgesetzen, strafte mit vieler Vorsicht und, um nicht zu streng zu verfahren, immer ein paar Tage nach einer begangenen Unthat. Dann erschien er Abends nach dem Gebete, wenn die Motette gesungen war, im Zirkel der Schüler, ließ den Verbrecher hervortreten, schilderte mit Ernst und Nachdruck das Unerlaubte und Strafwürdige der begangenen That und bestimmte dann, den übrigen zur Warnung, die beschlossene Strafe. Diese Strafertheilung wirkte unglaublich viel, und um desto mehr, da er in allgemeiner Achtung stand. Wöchentlich mußten ihm die Schüler, selbst die sonst davon ausgeschlossenen Externi, ihre Diaria überreichen, und bei der Zurückgabe fanden sich sichtbare Spuren, daß er keines übergangen hatte. Bei Ernesti geschah dies anfangs auch, aber nur, wie vormals, von den Alumnis, ward [87] aber bald ganz unterlassen, da dieser die Diaria gewöhnlich nicht zurückgab. Sonst war Gesner sehr herablassend und liebreich im Umgange mit den Schülern, besuchte sie selbst in der Singstunde, wohin sonst nicht leicht ein Rector kam, und hörte mit Vergnügen die aufgeführten Kirchenstücke. Traf er jemand in seiner Zelle über einer Arbeit, die, wenn sie auch nicht in den Schulplan paßte, doch nützlich war, z.B. einen, der sich mit Abschreiben einer Vorschrift beschäftigte, so fuhr er nicht mit Ungestüm auf ihn los, sondern empfahl ihm, wenn er Talent für Kalligraphie bemerkte, wiederholte Übung in Nebenstunden, weil, wie er sagte, der Staat Subjecte von mancherlei Talenten und Fertigkeiten bedürfe. Allen gab er bei ähnlichen Gelegenheiten die Lehre: Thut nur immer, was einen bestimmten Nutzen hat und wovon ihr einmal in eurem Beruf Gebrauch machen könnt73«.

Bach und Gesner kannten einander schon von Weimar her. Die Bekanntschaft wurde erneuert und erhob sich bald zu einem herzlichen collegialischen Verhältniß. Unser Gewährsmann hat eben erzählt, welche Theilnahme Gesner Bachs musikalischen Bestrebungen entgegenbrachte, wie er sich an seinen Aufführungen erfreute und ihn selbst in den Singstunden besuchte. Auch bemühte er sich anderweit, der Musikpflege an der Schule Vorschub zu leisten, so weit das in seinen Kräften stand, und als Bach im Jahre 1732 eine handschriftliche Sammlung von Motetten und Responsorien für die Thomaner anlegen wollte, verwandte er sich selbst beim Rath für die Kosten und erhielt die nöthige Summe auch bewilligt74. Er besaß ein für Musik sehr empfängliches Gemüth und wußte Bachs Größe vollauf zu würdigen. Jahre lang hat ihn der überwältigende Eindruck nicht verlassen, den das Wirken dieses mächtigen Künstlers auf ihn machte. Beredtes Zeugniß davon legt die Anmerkung ab, [88] welche er in seiner 1738 erschienenen Ausgabe der Institutiones oratoriae des Marcus Fabius Quinctilianus zu einer Stelle (I, 12, 3) macht, wo Quinctilian davon redet, daß der Mensch die Fähigkeit besitze, vieles zu gleicher Zeit zu übersehen und zu thun, und als Beispiel die Cither-Spieler anführt, welche zu gleicher Zeit im Gesange Worte und Töne hören ließen, dazu auf der Cither spielten und mit dem Fuße den Takt markirten. Hierzu bemerkt Gesner: »Haec omnia, Fabi, paucissima esse diceres, si videre tibi ab inferis excitato contingeret, Bachium, ut hoc potissimum utar, quod meus non ita pridem in Thomano Lipsiensi collega fuit: manu utraque et digitis omnibus tractantem vel polychordum nostrum, multas unum citharas complexum, vel organon illud organorum, cujus infinitae numero tibiae follibus animantur, hinc manu utraque, illinc75 velocissimo pedum ministerio percurrentem solumque elicientem plura diversissimorum, sed eorundem consentientium inter se sonorum quasi agmina: hunc, inquam, si videres, dum illud agit, quod plures citharistae vestri et sexcenti tibicines non agerent, non una forte voce canentem citharoedi instar, suasque peragentem partes, sed omnibus eundem intentum et de XXX vel XXXX adeo symphoniacis, hunc nutu, alterum supplosione pedis, tertium digito minaci revocantem ad rhythmos et ictus; huic summa voce, ima alii, tertio media praeeuntem tonum, quo utendum sit, unumque adeo hominem, in maximo concinentium strepitu, cum difficillimis omnium partibus fungatur, tamen eadem76 statim animadvertere si quid et ubi discrepet, et in ordine continere omnes, et occurrere ubique, et si quid titubetur restituere, membris omnibus rhythmicum, harmonias unum omnes arguta aure metientem, voces unum omnes, angustis unis faucibus edentem. Maximus alioquin antiquitatis fautor, multos unum Orpheas et viginti Arionas complexum Bachium meum, et si quis illi similis sit forte, arbitror«. »Dies alles, Fabius, würdest du für geringfügig halten, wenn du von den Todten erstehen und Bach sehen könntest (ich führe grade ihn an, weil er vor nicht langer Zeit auf der Thomasschule zu Leipzig mein College war), wie er mit beiden Händen und [89] allen Fingern das Clavier spielt, welches die Töne vieler Cithern in sich faßt, oder das Instrument der Instrumente, dessen unzählige Pfeifen durch Bälge beseelt werden, wie er von hier aus mit beiden Händen, von dort her mit hurtigen Füßen über die Tasten eilt und allein eine Mehrheit von ganz verschiedenen aber doch zu einander passenden Tonreihen hervorbringt: wenn du diesen, sag ich, sähest, wie er, während er vollbringt, was mehre eurer Citherspieler und tausend Flötenbläser vereint nicht zu Stande brächten, nicht etwa nur eine Melodie singt, wie einer, der zur Cither singt, und so seine Aufgabe löst, sondern auf alle zugleich achtet, und von dreißig oder gar vierzig Musikern den einen durch einen Wink, den andern durch Treten des Takts, den dritten mit drohendem Finger in Ordnung hält, jenem in hoher, diesem in tiefer, dem dritten in mittlerer Lage seinen Ton angiebt, und daß er ganz allein, im lautesten Getön der Zusammenwirkenden, obgleich er von allen die schwierigste Aufgabe hat, doch sofort bemerkt, wenn und wo etwas nicht stimmt und alle zusammenhält und überall vorbeugt und wenn es irgendwo schwankt die Sicherheit wieder herstellt, wie der Rhythmus ihm in allen Gliedern sitzt, wie er alle Harmonien mit scharfem Ohre erfaßt und alle Stimmen mit dem geringen Umfange der eignen Stimme allein hervorbringt. Ich bin sonst ein großer Verehrer des Alterthums, aber ich glaube, daß mein Freund Bach, und wer ihm etwa ähnlich sein sollte, viele Männer wie Orpheus und zwanzig Sänger wie Arion in sich schließt77«.

Bei solchen Gefühlen der Bewunderung und Zuneigung, welche Gesner Bach gegenüber hatte, mußte ihm daran liegen, dem Collegen die Unbequemlichkeiten seines Schulamtes möglichst wenig empfindlich zu machen, und ihn auch dem Rathe gegenüber wieder in eine bessere Stellung zu bringen. Daß er beides gethan hat, können wir aus zwei Anträgen sehen, die er an den Rath richtete, [90] und deren Gewährung, da es eben Gesner war, der sie stellte, wohl sicher erfolgt ist. Bach war von dem wissenschaftlichen Unterrichte, wenn er sich auch meistens vertreten ließ, bisher doch noch nicht völlig frei gewesen, er hatte wenigstens im Falle der Noth immer zur Aushülfe bereit sein müssen. Gesner schlug nun vor, der Rath möge die Kirchen-Inspection über die Alumnen während der Wochentage durchaus dem Cantor übertragen, während er sie bis jetzt nur am Freitag gehabt hatte, denn mit seinen Functionen verknüpfe sich dieselbe am natürlichsten. Hierfür und für ein paar Singstunden möge man ihn dann vom wissenschaftlichen Unterricht gänzlich entbinden78. Vermuthlich stellte Gesner diesen Antrag als der Magister Pezold gestorben war (30. Mai 1731) und beim Eintritt einer neuen Lehrkraft sich das Verhältniß leicht in etwas andrer Weise regeln ließ. Die Conrectorstelle trat Anfang 1732 Johann August Ernesti an. Während der Vacanz waren an Accidentien für den Conrector eingekommen 120 Gülden 10 ggr. 5 Pf. Hiervon erhielten die Pezoldischen Erben 40 Gülden. Das übrige, bat Gesner den Rath, unter Rector, Cantor, Tertius und Quartus zu gleichen Theilen zu vertheilen. Lehrstunden in Vertretung des Conrectors hatte Bach zwar nicht gegeben, aber die Reihe der Inspection war doch häufiger an ihn gekommen. Also schrieb Gesner: Die Information hat zwar Herrn Bachen keine Mühe gemacht. Doch hofft er diesmal in gleichem Theile mitzugehen, weil er bei der letzten Distribution [nach des Rectors Ernesti Tode] vorbei gegangen worden79. Hiermit hatten denn die »Gehalts-Verkümmerungen« wohl ihr Ende erreicht.

Bach war freilich nicht so leicht zu versöhnen. Hartnäckig, wie er seine Ziele zu verfolgen pflegte, hegte er auch einmal gefaßte Antipathien. Als er im Jahre 1733 dem König-Churfürsten die ersten beiden Abtheilungen seiner H moll-Messe widmete, bezeichnete er in dem Begleitschreiben als Zweck dieser Widmung ganz unumwunden die Verleihung einer Hofcharge. Er habe in seiner Stellung eine und andere Beschränkung unverschuldeter Weise, auch je zuweilen eine Verminderung seiner Accidentien80 empfinden [91] müssen. Dieses werde alsdann aufhören. Aber obgleich die gewünschte Auszeichnung einstweilen noch nicht erfolgte, haben sich doch ernstliche Differenzen zwischen Bach und dem Rathe nicht wieder ereignet. Man hatte sich nun gegenseitig kennen gelernt und suchte forthin mit einander auszukommen. Günstiger als sie jetzt war, konnte Bachs Lage in Leipzig nicht werden. Er verfügte über den berühmtesten Musikverein der Stadt, der ihm auch für die Kirchen-Aufführungen nützlich war; treffliche Schüler, wie Johann Ludwig Krebs, der Sohn seines alten weimarischen Schülers Tobias Krebs81, und seine eignen drei ältesten Söhne, die damals schon den Namen bedeutender, oder doch vielversprechender Künstler verdienten, standen ihm in seiner Thätigkeit mit wirksamer Hülfe zur Seite. In der Neuen Kirche fungirte ein ihm ergebener Musiker, an die Orgel der Nikolaikirche hatte er im Jahre 1730 seinen früheren Schüler, den bisherigen weimarischen Kammermusicus Johann Schneider gebracht82. Es bezeugt abermals Bachs Ansehen und Einfluß, daß sich unter den Aspiranten auf die freigewordene Organistenstelle zwei seiner ehemaligen Schüler befanden. Mit Schneider concurrirte der treffliche Johann Caspar Vogler, Hoforganist zu Weimar83, aber man fand, daß Vogler die Gemeinde irre gemacht und zu schnell gespielt habe; deshalb wurde Schneider vorgezogen. Derselbe war zugleich ein tüchtiger Violinist und konnte bei besondern Gelegenheiten auch anderweitig von Bach verwendet werden. Seine Stelle hat er bis lange über Bachs Tod hinaus bekleidet84. Zu all diesem kam nun als letztes und bestes Gesners Freundschaft und seine zu Gunsten der Musik geltend gemachte [92] hohe Autorität. Daß Bach dieses als ein Glück empfand, darf man selbstverständlich nennen, wenn es auch an Beweisen dafür mangelt. Eine Parodirung der zum Geburtstage der Fürstin von Anhalt-Cöthen im Jahre 1726 componirten Gratulations-Cantate möchte man gern auf Gesner beziehen85, doch fehlt es dazu an genügenden Anhaltepunkten. Als ein Zeugniß ihres einträchtigen Wirkens kann aber der feierliche Schulactus angesehen werden, mit welchem am 5. Juni 1732 das vergrößerte und besser eingerichtete Schulgebäude eingeweiht wurde. In der lateinischen Rede, welche Gesner bei dieser Gelegenheit hielt, unterließ er nicht, auch der auf der Anstalt geübten Musikpflege mit einigen warmen Worten zu gedenken86, während Bach eine von dem Collegen Winkler gedichtete Cantate aufführte. Die Musik zu dieser – übrigens herzlich schlechten – Dichtung ist nicht bekannt87.

Fußnoten

1 S. Anhang B, IV, C.


2 S. das unten folgende ausführliche Schriftstück Bachs, in Betreff seines Conflictes mit der Universität, gegen Ende.


3 Grosch war ein gothaisches Landeskind, wurde 1724 Prinzenerzieher und bekleidete später verschiedene Pfarrstellen im dortigen Lande (nach Mittheilungen aus dem herzoglichen Archiv zu Gotha).


4 Vogel, »Continuation Derer Leipzigischen Jahrbücher von Anno 1714 bis 1728«, und die in Anmerk. 6 angeführten »ACTA«, 1724. S. 231 f.


5 Gerber, L. I, Sp. 491.


6 In den ACTA LIPSIENSIVM ACADEMICA. Leipzig, 1723. S. 514 wird Bach »Cantor und Collegii Musici Director« genannt. Vermuthlich ist »Collegii« nur ein Schreib- oder Druckfehler für »Chori«; gewiß aber ist hier der Thomanerchor gemeint.


7 Original: zugeignet.


8 Staatsarchiv zu Dresden: »Rescripte. 1724–1728«. Loc. 2127. Bl. 115n. Abschriftlich durch Herrn Moritz Fürstenau gefälligst vermittelt.


9 Dieses sowie die im Folgenden erwähnten oder mitgetheilten Actenstücke befinden sich im Archiv der Universität Leipzig, Repert. II/III. Nr. 22. Litt. B. Sect. I. »ACTA das von dem Cantore zu St. Thomas Johann Sebastian Bachen gesuchte Salarium vom Neuen Gottesdienste in der Pauliner Kirche betreffend. de Anno 1725«.


10 Der Brief ist durchgängig autograph. Das Siegel scheint die Rosette mit der Krone gewesen zu sein; vrgl. Bd. I, S. 38, Anmerk. 20.


11 Ohne Siegel. Die bei den Acten der Universität befindliche Abschrift dieses Schriftstückes ist von Bach nur unterzeichnet.


12 Gretschel, Kirchliche Zustände Leipzigs vor und während der Reformation. S. 293.


13 Christoph Ernst Siculs | ANNALIVM | LIPSIFNSIVM | MAXIME ACADEMICORVM | SECTIO XXIX. | u.s.w. Leipzig beym AVTORE 1728. 8.


14 »Das jetzt lebende und florirende Leipzig.« S. 32.


15 Der deutschen Gesellschaft in Leipzig Oden und Cantaten. Leipzig, 1738. S. 126. – Eine Festaufführung zum Geburtstage des Königs veranstaltete im Jahre 1728 Schotts Musikverein; der Text war von Gottsched und steht in dessen Gedichten II, S. 270 ff.


16 ANTONII WEIZII Verbessertes Leipzig. Leipzig, 1728. S. 12.


17 S. Bd. I, S. 559.


18 Gerlach hatte noch vier Mitbewerber, aber er war »von Herrn Bachen gelobet worden«. Protocoll in den Drey Räthen vom 31. Aug. 1722. bis 18. July 1736. sign. VIII, 43. Fol. 182b.


19 S. Anhang A. Nr. 3.


20 Johann Schelle »wurde 1677 Cantor auf der Thomas Schule, wobey ihm zugleich die Universität dasDirectorium Chori musici in der Pauliner Kirche auffgetragen«; handschriftlicher Nachtrag in G.M. Telemanns Exemplar von Matthesons Ehrenpforte (auf der königl. Bibliothek zu Berlin). Im Leipziger Leichenregister steht bei Kuhnaus Tode: »Director Musices bey der Löbl. Universitaet und Cantor bey der Schulen zu St. Thomae«.


21 So in seiner Denkschrift über »eine wohlbestallte Kirchenmusik« vom Jahre 1730, obgleich diese sich fast durchaus mit den Thomasschülern befaßt.


22 Heinrich Nikolaus Gerber schreibt auf seine Copien der französischen und englischen Suiten immer: »Joh. Seb. Bach. H.[ochfürstlich] A.[nhalt] C.[öthenischer] Capell-Meister, Dir.[ector] Ch.[ori] M.[usici] L.[ipsiensis] et [oder: »auch«] Cant.[or] S.[ancti] T.[homae] S.[cholae] Lips.[iensis]«.


23 »Das jetzt lebende und florirende Leipzig.« Leipzig, 1723. S. 78.


24 Sicul, Leipziger Jahr-Geschichte 1721. S. 227 f. – Adelung, Fortsetzungen zu Jöchers Gelehrten-Lexicon. Bd. 2. Leipzig, 1787. Sp. 684 ff. – Deylings Oelgemälde hängt im Chor der Thomaskirche, ein Kupferstich findet sich in »Geographischer Schau-Platz Aller vier Theile der Welt von Christian Ehrhardt Hoffmann. Anderer Band« (Leipziger Stadtbibliothek).


25 Rochlitz, Sebastian Bachs große Passionsmusik, nach dem Evangelisten Johannes. Für Freunde der Tonkunst. 4. Bd. 3. Aufl. Leipzig, Cnobloch. 1868. S. 271 ff. Zum Theil abgedruckt im Vorwort zu B.-G. IV. S. XIII-XV. Daß die von Rochlitz gegebene Darstellung vom Leipziger Cultus vor und zu Bachs Zeit zum Theil ganz unrichtig ist, wird des weitern noch aus Cap. IV dieses Abschnittes hervorgehen. Rochlitz erzählt auch, Bach habe jedesmal zu Anfang der Woche mehre auf den folgenden Sonntag gerichtete Texte seiner Kirchenstücke (gewöhnlich drei) dem Superintendenten zugeschickt und dieser daraus gewählt. Eine Bestätigung dieser Behauptung kann ich nicht beibringen; unmöglich ist es nicht, daß Rochlitz, der von 1782 an selbst Alumne der Thomasschule war, hier einer verläßlichen Tradition gefolgt ist.


26 S. Anhang B, V.


27 Als Parallele diene, daß Kuhnau am 4. April 1722 vom Bürgermeister einen Verweis erhielt, weil er wegen der Passionsmusik in der Thomaskirche nicht den Rath, sondern das Consistorium um Erlaubniß gefragt habe. Rathsacten »Schuel zu St. Thomas Vol: IV. Stift. VII. B. 117. Fol. 218«.


28 Das betreffende Actenstück, welches Bitter II, S. 86 f. mittheilt, habe ich nicht wieder auffinden können, muß mich daher auf ihn berufen.


29 »gleichwie ich die Lieder in allen 3 Kirchen anordne«. Kuhnau, Memorial vom 4. Dec. 1704; s. Anhang B, IV, A.


30 S. Anhang B, VI.


31 Rathsacten »Schuel zu St. Thomas. Vol. IV. Stift. VIII. B. 2.« Fol. 410. Von der Eingabe Bachs ist nur die Namensunterschrift autograph.


32 Die Stadtpfeifer waren in den ersten 12 Jahren von Bachs Amtszeit: Gottfried Reiche, Christian Rother, Joh. Cornelius Gentzmar, Joh. Caspar Gleditsch. Die Kunstgeiger hießen: Heinrich Christian Beyer, Christian Ernst Meyer, Joh. Gottfried Kornagel. S. Rechnungen der Thomas- und Nikolai-Kirche im Archiv der Stiftungsbuchhalterei zu Leipzig.


33 Eine aus fünf Musikanten bestehende besondere Compagnie musicirte unter Schott in der Neuen Kirche. S. Rechnungen der Neuen Kirche von 1725–1729.


34 Rathsacten »Schuel zu St. Thomas Vol: IV. Stift. VIII. B. 2«. Fol. 460, 498, 508, 515.


35 Rathsacten VII, B. 117. Fol. 409. – Irmler erhielt die Stelle.


36 Gerber, L. I, Sp. 17. – Burney, Tagebuch III, S. 58 ff. – Rolle, Neue Wahrnehmungen u.s.w. Berlin, 1784. S. 93.


37 Tosi, Anleitung zur Singkunst. Mit Erläuterungen und Zusätzen von Johann Friedrich Agricola. Berlin, 1757. S. 139.


38 Bei Scheibe, Critischer Musikus. Leipzig, 1745. S. 997 (Birnbaums Äußerung stammt aus dem Jahre 1739). – Vrgl. außerdem Band I, S. 666 f.


39 S. Band I, S. 658 ff.


40 Rathsacten »Protocoll zum Drey Räthen vom 18.August: 1704 bis 1. Septembr: 1753.« sign. VIII, 53. Fol. 374b. (8. August 1750.)


41 Rathsacten »Schuel zu St. Thomas Vol: IV Stift. VIII. B. 2.« Fol. 516.


42 Im Original verschrieben »zu«.


43 Offenbar derselbe, welchem Bach am 3. Juni das oben mitgetheilte, etwas weniger strenge Zeugniß ausstellte.


44 Jedenfalls derselbe, welchem Bach das oben mitgetheilte Separat-Zeugniß ausstellte.


45 Rathsacten a.a.O. Fol. 518, 519, 520.


46 Rathsacten a.a.O. Fol. 524.


47 Neue Zeitungen von gelehrten Sachen. Leipzig. 1729. S. 791 f.


48 »Protocoll zum Drey Räthen vom 18. Augusti 1704 bis 1. Septembr: 1753.« sign. VIII, 53.


49 S. Anhang B, VII.


50 Rathsacten »Die Schule zu St. Thomae betr. Fasc. I.« sign. VIII, B. 5. Am Ende des Fascikels befinden sich aus der Feder des jüngeren Ernesti »Anmerckungen über die Ordnung der Schule zu St. Thomas.«, in welchen auch von einer angemessenen Beschränkung der Vorbereitungen zum Gregorius-, Martini- und Neujahr-Singen auf bestimmte Nachmittage gehandelt wird. Endlich sagt Ernesti: »Es wäre aber zu überlegen, ob nicht diese Übungen gar auf die Stunden nach der Lection von 3. bis 6. Uhr verlegt werden könnten. Auf diese Weise gienge auch die Singestunde, so derCantor von 12–1 Uhr zu halten hat nicht ein, welche um so vielmehr beyzubehalten, da derselbe ietzo ohnedem nur 1. Singestunde hält, da er doch deren zwo zu halten schuldig, und also die Knaben nicht genug in der Music geübet werden«. Dies ist gegen 1736 geschrieben.


51 S. Joh. Friedr. Köhlers unten folgende Mittheilungen über Gesner.


52 Dr. Stiglitz schreibt unter dem 18. Mai 1729 dem Rathe,die neuen Bewerber um Alumnenstellen hätten sich entweder schriftlich und zwar zum Theil unter Beifügung eines Zeugnisses vom Rector oder Conrector, oder ohne Schreiben nur durch den Vorschlag des Cantors Bach gemeldet und angegeben. Rathsacten »Schuel zu St. Thomas Vol: IV. Stift. VIII. B. 2.« Fol. 516.


53 Rathsacten »Die Schule zu St. Thomae betr. Fasc. II.« sign. VIII, B. 6.


54 Rathsacten »Schuel zu St. Thomas Vol: IV. Stift. VIII. B. 2.« Fol. 525b ff.


55 S. Band I. S. 323.


56 »Musiciren« bedeutet bei Bach und im allgemeinen Sprachgebrauche seiner Zeit, wenn es sich um die Kirche handelt, immer nur die Aufführung einer von obligaten Instrumenten begleiteten Figuralmusik.


57 Die Alumnen liebten es sich krank zu melden, oft auf Monate, ja Viertel- und halbe Jahre; die verschriebenen Arzneien schütteten sie aus dem Fenster und labten sich an der kräftigen Krankenkost. Niclas in Eyrings Biographia Academica Gottingensis. Vol. III, pag. 52.


58 Dieser war unter der ganzen ehrenwerthen Gesellschaft der einzige hervorragendere Musicus, aber, als Bach obiges schrieb, schon 64 Jahr alt. Die von ihm im Jahre 1696 erschienenen 24 Quatricinia für Zink und drei Posaunen besitzt die königliche Bibliothek zu Berlin. Er starb 1734 unverheirathet »im Stadtpfeiffer Gäßgen, allwo er am 6. 8br vom Schlag gerühret, umgesunken und tod nach Hauße getragen worden ist« (Leipziger Leichenregister), und wurde mit der großen halben Schule beerdigt. Nach Gerber, L. II, Sp. 258 war er am 5. Febr. 1667 zu Weißenfels geboren; die Leichenregister lassen ihn 68 Jahr alt geworden sein.


59 Diese »beneficia« müssen aus Ersparnissen, Verwaltungsüberschüssen u. drgl. gewährt worden sein; besondere Summen sind dazu nicht ausgeworfen worden, da diese sonst in den Kirchen- und Schul-Rechnungen zu finden sein müßten. Aus den Mitteln der Nikolaikirche wurden schon zu Kuhnaus Zeit »vor Bestellung der Kirchen Music« jährlich 50 Gülden = 43 Thaler 18 ggr. gezahlt; auf diese Summe kann Bach nicht anspielen, da sie regelmäßig weiter gezahlt worden ist.


60 Vrgl. Anhang B, IV, B unter 12.


61 Bach gebraucht, wie man sieht, das Wort Figuralmusik in einem engeren Sinne, der die Motette nicht einbegreift.


62 Jedenfalls identisch mit dem obengenannten Johann Tobias Dieze.


63 S. Anhang B, IV.


64 S. Anhang B, VII.


65 1736 wurde noch ein Exemplar dieser Motettensammlung eigens für den Gebrauch in der Nikolai-Kirche angeschafft; es kostete 10 Thaler; im folgenden Jahre abermals eins zum Preise von 8 Thalern für die Thomaskirche. Das erste Exemplar scheint demnach nicht gereicht zu haben.


66 Im December 1725 war Erdmann zur Ordnung nothwendiger Angelegenheiten von Danzig in sein Vaterland Sachsen-Gotha gereist. Wie aus diesem Briefe hervorgeht, hatte er sich aber bei der Gelegenheit mit Bach nicht gesehen.


67 Adresse fehlt. – Seit ich in Band I, S. 755 und 764 f. zwei Bruchstücke dieses Briefes mittheilte, bin ich durch Freundeshand in Besitz einer photographischen Nachbildung des ganzen Briefes gelangt. Dieselbe hat ergeben, daß in einer der S. 755 abgedruckten Zeilen ein Wort ausgelassen war; außerdem noch ein paar andre unbedeutende Versehen des Copisten, welche man durch Vergleichung leicht entdecken wird.


68 S. Anhang B, IV, D.


69 S. Band I, S. 390.


70 J. Aug. Ernesti narratio de Jo. Matthia Gesnero ad Davidem Ruhnkenium. Addita opusculis oratoriis. 1762. pag. 306 seqq. – H. Sauppe, Johann Matthias Gesner. Weimar, 1856. 4.


71 Rathsacten »Die Schule zu St. Thomae betr. Fasc. I.« sign. VIII, B. 5, und zwar die am Schlusse des Fascikels befindlichen »Anmerckungen über die Ordnung der Schule zu St. Thomas, 1. Des Herrn Gesners Lit. A.«.


72 »E.E. Hochweisen Raths der Stadt Leipzig Gesetze der Schule zu S. THOMAE. Leipzig, druckts Bernhard Christoph Breitkopf. 1733.« 4. 39 S.S.


73 Historia Scholarum Lipsiensium collecta a Joh. Frid. Köhlero, pastore Tauchensi. 1776 seqq. pag. 160. Ein Manuscript, das die königliche öffentliche Bibliothek zu Dresden aufbewahrt. Zu dem oben mitgetheilten fügt der Verfasser noch hinzu: »Diese Bemerkungen sind aus dem Munde eines seiner Schüler, der oft, und immer mit Enthusiasmus von seines großen Lehrers Verdiensten sprach«.


74 Rechnungen der Thomas- und Nikolai-Kirche 1732–1733, S. 49 und S. 60.


75 Im Original illic, was ein Druckfehler sein muß. Offenbar will Gesner die Ausführung einer Stelle beschreiben, wo Hände und Füße sich in Gegenbewegung befinden.


76 Wird eundem heißen sollen; eadem giebt kaum einen Sinn.


77 Der erste, welcher auf diese Stelle aus Gesners Commentar aufmerksam machte, war Constantin Bellermann im Parnassus Musarum (s. über diesen Band I, S. 801) S. 41; später zog sie von neuem hervor Johann Adam Hiller, Lebensbeschreibungen, Erster Theil. Leipzig, 1784. S. 27–29. Ich gebe eine Übersetzung, weil dieselbe von Siebigke, Museum berühmter Tonkünstler. 2. Band, S. 21 ff. und auch von Winterfeld, Evang. Kirchenges. III, S. 261 f. theilweise falsch übertragen ist.


78 Rathsacten a.a.O.


79 Rathsacten »Die Schule zu St. Thomae betr. Fasc. II.« sign. VIII, B. 6.


80 »Accidentien« hier in der allgemeinen Bedeutung als zufällig bei außergewöhnlichen Gelegenheiten einlaufende Gelder. Die Accidentien für Leichenbestattungen, Trauungen, der Antheil des Cantors an dem auf den Schülerumgängen gesammelten Gelde, waren gesetzlich normirt.


81 S. Band I, S. 517 f.


82 S. Band I, S. 616. Als Schneiders Antrittsjahr ist dort, nach Walther, 1729 angegeben. Dies ist falsch; die Stelle wurde allerdings 1729 vacant, aber erst zum 1. August 1730 Schneider übertragen; s. Leipziger Rathsacten VII. B. 108. Fol. 111b.


83 S. Band I, S. 516 f.


84 Rathsprotokolle vom 18. Aug. 1704 – 1. Sept. 1753. Fol. 161b. Im Jahre 1766 erbat sich Schneider einen Substituten und erhielt ihn; Leipziger Consistorialacten »Praesentationes und Confirmationes dererOrganisten bey der Kirche zu St. Nicolai. No. 121«.


85 S. Band I, S. 765 f.


86 Stallbaum, Die Thomasschule zu Leipzig. S. 69, Anmerkung. – In der Tags zuvor ausgeschickten Einladungsschrift wünscht Gesner, daß die Thomaner sein möchten »juvenes ad humanitatem, quae litteris censetur et musice, probe instituti atque exculti«. (S. 14 daselbst.)


87 S. Anhang B, X, 4.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1880..
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