VI.

Indem wir in das Jahr 1728 eintreten, nähern wir uns der Entstehungszeit desjenigen Werkes, welchem allem Anscheine nach Bach unter seinen Kirchencompositionen selbst den höchsten Werth beilegte. Indessen haben wir uns mit ihm, der Matthäuspassion, einstweilen noch nicht zu beschäftigen, sondern werden zunächst die bis um 1734 geschaffenen Kirchencantaten zu mustern fortfahren. Nur darauf soll hier hingewiesen werden, daß die Arbeit an jenem gewaltigen Werke ihm mindestens seit den letzten Monaten des Jahres 1728 die Composition andrer Kirchenmusiken verwehren mußte, um so mehr als er für das Frühjahr 1729 auch noch die große Trauermusik auf die Beisetzung des Fürsten Leopold von Anhalt-Cöthen zu schaffen und in Cöthen selbst aufzuführen hatte. Es wird darnach nicht Wunder nehmen, wenn wir nur eine einzige Cantate bezeichnen, die mit ziemlicher Sicherheit in das Jahr 1728 zu setzen ist: »Wer nur den lieben Gott läßt walten«, für den fünften Trinitatis-Sonntag. In ihr sind wieder einmal deutlich bemerkbare Spuren vorhanden, welche auf Picander als Dichter hinweisen. Zwar in dem Jahrgange von Cantaten-Texten, welchen Picander mit dem unmittelbar vor dem fünften Trinitatis-Sonntage fallen den Johannis-feste 1728 begann, steht ihr Text nicht. Jedoch wurden solche Dichtungen auch keineswegs alle für die Composition allein und noch weniger in der Absicht geschrieben, sie sammt und sonders in einem und demselben Jahres componirt und aufgeführt zu sehen1. Überdies übte Bach auf den Dichter, der lange Zeit sogar in seiner nächsten Nachbarschaft wohnte,2 einen starken Einfluß aus; er dachte nicht daran, alles was jener reimte, schlechtweg in Musik zu setzen, und nicht nur das einzelne mußte er seinen Wünschen gemäß [269] gestalten oder umgestalten, auch für Inhalt und Stimmung des ganzen hat er unzweifelhaft meistens die Grundlinien selbst angedeutet. Die Cantate »Wer nur den lieben Gott« liefert dazu einen Beleg. Sie entbehrt nicht ganz des Zusammenhanges mit dem Sonntagsevangelium, nimmt aber doch im allgemeinen eine Richtung, welche von demselben ziemlich weit hinweg führt. Bach kam es hier einmal darauf an, das trostreiche Lied Neumarks zum Mittelpunkte eines Werkes zu machen. Picander hat alle sieben Strophen für seine Dichtung benutzt, und zwar die erste, vierte und letzte in der Originalgestalt, auch die Worte der fünften und fast durchaus diejenigen der zweiten hat er beibehalten, nur mit madrigalischen Recitativen durchflochten, von Strophe 3 und 6 hat er den Inhalt frei bearbeitet, jedoch unter Wahrung einiger Originalwendungen. Genau analog ist die Stellung, welche Bach in den einzelnen Strophen der Choralmelodie gegenüber einnahm. In der sechsten Strophe, einer Sopranarie werden nur gelegentlich einige Melodiefragmente eingestreut (Takt 23–25, 28–30, 35–37, außerdem 31–32 in der Verkürzung), die Tenorarie, zu welcher die dritte Strophe benutzt worden ist, erinnert im allgemeinen an den Choral durch Beibehaltung der Liedform und bringt außerdem am Anfange des Auf- und Abgesanges Anklänge an die entsprechenden Stellen der Melodie, an ersterer Stelle in einer Versetzung nach Dur. Strophe 3 und 6 werden von einer Solostimme vorgetragen, welche von den getragenen Weisen der Choralmelodiezeilen in das lebhaftere Recitativ hinüber und wieder zurück geht. Die übrigen Strophen zeigen den vollen und reinen Choral: die letzte in einfach vierstimmigem Satze, die vierte in der Form des Pachelbelschen Orgelchorals, indem sämmtliche Streichinstrumente die Melodie spielen, Sopran und Alt mit Motiven der Melodiezeilen contrapunktiren, die erste endlich in einer modificirten Form der Choralfantasie. Eine solche Berücksichtigung derselben Choralmelodie durch das ganze Werk ist uns bis jetzt nur einmal erst vorgekommen, in der Cantate »Christ lag in Todesbanden«. Der große Unterschied aber liegt auf der Hand. Dort begegneten wir nur eigentlich kirchlichen Choralformen, denen mochten sie auch noch so frei und mannigfaltig ausgestaltet sein, doch immer ein wirklicherCantus firmus zu Grunde lag. Hier erscheint der Choral viel mehr nur als allgemeiner Ausgangspunkt der persönlichen Erbauung. [270] Nicht in allen Theilen der Cantate: die vierte und siebente Strophe stehen auf dem Gebiet kirchlicher Empfindung; die übrigen aber enthüllen ein Gemüth, das sich den kirchlichen Trost in eine dem subjectiven Bedürfnisse entsprechende Form zu bringen sucht. Für die beiden Arien gilt der Choral nur als innerlich wirkendes Motiv und Anregung, so zwar, daß dieses Motiv dem Hörer nicht verborgen bleiben, sondern von ihm als solches erfaßt werden soll, damit die Stücke die beabsichtigte Wirkung thuen. In den Recitativen hängen sich an jede Melodiezeile eingehende Betrachtungen, unter denen der Choral als Ganzes sich verliert, denn im Bassrecitative kommt er nicht einmal in allen Theilen zur Erscheinung, im Tenorrecitativ tritt jede Zeile in einer andern Tonart auf. Und selbst im Anfangschor ist dieser Zug deutlich bemerkbar. Wenn die Form der Choralfantasie auf Chor und Orchester übertragen werden sollte, mußte sich das Verhältniß naturgemäß so gestalten, daß die Ausführung des frei erfundenen, die Grundempfindung des Chorals entfaltenden Tonbildes den Instrumenten zufiel, während der Chor die Rolle des Cantus firmus zu übernehmen hatte. Dies letztere konnte in verschiedener Weise bewerkstelligt werden: durch einen einfachen vierstimmigen Satz, aber auch so, daß einige Stimmen in lebhafterer Bewegung die ruhige Melodie umgaben oder trugen, wobei sie sich immerhin den Tonreihen der Instrumente zeitweilig nähern oder anschließen konnten; nur den principiellen Gegensatz galt es fest zu halten. In unserm Falle aber sehen wir, daß abgesehen von dem selbständigen Instrumentenspiel einer jeden Zeile auch durch die Singstimmen ein einleitender Satz vorausgeschickt wird, in welchem sie sich mit einer fugirten Verarbeitung der nachfolgenden Zeile zu schaffen machen. Der Eindruck ist, daß die subjective Empfindung, nachdem sie zuvor den Sinn der einzelnen Zeile zergliedert hat, sich alsdann an der kräftigen kirchlichen Gesammtempfindung aufrichten soll. In eine Form, welche durch die ganze Anlage ihr bereits völlige Genüge thun müßte, drängt sie sich nochmals grübelnd und zersetzend hinein – ich gestehe offen, daß es mir schwer wird, diesen Choralchor als Einheit zu fassen und nachzufühlen, die Absicht aber des Componisten scheint mir zweifellos. Es braucht kaum noch hervorgehoben zu werden, daß der musikalische Charakter der Cantate ein durchaus beschaulicher ist. Die Innigkeit, welche jedes einzelne Stück derselben erfüllt, [271] bekommt dadurch ihre ganz eigne Färbung, am leichtesten und deutlichsten nimmt man sie in der rührend schönen Es dur-Arie wahr. Schon zu Bachs Zeiten fing man an, in größerem Stile Compositionen für häusliche Andachten zu schreiben.3 Wenngleich die Cantate »Wer nur den lieben Gott läßt walten« als Kirchenmusik verwendet wurde, so streift sie doch das Empfindungsgebiet privater Erbauung. Bach veranstaltete, wie sein Brief an Erdmann erzählt4 und die große Anzahl verschiedenartiger Instrumente, welche er im eignen Besitz hatte, beweist, auch in seiner Wohnung musikalische Aufführungen. Es wäre wohl möglich, daß er die Cantate mehr im Hinblick auf eine solche, als zum kirchlichen Zweck concipirt und ausgeführt hätte. –

Aus dem 1728–1729 zuerst erschienenen Jahrgange der Picanderschen Cantaten hat Bach nach dem jetzt vorhandenen Bestande seiner Kirchenmusiken neun Dichtungen componirt. Vier derselben fallen wahrscheinlich in das Jahr 1731. Die übrigen fünf setze ich in die Jahre 1729 und 1730, aus denen, wenn man von einigen Festmusiken absieht, sonst keine Kirchencantaten nachweisbar sind, während für die folgenden Jahre eine beträchtliche Menge vorliegt. Eine Cantate auf den ersten Weihnachtstag »Ehre sei Gott in der Höhe« ist nur als Fragment erhalten.5 Sein Inhalt ist größtentheils in eine spätere Trauungsmusik übergegangen.6 Die Alt-Arie »O du angenehmer Schatz« stellt sich als einer jener holden Wiegengesänge dar, wie wir einen solchen schon in der Cantate »Tritt auf die Glaubensbahn«7 antrafen. Für den Neujahrstag liegt eine Cantate vor, die sich durch eine stolze, kraftvolle Fuge hervorthut. Sie steht am Anfang und hat dieses Thema:


6.

Indessen scheint Bach diese Cantate zur Zeit unvollendet zurückgelegt, und erst später durch Einarbeitung einer Sopranarie der Cantate »Der zufriedengestellte Aeolus« und Übertragung des Schlußchorals aus der Neujahrsmusik »Jesu nun sei gepreiset« fertig gemacht zu haben.8 [272] Voll von Todesernst und Glaubensinnigkeit ist eine Cantate auf den dritten Epiphanias-Sonntag »Ich steh mit einem Fuß im Grabe«. Sie wird durch eine Sinfonie eingeleitet, die sich im Charakter des ersten Adagiosatzes der Kammersonate bewegt. Daran schließt sich in Form eines Choral-Quatuors eine Arie, in welcher zu den madrigalisch gefügten Worten des Tenors der Sopran den Choral »Machs mit mir Gott nach deiner Güt« vorträgt – ein tief poetisches Stück durch die abwärts sinkende Bewegung und die stockenden Rhythmen der contrapunktirenden Stimmen.9 Nicht von geringerem Werthe ist die Cantate auf Estomihi »Sehet, wir gehen hinauf nach Jerusalem«. Ihr merkt man in allen Theilen die Nachbarschaft der Matthäus-Passion an: ganz und gar ist sie erfüllt von der in jener waltenden Empfindung. Für den Anfang dienen ihr so wie der Estomihi-Cantate von 1723 »Jesus nahm zu sich die Zwölfe« die Worte Christi, mit denen er den Jüngern seinen Leidensgang ankündigt. Auch hier sind sie im ausdrucksvollen Arioso componirt, welches durch ein wandelndes Bassmotiv seinen besonderen Charakter erhält; Recitative des Alt spinnen die durch die Bibelworte angeregten Gedanken weiter. Ein sehr schönes, mild dahin fließendes Choraltrio über die sechste Strophe des Gerhardtschen Passionsgesanges »O Haupt voll Blut und Wunden«, eine unbeschreiblich fromme, gefühltstiefe Bassarie »Es ist vollbracht das Leid ist alle« und der einfach gesetzte Choral »Jesu deine Passion« machen mit einen kurzen Tenorrecitativ den übrigen Bestand dieser nicht umfangreichen, aber köstlichen und den vollen Bachschen Genius offenbarenden Composition aus10. Zu den frischesten und heitersten Werken des Meisters gehört die Musik für den dritten Ostertag »Ich lebe, mein Herze, zu deinem Ergötzen«; die schwungvolle Bassarie »Merke, mein Herze, beständig nur dies« hat gar etwas tanzartiges: man meint kräftige, freudige Gestalten zu sehen, welche den Frühlingsreigen schlingen. Wie die beiden vorigen so ist auch diese Cantate [273] nur für Solostimmen gesetzt, den endüblichen vierstimmigen Schlußchoral abgerechnet.11

Wir gehen zu den Cantaten der Jahre 1731–1734 über und betrachten zunächst diejenigen Compositionen, welche noch dem Picanderschen Jahrgange angehören. Die Septuagesimae-Cantate »Ich bin vergnügt« (21. Jan. 1731 oder 10 Febr. 1732) erscheint unter Bachs Tönen in einer Umdichtung, die jedenfalls Picander selbst vorgenommen hat. An der fein ausgeführten Composition fällt es auf, daß sie, Bachs sonstigem Verfahren entgegen, ausschließlich für eine und dieselbe Stimme, einen Sopran, gesetzt ist. Die weiter unten zu erwähnende Cantate »Ich habe genug«, welche in dieselbe Zeit gehört, wird uns lehren, daß dieses mit Rücksicht auf Anna Magdalena Bach geschehen und für sie eigentlich das Stück geschrieben sein wird. Es war eben in dieser Zeit, daß Bachs Hauscapelle, dessen Stamm seine Frau und die Kinder erster Ehe ausmachten, im vollen Flor stand. In der Kirche als Sängerin mitzuwirken verwehrte Anna Magdalena die Sitte, und sie ist auch sonst, seitdem sie aus einer fürstlich cöthenischen Hofsängerin12 Sebastians Gemahlin geworden war, nicht mehr öffentlich aufgetreten.13 Wohl aber übte sie ihr Talent im häuslichen Kreise, und der Gatte sorgte durch eigne Compositionen dafür, daß es zur Geltung kam. Die Cantate »Ich bin vergnügt« trägt noch entschiedener als die oben besprochene »Wer nur den lieben Gott läßt walten« den Charakter einer geistlichen Hausmusik. Nur daraus, daß Bach grade eine solche in erster Linie beabsichtigte, läßt sich auch die Umdichtung des Textes erklären. [274] Dieselbe wahrt genau die anfängliche Disposition, verarbeitet fast dieselben Gedanken, thut es in derselben Ausdehnung. Nur ist, abgesehen vom Schlußchoral, der aus der letzten Strophe des Liedes »Wer weiß, wie nahe mir mein Ende« besteht, alles dasjenige geändert oder ausgemerzt, worin Gott direct angeredet wurde. Das ganze ist jetzt eben nur eine erbauliche Betrachtung, welche in ein Schlußgebet, den Choral, ausläuft.14

Der Cantate für den zweiten Pfingst-Tag »Ich liebe den Höchsten von ganzem Gemüthe« (14. Mai 1731 oder 2. Juni 1732) geht als Sinfonie der erste Satz des dritten brandenburgischen Concerts voran15, den Bach mit großer Kunst durch Hinzufügung von zwei Hörnern und drei Oboen bereichert hat. Die Verwendung von Kammermusikstücken zu kirchlichen Zwecken war bei ihm nicht neu. Wir hatten die Tendenz dahin schon bei den weimarischen Cantaten »Der Himmel lacht« und »Gleichwie der Regen« zu constatiren.16 In dieser Zeit, da er als Dirigent des Telemannschen Musikvereins fungirte, mußte sie ihm besonders nahe liegen; wir werden ihr alsbald noch mehrfach begegnen. Ein ausgeführter Chor kommt auch in dieser Cantate nicht vor. Sie enthält aber in der Bassarie »Greifet zu! Faßt das Heil, ihr Glaubenshände« eine Leistung höchsten Ranges. Die Begleitung wird außer vom Generalbass von den Violinen und Bratschen im Einklange besorgt. Das Ritornell zerfällt in zwei Partien: eine breite viertaktige Melodie:


6.

und einen lebhafteren, energisch rhythmisirten Gedanken von acht Takten. Aus diesem Material, welches einerseits die Segnungen der göttlichen Gnade, andrerseits das eifrige Ergreifen derselben durch den Glauben symbolisch darstellt, entwickelt sich die ganze Arie. Jene viertaktige Melodie geht auch an die Singstimme über, angelegentlicher jedoch beschäftigen sich mit ihr die Instrumente und es ist von herrlicher Wirkung, wie sie mit ihrer strömenden Fülle oft ganz unerwartet auftaucht und sich der Singstimme anschmiegt, oder auch (T. 94 ff.) dieselbe im Canon hinter sich herzieht. An [275] dem vorhergehenden Recitativ bemerkt man, daß Bach drei Zeilen desselben uncomponirt gelassen hat. Da die erste der ausgelassenen Zeilen mit der ersten, welche nach denselben folgt, wörtlich übereinstimmt, so liegt hier vermuthlich nur ein Flüchtigkeits-Versehen vor. In der Anlegung der Recitative und Ariosos ging Bach oft sehr rasch zu Werke. Ein interessantes Beispiel bietet das Arioso der Cantate »Gottlob, nun geht das Jahr zu Ende«.17 Den Text desselben schrieb Bach unter ein leeres Liniensystem ohne alle Wiederholungen hin. Er war als er dies that über die dazu zu setzende Musik mit sich noch garnicht im klaren, denn als es ans Componiren ging, strich er durch, schrieb unter, verschob und setzte ein Wiederholungszeichen, bis der Text zur Musik paßte.18

Die Michaelismusik »Man singet mit Freuden vom Sieg« (29. Sept. 1731, am Sonnabend vor dem 19. Trinitatis-Sonntag) enthält wieder einen ausgeführten Chor. Aber er ist keine Originalcomposition, sondern stammt aus der weimarischen Cantate »Was mir behagt ist nur die muntre Jagd«, aus jener weltlichen Gelegenheitsmusik, welche Bach für so verschiedene Zwecke benutzt und auch für die Kirchencantate »Also hat Gott die Welt geliebt« ausgebeutet hat.19 Hier bildet er den Schluß, steht in F dur und hat den Text:


Ihr lieblichsten Blicke,

Ihr freudigen Stunden,

Euch bleibe das Glücke

Stets feste verbunden,

Euch kröne der Himmel mit süßester Lust!

Fürst Christian lebe! Ihm bleibe bewußt,

Was Herzen vergnüget,

Was Trauern besieget!


Man muß aber gestehen, daß die Musik auch auf Vers 15. und 16. des 118. Psalms vortrefflich paßt. Der Vergleich der Umarbeitung mit der ersten Gestalt ist, wie immer in solchen Fällen bei Bach, höchst interessant und lehrreich, obgleich man garnicht sagen kann, daß die Umarbeitung eine sehr durchgreifende gewesen ist. Transposition nach D dur, Ersetzung der Hörner durch Trompeten, Hinzufügung [276] einer dritten Trompete nebst Pauke, Ausweitung einiger Partien, lebendigere Führung der Singstimmen und gewisse durch den neuen Text und die neue Tonart bedingte Änderungen, endlich gegen den Schluß hin ein sehr wirkungsreiches Unisono des Chors – das ist so ziemlich alles. Das Geniale liegt mehr in dem Scharfblick, der die Angemessenheit der älteren Musik für den neuen Zweck erkannte. Indessen hatte Bach anfänglich die Absicht, einen ganz neuen Chor über obige Psalmworte zu componiren. Der Anfang desselben steht auf einem Bogen, welchen er dann zur Partitur einer weltlichen Cantate mitbenutzte. Diese Cantate, »Der Streit zwischen Phöbus und Pan« genannt, wurde im Jahre 1731 componirt, und mittelst ihrer kennen wir die Entstehungszeit der Michaelismusik. Offenbar ließ Bach durch andre Arbeiten eingenommen den Chor-Entwurf unvollendet, und griff später, durch die Zeit gedrängt, zu einer alten Arbeit zurück.20 Unter den Sologesängen zeichnet sich die Sopranarie in A dur »Gottes Engel weichen nie« durch ein süß-melodisches, sanft schwebendes Wesen aus. Auch das vorletzte Stück, ein Duett zwischen Alt und Tenor mit obligatem Fagott, ist bei eingänglicher, einfacher Melodieführung eben so kunstreich als ausdrucksvoll. Es steht in G dur und der Schlußchoral in C dur. Da die Cantate, gleich der früher besprochenen Michaelismusik »Es erhub sich ein Streit« sich schließlich zu dem Wunsche hinwendet, daß die Engel die Seele des Gestorbenen in die Wohnung der Seligen geleiten mögen, so ist dies immer tiefere Hinabsinken in der Richtung der Unterdominante von Bach unzweifelhaft in einem poetisch-mystischen Sinne angewendet und es wirkt auch so. Der letzte Choral besteht aus der dritten Strophe des Schallingschen Liedes »Herzlich lieb hab ich dich, o Herr« (»Ach Herr, laß dein' lieb' Engelein«).21

Der vierte endlich der noch rückständigen Picanderschen Texte: [277] »Ich habe meine Zuversicht« gilt dem einundzwanzigsten Sonntag nach Trinitatis (14. October 1731, vielleicht auch schon 29. Oct. 1730). Die Composition ist dadurch interessant, daß in ihr zum ersten Male unter den Leipziger Cantaten eine obligate Orgel mitwirkt. Möglich war solches erst, nachdem im Jahre 1730 das Rückpositiv der Thomasorgel seine eigne Claviatur erhalten hatte und somit neben der großen Orgel selbständig angewendet werden konnte. Die Cantate »Ich habe meine Zuversicht« sollte durch das Clavier- (oder Violin-) Concert in D moll22 eingeleitet werden, welches zu diesem Zwecke eine besondere Bearbeitung erfahren haben wird. Eine ähnliche Benutzung von Kammermusik, wie sie in der Cantate »Ich liebe den Höchsten« so eben von uns bemerkt worden ist. Daß das vollständige Concert und nicht etwa nur ein Satz desselben vorausgeschickt wird, läßt die Absicht erkennen, der Gemeinde die Vervollkommnung der Orgel recht zum Bewußtsein zu bringen. Man könnte daher annehmen, die Cantate sei schon 1730 unmittelbar nach erfolgter Abänderung des Rückpositivs aufgeführt; doch wissen wir nicht genau, wann letztere vollendet wurde. Zur ersten Arie schweigt die obligate Orgel, verbindet sich aber in der zweiten mit der Altstimme zu einem Trio von hervorragender Schönheit.23

Nachdem Bach die Möglichkeit gegeben war, in der Kirchenmusik die obligate Orgel zu verwenden, finden wir daß er in der ersten Zeit ziemlich häufig von derselben Gebrauch macht. Ältere Cantaten wie »Erschallet ihr Lieder« richtete er darauf ein, componirte aber auch mehre neue mit concertirender Orgelstimme. Für einige derselben hat er, wie in der eben besprochenen, Kammermusikstücke zu Instrumentalsinfonien hergerichtet. Offenbar ist dieses der Fall in der Cantate zum zwölften Trinitatis-Sonntage »Geist und Seele wird verwirret« (wahrscheinlich 12. Aug. 1731).24 Wenn auch die Instrumentalsinfonien des ersten und zweiten Theiles in der Originalgestalt nicht mehr vollständig vorliegen, so erkennt man ihre Übertragung in die Cantate doch daraus daß sie in der Partitur derselben Reinschriften darstellen.25 Ihrer Form nach bilden sie [278] den ersten und dritten Satz eines Concerts, das zugehörige mittlere Adagio dürfte in der A moll-Arie stecken, einem Siciliano, dergleichen Bach nicht hier allein als Mittelsatz eines Concertes angewendet hätte. Ein Clavierconcert aus E dur umschließt mit zwei Allegrosätzen ebenfalls einen Siciliano in Cis moll.26 Auch dieses Concert ist für Kirchenmusik ausgenutzt worden und nachweislich mit allen seinen Sätzen. Die ersten beiden sind in der Cantate auf den 18. Trinitatis-Sonntag »Gott soll allein mein Herze haben« (23. Sept. 1731 oder 12. October 1732) enthalten. Und zwar bildet der erste nach D dur versetzt und durch drei Oboen bereichert die einleitende Sinfonie. Das sich anschließende Gesangstück ist aus Arioso 3/8 und Recitativ 6. gemischt. In der folgenden Arie (D dur 6.) wirkt die obligate Orgel wieder mit; es ist dies aber eine ganz neue Composition. Dagegen hat in der zweiten Arie (H moll 12/8) der Siciliano des Concerts eine sehr geniale Umarbeitung und Erweiterung (von 37 auf 46 Takte) erfahren. Der Gesang, welcher folgendermaßen beginnt:


6.

ist neu hineincomponirt.27 Ein Recitativ und der Choral »Du süße Lieb schenk uns deine Gunst« (die dritte Strophe von Luthers »Nun bitten wir den heiligen Geist«) machen den Schluß. Es läßt sich um so mehr annehmen, daß in der A moll-Arie der Cantate »Geist und [279] Seele« eine ähnliche Umarbeitung vorliegt, als die ähnliche Gestaltung beider Cantaten in die Augen springt; sie erstreckt sich sogar auf das benutzte Gesangsmaterial, denn beide sind für eine Alt-Stimme gesetzt, nur entbehrt jene des Schlußchorals. Dem letzten Satze des E dur-Concerts begegnen wir in der Cantate auf den zwanzigsten Trinitatis-Sonntag »Ich geh und suche mit Verlangen«,28 welche um deswillen mit der vorigen in demselben Jahre entstanden und nur vierzehn Tage später als sie zur ersten Aufführung gekommen sein wird. Er bildet hier die Einleitungssinfonie und ist durch Hinzufügung einerOboe d'amore klanglich reicher ausgestattet, in Hinsicht auf den Solopart aber einfacher gehalten, was zum Theil dem andersgearteten Wesen der Orgel zugeschrieben werden muß. Im Verlauf des Werkes spielt auch hier die obligate Orgel in neu componirten Stücken ihre Rolle, welche zum Theil Sologesänge des Soprans und Basses, zum Theil Zwiegesänge dieser beiden, die Seele und Jesus repräsentirenden Stimmen sind. Ein Chor kommt in der Cantate nicht vor. Doch läßt im letzten Stücke der Sopran die Schlußstrophe des Chorals »Wie schön leucht't uns der Morgenstern« erklingen, wozu der Bass in fast glühend zu nennenden Weisen die paraphrasirten Bibel-Worte singt:


Dich hab ich je und je geliebet,

Und darum zieh ich dich zu mir.

Ich komme bald

Ich stehe vor der Thür,

Mach auf, mach auf, mein Aufenthalt!


Streichquartett mit Oboe d'amore und concertirende Orgel vollenden das reiche, hochbedeutende Tonbild.

Es ist an einer andern Stelle gezeigt worden, daß Bach seine drei Sonaten für Solovioline, bei deren Conception ihn die Idee des [280] Claviers oder der Orgel mindestens eben so stark beeinflußt hat, wie die der Geige, nachträglich in der That zu Clavier- und Orgelstücken umarbeitete.29 Mit dem Praeludium der E dur-Suite für Violine allein ist er ebenso verfahren: für concertirende Orgel nach D dur transponirt und mit einem begleitenden Orchester von Streichinstrumenten, zwei Oboen, drei Trompeten und Pauken ausgestattet bildet es die Instrumentalsinfonie zu der am Montag dem 27. August 1731 aufgeführten Rathswahlmusik »Wir danken dir Gott, wir danken dir«.30 Nicht eine so eminente Leistung, wie die Umarbeitung eines Solo-Clavierstückes zu einem Concert für Clavier, Violine und Flöte mit Streichorchester31, zeigt doch auch diese Sinfonie Bachs combinatorische Erfindung in hellem Lichte. Wie bei Clavierconcerten mit Orchester noch ein besonderes Generalbass-Instrument mitwirken mußte, so begleitet auch, wenn Bach obligate Orgel in der Kirchenmusik anwendet, in der Regel außerdem die große Orgel, das Ganze stützend und zusammenhaltend. Bei der Cantate »Wir danken dir Gott« kann dieses freilich nicht immer der Fall gewesen sein, da sie später noch zweimal (am 31. August 1739 und im Jahre 1749) in der Nikolai-Kirche während des Rathswahl-Gottesdienstes aufgeführt worden ist, und die Nikolai-Orgel kein selbständiges Rückpositiv besaß.32 Die Sinfonie macht einen festlichen, froh bewegten Eindruck und leitet sehr angemessen in die Cantate ein, welche in schwungvollen Jubelarien und majestätisch feierlichen Chorgesängen den dankbaren Empfindungen gegen Gott einen Ausdruck giebt, dessen Stärke über den äußern Zweck der Composition weit hinausreicht. Der Hauptchor ist über Worte des 75. Psalm gesetzt und von der Grundempfindung dieses Gedichtes, von Worten wie »Ich aber will verkündigen ewiglich und lobsingen dem Gott Jakobs« [281] muß man ausgehen um den Sinn des mächtigen Werkes recht zu fassen. Bach verarbeitet zwei Themen fugenartig nach einander, ohne daß sich dieselben zu einer Doppelfuge vereinigten. Dagegen aber erfolgen die Beantwortungen durchweg in kunstvollen Engführungen, denen unzweifelhaft, ähnlich wie in der Cantate »Sie werden aus Saba alle kommen« (s. S. 217 dieses Bandes), eine poetische Intention zu Grunde liegt.33 Das erste der beiden Themen ist aus einer Formel des altkirchlichen Choralgesanges gebildet, welche auch Händel vielfach verwendet hat.34

Kaum zwei Wochen später, am 9. Sept. 1731, als dem sechzehnten Sonntage nach Trinitatis wird Bach ein Werk aufgeführt haben, in dem wiederum obligate Orgel vorkommt. Die Cantate »Wer weiß, wie nahe mir mein Ende« ist gemeint.35 Ein umgearbeitetes Kammermusikstück finden wir nicht in ihr, die Alt-Arie, zu welcher obligate Orgel und Oboe da caccia begleiten, ist durchaus frei erfunden.36 Täuscht nicht alles, so hat Bach auch an dem Texte Antheil, welcher sich als Umarbeitung folgender Neumeisterschen Ariendichtung herausstellt:


Willkommen! will ich sagen,

Sobald der Tod ans Bette tritt.

Er bringt den Himmelswagen

Zu meiner frohen Abfahrt mit.

Da werd ich der sterblichen Eitelkeit los,

Und lege mich nieder in Abrahams Schooß.37


[282] Der von Bach componirte Text lautet:


Willkommen! will ich sagen,

Wenn der Tod ans Bette tritt.

Fröhlich folg ich in die Gruft,

Fröhlich will ich folgen in die Gruft,

Wenn er ruft.

Alle meine Plagen

Nehm ich mit.

Willkommen! will ich sagen,

Wenn der Tod ans Bette tritt.


Die metrische Construction des Textes ist ungeschickt und der Gedankenausdruck unbeholfen, denn wenn die Gruft als das friedebringende ersehnte Ziel bezeichnet wird, dürfen die Plagen des Lebens dem Scheidenden dahin nicht folgen: offenbar wünschte der Parodist nur den auf »tritt« passenden Reim beizubehalten. Der formgewandte Picander hätte derartiges wohl kaum geschrieben. Was aber die Composition betrifft so hat in ihr der Bach ganz allein eigne Ausdruck innigster Todessehnsucht eine Stärke erreicht, wie meines Wissens in keiner früheren oder späteren Composition des Meisters. Das Sonntags-Evangelium handelt vom Jüngling zu Nain, und man erinnert sich, daß schon von einer andern Composition für denselben Sonntag die Rede war »Liebster Gott, wann werd ich sterben«). Ein entschiedenerer Contrast als zwischen diesen beiden Werken ist nicht denkbar. Über der älteren Cantate lag eine jugendliche, schmerzlich süße Stimmung, in der späteren Composition redet einer, welcher der »argen falschen Welt Valet gegeben« hat, und sich sehnt abzuscheiden. Sicherlich hat Bach den Contrast absichtlich so scharf hingestellt. Denn daß er die ältere Cantate bei der Composition der jüngeren vor Augen hatte, verräth ihr Schluß. Dort wurde derselbe durch eine Arie Daniel Vetters gebildet, hier besteht er aus einem fünfstimmigen Tonsatz Johann Rosenmüllers »Welt ade! ich bin dein müde«. Beide waren Leipziger Künstler, denen Bach hierdurch gewissermaßen seine Huldigung darbrachte.38 Mit derselben Hingabe wie die Arie ist auch alles übrige componirt; [283] in dieser Stimmung fühlte sich Bach wie in keiner andern wohl. Man suche sich die Grundempfindung der Johannes- und Matthäus-Passion und der Trauerode zu concentriren und man wird sie in dieser Cantate verkörpert finden. Ein Zeichen, daß Bach bei ihrer Composition selbst ganz in dieser Empfindung lebte, sind die Anklänge an jene größeren Werke. Nur auf einiges sei hier hingedeutet: auf den Anfang des Schlußchors der Matthäus-Passion einerseits und andrerseits den Anfang des ersten Satzes der Cantate sowie Takt 66 der Bassarie; auf das Motiv der beiden Flöten im ersten Chore der Trauerode:


6.

und das Motiv der Oboen im ersten Chore der Cantate (von Takt 13 an):


6.

und die Durchführung desselben39; auf den Anfangstakt der Arie »Es ist vollbracht« in der Johannespassion und Takt 35 und 78 der Bassarie in der Cantate. Lauter aber als solche Einzelheiten redet das Ganze.

Die Wirkung der concertirenden Orgel muß Bach so sehr gefallen haben, daß sein erfinderischer Geist darauf gerieth sie in noch complicirterer Art zu verwerthen. Zum sechsten Trinitatis-Sonntag, wahrscheinlich des Jahres 1732 (also 20. Juli), schrieb er eine Solo-Cantate für Alt »Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust«, in deren zweiter Arie er einen obligaten Orgelsatz für zwei Manuale einführte. Dieser mußte nunmehr auf der großen Orgel executirt werden; auf den Generalbass wurde ganz verzichtet, Violinen und Bratschen im Einklange stellen die tiefste Stimme her. Die höchst originelle Combination hat nicht nur zu einem sehr kunstvollen sondern auch empfindungstiefen Stücke geführt, das sich übrigens in würdigster Umgebung befindet: die ganze Cantate gehört zu den schönsten ihrer Art.40

[284] Es geschah in dieser Zeit, daß Bach der schalen Reimerei der madrigalischen Cantaten, mit welchen er nun gegen zehn Jahre schon fast unaufhörlich zu thun gehabt hatte, überdrüssig wurde und sich nach kräftigerer poetischer Kost umthat. Das ältere protestantische Kirchenlied bot ihm, wonach er verlangte. In Folge dessen hat er eine Anzahl der besten kirchlichen Dichtungen des 16. und 17. Jahrhunderts musikalisch behandelt. Schon zu der Ostercantate »Christ lag in Todesbanden« hatte er den vollständigen Text des Kirchenliedes wörtlich benutzt, zu den Cantaten »O Ewigkeit, du Donnerwort« und »Wer nur den lieben Gott läßt walten« wenigstens einen Theil. Immer war dann aber mit den Worten auch die zugehörige Melodie Hand in Hand gegangen. Hierin nun unterscheidet sich die jetzt zu charakterisirende Cantaten-Gruppe von jenen Werken. Bach faßt in ihnen den Kirchenlied-Text mehr nur als geistliche Dichtung auf, die ihm zur Hervorbringung freier Compositionen dienen soll. Er ignorirt die den Liedern eigne Melodie nicht gänzlich, vielmehr enthält jede dieser Cantaten mindestens einige Stücke in welchen sie vollgewichtig auftritt, immer daneben aber auch solche, in denen sie ganz oder doch fast ganz außer Acht gelassen wird. Johann Adam Hiller, einer der Amtsnachfolger Bachs in Leipzig, sagt: »Auch geistliche alte und neue Lieder sind von einigen Componisten als Cantaten behandelt worden; ich gestehe, daß mir diese Gattung eine der zweckmäßigsten für die Kirche zu sein scheint. Nur sollte man sich des recitativischen Vortrags dabei gänzlich enthalten. Das Recitativ hat von allem, was dem Gesange eigen ist, nichts: keine symmetrischen Perioden, keine durchaus gleich langen Zeilen, keine Klapperei der Reime; es ist daher äußerst beleidigend, wenn man [285] z.B. vierzeilige Strophen, Zeile auf Zeile gereimt, recitativisch absingen hört.«41 Da ihm als Thomas-Cantor Bachs derartige Arbeiten vorlagen, so hat er ohne Zweifel mit diesen Worten auf ihn gezielt. Aber was er tadelt: recitativische Behandlung von Kirchenliedstrophen hat Bach ebensowenig vermieden, wie er sich an die Regeln zu binden für gut fand, welche im Jahre 1754 die Musikalische Societät zu Leipzig über Cantatentexte aufstellt, obgleich er Mitglied der Societät gewesen war. Hillers Bedenken waren gerechtfertigt: hatte doch hauptsächlich dem Recitativ zu Liebe die madrigalische Dichtung in die Kirchenmusik Eintritt erhalten. Man sieht, es war Bach vor allem um gehaltvollere Texte zu thun, von den musikalischen Formen etwas aufzugeben war er aber nicht gesonnen. Da sein Recitativ-Stil sich von dem landläufigen wesentlich unterschied, so brauchte er auch nicht zu besorgen, daß poetische und musikalische Form bei ihm in einen fühlbaren Widerspruch geriethen. Kirchenlieder des 16. Jahrhunderts hat er zwei in der Cantatenform seiner Zeit componirt. Die von Wolfgang Musculus verfaßte Paraphrase des 23. Psalms »Der Herr ist mein getreuer Hirt« dient dem Sonntage Misericordias und wird 1731 (8. April) oder 1732 (27. April) zuerst aufgeführt sein.42 Das Lied »Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ« ist für den vierten Trinitatis-Sonntag 1732 (6. Juli) verarbeitet.43 Dem Trinitatisfeste 1732 (8. Juni) gehört die Composition der schönen, 1671 erschienenen Dichtung von Johann Olearius »Gelobet sei der Herr, mein Gott, mein Licht, mein Leben«.44. Joachim Neanders aus dem Jahre 1679 stammender Dankgesang »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren« ist für den 12. Trinitatis-Sonntag componirt und dürfte 1732 (also am 31. August) zuerst aufgeführt sein.45 Paul [286] Flemmings bekanntes Reiselied »In allen meinen Thaten« aus dem Jahre 1633 bearbeitete Bach 1734, man weiß nicht für welche Gelegenheit.46 Die Compositionen von Martin Rinckarts »Nun danket alle Gott« (1644) und Jacob Schützens »Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut« (1673) entbehren ebenfalls der Angabe eines besondern Zweckes. Es läßt sich auch über das Jahr ihrer Entstehung nur sagen, daß dasselbe ungefähr in den Zeitabschnitt fallen muß, mit welchem wir uns hier beschäftigen, während Johann Heermanns »Was willst du dich betrüben« (um 1630) und Rodigasts »Was Gott thut, das ist wohlgethan« (1675) einer etwas späteren Zeit anzugehören scheinen47 Allen diesen Cantaten ist es gemeinsam, daß sie mit einem großen Choralchor beginnen, der in der Form der sogenannten Choralfantasie gehalten ist. Bei »Nun danket alle Gott« hat diese Form nur insofern eine Abwandlung erfahren, als frei erfundene Chorsätze die Durchführung des Chorals einleiten, unterbrechen und beschließen. In der Cantate »In allen meinen Thaten« stellt sich die Choralfantasie als französische Ouverture dar, in deren fugirtes Allegro der Chor mit bewunderungswürdiger Kunst hineingebaut ist. Vernehmlich mahnt dieses Stück an den Anfangschor der Cantate »O Ewigkeit, du Donnerwort«, welchen wir indessen in eine frühere Periode verlegen zu müssen glaubten. Mannigfaltigere Gestaltung weisen die Schlußchoräle auf. Bald erscheinen sie als einfach vierstimmige Tonsätze, bald, wie in »Lobe den Herren« und »In allen meinen Thaten« durch drei selbständige instrumentale Oberstimmen prachtvoll erweitert; dann wieder in Choralfantasieform, oder auch, wie in »Gelobet sei der Herr« und »Was Gott thut, das ist wohlgethan« in einer an Böhm erinnernden Behandlungsart, indem eine gewisse dem Orchester zuertheilte Phrase zwischen den Zeilen und womöglich [287] auch neben denselben unablässig wiederkehrt. Außer im Anfangs- und Schlußsatze wird aber die Melodie des Kirchenliedes vollständig nur noch zweimal, nämlich zur zweiten und vierten Strophe von »Lobe den Herren« durchgeführt; in letzterer ist sie einer concertirenden Trompete zuertheilt. In der Mehrzahl der Fälle wird weiter garkeine Rücksicht auf sie genommen; so durchweg in den Cantaten »Der Herr ist mein getreuer Hirt«, »Ich ruf zu dir«, »In allen meinen Thaten«; hier dienen die übrigen Strophen nur als Texte zu frei erfundenen Arien, Duetten und Recitativen. Manchmal aber treibt auch der Componist mit der Melodie ein launiges Spiel, indem er sie bald stärker bald schwächer anklingen läßt. Hiermit entwickelt Bach eine neue Seite seiner Kirchenmusik; bisher war uns derartiges nur in der Cantate »Wer nur den lieben Gott« flüchtig begegnet und ist dort in seiner ästhetischen Bedeutung gewürdigt worden.48 Vom musikalischen Standpunkte betrachtet bieten die Suiten etwas ähnliches, in denen der Anfang der übrigen Tänze jedesmal wieder an den Anfang der Allemande anknüpft.49 Die Anspielungen beziehen sich gewöhnlich auf die erste, oder die ersten beiden Choralzeilen. Z.B.


Choralmelodie:


6.

Dritte Arie der Cantate:


6.

Choralmelodie:


6.

[288] Vierter Vers der Cantate:


6.

In der Cantate »Lobe den Herren« wird einmal die Melodie


6.

nach Moll versetzt und als Duett bearbeitet, nämlich:


6.

Im fünften Vers von »Sei Lob und Ehr«, der als Recitativ beginnt, stößt man plötzlich auf eine Phrase, welche an die vier ersten Töne der Choralmelodie:


6.

anknüpft; der Bass imitirt und es entwickelt sich ein Spiel, das lebhaft an eine Choralarbeit aus Bachs Jugendzeit erinnert.50 Aber auch andre als die Anfangszeilen werden zuweilen flüchtig und wie im Vorübergehen gestreift; in dieser Beziehung ist namentlich Vers 4 von »Was Gott thut, das ist wohlgethan« merkwürdig. Einmal, in Vers 5 von »Was willst du dich betrüben«, der mit einer geistreichen Fantasie über die ersten Zeilen beginnt und sich dann ungebunden als Arie weiter entwickelt, ereignet es sich, daß am Schluß die letzte Choral-Zeile ganz schmucklos und einfach eintritt, gleichsam als sei die Phantasie des Componisten zu ihrer Quelle zurück gekehrt. Auch der zweite Vers von »Nun danket alle Gott« wird mit freier Benutzung der Choralmelodie gebildet, so daß diese nun in allen Theilen der mächtigen und äußerst brillanten Composition theils voll und klar, theils verhüllt dem Hörer entgegentritt.

Daß eine solche Behandlung des Kirchenliedes und der Choralmelodie ihr bedenkliches hat, konnte indessen dem Meister auf die Dauer nicht verborgen bleiben. Wenn er auch durch mehre Jahre [289] von Zeit zu Zeit wieder auf sie zurück kam, so ergiebt ein Blick auf seine spätere Thätigkeit als Cantatencomponist doch, daß wir in den eben beschriebenen Cantaten Übergangs- oder abschweifende Bildungen zu erkennen haben, jenseits deren eine vollkommenere Form lag. Schon während der ersten Leipziger Periode erscheinen einige Werke, in denen diejenige Form, welche für Bach in seiner letzten Lebensperiode Ideal und Typus der Kirchencantate wurde, mit voller Klarheit zu Tage kommt. Es tritt in ihr ebenfalls ein bestimmtes Kirchenlied mit der zugehörigen Melodie in den Mittelpunkt, aber weder wird der kirchliche Text für Arien und Recitative verbraucht, noch die kirchliche Melodie phantastischen Spielen preisgegeben. Vielmehr dienen der persönlicheren, durch das kirchliche angeregten Empfindung nun wieder besondere, aber aus dem Kirchenlied entwickelte Dichtungen und freie Compositionen; dem Choral wird sein unnahbares, unveränderliches Wesen gewahrt, und doch durchdringt er, auch wo weder Originaltext noch Originalmelodie gehört werden, als einheitgebende Macht das Ganze. Sehr nahe dieser Idealform steht die bewunderungswürdige Composition, mit der Bach den 27. Trinitatis-Sonntag des Jahres 1731 (25. Nov.) festlich beging. Der Sonntag kommt bekanntlich im Kirchenjahre sehr selten vor; deshalb und wegen seines hochpoetischen, geheimnißvoll feierlichen Evangeliums sah sich Bach wohl veranlaßt, ihn durch eine Tonschöpfung ersten Ranges zu schmücken. Sinnvoll ist Nicolais dreistrophiges Kirchenlied »Wachet auf, ruft uns die Stimme«, welches an das Evangelium von den zehn Jungfrauen (Matth. 25, 1–13) direct anknüpft, um dann in die Anschauungen des Hohenliedes und der Offenbarung Johannis (Cap. 21) hinüber zu leiten, zur Grundlage des Werkes gewählt worden51. Zwischen die Strophen schieben sich Recitative und Zwiegesänge Christi und seiner Braut, kunstvolle Duette, die eine keusche Innigkeit athmen ohne sich zu weit ins Gebiet persönlicher Leidenschaftlichkeit zu verlieren. Die drei Choralstrophen bilden genau Anfang, Mitte und Ende, und stellen den mystischen Grundton des Werkes her, welchen die Vorstellungen von der feierlichen Stille der Nacht, [290] in welcher der himmlische Bräutigam erwartet wird, und der unsäglichen Freuden in der Herrlichkeit des neuen Jerusalem bedingten. Die erste Strophe ist Choralfantasie: in die majestätischen Rhythmen des Orchesters mischt das mit dem fünften Takte auftretende Motiv


6.

ein heimliches Glück, das manchmal in seligem Ausdrucke überströmt; der Sopran führt die Melodie, deren poetischen Gehalt die andern Singstimmen durch Tonreihen von außerordentlicher Plastik ausdeuten. In der zweiten Strophe, einem Trio für Tenor, Geigen und Bass, klingt der mystische Ton wohl am vollsten aus. Es ist wie ein Reigen seliger Geister, was sich hier in den tiefen Lagen sämmtlicher Geigen mit seltsamem, unerhörtem Ausdruck hin und her wiegt: Zion und die Gläubigen sind mit Christus eingegangen zum Fest in den Freudensaal. Die letzte Strophe, ein »Gloria, mit Menschen und Engel-Zungen« angestimmt, tritt in schmuckloser Einfachheit auf; die herrliche Melodie erhält hier noch einmal Gelegenheit, vorzugsweise durch sich selbst zu wirken.

Die Cantate »Was Gott thut, das ist wohlgethan«, von der oben die Rede war, ist in ihrem Anfangs- und Schlußsatze nur eine erweiterte und bereicherte Bearbeitung älterer Stücke. Der Schlußsatz findet sich schon in der Cantate von 1723 »Die Elenden sollen essen«52. Der Anfangssatz in einfacherer Fassung leitet ein Werk ein, welches um zwei oder drei Jahre früher, also gegen 1733 geschrieben sein mag. Es repräsentirt den Typus der Cantate »Wachet auf« in etwas vereinfachter Gestalt, in dem nur zwei Strophen des Chorals benutzt sind: sie haben am Anfang und Ende ihren Platz und dieselben Formen, die wir dort an diesen Stellen finden; zwischen ihnen steht eine Anzahl madrigalischer Gesangstücke.53 Eine dritte mit demselben Choral anhebende Composition sollte dem 21. Trinitatis-Sonntage dienen, und wird 1731 (21. October) oder 1732 (2. November) die erste Aufführung erlebt haben.54 Sie enthält gar nur eine Strophe des Chorals, welche am Anfange steht und auch die Form der Choralfantasie aufweist: doch will das instrumentale [291] Tonbild sich anfänglich nicht recht zur Einheit zusammenfügen und nähert sich während des Aufgesanges mehr dem Charakter eines Ritornells. Im Verlauf des Werkes wird die Choralmelodie nirgends weiter verwendet, nicht einmal am Schlusse, die Cantate läuft in eine Bassarie aus. Sie ist denmach formell unvollkommen, mehr nur ein Ansatz, dem die entsprechende Weiterführung fehlt; auch der musikalische Gehalt der einzelnen Stücke steht hinter dem der andern beiden Cantaten zurück. Hingegen gewährt eine Cantate auf den sechsten Trinitatis-Sonntag »Es ist das Heil uns kommen her« durch ihre meisterwürdige Formrundung wieder vollste Befriedigung. Wenn Ähnlichkeiten in der Gestaltung des Einzelnen gleiche Entstehungszeit voraussetzen lassen – und dieses ist ja bei Bach der Fall – so muß sie mit der Cantate »Wachet auf« in demselben Jahre (1731) geschrieben sein. Von dem Liede des Paul Speratus wird nur die erste und zwölfte Strophe verwendet, um Ausgangs-und Endpunkt des Werkes festzustellen, zwischen welchen neben andern madrigalischen Stücken ein bewundernswerthes canonisches Duett seinen Platz findet; die Behandlung der ersten Strophe aber gleicht derjenigen der ersten Strophe von »Wachet auf« in auffälligem Grade, namentlich in den zweistimmigen Imitationen und theilweise dem begleitenden Rhythmus des instrumentalen Tonsatzes.55

Einer neuen, tiefsinnigen Composition zum 16. Trinitatis-Sonntage (wahrscheinlich 28. September 1732) »Christus der ist mein Leben« muß an dieser Stelle Erwähnung geschehen, obwohl sie ihrer Form nach nur halb hierher paßt. Sie beginnt mit einem Choralchor über das genannte Lied, verwerthet außerdem aber noch drei andre Choräle, welche sämmtlich zu den schönsten und bekanntesten Sterbeliedern der protestantischen Kirche gehören. Hierdurch gelangt die poetisch-musikalische Grundempfindung der Cantate freilich zu einer mächtigen Intensität. Doch läßt sich ein Mangel an Einheitlichkeit nicht verkennen. Die Bedeutung des Chorals in den Bachschen Cantaten ist eine andre und größere, als nur die welche einem gehaltvollen Gedichte mit einer schönen Melodie zukommt; er soll unter den subjectiveren Arien und Recitativen den gemeinverständlichen Mittelpunkt bilden. Berechtigung hat es noch wenn am Schlusse ein andrer als der einleitende Choral erscheint, in einem solchen [292] Falle entwickelt sich die Empfindung von einem strengkirchlichen Ausgangspunkte derart, daß sie an einer andern Stelle in das engere kirchliche Gebiet wieder einströmt. Statt dieses einen Ausgangspunktes aber deren zwei oder drei zu nehmen, muß beunruhigend wirken. Wir wissen, wie sehr Bach es liebte in der Stimmung von Sterben und Tod zu schwelgen. Er hat dieser Vorliebe hier einmal die Zügel schießen lassen; ist er doch soweit gegangen im ersten Choralchor dem Worte »Sterben« zu Gefallen durch eine lange Dehnung die Proportionen der vier Choralzeilen gänzlich zu zerstören. Sehr fein und sinnig ist es gemacht, wie dieser Chor sich ohne musikalische Unterbrechung in den Sologesang hinein fortsetzt, erst ein Arioso, dann ein Recitativ, an welches sich nun unmittelbar wieder ein neuer, in einfacher Pachelbelscher Form gehaltener Choralchor »Mit Fried und Freud ich fahr dahin« anschließt. Der dritte Choral »Valet will ich dir geben« ist als Trio behandelt und kann seine Verwandtschaft mit dem Choraltrio aus »Wachet auf« nicht verbergen. Am Schlusse steht die vierte Strophe des Liedes »Wenn mein Stündlein vorhanden ist.«56

Wenn die Form der chorischen Choralfantasie für den ersten Satz von nun an mehr und mehr das Feststehende wird, so ist doch einstweilen der Drang nach Mannigfaltigkeit bei Bach immer noch so stark, daß er auch andere Gebilde an die erste Stelle rückt. Solches geschieht in einer Musik zum Sonntag nach Neujahr 1733 (4. Januar). Hier ist der zum Tonbilde des Orchesters sich gesellende Gesang nur zweistimmig: der Sopran singt die erste Strophe des Chorals »Ach Gott, wie manches Herzeleid«, der Bass stellt sich ihm mit einem besondern Charakter entgegen und ermahnt zur Geduld und Standhaftigkeit. Derselbe Gegensatz ist auch im Schlußsatze musikalisch verwerthet, übrigens keiner Choralfantasie sondern einer Bassarie, in die der vom Sopran vorgetragene Choral hineingeflochten ist. Den Text zu diesem Choral bildet die zweite Strophe des Martin Böhmschen Liedes »O Jesu Christ, meins Lebens Licht«, während die Melodie dieselbe ist wie am Anfang. Von dem klagenden und dem tröstenden Charakter, die in dieser Cantate, wenn auch nur in den Hauptsätzen derselben durchgeführt sind, hat das Werk [293] den Namen Dialogus erhalten57 Es ist ebenfalls nicht ohne Seitenstück geblieben. Auch zum 24. Trinitatis-Sonntage (wahr scheinlich 1732, also 23. November) schrieb Bach einen Dialogus; »Furcht« und »Hoffnung« heißen hier die Charaktere, ihren Gegensatz ausgleichend tritt schließlich ein Bass hinzu, unter welchem wir uns die »Stimme vom Himmel« vorstellen dürfen, der in der Offenbarung Johannis (14, 13) die hier gesungenen Worte zuertheilt werden. Der erste Satz ist dem der vorigen Cantate ganz analog gestaltet. Der Alt singt die Melodie »O Ewigkeit, du Donnerwort«. Zum Beschluß kehrt indessen diese nicht wieder, sondern es ertönt Joh. Rudolph Ahles empfindungsvolle Arie »Es ist genug« in vierstimmigem Tonsatz.58

Wir verlassen hiermit die Choralcantaten und verweilen abschließend noch mit kurzem Blicke auf einer Gruppe solcher Kirchenmusiken, welche überwiegend oder gänzlich auf freier Erfindung beruhen. In der Mehrzahl derselben bildet ein Bibelspruch den poetischen Grundgedanken, der nach dem allgemein üblichen und auch von Bach durch die That als begründet anerkannten Verfahren gewöhnlich in eine Chorform gekleidet ist. Zwei Werke ragen unter ihnen hervor. Eine Cantate zum zehnten Trinitatis-Sonntag (wahrscheinlich 29. Juli 1731) »Herr deine Augen sehen nach dem Glauben« gehört zur Gattung derjenigen, welche ich mit dem Namen orthodoxe Compositionen (s. S. 255) belegen zu dürfen glaubte.59 Sollte Picander der Verfasser des Textes sein, so müßte er sich angestrengt haben. In den Recitativen herrscht freilich der gewöhnliche Schlendrian, die Arien haben aber eindringlichen metrischen Bau und kräftigen Wortausdruck. Außer dem Bibelspruche für den Hauptchor (Jeremias 5, 3) ist noch eine Stelle aus dem Römerbrief (2, 4 und 5) eingefügt, während Picander sich sonst mit einem Bibelspruch begnügt. Da Bach eine außergewöhnliche künstlerische [294] That plante, könnte er seinen Gehülfen einmal energisch aufgerüttelt haben. Während er in der Cantate »Schauet doch und sehet« in unersättlicher Klage schwelgt, gleich als wolle er dem Prophetenworte Genüge thun »Meine Augen rinnen mit Wasserbächen über dem Jammer der Tochter meines Volks. Meine Augen fließen und können nicht ablassen« (Klagelieder Jeremiae 3, 48 und 49), erscheint er hier als glühender, fast fanatischer Bußprediger. Der erste Chor stellt wie immer die Grundempfindung fest. Seine Disposition ist meisterhaft und durchaus neu. Ein Vorspiel legt die Hauptgedanken im Zusammenhange dar, welche sodann getrennt und in mannigfacher Versetzung die Grundlage des Chors bilden. Dies Verfahren findet man bei Bach öfter. Überraschend aber ist, daß zwei weitausgeführte Fugensätze in die Entwicklung eingewoben werden. Von unerhörter Kühnheit und niederschmetternder Gewalt sind ihre Themen:


6.

und:


6.

6.

60


Den oratorienhaften Zug in diesem gewaltigen Chore wird man nicht verkennen. Er erhebt sich in den Arien und dem Bass-Arioso manchmal zu fast dramatischer[295] Schärfe. Eine formelle Merkwürdigkeit haftet der Tenor-Arie an. Ihr Text lautet:


Du allzu sichre Seele

Erschrecke doch!

Denk, was dich würdig zähle

Der Sünden Joch!

Die Gottes-Langmuth geht auf einem Fuß von Blei,

Damit ihr Zorn hernach dir desto schwerer sei.


Für die aufgeregte Empfindung, welche Bach in die ser Cantate überall zum Ausdruck bringen wollte, war der Inhalt der ersten Textzeile nicht sprechend genug. Er begann deshalb mit der zweiten und in Tonreihen, welche das »Erschrecken« mit greifbarer Deutlichkeit malen. Die Arie bietet aber einen der bei Bach nicht häufigen Fälle, wo der musikalische Hauptgedanke, der im Ritornell vorgespielt wird, durchgängig nur in dem Jnstrumentalpart verbleibt, in der Singstimme dagegen garnicht auftritt. Die Hauptmelodie desselben scheint nun unter der Vorstellung der Textworte in ihrer richtigen Ordnung erfunden zu sein:


6.

Trifft diese Vermuthung das wahre, so ist die Arie ein lehrreiches Beispiel, wie bei Bach vocale und instrumentale Anschauung zu unlöslicher Einheit in einander griffen.

Die andre Cantate, welche wir dieser als ebenbürtig beiordnen, hat einen Psalmspruch (Ps. 38, 4) zum poetischen Hauptgedanken. Sie paßt auch ihrem Inhalte nach mit der vorigen zusammen. Man kann sich vorstellen, daß die in jener mit feurigen Zungen gepredigte Buße nunmehr die Herzen der Sünder erfüllt hat. »Es ist nichts gesundes an meinem Leibe vor deinem Dräuen und ist kein Friede in meinen Gebeinen vor meiner Sünde«, beten sie.61 Der Chor ist eine in sich abgeschlossene Doppelfuge trüben, zerknirschten Ausdrucks. Er hat aber außerdem complicirte poetische Beziehungen. Von Takt 15 ab klingt in gemessenen Intervallen, von Flöten, Zink und drei Posaunen[296] geblasen, der vierstimmige Choral »Ach Herr mich armen Sünder«62 in die durch Streichinstrumente theilweise mit besondern Tonreihen begleitete Fuge hinein. Der vierstimmige Satz ist gleichfalls in sich abgeschlossen und könnte, wie die Fuge, auch allein mit befriedigender Wirkung zu Gehör gebracht werden. Trotzdem vereinigen sich beide Tonkörper, als seien sie aus einer Wurzel gewachsen. Die Tiefe der Empfindung, welche sich öffnet, wenn das kirchliche Bußlied wie von unsichtbaren Stimmen erklingend über die reuig im Staube betende Menge dahinzieht, ist unsagbar und unergründlich. Vor den beiden Stollen des Aufgesanges erscheint es jedesmal im Instrumentalbass in der Verlängerung. Wir haben noch nicht alles gesagt. Die beiden Fugenthemen sind aus zwei Zeilen des Chorals gebildet, das erste aus der letzten, das zweite aus der ersten. Die Weise, wie dies geschehen ist, mahnt an die Melodieumbildungen der Cantaten, denen der vollständige Text eines Kirchenliedes zu Grunde liegt; es ist mir aus diesem Grunde wahrscheinlich, daß die Cantate »Es ist nichts gesundes« mit jenen in eine und dieselbe engere Zeit gehört. Das aus all diesen musikalischen und poetischen Motiven entwickelte Musikstück ist höchst merkwürdig und in seiner Art einzig. Den Satz »Es ist der alte Bund« aus der Cantate »Gottes Zeit« (s. Band I, S. 453 ff.) kann man deshalb nicht vergleichen, weil dort die Chorsätze mehr nur als Zwischenstücke des Chorals auftreten. Hier aber erblicken wir die auf Chor und Orchester übertragene Form der Choralfantasie in ihrer Umkehrung: die Aufgabe der Instrumente löst der Chor, die des Chors ein Instrumentencomplex. Es ist weder ein freigestalteter biblischer noch ein Choralchor; es ist ein aus beiden gewordenes, höheres, das man staunend zu fassen sich bemüht. Eine schöne Bassarie mit selbständig entwickeltem, charaktervollem Instrumentalbass bringt dem Hörer die übermächtige Erscheinung des ersten Satzes persönlich näher: sie steht noch in jenem Empfindungskreise, leitet aber in eine tröstliche Stimmung hinüber, in welcher das Werk zu Ende geht.

Ein helleres Bild entrollt die Himmelfahrts-Cantate »Wer da [297] glaubet und getauft wird«63 In dem Hauptchor werden eine breite ruhige und eine lebhaft drängende Melodie einander gegenübergestellt und ganz in demselben Verhältniß durchgearbeitet, wie es die schöne Bassarie der Pfingstcantate »Ich liebe den Höchsten« zeigt (s. S. 275). Auch der poetische Inhalt ist derselbe, und beide Cantaten dürften zeitlich zusammengehören. Zu dem sehr sangbar geführten Chor gesellt sich eine reiche sechsstimmige Begleitung, und bewirkt einen herrlichen, gesättigten Gesammtklang, bei dessen in lebendigen Rhythmen fortströmender Fülle man der Worte des Evangeliums gedenkt: »Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium allen Creaturen«. In der Mitte findet sich ein zweistimmiger Choral (die fünfte Strophe von »Wie schön leuchtet der Morgenstern«), dessen melismatisch zerdehnte Zeilen bald vom Sopran, bald vom Alt unter Imitation der andern Stimme vorgetragen werden, während im Bass ein aus der ersten Choralzeile gebildetes charakteristisches Motiv sich fortspinnt. Ein sehr merkwürdiger Chor steht an der Spitze einer Cantate zum 21. Trinitatis-Sonntage »Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben« (Marc. 9, 24).64 Er drückt die Empfindung des Schwankens und Zweifelns in ebenso bestimmter als meisterlicher Weise aus, indem die Stimmen vereinzelt und gleichsam haltlos umher irren und sich nur selten und kurze Zeit zu compacten Gebilden zusammenschließen. Mit andern Mitteln wird dieselbe Empfindung dargestellt in der Tenorarie, deren Text uns auch zum Verständniß des Chors den Schlüssel an die Hand giebt. Am Schlusse befindet sich dieses Mal eine Choralfantasie über die siebente Strophe des Liedes »Durch Adams Fall ist ganz verderbt«. Nicht einem Sonn- oder kirchlichen Festtage sondern einer Trauungsfeierlichkeit ist die Cantate »Dem Gerechten muß das Licht immer wieder aufgehen« (Psalm 97, 11 und 12) bestimmt. Sie hat etwas überaus festliches und glänzendes, an die Art der Cantate »Lobe den Herrn meine Seele« (von 1724) erinnernd. Ein prachtvolles Fugenpaar (6. und 6/8) steht an der Spitze, in welchen wie in einigen Cantaten der ersten Leipziger Jahre die von einem kleineren Chore begonnene [298] Fugirung allmählig an den großen Chor übergeht.65 Der homophoner gehaltene Schlußchor ist breit und kräftig; beide umrahmen eine Bassarie im sogenannten lombardischen Stil,66 die mit einem an italiänische Schönheit mahnenden Melodienflusse ebenfalls einen hervorragend festlichen Charakter verbindet. Ein warmer Hauch lagert über dem ganzen Werke, das aber in dieser Gestalt schwerlich Originalcomposition ist, sondern aus Überarbeitung einer wohl der früheren Leipziger Zeit angehörigen Composition hervorgegangen sein wird.67 Es scheint dieselbe Entstehungsgeschichte zu haben wie die Trauungs-Cantate »Herr Gott, Beherrscher aller Dinge«, die wenigstens zum Theil auf einer älteren Rathswahl-Cantate »Gott, man lobet dich in der Stille«, zum Theil auch auf einem Adagio der G dur-Violinsonate68 beruht. Sehr verschlungen sind oft die Beziehungen, welche durch Überarbeitungen und Übertragungen zwischen den verschiedenen Werken Bachs sich geknüpft haben. Die genannte Rathswahl-Cantate hat allem Anscheine nach auch als zweite Jubelcantate zur Saecularfeier der Augsburgischen Confession (26. Juni 1730) dienen müssen und dürfte endlich so wie sie vorliegt in abermaliger Bearbeitung für ihren anfänglichen Zweck erscheinen. Der Bibelspruch (Ps. 65, 1) ist hier nicht als Chor componirt, was sein Inhalt verwehrt zu haben scheint, sondern als Alt-Solo, dessen blühendes Wesen doch die Feststimmung aufs deutlichste ausdrückt. Der Hauptchor folgt nach und hat madrigalischen Text. Jene Trias von Jubelcantaten, welche Bach 1730 an drei Tagen hintereinander aufführte,69 stellt sich, wie hier beiläufig bemerkt werden soll, auch in ihren beiden andern Theilen als Überarbeitung früherer Werke heraus. Die erste »Singet dem Herrn ein neues Lied« ist die Neujahrscantate von 172470, die dritte »Wünschet Jerusalem Glück« eine Rathswahl-Cantate von 1727 (25. August), welche als solche am 18. August 1741 wiederholt wurde71; sie ist aber sammt ihrem[299] Urbilde verloren gegangen. Und noch eine vierte Umarbeitung dürfen wir wohl auf 1730 verlegen. Die Behauptung wird begründet sein, daß in diesem Jahre auch die Feier des Reformationsfestes eine besondere Bedeutung erhielt und demgemäß begangen wurde. Augenscheinlich sollte die Cantate »Ein feste Burg ist unser Gott« einer solchen außergewöhnlichen Feier dienen.72 Bach suchte die weimarische Musik »Alles was von Gott geboren«, welche er mit ihrer Bestimmung für den Sonntag Oculi in Leipzig doch nicht gebrauchen konnte, wieder hervor und fügte an erster und fünfter Stelle neue Stücke ein. Es sind Choralchöre über die erste und dritte Strophe des Lutherschen Liedes. Der kühne, urkräftige Geist, der die deutsche Reformation ins Leben rief und in Bachs Kunst noch mit voller Stärke weiter wirkte, hat nie einen künstlerischen Ausdruck gefunden, welcher auch nur von ferne an diese beiden kolossalen Gestalten heranreichte. Das erste, 228 Takte zählende Stück hat die Pachelbelsche Form, nur daß der Cantus firmus von der Trompete und den Instrumentalbässen canonisch geführt wird; wie eine unbezwingliche Riesenburg ragt es auf. Das zweite ist eine Choralfantasie mit motivischer Benutzung der ersten Melodiezeile; den Cantus firmus singt der gesammte Chor im Einklange, während das Orchester ein Getümmel grotesker, wild anspringender Gestalten ausbreitet, durch welches der Chor unentwegt hindurchschreitet – eine Illustration der dritten Strophe (»Und wenn die Welt voll Teufel wär«) wie sie großartiger und charakteristischer nicht zu denken ist.73 Im Vorübergehen sei hier noch zweier andrer Überarbeitungen [300] gedacht, von denen wir nur sagen können, daß sie ungefähr in dieser Zeit, also um 1730, ausgeführt zu sein scheinen. Die Cöthener Serenade »Durchlauchtger Leopold« benutzte Bach zu einer Cantate auf den zweiten Pfingsttag (»Erhöhtes Fleisch und Blut«) und machte zu diesem Zwecke aus dem Schluß-Duett einen Chor.74 Der Geburtstags-Cantate auf die Fürstin von Anhalt-Cöthen aber gab er die Bestimmung einer Musik zum ersten Adventsonntage. Als solche wurde sie durch zwei vortreffliche Bearbeitungen des Chorals »Nun komm der Heiden Heiland« und zwei einfache Choräle bereichert. Die eine der Bearbeitungen ist Choralfantasie mit einem vom Tenor vorgetragenen Cantus firmus. In der andern dagegen wird – ein bei Bach seltener Fall – die Choralmelodie motettenartig von einem Sopran und Alt Zeile für Zeile durchgearbeitet. Man wird dabei an den schönen zweistimmigen Choralsatz in der Cantate »Wer da glaubet und getauft wird« erinnert, doch ist in der Advents-Cantate die Durcharbeitung eine ausführlichere.75

Wenn Bibelworte für Sologesang benutzt wurden, so war die feststehende Form das Bass-Arioso. Im allgemeinen ist auch Bach von diesem Brauche nicht abgewichen. Doch hat er ihn manchmal nur äußerlich beobachtet, indem er zwar die Bezeichnung »Arie« vermied, aber doch Musikstücke schrieb, die man als frei gestaltete Arien auffassen muß. Dies gilt für das Solo der Cantate »Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben«, welches den Namen »Arioso«, und das ausnahmsweise einem Alt zugetheilte Solo der Rathswahl-Cantate »Gott man lobet dich in der Stille«, das garkeine Bezeichnung trägt. Es gilt ferner für den Gesang, mit welchem eine Cantate auf den 22. Trinitatis-Sonntag »Was soll ich aus dir machen, Ephraim« (Hosea 11, 8) anhebt. Dagegen ist dem Anfangs-Solo einer Cantate auf den 5. Trinitatis-Sonntag »Siehe, ich will viel Fischer aussenden« (Jerem. 16, 61) schlankweg der Name »Arie« beigefügt. Beide Werke gehören in diese Zeit, doch läßt sich der genauere Termin ihrer Entstehung nur bei der letzteren mit Wahrscheinlichkeit angeben (13. Juli 1732).76 [301] Daraus daß die Sologesänge zu den schönsten zählen, welche Bach geschaffen hat, läßt sich aber erkennen, daß er ihnen eine Hingabe widmete, wie sie ihrem geheiligten Texte entsprach. Sie haben formelle Eigenthümlichkeiten, welche sich nicht immer aus dem Bau der Texte erklären lassen. Die durchweg ausgezeichnete Cantate »Siehe, ich will viel Fischer aussenden« enthält gar zwei solcher Solostücke über Bibelworte. Das zweite derselben beginnt mit zwei 6.-Takten in G dur als Einleitung, steht aber übrigens in D dur. Das erste besteht aus zwei großen Sätzen in D dur und G dur. Überhaupt ist die ganze Cantate hinsichtlich der Tonarten-Ordnung und der Disposition des Orchester-Accompagnements sehr merkwürdig. Einen tieferen Sinn in den Merkwürdigkeiten zu finden, will aber dieses Mal nicht gelingen. Die eigenthümliche Empfindung, welche im ersten Satze zum Ausdruck kommt, wird im Zusammenhange mit ähnlichen Erscheinungen bei Gelegenheit eines Stückes aus der Matthäus-Passion die ihr zukommende Würdigung erfahren.

Diese beiden letzten Cantaten sind abzüglich der Schlußchoräle nur Solocantaten. Wir haben ihnen noch einige der Art anzuschließen, die indessen nur auf madrigalische Dichtung gesetzt sind: »Ich armer Mensch, ich Sündenknecht« zum 22. Trinitatis-Sonntage (21. October 1731 oder 9. November 1732), »Ich will den Kreuzstab gerne tragen« zum 19. Trinitatissonntage (7. October 1731 oder 26. October 1732)77, »Jauchzet Gott in allen Landen« zum 15. Trinitatissonntage,78 endlich »Ich habe genug« zu Mariä Reinigung (1731 oder 1732)79. Die Cantate »Jauchzet Gott«, ein feuriges Jubellied für Solosopran, das in eine Choralfantasie über »Nun lob, mein Seel, den Herren« ausläuft und diese mit einem fugirten Hallelujah-Satze beschließt, steht mit dem Evangelium oder der Epistel ihres Sonntags in keinem Zusammenhang. Ihre eigentliche Bestimmung wird eine andre gewesen sein, die wir nicht einmal mehr muthmaßen können.80 Den andern drei Cantaten ist eine dunkle Stimmung gemeinsam. [302] Alle tragen sie es an der Stirne, daß Bach sie in seiner glücklichsten Zeit männlicher Schaffenskraft und – Freudigkeit schrieb. Steht eine von ihnen etwas zurück, so ist es »Ich armer Mensch«: der ersten Arie voll inbrünstig zerknirschter Empfindung sind die nachfolgenden Stücke nicht ganz ebenbürtig. Rühmend verdient bei den andern beiden Cantaten die Wärme und durchgängige Würde der Dichtungen hervorgehoben zu werden. Die am Schluß der ersten Arie von »Ich will den Kreuzstab« melodisch und rhythmisch sich schön heraushebende und wie ein tiefglückliches Aufathmen nach endlicher Erleichterung ansprechende Stelle kehrt mit wunderbarer Wirkung am Schlusse des letzten Recitativs wieder. Absicht des Dichters war dies offenbar nicht, Bach hat hier wieder einmal als Poet eingegriffen. Auch darin, daß das Werk – mit der sechsten Strophe des Chorals »Du o schönes Weltgebäude« – in der Unterdominante der Haupttonart ausklingt, liegt eine unverkennbare poetische Absicht. Die Musik zu Mariä Reinigung nimmt von den Empfindungen des alten Simeon ihren Ausgangspunkt. Sie mit der älteren Cantate »Erfreute Zeit im neuen Bunde« (S. 218 ff. dieses Bandes) zu vergleichen, ist interessant, da man sieht, wie Bach demselben kirchlichen Gegenstande zwei so ganz verschiedene Seiten abzugewinnen wußte. Dort ist die Grundempfindung heiter, lebensmuthig, hier lebensmüde in der Erwartung baldigen Todes still beseligt. Unaussprechlich schön giebt die Arie »Schlummert ein, ihr matten Augen« diese Empfindung wieder.

Diese Cantate war anfänglich für Anna Magdalena Bach componirt. Dann richtete sie der Meister für eine Mezzosopran – oder Alt – Stimme, endlich für einen Bass ein. Im Hinblick auf den kirchlichen Gebrauch mußte ihm dieses das angemessenste erscheinen, weil der Text eine Paraphrase der Worte Simeons ist, und die Anknüpfung an das Evangelium auf diese Weise auch musikalisch am augenfälligsten wurde.81 Eigentlich gedacht aber war sie als geistliche Kammer- oder Hausmusik. Es ist bedeutungsvoll, daß er [303] ihr ausdrücklich den Namen Cantata beilegt, was er bei seinen wirklichen Kirchenmusikstücken nicht zu thun pflegt. Ich komme hiermit auf einen oben berührten Gegenstand zurück. Eine Art der Empfindung, welche mehr auf häusliche als kirchliche Erbauung hinweist, tritt in gewissen Werken der mittleren Leipziger Periode hervor. Sie sprach aus der Cantate »Wer nur den lieben Gott läßt walten«; nur sie konnte es sein, welche den Meister antrieb ganz gegen die Gewohnheiten seines früheren und späteren Lebens in einer Anzahl von Cantaten zwar echte Kirchenlieder durchzucomponiren, aber die Theile der Choralmelodien auf allerhand geistreiche Art umzubilden und ihnen andre musikalische Zusammenhänge zu geben. Sonst galt ihm der Choral wie ein Dogma, an dessen unveränderliche Größe sich der einzelne anlehnt – das war kirchlich; hier löste er ihn in die subjective Empfindung auf – das entsprach dem Wesen privater Andacht. Naturgemäß wird eine solche sich vorzugsweise in den Formen des Sologesanges äußern. Solocantaten hatte Bach auch in früheren Zeiten schon manche geschrieben. Aber mit einziger Ausnahme der weimarischen Cantate »Ich weiß, daß mein Erlöser lebt« trägt in keiner von allen die wir nachweisen konnten eine und dieselbe Stimme das ganze vor. Darin beruht ein wesentlicher Unterschied. Denn durch die Theilnahme mehrer Stimmen an demselben Gegenstande – sei es auch nur nach einander – wird doch dem Empfindungsausdruck das subjective genommen. In den Cantaten der mittleren Periode wird das zum Theil anders. Die erste, welche man im engsten Verstande Solocantate nennen kann, indem nur eine einzige Stimme in ihr wirkt, war die Septuagesimae-Musik »Ich bin vergnügt« und daß eben sie zunächst für einen häuslichen Zweck gedacht worden ist, scheint aus der Umdichtung des Textes klar hervorzugehen. Ihr schlossen sich nach und nach noch sieben andre an, von denen die Composition »Ich will den Kreuzstab gerne tragen« ebenfalls von Bach selbst mit der Bezeichnung Cantata à Voce sola è stromenti versehen ist. Auffallen muß, daß ein bedeutender Theil derselben: »Geist und Seele«, »Gott soll allein mein Herze haben«, »Vergnügte Ruh«, für eine Alt- oder Mezzosopranstimme geschrieben ist. Soprancantaten fanden wir ebenfalls drei: »Ich bin vergnügt«, »Jauchzet Gott«, »Ich habe genug«, von welchen die letzte jedoch auch für Alt und sodann für Bass eingerichtet wurde. Wenn [304] wir uns die Soprancantaten zunächst wohl für Bachs Gattin componirt denken dürfen, so war bei den Alt-Cantaten vielleicht die Tochter Katharina gemeint, deren Gesangstüchtigkeit ja der Vater selbst ein günstiges Zeugniß ausstellte. Tenor- und Bass-Cantaten begegneten uns abgesehen von der genannten Bearbeitung nur je eine: »Ich armer Mensch«, »Ich will den Kreuzstab«. Daß die Reihe derartiger in eben dieser Zeit geschaffener Compositionen hiermit beendigt wäre glaube ich nicht. Eine Composition für Sopran auf den 23. Trinitatissonntag, (»Falsche Welt, dir trau ich nicht«), welcher der erste Satz des ersten brandenburgischen Concerts in derselben Weise als Einleitung vorhergeht, wie der Cantate »Ich liebe den Höchsten« der erste Satz des dritten82, gehört gewiß eben so wohl in diesen Zusammenhang, wie eine Alt-Cantate ohne besondere Bestimmung (»Widerstehe doch der Sünde«)83 und wie jene allbekannte schöne Arie für Alt »Schlage doch, gewünschte Stunde«, in deren Textworten ich Francksche Poesie zu erkennen glaube.84 Es liegt auf der Hand, daß diese Arie nicht für die Kirche bestimmt gewesen sein kann, da keine Stelle des Cultus auffindbar ist, wo man sie hätte anbringen können; für eine reguläre Kirchenmusik, welche ihre 25 bis 30 Minuten dauern mußte, ist sie zu kurz, für eine außergewöhnliche Trauerfeierlichkeit paßt ihr Text nicht. Man darf sich auch wohl versichert halten, daß Bach, wie geneigt auch immer, das Glockenläuten musikalisch nachzuahmen, eine wirkliche Campanella in der Kirche doch nicht hätte mitwirken lassen, während im häuslichen Kreise niemand daran wird Anstoß genommen haben.85 Die andern Cantaten für eine Solostimme mögen sämmtlich auch beim Gottesdienst gebraucht worden sein. Eine Stilwidrigkeit hat sich Bach hierdurch ebensowenig zu Schulden kommen lassen, [305] wie dadurch, daß er weltliche Cantaten für die Kirchenmusik verwendete. Es ist schon früher einmal gesagt, daß seine Schreibweise überhaupt von einem kirchlichen Geiste durchdrungen war und daß er in gewissem Sinne kirchlich blieb, auch wenn er weltlich sein wollte.86 Aber innerhalb dieser weitesten Gränzen lassen sich wieder feinere Unterschiede denken. Durch solche hebt sich allerdings Bachs weltliche Musik von seiner original-kirchlichen ab, und solche bestehen auch zwischen letzterer und denjenigen Compositionen, die zu dieser Auseinandersetzung den Anlaß gaben.

Im übrigen erweist sich die zeitlich mittlere Periode in Bachs Cantaten-Production auch innerlich als eine mittlere dadurch, daß in ihr Richtungen zusammentreffen, denen wir den Meister vorher und nachher mit merklicherer Einseitigkeit folgen sehen. Alle derartige Gränzbestimmungen haben freilich wie überhaupt im Leben so auch in einer Künstlerentwicklung nur dann etwas zutreffendes, wenn man ihnen eine gewisse Beweglichkeit und Verschiebbarkeit zugesteht. Ihr Werth wird dadurch nicht beeinträchtigt. Cantaten mit freien Chören über biblische und madrigalische Texte, sowie Solocantaten für mehre Stimmen finden wir in der mittleren Periode noch in ziemlicher Anzahl und in Exemplaren, welche an Großartigkeit und Tiefe früheren ähnlichen Werken um nichts nachstehen. Daneben aber macht sich die eigentliche Choralcantate schon sehr entschieden bemerkbar, welche dann in Bachs letztem Lebensabschnitte immer mehr das Übergewicht erhält. Die Zeit von 1727 bis gegen 1734 ist in Bachs Leben die reichste und blühendste. Das merkt man schon bei der Betrachtung der Kirchencantaten allein. Es wird sich bestätigen, wenn wir den andern Gebieten näher treten, auf welchen sein reicher Geist sich gleichzeitig schöpferisch erwies.

Fußnoten

1 Das weitere hierüber Anhang A, Nr. 34.


2 In der Burgstraße; s. Das jetzt lebende und florirende Leipzig. 1736. S. 14; 1746 und 1747 S. 11.


3 Z.B. Telemann in seinem »Harmonischen Gottes-Dienst«. Hamburg, 1725.


4 S. S. 83 f. dieses Bandes.


5 Im Besitz des Herrn Professor Epstein in Wien. – S. Anhang A, Nr. 36.


6 B.-G. XIII1, Nr. 3.


7 S. Band I, S. 554.


8 Die autographe Partitur ist im Besitz des Herrn Major Max Jähns zu Berlin. – S. Anhang A, Nr. 36.


9 S. Anhang A, Nr. 35.


10 Das Autograph fehlt. Eine Handschrift des Merseburger Cantors Christian Friedrich Penzel, welcher von 1751–1756 Alumne der Leipziger Thomasschule war, besitzt Herr Kammersänger Joseph Hauser in Carlsruhe.


11 Nur durch eine aus Zelters Besitz stammende neuere Handschrift ist mir das Werk bekannt. In ihr sind dem Anfangsduett noch der Choral »Auf, mein Herz, des Herren Tag« und ein Chor »So du mit deinem Munde bekennest Jesum« vorgefügt. Über die Echtheit des Chorals kann wohl kein Zweifel sein; starke Bedenken habe ich gegenüber dem Chor: die Art der Melodieführung und Fugirung ist nicht Bachisch, eher Telemannisch. Nach diesen beiden Anfangsstücken cursirt die Cantate auch unter der Bezeichnung »Auf, mein Herz« und »So du mit deinem Munde bekennest« (s. Mosewius, J.S. Bach in seinen Kirchen-Cantaten und Choralgesängen. S. 21.) mit der Bestimmung für den ersten Ostertag oder überhaupt für das Osterfest.


12 Daß sie dieses gewesen ist, geht aus einer nachträglich in den Taufregistern der Cöthener Cathedralkirche unter dem 25. Sept. 1721 aufgefundenen Notiz hervor.


13 S. Gerber, L. I, Sp. 76.


14 B.-G. XX1, Nr. 84. – S. Anhang A, Nr. 36.


15 Vrgl. Band I, S. 740 f.


16 S. Band I, S. 535 und 486 f.


17 B.-G. V1, S. 266.


18 Original-Partitur und -Stimmen zu der Cantate »Ich liebe den Höchsten« auf der königl. Bibliothek zu Berlin. – S. Anhang A, Nr. 36.


19 S. Band. I, S. 559.


20 Der Entwurf steht auch in D dur. Die Trompete beginnt:


6.

Von den Singstimmen ist nur die erste Note des Basses vorhanden mit dem darunterstehenden Worte »Man«. Die Partitur von »Phöbus und Pan« befindet sich auf der königl. Bibliothek zu Berlin.


21 Das Autograph der Cantate ist nicht bekannt. Eine Abschrift von Penzel besitzt Herr Joseph Hauser in Carlsruhe.


22 B.-G. XVII, Nr. 1.


23 S. Anhang A, Nr. 37.


24 B.-G. VII, Nr. 35. – S. Anhang A, Nr. 36.


25 Vom Original ist nur ein Fragment des ersten Satzes übrig; man findet es B.-G. XVII, S. XX.


26 B.-G. XVII, S. 45 ff.


27 Dem Herausgeber des Concerts in der Ausgabe der B.-G. ist das zwischen dieser Arie und dem Siciliano des Concertes bestehende Verhältniß entgangen. Nach Aufzeigung desselben wird sich seine Behauptung, die Cantate sei das frühere, das Concert das spätere Werk (B.-G. XVII, S. XV), kaum noch aufrecht erhalten lassen. Zwar ist soviel einleuchtend, daß das E dur-Concert in seiner jetzt vorliegenden Fassung der Cantate nicht wohl vorangegangen sein kann, selbst wenn man diejenigen Vereinfachungen in Abzug bringt, welche das andersgeartete Wesen der Orgel erforderte. Aber der Gesang der H moll-Arie macht trotz aller aufgewendeten Meisterschaft dennoch zu deutlich den Eindruck einer nachträglich hineincomponirten Melodie, als daß man es für möglich halten könnte, die H moll-Arie sei in der Form wie sie in der Cantate sich findet Originalcomposition und später erst zum Zwecke des Concerts vereinfacht. Einen Mittelweg, der aus diesem Dilemma herausführt, gewährt die Annahme, daß das Clavierconcert in E dur uns vollständig jetzt nur in einer späteren Bearbeitung vorliegt, wie man eine solche vom D moll-Concert gleichfalls nachweisen kann, und daß Bach bei der Übertragung in die Cantate der älteren Fassung folgte. Vom Siciliano ist eine solche ältere Fassung noch vorhanden und mitgetheilt B.-G. XVII, S. 314 f. Es kann kein Bedenken erregen, daß die ersten sechs Takte des Clavierparts der älteren Fassung in der Cantate durch Pausen ausgefüllt werden, da hier das Clavier nur Begleitungsfiguren hat, welche sich auf der Orgel schlecht machen würden. Bach trug in späteren Jahren seine Clavierconcerte in einen Band zusammen und dürfte bei dieser Gelegenheit die Überarbeitungen vorgenommen haben. – S. Anhang A, Nr. 38.


28 B.-G. X, Nr. 49.


29 S. Band I, S. 688 ff.


30 B.-G. V1, Nr. 29. – W. Rust ist (B.-G. V1, S. XXXII und B,-G. VII, S. XXVII) der Meinung, das Violin-Praeludium sei nach der Sinfonie arrangirt. Dem widerspricht vor allem der Umstand, daß die Violinsuiten lange vor 1731 vollendet waren (s. Band I, S. 824 f.) – Das Datum der Aufführung ergiebt sich aus den Acten des Leipziger Raths »Rathswahl betr. 1701. Vol. 2.«


31 B.-G. XVII, S. 223. – S. Band I, S. 417 f.


32 Auf die erstere Wiederholung hat A. Dörffel aufmerksam gemacht (Musikalisches Wochenblatt. Leipzig 1870. S. 559); die zweite kennen wir aus einem der autographen Partitur beiliegenden Textbuche vom Jahre 1749.


33 Die Taktvorzeichnung erheischt ein ziemlich lebhaftes Tempo. Bach sagt in seiner Generalbasslehre Cap. 4., die Art durch eine 2 einen »schlechten Takt« zu bezeichnen werde »gebraucht von denen Franzosen in solchen Stücken, welche sollen geschwind und frisch gehen, und die Teutschen thun es den Franzosen nach«. Er selbst fühlte sich also in diesem Falle als Nachahmer der Franzosen.


34 S. Chrysander, Händel I, S. 393 ff.


35 B.-G. V1, Nr. 27. – S. Anhang A, Nr. 38.


36 In der Ausgabe der B.-G. ist unbeachtet geblieben, daß die Arie in der Partitur die Beischrift führt: Aria à Hautb. da Caccia e Cembalo obligato. Dagegen steht über der autographen Orgelstimme Organo obligato und auf dem Stimmenumschlag von Bach ebenfalls eigenhändig Organo oblig. Auffallen muß, daß die Orgelstimme nicht transponirt ist, also in Es dur steht. Wahrscheinlich geschah dieses dem Spieler zu Gefallen, welcher bei den Proben die concertirende Stimme auf dem Cembalo ausführen sollte, während Bach bei der Aufführung in der Kirche selber gespielt und aus dem Stegreif transponirt haben wird.


37 Fünffache Kirchenandachten, S. 294.


38 Rosenmüllers Composition steht bei Vopelius, S. 947 ff. Bach hat sie unverändert beibehalten; eine kleine Abweichung im sechsten Takte beruht zuverlässig nur auf einem Schreibversehen, s. hierüber Rust B.-G. V1, S. XXVII.


39 Die Trauerode wurde zur Marcus-Passion umgearbeitet und gelangte als solche 1731 zur ersten Aufführung.


40 S. Anhang A, Nr. 38. – Die autographe Partitur ist auf der königl. Bibliothek zu Berlin. Ebenda befindet sich aus Fischhoffs Nachlaß eine neuere Abschrift, in welcher die Cantate aus D dur nach C dur versetzt ist. Übrigens ist auch nur der erste Satz derselben beibehalten, dann folgt ein neues Recitativ und darauf ein großer Schluß-Chor, der nichts anderes ist, als der Anfangschor von »Herz und Mund und That und Leben« im 3/4 Takte und mit etwas verändertem Texte. Ich weiß nicht auf welche Vorlage sich diese Abschrift gründet und daher auch nicht, ob die Umgestaltung Bach selbst zum Urheber hat. Möglich wäre es wohl; da die Cantate »Herz und Mund« in Leipzig zu Mariae Heimsuchung gebraucht wurde, könnte sie in dieser Verquickung 1742 aufgeführt worden sein, wo Mariae Heimsuchung (2. Juli) dem 6. Trinitatis-Sonntage (1. Juli) unmittelbar folgte.


41 Hiller, Beyträge zu wahrer Kirchenmusik. Zweyte vermehrte Auflage. Leipzig, 1791. S. 7.


42 B.-G. XXIV. Nr. 112. – S. Anhang A, Nr. 36.


43 Die auf der königl. Bibliothek zu Berlin befindliche autographe Partitur trägt am Schlusse die Notiz: »Il Fine SDGl. ao 1732.« Die Originalstimmen sind auf der Bibliothek der Thomasschule zur Leipzig. – S. Anhang, A, Nr. 33.


44 Originalstimmen auf der Bibliothek der Thomasschule. Eine Abschrift Penzels von 1757 auf der königl. Bibliothek zu Berlin. – S. Anhang B, Nr. 38.


45 Originalstimmen auf der Bibliothek der Thomasschule. – S. Anhang A, Nr. 36. – Diese Cantate hängt ebenso wie »Lobe den Herren meine Seele« (s. S. 236 f. dieses Bandes) augenscheinlich mit dem Rathswechsel zusammen. Der 12. Trinitatis-Sonntag war 1732 der erste Sonntag nach Bartholomäi, mit welchem Tage der Rathswechsel einzutreten pflegte; der Rathswahlgottesdienst selbst fand am 25. August statt.


46 B.-G. XXII, Nr. 97. – S. Anhang A, Nr. 39.


47 »Sei Lob und Ehr« B.-G. XXIV. Nr. 117. »Was willst du dich betrüben« XXIII, Nr. 107. »Was Gott thut, das ist wohlgethan« XXII, Nr. 100. – »Nun danket alle Gott« ist in, leider unvollständigen, Originalstimmen auf der königl. Bibliothek zu Berlin. – S. Anhang A, Nr. 33.


48 Der Anklang an den Choral »Nun danket alle Gott« in der Rathswahlmusik »Preise Jerusalem den Herrn« (s. S. 194 dieses Bandes) kann hier nicht in Betracht kommen, da jener Choral in der Cantate sonst nirgends vorkommt. Die Nachbildung hat dort nur eine poetisch-symbolische Bedeutung.


49 S. Band I, S. 693.


50 S. Band I, S. 208.


51 Die Cantate, deren Originalstimmen die Bibliothek der Thomasschule aufbewahrt, ist jetzt nur bei Winterfeld, Evang. Kirchenges. III, Beilage S. 172 ff. veröffentlicht. – Über das Entstehungsjahr s. Anhang A, Nr. 33.


52 S. S. 185 dieses Bandes.


53 B.-G. XXII, Nr. 99.


54 B.-G. XXII, Nr. 98. – S. Anhang A, Nr. 38.


55 B.-G. I, Nr. 9. – S. Anhang A, Nr. 33.


56 B.-G. XXII, Nr, 95. – Anhang A, Nr. 40.


57 B.-G. XII2, Nr. 58. – S. Anhang A, Nr. 38.


58 B.-G. XII2, Nr. 60. – S. Anhang A, Nr. 41.


59 Die Cantate in ihrer Urgestalt wieder hergestellt zu haben ist eines der zahlreichen Verdienste Rusts. Weiteren Kreisen war sie früher nur durch die Ausgabe von A.B. Marx bekannt (Kirchenmusik von J.S. Bach. Nr. 2. Bonn, Simrock). Jetzt ist sie veröffentlicht B.-G. XXIII, Nr. 102. – S. Anhang A, Nr. 38.


60 Die Bedenken, welche M. Hauptmann gegen die Stelle Takt 37–44 erhob, sind von Rust durch den Hinweis auf die Disposition des Ganzen hinfällig gemacht, wenn auch nicht zu leugnen ist, daß die Vorwegnahme der Worte »Du schlägest sie, aber sie fühlen es nicht, du plagest sie, aber sie bessern sich nicht«, welche sich überdies nicht einmal mit dem gehörigen Nachdruck auseinander legen, etwas befremdendes hat.


61 B.-G. V1, Nr. 25. – S. Anhang A, Nr. 33. Das diplomatische Merkzeichen ist nur im Umschlage der Originalstimmen einigermaßen deutlich.


62 Nur dieses Gedicht kann gemeint sein. Die Melodie gehört bekanntlich auch zu dem Liede »O Haupt voll Blut und Wunden«.


63 B.-G. VII, Nr. 37. – S. Anhang A, Nr. 33.


64 B.-G. XXIII, Nr. 109. – S. Anhang A, Nr. 33. Das diplomatische Merkzeichen tritt zwar nicht in der autographen Partitur, wohl aber in den Originalstimmen deutlich hervor.


65 S. S. 187 dieses Bandes.


66 S. Band I, S. 413.


67 B.-G. XIII1, S. 3 ff.


68 B.-G. XXIV, Nr. 120. – Vrgl. B.-G. IX, S. 252 ff., und Band I, S. 724 f. – S. Anhang A, Nr. 42.


69 Vrgl. S. 70 dieses Bandes.


70 S. S. 215 f. dieses Bandes.


71 Jedoch mit einigen Auslassungen und Zusätzen, s. Nützliche Nachrichten von Denen Bemühungen derer Gelehrten u.s.w. Leipzig, 1741. S. 82 ff.


72 B.-G. XVIII, Nr. 80. – S. Band I, S. 810 f. Möglich ist allerdings auch, daß diese Cantate für 1739 geschrieben wurde, unter Hinblick auf das 200 jährige Jubiläum der Annahme der evangelischen Lehre in Sachsen. Die Jubelfeier selbst fand in den Hauptkirchen am Pfingstfeste (17. Mai) statt, jedoch auf ausdrückliche Verordnung ohne besonderes Ceremoniel. Die Universität beging das Andenken an jenes Ereigniß am 25. August; Görner hatte zu diesem Zwecke eine lateinische Ode componirt (Gretschel, Kirchliche Zustände Leipzigs vor und während der Reformation im Jahre 1539. Leipzig, 1839. S. 292 f.). – Daß die Reformations-Cantate »Gott der Herr ist Sonn und Schild« weder für 1730 noch 1739 componirt ist, wird später gezeigt werden.


73 Die Cantate erschien um 1822 bei Breitkopf und Härtel in Leipzig als die erste, welche nach Bachs Tode durch den Stich veröffentlicht wurde. Rochlitz widmete ihr eine Besprechung (Für Freunde der Tonkunst. Band 3, S. 229 ff.)


74 S. Band I, S. 618 f. – S. Anhang A, Nr. 33.


75 B.-G. VII, Nr. 36. Vrgl. Band I.S. 765 f. – S. Anhang A, Nr. 33.


76 B.-G. XX1, Nr. 88 und 89. Zu ersterer Nr. s. Anhang A, Nr. 38. Zu letzterer Anhang A, Nr. 33; das Wasserzeichen ist nur in der Hornstimme zu erkennen. Nicht entstanden kann diese Cantate sein im Jahre 1733, weil da das Reformationsfest auf den 22. Trinitatis-Sonntag fiel.


77 B.-G. XII2, Nr. 55 und 56. – S. Anhang A, Nr. 33.


78 Ebenda, Nr. 51. – S. Anhang A, Nr. 33.


79 B.-G. XX1, Nr. 82. – S. Anhang A, Nr. 36.


80 Darauf deutet auch der Zusatz »et in ogni Tempo«. Der Text ist später umgedichtet worden (s. B.-G. XII2, S. IX). Soweit die Umdichtung die erste Arie betrifft, könnte man aus ihr auf eine Verwendung zum Michaelisfeste schließen. Danach dürfte eine Wiederaufführung der Cantate 1737 stattgefunden haben, wo 15. Trinitatissonntags und Michaelisfest auf denselben Tag fielen.


81 S. Anhang A, Nr. 43.


82 B.-G. XII2, Nr. 52.


83 B.-G. XII2, Nr. 54. – Dieses Werk ist auch in Breitkopfs Verzeichniß von Michaelis 1761 nicht unter der Rubrik »Kirchenmusiken« sondern S. 10 unter der Rubrik »Geistliche kleine Cantaten und Arien« angeführt.


84 B.-G. XII2, Nr. 53.


85 In Breitkopfs vorher citirtem Verzeichniß steht S. 23 auch: »Trauer-Arie: Schlage doch gewünschte Stunde, à Campanella, 2 Violini, Viola, Alto solo, Basso.«, und nicht »Organo«. Sonderbar, daß diese doch unzweifelhaft Bachische Composition urkundlich nirgends als solche verbürgt ist: auch in Breitkopfs Verzeichniß steht sie ohne Autornamen. – Forkels Meinung, die Arie gehöre eben der Campanella wegen in eine Zeit, da Bachs Geschmack noch nicht gereinigt gewesen sei (Über Joh. S. Bachs Leben und Kunstwerke S. 61 f.), findet durch obiges wohl ihre Erledigung. Ganz sicher ist diese volle, ausgereifte Form kein Jugendwerk.


86 S. Band I, S. 560.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1880..
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