II.

Im Vordergrunde des Bildes von Bachs späterer Compositionsthätigkeit stehen dessen lateinische Messen. Er hat deren fünf geschrieben. Die erste Frage ist, ob und in welcher Art dieselben mit dem protestantischen Gottesdienst zusammenhängen.

Die Form des Cultus der Leipziger Hauptkirchen war in einer näheren Verwandtschaft mit der katholischen Gottesdienstordnung geblieben, als dieses an andern Orten zu bemerken ist. Schon bei einer früheren Gelegenheit wurde hierüber ausführlicher gesprochen.1 Neben lateinischen Hymnen und Responsorien, neben lateinischen Motetten hatte sich für die Vespergottesdienste der drei hohen Feste auch das lateinische Magnificat behauptet, und wir sahen wie Bach hieraus Veranlassung zur Composition eines seiner hervorragendsten Werke gewann.2 So bestanden auch die Hauptbestandtheile der choralischen lateinischen Messe und zwar an den ihnen von altersher zugewiesenen Stellen des Cultusganges fort; zum Theil folgten ihnen die ersetzenden deutschen Gesänge nach. Stehend für alle Sonn- und Festtage waren allerdings nur Kyrie, Gloria und Credo, und selbst diese Theile wurden nicht immer vollständig gesungen. Das Sanctus kam allein an den hohen Festtagen vor; [506] über das Agnus dei fehlt jeder Nachweis, es scheint in choralischer Form nicht gebraucht worden zu sein.

Anders verhält es sich mit der figuralen Behandlung der Messensätze, welche in zusammenhängender Weise im Leipziger Gottesdienste nicht zur Entfaltung kam. Die protestantische Kirchencantate hatte alle übrige Figuralmusik theils verdrängt theils sehr beschränkt. Nicht einmal für die kurze Messe – Kyrie und Gloria – war Raum geblieben, sie als Ganzes vorzutragen. Aus der früher gegebenen Darstellung der Leipziger Cultusformen ergiebt sich als feststehend nur der Gebrauch des Kyrie am 1. Adventsonntage und Reformationsfeste, und des Sanctus an den drei hohen Festen. Sollte sonst ein Messensatz musicirt werden, so mußte es gelegentlich geschehen. Für den Gebrauch des Gloria bot sich von selbst das Weihnachtsfest dar; es trat dann an Stelle der Cantate, und wirklich hat auch Bach das Gloria seiner H moll-Messe als Weihnachtsmusik benutzt und in eine entsprechend kürzere Form gebracht. Wollen wir weitere Aufschlüsse über gelegentliche Verwendung von Messensätzen gewinnen, so müssen wir aus der nach-Bachischen Zeit zurückschließen. Dies kann aber mit voller Sicherheit geschehen. Das ganze 18. Jahrhundert hindurch arbeitete man auf Einschränkung oder gänzliche Entfernung der lateinischen Liturgietheile hin. Womit 1702 der städtische Rath begonnen hatte, das setzte noch 1791 Johann Adam Hiller fort, obgleich seitdem der Bestand lateinischer Gesänge schon zusammengeschmolzen war.3 Was also derartiges später noch üblich war, das ist es zuverlässig auch zu Bachs Zeit, und in weiterem Maße gewesen. Wir finden in der späteren Zeit beispielsweise am Feste der Heimsuchung Mariä unter der Communion das Agnus, am Nachmittage desselben Festes nach der Motette das Gloria. In der Universitätskirche, die deshalb herbeigezogen werden kann, weil sich ihr Cultus nach und an demjenigen der Nikolai- und Thomaskirche entwickelte, wurden im Kirchenjahr 1779–1780 folgende Messensätze musicirt: zum Weihnachtstage das ganze Gloria einer Messe von Gassmann, zum Feste der Erscheinung Sanctus nebstBenedictus und Agnus einer Messe von Haydn, zum Jubilate-Sonntag [507] ein Gloria von Hasse, zum Trinitatisfest ein Credo von Haydn, zum zweiten Mess-Sonntage ein Gloria von Graun. Hier finden sich also außer dem Kyrie alle Theile der Messe vertreten.4

Wenn die Liturgie die Aufführung auch nur einiger Theile der Messe im Figuralstile zur Vorschrift machte, so war hierdurch immerhin eine gewisse Fühlung mit der Messe als Ganzem erhalten, zumal sie in ihrer choralischen Urform fast vollständig noch im Cultus erschien. Künstlerische und religiöse Gründe sprachen mit, um sie wenigstens als Missa brevis fortleben zu lassen. Ein einzelnes Kyrie zu componiren konnte den christlichen Künstler nicht befriedigen, da die trübe Stimmung desselben nach einem hellen Gegensatz, das Gefühl der Schuld nach Erlösung verlangte.5 Wenn am ersten Adventsonntage ein figurales Kyrie gesungen werden mußte, wenn dann am ersten Weihnachtstage das Gloria in excelsis deo et in terra pax hominibus den Grundgedanken der ganzen Feier aussprach, so war es natürlich, daß der Componist beides auf einander bezog und zu einem Kunstwerke zusammenfaßte. Demgemäß haben auch Bachs Vorgänger Knüpffer und Kuhnau schon kurze Messen componirt.6 Nicht weniger Görner, auch Hoffmann, der zeitweilige Dirigent des Telemannschen Musikvereins;7 da dieser in der Neuen Kirche Aufführungen veranstaltete, dieselben aber nur an den hohen Festtagen und in der Messzeit stattfanden, so muß man annehmen, daß hier Kyrie und Gloria sogar im Zusammenhange, während eines und desselben Gottesdienstes musicirt worden sind. Für Bach trat indessen noch etwas anderes hinzu, was ihn zur Composition von Messen treiben mußte und zu mehren seiner derartigen Werke wohl die erste Veranlassung wurde. Es war seine Verbindung mit Dresden, sein hierdurch gewecktes lebhaftes Interesse für italiänische und überhaupt katholische Kirchenmusik, seine Verpflichtung endlich, als Componist des königlich-churfürstlichen Hofes für denselben von [508] Zeit zu Zeit etwas zu liefern. Bachs Neigung für Lottis Musik ist schon berührt.8 Ausser einer G moll-Messe dieses Meisters, welche er in der mittleren Leipziger Zeit größtentheils eigenhändig abschrieb,9 liegt noch eine im italiänischen Stile abgefaßte Messe für zwei Chöre (und einen verstärkenden Chor) mit Instrumenten (G dur) vor, welche Bach ausschließlich der ersten zwölf Seiten, und zwar gegen 1738, ebenfalls abgeschrieben hat. Man kann in ihr auch wohl eine Lottische Messe sehen, wenngleich sie für diesen Meister auffällig diatonisch ist; jedenfalls rührt sie von einem Italiäner oder ganz in italiänischer Kunst aufgegangenen Deutschen her.10 Aber weit über Lotti zurückgehend hat sich Bach selbst mit Palestrina beschäftigt, von welchem er eine große Messe in Stimmen für die Sänger und die hinzugefügten verstärkenden Instrumente nebst Generalbass ausschrieb.11 Von einem ungenannten Italiäner seiner Zeit schrieb er sich noch eine kurze C moll-Messe in Partitur ab.12 Ein Magnificat von Caldara (C dur) existirt als Bachs Autograph, ein solches von Zelenka (D dur) in der Handschrift seines Sohnes Wilhelm Friedemann.13 Noch eine Anzahl andrer anonymer, aber zum Theil sicherlich italiänischer Magnificat liegen theils in Bachs eigenhändiger Partitur, theils in Stimmen vor, die zumeist von Anna Magdalena Bach herrühren, und hier und da mit eigenhändigen Zusätzen Sebastians versehen sind.14 Hieraus ergiebt sich, daß er diese Werke nicht nur für sich studirte, sondern auch aufführte. Es kommt selbst vor, daß er ihnen Sätze eigner Composition einfügte. Wir sahen früher, daß er die Form seines großen Magnificat durch Einschiebung [509] von vier Weihnachtsgesängen erweiterte.15 Eben dieses hat er auch bei einem fremden Magnificat (D dur) gethan, doch stehen mit Ausnahme des »Freut euch und jubilirt« die Weihnachtsgesänge hier an andern Stellen. In der genannten C moll-Messe ist das Christe eleison – ein kurzes aber sehr kunstreiches Duett über einen Basso quasi ostinato – seine eigne Arbeit. Auch anderer Tonsetzer lateinische Messen oder Messensätze hat er zusammengebracht; so eine Messe des churfürstlich-pfälzischen Capellmeisters Wilderer und manches andre, was eine Zeitlang fälschlich für seine eigne Composition galt.16 Zur Genüge aber erhellt hieraus, wie Bach der katholischen und insbesondere italiänischen Kirchenmusik eine Aufmerksamkeit zuwandte, die um so bemerkenswerther ist, als sie erst in der Zeit seiner vollsten Reife deutlich hervortritt und ein gebieterisches praktisches Bedürfniß nach solchen Kirchenstücken für ihn nicht vorlag. Daß er endlich mehre seiner eignen Messen für den Dresdener Hof geschrieben habe, macht, soweit wir es nicht wie bei den ersten Sätzen der H moll-Messe bestimmt wissen, die Entstehungszeit derselben und auch ihr Inhalt wahrscheinlich. Von den vier kurzen Messen sind zwei um 1737 entstanden, da Bach eben zum Hofcomponisten ernannt worden war. Über den Inhalt wird eingehenderes zu sagen sein.

Bachs kurze Messen stehen in G dur, G moll, Ad ur und F dur. Eine chronologische Aufreihung derselben kann nicht gegeben werden, da nur sicher ist, daß sie alle nach 1730, und daß die erste und dritte um 1737 geschrieben sind. Ich darf meine Überzeugung dahin aussprechen, daß Bach alle vier in kurzer Zeit nach einander componirt haben wird, und ordne sie im übrigen nach inneren Merkmalen. Die G dur- und G moll-Messe sind keine Originalcompositionen, [510] sondern gänzlich aus Bestandtheilen früher componirter Cantaten zusammengesetzt.17 Es machten sich hierfür verschiedene Umarbeitungen nöthig, die wie immer bei Bach sehr lehrreich und in manchem Betracht bewunderungswürdig sind. Auch ohne daß der neue Text und Zweck dazu veranlaßte hat er bisweilen die Tonstücke reicher und freier gestaltet. Aber eben so unverkennbar ist auch die Gewalt, welche er seinen eignen Schöpfungen bei ihrer Umformung zu Messentheilen angethan hat. Es giebt Umarbeitungen, die das Object aus dem Zustande niedriger Gebundenheit erlösen: wenn Bach vom weltlichen Gebiet etwas ins kirchliche überträgt, pflegt dieses einzutreten. Es giebt auch Umarbeitungen, welche auf den Keim der Idee zurückgehen und aus ihm unter andern Bedingungen eine neue Gestalt entwickeln. Es giebt endlich solche, die nur lebendige Reproductionen desselben Stückes sind: wie eine fertige Composition je nach dem Charakter des Vortragenden, nach augenblicklicher Stimmung, Zeit, Ort und Umgebung jedesmal verschieden zur Erscheinung gebracht werden wird, so geschieht es auch wohl, daß Bach ein Tonstück mit geringen Abweichungen nur unter andern Voraussetzungen wirksam werden läßt. Alle diese Arten haben ihre künstlerische Berechtigung, aber keine von ihnen ist bei den genannten Messen angewendet. Sie sind so weit dies bei einem Bach überhaupt möglich war mechanische Arrangements. Will man sehen, mit welch grausamer Objectivität Bach die großartige Ordnung seiner Tonbauten zerstören konnte, so vergleiche man das Gloria der G dur-Messe mit seinem Urbild. Mehr in den Einzelheiten, aber doch empfindlich genug ist der erschütternde Eingangschor der Cantate »Herr deine Augen sehen nach dem Glauben« vergewaltigt, als er sich in die Form des Kyrie der G moll-Messe umzwängen lassen mußte. Andre Sätze haben weniger Rücksichtslosigkeiten zu erleiden gehabt, aber ein künstlerischer Zweck der Umformung ist nirgends ersichtlich. Schon die oberflächliche Vergleichung muß durchweg zu Gunsten der Cantaten ausfallen. Dort [511] erscheint jedes Stück lebendiger Begeisterung entsprungen, dem poetischen Inhalte voll entsprechend, im Ganzen seinen eigenthümlichen Platz ausfüllend. Hier sind prachtvoll entfaltete Blumen von ihren Stengeln geschnitten und zum verwelklichen Strauß gebunden. In der G moll-Messe hat Bach nicht einmal den tief in der Sache begründeten und damals schon typisch gewordenen Gegensatz zwischen Kyrie und Gloria beobachtet. Das Gloria tritt dem leidenschaftlich erregten Kyrie nicht im strahlenden Weihnachtsglanze entgegen, sondern setzt dasselbe mit dem trüben Gewoge unerfüllter Sehnsucht fort, selbst der imposante Schlußchor verharrt in düsterm Ernst.

Die G dur- und G moll-Messe kann Bach nicht für seine Leipziger Kirchen geschrieben haben, das sieht ein jeder. Da in der Liturgie derselben die Figuralmesse als Ganzes garkeinen Platz hatte, so ist durchaus unerfindlich, was ihn hätte bewegen können, aus einigen seiner schönsten Cantaten zwei fragwürdige Werke zusammen zu plündern, um sie der Gemeinde gelegentlich in unwirksamen Fragmenten vorzusetzen. Diese Messen müssen für außerhalb bestimmt gewesen sein, und Dresden ist der Ort, an welchen man zunächst denkt. Dürfen wir die G moll-Messe mit der andern ungefähr in dieselbe Zeit setzen, so möchte Bach beabsichtigt haben, durch deren Einreichung sich als Hofcomponist erkenntlich zu beweisen und zugleich wegen seiner augenblicklichen Nothlage zu Leipzig in Erinnerung zu halten. Die offenbar eilig zusammengeschriebenen Werke deuten auf Mangel an Zeit und Stimmung zu urkräftigem Schaffen. Ähnliches verräth theilweise die ebenfalls um 1737 geschriebene A dur-Messe.

Auch hier ist mit Ausnahme der Fis moll-Arie das ganze Gloria nachweislich aus Cantatentheilen zusammengesetzt,18 und ich zweifle nicht, daß auch die genannte Arie irgendwo anders ihre eigentliche Heimath hat. Das Urtheil über diese Compilation kann nicht viel günstiger lauten, als bei den andern beiden Messen. Daß für Bach keine Aufgabe zu schwer war, zeigt der erste Abschnitt. [512] Um den Originalsatz brauchbar zu machen mußte theils in Instrumentalpartien ein vierstimmiger Chor neu hineincomponirt, theils auch ein Singbass zu einem vollstimmigen Chor ausgebaut werden. In ungezwungenster Weise ist dieses zu Stande gebracht, aber die wunderherrliche Poesie des Originals (»Friede sei mit euch« aus der Cantate »Halt im Gedächtniß Jesum Christ«) doch fast gänzlich zerstört. Die Sologesänge sind manchmal durch Meisterzüge belebt, gerundet und erweitert und allerdings ihrem Zwecke nirgends widersprechend, der Schlußchor hat Lebendigkeit genug, aber das eigenthümlich Eifrige, das im Original als die Grundstimmung erscheint, mußte bei diesem Texte verwischt werden. Noch tiefer in den Schatten tritt das Gloria durch das ihm vorhergehende Kyrie. Nicht wie bei den andern beiden Messen zu einem Satze zusammengeballt, sondern in drei Abschnitte sachgemäß zerlegt zeichnet es zuerst das Bild eines einfältig und schüchtern, aber innig flehenden Gemüths. Der zweite Abschnitt, das Christe eleison, zeigt freieste und strengste Form mit genialer Kühnheit verschmolzen; es ist ein canonischer Chor recitativischen Charakters.19 Canonisch, aber formell gefestigter entwickelt sich auch der letzte Abschnitt. Beide prägen die Empfindung rathlosen Schwankens und leidenschaftlicher Erlösungssehnsucht aus, doch in den Gränzen, welche der erste Abschnitt gezogen hatte. Viel trägt zur Erreichung dieser Wirkung die Art der Canonik bei: da die Stimmen einander immer in gleich großen Intervallen – Abständen (Quarten oder Quinten) nachgehen, so entfernt sich die Modulation mehr und mehr von ihrem Ausgangspunkte, um dann durch eine rasche Wendung wieder in die Bahn zurückgelenkt zu werden. Das Gefühl einer Grundtonart wird hierdurch dem Hörer, und in besonders merklicher Weise im letzten Abschnitte entzogen.20 Es giebt kein Stück Bachs, [513] in welchem Tiefsinn und Wohllaut einen innigem Bund geschlossen hätten. Als Gesammtwerk wird die Messe ihre richtige Beleuchtung erst erhalten, wenn auch über die letzte, F dur, gesprochen ist.

Beim Gloria wieder ziemlich dasselbe Verhältniß. Als Nicht-Originale sind nachzuweisen der Schlußchor, die Arien für Alt und Sopran.21 Unfraglich gehört zu ihnen aber auch der Anfangschor. Allein schon der arienartige Bau verräth es, dessen Wiederholungstheil ganz gegen Herkommen und Sinn der Form mit einem andern Texte auftritt. Daß der Hauptgedanke (die ersten 16 Takte) in einer dreitheiligen Disposition nicht weniger als fünfmal, ein Mittelgedanke (Takt 101–118) nicht weniger als dreimal vorkommen, auch das ist sonst nicht Bachs Art. Diesem Chor glaubt man förmlich die Nähte anzusehen, wenn er auch äußerlich geschlossen und durch seine Lebhaftigkeit fortreißend dahinrauscht.22 Die allein übrigbleibende Bassarie dürfte denn wohl unter all diesen entlehnten Stücken keine Ausnahme machen. Dagegen aber das Kyrie. Ausdrucksvolle, gemessen bewegte Fugensätze entwickeln den Text in drei Abschnitten. Ein Hauptthema durchzieht sie, es tritt im zweiten Abschnitte in einer Gestalt auf, welche durch das Mittel freier Gegenbewegung gefunden ist, für den dritten ist nur sein zweiter Theil durch dieses Mittel umgebildet, während das so gewonnene neue Ganze wiederum in vollständiger Gegenbewegung beantwortet wird. Indessen dieses in den drei oberen Stimmen vor sich geht, bringt der Singbass als Cantus firmus das Kyrie eleison! Christe eleison! Kyrie eleison! der Litanei. Hörner und Oboen aber blasen dazu als zweiten Cantus firmus den Choral »Christe, du Lamm Gottes«, nur das »Amen« desselben etwas verändert und in andrer Tonlage, damit in der Grundtonart abgeschlossen werden konnte. Eine protestantische Kirchenmelodie der Composition des Messentextes einfügen war zu jener Zeit nichts seltenes. Ernst Bach versuchte es mit dem Choral »Es woll uns Gott genädig sein«23, Zachau [514] mit dem Osterliede »Christ lag in Todesbanden«24, Kuhnau mit der Pfingstmelodie Veni sancte Spiritus, ein Ungenannter mit dem Adventshymnus Veni redemptor gentium, und Telemann schrieb nicht weniger als fünf Kyrie über verschiedene fröhliche und traurige protestantische Gesänge.25 Ein musikalisch vortreffliches Stück ist Nikolaus Bachs E moll-Messe, deren Gloria mit dem Choral »Allein Gott in der Höh« combinirt wird;26 hier decken sich Messentext und Choral hinsichtlich ihrer kirchlichen Bestimmungen eben so, wie bei Sebastian Bach, aber ein äußerlich und innerlich organisches Ganze konnte doch nur dieser schaffen, weil auch die Weisen, in die er den lateinischen Messentext faßte, ganz nur protestantischen Geist athmen.27 Das Kyrie der F dur-Messe gehört zu seinen tiefstempfundenen und ergreifendsten Stücken und überragt auch das Kyrie der A dur-Messe durch eine wahrhaft monumentale Bedeutung, welche den Protestantismus nicht als den Gegensatz katholischer Kirchlichkeit erscheinen läßt, sondern als deren Fortbildung und vergeistigte Blüthe. Natürlich kann dieses Werk mit seinem protestantischen Choral für keinen katholischen Gottesdienst geschrieben worden sein. Seine tiefsten Beziehungen und somit den Weg zu seinem vollen Verständniß haben wir aber noch nicht gezeigt. DerCantus firmus des Singbasses ist nicht das gewöhnliche Kyrie dominicale, sondern das Kyrie der Litanei, und nicht das einleitende, sondern das abschließende:


2.

2.

[515] 28


Ihm unmittellbar vorher geht in der Litanei die Anrufung des Erlösers: »O du Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt, erbarm dich über uns [zweimal]. O du Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt, verleih uns steten Fried«. Also eben das, was der obere Cantus firmus enthält. Durch die beiden Schlußgedanken der Litanei hat Bach seinen Messensatz umschlingen und tragen lassen.

Es gab nur zwei Zeiten des Kirchenjahres, zu welchen in Leipzig die Litanei gesungen wurde: die Fasten- und Advent-Zeit.29 Da während der Fasten und an den drei letzten Adventsonntagen keine concertirende Musik gemacht wurde, so enthält die Composition in sich den unwiderleglichen Beweis, daß sie für einen ersten Adventsonntag bestimmt gewesen ist. Sinnvoll bereitete sie die Gemeinde vor auf das demüthige Gebet um Erlösung, welches nach Verlesung der Epistel unter ihrer eignen Betheiligung angestimmt und dann allsonntäglich wiederholt werden sollte, bis das Weihnachtsfest die Erhörung des Gebetes brachte.

War das Kyrie der F dur-Messe für die protestantische Liturgie Leipzigs geschrieben, so muß ihr auch das Gloria haben dienen sollen. Und hier ist jedenfalls das schon oben bezeichnete religiöskünstlerische Motiv in Bach wirksam geworden. Wer sich einmal so tief auf den in der Liturgie der Adventszeit waltenden Sinn eingelassen hatte, wie Bach in diesem Musikstücke, der mußte der Vorbereitung auch die Erfüllung folgen lassen. Er mußte die tiefgedrückte Empfindung zur Freude erheben und die zerknirschten Sünder durch die Verkündigung des Heils beglücken. Diesem Zuge hat er nachgegeben und dem Kyrie des ersten Advents das Gloria als Hauptmusik des ersten Weihnachtstages hinzugefügt. Wenn ihn auch die musikalische Aufgabe im besondern nicht sehr reizte, da er eine deutsche Weihnachtsmusik höher schätzen mußte, so daß er das Gloria lieber aus ältern Compositionen überarbeitend zusammenschrieb, [516] so ist doch einzuräumen, daß er, von der Weitläufigkeit des ersten Chors abgesehen, ein Gloria geliefert hat, welches die der andern kurzen Messen bedeutend übertrifft. Jene Gewaltsamkeiten kommen hier nicht vor. Die umzuarbeitenden Compositionen, soweit wir sie kennen, sind rücksichtsvoller ausgewählt. Der letzte Chor ganz besonders, er ist auch in seiner Originalgestalt ein Weihnachtschor: »Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß er die Werke des Teufels zerstöre.«30 Diese sinnvolle Wahl ist ein neuer Beweis dafür, daß das Gloria als Weihnachtsmusik gelten sollte. Abgesehen von dem gekürzten Anfange und noch einigen geringeren Änderungen ist der lateinische Chor nur eine getreue Reproduction des Originals unter etwas veränderten Umständen; auch seine poetische Bedeutung konnte im ganzen gewahrt bleiben. Nicht möglich war dieses bei der Arie »Quoniam tu solus«, aus ihr wurde nur ein neutrales Musikstück, das aber nach Tilgung der malerischesten Züge der Urform doch seinem Zwecke nirgends widerspricht. So wie Kyrie und Gloria der F dur-Messe jetzt vorliegen, sind sie als ein Ganzes gedacht. Dies geht auch aus dem letzten Worte des vom Basse vorgetragenen Cantus firmus hervor. Nicht Amen läßt Bach hier singen, wie es der kirchliche Gebrauch vorschrieb, sondern er wiederholt eleison. Jenes konnte nur statt haben, wenn mit dem Kyrie die Kunstidee abschließende Gestalt gewonnen haben sollte. Bei der Aufführung am 1. Adventsonntage ist es auch gesungen worden31, als aber durch das Gloria die Idee fortgesetzt wurde, mußte das Amen weichen, um erst am Ende des ganzen Werkes den ihm zukommenden Platz zu finden.

Blicken wir nun zurück auf die A dur-Messe, so erhellt daß sie nach Inhalt und Absicht zwischen der F dur-einerseits, und zwischen den G dur- und G moll-Messen andrerseits eine Mittelstellung einnimmt. Ein enges Verknüpftsein mit dem protestantischen Cultus läßt sich an ihr nicht entdecken. Aber die tiefsinnige und liebevolle Ausgestaltung des originalen Kyrie im Gegensatze zu dem compilirten Gloria macht es wahrscheinlich, daß auch dieses Kyrie zunächst für die protestantische Liturgie gedacht war. Verwenden[517] ließ es sich freilich auch im katholischen Gottesdienst. Ob nun das Gloria demselben Bedürfniß entsprang, wie das der F dur-Messe, oder nur hinzugefügt wurde um für den katholischen Cultus etwas vollständiges zu liefern, bleibt eine offene Frage. Daß die Messe als Ganzes demselben Zwecke dienen sollte, wie die Messen in G dur und G moll, läßt die gleiche Entstehungszeit vermuthen.32

Alle diese Werke aber, und auch die F dur-Messe stellen sich nur als schwächere Nachwüchse einesKyrie und Gloria dar, welche später einen Theil der H moll-Messe bilden sollten, der einzigen großen und ganz vollständigen, welche Bach geschrieben hat. Die frühere Entstehung dieses Kyrie und Gloria ergiebt sich uns aus einer Stelle des Domine Deus, mit welcher die in Leipzig übliche Liturgie von dem kanonischen Text der katholischen Kirche abwich. In Leipzig wurde gesungen: Domine Deus rex coelestis, Deus Pater omnipotens. Domine Fili unigenite, Jesu Christe altissime.33 Das Wort altissime ist eingeschoben; der katholischen Kirche war es fremd und auch sonst hat man es, soweit ich sehen kann, nirgends gesungen. In der H moll-Messe ist Bach dem Leipziger Brauche noch gefolgt; als er dann aber mit der katholischen Messe näher vertraut geworden war, hat er in den andern Werken dieser Gattung das Wort fortgelassen. Als der König-Churfürst Friedrich August II. am 1. Februar 1733 gestorben war, beschloß Bach dem Nachfolger seine Ergebenheit zu beweisen und zur Erhöhung seines Ansehens bei den Leipziger Behörden mit dem Hofe in nähere Verbindung zu treten. Deshalb componirte er die beiden Messensätze und überreichte sie unter dem 27. Juli 1733 in Dresden selbst. Das Begleitschreiben ist bekannt, darf aber hier nicht fehlen.


»Dem Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Friedrich Augusto, Königlichen Prinzen in Pohlen und Litthauen, Herzogen zu Sachsen« u.s.w. »Meinem gnädigsten Herrn.

Durchlauchtigster Churfürst,

Gnädigster Herr.


Ew. Königlichen Hoheit überreiche in tiefsterDevotion gegenwärtige [518] geringe Arbeit von derjenigen Wissenschaft, welche ich in der Musique erlanget, mit ganz untertänigster Bitte, Sie wollen dieselbe nicht nach der schlechten Composition, sondern nach Dero Welt berühmten Clemenz mit gnädigsten Augen anzusehen und mich darbey in Dero mächtigste Protection zu nehmen geruhen. Ich habe einige Jahre und bis daher bey den beyden Haupt-Kirchen in Leipzig das Directorium in der Music gehabt, darbey aber ein und andere Bekränckung unverschuldeterweise auch iezuweilen eine Verminderung derer mit dieser Function verknüpfften Accidentien empfinden müssen, welches aber gänzlich nachbleiben möchte, daferne Ew. Königliche Hoheit mir die Gnade erweisen und ein Praedicat von Dero Hoff-Capelle conferiren, und deswegen zur Ertheilung eines Decrets, gehörigen Orts hohen Befehl ergehen lassen würden; Solche gnädigste Gewehrung meines demüthigsten Bittens wird mich zu unendlicher Verehrung verbinden und ich offerire mich in schuldigsten Gehorsam, iedesmal auf Ew. Königlichen Hoheit gnädigstes Verlangen, inComponirung der Kirchen Musique sowohl als zumOrchestre meinen unermüdeten Fleiß zu erweisen, und meine ganzen Kräffte zu Dero Dienste zu widmen, in unaufhörlicher Treue verharrend Ew. Königlichen Hoheit unterthänigst-gehorsamster Knecht

Dressden, den 27. July 1733.

Johann Sebastian Bach.«34


Der Wunsch dem Hofe sich dienstwillig zu zeigen ist für Bach die äußere Veranlassung geworden, sich mit dem Gedanken an die Schaffung einer vollständigen Messe zu befassen. Kyrie und Gloria sind diesesmal offenbar in einem Gusse entstanden und von Anfang an als zusammengehörig gedacht gewesen. Es geht das schon aus dem Tonarten-Plan hervor, nach welchem der letzte Satz des Kyrie nicht in die H moll-, sondern in die Fis moll-Tonart gesetzt ist, um das Gefühl eines vollen Abschlusses und, da im Gloria noch zwei Sätze in H moll stehen sollten, auch die Einförmigkeit zu vermeiden. Auch daß das ersteKyrie fünfstimmig, das letzte nur vierstimmig ist, erscheint in dieser Hinsicht bedeutsam.35 Die übrigen Theile: [519] Credo, Sanctus, Osanna bis Dona sind vereinzelt nach und nach entstanden. Es ist nicht ganz sicher, daß das Credo später componirt wurde, als die ersten beiden Theile; will man einem gewissen Anzeichen unbedingt vertrauen, so wäre es schon in die Zeit 1731–1732 zu setzen. Da indessen die Bedürfnisse der Leipziger Liturgie eine Composition des Credo nicht nahe legten, bleibt doch die Wahrscheinlichkeit bestehen, daß Bach diesen Theil erst componirte, nachdem ihm der Gedanke eine ganze Messe zu machen durch den großartigen Wurf, den er mit demKyrie und Gloria gethan hatte, feststehend geworden war. Das Sanctus wurde vermuthlich 1735 geschrieben, sicher nicht früher, und auch nicht später als 1737. Da alsdann für den fast ganz aus Überarbeitungen bestehenden Rest keine große Mühe mehr aufgewendet wurde, und es Bach gedrängt zu haben scheint, das Werk abzuschließen, so darf man das Jahr 1738 als die äußerste Gränze bezeichnen, bis zu welcher Bachs Arbeit an der H moll-Messe reicht.36

Darauf daß Bach auch die letzten drei Theile der H moll-Messe dem Hofe eingereicht habe, deutet nicht das leiseste Anzeichen. Und die ersten beiden sind, wenn man aus der Beschaffenheit der noch jetzt in der königlichen Musikaliensammlung befindlichen Stimmen schließen darf, in Dresden niemals aufgeführt worden. Für die katholische Kirche machte sie schon ihre ungewöhnliche Ausdehnung unbrauchbar. Zweifellos hat Bach das selbst gewußt und auf eine Aufführung dort garnicht gerechnet. Ein so durchaus praktischer Musiker wie er schreibt aber nichts, und am wenigsten ein solches Riesenwerk, um es klanglos im Pulte zu begraben. Er hat dasselbe für die Thomas- und Nikolai-Kirche in Leipzig bestimmt und jedenfalls dort auch aufgeführt, nur freilich nicht als Ganzes, sondern in Stücken. Nachgewiesen kann dieses werden am Gloria und Sanctus nebst allen noch nachfolgenden Sätzen. Ersteres existirt noch einmal in einer um 1740 geschriebenen Partitur mit dem [520] ausdrücklichen Beisatz »Am Feste der Geburt Christi«.37 Bach muß indessen gefunden haben, daß das ganze Gloria für die beabsichtigte Aufführung zu Weihnachten nicht geeignet sei. Er hat eine Überarbeitung gemacht, welche sich auf den ersten und letzten Chor und das zwischen ihnen stehende Duett beschränkt. Der Text des ersten Chors ist derselbe geblieben, dem Duett, das mit dem 74. Takt der Originalgestalt abschließt, hat er die Worte der kleinen Doxologie untergelegt: Gloria patri et filio et spiritui sancto, dem Schlußchor den Rest der Doxologie:Sicut erat in principio et nunc et semper et in saecula saeculorum. Amen; zu diesem Zwecke mußten die Anfangstakte verändert werden. Es wird durch die Überarbeitung aber nicht ausgeschlossen, daß Bach gelegentlich selbst das ganze Gloria als eine Haupt-Kirchenmusik aufgeführt hat. Auch das Sanctus ist als Weihnachtsmusik benutzt, ja ursprünglich als solche componirt, wobei allerdings der grandiose Wuchs desselben durch den Gesammtcharakter der Messe mitbestimmt sein dürfte, welcher es als Theil angehören sollte. In der Leipziger Liturgie hatte, wie schon erwähnt ist, das figurale Sanctus seinen festen Platz. Es schloß an den drei hohen Festen die der Communion vorhergehende Präfation ab. Bach hat zu diesem Behuf noch mehre andre Sanctus gemacht, deren eines gelegentlich des Weihnachtsfestes 1723 schon erwähnt worden ist.38 Das bedeutendste unter ihnen, ebenfalls während der ersten Leipziger Jahre entstanden, steht in D dur: ein Stück voll feierlicher Begeisterung über hinreißend schönen Themen aufgebaut und von den schwebenden Violinen seraphisch überschimmert.39 Alle diese Stücke sind ziemlich knapp gefaßt und eben [521] nur als Schlußact der Präfation gedacht, das Osanna und Benedictus fehlt ihnen. Mit seinen gewaltigen Verhältnissen ist das Sanctus der H moll-Messe allerdings über den Rahmen der herkömmlichen Liturgie etwas hinausgewachsen. Daß es trotzdem für die Präfation an einem der hohen Feste ursprünglich componirt worden ist, wird klar durch den Umstand bewiesen, daß auch von ihm das Osanna und Benedictus ausgeschlossen sind.40 Diese hat Bach mit dem Agnus vereinigt, eine Thatsache, welche für die Verwendung der letzten vier Stücke der Messe einen nicht zu verkennenden Wink giebt. Man wolle sich erinnern, daß während der Communion an den hohen Festen immer noch Figuralmusik gemacht wurde.41 Hier fand ein Agnus seinen natürlichsten Platz, und hat nachweislich denselben auch später noch behauptet. Eine Communion-Musik aber mit dem Osanna beginnen ging nur an, wenn das Sanctus vorhergegangen war. Bach hat also beide Abschnitte während eines und desselben Gottesdienstes aufgeführt, so zwar daß mit dem Sanctus die Präfation endigte, dann die Einsetzungsworte recitirt wurden und nun, während der Abendmahls-Spendung, das Osanna, Benedictus, Agnus und Dona als zusammenhängendes Ganze musicirt wurden. Zu lang für die übliche Liturgie am Reformationsfeste und ersten Adventsonntage war das Kyrie der H moll-Messe, welches allein schon die Zeitdauer einer mäßig großen Kirchencantate in Anspruch nimmt. Als Hauptmusik aber kann es beispielsweise am Sonntage Estomihi, von wo ab die Fastenzeit beginnt, aufgeführt worden sein. Für eine Aufführung des Credo mußte vor allem das Trinitatis-Fest mit seinem dogmatischen Charakter geeignet erscheinen, was, wie oben gezeigt ist, durch eine spätere Praxis bestätigt wird. Jedoch darf man auch an die Aposteltage denken, weil an diesen nach der Recitation des Evangeliums das vollständige nicänische Glaubensbekenntniß choralisch gesungen wurde, woran das figurale Credo sich passend anknüpfen ließ. Selbständige Festgottesdienste gab es übrigens für [522] die Aposteltage damals nicht mehr; sie wurden mit den nächstgelegenen Sonntagen vereinigt.42

Wenn auch in Dresden nichts von der H moll-Messe aufgeführt sein mag, so blieb sie doch schon zu Bachs Lebzeiten auswärtigen Kreisen nicht fremd. Wir wissen, daß er das Sanctus dem Grafen Sporck übersandt hat. Franz Anton Reichsgraf von Sporck, geboren 1662 zu Lissa in Böhmen und seiner Zeit Statthalter dieses Landes, war ein Mann von seltener Bildung, vielseitigen Interessen und großem Reichthum. Seine Verdienste um die Musik sind hervorragend. Er ließ heimische Tonkünstler in Italien ausbilden und war der erste, welcher die italiänische Oper nach Böhmen zog; als in Frankreich das Waldhorn erfunden war, ließ er zwei seiner Diener die neue Kunst erlernen und verpflanzte dieselbe so nach Deutschland. Eine edle christliche Gesinnung bethätigte er durch großartige Wohlthätigkeit und gemeinnützige Einrichtungen. Er war Katholik, aber von einer seiner Zeit widersprechenden Freiheit und Weite der religiösen Anschauungen. Von der Geistlichkeit hatte er zu leiden, da er die alleinseligmachende Kraft der katholischen Kirche nicht anerkennen wollte, sondern die verschiedenen Religionsformen neben einander gelten ließ: alles Heil nur in Christo zu suchen, nach seinem Gebote Gott und den Nächsten zu lieben, darauf komme es an; wer dieses thue werde selig werden, gleichviel in welcher Religionsgemeinschaft er lebe. Er hatte in Lissa eine Buchdruckerei eingerichtet, mittelst welcher er religiöse Schriften verbreitete, die zum Theil von seinen Töchtern aus dem Französischen übersetzt wurden.43 Zu den Künstlern und Gelehrten Leipzigs stand er seit längerem im Verhältniß. Picander widmete ihm 1725 seine poetischen Erstlinge auf religiösem Gebiet, die »Sammlung erbaulicher Gedanken«; in einem Widmungsgedicht hat er den »frommen Grafen Sporck« selber angesungen. Graf Sporck starb hochbejahrt am 30. März 1738 auf seiner Herrschaft zu Lissa.44 Die Bekanntschaft [523] mit dem Bachschen Messensatze fällt also in seine späteste Lebenszeit.

Die Erwähnung dieses Kunstmäcens leitet uns hinüber zur Betrachtung des inneren Wesens der H moll-Messe und des Geistes, aus welchem sie geschaffen ist. Äußerlich angeregt durch den katholischen Cultus schrieb Bach das Werk doch mit Hinblick auf den protestantischen Gottesdienst der Thomas- und Nikolai-Kirche. Er nahm die von der katholischen Kirche festgestellte Form im ganzen und großen an. Die schon jetzt typisch gewordenen Ausdrucksweisen für die einzelnen Theile der Messe: der in sich versenkte Ernst des Kyrie, die jubelnde Bewegtheit des Gloria, die kraftvolle Zuversicht des Credo und feierliche Pracht des Sanctus sind von ihm beibehalten wenn auch im hohen Grade vergeistigt worden. In den Chören des Credo tritt eine seinen Kirchencantaten fremde Weise der Polyphonie hervor: ein Wirken durch breite und einfache Melodiezüge, die Künste der thematischen Vergrößerung und verwickelteren Engführung des Cantus firmus, die Entlehnung desselben nicht aus dem Gemeindelied, sondern vom Priestergesange. Die Zerlegung der großen Abschnitte in viele selbständige Stücke, die Benutzung der Arie und des Duetts – was alles unter dem Einflüsse der Oper in Italien sich während des 17. Jahrhunderts ausgebildet hatte, findet sich auch bei Bach. Doch aber wollte und konnte er seinen protestantischen Stil nicht verleugnen. Auf der festen Grundlage der deutschen Orgelmusik unter emsiger Umsicht nach allen lebenswerthen andern Formen geschaffen, zeigte dieser sich fähig, auch dasjenige unbeschadet in sich aufzunehmen, was die H moll-Messe von Bachs übriger Kirchenmusik unterscheidet. Wo es die protestantische Liturgie gebot, ist Bach sogar von den Grundlinien der katholischen Messe abgewichen. Die H moll-Messe haftet also kaum weniger im Protestantismus als Bachs übrige Kirchenmusik, aber sie streckt ihre Wurzeln tiefer. Aus dem Schooße der katholischen Kirche hatte sich Luthers gereinigte Lehre hervorgehoben. Durch unbegründete Ansprüche der Mutterkirche, welche mit ihrem Urgehalte nichts gemein haben, war der Protestantismus gezwungen worden, um seine Stellung gegen sie zu kämpfen. Fürstenpolitik und Gegensätze der Nationen und Stämme hatten eine Feindseligkeit hervorgerufen, die zu dem entsetzlichsten aller Religionskriege [524] führte, und auch im 18. Jahrhundert noch eine tiefe Erbitterung in den Gemüthern fortdauern ließ. Nirgends war sie protestantischerseits stärker und verhärteter als in Sachsen. Und grade in Sachsen sollte das Kunstwerk entstehen, welches den Protestantismus nicht als Gegensatz des katholischen Wesens erscheinen ließ, sondern nur als eine nothwendige Weiterbildung desselben auf gleicher Grundlage. An der H moll-Messe wird offenbar, wie unermeßlich viel weiter und tiefer Bachs kirchliches Empfinden war, als das seiner Zeit. In ihm lebte der Geist des Reformationszeitalters mit all seiner Streitfreudigkeit und Gefühlsinnigkeit, aber auch mit seiner ganzen umfassenden Kraft. Als Luther sich erhob, war von allen Gebildeten und Aufrichtigen die Notwendigkeit einer Verinnerlichung des Kirchenthums, einer Neugestaltung desselben an Haupt und Gliedern anerkannt. Die edleren Geister, auch wenn sie nicht zum Protestantismus übertraten, waren im Grunde doch mit Luther eines Sinnes. Fast ganz Deutschland zeigte sich anfänglich der neuen Lehre zugethan, ja in dem gesammten gebildeten Europa lebten ihr zahlreiche Anhänger. Auch stand den Reformatoren ein Bruch mit der katholischen Kirche fern. Sie nahmen das nicänische Glaubensbekenntniß in die symbolischen Bücher auf, und mit ihm dasCredo unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam, zum Zeichen ihrer Glaubensgemeinschaft mit dem echten Katholicismus. Aber diese hohe Auffassung des Reformationswerkes war freilich 200 Jahre später nicht mehr zu finden. Zu Bachs Zeit lebte in den Orthodoxen wohl noch der alte, wenngleich bornirt gewordene Kampfesmuth, in den Pietisten die innige religiöse Empfindung; das Gefühl von der historischen Bedingtheit des Protestantismus, von seinem innern Zusammenhange mit der katholischen Kirche hatte kaum einer mehr. Der Musik war es vorbehalten, alles dieses in einem unsterblichen Kunstwerke der Welt noch einmal vereinigt zu zeigen und – wie eine ernste aber kaum mehr verständliche Mahnung – in denselben deutschen Landen, von welchen der gewaltigste Anstoß zur Reformation seinen Ausgang genommen hatte. Damals war die Tonkunst zur Widerspiegelung des vollen neuen Ideengehaltes der Zeit noch nicht geeignet gewesen. Was von protestantischer Musik Bedeutung erlangte, zeigt in einer nur äußerlichen Abwandlung Kunstformen, welche nicht in dem Leben von damals, sondern im späteren Mittelalter [525] wurzelten. Daß die Musik unter allen Künsten die längste Zeit gebraucht, um für den Ausdruck neuer Culturgewalten verwendbar zu werden, sollte sich abermals zeigen. Ebenso wie Händels Musik, ja wie die des ganzen 18. Jahrhunderts, ruht auch diejenige Bachs noch auf dem Zeitalter der Renaissance. Er war berufen, das objectivste, weil zeitlich entfernte, das reinste und verklärteste Bild von dem kirchlich reformatorischen Geiste jener großen Epoche in seiner H moll-Messe zu geben.

Nur in Stücken erweist sie sich durch die protestantische Liturgie bedingt. Ja, allein dem Sanctus undAgnus ist durch diese eine besondere Form aufgenöthigt. Gloria, Kyrie und vollends Credo stehen mit ihr nur in einem losen, mehr willkürlichen Zusammenhange. Die Gestaltung des ganzen Werkes aber ging lediglich von dem persönlichen Willen Bachs aus, welcher in der protestantischen Liturgie nur die Trümmer eines großartigen liturgischen Kunstwerkes fand, das einer Erneuerung im Geiste der Reformation eben so zugänglich wie würdig sei. Mehr als jedes andre Werk ist dieses der freie Ausdruck seiner mächtigen Individualität, aber einer Individualität, die aus dem kirchlichen Leben bis von dessen Urgrunde her ihre Nahrung gesogen hatte. Von der protestantischen Kirche seiner Zeit stellt sich die H moll-Messe unabhängiger hin, als die Cantaten und Mysterien. Wenn auch die Matthäuspassion zu einem Umfange ausgewachsen ist, welcher den Gottesdienst der Charfreitagsvesper fast als Nebensache erscheinen läßt, die Verbindung mit ihm ist doch thatsächlich und, wäre es auch nur der Choräle wegen, zum Verständniß nothwendig. In der H moll-Messe hat sich Bach jeder Verwendung des Gemeindelieds enthalten, obschon für einen jeden Theil der Messe ein solches vorhanden war. Kein bestimmter Sonn- oder Festtag, keine kirchliche Feier dient ihr zur Voraussetzung. Dennoch giebt es kein Werk, das dem echten protestantischen Geiste mehr Genüge thäte. Aber wenn Bach einmal auf den Urgrund der Liturgie zurückgehen wollte, dann mußte der Tiefe des Fundaments auch die Höhe des Aufbaus entsprechen; er konnte das Gebäude nicht in den damaligen Protestantismus als Spitze auslaufen lassen, sondern mußte ihn überwölben. Mit dieser That wendet sich der freie protestantische Künstler an die »eine heilige allgemeine christliche Kirche«; wer irgend von deren Wesen noch [526] etwas weiß und in sich lebendig erhalten hat, kann sein Werk verstehen.

Wenn auch in der H moll-Messe sich einzelne Theile als Überarbeitungen aus Cantaten zu erkennen geben, so weist doch Wesen und Zweck des ganzen Werkes von vornherein die Vermuthung zurück, als sei dieses aus Bequemlichkeit öder nothgedrungener Eile geschehen. Die Vergleichung der Überarbeitungen mit den Urbildern zeigt auch, daß Bach sorgfältig nur solche Stücke auswählte, deren poetischer Gehalt mit den neu unterzulegenden Worten übereinstimmte. Im Gloria wird der Satz: Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam (Wir danken dir wegen deiner großen Herrlichkeit) durch einen Chor gebildet, dessen deutsche Worte waren: Wir danken dir Gott, wir danken dir und verkündigen deine Wunder.45 In demselben Messentheile liegt dem Chor: Qui tollis peccata mundi miserere nobis, suscipe deprecationem nostram (Der du trägst die Sünde der Welt erbarme dich unser, übernimm unsere Fürbitte bei Gott) der erste Abschnitt des Eingangschors einer Cantate zu Grunde, dessen Worte lauten: Schauet doch und sehet, ob irgend ein Schmerz sei, wie mein Schmerz, der mich troffen hat.46 Der verdeutschte Text des zweiten Chors im Credo ist: Ich glaube an einen allmächtigen Vater, den Schöpfer Himmels und der Erde, alles sichtbaren und unsichtbaren; der Text seines Urbildes: Gott wie dein Name so ist auch dein Ruhm bis an der Welt Ende.47 Das Crucifixus (Gekreuzigt ist er auch für uns unter Pontius Pilatus, er hat gelitten und ist begraben) erneuert den Cantatenchor: Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen, Angst und Noth sind der Christen Thränenbrod, Die das Zeichen Jesu tragen.48. Alle diese Sätze sind Edelsteine, die in eine neue Umgebung gebracht theils selber glänzender erscheinen, theils ein großartigeres Ganze kostbarer zu machen helfen. Völlig unverändert hat Bach keinen gelassen, wenn sie auch eine Neugestaltung von Grund aus nicht erfahren haben. Oft sind sie durch kleine Züge noch charakteristischer gestaltet: das Crucifixus durch den bebenden Baß und die Schlußmodulation, das Qui tollis durch Abdämpfung des Klanges mittelst Weglassung der verstärkenden[527] Blasinstrumente. Der Chor »Gott wie dein Name« scheint auf seine Verwendung zum Patrem omnipotentem gradezu gewartet zu haben: die kleine Umänderung des Themas, welche der lateinische Text nöthig machte, hat dessen nervigen Wuchs erst ganz offenbart, der Rhythmus der Messenworte fügt sich besser zu der Melodie, als derjenige des deutschen Bibelspruchs. Außer den genannten sind nur noch zwei Sätze nicht völlig Originalcompositionen. Sie unterliegen einer etwas andern Beurtheilung. Das Agnus stützt sich auf die Alt-Arie des Himmelfahrts-Oratoriums »Ach bleibe doch, mein liebstes Leben«;49 doch ist nur eine längere Periode derselben benutzt und im übrigen ein ganz neues Stück gestaltet. Das Osanna kommt als Anfang der weltlichen Cantate »Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen« vor.50 Da aber auch jener Eingangschor keine Originalarbeit sein wird, vielmehr starke Spuren des Arrangements an sich trägt, und dem eigentlichen Original ferner stehen dürfte, als das Osanna, so läßt sich in diesem Falle über das Verhältniß zwischen Übertragung und Urbild nichts sagen.

Unter den 26 Musikstücken, in welche die H moll-Messe sich zerlegt, sind 6 Arien und 3 Duette. Recitative, welche die katholische Kirchenmusik nicht zuließ, und die bei der gewichtigen Allgemeingültigkeit des Textes auch dem Protestanten unpassend erscheinen mußten, fehlen. Die übrigen 17 Stücke sind vier-, fünf-, sechs- und doppelt vierstimmige Chöre. Im Übergewicht ist die Fünfstimmigkeit; nur die überarbeiteten Chöre und das anfänglich selbständige Sanctus zeigen sie nicht, außerdem das zweite Kyrie, welches um deswillen vielleicht auch für eine Übertragung angesehen werden könnte. Bach schreibt sonst sehr selten fünfstimmig, hier ist wieder der durch die italiänische Kirchenmusik gegebene Anstoß nicht zu verkennen.

Die Bevorzugung der Chorformen war durch das Wesen der großen Aufgabe gefordert, ergab sich aber auch aus der Beschaffenheit des Textes, welcher subjectiven Empfindungen überall wenig zugänglich ist. Ganz vermeiden ließ sich der Sologesang in einem so kolossalen Werke schon um der Gegensätze willen nicht. Aber daß er noch mehr als sonst bei Bach einen unpersönlichen Charakter [528] annehmen mußte, ist auch zu begreifen. Der innere Widerspruch, den unpersönlicher Einzelgesang immer in sich birgt, kann aber durch das Ganze, welchem er dient, aufgehoben werden. Dieses ist auch in der H moll-Messe der Fall: außer dem Zusammenhange werden diese Arien und Duette weniger Reiz ausüben, als die der Cantaten und Mysterien, aber im fortlaufenden Zuge des Werks erfüllen sie ihren Platz. Das Duett Christe eleison enthält etwas von der vertrauensvolleren und milderen Empfindung des Sünders gegenüber dem göttlichen Mittler, in der Berührung der Unterdominante wird sie schon im ersten Takte des Vorspiels angedeutet. Jene inbrünstige Hingabe an den Heiland, durch welche uns das Agnus Dei ergreift, ist es aber noch nicht, dies verwehrten die umrahmenden Chorsätze. In dem Gedankengange des Gloria-Textes, welcher Christi Ausgang von Gott, sein Wirken und Leiden auf Erden und seine Rückkehr zum Vater verfolgt, hat die ArieLaudamus te den Zweck, zwischen dem hellen Jubel über die Menschwerdung des Gottessohnes und dem feierlichen Dankgebet wegen Gottes Herrlichkeit zu vermitteln. Das Duett Domine geht dann von dem geheimnißvollen Dogma der Einheit von Vater und Sohn aus, auf welchem die Erlösungsmöglichkeit beruht, um sich hernach dem Beruf Christi auf Erden zuzuwenden. Diese dogmatische Anschauung ist der Quell, aus welchem Bach das Tonbild schöpfte, ohne sie kann es nicht verstanden werden. Die mit Sordinen spielenden Violinen und Bratschen, das Pizzicato der Bässe, die phantastisch irrenden Gänge der Flöte stimmen mysteriös. Der musikalische Keim aber, welcher in alle Theile des Stücks sein Leben sendet, ist ein Motiv von vier Noten:


2.

Es ist gewissermaßen das musikalische Symbol jener durch das Dogma gelehrten Einheit, und erweist sich als solches gleich beim Beginn des Gesanges. Die Worte Domine Deus rex coelestis, Deus Pater omnipotens. Domine Fili unigenite, Jesu Christe altissime werden nicht, wie der Messentext sie darbietet, nach einander vorgetragen, sondern der Tenor wendet sich an Gott den Vater, der Sopran, nur einen halben Takt später einsetzend, an Gott den Sohn; [529] beider Melodie, welche sie in Imitation vortragen, ist durch Verlängerung aus obigem Motiv entwickelt, und dieses läßt sich alsbald in seinen ursprünglichen Notenwerthen gleichzeitig vernehmen. Wie sodann das Motiv immer wieder auftaucht, und zwar nicht um sich melodisch weiter zu spinnen, sondern isolirt, abgeschlossen und fest, wie ein Dogma, das ist in Bachs Compositionen eine einzigartige Erscheinung. Nur einen symbolischen Sinn kann auch Takt 42 der absteigende Octavengang der vereinigten Geigen und Bratschen haben, welcher ohne organisch motivirt zu sein ganz unvorhergesehen in einer Bach sonst nicht eignen Weise eintritt. Unter Berücksichtigung des vielfach ähnlichen Duetts Et in unum im Credo dürfte man darin das Medersteigen des Gottes zur Menschheit angedeutet finden.51 Ein menschlicher Affect wird überall nicht ausgedrückt, wie ihn auch die Worte nicht anregen: erst später, als die Betrachtung sich dem Opfertode Christi zuwendet, wird ein solcher bemerkbar. Wollte aber Bach einmal die verschiedenen Messentheile in einer Vielheit von Sätzen entfalten und nicht nur Musik um der Musik willen machen, so blieb ihm nur der Ausweg zu einem solchen tiefsinnigen Tonspiel. Hierfür kam ihm seine theologische Bildung,[530] welche durch Auffindung des Verzeichnisses seiner theologischen Bibliothek erwiesen worden ist, zu Statten. Die Dogmatik unterscheidet ein prophetisches, hohenpriesterliches und königliches Amt Christi. Auf das prophetische Rücksicht zu nehmen gab der Text keinen Anlaß, wohl aber auf das hohenpriesterliche und königliche. Wie bei ersterem wieder unterschieden wird zwischen der Sühne und der Vermittlung (munus satisfactionis und intercessionis), so hat Bach jene durch den Chor Qui tollis, diese durch die Alt-Arie Qui sedes dargestellt, doch beides in enger Verbindung, indem die Tonart dieselbe bleibt, der Chor gegen Ende schon das Suscipe deprecationem hören läßt, und im Halbschluß die Arie vorbereitet. Die Vermittlung erscheint so, in Übereinstimmung mit der Dogmatik, als ein mehr persönlicher Ausfluß des Sühnungswerkes, als eine Anwendung desselben auf den einzelnen Menschen. Der folgenden BassarieQuoniam tu solus sanctus fällt sodann die Darstellung des königlichen Amtes zu, deutlich charakterisirt in dem stolzen Zuge des Hauptgedankens und in dem feierlichen Klange der mit Singbass und Orgel verbundenen zwei Fagotte und Horn. Des Credos Inhalt ist die Darlegung des Wesens der Dreieinigkeit. Hier galt es, die Wesenseinheit des Vaters und Sohnes noch stärker als im Gloria zu betonen. Das DuettEt in unum thut dieses durch die zwischen den Singstimmen wie auch in den Instrumenten hervortretende canonische Führung. Um die Wesenseinheit aber unzweifelhaft zu verdeutlichen läßt Bach jedesmal am Beginn des Hauptsatzes die Stimmen im Canon des Einklangs auftreten und geht erst im zweiten Takte in den Canon der Unterquarte über: so löst sich aus der Einheit das eine beider Wesen zur gesonderten Existenz ab. Die Absicht ist nicht zu verkennen, da die musikalische Anlage von Anfang an den Canon in der Unterquarte gestattet.52 Man darf ohne spitzfindig zu werden noch mehr sagen. Überall wo der Hauptsatz von den Instrumenten gebracht wird, läßt Bach im ersten Takt die letzten Achtel von der vorspielenden Stimme stoßen, von der nachspielenden binden, z.B.:


2.

[531] Die Absicht dieses consequent durchgeführten Verfahrens kann nur sein, die imitirende Stimme schon im Gleichklange durch einen etwas verschiedenen Ausdruck von der andern abzuheben, also selbst hier bereits eine gewisse persönliche Verschiedenheit in der Wesenseinheit anzudeuten. Sinnbildliche Züge finden sich auch sonst noch. Wir finden T. 21–22 und T. 66 jenen musikalisch nicht motivirten abwärts schwebenden Octavengang wieder; da er die Worte et ex patre natum und et incarnatus est begleitet, im letzteren Falle von den Singstimmen secundirt, so wird seine Bedeutung unschwer verstanden. Auch um das descendit de coelis auszudrücken senken sich die Instrumente in der Dominantseptimen-Harmonie durch den Raum dreier Octaven nieder. Bach hat erst später die Worte Et incarnatus est de Spiritu sancto ex Maria virgine et homo factus est in einem besondern Chorsatze ausgeprägt und diesen, wie noch zu sehen ist, der Partitur auf einem einzelnen Blatte eingefügt. Ursprünglich waren die Worte im Duett mit enthalten, und demnach überhaupt die Textvertheilung eine andre gewesen. Diese allein darf man bei Beurtheilung des Stückes berücksichtigen. Die fremdartigen Modulationen am Schluße, welche eine andre Welt zu öffnen scheinen, erklären sich daraus, daß sie eigentlich das Wunder der Wandlung des göttlichen Zustandes in den menschlichen ausdrücken sollten. Durch die spätere Textunterlage hat Bach manches dieser feineren Beziehungen verdunkelt, aber dadurch daß er in Zusammenhange der Partitur trotz des eingeschobenen Chors die erste Wortvertheilung stehen ließ doch wohl andeuten wollen, daß sie auch bei Benutzung des Chorsatzes gesungen werden könne.

Empfindungsvoller und wärmer sind die letzten drei Solostücke. Das Glaubensbekenntniß auf den Heiligen Geist, durch dessen Vermittlung das neue göttliche Leben der Menschheit zuströmt, wird in einer Bassarie abgelegt. Den Sinn der wie milde Frühlingsluft fließenden Melodien faßt man völlig erst, wenn man den in gewissen Pfingstcantaten (wie »Erschallet ihr Lieder«, »Also hat Gott die Welt [532] geliebt«) herrschenden Grundton vergleicht. Das Benedictus ist dem Tenor übertragen; anmuthige Gewinde einer Solovioline53 schlingen sich in den lieblich – ernsten Gesang, der zwischen dem jubelnden Osanna der mächtig andringenden Chormassen eine um so eindringlichere Wirkung thut. Die menschlich am tiefsten ergreifende Weise aber stimmt der Alt im Agnus Dei an. Welcher Art die Empfindung war, die Bach hier ausdrücken wollte, verräth schon die Entlehnung aus dem inbrünstigen Abschiedsgesange des Himmelfahrts-Oratoriums. Das Agnus als Ganzes mußte aber schon deshalb etwas ganz andres werden, weil der Text die Zweitheiligkeit des Musikstückes forderte. Nur ein leiser Anklang an die Form der dreitheiligen Arie ist geblieben, übrigens von den beiden Gedanken, aus denen ein jedes Gesätz sich bildet, der erste ganz neu erfunden, so zwar daß aus langgezogenen Klagetönen sich der Gesang zur leidenschaftlicheren Bitte erhebt.

Wie vereinzelte Niederungen zwischen riesenhaften Bergen, die dem Auge den gliedernden Überblick wohlthuend erleichtern, erscheinen die Sologesänge unter den Chören. Diese sind von einer Übermacht und Größe, die das kleinere, unruhige Geschlecht unserer Tage fast erdrückt. Indem ihnen überall das Wesentliche der großen Aufgabe zufällt, wird ihre Betrachtung den leichtesten Weg durch das Ganze bilden. Der in der Messe enthaltenen liturgischen Grundstoffe sind vier: das Sündenbewußtsein der Menschheit (Kyrie), Christi Versöhnungswerk (Gloria), die von ihm ausgehende christliche Kirche (Credo), das Gedächtnißmahl, in welchem diese ihre Vereinigung mit und in dem Stifter feiert (Sanctus und alles folgende). Was diese in der H moll-Messe zu fünf großen Abschnitten ausgestalteten Stoffe künstlerisch unter einander verbindet, ist nicht die aus der Vorstellung eines feierlichen Hochamtes fließende Gesammtstimmung, welche der katholischen Messe die oberste Einheit giebt. Von einer solchen scenischen Beimischung mußte natürlich die in Bachs Werke waltende Empfindung ganz frei sein. Einzig der zwischen den liturgischen Stoffen bestehende innere Zusammenhang bleibt wirksam; es ist eine ideale Durchlebung der Hauptmomente [533] in der Entwicklung der Christenheit, und zugleich jedes einzelnen Christen, bis zu der realen Feier des heiligen Abendmahls. Selbst diese ist nur halb real, insofern die betreffende Musik mit den übrigen Theilen der Messe als Ganzes gedacht ist, denn als Ganzes kann und soll sie den Gottesdienst nicht wirklich begleiten. Die Abendmahlsmusik bezeichnet aber den hervorspringendsten Punkt, an welchem der wesentliche Unterschied von einer nur geschichtlichen Darstellung des Christenthums erkannt wird. Aus dem überwiegend innerlich geschauten Zusammenhange der Theile und dem hierdurch ermöglichten tieferen Eingehen auf besondere Bezüge einzelner Textabschnitte fließt nun jene Abwandlung der typischen Ausdrucksweisen, welche bei Erwähnung des in der katholischen Messe für Bach gegebenen Kunstvorbildes schon gestreift worden ist. Ein Zug ernster Sammlung läßt sich auch in den katholischenKyrie jener Zeit nicht verkennen. Er neigt sich aber mehr zu dem Charakter einer Einleitung in eine feierliche Ceremonie, und ist als solcher mit der zunehmenden Leichtfertigkeit der katholischen Kirchenmusik flacher und flacher geworden. Bachs Kyrie ist ohne jede Nebenrücksicht aus dem Kern der Sache geschöpft. Die sündenbewußte Menschheit fleht aus ihrer Noth zu Gott um Erbarmen. Über die weitgespannte Absicht des Componisten, ein umfassendes Gebet der ganzen Christenheit darzustellen, benehmen die ungeheuren Verhältnisse des ersten Chors sofort jeden Zweifel. Eine zwölf bis dreizehn Minuten dauernde Fuge entwickelt sich durch 126 Takte langsamen Zeitmaßes in einfachster Gruppirung und Modulationsordnung über ein in Schmerzen wühlendes, unerhört kühnes Thema. Man darf behaupten, daß niemals ein ganz persönlich concipirter Gedanke mit ähnlich andauernder gleichmäßiger Empfindungsstärke festgehalten worden ist. In der Unterwerfung des fast ans Pathologische streifenden Schmerzausdrucks unter den großartig ordnenden Willen des Künstlers liegt eine unvergleichliche Erhabenheit. Sie giebt uns die rechte Grundstimmung für das Werk, hat aber auch im engeren Bereiche des Kyrie-Theiles ihre Bedeutung. Den heilsbedürftigen Zustand der Menschheit, wie ihn das dreifache Kyrie als geschichtlichen symbolisiren soll, verlegt die Kirche in die gesammte vorchristliche Zeit. Wie das erste Kyrie es ausdrückt, so betete das auserwählte Volk von Anbeginn der Sündhaftigkeit dem [534] Retter entgegen. Als die Zeit sich der Erfüllung näherte, wurde die Sehnsucht drängender, leidenschaftlicher: dies darzustellen ist Gegenstand des kürzeren, bewegten, an einigen Stellen (s. T. 9 ff. vom Schlusse) fast wilden Schluß-Kyrie. Jenes ist epischer, dies dramatischer, wenn man die Bezeichnungen gestatten will. An eine nähere Beziehung der einzelnen Sätze zu der dreifachen Persönlichkeit Gottes, die allerdings ja mit dem dreifachen Ausrufe gemeint ist, kann nicht gedacht werden. Die Stellung, welche der Kyrie-Abschnitt im Ganzen haben sollte, verwehrt dies. Das Christe fasse ich vorzugsweise als leichteres musikalisches Mittelglied, was nicht ausschließt – und bei Bachs bekannter Art, sich durch Gelegenheiten künstlerische Motive zuführen zu lassen, am wenigsten – daß sein Charakter durch die Vorstellung des milden Erlösers beeinflußt wurde.

An der Spitze des Gloria-Textes steht der Hymnus angelicus: der biblische Lobgesang der Engel in der Christnacht. Bach hat ihn als eignen Chor behandelt, was nicht stehender Gebrauch der katholischen Messe war. In den Gloria-Compositionen seiner kleinem Messen verarbeitet der erste Chor neben den Worten des Hymnus auch immer noch einige Sätze vom Folgenden. Hier hat Bach das Bibelwort von den späteren dogmatischen Ausführungen getrennt. Wüßte man auch nicht, daß er diesen Chor nach Jahren zu einer Weihnachtsmusik benutzt hat, man würde doch etwas von weihnachtlicher Empfindung durchmerken, dergleichen in den katholischen Messen nicht zu spüren ist. Die Behandlung der Worte Et in terra pax hominibus bonae voluntatis zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Engelchor des Weihnachts-Oratoriums. Auch der Dreiachteltakt ist charakteristisch für ein Fest, von dem Paul Gerhardt singt: »Fröhlich soll mein Herze springen, Dieser Zeit, Da vor Freud Alle Engel singen«. Wirklich findet sieh die Takt-Art außer in mehren Chören des Weihnachts-Oratoriums auch im Eingangschor der Cantate »Christen, ätzet diesen Tag«.54 Mehr als alles andre entscheidet der Gesammteindruck. Ein Jubel der erlösten Menschheit, für welche der Tag des Heiles erscheint, ist dies weniger, als ein unschuldiges Jauchzen. Allerdings zur denkbarsten Höhe gesteigert, [535] die auf diesem Gebiete möglich war. An die kolossalen Verhältnisse der H moll-Messe muß man sich erst gewöhnen, um den Empfindungsausdruck der einzelnen Chöre richtig gegen einander abzuschätzen. Dann aber findet man in diesem Chore die alte Weihnachtsseligkeit wieder, die uns schon oft bei Bach in so rührender Weise entgegentrat; nicht zum wenigsten in dem friedevoll schwebenden Mittelsatze, aus dem sich ebenso eigenthümlich wie natürlich eine strömende Fuge entwickelt, in welcher mit dem Friedensgruße jubilirende Stimmen sich einigen. Zu der ernsteren dogmatischen Darstellung des mit der Geburt Christi beginnenden Versöhnungswerkes leitet erst die folgende Arie hinüber. Hier hat als Gratias agimus tibi der feierlich prächtige Chor, welcher anfänglich die Rathswahl-Cantate »Wir danken dir Gott« begann, den seiner würdigen Platz gefunden. Der weitere Verlauf wird größeren Theils durch Sologesänge hergestellt. Nur den wichtigsten Punkt, den Versöhnungstod Christi, hebt der tief mitempfindende Chor Qui tollis peccata mundi nachdrücklich hervor. Zum Schlusse ein Jubel-Hymnus auf Christus, der seinen Gang vollendet hat und zur Rechten des Vaters thront. Das kühn vordringende Fugenthema, das in die Mitte breit hineinklingende siegeswisse Amen, und jenes eigenthümlich Bachsche Rollen und Wogen kündet uns den protestantischen Geist. Aber die langgezogenen Harmonien des Chors, aus denen es wie Lichtströme hervorbricht und die alle individuelle Gestaltung zeitweilig verschwinden lassen, zeigen ihn doch in einer andern und allgemeineren Sphäre kirchlich-künstlerischer Anschauung.

Im Credo legt die von Christus gegründete Kirche mit den Worten des Symbolum Nicaenum ihr Bekenntniß ab. Einem riesigen Portale gleich wölbt sich der Eingangschor Credo in unum Deum, durch welchen uns die Hallen der christlichen Kirche geöffnet werden. Als Thema der Fuge hat Bach die Intonation des Priesters gewählt:


2.

Zu den fünf Singstimmen treten, den Fugenbau höher aufthürmend, die beiden Violinen; der Continuo durchwandelt Höhen und Tiefen in stetiger Viertelbewegung. Am Schlusse bringt der Bass das Thema [536] in der Vergrößerung, zweiter Sopran und Alt darüber im eigentlichen Zeitwerth, der erste Sopran zugleich in der Engführung; Engführung findet hernach auch noch in den Violinen statt. Da solche Complicationen bei Bach sonst nur selten auftreten, so ist die Beziehung auf die polyphone Kirchenmusik des 16. Jahrhunderts ziemlich verständlich, und Bachs Beschäftigung mit Palestrina erhält hierdurch eine besondere Bedeutung. Die Benutzung des Priestergesanges, die Anwendung der mixolydischen Tonart nehmen vollends jeden Zweifel darüber, daß der Meister mit Bewußtsein in jene Zeit zurückgriff, da es sich noch nicht um eine Trennung, sondern um der ganzen Kir che Erneuerung handelte. Die Symbolik der Thema-Vergrößerung durch den Bass und der darüber gebauten Stimmenverschlingung – die unerschütterlich gegründete Glaubenseinheit – ist ohne weiteres klar. Im Fortgang des Bekenntnisses wird nun zunächst das Bild Gottes des allmächtigen Vaters in großartigen Kraftzügen gezeichnet: ein Chor voll Glanz und nerviger Energie besingt ihn als Schöpfer Himmels und der Erde. Das Mysterium seiner Wesenseinheit mit dem Sohne zu verkünden fällt einem vermittelnden Sologesänge zu. Dann erscheint Christus selbst, der fleischgewordene Gott. Die langsam niederwärts strebenden Schritte des Eingangsthemas versinnlichen sein Herabkommen zur Menschheit. Eine jungfräuliche Innigkeit athmet in dem sonst ganz schlichten, überwiegend homophonen Chore, dazu haucht es uns an mit geheimnißvollem Schauer und, vorzugsweise durch die kühnen Wechselnoten der Begleitung bewirkt, wie Ahnung tiefen Leides. Am Schlusse drängen sich die Trübsalswolken dichter daher; dann ein neues Bild: Christus am Kreuze. So hatte Bach allmählig die Tonformen veredelt und vergeistigt, daß er es unternehmen konnte, an dieser Stelle den Passacaglio anzuwenden. Charakteristischeres kann nicht gedacht werden, das dreizehnmal wiederkehrende Thema bannt die Phantasie in den Anblick des Unerhörten, was ihr hier gezeigt wird. Der einer früheren Cantate entnommene Tonsatz schien uns dort schon auf eine noch weiter hinaufliegende Quelle zurückzuweisen. Das Bassthema an sich hat den Künstler von früher Jugend auf verfolgt, hier erhält es für die Passacaglioform seine letztgültige Ausprägung. Nach einer gewissen Richtung hin zieht dieser Chor und der Cantatensatz »Jesu, der du meine Seele«, welcher dasselbe [537] Thema ciaconenartig verarbeitet, die Summe von Bachs Entwicklung. Beide als zusammengehörig anzusehen ist gut auch für die schärfere Erkenntniß der im Messensatze herrschenden Eigenart. Hier gilt es nicht eine durch den Textinhalt nur coloristisch angehauchte Empfindung allgemein kirchlicher Feierlichkeit, noch viel weniger eine theatralische Illustration eines erschütternden Vorganges. Unter den erzählenden Worten tönt es für das innere Ohr heraus wie ein inbrünstiges Gebet an Jesus, der einst durch seinen Tod die Welt erlöste, daß er fort und fort an jedem, der ihn sucht, das Erlösungswerk vollbringen möge. Mitleidenschaft ist hier alles, und dennoch gereinigt von selbstischem Wesen. Was über dem Bassthema die Stimmen in chromatischen, übermäßigen, verminderten Melodieschritten einzeln und im Zusammenklang ihrer Gänge sagen, ist ebenso unerhört, wie das Ereigniß, dessen Bedeutung sie ausdrücken sollen. Wenn zuletzt der thematische Bass sich aus der starren Haltung löst und der Chor tief in die kühlende Ruhe der Grabesnacht hinabsinkt, dann steht der Hörer unter dem Eindruck eines Tonbildes, neben dem alles was je in Messen an dieser Stelle gesungen ist, zu Schemen verblaßt. Auch der Chor Qui tollis peccata mundi aus dem Gloria tritt gegen dieses Bild in Schatten. Er sollte es; dort war das Leiden Christi nur ein Moment des ganzen Versöhnungswerkes, von welchem der Abschnitt handelte, hier verdichtet sich in einem Tonbilde das Wesen des Sohnes im Gegensatz zu dem des Vaters und Heiligen Geistes. Anfänglich sollte der Chor Crucifixus dieser Aufgabe allein genügen; hernach erachtete Bach den Vorgang durch ihn noch nicht für genügend betont und prägte auch das Et incarnatus est in einem Chorsatze aus. Also war er bedacht, die Messentheile unter dem Gesichtspunkte des Ganzen gegen einander abzuwägen. – Aus der Grabesruhe, in welche der Schluß des Crucifixus hinabführte, springt der Chor triumphirend empor und schwingt das Panier der Auferstehung. Ein längeres Instrumentenspiel schließt sich an und gewöhnt den Sinn an das zurückgegebene Licht. Dann wallt es in neuem Lebensdrange aufquillend zur Höhe und jubelt hoch auf der Zinne, nicht im lang fortgesetzten Gesange, sondern stets von Zwischenspielen unterbrochen; dies giebt dem Satze ein Eigenthümliches, was ihn trotz aller Kraft, trotz der herausfordernden Kühnheit des Basses, der die Verheißung von Christi Wiederkunft [538] ganz allein vorträgt, noch in einer mittleren Höhe festhält. Eine Steigerung bleibt möglich. Die dritte Person der Trinität, der Heilige Geist, offenbart sich in der Kirche. Das Symbol der kirchlichen Gemeinschaft ist die Taufe. So wird das Bekenntniß auf dieselbe zugleich ein Bekenntniß auf den Heiligen Geist. In dieser Anschauung liegt die weite chorische Ausführung des Confiteor unum baptisma begründet, nachdem der Glaube an den Heiligen Geist selbst sich in einer musikalisch nothwendigen Arie ausgesprochen hatte. Wieder begegnen wir hier, mit derselben Beziehung auf die allgemeine christliche Kirche, wie im einleitenden Credo, dem gregorianischen Choralgesange, nämlich folgender Melodie:


2.

Zum Thema eines fugirten Satzes war diese Melodie nicht geeignet. Ein solches wird frei gebildet; im 73. Takte tritt der Choral erst in Verkürzung und Engführung zwischen Bass und Alt, und nach dieser Ankündigung voll und einfach im Tenor auf. Nun bereitet sich der gänzliche Schluß vor. Die Kirche dauert über den Tod hinaus ins ewige Leben, wo sie zur Vollendung gelangt. Durch eine langsame Folge wunderbarster Harmonien, in welchen die alte Welt versinkt, werden wir hinübergeleitet in den Zustand »eines neuen Himmels und einer neuen Erde«. Die Hoffnung auf denselben strömt in einem trotz aller Lebendigkeit und Zuversicht grundfeierlichen, breitathmigen Chore aus.

Der vierte Act der Messe, welcher sich um die Abendmahlsfeier schließt, ist ein zweitheiliger. In der katholischen Messe bilden Sanctus, Osanna und Benedictus den ersten, das Agnus mit dem Dona den zweiten Theil. Aus Unkenntniß der leipzigischen Liturgie und unter Ignorirung von Bachs ausdrücklicher Vorschrift ist man bei Aufführungen und in Ausgaben der H moll-Messe bisher einfach bei dem katholischen Schema geblieben.55. Aber die an dieser Stelle[539] hervortretende abweichende Eigenart der H moll-Messe ist in mehr als einer Beziehung wichtig und bedeutungsvoll. In den ältesten Zeiten der Kirche bildete das Sanctus zusammt der vorhergehenden Präfation eine Danksagung für die Wohlthaten der Schöpfung, deren Erstlinge, meistens in Brod und Wein bestehend, zuvor von den Gemeindemitgliedern dargebracht worden waren (Offertorium). Seine Erweiterung durch das Osanna und Benedictus fand statt, als dieses Symbol des Dankopfers vor der später aufgekommenen Idee einer symbolischen Opferung des Leibes nnd Blutes Christi durch den Priester zurückweichen mußte. Denn Osanna und Benedictus deuten auf das Kommen des Heilandes, in diesem Fall auf sein Gegenwärtigwerden im Brod und Wein. Bekanntlich verwarf die Reformation die priesterliche Opferung. Hierdurch verloren Osanna und Benedictus als Fortsetzung des Sanctus ihren Sinn, und als Figuralmusik waren sie auch in der Liturgie der Leipziger Hauptkirchen schon im 17. Jahrhundert abgeschafft.56 Bach, der das Sanctus der H moll-Messe zugleich zum liturgischen Gebrauch im Gottesdienste, ebenso wie seine übrigen Sanctus bestimmte, hat demnach in diesem Theile der Messe die Absicht der ältesten Kirche wieder zur Geltung gebracht. Ob er es bewußt oder unbewußt gethan hat, muß dahin gestellt sein; die Thatsache daß hier das Sanctus als Messentheil wieder in seiner Urgestalt auftritt bleibt dieselbe. Um die Wirkung dieses aus Jesaias 6,3 entnommenen Hymnus seraphicus ganz zu fassen, muß man ihn mit dem Inhalte der Präfation in Verbindung bringen. Derselbe erfuhr je nach dem Charakter der hohen Feste gewisse Abwandlungen. Der Hauptinhalt blieb sich aber gleich und lautet in deutscher Übertragung nach Weglassung des responsorischen Eingangs: [Geistlicher:] »Wahrlich würdig und recht ist es, billig und heilsam, daß wir dir immer und überall danken, heiliger Herr, allmächtiger Vater, ewiger Gott, durch Christum unsern Herrn; durch welchen deine Majestät loben die Engel, anbeten die Herrschaften, fürchten die Mächte; die Himmel und der Himmel Kräfte und die seligen Seraphim mit einhelligem Jauchzen feiern; mit ihnen flehen wir, laß auch unsre Stimmen zu dir sich wenden und anbetend und bekennend sagen: [Chor:] Heilig, Heilig, Heilig« u.s.w. Die [540] überschwängliche Vorstellung eines Lobgesanges, zu dem die Kräfte des Himmels und die Engel mit der Menschheit sich vereinigen, mag neben der Idee dasSanctus der H moll-Messe einzuverleiben den Componisten gedrängt haben, die Tonmittel zum sechsstimmigen Chore zu erweitern. Im übrigen sieht man auch wie die Schilderung des Jesaias für einzelne Züge des ungeheuren Tonstückes bedingend wurde. »Ich sähe den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Stuhle und sein Saum füllete den Tempel. Seraphim standen über ihm, ein jeglicher hatte sechs Flügel; mit zween deckten sie ihr Antlitz, mit zween deckten sie ihre Füße und mit zween flogen sie. Und einer rief zum andern«. Die majestätisch schwebenden Gänge, mit welchen höhere und tiefere Stimmen einander zu antworten scheinen, sind gewiß aus den letzten Sätzen jener Worte geschöpft. An jenen Stellen, wo die fünf obern Stimmen in schallenden Harmonien unter dem mächtigen Flügelschlag der Geigen und Holzbläser, dem Schmettern der Trompeten und Donner der Pauken sich strecken und der Bass in gewaltigen Octavenschritten stufenweis abwärts steigt, empfinden wir wie der Prophet, »daß die Überschwellen bebten vor der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch«. Nach dem breiten Sanctus folgt ein bewegtes Pleni sunt coeli, welches an ekstatischem Jubelschwung alle ähnlichen Sätze der Messe so weit überbietet, daß man wieder inne wird: bisher wollte Bach nur Preis- und Wonnegesänge der Christenheit laut werden lassen, aber hier »loben den Herrn die Morgensterne mit einander und jauchzen alle Kinder Gottes«.57

Der zweite Theil des vierten Messenactes beginnt bei Bach mit dem Osanna und schließt mit demDona. Man würde, da das Sanctus nunmehr wieder nur die allgemeinste Danksagung für die Segnungen Gottes ausdrückt, sagen können, es bilde allein den vierten Act und das Osanna mit seinem Gefolge sei der fünfte. Jedoch wurde oben gezeigt, daß beide für eine zusammenhängende Aufführung gedacht sein müssen, und auch ein innerer Zusammenhang ist vorhanden. Auf der Hand liegt, daß durch eine Gruppirung, welche das Osanna als Eingang und dasDona als Schluß eines Messenabschnittes verwendet, dieser selbst ein ganz andres Gesammtgepräge [541] erhält, als wenn nur Agnus und Dona zu einem Ganzen zusammengefaßt werden. Im letzteren Falle kann, wie das aufmerksame Beobachter auch längst empfunden haben, der Eindruck nur ein unbefriedigender sein, sowohl hinsichtlich jedes einzelnen der beiden Stücke, als auch ihrer Zusammengehörigkeit, als endlich ihrer abschließenden Stellung im Ganzen der Messe. In Wirklichkeit aber bildet das Agnus nur ein sehr wirkungsreiches Mittelglied; es ruht wie ein schwermüthiger dunkler See zwischen stolzen Berghöhen; der Grundcharakter des Schlußabschnittes ist nicht bußfertiges Gebet, nicht erschüttertes Mitempfinden eines tragischen Vorgangs, auch nicht mystische Abendmahlsstimmung: er ist Jubel und Dank und setzt insofern die Empfindung des Sanctus fort, nur in menschlich gemäßigtem Grade. Der Osanna-Doppelchor hat auch das Wesen eines Eingangsstückes viel mehr, als das eines Abschlusses; wer an dem Fehlen eines Ritornelles Anstoß nehmen wollte, möge bedenken, daß keine concertirende Kirchenmusik ohne Orgelpraeludium aufgeführt wurde. Mag nun der ursprüngliche Zweck der übertragenen Osanna-Musik gewesen sein welcher er wolle, unzweifelhaft ist, daß diese nachdrängenden und einander überbietenden Jubelchöre vortrefflich zu den Worten der Volksmenge passen, welche Christi Einzug in Jerusalem begleitete. Unter dem für den ganzen Abschnitt sich ergebenden Gesichtspunkte fällt endlich auch das Befremdende fort, was bisher dem Dona anhaftete, das einfach die Musik des Gratias agimus tibi wiederholt. Ein Gebet um Frieden ist es nicht, soll es aber auch nicht sein. Wie die Gruppirung nun einmal war, konnte nur mit einem feierlichen Dankhymnus geschlossen werden. Daß auf diese Weise nicht ein, wenngleich nur äußerlicher und im Ganzen sich aufhebender, Widerspruch zwischen Text und Musik entstände, und daß nicht auch ein Schlußsatz mit andrer Musik denkbar wäre, soll damit nicht behauptet werden. Aber der Vorwurf, als entbehre die H moll-Messe eines innerlich begründeten, vollgewichtigen Abschlusses wird fürder nicht erhoben werden können.

Die H moll-Messe erweist am überzeugendsten und in den größesten Formen die Tiefe des kirchlich-christlichen Empfindens ihres Schöpfers. Wer sich zu dem Grunde desselben, soweit das überhaupt möglich ist, den Zugang öffnen will, muß die [542] H moll-Messe als Schlüssel gebrauchen. Ohne sie läßt sich nur ahnen, von welcher Urkraft alle kirchlichen Werke Bachs getragen werden. Wenn man diese Messe unter den für ihr Verständniß nothwendigen sachlichen Voraussetzungen hört, so ist es als rausche der Genius von zwei Jahrtausenden über den Häuptern hin. Fast unheimlich berührt die Einsamkeit, mit welcher die H moll-Messe in der Geschichte dasteht. Wenn auch alle findbaren Mittel herbeigeschaft werden, um die Wurzel von Bachs Kunstanschauung, den Gang seiner Kunstbildung, die ihr von außen zugeführten Elemente, die von seinen persönlichen Verhältnissen ausgehenden Anregungen aufzudecken, wenn endlich selbst das allgemeine Wesen der Tonkunst zur Erklärung sich hülfreich erweist, so bleibt doch ein letztes, das Aufblitzen der Idee zu einer Messe von solcher Tragweite, das abermalige Hervorbrechen des kirchlich reformatorischen Geistes wie aus lange angesammelten Quellen, ja das unzweifelhafte Wiedererscheinen von Anschauungen des Urchristenthums grade nur in dieser einen Künstlerpersönlichkeit unfaßlich, wie der Grund alles Lebens. Ein schwaches Nachzucken dieser Kraft ist in den nachfolgenden Generationen protestantischen Bekenntnisses wohl bemerkbar; bis in die neueste Zeit lockte sie die Idee einer musikalischen Messe mit geheimnißvoller Gewalt. Aber bei den Besten unter ihnen, Spohr und Schumann, war es doch großentheils nur ein antiquarisch-romantischer Reiz, wenngleich des letzteren Äußerung, der geistlichen Musik die Kraft zuzuwenden bleibe ja wohl das höchste Ziel des Künstlers, das deutliche Gefühl von dem Gebiete verräth, wo die Urquellen der Kunst fließen. Katholischerseits konnte ein Zusammenfassen des Inhalts der gesammten christlichen Kirche in der Form einer idealen Liturgie nicht unternommen werden, da hier die nothwendige Freiheit innerhalb der kirchlichen Gebundenheit nicht vorhanden war; und es ist auch nicht unternommen worden. Beethovens zweite Messe der Bachschen Messe ebenbürtig an die Seite setzen, wie man es heutzutage zu thun liebt, kann nur der, welcher den unverhüllbaren Riß nicht sehen will, der zwischen dem, was die Idee eines solchen Werkes fordert und dem Geiste, in welchem seine Gestaltung unternommen wurde, aufklafft. In Beethovens Messe muß man die gewaltige Persönlichkeit ihres Schöpfers bewundern, man wird diese Messe verstehen [543] und mag sie lieben, so lange hundert andre Werke vorhanden sind, aus denen sein Genius reiner und voller und mit einer annoch unsre Zeit beherrschenden Macht kundbar wird. Von Bachs Compositionen könnte alles verloren gehen, die H moll-Messe allein würde bis in unabsehbare Zeit von diesem Künstler zeugen, wie mit der Kraft einer göttlichen Offenbarung. Nur ein wirkliches Gegenstück ist ihr gegeben. Vielfach wird der Messias Händels mit der Matthäuspassion verglicheu, und die unebensten Urtheile sind dann über diese beiden Werke, die im Grunde ihres Wesens kaum etwas mit einander gemein haben, unvermeidlich. Das eigentliche Gegenstück zum Messias kann nur die H moll-Messe sein. Beider Werke vollerreichtes Ziel ist die künstlerische Gestaltung des Inhalts des Christenthums. Nur die Auffassung der Aufgabe war eine verschiedene: Händel erkannte sie mehr unter dem frei geschichtlichen, Bach unter dem dogmatisch gebundenen Gesichtspunkt. War der letztere hinsichtlich der Tiefe der darzustellenden Empfindungswelt zweifellos der ergiebigere, so ermöglichte der erstere eine faßlichere Plastik, eine unmittelbarere Wirkung, die darum doch nicht weniger rein war. Wie der musikalische Gehalt jener Zeit sich in diesen beiden gleichberechtigten großen Männern auseinander legt, und somit ein jeder endlich nur durch den andern ganz verstanden werden kann, so wird eine wahrhaft geschichtliche Auffassung es ablehnen müssen, den einen über den andern zu erheben. Sie darf sich freuen, daß die Unerreichten beide unser sind.

Fußnoten

1 S. S. 94 f. dieses Bandes.


2 S. S. 198 ff. dieses Bandes.


3 Hiller, Vierstimmige lateinische und deutsche Chorgesänge. Erster Theil. Leipzig, 1791; Vorrede.


4 Sammlung von Texten zur Leipziger Kirchenmusik, auf der königlichen Bibliothek in Berlin.


5 Man beachte den Sprachgebrauch: »Kyrie cum Gloria, nicht et; schon durch diese Ausdrucksweise wurde das Gloria als Ergänzung des Kyrie bezeichnet.


6 Zwei Messen Knüpffers werden angeführt in Breitkopfs Verzeichniß von Neujahr 1764, S. 11 und 14, eine Messe Kuhnaus in desselben Verzeichniß von Ostern 1769, S. 17.


7 Breitkopfs Verzeichniß von Ostern 1769, S. 17.


8 S. S. 468 f. dieses Bandes.


9 Das Wasserzeichen des Papiers ist M A, was die Periode von etwa 1727–1736 andeutet.


10 Die Handschrift ist auf der königlichen Bibliothek zu Berlin. Die Überschrift ist abgegriffen und halb erloschen, doch scheint ein d L [di Lotti?] noch erkennbar. Wasserzeichen mit denen der Partitur des Oster-Oratoriums übereinstimmend, woraus sich die ungefähre Entstehungszeit des Manuscripts ergiebt; s. Anhang A, Nr. 48. – Schicht hat die Messe irrthümlich als ein Werk Seb. Bachs bei Breitkopf und Härtel herausgegeben.


11 Auf der königlichen Bibliothek zu Berlin.


12 Im Besitz der Herren Breitkopf und Härtel in Leipzig.


13 Letzteres auf der Bibliothek der Thomasschule zu Leipzig, ersteres auf der königlichen Bibliothek zu Berlin.


14 Auf der königlichen Bibliothek zu Berlin.


15 S. S. 199 ff. dieses Bandes.


16 Eine Zusammenstellung hat Rust gegeben im Vorwort zu B.-G. XI1. Hier ist aber die E moll-Messe (Nr. 3), eine Composition Nikolaus Bachs, auszuscheiden; s. Band I, S. 130 f.; sie ist nicht in Seb. Bachs Autograph vorhanden; s. ebenda S. 565, Anmerk. 1. Breitkopfs Verzeichniß von Ostern 1769 führt, in Übereinstimmung mit dem Michaelisverzeichniß 1761, auf S. 12 und 13 sechs Messen Seb. Bachs auf, von denen aber vier zuverlässig unecht sind; die erste wird Nr. 5 in Rusts Zusammenstellung sein (die C moll-Messe mit dem interpolirten Christe eleison), die vierte Nr. 4 bei Rust, die fünfte Nr. 10 (die obengenannte mehrchörige G dur-Messe), die sechste Nr. 3.


17 Dies ist schon von Mosewius (J.S. Bach in seinen Kirchen-Cantaten und Choralgesängen, S. 11) und nach ihm von M. Hauptmann im Vorwort zu Band VIII der Bach-Gesellschaft, welcher die Messen enthält, bemerkt worden, bis auf den Schlußchor der G dur-Messe, welcher eine Überarbeitung des Anfangschors der Cantate »Wer Dank opfert, der preiset mich« ist.


18 Bisher waren nur der erste Chor und die Arien für Sopran und Alt als Entlehnungen festgestellt, s. Mosewius a.a.O. S. 12. Der Schlußchor ist eine Überarbeitung des Eingangschors der Cantate »Erforsche mich Gott und erfahre mein Herz«.


19 Ein analoges wenngleich weit weniger kunstvolles Gebilde ist das vierstimmige Recitativ am Schluß des Weihnachts-Oratoriums »Was will der Hölle Schrecken nun«.


20 Das Christe führt Kirnberger (Kunst des reinen Satzes II, 3, S. 63 ff.) als canonisches Musterbeispiel an und bemerkt dazu, es sei »gegen alle vorhergewesene Kirchenmusik ganz verschieden, weil man gemeiniglich immer in dem sogenannten schweren Styl geschrieben, in welchem gar keine Verwechslungen der dissonirenden Accorde Statt fanden.«


21 S. Hauptmann im Vorwort zu B.-G. VIII.


22 Die ungefähre Originalgestalt dürften bieten Takt 1–28+65–83 als erster und als dritter, Takt 84–118 als zweiter Theil, natürlich nur dem musikalischen Grundstoffe nach. Vrgl. zum Bau den Eingangschor der Cantate »Es erhob sich ein Streit« (B.-G. II, Nr. 19).


23 S. Band I, S. 849.


24 Chrysander, Händel I, S. 25 f.


25 Breitkopfs Verzeichniß zu Ostern 1769, S. 17 und 12; zu Neujahr 1764 S. 15 f.


26 S. Band I, S. 130 ff.


27 Eine der beiden (nicht Original-) Handschriften, welche das Werk überliefern, giebt den Choral einer Sopranstimme. Das ist sicherlich nicht Bachs eigentliche Absicht; die eigentümliche Wirkung beruht, wie bei so manchen ähnlichen Stücken seiner Composition, grade auf dem wortlosen Erklingen der bekannten Tonreihen, ganz abgesehen von der störenden Vermischung deutschen und lateinischen Textes.


28 Wie die Vergleichung lehrt hat Bach die Melodie durch einige chromatische und andre vermittelnde Schritte noch charakteristischer gemacht.


29 S. S. 97 dieses Bandes.


30 S. S. 212 ff. dieses Bandes.


31 Wie eine aus Joh. Adam Hillers Besitz stammende, auf der königlichen Bibliothek zu Berlin befindliche Abschrift des Kyrie als einzelnen Stückes beweist.


32 Das Jahr 1737–1738 als Entstehungszeit der G dur- und A dur-Messe deuten deren autographe Partituren an, die durchaus oder theilweise ein Wasserzeichen haben, welches auch in der Partitur des Oster-Oratoriums vorkommt.


33 Vopelius, a.a.O. S. 422.


34 S. Vorwort zur Ausgabe der H moll-Messe B.-G. VI, S. XV.


35 Die autographe Partitur, eine Reinschrift, welche dem diplomatischen Merkzeichen M A zufolge, wenn nicht im Jahre 1733 selbst, so doch bald nachher gefertigt sein wird, zeigt Kyrie und Gloria in der Weise zusammenhängend, daß auf derselben Seite 20 dasKyrie aufhört und das Gloria anfängt. Beide Sätze werden in der Originalpartitur unter dem NamenMissa als Nr. 1 zusammengefaßt.


36 S. Anhang A, Nr. 54.


37 »Festo Nativitatis Christi. Gloria in excelsis Deo.« Das Autograph besitzt Herr Kammersänger Hauser in Carlsruhe, der mir die Kenntniß desselben gütigst vermittelte. Über die Entstehungszeit desselben s. Anhang A, Nr. 47.


38 S. S. 198 dieses Bandes.


39 B.-G. XI1, S. 81 ff. – Die in demselben Bande herausgegebenen Sanctus in D moll und G dur haben geringeren Werth, namentlich letzteres; dem aus D moll kann man trotz seiner Einfachheit und Kürze eine eigenthümliche Stimmung nicht absprechen. Zwei Sanctus in F dur und B dur, die noch unter Bachs Namen vorkommen – auch Breitkopf im Verzeichniß von Michaelis 1761, S. 8 scheint sie als Originalcompositionen angesetzt zu haben – sind offenbar unecht; dagegen möchte ich ein achtstimmigesSanctus in D dur Bach nicht ohne weiteres aberkennen; s. Rusts Vorwort zu B.-G. XI1, S. XVII, Nr. 7 und 8, S. XVI, Nr. 6.


40 Eine bemerkenswerte Kleinigkeit ist, daß Bach in seinen Sanctus stets componirt: pleni sunt coeli et terra gloria ejus, statt gloria tua; dem Bibelwort gemäß, aber dem kanonischen Messentexte zuwider.


41 S. S. 100 dieses Bandes.


42 S. S. 98 dieses Bandes. – Die Zusammenlegung der Aposteltage mit den Sonntagen scheint in Leipzig schon Ende des 17. Jahrhunderts üblich gewesen zu sein; s. Vopelius, a.a.O. S. 20.


43 S. Zedler, Universal-Lexicon. Band 39. Leipzig und Halle. 1744. – G B. Hanckens Weltliche Gedichte. Dresden und Leipzig, 1727. S. 30 ff.; S. 123 ff. – J. Ch. Günthers Gedichte. Breslau und Leipzig, 1735. S. 137 ff.


44 Gerber, N. L, IV, Sp. 243.


45 S. S. 281 f. dieses Bandes.


46 S. S. 258 f.


47 S. S. 272.


48 S. S. 234.


49 S. S. 425.


50 S. S. 461 f.


51 Eine den Vortrag angehende Bemerkung möge hier Platz haben. Der erste Takt der Flötenstimme ist von Bach so geschrieben:


2.

Später finden sich, wo das Thema wiederkehrt, in der zweiten Takthälfte einfache Sechzehntel, deren je zwei mit einem Bogen versehen sind. Die punktirte Schreibweise deutet nur an, daß die erste Note an die folgende eng gebunden und zugleich mit einem Druck versehen, nicht aber, daß sie an Zeitwerth geringer sein soll, als die zweite. Eine Musiklehre von J.G. Walther aus dem Jahre 1708, die im Autograph des Verfassers in meinem Besitz ist, sagt über diesen Gegenstand: »Punctus serpens, zeiget an, daß die auf folgende Art gesetzten Noten sollen geschleiffet werden. z.B.


2.

Seb. Bach unterscheidet sich hinsichtlich dieser Vortragsart von Emanuel Bach, und darnach wäre auch wohl eine Bemerkung in B.-G. XIII1, S. XVI noch genauer zu fassen.


52 Schon Mosewius hat diesen symbolischen Sinn erkannt; s. bei Lindner, Zur Tonkunst. S. 165 f.


53 Oder Flöte; die autographe Partitur giebt über den Charakter des concertirenden Instruments keine Auskunft.


54 S. S. 197 f. dieses Bandes.


55 Der ältesten (Nägeli-Simrockschen) Ausgabe kann man dies freilich nicht vorwerfen, da sie die Eintheilung der Messe nach den liturgischen Hauptabschnitten überall unterläßt.


56 Wie aus Vopelius, S. 1086 hervorgeht.


57 Hiob 38, 7.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1880..
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