V.

Wenn Bach in der ersten, bis zum Abschluß der Cöthener Jahre zu rechnenden Hälfte seines Lebens sich uns vorzugsweise als Instrumentalcomponist gezeigt hatte, so legte sich während der Leipziger Zeit die concertirende Kirchenmusik als das Feld seiner Hauptthätigkeit vor Augen. Eine naturgemäße Weiterbewegung von jener zu dieser Periode ist sichtbar; soweit es ohne Beeinträchtigung des selbständigen Werthes der verschiedenen Kunstgebiete geschehen kann, darf man sagen, daß die frühere Periode zur späteren sich verhält, wie Vorbereitung zur Erfüllung. Die instrumentale Kunst wird nicht aufgegeben, sie wird nur durch höhere Organe ausgeübt: in Folge der Doppeldeutigkeit des Gesanges als künstlerischen Ausdrucksmittels kommt dann freilich ganz von selbst ein neues wesentliches Element in sie hinein. Aber da die instrumentale Musik der eigentliche Quell von Bachs Kunst ist, so ist es natürlich, daß er auch in der zweiten Periode unmittelbar aus ihm zu schöpfen fortfuhr. Und ist schon die Zahl seiner später geschaffenen Instrumentalcompositionen keine geringe, so verleiht ihnen ihr Gehalt den Charakter schwerer, vollreifer Früchte eines gesegneten Lebensherbstes.

In der glücklichsten Lage befindet sich der wahre Künstler dann, wenn alle seine Werke Gelegenheitswerke sein können, und umgekehrt wird derselbe instinctiv getrieben, seine Kunst wo es nur angeht an die ihn umgebenden Lebensverhältnisse anzuknüpfen. Beides findet sich bei Bach bewahrheitet. Er ist nie größer gewesen, als wo er mit seiner Musik eben nur den Veranlassungen seines [615] Dienstes und Amtes nachzukommen hatte. Er hat aber auch immer die Gelegenheit wahrgenommen, wo es für einen bestimmten Zweck etwas zu componiren galt. Von 1729 bis nach 1736 war er Dirigent des Telemannschen Musikvereins. Über die Kammermusikwerke für Gesang mit Begleitung, welche er für ihn schrieb, ist schon gesprochen worden. Daß er auch Instrumentalien seiner Composition in ihm zur Aufführung brachte, steht außer Zweifel. Man denkt dabei zunächst an Orchesterpartien. Jene »Bachschen Sonaten«, welche noch im Jahre 1783 die Musikanten zu Eutritzsch bei Eröffnung der Kirmeß hören ließen, können nur Werken solcher Art entnommen sein1. Welche seiner Orchesterpartien er neu für den Musikverein componirt hat, läßt sich mit Sicherheit nicht sagen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Bach auch in Cöthen schon sich mit dieser Form beschäftigte. Bei der einen, jetzt bekannteren, der beiden D dur-Partien steht aber soviel fest, daß die zur Ausführung angefertigten Original-Stimmen derselben zwischen 1727 und 1736 geschrieben worden sind, ungefähr also während der Zeit, da Bach den Musikverein dirigirte. Die andre D dur-Partie deutet wenigstens durch ihren Inhalt auf die Leipziger Periode2.

Die Musik, welche in dem Vereine getrieben wurde, war indessen mannigfaltiger Art; man muß daher annehmen, daß auch Violin- und Clavierconcerte Bachs hier zur Aufführung kamen. Häufiger noch wird dies in Bachs Wohnung geschehen sein. Da er bei seinem Tode nicht weniger als fünf Claviere, zwei Violinen, drei Bratschen, zwei Violoncelle, eine Gambe und noch andre Streichinstrumente hinterließ, so sieht man, daß er auf häusliche Concerte vollkommen eingerichtet war. An talentvollen, oder doch brauchbaren Schülern fehlte es zur Ausführung nie. Die glänzendste Zeit für Bachs Hauscapelle aber war unstreitig etwa von 1730 bis 1733, da die erwachsenen Söhne Friedemann und Emanuel noch im Elternhause weilten, Bernhard ins Jünglingsalter getreten war, und Krebs, schon seit 1726 Sebastians Schüler, sein großes Talent entwickelte – von den Gesangsleistungen Anna Magdalenas und ihrer Stieftochter Katharina abgesehen. Wissen wir es ja auch durch Bachs [616] eigne Worte, welche Freude es ihm damals machte, im Familienkreise ein Concert »vocaliter und instrumentaliter zu formiren«3. Ob Bach noch Violinconcerte eigens für diese Zwecke componirt hat, muß dahin gestellt bleiben; sicher ist nur, daß er solche Werke seiner Arbeit um die erwähnte Zeit zur Aufführung brachte4. Seine Hauptthätigkeit auf diesem Gebiete galt in Leipzig jedenfalls dem Clavierconcert. Die Violin-Sonaten und -Suiten hatte Bach später ganz oder theilweise für Clavier oder Orgel bearbeitet, und die Vergleichung zwischen Bearbeitung und Original ergab, daß die Idee dieser Stücke manchmal mehr im Boden des Clavierstiles ihre Wurzeln hatte, als daß sie wirklich geigenmäßig erfunden waren5. Nicht anders ist Bach auch mit einem Theil seiner Violin-Concerte verfahren, und die Vergleichung ergiebt ein ähnliches Resultat. Aber nicht nur die Violinconcerte in A moll, E dur und D moll hat er für Clavier mit Orchester übertragen, wobei sie nach G moll, D dur und C moll versetzt wurden. Er bietet uns auch drei Concerte (D moll, F moll und C moll), welche aus sich selbst erkennen lassen, daß sie Umgestaltungen früherer, als Originale leider verloren gegangener, Violinconcerte sind6. Ein viertes, E dur, trägt untrügliche Zeichen, die auf ein Violinconcert zurückwiesen, nicht an sich; man muß also einstweilen annehmen, daß es von Anfang für Clavier gesetzt worden ist. Es wurde, nachdem es seine erste Gestalt erhalten hatte, für zwei Kirchencantaten vollständig aufgenutzt, dann aber als Clavierconcert nochmals überarbeitet7. Ein fünftes, D moll, ging ebenfalls in eine Kirchencantate auf, als Original ist [617] es bis auf ein kleines Fragment verloren8. Ohne nachweisbare Beziehungen zu andern Werken steht nur das A dur-Concert da. Die beiden Concerte, welche ursprünglich für zwei Violinen und Tutti componirt waren, sind demgemäß auch auf zwei Claviere übertragen9; die Zahl der einfachen Clavierconcerte ist sieben, wenn man dasjenige mitrechnet, welches nur noch in der Kirchencantate vorhanden ist10.

Bei einigen dieser Concerte läßt sich über die Entstehungszeit genaueres sagen. Das erstere D moll-Concert ist für zwei verschiedene Kirchencantaten benutzt, zuerst für die Cantate »Ich habe meine Zuversicht«, welche auf den einundzwanzigsten Trinitatis-Sonntag 1730 oder 1731 gesetzt werden mußte, hernach zu der Jubilate-Musik »Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen«11. Das andre D moll-Concert befindet sich in der wahrscheinlich für 1731 componirten Cantate zum zwölften Trinitatis-Sonntage »Geist und Seele wird verwirret«12. Die ersten beiden Sätze des E dur-Concerts enthält die Kirchenmusik »Gott soll allein mein Herze haben«, den letzten die Cantate »Ich geh und suche mit Verlangen«; sie sind dem achtzehnten und zwanzigsten Trinitatissonntage bestimmt, wahrscheinlich der Jahre 1731 oder 173213. [618] Die Originale müssen also vor diesen Daten componirt sein. Die Übertragung des einen der beiden C moll-Concerte für zwei concertirende Instrumente hat im Jahre 1736 stattgefunden14. In seiner späteren Lebenszeit, als Bach die hervorragendsten Orgelchoräle einer abschließenden Revision unterzog, den Passionen nach Johannes und Matthäus die endgültige Gestalt gab, hat er auch seine Clavierconcerte gesammelt und der letzten Feile unterworfen15.

Violinconcerte zu Claviermusik umzuformen hatte sich Bach wie wir wissen schon in Weimar eifrig geübt: er übertrug hier eine große Anzahl Vivaldischer Compositionen. Die Arbeit war nur insofern eine andre, als dort auch das Tutti in das Clavierarrangement einzuarbeiten war, hier aber der Clavierpart einfach an Stelle der Violinstimme treten sollte. Außer der Umformung derjenigen Passagen und melodischen Gänge, welche zu violinmäßig erfunden waren, außer der Umlegung derselben und der Benutzung tieferer Lagen, welche der Violine unzugänglich waren, galt es eine Stimme für die linke Hand herzustellen. Das concertirende Clavier einfach den Continuo mitspielen zu lassen, war ein Nothbehelf, zu dem Bach allerdings häufig gegriffen hat, besonders im D dur-Concert und dem Mittelsatz des einen C moll-Concerts. Wo er aber auf eine gründlichere Umarbeitung einging, ließ er zunächst den Continuo durch den Clavierbass in bewegteren Gängen umspielen, fügte zuweilen auch eine selbständige Stimme als dritte zwischen Oberstimme und Continuo hinein, oder machte, wenn der Continuo zu pausiren hatte, aus dem einstimmigen Satz des concertirenden Instruments einen zweistimmigen. Eine hervortretend sorgfältige Behandlung haben in dieser Beziehung das G moll- und in seiner letzten Überarbeitung das D moll-Concert erfahren; auch der erste Satz desjenigen C moll-Concerts, von welchem das Original noch erhalten ist. Gegenüber den Saiteninstrumenten ist dem Clavierstil die Zweistimmigkeit, und in weiterer Ausbildung die Drei- und Mehr-Stimmigkeit eigenthümlich. Dieses sowohl wie die Klangfarbe sind [619] Mittel, das Clavier zum Tutti in einen schärferen Contrast zu bringen, als er durch eine Solovioline erzielt werden kann. Mit gutem Grunde ist seit Mozart das Clavier als Soloinstrument beim Instrumentalconcert immer mehr in den Vordergrund getreten und nirgends hat sich sein Stil reiner und vollkommener entfaltet, als in der widerstreitenden Stellung, welche es in Mozarts und Beethovens derartigen Compositionen einzunehmen gezwungen war. Von Bachs Clavierconcerten läßt sich das gleiche nicht behaupten, auch nicht wenn man den in der Verschiedenheit des Cembalo vom Pianoforte gegebenen Entwicklungsbedingungen gebührend Rechnung trägt. Man muß berücksichtigen, daß damals zu einem jeden Concert auch noch ein Clavier als generalbassirendes Instrument gehörte. Es hatte als solches nicht nur das Soloinstrument zu stützen, sondern diente bei Bach ganz besonders auch dazu, die verschiedenen im Tutti mitwirkenden Organe zu binden und zu einer Einheit zu verschmelzen, welcher es seine Stileigenthümlichkeit zum Gesammtgepräge gab16. Daß auch bei Clavierconcerten Bachs das accompagnirende Cembalo in Anwendung kam, ist erwiesen. Von einem entschiedenen Gegensatz zwischen Tutti und Soloinstrument konnte also weder äußerlich noch innerlich die Rede sein. Dies erkannte Bach natürlich, und sein Streben ging viel mehr dahin, dem Clavier die Rolle, welche es als Generalbassinstrument bisher gleichsam latent gespielt hatte, nunmehr auch öffentlich zu übertragen. Die musikalische Form, welche sich durch das Gegeneinanderwirken zweier gleichberechtigter Mächte gebildet hatte, ist wie in den brandenburgischen Concerten beibehalten, übrigens aber ist das Clavier durchaus die herrschende Macht. Diese Werke sind gewissermaßen in Concertform entwickelte Claviercompositionen, die durch Mitwirkung von Streichinstrumenten eine größere Ton-, Stimmen- und Farbenfülle erhalten haben. Demnach läßt auch Bach alle Tuttisätze vom Soloclavier mitspielen oder durch Clavierfiguren umhüllen. Er beraubt sich hierdurch in einer oft ganz auffälligen Weise selbst der einfachsten gegensätzlichen Wirkung, wie z.B. im Andante des G moll-Concerts. Aber es kam ihm darauf an, eine dominirende Stärke des Cembaloklanges zu erzielen, was er denn auch, wenn man [620] bedenkt, daß noch ein generalbassirendes Cembalo hinzuzukommen und das Tutti nur dünn besetzt zu werden pflegte, vollkommen erreicht haben muß. Was dieses zweite Cembalo an unterstützenden Accorden zu leisten hat, ist meistentheils so geringfügig, daß es vom concertirenden Cembalo unschwer mit übernommen werden konnte, und in der That will es mir scheinen, als seien die letzte Überarbeitung des D moll-Concerts und das G moll-Concert auch darauf hin eingerichtet. Wie Bach der Idee, im Clavierconcert das Clavier zum Herrscher zu machen, weiter und weiter bis in ihre letzte Consequenz nachgegangen ist, werden wir alsbald erfahren. Der Keim dieser Idee steckte aber in den Compositionen schon als sie noch originale Violinconcerte waren. Denn daß Bach die Überarbeitungen nur aus Mangel an Lust zu ganz neuen Clavierconcerten vorgenommen habe, ist eine bei diesem Meister nicht zu rechtfertigende Annahme, und auch die große Anzahl der Überarbeitungen zeugt dagegen. Unzweifelhaft hatte er das Gefühl, daß der Stil seiner Violinconcerte zu sehr durch seinen Clavierstil bedingt war, als daß diese Compositionen nicht allein als Clavierconcerte ihr volles inneres Wesen entfalten könnten. Daß im Einzelnen manche und namentlich cantable Stellen durch die Clavierübertragungen unwirksamer geworden sind, läßt sich nicht leugnen; im Ganzen aber haben wir in ihnen eine Weiterbildung, kein gelegentliches Arrangement zu erkennen.

Es erhellt, daß in Bezug auf die Form, namentlich des ersten Satzes, auf das Verhältniß des Soloinstrumentes zum Tutti, auf die Klangeigenthümlichkeit beider und des Ganzen das Bachsche Clavierconcert unter einem andern Gesichtspunkte beurtheilt werden will, als das durch Mozart begründete neuere. Hat man ihn gefunden, dann ist des Genußreichen die Fülle17. Wenn wir von den [621] drei Concerten absehen, die noch als Violinconcerte vorliegen und als solche schon besprochen sind18, sowie von jenem D moll-Concert, welches sich nur innerhalb der Cantate »Geist und Seele wird verwirret« erhalten hat, so ziehen unter den übrigen einclavierigen Concerten diejenigen aus F moll und A dur durch ihre klare und gedrungene Form die Aufmerksamkeit auf sich. Sie sind besonders geeignet, das Verständniß für den Bau des älteren Concerts zu erschließen. Der Mittelsatz des F moll-Concerts besteht nur aus einer zusammenhängenden, reich verzierten Cantilene des Soloinstruments, während in dem Larghetto des andern die Streichinstrumente mit dem Generalbass eine Art freier Ciacone ausführen, die sich dem Adagio des E dur- Violin- (D dur-Clavier-) Concerts vergleichen ließe; nur liegt das Thema in der Oberstimme, bildet Zwischensätze und wird auch in der Umkehrung angewandt. Das E dur- und D moll-Concert zeigen weite Verhältnisse, dem ersteren ist ein rührig wohlgemuther, im Siciliano zart schwärmender, dem letzteren ein leidenschaftlich vordringender, pathetischer Charakter eigen. Es ist von allen unstreitig das bedeutendste, unablässig fesselnd durch den mächtigen Schwung und tiefen Ernst seiner Gedanken, wie durch deren geistreiche Verarbeitung. Dieselbe erfolgt in den Allegrosätzen nach Concertweise mehr motivisch als thematisch, das Adagio ist eine Ciacone, deren Thema diesesmal aber im Basse verbleibt, nur die Tonarten wechselt und zu Modulationszwecken jedesmal kurze motivische Zwischensätze einfügt. Die stürmisch losbrechende Thatkraft, welche nur in tiefer Klage zu Ruhe kommt und selbst zum Abschluß kaum die ernste Miene erheitert, giebt dem Werke grade auch als Concert ein ungewöhnliches Gepräge; denn viel mehr als später war man damals noch der Meinung, in dieser Form nur ein angenehm und flüchtig anregendes Spiel sehen zu sollen. Auch das auf eine verlorengegangene Violincomposition gegründete C moll-Concert für zwei Claviere hat jene dunkle Stimmung, doch spielt sie mehr ins Elegische hinüber. Was dieses Concert hinsichtlich seiner Textur, die namentlich im ersten Satze eine sehr dichte [622] und polyphone ist, eigenartiges hat, fließt zumeist aus dem Umstände, daß es Überarbeitung ist. Bach hat dieselbe augenscheinlich mit besonderer Sorgfalt ausgeführt. In einem Originalconcerte für zwei Claviere wäre aber das Verhältniß derselben zu den Streichinstrumenten ein andres geworden.

Neben dem einfachen Concerte gab es das Concerto grosso, in welchem dem Tutti nicht eines sondern mehre Soloinstrumente vereinigt gegenüber traten. Bachs Concerte für zwei Violinen gehören schon dahin, ebenso natürlich die aus ihnen hervorgegangenen für zwei Claviere. Man muß annehmen, daß auch ein Concert für Oboe und Violine, welches leider in Verlust gerathen ist, in dieser Weise gehalten war19. Daß Bach das sogenannte Concertino sehr eigenartig zu besetzen liebte, lehren die brandenburgischen Concerte. Wir finden zu einem solchen vereinigt: im zweiten Trompete, Flöte, Oboe und Violine, im fünften Flöte, Violine und Cembalo, im vierten Violine und zwei Flöten20. Dieses letztgenannte Concert hat Bach mit Transposition von G dur nach F dur in der Weise umgearbeitet, daß an Stelle der Violine das Clavier trat; das Concertino wurde also dem des fünften brandenburgischen ähnlich21, und wie dort tritt auch hier das Clavier nunmehr entschiedener vor den andern Soloinstrumenten in den Vordergrund. Ein drittes Concert der Art verwendet als Soloinstrumente ebenfalls Flöte, Violine und Cembalo. Seine Allegrosätze sind großartige Erweiterungen eines Praeludiums und Fuge für Clavier allein, die als solche schon in der Form von Concertsätzen entworfen waren und bereits früher von uns gewürdigt sind22. Den Mittelsatz entnahm Bach einer dreistimmigen Orgelsonate aus D moll. Hier schweigt das Tutti; die beim Zusammenwirken der drei Soloinstrumente nöthig gewordene vierte Stimme ist nicht obligat, sondern dient nur der harmonischen Füllung23.

[623] Wären wir im Stande die chronologische Folge der Clavierconcerte genau zu bestimmen, so würden sich auch deutlicher die einzelnen Stationen des Weges erkennen lassen, auf welchem Bach der immer höheren Entwicklung dieser Form nachging. Zur Erreichung dessen, was in dem C dur-Concert für zwei Claviere, den beiden Concerten für drei Claviere und dem sogenannten Italiänischen Concert vollendet vorliegt, haben verschiedene äußere und innere Impulse zusammen geholfen. Daß Bach die dreiclavierigen Concerte geschrieben habe, um sie mit seinen ältesten Söhnen zusammen auszuführen, ist eine glaubwürdige Tradition24. Dies war ein Anstoß von Außen, der seiner Neigung, das Concert immer mehr zur bloßen Claviercomposition zu machen, entsprach. Jedenfalls war ihnen das C dur-Concert für zwei Claviere vorhergegangen, und wenn sie bis spätestens 1733 componirt sind, so scheint dieses etwa zwischen 1727 und 1730 entstanden zu sein25. Von den beiden als Umarbeitungen dastehenden Concerten für zwei Claviere wurde, wie bemerkt, das eine im Jahre 1736 niedergeschrieben. Fällt das andere in eine frühere Periode, so läge die Annahme nahe, daß Bach eben durch diese Umarbeitung angeregt worden sei, sich nun auch in einer originalen Composition der Art zu versuchen26. Recht wohl denkbar ist es aber auch, daß der Gebrauch jenes zweiten, zum Generalbass verwendeten, Cembalo den Künstler anregte, dieses aus seiner dienenden Stellung zur Mitherrschaft zu erheben27. Denn es muß als unzweifelhaft angesehen werden, daß ein Generalbassinstrument bei dem C dur-Concert nicht mehr beabsichtigt ist; nach den aus Bachs Zeit stammenden Stimmen zu schließen war ein solches aber auch schon bei dem älteren C moll-Concert mit Recht als entbehrlich erschienen. Vergessen darf man endlich nicht, daß [624] für zwei Claviere zu componiren damals nichts ganz neues mehr war. Durch Hieronymus Pachelbels zweiclavierige Toccate braucht sich Bach nicht haben anregen zu lassen, wenn er überhaupt von ihr wußte. Aber schon Couperin schrieb eine Allemande für zwei Claviere, die Bach, der Verehrer Couperins, jedenfalls gekannt hat28.

Wie dem nun immer sein möge, das C dur-Concert läßt uns keinen Augenblick darüber im Zweifel, welchem Ziele Bach in dieser Gattung zustrebte. Von einem Wettstreit zwischen den Soloinstrumenten und dem Tutti ist schon garnicht mehr die Rede. Das Tutti thut nichts als harmonisch accompagniren oder die Gänge der Claviere verstärken. Zum Adagio schweigt es ganz und auch für die übrigen Sätze kann man es ohne Schädigung ihrer Construction entbehren. Seine Aufgabe ist, Fülle und Farbe zu geben. Die wenigen motivischen Stückchen oder polyphonen Wendungen, welche es selbständig hat, entstanden offenbar weil es Bach auf die Länge unerträglich wurde, nur nicht-obligate Stimmen zu schreiben. Die Entwicklung fällt ausschließlich den Clavieren anheim, erfolgt aber übrigens ganz in der durch die Concertform vorgeschriebenen Weise. Eine Tutti-Periode (T. 1–12) und eine Solo-Periode (T. 12–28) heben sich im ersten Satze deutlich hervor, aus den verschiedenfachen Stellungen und Verschlingungen, die sie gegen und miteinander in wechselnden Tonarten vornehmen, entwickelt sich der Satz. Innerhalb dieser beiden Hauptgruppen concertiren nun aber wieder die Soloinstrumente in sehr lebendiger Weise unter sich. Dieser Satz kann daher in doppeltem Sinne ein Concert genannt werden, einmal weil er die aus dem Gegensatze zwischen Solo und Tutti hervorgegangene Form des Vivaldischen Concertsatzes beibehält, trotzdem die ursprüngliche Voraussetzung derselben fortgefallen ist, sodann weil er wirklich auch einen Wettstreit zwischen zwei Instrumenten wenngleich andrer Art vorführt29. Dem letzten Concertsatze pflegte man gern einen Tanzcharakter und ungerades Zeitmaß zu [625] geben, immer mußte er dem pathetischeren ersten Satze gegenüber durchaus heiter, leicht und glänzend gehalten sein. Diese allgemeine Forderung erfüllt auch Bach im C dur-Concerte; bemerkenswerth ist aber die Anwendung der Fugenform. Die Fuge gehörte in die Sonate oder das sonatenartige Concert;30 mit dem eigentlichen Concertstil steht ihr Wesen nicht im Einklange, da dieser sich nicht auf Polyphonie sondern Homophonie, nicht auf thematische sondern motivische Entwicklung gründet. Bach hat die Fuge als letzten Concertsatz mehrfach, besonders wo das Clavier als Soloinstrument auftritt; so im fünften brandenburgischen Concert, im A moll-Concert für Clavier, Violine und Flöte, auch im vierten brandenburgischen, dessen Violinpart er für Clavier umarbeitete. Dort, wie auch im C dur-Concert, weiß er durch die Art der Erfindung und Behandlung, namentlich durch längere motivische oder auch ganz freie Zwischensätze die Form dem Charakter des Satzes meisterlich anzupassen. Auf sie geführt wurde er aber durch den seine Phantasie beherrschenden Zug zum Cembalo- und Orgelgemäßen.31 So wenig die Fuge dazu einzuladen scheint, so hat Bach dennoch selbst in diesem Satze ein Concertiren der beiden Claviere möglich gemacht, daß sie als völlig gleichberechtigte Factoren dastehen. Die Entwicklung der Fuge wird hierdurch, auch abgesehen von den Zwischensätzen, eine eigenthümliche und besonders interessante. Beide Allegrosätze und in nicht geringerem Maße das fein geflochtene, schwermüthig angewehte Quatuor, welches zum Adagio dient, offenbaren eine frische, nachhaltige Schaffensfreudigkeit, eine gesunde mittlere Stimmung, welche, da sie der Idee eines Concerts am vollständigsten entspricht, in Verbindung mit höchster Formvollendung das Werk zu einer classischen Erscheinung macht.32

[626] Nach denselben Grundsätzen sind die beiden Concerte für drei Claviere geformt. Das Tutti, wenn man diesen Namen überhaupt noch gebrauchen soll, dient mit einigen Ausnahmen nur der Unterstützung und Verstärkung, die musikalische Entwicklung wird von den Clavieren allein ausgeführt. In ihrem Concertiren unter sich ist allerdings eine andre Behandlungsweise zu bemerken. Wegen der nothwendigen Responsion der Glieder läßt sich solches mit drei Clavieren schwieriger durchführen, als mit zweien. Bach hat sie, ich glaube zunächst aus diesem Grunde, in den ersten Sätzen meistens gemeinschaftlich arbeiten lassen und auch von Gegenüberstellung einer Tutti- und Solo-Periode abgesehen. Ihr hieraus sich ergebender dichter, symphonischer Bau, den er durch übersichtliche Gliederung und bewundernswerthen Erfindungs-Reichthum dennoch mit aller erforderlichen Mannigfaltigkeit auszustatten wußte, bildet aber dadurch zugleich einen wirkungsreichen und im Wesen des ersten Concertsatzes wohlbegründeten Contrast zu dem letzten Satze. Von beiden Concerten ist dasjenige aus D moll sicherlich das frühere33. Es hat ein eingänglicheres, liebenswürdiges und einschmeichelndes Wesen, entbehrt aber jener vollständigsten Durchbildung, welche das kraftvolle, ernste und großartige C dur-Concert zu einer der imposantesten Instrumental-Compositionen Bachs erhebt34. In den beiden ersten Sätzen des D moll – Concerts tritt das erste Clavier merkbar in den Vordergrund, ja in dem, übrigens reizenden, Siciliano herrscht es ausschließlich, die andern Claviere accompagniren und verstärken nur. Das Streichquartett nimmt ungefähr die Stelle ein, welche bei concertirender Kammermusik sonst dem Generalbass-Cembalo[627] zukommt. In dieser Eigenschaft löst es seine Aufgabe sehr discret und geschmackvoll. Auch ist es beachtenswerth, wie gewählt und umsichtig Bach durch dasselbe die realen Stimmen der Claviere zu verstärken weiß. Doch liegt sogar der Bass meistens schon in den Clavierpartien selbst; wenn man das Streichquartett ganz fortließe, so würde man, von einigen Stellen abgesehen, die allerdings ohne Streichbass nicht verständlich werden, wohl die volle, wohllautende Wirkung, aber doch nicht den eigentlichen Organismus schädigen35. Das C dur-Concert gönnt allen drei Clavieren gleichgemessenen Antheil, und giebt auch dem Streichquartett, ohne es aus seiner untergeordneten Stellung hervortreten zu lassen, ein größeres selbständiges Leben zurück, als ihm im D moll-Concert und auch im zweiclavierigen C dur-Concert zu führen erlaubt war. Hier ist der Streichbass der wirkliche, unentbehrliche Continuo, mag er auch häufig mit dem Clavierbass zusammenfließen oder in dessen Figuren als Grundlinie verborgen sein. In bescheidenen Gränzen darf auch das Quartett an der Darstellung des Ganzen mit eignen Ideen theilnehmen. Dem Thema des ersten Satzes, welches im Einklange aller Claviere auftritt, stellt es sich mit prägnanten Weisen gegenüber. Den lapidaren Hauptgedanken des letzten Satzes übernimmt zweimal der Streichbass ganz allein. Und im Adagio finden wir gar einen wahrhaftigen Tuttigegensatz wieder, soweit ein solcher überhaupt im Concertadagio Platz hatte. Dasselbe ist, wie Bach öfter thut, über einen Basso quasi ostinato gebaut, der siebenmal vollständig, doch in verschiedenen Tonarten erscheint, außerdem aber auch motivisch zerlegt wird. Zu ihm bringen viermal die Streichinstrumente ihren eignen contrapunktirenden Gegensatz, während dessen die Claviere die Generalbassrolle übernehmen; hernach accompagnirt das Streichquartett wieder. So erfüllt dieses Concert alle Anforderungen, die man an die Selbständigkeit der zusammenwirkenden Organe je nach ihrer Bedeutung für das Ganze stellen darf. Auch in Bezug auf die allgemeine musikalische Stimmung ist der Concertcharakter überall gewahrt. Doch [628] führen selbstverständlich so reiche Mittel und eine so polyphone Verwendung derselben einen Zug zum Großartigen und Tiefsinnigen nothwendig mit sich. Er giebt der strammen Rüstigkeit des ersten Satzes die Wucht, dem melancholischen Adagio einen Beischmack von Strenge, und weit unter sich läßt der Finalsatz das gewöhnliche, in heiterer Lebenslust hingleitende Tonspiel. In stolzem, adlergleichem Fluge schwebt er empor, über dem Pfundnoten – Thema


5.

sich erhebend und zu voller Sechsstimmigkeit ausbreitend. Mit concertmäßigem Glanz reichlich ausgestattet hat er in seinem breiten, majestätischen Verlaufe beinahe etwas feierliches.

Auch ein Concert für vier Claviere mit Begleitung von Saitenquartett (A moll) liegt vor. Forkel36 hielt es für eine Originalcomposition. Wir wissen jetzt, daß es nur Bearbeitung eines Vivaldischen Concerts für vier Violinen ist; das Original stand in H moll und wurde durch zwei Bratschen, Violoncell und Bass begleitet. Was sich nach den Beobachtungen, welche über Bachs andre Bearbeitungen Vivaldischer Concerte zu machen waren, über diese Umgestaltung ohne Einsicht in das Original sagen läßt, ist daß Bachs Zuthaten sich auf die selbständiger geführten Bässe und ein etwas lebendiger gehaltenes, hier und da mit motivischen Ansätzen auftretendes Accompagnement beschränkt haben werden. Im ganzen wirkt das Accompagnement auch hier nur füllend und verstärkend. Immerhin ist die Arbeit ein neuer Beweis von des Meisters großer Kunst, vielstimmig obligat auch im leichtesten Stile zu schreiben. Daß die Bearbeitung mit den Originalconcerten für drei Claviere ungefähr gleichzeitig entstanden sein wird, muß man annehmen37.

Ostern 1735 ließ Bach im zweiten Theil der »Clavierübung« ein [629] Concert erscheinen, das man in Betracht des Stiles für das reifste Ergebniß seiner Wirksamkeit auf diesem Felde erklären muß. Es ist für Clavier allein und »nach italiänischem Gusto« componirt38. Diese beiden Bezeichnungen umschreiben die ganze Entwicklungsgeschichte und Charakteristik des Bachschen Instrumentalconcerts. Das Concert war eine von den Italiänern erfundene Form der Violinmusik. Seit Bach in Weimar angefangen hatte sich eingehender mit ihm zu beschäftigen, war sein Bemühen darauf gerichtet gewesen, diese Form für die verschiedenartigsten Gebiete der Musik auszunutzen, und wir sahen kürzlich noch, wie er sie selbst in die Hauptchöre einiger Choralcantaten übertrug. Vor allem aber suchte er sie von Anfang an für die selbständige Orgel- und Claviermusik zu verwerthen. Wir fanden, daß er unter dem Namen Toccate schon in der ersten Periode seiner Meisterschaft Orgel- und Clavierstücke geschrieben hat, welche die Concertform vollständig aufweisen. Es liegt selbst unter dem Namen Concert eine Claviercomposition aus allerfrühester Zeit vor39, und die Bearbeitungen der Vivaldischen Concerte sollten ebenfalls als freie Clavierwerke gelten. Hernach ist er, wenn er wirkliche Concerte schrieb, bald weniger bald mehr immer von der Idee ausgegangen, als sei das darstellende Organ nur ein einziges umfassendes Instrument. Wie bei den Clavierconcerten mit Begleitung demgemäß das Clavier immer herrschender in den Vordergrund gerückt wurde, das Tutti zur Begleiterrolle, der Streichbass zum Continuo herabsank, haben wir erfahren. Das Concert der »Clavierübung« schließt die Entwicklung ab. Meisterlich als Cembalo-Composition erscheint es zugleich als ein heller Spiegel einer Form, die eigentlich für Violine und einen gegensätzlichen Instrumentenchor erfunden war. Der dem Violinwesen nachtrachtende Charakter tritt am greifbarsten im Andante hervor. Er eben ist es auch, auf den mit der Bezeichnung »im italiänischen Geschmacke« gezielt wird, gleichwie Bach seine früheren Claviervariationen, in denen er sich der violinmäßigen Behandlungsart annäherte, [630] alla maniera italiana benannte40. Er war nicht der einzige seiner Zeit, welcher ein Concert für nur ein Instrument schrieb. Auch andre versuchten dies hier und da, für Clavier und auch Laute. Aber es blieben eben Versuche, denn um hier zum Gelingen zu kommen, bedurfte es einer Kraft ersten Ranges, und auch wohl nur ein Deutscher war im Stande, zwei entgegengesetzte Stilarten so harmonisch zu einigen. Das erkannte selbst Scheibe an, der doch nichts weniger als Bachs unbedingter Bewunderer war. Ein jeder müsse sofort zugestehen, daß dieses Clavierconcert ein vollkommenes Muster seiner Art sei. Man werde sehr wenige oder fast gar keine Concerte von so vortrefflichen Eigenschaften und einer so wohlgeordneten Ausarbeitung aufweisen können. »Ein so großer Meister der Musik, als Herr Bach ist, der sich insonderheit des Clavieres fast ganz allein bemächtiget hat, und mit dem wir den Ausländern ganz sicher trotzen können, mußte es auch sein, uns in dieser Setzart ein solches Stück zu liefern, welches den Nacheifer aller unserer großen Componisten verdienet, von den Ausländern aber nur vergebens wird nachgeahmt werden«41. Die »wohl geordnete Ausarbeitung« besteht in der klaren Gruppirung und scharfen Gegensätzlichkeit der Gedanken, die verständlich zu machen es des unterstützenden Klanggegensatzes kaum noch bedarf. Eine Form aber, welche sich dadurch entwickelt, daß Tongedanken verschiedenen Charakters einander fortwährend ablösen, bedingt ein Überwiegen der homophonen Setzart und mehr ein motivisches Ausspinnen, als eine vielstimmige thematische Durchführung. Hierdurch ist der Concertstil dem der neueren Claviersonate gleich, und Bachs Italiänisches Concert der classische Vorgänger derselben geworden, ja es kann in vielen Beziehungen sofort als ihr Vorbild angesehen werden. Vom Concert nahm die neuere Sonate nicht nur die Dreisätzigkeit, sondern sie fand auch das Adagio und den letzten Satz in ihm vollständig ausgewachsen vor. Der erste Satz ist hier und dort ein ganz anderes Gebild. Als Sonatensatz hervorgegangen aus einer [631] Verbindung der Tanzform und der dreitheiligen Arie konnte ihm aus dem Concert höchstens die Kunst motivischer Entwicklung zufließen, die indessen in der Arie ebenfalls ausgebildet war. Den letzten Schritt zur Gewinnung der modernen Sonatenform zu thun, sah sich Seb. Bach nicht veranlaßt, obgleich er jene combinirte zweitheilige Satzform wohl kannte und als einzelne gelegentlich anwandte42. Denn der Schritt führte zunächst wieder abwärts aus freien und weiten in kleinbürgerlich enge Tonverhältnisse; hierzu mußte der Meister sich grade zur Zeit seiner höchsten Reife am wenigsten getrieben fühlen. Er überließ das seinem Sohne Emanuel. –

Wir wissen, daß Bach auch wirkliche Claviersonaten geschrieben hat. Sie sind nicht dreisätzig, noch auf die Concertform gegründet; sie bewegen sich in der Form der italiänischen Violinsonate und eine derselben ist nichts weiter als Bearbeitung einer Soloviolin-Sonate für Clavier43. Es wäre merkwürdig gewesen, hätte Bach nicht auch diese Form auf das Feld der Cembalomusik verpflanzt. Aber nachhaltig hat die Lust daran nicht gedauert; wenn er im freieren Stile für Clavier schreiben wollte, hielt er es lieber mit der Suite. Bach ist der letzte große Suitencomponist. Er ist auch der größeste, den es überhaupt gegeben hat, der Vollender dieser Form nach allen Richtungen hin; als er gewesen war, gab es in der Claviersuite nichts neues mehr zu sagen, daher denn auch das jähe Verschwinden derselben aus der Kunstübung nach 1750. Nicht weniger als dreiundzwanzig solcher vielsätziger Werke sind vollständig auf uns gekommen. Von ihnen bilden sechs die Sammlung der sogenannten französischen Suiten. Drei andre erscheinen gleichsam als Paralipomena derselben: sie sind ihnen an Charakter sehr ähnlich und zwei derselben figuriren in einigen Handschriften wirklich unter ihnen44. Wiederum eine gehört mit ihrer anspruchslosen Zierlichkeit in die früheste Zeit von Bachs Meisterschaft45. Hier [632] haben wir uns nur noch mit den übrigen dreizehn zu beschäftigen, von welchen wieder je sechs zu zwei Sammlungen zusammengefaßt sind.

Die eine dieser beiden Sammlungen ist unter dem Namen der »englischen Suiten« bekannt. Der Name bezieht sich noch weniger, als bei den »französischen«, auf den musikalischen Charakter. Es wäre auch schwer zu sagen, was Bach als Suitencomponist von den Engländern hätte annehmen sollen. Glaubwürdiger Überlieferung nach sind sie für einen vornehmen Engländer componirt46. Über ihre Entstehungszeit, welche bisher ganz unsicher war, läßt sich jetzt soviel als bestimmt angeben, daß fünf von ihnen spätestens 1727 componirt gewesen sein müssen. Wahrscheinlich aber fallen sie sämmtlich schon vor 1726, also, da die französischen Suiten jedenfalls älter sind, in die ersten Leipziger oder letzten Cöthener Jahre47. Über die Grundform der Clavier-Suite, ihre einzelnen Theile, deren Bedeutung und Zusammenhang unter einander ist an einer früheren Stelle gesprochen worden48. Daß Bach sie einer weiteren Ausbildung nicht mehr für bedürftig hielt, sieht man daraus, daß er wie früher in den französischen Suiten so auch jetzt in den englischen, und ebenfalls in den letzten sechs Partiten, unerschütterlich an ihr festhielt. Die vier Haupttheile sind Allemande, Courante, Sarabande und Gigue. Vor der Gigue stehen Bourrées, Menuets, Passepieds und Gavotten als Intermezzi. Von den sinnigen und lieblichen französischen Suiten unterscheiden sich die englischen durch ein männlich-kraftvolles, ernstes Wesen. Sie stehen in A dur, A moll, G moll, F dur, E moll, D moll; die Molltonarten überwiegen also. Ihr reicherer musikalischer Gehalt bedingt weitere Formen. Der Charakter der einzelnen Sätze ist noch bedeutend verschärft, ihre Stimmung durch harmonischen Reichthum vertieft: so prachtvoll breite Sarabanden, so verwegene, wilde Gigues hat Bach nicht wieder geschrieben49. In der A dur-Suite bringt er zwei Couranten, [633] und versieht die letztere nach Couperins Manier noch mit zwei Doubles; auch die Sarabande der D moll-Suite hat ein solches Double. Es sind das vollkommene Variationen, die den Gehalt der betreffenden Stücke klarer auseinanderlegen sollen und daher im Ganzen ihre nothwendige Stelle haben. Dagegen hat man die den Sarabanden der A moll- und G moll-Suite folgenden Tonstücke nicht als Variationen anzusehen, weil sie den vorhergehenden Satz nicht als Ganzes in einem neuen musikalischen Gewande erscheinen lassen, sondern nur einzelne Melodietheile mit Verzierungen ausstatten. Einfache Melodien beim Vortrage zu verschnörkeln, war damals Mode. Da hierbei meistens mehr verdorben als gewonnen wurde, so hat Bach, ebenfalls nach Couperins Vorgange, die Verzierungen ausgeschrieben. Es sollten also die einfache und die verbrämte Sarabande nicht hintereinander gespielt werden, sondern dem Vortragenden wurde es freigestellt zwischen beiden zu wählen50. Der Intermezzi sind in jeder Suite zwei; sie gehören zusammen, wie Hauptsatz und Trio. Der zum Reichen und Großartigen strebende Charakter der englischen Suiten offenbart sich endlich in den Praeludien, die ihnen vorgefügt sind, während die französischen Suiten derselben entbehren. Sie, die den Hörer sofort in eine höhere und ernstere Stimmung erheben, sind sämmtlich Meisterstücke Bachscher Clavierkunst. Mit Ausnahme des A dur-Praeludiums sind sie in den größesten Verhältnissen angelegt und mannigfaltig ausgestaltet. Die vollständige dreitheilige Arienform zeigt das A moll-Praeludium, das G moll-Praeludium entwickelt sich wie ein erster Concertsatz, anklingend an die Concertform, doch phantastischer, auch dasjenige aus F dur. Als eine schnellkräftige Fuge combinirt mit der Arienform stellt sich das E moll-Praeludium hin; dieselbe Verbindung weist das D moll-Praeludium auf, doch wird es eingeleitet durch breite, echt praeludienartige Gänge in gebrochenen Harmonien. Es zählt alles in allein nicht weniger als 195 Takte51.

Die zweite Sammlung bildet den ersten Theil der »Clavierübung«, [634] welchen Bach 1731 im Selbstverlage erscheinen ließ. Den Namen hatte Kuhnau aufgebracht, welcher 1689 und 1695 zwei Werke mit je sieben Clavier-Partien als »Clavierübung« veröffentlichte52. Wir hatten an andrer Stelle darauf hinzuweisen, daß Bach in seinen Kirchencompositionen, und auch schon in seinen früheren Clavierwerken mehrfach auf Kuhnau Bezug genommen hat53. Wenn er jetzt für eine Sammlung von Clavierstücken denselben Titel wählte, unter welchem sein Vorgänger diejenigen Werke ausgehen ließ, die ihm zuerst den Namen eines berühmten Claviercomponisten verschafften, wenn er Compositionen gleicher Gattung als sein Opus I herausgab und diese entgegen seinem früheren Verfahren nicht Suiten, sondern wie Kuhnau Partiten (Partien) nannte, so ist es offenbar, daß er auch öffentlich vor der Welt als Kuhnaus Nachfolger erscheinen wollte. Freilich dehnte er den bescheidenen Titel, dessen sich nach ihm noch andre wie Vicentius Lübeck, Georg Andreas Sorge, Balthasar Schmidt, Friedrich Gottlob Fleischer und sein Schüler Ludwig Krebs bedienten, nach und nach viel weiter aus. Es erschien Ostern 1735 ein zweiter Theil, welcher das schon besprochene Italiänische Concert und nochmals eine Partita enthielt. Dann um 1739 ein dritter Theil mit einem großen Orgel-Praeludium nebst Fuge, einer Anzahl Orgelchoräle und vier Clavier-Duetten; endlich spätestens 1742 der vierte Theil mit einem großen Variationenwerke54. Jenen ersten Theil aber gab Bach stückweise heraus, so daß von 1726 ab jedes Jahr eine Partita erschien und mit der letzten 1731 das ganze Werk. Da er es selbst verlegte und auch der Name eines Kupferstechers nirgends angegeben ist, so dürfte Bach auch den Stich besorgt oder wenigstens geleitet haben. Diese Annahme erhält eine Stütze durch die Thatsache, daß sein Sohn Emanuel, der damals noch im Elternhause weilte, sich mit Kupferstich abgab: seine erste eigne Composition, einen Menuett mit überschlagenden Händen, radirte er selbst und ließ sie 1731 ausgehen55. [635] Auch der dritte Theil wurde vom Autor selbst verlegt; die andern beiden erschienen in Nürnberg, der zweite bei Christoph Weigel, der vierte bei Balthasar Schmidt. Mit Opus-Zahlen pflegte man damals nur Instrumental werke zu versehen. Es war aber ganz allgemein genommen die »Clavierübung« das erste Werk, welches Bach veröffentlichte; die Mühlhäuser Rathswechsel-Cantate von 1708 wurde zwar gedruckt aber nicht in den Handel gegeben56. Daß Bach erst mit 41 Jahren etwas von seinen Compositionen herauszugeben anfing, beweist natürlich nicht im mindesten, daß er bis dahin von denselben nichts habe bekannt werden lassen wollen. Die deutschen Musikalien verbreiteten sich damals noch größestentheils durch Abschriften. Bach war lange vor 1726 ein weit bekannter Componist: schon 1716 sprach Mattheson in Hamburg mit Bewunderung von seinen Kirchen- und Claviercompositionen57. Auch später und über seinen Tod hinaus bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts bürgerte sich das Meiste nur abschriftlich bei der musikalischen Welt ein. Außer den vier Theilen der »Clavierübung« sind zu Bachs Lebzeiten nur noch drei Werke desselben erschienen; über den Vorbereitungen zur Veröffentlichung eines vierten starb er.

Man hat den sechs Suiten der »Clavierübung« zur Unterscheidung von den französischen und englischen den Namen: deutsche Suiten gegeben58. Dies ist nicht ohne guten Grund geschehen. Wenn Bach selbst sie Partiten nennt, so liegt darin noch mehr als eine bloße Nachahmung Kuhnaus. Denn diesen Namen führte die Form in Deutschland am Ausgange des 17. Jahrhunderts, als der Einfluß der Franzosen noch nicht maßgebend geworden war, allgemein, und wenn Bach endlich auf ihn wieder zurückgriff, so that er es weil er sich als Suitencomponist auch bei voller Anerkennung der Verdienste der Franzosen und Italiäner im Grunde doch auf deutschem [636] Boden fühlte. Denn die Suite ist eine deutsche Kunstform, mögen auch fremde Völker zu ihrer Ausbildung viel beigetragen haben59. Grade in der Verarbeitung der fremden Elemente bewährte sich der deutsche Genius, und daß Bach von dieser seiner Stellung zu seinen Vorgängern ein volles Bewußtsein hatte, geht nicht allein aus der Wahl des Namens Partita hervor. Die sechs Partiten des ersten Theils der »Clavierübung« sind ein umfassendes, abschließendes Werk, in welchem alle für die Suitenform bedeutsamen Elemente eine absichtsvolle, sorgfältige Berücksichtigung gefunden haben. Der Reichthum an Gestalten, welchen sie ausbreiten, ist ein außerordentlicher; daß dabei die Grundlinien der Gesammtform dennoch streng beobachtet werden, unterscheidet sie von den Händelschen Suiten aus dem Jahre 1720, die ihrem Titel entsprechend mehr nur freie »Folgen von Clavierstücken« sind60. Während bei den englischen Suiten der äußere Zuschnitt überall derselbe ist, und der Erfindungs-Reichthum vielmehr in der Beschaffenheit der einzelnen Tongedanken sich äußert, legt uns jede Partita eine neue Reihe, man darf fast nicht mehr sagen von Formen, sondern von Kunsttypen vor. Die B dur-Partita beginnt mit einemPraeludium von der durch Bach ausgebildeten Art, die gleichsam an der Schwelle des fugirten Stiles steht: ein wirkliches Thema ist vorhanden, aber es ist mehr gangartig, als melodisch, die Durchführung desselben wird nur angedeutet, dann gewannt ein leichtes motivisches Spiel die Oberhand. Dagegen steht an der Spitze der C moll-Partita eine Sinfonia. Wie schon der Name verräth, machen sich hier italiänische Kunstelemente geltend. Ein Andante im Viervierteltakt mit reichfigurirter Oberstimme und dann eine Fuge im Dreivierteltakt – das war die Weise wie die italiänischen Violinsonaten anzuheben pflegten. Um aber die Erinnerung hieran nicht zu stark und für eine Suite störend werden zu lassen, hat Bach noch ein breites, vollstimmiges Grave vorhergeschickt. Dies mahnt an die Eingänge der französischen Ouvertüren und stellt den Charakter des Ganzen als einen vorspielartigen fest. Die A moll-Partita wird durch eineFantasia eingeleitet, ein zweistimmiges Stück im Stil der Bachschen [637] Inventionen, nur weiter ausgeführt. Mit einer Ouverture in französischer Form tritt die D dur-Partita auf. In die G dur-Partita führt ein Praeambulum ein, welches sich von dem Praeludium der ersten dadurch unterscheidet, daß es nicht thematisch entwickelt wird, sondern in Passagen und gebrochenen Harmonien sein Wesen treibt; hinsichtlich der Gruppirung der Theile erinnert es an einen Concertsatz. Die E moll-Partita endlich wird durch eine Toccata eröffnet; dieselbe ist bedeutend einfacher selbst als die Toccaten aus Fis moll und C moll61: sie geht in einem Zuge ohne Taktwechsel fort: phantastisches Spiel am Anfange und Ende umgiebt als leichte Hülse die Vollreife Frucht einer edel-ernsten Fuge.

Es ist früher darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Courante unter den Händen der Italiener allmählig eine besondere Gestalt annahm, sodaß am Anfang des 18. Jahrhunderts Corrente und Courante zwei verschiedene Typen repräsentirten62. Aus den Partiten der »Clavierübung« geht hervor, daß Bach denselben, als den Äußerungen zweier Nationalitäten, gleiche Rechte nebeneinander zuerkannte. Die erste, dritte, fünfte und sechste Partita hat er mit Correnten, die zweite und vierte mit Couranten versehen63. Erstere stehen im 3/4- und 3/8-Takt und haben ein flüssiges und eilendes Wesen, die Couranten dagegen sind leidenschaftlich erregt, gediegen und tiefsinnig. Nur ihnen ist der aufregende Wechsel zwischen drei-und zwei-theiligem Takt eigen. Gewöhnlich herrscht der dreitheilige Takt bei Bach vor und tritt nur am Schluß der Theile eine Accentrückung ein. Fälle wie in der H moll-Suite aus den französischen und der alleinstehenden Suite in Es dur, wo der 6/4-Takt zu Grunde gelegt ist, der reine 3/2-Takt nur vorübergehend vorkommt, dafür die rhythmische Caprice aber soweit getrieben wird, daß manchmal beide Hände zugleich in verschiedenen Taktarten spielen, sind sonst Ausnahmen. Die beiden Couranten aus den Partiten sind aber grade in dieser Beziehung in einen Gegensatz gebracht: [638] die C moll hat den 3/2-Takt als Grundrhythmus, die D dur den 6/4-Takt. Indessen ist auch hier 3/2 vorgezeichnet um zu verhüten, daß sich das Gefühl zu sehr in dem zweitheiligen Rhythmus festsetze. Der Couranten-Takt war eigentlich weder dieses noch jenes, sondern ein aus beiden gemischtes. Es galt als Regel, daß auch die Sechsviertel-Passagen im Dreizweitel-Takt gespielt werden sollten, d.h. man sollte bei Tonreihen, die durch ihre Gliederung und ihren natürlichen Verlauf den 6/4-Takt anzeigten, durch gelegentliche Accentuirung die Erinnerung an den 3/2-Takt wach erhalten64. Jedenfalls aber konnte durch das Überwiegen dieses oder jenes Rhythmus der Courante ein besonderer Charakter aufgedrückt werden, und dieses Mittels hat sich Bach bedient, auch hierdurch anzeigend, daß er alle in dem Gebiete dieses Tanzes möglichen Gestaltungen in dem Partitenwerke anbringen wollte.

Auch die Gigue hatte, wennschon nicht mit der Entschiedenheit, wie die Courante, eine zweiästige Entwicklung genommen. In der französisch-deutschen pflegte die Fugenform zu herrschen und im zweiten Theile das Thema umgekehrt zu werden. Die italiänische Giga war homophon und in Folge dessen viel leichter an Gehalt. Das Taktmaß war dreitheilig, sei es nun einfach oder zusammengesetzt65. Fugirte Gigues befinden sich in der dritten, vierten, fünften und sechsten Partita. Die der dritten (A moll) hat nichts formell besonderes; in der vierten (D dur) enthält der zweite Theil statt der Umkehrung ein neues Thema, welches sich als Gegenthema des ersten herausstellt, doch kommt es hier noch nicht zu einer ordentlichen Doppelfuge, wohl aber in der übrigens ebenso entworfenen fünften (G dur)66. Die Gigue der sechsten Partita (E moll) steht [639] den andern dreien dadurch entschieden gegenüber, daß sie den dreitheiligen Takt verschmäht. Den zweitheiligen Alla breve-Takt bei der Gigue anzuwenden hatte Bach schon in der D moll-Suite der französischen gewagt. Die eigentliche Tanzform geht dadurch in die Brüche, es bleibt nur ein energisch-leidenschaftliches Charakterstück übrig. Diese aus der Gigue abstrahirte allgemeinere Form schien indessen dem Meister würdig, als besonderer Typus hier verewigt zu werden. Unverkennbar hat auch dem Schlußsatz der zweiten Partita (C moll) die Gigue als Urbild gedient. Die Form ist zweitheilig, die Entwicklung fugenartig mit Umkehrung des Themas im zweiten Theil. Aber Taktart (2/4) und allgemeiner Charakter weichen doch vom Gigueartigen so weit ab, daß Bach hier den Namen nicht anwendete, sondern zum Zeichen, es handle sich um einen Gestaltungs-Act seines eignen Künstlerwillens, das StückCapriccio nannte67. Am Ende aber der ersten Partita (B dur) steht keine Gigue, sondern eine italiänischeGiga. Der verschiedene Charakter dieses anmuthig sich wiegenden Stückes springt in die Augen. Bach hat dessen Beziehung zur Kunst der Italiäner auch durch die Art der Claviertechnik dargelegt, welche hier zur Anwendung kommt. Das Überschlagen der Hände, wovon Bach in der Giga der B dur-Partita zum ersten Male Gebrauch macht, war eine Specialität Domenico Scarlattis68. Daß man um diese Zeit auch in Deutschland anfing, an ihr Gefallen zu finden, beweist Emanuel Bachs erstes, 1731 erschienenes und noch im Vaterhause componirtes Werk. Sebastian Bach bediente sich dieses technischen Mittels auch in einem Stück der G dur-Partita, außerdem noch in der unten näher zu betrachtenden C moll-Fantasie und dem B dur-Praeludium [640] aus dem zweiten Theil des Wohltemperirten Claviers, dann wurde es eine Zeitlang unter den Componisten Modesache und kam erst in den fünfziger Jahren wieder mehr außer Gebrauch. Emanuel Bach meinte später, bei vielen derartigen Stücken sei der natürliche Gebrauch der Hände einer solchen Gaukelei vorzuziehen, aber es könne auch ein Mittel sein, gute neue Gedanken auf dem Clavier herauszubringen69. Letzteres gilt von der Giga: das Überschlagen der rechten Hand über die linke wird in ihr nicht nur hier und da angewendet, sondern das ganze Stück ist aus dieser Vorstellung heraus concipirt und hat dadurch seinen einzigartigen Reiz erhalten70.

Auch sonst noch hat Bach in den Partiten auf die Eigenthümlichkeiten des italiänischen und französischen Stils Rücksicht genommen. Die Italiäner neigten dazu, die rhythmischen Merkmale der Tanztypen zu verwischen. Um dies unbedenklicher thun zu können, fordert Corelli manchmal nur, daß ein gewisses Stück im Tempo dieses oder jenes Tanzes gespielt werde und bewegt sich im übrigen ganz frei. Ebenso finden wir in der E moll-Partita ein Tempo di Gavotta, während das Stück sonst mehr einer Giga, oder, abgesehen vom 5.-Takt, einer Corrente gleicht. In der B dur- und D dur-Partita stehen Menuets, in der aus G dur ein Tempo di Minuetto71 ein lieblich gaukelndes Stück mit reizenden Accentrückungen, in dem das Überschlagen der Hände vorübergehend angewendet wird; aber mit einem wirklichen Menuet hat es sonst nichts mehr gemeinsam, als den 3/4-Takt. Auch Corellis freie Art, mit der Allemande zu schalten, scheint sich Bach gemerkt zu haben. Während übrigens seine Allemanden wie Oel dahinfließen, zeigt die der E moll-Partita ein eckiges Wesen, welches namentlich durch punktirte Sechszehntel hervorgebracht wird. Diese Bewegung findet sich aber [641] häufig grade in Corellis Allemanden72, und Bach hat auch das Stück nicht wie gewöhnlich mit der französischen, sondern mit der italienischen Form Allemanda benannt. Ferner enthalten die Partiten drei Stückchen mit italiänischen Namen, die keine Tanztypen anzeigen. Sie heißen Burlesca, Scherzo und Aria. Die ersten beiden stehen in der A moll-, die dritte in der D dur-Partita; es sind freie Charakterstücke in Tanzform. Ihnen halten zu Gunsten des französischen Stiles das Gleichgewicht: in der C moll-Partita ein Rondeau, in der E moll ein Air. Vergleicht man Air undAria, so findet man auch einen deutlichen Stilunterschied: diese ist gesanglicher, jene mehr instrumental gehalten.

Aber auch in den Stücken, die Bach ganz nur aus sich heraus gestaltete, zeigt er innerhalb eines und desselben Typus eine Wandlungsfähigkeit, die es mit der allmähligen Entwicklungs- und Umbildungs-Kraft der Zeiten und Nationen zuversichtlich aufnehmen kann. Um sich davon recht zu überzeugen, möge man untereinander die Allemanden der französischen und englischen Suiten und alsdann die der fünf ersten Partiten vergleichen. Es scheint als habe Bach die Dehnbarkeit der Form bis aufs äußerste erproben wollen. Etwas verschiedeneres, als die Allemanden aus B dur und D dur, kann man sich nicht leicht denken, und doch ist den Forderungen des Tanztypus volle Genüge geschehen. Die gleiche Wandlungskraft offenbart Bach in den Sarabanden, doch hat er hier mehremale (in der A moll-, G dur- und E moll-Partita) die Fesseln des Typus wirklich gesprengt73. Sehen wir endlich auf die sechs Partiten als ganze, so sind sie eben so verschieden unter einander, wie einheitlich in sich selbst. Das sicherste Merkmal hierfür geben die einleitenden Stücke ab, die den Charakter ihrer Partita jedesmal von vorn herein feststellen und zugleich unter sich im schärfsten Gegensatze stehen, wie denn auch mit Absicht einem jeden ein andrer Name gegeben ist.

Die Mitwelt zeigte sofort für den Werth dieser köstlichen Gabe [642] Verständniß. Die Neuheit der Gedanken und der Claviertechnik erregten Staunen und Bewunderung. Ihnen gerecht werden zu können galt bald als höchstes Ziel der Clavierspieler, und »wer einige Stücke daraus recht gut vortragen lernte, konnte sein Glück in der Welt damit machen«74. Daß die Zeitgenossen den vollen Werth der überragenden Kunstleistung erkannt haben sollten, läßt sich nicht wohl erwarten und wird auch nirgends sicher bezeugt75. Selbst Sorge, obgleich er in einer Dedication Bach den Fürsten aller Clavier- und Orgelspieler nannte76 und seine Clavierstücke angehenden Componisten als Muster preist um in der linken Hand eine gute Mittelstimme führen zu lernen, mit Dissonanzen im geschwinden Durchgange richtig zu verfahren und sich in der Kunst des Improvisirens auszubilden, stellt ihm immer noch Kuhnau, Händel, Mattheson, Walther und andre an die Seite77. Ohne die übrigen und namentlich Kuhnau zu unterschätzen, sehen wir jetzt doch klar, daß die Kunst der Cembalo-Composition – und für dieses Instrument, nicht für ein Clavichord, sind sie gedacht, wie ihr Tonumfang beweist – mit den sechs Partiten auf eine denkbar höchste Höhe gelangt ist, welche nur Händel einmal, in den Suiten von 1720, sonst aber niemand wieder erreicht hat. Man kann Händel nicht niedriger stellen, wenn man einfach Werk gegen Werk hält. Der Unterschied ist ein Unterschied der Persönlichkeiten: je nach dem eignen Charakter wird sich der eine zu dieser, der andre zu jener mehr hingezogen fühlen. Händels Suiten, in welchen eine mächtige Künstlerseele in freiem Erguße ihren Inhalt ausströmt, sind blendender und hinreißender, die Partiten Bachs erregen tiefer und nachhaltiger, [643] weil er sich streng in den Schranken der überlieferten Form hält. Sieht man die Sache vom höheren, geschichtlichen Standpunkt an, so gebührt Bach die Palme, da er nicht nur als eine Händel ebenbürtige Persönlichkeit dasteht, sondern zugleich die Gattung vertritt. Mit seinen Suiten zog Händel wie ein feuriger Komet durch den Kunsthimmel; wären sie nicht geschrieben oder verloren gegangen, so wären wir um eine glänzende Erscheinung ärmer, aber eine Lücke im System der zusammenwirkenden geschichtlichen Kräfte würde dadurch nicht bedingt. Bachs Partiten könnte man ein Lichtcentrum nennen; zu welcher Gluth die Strahlen kleinerer Lichtkörper endlich gesammelt werden konnten, erfahren wir nur durch sie78.

Der flüchtigeren Betrachtung könnte es auffällig erscheinen, daß Bach, nachdem er mit den sechs Partiten nach allen Seiten hin für die Suitengattung das letzte Wort gesprochen hatte, im zweiten Theil der »Clavierübung« nochmals auf sie zurückzukommen scheint. Dieser Theil enthält nämlich neben dem oben schon gewürdigten Italiänischen Concert als zweites Stück wiederum eine Partita (H moll)79. Aber seine Absicht ging hier auf ein ganz andres Ziel. Nicht eine neue Claviersuite wollte er schreiben, sondern ein Stück, in welchem die Orchesterpartie auf das Clavier übertragen erscheint. Die Verschiedenheit dieser Form von jener ist an andrer Stelle auseinandergesetzt worden80. Bachs Idee kündigt sich schon in der Bezeichnung »Ouverture« an; so nämlich pflegte man die Orchesterpartien von ihrem Anfangsstücke her zu benennen. In der Anordnung der Theile wird dann, was er will, ganz klar. Die Allemande fehlt, da sie, eine ausschließliche Clavierform, in den Orchesterpartien nicht vorkam. Courante, Sarabande und Gigue sind vorhanden, aber vor der Sarabande stehen zwei Gavotten und zwei Passepieds, nach ihr zwei Bourrées, eine Menge von Stücken, die eben deshalb nicht mehr als Intermezzi aufgefaßt werden können, sondern neben [644] den übrigen gleiche Bedeutsamkeit beanspruchen. Eine beliebige zwanglose Folge von Tänzen war aber das Vorrecht der Orchesterpartie. Und endlich ist mit der Gigue das Spiel noch nicht zu Ende. Seine Orchesterpartie in H moll schloß Bach mit einer Badinerie, die eine der beiden aus D dur mit einer Réjouissance. Hier macht ein Echo das Ende; es bewegt sich in der Tanzform, aber ohne einen bestimmten Typus zu zeigen. Seinen Namen führt es von gewissen Nachahmungen des Widerhalls, die deshalb besonders artig sind, weil das Echo nicht mechanisch genau, sondern mit sanft verbindenden Mitteltönen antwortet, gleich als ob der Hall in der Ferne verschwebte, z.B.:


5.

oder:


5.

Es war natürlich nicht Bachs Absicht, den Orchesterstil auf dem Clavier nachzuahmen. Dies wäre auch ein ziemlich überflüssiges Vorhaben gewesen, da in seiner Schreibart für Orchester schon so viel von seinem Clavierstil steckte, die wirklich verpflanzte Form also wie von selbst gedeihen mußte. Er verlangt nur, daß der Hörer dieses Werk in der Gemüthslage auf sich wirken läßt, mit welcher er sich einer Orchesterpartie gegenüberstellt, ebenso wie das Italiänische Concert nur auf den seine volle Wirkung übt, der weiß, um was es sich in einem wirklichen Concert jener Zeit zu handeln pflegt. Beide Werke haben ein innerlich Gemeinsames, das uns begreifen läßt, warum sie Bach zu einem abgeschlossenen Theile der »Clavierübung« vereinigte. Sie sind Reflexe von Formen, welche eigentlich für eine Vielheit verschiedener Instrumente erfunden waren, auf der Fläche der Claviermusik. Ein äußeres Band zwischen ihnen bildet der Umstand, daß zu beiden ein Cembalo mit zwei Manualen erforderlich ist. Was aber den Charakter der einzelnen Sätze dieser Partie anbetrifft, so macht sich auch in ihnen das Wesen des Urbildes deutlich geltend. Man erkennt es am leichtesten an der Gigue. Eine solche und nicht eine Giga soll es sein; aber wie durchaus verschieden ist sie von den Gigues der eigentlichen Clavierpartiten und englischen Suiten! Sogar die französischen Suiten bieten complicirtere Gebilde. Die Orchester-Partie hatte sich mehr als die Clavierpartita[645] einen einfachen, volkstümlichen Zug gewahrt. Dieser drückt sich auch in der Haltung der vorliegenden Gigue aus, deren Wesen so schlicht und faßlich ist, wie nicht einmal in der Gigue der zweiten französischen Suite, mit welcher sie sonst viel Ähnlichkeit hat. Auch die erste Bourrée und zweite Gavotte sind von einer treuherzigen Einfalt, deren Absichtlichkeit man nicht verkennen kann. Wo reichere Mittel angewandt werden, bleibt immer doch in den Melodien ein populärer Zug, der den wirklichen Clavierpartiten nicht eignet. Nur die schöne, sehnsuchtsvolle Sarabande blickt mit durchgeistigtem Antlitz in das unschuldige Treiben der kräftigen übrigen Gestalten81.

Bach hat auch drei Partiten für die Laute geschrieben, welche bei dieser Gelegenheit kurz erwähnt werden mögen82. Jetzt existirt als ausdrückliche Lautencomposition nur noch ein dreisätziges Werk (Es dur) von ihm, in dem wir aber wohl einen Bestandtheil jener Sammlung vermuthen dürfen83. Es ist allerdings keine eigentliche Partite, sondern eine Sonate ohne zweites Adagio und mit einem Praeludium an Stelle des ersten. Indessen konnte es mit andern wirklichen Partiten immer unter diesem Namen durchgehen, vorausgesetzt, daß Bach ihn in der That selbst gewählt hat. Vielleicht gehörte zu der Sammlung auch jene E moll-Suite, deren wir neben den französischen Suiten erwähnten84; die tiefe Lage in welcher sie sich durchgängig bewegt, legt diese Vermuthung nahe85.[646] Bach hat in concertirenden Gesangscompositionen mehre Male Laute angewendet, so in der Johannespassion und Trauerode, er besaß auch unter seinen vielen Instrumenten selbst eine solche. Daß er Laute gespielt habe, folgt aus dieser Thatsache nicht. Sie er klärt sich schon, wenn wir uns erinnern, daß Bach über einer Combination von Laute und Cembalo sann; das Resultat hiervon war das »Lautenclavicymbel«, welches Hildebrand nach seiner Angabe um 1740 bauen mußte, und wovon Bach zwei Exemplare selbst besaß86. Möglich nun, daß er seine Lauten-Partiten für dieses Instrument eigens componirt hat, wie er ja auch das Wesen seiner Viola pomposa durch eine besondere Suite erprobte87. Indessen konnte ihn schon seine Bekanntschaft mit der Dresdener Capelle, die in Sylvius Leopold Weiß den ersten Lautenisten seiner Zeit unter ihre Mitglieder zählte88, zur Lautencomposition führen. Auch mit Ernst Gottlieb Baron, der mit Bewunderung von Bach spricht, dürfte dieser persönlich bekannt gewesen sein89. –

Mit den zweistimmigen Inventionen für Clavier hatte Bach seiner Zeit eine neue Form geschaffen. Er hat uns den Beweis geliefert, daß er ein bedeutendes Gewicht auf sie legte, indem er den dritten Theil der »Clavierübung«, welcher eigentlich nur Orgelmusik enthalten sollte, mit einem Anhang von vier Clavierstücken in Inventionenform ausgehen ließ90. Hier nennt er sie Duette und lenkt dadurch die Aufmerksamkeit bestimmter noch auf den zweistimmigen Satz. Alles was von den Inventionen gesagt ist91, gilt auch von ihnen, sie sind außerdem aber in der offenliegenden Absicht geschrieben, zu zeigen, daß sich auch im zweistimmigen Clavierstück der größeste harmonische Reichthum mit voller Deutlichkeit entfalten lasse. In dieser Beziehung offenbaren sie wirklich erstaunliches; als Muster eines strengen Satzes darf man sie nicht ansehen. Bach hat vielmehr von allen den Freiheiten, welche das »harmonische« System an die Hand giebt, ausgiebigen Gebrauch gemacht, [647] namentlich auch im Gebrauch der Quarte, so daß Kirnberger wohl zu der Behauptung berechtigt war, Bach habe im zweistimmigen Satze die Quarte nicht für eine rechte Grundstimme gehalten92. Was man sonst noch hat bemerken wollen, diesen Duetten sei es eigenthümlich, daß sie keine dritte Stimme zuließen93, ist bei Lichte besehen nichtssagend. Denn wenn sie Kunstwerke sein sollten, mußten sie selbstverständlich ohne weitere Ergänzung alles aussprechen, was der Componist aussprechen wollte. Die Duette sind immer mit mehr Befremden als Hingabe betrachtet worden, und es ist das zum Theil wohl zu begreifen. Als Fortsetzungen der Inventionen lassen sich das capricciöse E moll- und das heitere G dur-Duett leicht verstehen. Sie sind bei aller Künstlichkeit scharf gezeichnete Charakterstücke, bei denen Form und Inhalt in voller Harmonie stehen. Die andern beiden hinterlassen aber den Eindruck, als befinde sich der enorme harmonische Reichthum, die Schwere der Gedanken und Weite der Durchführung nicht ganz im richtigen Verhältniß zu der Dürftigkeit der darstellenden Mittel. Es sind Compositionen für »Kenner von dergleichen Arbeit«, denen es Genuß ist den verwickelten Harmoniengang auch nach bloßen Andeutungen zu verstehen, Leckerbissen für harmonische Feinschmecker. Das A moll-Duett sieht sich wie eine zweistimmige Fuge an; die frei ausgeführten Partien überwiegen aber so, daß man nach dem Gesammteindruck auch dieses Stück nur eine ausgeführte Invention nennen kann. Das Thema ist von außerordentlicher harmonischer Ausgiebigkeit, und trotz aller Beschränkung durch innere und äußere Mittel fühlt man in diesem Duett immer noch das freie Walten eines schöpferischen Geistes. Dagegen läßt sich bei dem Mittelsatze des F dur-Duetts ein starker scholastischer Beigeschmack schwer verwinden. –

Wenn Bach in den Partiten aus der Entwicklung der Suitenform, in dem Italiänischen Concert aus der Form des Violinconcerts, in den Duetten aus der Invention seine letzten Consequenzen gezogen hatte, so that er es mit dem vierten Theile der »Clavierübung« aus der Variationenform. Dieser Theil enthält eine Arie mit 30 Veränderungen [648] für Cembalo mit zwei Manualen94. Die äußeren Umstände, welche zur Entstehung des Werkes führten, erzähle ich später; hier geht uns nur das Musikstück als solches an. Als älteste selbständige Instrumentalform hat die Variation auf die später entstehenden Kunstorganismen im 16. und 17. Jahrhundert nach den verschiedensten Richtungen hin eingewirkt, auf die Claviersuite sowohl wie die Choralbearbeitung, auch auf die Sonate und Violinmusik, doch blieben ihre Hauptorgane die Tasteninstrumente. Wie sie lange Zeit hindurch mit der Suite in eigenthümlicher Weise verwachsen bleibt, habe ich an andrer Stelle gezeigt95. Die eigentlichen Choral-Variationen oder-Partiten blühten aber in einer Zeit, da man Clavier- und Orgelmusik noch nicht genugsam schied. Die Variationenform, d.h. das aus einem Thema und einer Reihe Veränderungen gebildete Kunstganze, gehörte nicht in die Kirche; schon deshalb nicht, weil für sie während des Gottesdienstes nirgendwo Platz war, aber auch weil sie die Würde der Choralmelodie antastete. Sie klärte sich daher mehr und mehr zu einer Form der Claviermusik ab, konnte aber als solche trotz ihrer großen historischen Bedeutung einen Bach nicht eben reizen. Die Erfindungskraft ließ sich entweder nur in der allgemeinen Umrißzeichnung, der Anordnung der verschiedenen Variationen, oder im feinsten Detail des Figurenwerks zeigen. Eine gründliche Durchführung des Themas lag nicht im Wesen der einzelnen Variation. Hinsichtlich der Ausdehnung war sie streng an die Verhältnisse des Themas gebunden, die Umgestaltung desselben bestand nur in Umspielung, so mußten denn auch die Harmonienfolgen wesentlich dieselben bleiben. So wie sie war, hatte die Form etwas äußerliches, das der Vertiefung und Weiterbildung widerstrebte; es ist bezeichnend, daß die Variationen eines Sweelinck, Frescobaldi, Cornet mit den 200 Jahre später zu Mozarts Zeit geschriebenen die größeste Familienähnlichkeit haben. Wenn wir Bachs früheste Choralpartiten, mit denen er sich Böhm anschloß, außer Betracht lassen, so hat er nur ein Variationenwerk im herkömmlichen Stile geschrieben: die Variationen alla [649] maniera italiana, welche wir in die weimarische Zeit versetzen zu müssen glaubten.

Aber er sah, daß es eine verwandte Form gab, mittelst welcher der Enge und Flachheit der Variation abgeholfen werden konnte. Diese Form war der Passacaglio oder die Ciacone. Was sie der Variation verwandt macht, ist die Gebundenheit an eine bestimmte sich bei allen Wiederholungen gleichbleibende Taktzahl und im wesentlichen an eine und dieselbe Harmonienfolge. Wirklich spielen auch in der Praxis der Componisten Passacaglio (oder Ciacona) und Variation in einander hinüber. Man hielt nicht immer an dem Grundsatze der Unveränderlichkeit des Bassthemas fest, brachte es in andern Tonlagen, bildete es um, löste es in Figuren auf. Manchmal wurde gar kein Bassthema aufgestellt, sondern nur eine Anzahl viertaktiger, gleich rhythmisirter Sätze im dreitheiligen Takt aneinander gereiht96. Hernach hat Händel versucht, Ciacone und Variation in der Weise zu vereinigen, daß er die Oberstimme, unter welcher der Bass zum ersten Male auftritt, als Variationenthema festhält97. Wenn man nun regelrecht ein liedartiges, zweitheiliges Thema aufstellte, in den Variationen aber nicht an der Melodie, sondern nur an dem Basse desselben unentwegt festhielt, so wurde dadurch einerseits das enge, vier- bis achttaktige Gehäuse der Ciacone unvergleichlich ausgeweitet, andrerseits zur Entfaltung der verschiedenartigsten Combinationen im Bereiche der Variationenform freier Raum geschafft. Dieses hat Bach gethan.

Als Thema benutzte er eine Sarabande, welche sich von der Hand seiner Gattin geschrieben in deren größerem Clavierbuche vorfindet98. Da sie hier noch vor der Arie »Schlummert ein, ihr matten Augen« aus der Cantate »Ich habe genug« ihren Platz gefunden hat, so wird sie auch früher entstanden sein, als diese, und war [650] demnach schon wenigstens zehn Jahre alt, ehe Bach sie zum Mittelpunkte seines großen Variationenwerks machte99. Zuverlässig hatte er sie ursprünglich für Anna Magdalena componirt gehabt. Daß er ihr diese neue Bestimmung gab, dazu wirkten vermuthlich noch besondere persönliche Motive mit, die wir nicht mehr erkennen können; es ist derartiges auch bei dem Quodlibet, welches die letzte Variation bildet, anzunehmen. Hätte Bach die Sarabande für die Variationen eigens erfunden, so würde er, da ihr Bass die Hauptrolle spielen sollte, diesen wohl durchweg ganz einfach geführt haben, anstatt ihn wie jetzt mit Verbindungstönen, Nebennoten und Verzierungen auszustaffiren, die seine Grundlinien manchmal etwas undeutlich machen. Am klarsten erkennt man ihn aus der 30. Variation. Hiernach würde er im Originaltakt lauten:100


5.

Gelegentlich eines Variationenwerks von Johann Christoph Bach wurde darauf aufmerksam gemacht, daß Sebastian es gekannt haben dürfte, da seine eignen Variationen hier und da an dasselbe erinnern101. Es verdient Beachtung, daß das Thema auch dort eine Sarabande aus G dur ist.

Bach hat den Thema-Bass meistens nach Passacaglio-Art behandelt, ihn also auch in den Variationen die Grundlage der Harmonie sein lassen. In der Regel markirt ihn die erste Note des ganzen oder halben Taktes. Bei einzelnen Schritten springt er zuweilen eine Octave auf- oder abwärts, jenachdem es die Bewegung des Stückes fügt; selten wird von seinem Gange einmal abgewichen, hier und da findet sich eine chromatische Alteration. Einige Male [651] steigt er ciaconenartig in die Mittel- oder Oberstimmen auf, z.B. in Variation 18 und 25, doch so daß er als wichtige Stimme sofort vernehmbar wird, und immer nur vorübergehend. Die Consequenz der Durchführung geht so weit, daß selbst in der Moll-Variation 25 der vollständige Dur-Bass auftritt. Bach erreicht dies durch Chromatik, welche dann auch sehr kühne und fremdartige Harmonienfolgen bedingt. Darauf daß der significante Ton jedesmal am Anfang des Taktes steht, mußte er hier allerdings verzichten. Einmal, Takt 4 des zweiten Theils dient ihm 5. statt h; Takt 9–11 des ersten Theils erscheint der Bass in der Tenorlage; nur Takt 7 und 8 des zweiten Theils ist h ē mit b 5. vertauscht.

Über dem Basse entwickelt Bach eine solche Fülle von Erfindung und Kunst, daß dieses Werk allein hinreichen würde ihn unsterblich zu machen. Seine Claviertechnik zeigt sich von ihren glänzendsten und in Folge der ausgiebigsten Benutzung zweier Manuale auch wieder ganz neuen Seiten. Freie Conceptionen wechseln ab mit gebundenen, durchsichtige, fast homophone Sätze mit polyphonen Formen von größtmöglicher Künstlichkeit. So bietet Variation 7 eine Gigue, Variation 16 eine vollständige Ouverture, Variation 25 ein reich verziertes Adagio nach Violinsonaten-Art, Variation 26 abwechselnd in der linken und rechten Hand eine Sarabande, während die andre Hand in Sechzehntel-Sextolen pfeilgeschwind dahin schießt. Variation 10 ist eine Fughetta, deren Thema aus dem Grundbass hervorgeht und die trotz regelrechtester Entwicklung doch bis zum Ende dem Laufe des Grundbasses folgt. Canons sind darin vom Einklänge an durch sämmtliche Intervalle bis zur None; der Quintencanon verläuft in der Gegenbewegung und noch dazu ist sein Anfang, sowie der des Secundencanons mittelst Verkürzung aus dem Themabasse gebildet. Die letzte Variation ist ein Quodlibet, in welchem über dem Basse zwei Volkslieder in einander verschlungen und imitatorisch durchgeführt werden. Und bei dem allen nicht eine Spur von Zwang. Die schwersten Fesseln sind zu Blumengewinden geworden; leicht, heiter und glücklich zieht die bunte Schaar vorüber, die wenigen Moll-Variationen dienen nur dazu, den Grundton innigsten Befriedigtseins noch stärker vorklingen zu lassen.

Die Frage drängt sich auf, welche Aufgabe bei dieser Erweiterung der Variationenform Bach dann noch für die Melodie des [652] Themas übrig gelassen hat. Das musikalische Motiv des Ganzen ist nicht sie, sondern ihr Bass, die durch ihn bedingte Harmonie der Mutterschooß, in welchem neue und aber neue Gestalten sich bilden. Indessen ist dadurch die variationenhafte Wirkung der Melodie selbst nicht aufgehoben. Abgesehen davon, daß sie zunächst den Hörer mit einer gewissen Grundstimmung erfüllt, welche allen Variationen zur Voraussetzung dient und zu welcher der bunte Wechsel sich schließlich auch wieder abklärt, kann sie auch als Zeichnung überall unsichtbar gegenwärtig bleiben. Der in allen Variationen sich wesentlich gleichbleibende Harmoniengang in Verbindung mit einzelnen eingestreuten melodischen Anklängen hilft dem inneren Ohre ihre Linien wieder hervorzurufen. Der volle Genuß der Variationen ist allerdings davon abhängig, daß dieses geschieht. Es wird eine stärkere Selbsttätigkeit des Hörers vorausgesetzt, als bei gewöhnlichen Variationen, er soll die Umrisse der Melodie gewissermaßen in jedes neue Tonbild selbst hineinzeichnen; insofern ist auch dieses Werk für gebildete Hörer, für »Kenner« geschrieben. Wer sich das Wesen der Choralcantate, wie wir es seinesorts entwickelt haben, vergegenwärtigt102, dem wird die nahe Verwandtschaft zwischen jener Form und diesem Variationenwerk nicht entgehen. Auch dort als Ausgang wie als Endpunkt die volle, reine Melodie, dort wie hier in den dazwischenliegenden Stücken hülfeleistende Anklänge an dieselbe, und wie hier Bass und Harmonie durchweg dieselben bleiben, so mahnt dort unablässig an die eine und alleinige Grundlage der durch die madrigalische Form leicht verschleierte Text des Kirchenliedes. Solchergestalt ist der Tribut, welchen Bach der Variationenform, die in der Entwicklung der Instrumentalmusik eine Macht ersten Ranges gewesen war, gezahlt hat. Er hat sie in eine hohe, ideale Region gehoben; durch ihn ist sie eine tiefsinnige, durchgeistigte Form geworden, welche auf dem unvergleichlich höheren Niveau, das durch Bach die Instrumentalmusik erreicht hatte, wieder im Stande war, die besten und tiefsten Künstler dauernd zu fesseln. Wenn auch in der Folgezeit die ältere Variationenform, eben weil sie dem Urleben der Instrumentalmusik so nahe steht, fort und fort gepflegt worden ist und in vielen reizvollen Gebilden[653] neue Blüthen getrieben hat, die sinnigsten und gedankenvollsten Musiker haben bis auf die neueste Zeit in den Bachschen 30 Veränderungen ihr erhabenstes Vorbild erkannt.

Auf das Quodlibet, welches die letzte Variation bildet, ist nochmals zurückzukommen. Derartige musikalische Spaße, bei welchen man auch Texte in verschiedenen Sprachen durcheinander mengte, konnten auf zweierlei Weise verfertigt werden. Entweder wurde eine bunte Zahl von bekannten Melodien nach einander gesungen oder gespielt, sodaß das innerlich ganz Unzusammenhängende in eine äußerliche musikalische Folge gebracht wurde; wenn das Nachfolgende an irgend eine unwesentliche Wendung des Textes oder der Melodie des Vorhergehenden angeknüpft werden konnte, wurde der Witz um so schlagender. Die andre Weise bestand darin, daß mehre bekannte Melodien mit möglichst contrastirenden Texten zu gleicher Zeit ertönten. Diese letztere und kunstvollere hat Bach gewählt. Die Texte der beiden verwendeten Volkslieder sind durch Bachs Schüler Kittel überliefert103. Sie lauten:


Ich bin so lang nicht bei dir gewest,

Ruck her, ruck her, ruck her;

Mit einem tumpfen104 Flederwisch

Drüber her, drüber her, drüber her.


Und:


Kraut und Rüben

Haben mich vertrieben;

Hätt mein' Mutter Fleisch gekocht,

So wär ich länger blieben.


Die Melodie des zweiten Lieds, welches auch heute noch im Volksmunde lebt, hat Bach vollständig benutzt:


5.

[654] Die Zeilen der Melodien wurden in den Quodlibets gern aus ihrem Zusammenhange gerissen und einzeln angebracht, wo es grade paßte. So finden wir auch hier die ersten beiden Takte des Lieds in der Oberstimme Takt 3 und 4, die letzten beiden im Tenor Takt 7 und 8 und in der Oberstimme am Schluß; außerdem werden die beiden ersten Takte das ganze Stück hindurch in den drei Oberstimmen imitatorisch durchgeführt. Von dem ersten Liede läßt sich aus diesem Quodlibet nur die erste Hälfte reconstruiren. Sie lautet etwa so:


5.

Ich bin so lang nicht bei dir gewest, ruck her, ruck her, ruck her.

So weit meine Forschung reicht, ist dieses Lied jetzt verschollen; übereinstimmend im metrischen Bau und fast gleich im Melodieanfang ist das bekannte »Es ist nicht lang, daß g'regnet hat«. Ich finde auch nicht, daß es in einer der zahlreichen Volksliedersammlungen, welche seit Herders Zeit er schienen sind, verzeichnet worden ist. Nur die erste Zeile wird in ihrer genauen Form fleißiger durchgearbeitet. Die zweite zeigt sich undeutlich Takt 2 im Tenor, hernach kaum wieder, man müßte sie denn Takt 10 im Basse erkennen wollen. Von den übrigen Zeilen ist nur der Rhythmus benutzt worden, nämlich Zeile 3:


5.

(Tenor Takt 3–4),


5.

(Oberstimme Takt 5–6),


5.

5.

(Oberstimme Takt 8–11).


Die vierte Zeile wird vom Rhythmus des Basses Takt 4–5:


5.

der Oberstimme T. 11–12:


5.

[655] zurückgespiegelt. Ist nun das aus diesen Elementen gebildete Quodlibet schon wegen seines kunstvollen Gewebes eine außerordentliche Leistung, so hat es auch für das tiefere Verständniß von Bachs Künstlerpersönlichkeit eine hohe Bedeutung. Auf kirchlichem Gebiet zog er aus dem geistlichen Volksliede seine Hauptkraft; hier zeigt er sich auch dem weltlichen Volksgesange eng verbunden. Denn nur unter dieser Voraussetzung wird es begreiflich, wie er ein Werk, an das er das höchste Maß seines Könnens gewandt hat, in solcher Weise ausgehen lassen konnte. Deutlich erscheint hier jener altbachische Geist wirksam, welcher bei den jährlichen Familientagen seiner derben Laune im Singen derartiger Quodlibets die Zügel schießen ließ105.

Wir besitzen aber noch ein zweites Document für Bachs Interesse am Volksgesange, das wir aus diesem Grunde hier in Betrachtung ziehen, während es als Vocalcomposition sonst an einem andern Orte hätte Erwähnung finden müssen. Am 30. August 1742 wurde dem Kammerherrn Carl Heinrich von Dieskau als Gutsherrn von Kleinzschocher gehuldigt106. Als Kreishauptmann war er Vorsteher der Land-, Trank-, Pfennig- und Quatembersteuer107. Wir erfuhren früher, daß Picander im Jahre 1743 die Stelle eines Land- und Tranksteuer-Einnehmers bekleidete108. Sei es daß er die Stelle erst zu erhalten, oder daß er für die erhaltene sich seinem Vorgesetzten dankbar zu erweisen wünschte – in irgend einem Zusammenhange mit diesen Dingen steht es offenbar, wenn Picander zu der Huldigung eine Cantate en burlesque verfaßte. Die Motive seiner Dichtung entnahm er den bäuerlichen Verhältnissen von Kleinzschocher. Mit einem im obersächsischen Dialekt gehaltenen Gesange der Bauern, welche sich des ihnen gewährten Festtages freuen, hebt er an109. Sodann wird ein bäuerliches Liebespaar [656] eingeführt, welches den neuen Gutsherrn und dessen Gemahlin in verschiedenen Beziehungen preist, daneben allerhand Anspielungen auf den Schösser, die Recruten-Aushebung, »Herrn Ludwig und den Steur-Reviser« macht und endlich sich in die Schenke zu Tanz und Trunk begiebt. Wenn die hohen Herrschaften jener Zeit sich an französischen und italiänischen Theaterspielen übersättigt hatten, ließen sie sich des Gegensatzes halber auch einmal ein deutsches Bauern-Divertissement gefallen. Was sie ergötzen sollte, war aber nicht die gesunde, unverbildete Menschlichkeit, wie sie später Christian Felix Weiße zum Gegenstande seiner Operndichtungen nahm. Sie wollten sich als erhabene und modisch gesittete Gebieter über die geplagte, tölpelhafte Bauernschaft amüsiren. Solche Divertissements wurden nicht nur an dem schwelgerischen Hofe zu Dresden, sondern auch in dem einfacheren und ernsten Weimar und anderswo veranstaltet110. Auch Picanders burleske Cantate gehört zu ihnen. Es darf uns nicht befremden, daß Bach sich zur Composition bereit finden ließ. Er hat die ethische Seite der Sache wohl ganz außer Betracht gelassen; es gewährte ihm aber ein augenscheinliches Vergnügen, einmal ein Werk fast durchaus im weltlichen Volkston zu componiren. Das städtische, vornehme Element ist nur durch zwei Arien vertreten (»Klein Zschocher müsse« und »Dein Wachsthum sei feste«), deren zweite er aus dem »Streit zwischen Phöbus und Pan« nicht ohne Gewaltsamkeit übertrug. Alles übrige bewegt sich auf dem engen Gebiete volksthümlicher Formen. Einen Chor hat er nicht eingeführt; auch das erste Stück ist, wie das letzte, nur ein Zwiegesang; dazwischen wechseln Bursch und Dirne mit Recitativen und Liedern ab. Die Instrumentalbegleitung besteht nach Art eines Dorforchesters nur aus Violine, Bratsche und Bass; wenn ein Mal ein Horn hinzutritt so hat es hiermit seine besondere Bewandtniß. Dem ersten Gesange geht ein Instrumentalsatz vorher. Dies ist wieder ein aus sieben Stückchen zusammengesetztes Quodlibet. Mit einem Walzer wird begonnen, der aber erst zum Schlusse vollständig ertönt; anfänglich bricht er nach sieben Takten ab, um einer bunten Folge kurzer Sätze in verschiedenem Takt- und Zeitmaß Platz zu [657] machen. Manches davon klingt wie echte Volksmelodie, so namentlich dieses:


5.

In der Mitte finden sich 16 Takte im Sarabanden-Rhythmus, deren Gravität durch das Unisono doppelt ergötzlich wirkt. Die Tanzweisen herrschen auch in den vocalen Partien. Anfangs- und Schluß-Gesang sind Bourrées, die Arien »Ach es schmeckt doch gar zu gut« und »Ach Herr Schösser« Polonaisen. Nach Kirnbergers Anweisung, der lange in Polen gelebt und die dortige Tanzmusik studirt hatte, haben wir die Arie »Fünfzig Thaler baares Geld« für eine Mazurka zu halten111. Die Arie »Unser trefflicher« ist eine Sarabande, das Lied »Und daß ihrs alle wißt« ein Rüpeltanz (Paysanne)112. Kein bestimmter Typus läßt sich an der Arie »Das ist galant« erkennen, die allgemeine Haltung ist jedoch auch tanzmäßig. Alle diese Stücke sind kurz, derb und lustig, dabei aber doch geistreich gearbeitet; man achte nur auf die feine Art, wie in der Sarabande der Hauptgedanke immer wieder, schließlich auch im Basse auftaucht, oder wie in dem Rüpeltanz durch Accentverschiebungen die Trunkenheit gemalt wird. Die Melodiebildungen sind so volksthümlich, daß man wieder vermuthen kann, es haben hier und da dem Componisten bestimmte bekannte Melodien vorgeschwebt. Die Vermuthung ist um so berechtigter, als drei Volksmelodien nachweislich in der Cantate verwendet sind.

Nachdem die Dirne der neuen Obrigkeit zu Ehren eine »gebildete« Arie gesungen hat, meint der Bursche: »Das ist zu klug für dich Und nach der Städter Weise; Wir Bauern singen nicht so leise. Das Stückchen höre nur, das schicket sich für mich:


[658] Es nehme zehntausend Ducaten

Der Kammerherr alle Tag ein.

Er trink ein Gläschen guten Wein,

Und laß es ihm bekommen sein.

Es nehme zehntausend Ducaten

Der Kammerherr alle Tag ein.


Die Melodie, auf welche er diese Worte singt, lebt noch heute mit dem Texte »Frisch auf zum fröhlichen Jagen« in aller Deutschen Munde. Als Bach die Bauern-Cantate componirte, war beides, Melodie und Text, etwa seit 18 Jahren populär geworden. Das Gedicht hat den Schlesier Gottfried Benjamin Hanke zum Verfasser, der als Accisesecretär in Dresden lebte. Er schrieb es 1724 zur Feier des Hubertusfestes für den Grafen Sporck, welcher ein großer Jagdliebhaber war. Die Melodie ist französischen Ursprungs und gehört zu dem Jagdliede Pour aller à la chasse Faut être matineux, dem Hanke auch den Text nachgebildet zu haben scheint113. Gegen 1730 war es in den böhmischen Besitzungen des Grafen schon sehr beliebt und muß sich von da rasch auch nach Sachsen verbreitet haben, da es 1742 schon als Bauernweise gelten konnte. Interessant ist uns auch das abermalige Eintreten des Grafen Sporck in die Lebensgeschichte Bachs. Man wird sich erinnern, daß derselbe zu der H moll-Messe in Beziehung stand und Picander ihm schon 1725 die ersten Früchte seiner religiösen Poesie zueignete114. Bei der Einführung der Melodie waltete also seitens des Componisten sowohl als des Dichters eine besondere Absicht; man begreift es nunmehr auch, weshalb grade bei diesem Stücke, und nur bei ihm, Bach ein Horn anwendet, wozu eine directe Veranlassung in Picanders Text nicht vorliegt.

[659] Die Dirne erwiedert, indem sie den Gesang des Burschen parodirt, das klänge »zu liederlich«, und würde die feine Gesellschaft zum Lachen reizen, nicht anders als wenn sie »die alte Weise« anstimmen wolle – nun folgt die zweite Volksmelodie –:


5.

Sie singt dieselbe zu einem Text, welcher dem bisher nur mit Töchtern gesegneten Hause Dieskau viel männliche Nachkommenschaft wünscht. Der Charakter der Melodie läßt schließen, daß sie eigentlich zu einem Wiegen- oder Kinder-Liede gehört115.

Eine dritte Volksmelodie wird im ersten Recitativ zu Zwischenspielen verwendet. Ihre erste Hälfte steht am Schluß, die zweite in der Mitte desselben. Setzt man beide zusammen und ordnet sie derselben Tonart unter, so ergiebt sich folgendes:


5.

Wie man sieht, stimmt die erste Hälfte im wesentlichen mit der ersten Hälfte des Lieds »Ich bin so lang nicht bei dir gewest« aus dem Quodlibet der Variationen überein. Von der zweiten Hälfte hatte Bach dort nur den Rhythmus benutzt; sicher liegt sie hier in ihrer vollen Originalgestalt vor. Denn vergleicht man den Text des Recitativs an den Stellen, wo die Zwischenspiele eintreten, mit den zugehörigen Worten des Volksliedes, so offenbart sich ein enger poetischer Zusammenhang. Den durch das Recitativ angeregten Gedanken setzt das Zwischenspiel jedesmal fort und plaudert namentlich an der ersten Stelle die Wünsche des Liebhabers in bedenklicher Weise aus. Vergegenwärtigen wir uns noch, daß die Composition der Variationen und der Bauerncantate in eine und dieselbe Zeit fällt, so ist auch äußerlich leicht zu begreifen, wie Bach [660] darauf verfallen konnte, die Melodie in der Bauerncantate, welche etwas später entstand als die Variationen116, abermals anzubringen117. –

Nach der Abschweifung, zu welcher das Quodlibet der 30 Veränderungen die Veranlassung gab, kehren wir nochmals zu Bachs Claviercompositionen zurück, um die Fugenwerke und Canons seiner späteren Zeit zu betrachten. An die Spitze des Zuges tritt die Chromatische Fantasie und Fuge. Das berühmte Werk muß spätestens 1730 componirt gewesen sein118. Innere Gründe treiben dazu, es noch um ein beträchtliches weiter hinauf zu rücken. Eine gewisse Verwandtschaft der Fantasie mit dem Stücke gleichen Namens, welches der großen Orgelfuge in G moll voraufgeht119, springt in die Augen. Diese fällt vor 1725, und wir durften sie mit Bachs Hamburger Reise aus dem Jahre 1720 in Verbindung bringen. Wohl möglich ist es also, ja mit Hinblick auf eine noch existirende ältere Form des Werkes muß man es für wahrscheinlich halten, daß auch die chromatische Fantasie und Fuge noch vor der Leipziger Zeit entstand. Der überschäumende Charakter, welcher beide Sätze gleichmäßig durchdringt, will zu dem Geiste der leipzigischen Erzeugnisse nicht wohl passen. Auch die Fantasien Bachs pflegen sonst nicht der festen, motivisch oder thematisch entwickelten Formen zu entbehren. Hier herrscht fesselloser Sturm und Drang. Der kühne Gedanke, das Recitativ aufs Clavier zu verpflanzen, hatte schon in Bachs früher D dur-Fantasie Gestalt gewonnen120; sein Keim findet sich in den Werken der nordischen Organisten, zur [661] Entwicklung desselben trug die Beschäftigung mit Vivaldis Concerten sehr viel bei121. In der chromatischen Fantasie hat er eine großartige Ausbildung erfahren. Das Stück, in dem auch alle Kühnheiten der Modulation zusammengehäuft sind, wirkt wie eine erschütternde Scene. Die Fuge setzt das chromatische und ausgreifend modulatorische Wesen in entsprechendem Maße fort. So gewaltig ihr dämonischer Schwung, so genial verwegen ist auch die Behandlung der Fugenform.

Eine andre Fantasie mit Fuge (C moll) beschäftigte Bach gegen 1738. Bei der Composition dieses Werkes scheint ihn der Gedanke begleitet zu haben, das Kunstmittel des Überschlagens der Hände einmal in größeren Formen zur Geltung zu bringen, als es in der B dur-Partita geschehen ist. Da die Fantasie die zweitheilige repetirende Form hat, welche Bach bei Stücken dieses Namens sonst nicht anwendet, so darf man muthmaßen, daß er auch auf sie durch Domenico Scarlatti geführt worden ist, und mit Interesse sieht man, welchen Charakter der Stil des Italiäners beim Durchgange durch Bachs Phantasie angenommen hat. Zugleich zeigt uns das energische und brillante Stück ein Vorbild des Emanuel Bachschen Sonatensatzes. Von der Fuge hat Bach nur die ersten 47 Takte hinterlassen. Daß er sie ganz vollendet hatte muß man annehmen, da das Autograph nicht Entwurf sondern Reinschrift ist. Er wird durch einen Zufall verhindert sein, sie völlig ins Reine niederzuschreiben. Dies ist doppelt zu beklagen, da nach dem Fragment zu urtheilen die Fuge ein besonders kühn und groß angelegtes Musikstück gewesen sein muß122. Das abweichende Verhältniß, welches hier zwischen [662] Fantasie, die doch sonst einen praeludirenden Charakter zu haben pflegt, und Fuge sich bemerkbar macht, besteht in vielen Praeludien und Fugen dieser Periode. Wir werden gleich darauf zurückkommen.

Eine dritte Fantasie und (Doppel-) Fuge steht in A moll. Hier hat man als Fantasie ein imitatorisches Stück im streng gebundenen Stile. Das Werk ist von einer edlen, gleichmäßigen Wärme erfüllt und nach allen Seiten in solcher Weise abgeklärt und gereift, daß es in der ersten Leipziger Periode entstanden sein dürfte123.

Weitaus die meisten Charakterstücke in Fugenform, welche Bach übrigens noch für Clavier geschrieben hat, faßt ein Sammelwerk zusammen, das ein Gegenstück zum Wohltemperirten Clavier abgeben sollte und als dessen zweiter Theil bekannt ist. Die Bezeichnung schließt streng genommen einen falschen Gedanken ein, und wir wissen auch nicht sicher, ob sie von Bach herrührt. Das liebevolle Interesse, welches Bach für den ersten Theil dadurch bekundete, daß er ihn wenigstens dreimal abschrieb, ist seinem jüngeren Bruder nicht geworden. Wir besitzen nicht eine einzige vom Componisten selbst gemachte Niederschrift des zweiten Theils, es ist also schwerlich mehr als eine überhaupt vorhanden gewesen124. Abgeschlossen war er bestimmt im Jahre 1744, wenn wir einem gewissen Zeugniß trauen dürfen schon 1740125. Ich nannte ihn ein Sammelwerk. Die lange gehegte und allgemein gewordene Ansicht, als habe Bach nur dem ersten Theile auch ältere Compositionen einverleibt, stellt sich als unrichtig heraus. Das C dur-Praeludium ist [663] lange vor 1740 dagewesen; es zählte in seiner ursprünglichen Gestalt nur 17 Takte, die Fuge war als Fughette bezeichnet. Dann wurde das Praeludium zu 34 Takten erweitert, seine endgültige Form erhielt es aber erst durch eine nochmalige Überarbeitung126. Die G dur-Fuge mit ihrem Praeludium hat ebenfalls mehre Wandlungen durchgemacht. In kürzerer Form und einer so einfachen Contrapunktirung, daß man ihre Entstehung wenigstens in die früheren weimarischen Jahre verlegen muß, ist sie ursprünglich auch mit einem andern Praeludium vergesellschaftet. An dessen Stelle trat ein neues, aber noch nicht das des Wohltemperirten Claviers; die Fuge blieb einstweilen unverändert. Zuletzt wurde sie für das Sammelwerk umgearbeitet und mit einem dritten Praeludium versehen127. Die As dur-Fuge stand anfänglich in F dur, war um mehr als die Hälfte kürzer und hatte auch ein andres Praeludium128. Deutliche Zeichen eines älteren, zum Wohltemperirten Clavier nur wieder benutzten Werkes trägt ferner das Cis dur-Praeludium. Augenscheinlich war es ein selbständiges Stück, denn nur die erste Hälfte ist vorspielartig, die zweite eine leicht hingeworfene aber doch ganz ausgebildete Fughette. Es stand in C dur, und ist an seinem praeludirenden Theile ein Seitenstück zum C dur-Praeludium der ersten Abtheilung. Deshalb konnte es Bach in der Originaltonart hier nicht brauchen129. Was alles aber aus dem zweiten Theile des Wohltemperirten Claviers in eine spätere Schaffens-Periode [664] gehört, hat man sich doch weniger mit der andauernden Absicht auf ein neues Werk von 24 Praeludien und Fugen geschrieben, als vereinzelt nach und nach entstanden zu denken. In seinen letzten zehn Jahren finden wir Bach beschäftigt, seine bedeutendsten Werke zu sammeln, endgültig zu redigiren und nach verschiedenen Seiten hin die Rechnung seines Lebens abzuschließen. Vornehmlich in diesem Sinne ist auch der zweite Theil des Wohltemperirten Claviers zu verstehen. Begreiflicherweise fehlten ihm hier und da Stücke, um nach Maßgabe des ersten Theils den Cyklus vollständig zu machen. Da griff er denn, soweit er sich zu neuer Composition nicht aufgelegt fühlte, auf ältere Werke zurück.

Diese Thatsachen lassen den Werth des Ganzen unbeeinträchtigt. Etwas, das den neu componirten Stücken nicht ebenbürtig war oder durch Überarbeitung geworden war, hätte Bach nicht aufgenommen. Im ersten Theile des Wohltemperirten Claviers stehen einige wenige Stücke gegen die andern etwas zurück. Vom zweiten Theil läßt sich dieses kaum sagen. Doch ist es im ganzen betrachtet nicht der größere oder geringere Grad der Meisterschaft, wodurch sich beide unterscheiden. Die Verschiedenheit liegt in den Lebensperioden des Meisters begründet, während welcher sie der Mehrzahl ihrer Stücke nach entstanden sind. Im zweiten Theil offenbart sich eine vergleichsweise noch reichlicher mit Musik gesättigte Phantasie, eine weiter ausgreifende Gestaltungskraft und das Bestreben, noch schärfer geschnittene Charakterköpfe in der Fugenform herauszubringen. Als ein Ganzes aber stellt sich der zweite wie der erste Theil durch eine gewisse Charaktergemeinschaft hin, welche unter den einzelnen Stücken besteht. Compositionen wie die ältere große A moll-Fuge130, oder die chromatische Fantasie und Fuge, hätte Bach in die Sammlung nie aufgenommen. Auch sie sollte jenes Gepräge der Innerlichkeit und Beschaulichkeit tragen, wofür das Clavichord ein so passendes Organ war131.

Schon am ersten Theile des Wohltemperirten Claviers war zu [665] bemerken, daß einige Praeludien sich mit ihren Fugen nicht zu derjenigen Einheit verbinden wollten, die man für diese beiden Formen voraussetzt. Das Praeludium ist bei Bach schon früh zu größerer Selbständigkeit ausgewachsen, als es seinem Namen nach beanspruchen darf. Nicht wenige Praeludien des ersten Theils waren eigentlich Stücke für sich, auch das Cis dur-Praeludium des zweiten mußte uns eben als ein solches erscheinen und nach Vollendung beider Theile hat Bach einmal eine Sammlung nur von den Praeludien angelegt oder hat sie anlegen wollen132. Weit mehr noch als die Praeludien des ersten Theils tragen die des zweiten das Gepräge in sich ruhender Organismen. Dort stellte sich die Mehrzahl noch in der Form ganghafter Entwicklung von Harmonienfolgen dar. Hier ist zunächst schon das bemerkenswerth, daß nicht weniger als zehn Praeludien die zweitheilige Tanzform haben, die im ersten Theil nur einmal vorkommt – kleine Sonatensätze im Emanuel Bachschen Sinne, nur meistens viel polyphoner133. Andre bekunden wenigstens durch eine sorgfältige Durchführung eines bedeutenden Themas ihre Selbständigkeit. Daß das B moll-Praeludium in die Gattung der dreistimmigen Claviersinfonien gehört, ist schon an andrer Stelle bemerkt worden134. Es zeigt keinen wesentlichen Unterschied mehr von einer Fuge: wenn das Thema gleich anfänglich contrapunktirt auftritt, und später zweimal von einer Stimme an die andre abgegeben wird (Takt 43–44 und 49–50), so ist ersteres kaum etwas andres, als wenn Bach bei Vocalfugen den ersten Themaeinsatz mit vollen Harmonien begleitet, und letzteres kommt auch in der G moll-Fuge vor (Takt 12, im Gegenthema)135. Das Cis moll-Praeludium wird gar aus drei prägnanten, kunstvoll durchgeführten Themen entwickelt. Was der Zweck der Form eigentlich sein soll, vorzubereiten und das Interesse auf die Hauptsache zu spannen, das erfüllen die meisten von ihnen nicht. Sie regen durch sich selbst zu nachhaltig an und erschöpfen ein jedes seine eigne [666] Stimmung. Sie stehen mit eigenthümlichen Rechten nicht nur neben ihren Fugen, sondern manchmal selbst im Gegensatz zu ihnen. Ein jeder muß dies empfinden, der den gemüthlichen Schlenderstil des Es dur-Praeludiums mit der steifen Würde der Fuge vergleicht, die feierlich ziehende E dur-Fuge mit der muntern Rührigkeit ihres Praeludiums136.

Natürlich ist dieses Verhältniß nicht von ungefähr, etwa bei Zusammenstellung der Sammlung, entstanden, sondern von Bach gewollt. Aus Praeludium und Fuge hat sich hier eine neue, zweisätzige Form gebildet. Sie tritt uns nicht ganz unerwartet entgegen. Um von der oben besprochenen Fantasie und Fuge in C moll zu schweigen, da auch sie in die spätere Lebenszeit Bachs fällt, so kommt doch schon im ersten Theil des Wohltemperirten Claviers, in dem Es dur-Praeludium mit Fuge, ein Beispiel dieser Form vor, und jenes Praeludium und Fuge aus A moll, das hernach zum Concert umgearbeitet wurde137, bietet gleichfalls eins. Grade dieses letztere zu vergleichen ist besonders lehrreich, einmal weil Bach durch die Umarbeitung selbst documentirt hat, wie er sich hier das Verhältniß zwischen Praeludium und Fuge gedacht hat, und sodann weil der gigueartige Charakter, welcher der Fuge eigen ist, sich auch bei fünf Fugen des zweiten Theils vom Wohltemperirten Clavier wiederfindet (Cis moll, F dur, G dur, Gis moll, H moll)138. Erinnern wir uns, wie die fugirte Gigue in den Suiten verwendet wurde, so liegt es nahe hier eine ähnliche Idee vorauszusetzen. In drei Fällen ist sie auch ganz evident. Die Praeludien Cis moll, F dur, Gis moll drücken eine ernste, gehaltene, zum Theil stillschmerzliche Stimmung aus; die Fugen lösen die Ruhe und führen wenn auch mehr oder weniger entschieden ein neues, leichteres Lebensgefühl her bei139. Dieser Stimmungs-Gegensatz wird auch [667] in den Satzpaaren aus C dur, Cis dur und F moll wirksam, wo keine Fuge in Gigueform vorhanden ist. In Cis dur muß der Allegro-Ausgang des träumerischen Praeludiums die Vermittlung zu dem neckischen Leben der Fuge bewerkstelligen. So weit es die Verschiedenheit des Stiles erlaubt, kann man in den zweisätzigen Claviersonaten Emanuels Bachs und Haydns Analogien zu diesen Gebilden finden. Andre Satzpaare stehen im entgegengesetzten Verhältniß: das bunte Leben klärt sich zur Festigkeit und Ruhe ab; hier sind die Contraste einigemale so scharf, daß eine gemeinsame, vermittelnde Grundstimmung kaum zu finden ist. Dann kommen auch Fälle vor, wo die beiden Sätze nur durch feinere Schattirungen von einander abgetönt sind (D dur, Fis dur, Fis moll, B moll u.a.), im wesentlichen sonst von einer und derselben Stimmung getragen werden. Durchaus aber – und dieses ist nochmals zu betonen – stehen Praeludium und Fuge als zwei ebenbürtige Factoren da. Beispiele, wo das Praeludium in seiner alten vorbereitenden Function gelassen ist, sind selten, und kaum noch anderweitig als bei den Satzpaaren aus D moll, G moll und H dur wahrzunehmen.

Die in den Fugen entwickelte Kunstfertigkeit ist erstaunlich groß und, alles gegen einander abgewogen, muß man sagen, daß der erste Theil in dieser Beziehung nicht ganz so reich bedacht ist. Die Künste der Umkehrung, Engführung, Vergrößerung sind hier und dort ziemlich gleich häufig angewendet. Dagegen macht Bach im ersten Theil vom doppelten Contrapunkt der Decime und Duodecime nur einen sehr sparsamen, mehr gelegentlichen Gebrauch140, während im zweiten Theile diese Mittel zu großen Wirkungen dienen. Zeigen sie sich in der B dur-Fuge auch nur vorübergehend (T. 41 ff., s. auch 80 ff.), so bildet in der H dur-Fuge der Contrapunkt der Duodecime ein Hauptelement der Entwicklung (s. T. 36, 43, 54, 94). Und ein leuchtendes Beispiel für den musikalischen Reichthum, der durch diese »Künste« ohne Zwang und ohne der schärfsten, lebendigsten Charakteristik irgendwie Abbruch zu thun, gewonnen [668] werden kann, bietet die G moll-Fuge: ein schwungvolles, wuchtiges, wie mit Hammerschlägen treffendes Stück, in welchem von dem doppelten Contrapunkt der Octave, der Duodecime und der Decime Gebrauch gemacht wird. Allein wer in dem zweiten Theile des Wohltemperirten Claviers ein Muster-Fugenwerk im technischen Sinne sehen wollte, würde doch seinen Zweck verkennen. Daß es dieses nicht sein soll, kann man schon daraus abnehmen, daß die Praeludien meistens von gleichem, nicht selten gar von größerem Gewicht sind als die Fugen. Es liegt auch darin noch ein Unterschied gegenüber dem ersten Theil, daß im zweiten die Technik sich nirgendwo hervorthut. Den Fugen aus C dur, D moll, Es moll, A moll, B moll des ersten Theils, welche vom Kunstvollen sich zum Künstlichen neigen, ist aus dem zweiten nichts entgegen zu stellen. Der Vergleich zwischen der A moll-Fuge und der ähnlich construirten aus B moll im zweiten Theile zeigt, wie gänzlich fern jener Beischmack von technischer Virtuosität gehalten werden konnte, der dem älteren Werke noch anhaftet. Die Themavergrößerungen, welche in der C moll- und Cis dur-Fuge des zweiten Theils zugleich mit den natürlichen und umgekehrten Themen eingeführt werden, haben gegenüber den derartigen Führungen in der Es moll-Fuge des ersten Theils etwas leichtes und absichtsloses. Solche Combinationen werden in Instrumentalfugen schwer und selten, eigentlich nur bei ganz kurzen Themen verständlich; das Thema der Es moll-Fuge ist fast schon zu lang und darum tritt bei ihr das Ricercarartige stärker hervor. Die Gelegenheiten zu künstlichen Verwicklungen wachsen natürlich mit der Anzahl der verwendeten Stimmen. Auch dieses ist bezeichnend, daß im ersten Theil sich 10 vierstimmige und 2 fünfstimmige Fugen befinden, während der zweite Theil nur 9 vierstimmige und übrigens lauter dreistimmige Fugen enthält141. Ist nun unter letzteren auch eine wunderbare Tripelfuge (Fis moll), der von den dreistimmigen Fugen des ersten Theiles keine an Kunst [669] gleichkommt, so tritt diese Kunst doch ganz anspruchslos auf. Es finden sich auch allerhand Freiheiten, die dem Werke nicht ziemen würden, wenn es zunächst zeigen sollte, wie sich in strengen Schranken und grade vermöge derselben ein reiches Leben anmuthig entfalten lasse. Mehr als einmal begegnen Änderungen des Themas im Verlaufe der Durchführung (F dur T. 86 und 87, E dur T. 23 ff., Fis moll T. 54 und 55, T. 60), oder unorganische Vielstimmigkeit auch an andern als Schlußstellen (F dur T. 86 und 87, G dur T. 60). Dies sind, ebenso wie die Vertheilung eines Ganges unter zwei Stimmen (G moll T. 12), wie der kecke Einsatz der Themabeantwortung auf der übermäßigen Quarte und die langen, fast homophonen Zwischensätze in der Fis dur-Fuge142 keine Reste jenes jugendlichen Übermuthes, der in frühen Fugencompositionen Bachs sein Wesen treibt. Sie sind aber Zeichen, daß es ihm hier vor allem auf lebensvolle, energisch und bedeutsam ausgeprägte Tonstücke ankam.

Immer wird es einer der höchsten Triumphe der Kunst bleiben, daß es möglich gewesen ist, eine Form für den individuellsten Inhalt gefügig zu machen, die durch ihre Gebundenheit nur für den Ausdruck des Allgemeinsten geeignet zu sein schien. Ganz besonders war es auch dieses, was schon zu Bachs Zeit der musikalischen Welt an seinen Fugen imponirte; »das Fremde und von dem Fugenschlendrian so sehr abgehende Wesen« nannte es jemand einige Jahre nach Bachs Tode143. Und ein andrer meinte: »Gerade zur Zeit, als die Welt auf einer andern Seite auszuschweifen begann, als die leichtere Melodienmacherei überhand nahm, und man der schweren Harmonien überdrüssig ward, war der selige Herr Capellmeister Bach derjenige, der ein kluges Mittel zu ergreifen wußte, und mit den reichsten Harmonien einen angenehmen und fließenden Gesang verbinden lehrte144. Die Fugen des zweiten Theils des [670] Wohltemperirten Claviers gehören zu den sprechendsten Charakterstücken, die es überhaupt im Gebiete der Musik giebt, in ihrer Gattung vollends sind sie unerreicht. Auch der erste Theil hat nichts aufzuweisen, was sich den Fugen aus D moll, E moll, F moll, G moll und A moll in dieser Beziehung vergleichen ließe. Die Aufgabe aber, erschöpfend zu zeigen was die höchstentwickelte Kunst in der Fugenform zu leisten vermögend sei, hatte der Fugenmeister ohne gleichen auch im zweiten Theile des Wohltemperirten Claviers noch nicht gelöst und nicht lösen wollen. Sie blieb ihm als ein letztes für den Spätabend seines Lebens übrig.

Zwei Werke sind es, die sich unter diesem Gesichtspunkte der Betrachtung darbieten, das sogenannte »Musikalische Opfer« und »die Kunst der Fuge«. Jenes war die Vorhalle, durch welche Bach zu diesem gelangte; ohne den Werth seiner einzelnen Bestandteile anzutasten, muß man das Musikalische Opfer als Ganzes doch als eine Studie ansehen, durch welche dem Meister der Wille zu dem zweiten, größeren Werke erstarkte. Ein Theil desselben erschien im Juli 1747, zwei Monate nachdem Bach in Potsdam vor König Friedrich II. gespielt hatte. Das Thema, welches ihm damals der König selbst zur Durchführung gab, beschloß Bach zum Mittelpunkt einer Anzahl gründlich ausgeführter, kunstvoller Compositionen zu machen, da ihm, wie er sagte, seine Improvisation über dasselbe nicht so hatte gerathen wollen, wie das ausdrucksvolle Thema es verdiente. Der Name »Musikalisches Opfer« stammt daher, weil er sie dem Könige widmete145. Das Werk, welches ebenso stückweise componirt wie gestochen wurde, enthält eine dreistimmige und eine sechsstimmige Fuge, acht Canons, eine canonische Quintenfuge, eine viersätzige Sonate und einen zweistimmigen Canon über einem freien Continuo. Alles ist mehr oder weniger aus einem und demselben Thema entwickelt.

[671] Die dreistimmige und sechsstimmige Fuge hat Bach beide als Ricercare bezeichnet. Bei letzterer erscheint der Name sofort schon deshalb berechtigt, weil es ein unerhörtes Unterfangen war, allein für Clavier ohne Pedal eine strenge sechsstimmige Fuge zu setzen. Bach wäre auf den Gedanken auch wahr scheinlich nicht gekommen, hätte nicht König Friedrich seiner Zeit in Potsdam von ihm eine sechsstimmige Fuge ex tempore zu vernehmen gewünscht. Damals hatte Bach dem König nur über ein passendes selbstgewähltes Thema gewillfahrtet. Hier wollte er zeigen, daß er auch das gegebene, wennschon weniger geeignete Thema sechsstimmig zu behandeln vermöge. Ein solcher Satz bedingt, zumal wenn er nur von zwei Händen ausgeführt werden soll, natürlich ein dichtes Stimmengewebe. Vergleicht man indessen die Cis moll-Fuge des ersten Theils des Wohltemperirten Claviers, welche wenn auch nicht sechs, so doch wenigstens fünf Stimmen obligat beschäftigt, und bemerkt wie auffällig viel durchsichtiger sie ist, als die Fuge des Musikalischen Opfers, so scheint es, daß Bach die sechs Stimmen absichtlich fast immer hat zugleich arbeiten lassen. Und die virtuose Lösung dieser Aufgabe ist ein zweites, wodurch das Stück den Namen Ricercar verdient. Anderweitige Künstlichkeiten, besonders prägnante Contrapunkte, geistreiche motivische Entwicklungen sind nicht darin. Ein alterthümlicher Zug, der durch Anwendung des Tempus imperfectum noch verstärkt wird und sich mit der grandiosen Harmoniefülle wohl verträgt, andrerseits eine das Ganze durchziehende kühne Chromatik sind die beiden Gegensätze, aus deren Mischung der eigenthümliche Gehalt des gewaltigen Werkes sich bildet146.

Viel weniger scheint die dreistimmige Fuge dem Wesen eines Ricercars zu entsprechen. Es ist eine einfache Fuge mit ziemlich weitläufigen Zwischensätzen, in denen aber nur der chromatische Theil des Themas eine gründlichere motivische Entwicklung erfährt, und von verhältnißmäßig geringem contrapunktischen Reichthum. Die zum Thema von T. 61–66 gesellten Gegenmelodien werden an nicht weniger als drei Stellen mit demselben wiederholt, [672] zweimal allerdings im doppelten Contrapunkt der Octave versetzt. Die Stelle T. 38–52 kehrt T. 87–101 fast Note für Note in einer andern Tonart wieder, desgleichen 66–71 von 81–86. Auch die Zwischensätze an sich sind zum Theil befremdend. Jene plötzliche Triolenbewegung, die mit T. 38 erscheint, nach vier Takten einem andern, stark contrastirenden Zwischensatze Platz macht, sich bald ganz verläuft, und auch später zu keiner ihrer Auffälligkeit entsprechenden Ausnutzung gelangt, müßte man vom Standpunkt Bachscher Fugenkunst aus fast für unorganisch erklären. Ebenso den Zwischensatz T. 42–45; ebenso die mit T. 108 beginnende Stelle bis zum Eintritt des chromatischen Achtelmotivs; ebenso endlich den Schluß. Wir werden uns hüten, den Meister meistern zu wollen, glauben aber vollberechtigt zu sein, diese seltsamen Erscheinungen auf die Einwirkung äußerer Umstände zurückzuführen. Wenn man bemerkt, wie der Gedanke T. 42 f.:


5.

im ersten Allegro der Sonate wiederkehrt (s. T. 48 ff. in der Flöte, 69 ff. in der Violine u.s.w.) wie die Stelle von T. 108 an auf das Andante vorbereitet, so möchte man meinen, Bach habe der Fuge absichtlich einen leichteren, praeludienartigen Charakter gegeben. Jedoch es ist nicht erwiesen, daß er bei Composition derselben schon an die Sonate gedacht hat. Denn anfänglich überreichte er dem Könige nichts weiter, als diese dreistimmige Fuge, sechs Canons und die canonische Fuge. Wahrscheinlicher ist es deshalb wohl, daß er bei der Ausführung auf die von ihm in Potsdam improvisirte Fuge Rücksicht nahm, da sie dem Könige sehr gefallen hatte, und daß er mehr von seinen augenblicklichen Einfällen in ihr beibehielt, als ihm unter andern Umständen zulässig gedünkt hätte. Jedenfalls erscheint es durchaus begreiflich, daß Bach sich mit diesem »Opfer« noch nicht genug gethan zu haben glaubte, sondern der ersten Gabe in dem sechsstimmigen Ricercar, der Sonate und noch drei Canons eine zweite, gewichtigere folgen ließ.

Von den Canons hat Bach fünf nebst der canonischen Fuge auf einen besondern Bogen drucken lassen und durch die gemeinsame Überschrift Canones diversi super Thema Regium gekennzeichnet. [673] Außerdem versah er sie mit der spielenden Inhaltsangabe:Regis Jussu Cantio Et Reliqua Canonica Arte Resoluta, d.h. Das vom König gegebene Thema nebst den Zusätzen auf canonische Weise entwickelt. Liest man die Anfangsbuchstaben der Worte zusammen, so hat man wieder Ricercar. Dem vierten Canon, der in vergrößerter Gegenbewegung sich entwickelt, hat Bach in dem noch erhaltenen Dedications-Exemplare beischreiben lassen: Notulis crescentibus crescat Fortuna Regis (wie hier die Noten wachsen, so wachse des Königs Glück). Neben dem fünften, einem Cirkelcanon, der durch ganze Töne aufsteigend modulirt, findet sich die Bemerkung: »Ascendenteque Modulatione ascendat Gloria Regis (und wie die Modulation höher steigt, so steige auch der Ruhm des Königs). In diesen netten symbolischen Spielereien, die unzweifelhaft vom Componisten selbst ersonnen sind, lebt etwas vom Geiste der niederländischen Contrapunktisten wieder auf. Die Auflösungen der Canons hat Bach selbst angezeigt. Der erste ist zweistimmig und krebsgängig, das Thema liegt in den canonisch geführten Stimmen selbst. Die übrigen sind zwar auch zweistimmig, bilden aber zugleich die Contrapunktirung zu dem als Cantus firmus eingeführten Thema, so daß ein dreistimmiger Satz entsteht. Fern jener phantasielosen Klügelei, die sich auf dem Felde des Canons mit Vorliebe erging, entwickeln diese kleinen Stücke ebensoviel Scharfsinn als Geist und charakteristische Empfindung. Trotz staunenswerther Künstlichkeit finden sich doch nur wenige schnell vorübergehende Härten147. Ein prägnanteres, interessanteres Bildchen, als der im französischen Stile geschriebene Canon per augmentationem, contrario motu, existirt in dieser Gattung sicher nicht. Auch die dreistimmige canonische Fuge ist ein bewunderungswürdiges, mit spielender Leichtigkeit entwickeltes Meisterstück. Welches Instrument zu den beiden Clavierstimmen[674] die oberste dritte Stimme ausführen soll, hat Bach anzugeben unterlassen; wahrscheinlich eine Flöte.

Die drei übrigen Canons stehen, wohl nur aus typographischen oder andern äußerlichen Gründen, der eine hinter der dreistimmigen, die andern beiden hinter der sechsstimmigen Fuge. Die Auflösung dieser letzteren – eines zweistimmigen und ein vierstimmigen, ohne Cantus firmus – hat Bach nicht angedeutet, sondern durch ein »Suchet, so werdet ihr finden,«(quaerendo invenietis) den Spieler oder Leser auf seinen eignen Scharfsinn verwiesen. Im vierstimmigen folgen sich die Einsätze je nach sieben Takten, der Eindruck dieser verwegensten Chromatik streift ans Abstruse148. Bei dem zweistimmigen setzt der Bass als zweite Stimme mit dem zweiten Viertel des vierten Taktes in strengster Gegenbewegung ein. Der Canon ist übrigens so eigenthümlich beschaffen, daß sich auch bei dem entgegengesetzten Verfahren: wenn der Bass mit der Gegenbewegung beginnt, und der Alt mit der rechten Bewegung auf dem zweiten Viertel des vierten Taktes nachfolgt, ein richtiger Satz ergiebt. Und wiederum kann man sogar den Bass mit dem zweiten Viertel des vierzehnten Taktes nachfolgen lassen. Doch ist die erste der drei Auflösungen die von Bach gewollte149.

Nicht weniger Geist, dabei aber auch warme, reich ausströmende Empfindung zeigt die Sonate in üblicher viersätziger Form. Das Largo beschäftigt sich mit dem Thema noch nicht ernstlich, sondern praeludirt gleichsam nur über den charakteristischen Septimenschritt desselben (s. Takt 4 im Continuo, T. 13 und 14 in Flöte und Violine u.s.w.). In dem fugirten Allegro aber tritt das Thema nach und nach in allen Stimmen mit sehr schöner Wirkung als Cantus firmus auf; das eigentliche Fugenthema des Satzes bildet zu ihm das erste, und an manchen Stellen jener aus dem dreistimmigen [675] Ricercar wieder aufgenommene Gang das zweite Contrasubject. Das schwärmerische Andante phantasirt vorzugsweise über Motive aus dem dreistimmigen Ricercar, doch taucht mehre Male auch der Anfang des Themas deutlich empor. Im Final-Allegro erscheint das Thema genial umgebildet im Sechsachteltakt und entwickelt sich daraus zu einer lebensprühenden Fuge150. Und als ob die Combinationskraft des Componisten unerschöpflich wäre, bringt er nach der Sonate nochmals einen, diesesmal weit ausgeführten Canon. Er ist zweistimmig mit Generalbass und in strengster Gegenbewegung durchgeführt, welche anfänglich von der Oberquinte, später von der Unterquinte aus erfolgt. Ganz am Schlusse hat sich Bach den Spaß gemacht, das Thema auch noch im Continuo anzubringen.

Das allumfassende Combinationsvermögen, der auf den tiefsten Grund dringende harmonische Scharfsinn und die urkräftige Phantasie, welche auch in der größten Beschränkung ihre volle Lebendigkeit bewahrt, machen für alle Zeiten das Musikalische Opfer zu einer eminenten Erscheinung im Gebiete des strengen Satzes. Ein einheitliches Ganze aber ist es schon deshalb nicht, weil es für die einzelnen Theile verschiedene Ausführungsorgane voraussetzt. Die beiden ersten Fugen sind Claviermusik, auch einige Canons sind für Clavier gedacht, oder lassen sich doch auf ihm ausführen. Für andre sind Streichinstrumente erforderlich und theils auch vorgeschrieben, die canonische Fuge setzt Clavier und eine Flöte (oder Violine) in Thätigkeit, die Sonate und der Schlußcanon sind für Clavier, Violine und Flöte geschrieben, wohl mit Rücksicht darauf, daß König Friedrich selbst Flöte blies. Ein zusammengewürfelter, bunter Haufen, stückweise zu Stande gebracht, um einen und denselben Gedanken in möglichst verschiedenen Ausführungen zu zeigen. Von einer höheren Idee, alle diese kunstvollen Einzelbilder zur künstlerischen Einheit zusammen zu fassen, hat Bach dieses Mal abgesehen. Deshalb kann man das Musikalische Opfer als Ganzes eben nur eine Studie für Größeres nennen, eine halb abstracte Leistung, bei deren Werthschätzung die technischen Gesichtspunkte in den Vordergrund treten.

[676] Anders liegt die Sache bei dem zweiten Werke, der »Kunst der Fuge«. Die Idee, aus einem einzigen Thema durch Anwendung aller Mittel des strengen Contrapunkts ein großes, vielsätziges und einheitliches Kunstwerk zu entwickeln, war hier zur Vollendung gebracht. Nur der Zufall hat es verhindert, daß des Meisters Werk, wie er es bei sich abgeschlossen hatte, auch auf die Nachwelt kommen konnte. Der Hauptsache nach haben wir uns die »Kunst der Fuge« im Jahre 1749 componirt zu denken. Als Bach dann das Werk in Kupfer stechen lassen wollte, überarbeitete er sein Manuscript und vervollständigte es. Der größere Theil war unter seiner Aufsicht schon gestochen, da erreichte ihn in der Mitte des Jahres 1750 der Tod. Die Hinterbliebenen waren gegenüber dem Rest des Manuscripts, wie er sich in des Meisters Nachlaß vorfand, nicht genügend unterrichtet; die erwachsenen Söhne waren fern, die Vollendung der Ausgabe gerieth in sachunkundige Hände, welche Entwurf und Ausführung, Original und Arrangement, Zugehöriges und ganz Fremdes in wüster Unordnung auf die Kupferplatten brachten. In dieser Gestalt ging das Werk in die Öffentlichkeit hinaus. Indessen läßt sich noch erkennen, was als nicht für das Ganze bestimmt aus dem Haufen auszusondern ist, wenngleich über die von Bach geplante Anordnung der letzten Theile des Werkes Unsicherheit zurück bleiben muß. Durch Miß- oder Unverständniß geriethen in die Ausgabe ein älterer Entwurf zum zehnten Stücke, ferner eine Fuge mit drei Subjecten, an welcher Bach kurz vor seinem Tode arbeitete, die aber mit diesem Werke gar nichts zu thun hat, und endlich zwei Fugen für zwei Claviere. Die letzteren sind Arrangements jener beiden dreistimmigen Fugen, deren zweite die erste in allen Stimmen umgekehrt zeigt, und welche zum Theil sehr schwer, je nach Bachscher Art gar nicht zu spielen sind, da die Stimmen manchmal soweit auseinander liegen, daß das Gleichzeitige nur sprungweise erreicht werden kann. Um diese Augenmusik auch dem Gehöre zugänglich zu machen, hat Bach die Fugen in der Weise übertragen, daß ein Clavier zwei Stimmen, das andre die dritte und außerdem eine frei hinzucomponirte spielt. Ein paar freie Zusätze sind auch jedesmal noch beim Beginn der Fugen gemacht. Die hinzugefügte neue Stimme bezeugt wieder Bachs enorme Geschicklichkeit für solche Einrichtungen. Das Resultat aber hat [677] als Kunstwerk nur zweifelhaften Werth, und war für das Gesammtwerk keinesfalls bestimmt, da es die Idee des Componisten, eine Fuge mit lauter umzukehrenden Stimmen zu schreiben, zerstört zeigt, und auch schon durch die Einführung eines zweiten Claviers aus dem Stil des Ganzen herausfällt151.

Nach Ausscheidung dieser anorganischen Elemente erhalten wir ein Werk von 15 Fugen und 4 Canons über ein und dasselbe Thema in D moll. Die einfache, Doppel- und Tripel-Fuge, Fugen über melodische und rhythmische Umbildungen des Themas, Fugen in Engführung, mit Beantwortung in der Gegenbewegung, sowohl in gleichen Notenwerthen, als in Verkleinerung und Vergrößerung, Fugen im doppelten Contrapunkt der Octave, Duodecime und Decime, endlich Fugen, in welchen alle drei und vier Stimmen und zwar in verschiedenen Stellungen zu einander umgekehrt werden, daneben zweistimmige Canons in der vergrößerten Gegenbewegung und den drei gebräuchlichen Arten des doppelten Contrapunkts ziehen an uns vorüber. Es sind Formen von den einfachsten an bis zu den denkbar schwierigsten, wie sie selbst Bach in seinem Leben noch nicht ausgeführt hatte. Wenn wir auch nicht sicher wissen, ob der Titel »Kunst der Fuge« von Bach selber herstammt, so trägt das Werk doch deutliche Zeichen genug, daß es einem lehrhaften Zwecke dienen sollte. Dies zeigt sich schon ganz äußerlich darin, daß es in Partitur gesetzt ist, und die Stücke nicht Fugen, sondern mit Beziehung auf die Schule Contrapunkte genannt sind. Aber man würde doch sein Wesen ganz mißverstehen, wollte man in ihm [678] etwa ein Lehrbuch der Fuge in Exempeln und nicht vielmehr ein echtes Kunstwerk erkennen. Die Aussicht belehrend wirken zu können weckte bei Bach die künstlerische Begeisterung. Niemals hat er vorzüglicheres geleistet, als wenn er sich vornahm, durch sein Beispiel zur Förderung der Kunstjünger beizutragen. Auch bei dem Orgelbüchlein, den Inventionen und Sinfonien, dem ersten Theile des Wohltemperirten Claviers trat uns dieser in seiner Schlichtheit so großartige Charakterzug entgegen. Der praktischpädagogische Zweck und die freie künstlerische Absicht durchdringen sich hier auf der höchsten Stufe ihres Wesens so sehr, daß fast nirgends Spuren eines Compromisses sichtbar werden, in dem zu Gunsten des einen Factors von den höchsten Anforderungen des andern etwas nachgegeben wäre. Unter beiden Gesichtspunkten hat man ein hochvollkommenes Werk vor sich. Wer vorzugsweise Belehrung sucht, wird sich zunächst an die einzelnen Theile halten. Er wird die unvergleichliche Gewandtheit der Stimmenverbindung studiren und jene ans Fabelhafte gränzende harmonische Fülle und Vielseitigkeit, welche wohl einmal zu der Behauptung verführen konnte, Bach habe alle Möglichkeiten der Harmonie erschöpft und nach ihm gäbe es hierin nichts neues mehr zu sagen. Die Betrachtung des Werkes als freier Kunstschöpfung hat vom Ganzen und dem durch das Ganze hervorgerufenen Eindrucke auszugehen. Es unterscheidet sich von den beiden Theilen des Wohltemperirten Claviers, auch von den Inventionen und Sinfonien wesentlich durch den tiefen Ernst seiner Grundstimmung. Eine scheinbar größere Einförmigkeit in der Charakteristik der Theile, ein tiefer in sich zurückgezogenes Leben, das besonders in den ersten Fugen den Hörer überkommt, wie die feierliche Ruhe der Winternacht. Auch das Thema, das man mit Unrecht nur musikalisch brauchbar, an sich aber unbedeutend genannt hat, ist von dieser Stimmung durchtränkt. Die innere Fortbewegung erfolgt in großen, majestätischen Gruppen. Von den schon erwähnten vier Fugen wird die erste Gruppe gebildet. Auch in ihr kann man eine Steigerung deutlich wahrnehmen. Die zweite Fuge contrastirt mit der ersten durch einen etwas belebteren Contrapunkt; die dritte führt das vermittelst Gegenbewegung umgestaltete Thema durch, welches nun mit einemmale einen tief sehnsuchtsvollen Charakter offenbart. Diesen spinnt [679] die vierte Fuge in breiteren Verhältnissen weiter und steigert ihn von Takt 61 an zu ergreifender Stärke. Aus der fünften, sechsten und siebenten Fuge besteht die zweite Gruppe. Im Gegensatz zu der ersten ist sie über eine Umbildung des Themas ausgeführt, welche namentlich durch ihren Rhythmus wirkt, und läßt das Thema in verschiedenen Zeitwerthen im doppelten Contrapunkt mit sich selbst combinirt erscheinen. Die hierdurch hervorgerufene Belebtheit erhöht Bach in der sechsten Fuge durch Anwendung der Rhythmen des französischen Ouverturenstils und treibt sie in der siebenten Fuge, welche das Thema in natürlicher, verkleinerter und vergrößerter Gestalt zugleich bringt, bis an die Gränze des Beunruhigenden. Der Entwicklungsfortschritt der zweiten Gruppe ist vergleichsweise mehr im Äußerlichen gelegen. In der dritten (Fuge 8–11) wirken äußere und innere Factoren zusammen, den Höhepunkt zu erreichen. Dem Hauptgedanken gesellen sich jetzt selbständige, gegensätzliche Themen. Die achte Fuge beginnt sofort mit einem solchen: schlangengleich gewunden gleitet es ruhig fort, von schärfster Eigenthümlichkeit ist sowohl die rhythmische Gestaltung wie die melodische. Nachdem es sich in eigner Durchführung ersättigt hat, tritt ein zweites aufgeregt pulsirendes Thema von gleicher rhythmischer und melodischer Bedeutsamkeit ihm entgegen. Eine Doppelfuge erwächst, in der das seltsame Klopfen allmählig zum nervösen Hämmern und die aufgeregte Bewegung zum Ungestüm ausartet. Nun erst, nach Wiederkehr der anfänglichen Ruhe, tritt der Hauptgedanke hervor um zunächst allein fugirt zu werden. Aber durch Viertelpausen zerschnitten trägt er auch seinerseits den Ausdruck tief innerer Erregtheit. Die andern Themen vereinigen sich dann mit ihm und es entwickelt sich mit noch eindringenderen Mitteln abermals jene fortreißende Affectssteigerung. Eine Tripelfuge zu drei Stimmen und 188 Takte lang. Die folgende vierstimmige Fuge hat nur ein Gegenthema, das aber durch seine Versetzung im Contrapunkt der Duodecime wie für zwei wirkt, wenn es auch in beiden Lagen gleichzeitig nicht auftreten kann. Mit wildem Sprunge ansetzend stürmt es unaufhaltsam fort, aber feierlich und groß zieht in verdoppelten Notenwerthen das Hauptthema seine Bahn. Auch in der zehnten Fuge, die im Contrapunkt der Decime componirt ist, erscheint nur ein Gegenthema.[680] Die mild hinfließende Weise derselben besänftigt auf das Vorhergegangene und befähigt zur vollen Aufnahme der letzten Fuge, welche in vierstimmigem Satze die drei Themen der achten Fuge von neuem durcharbeitet, ihren Ausdruck bis zum Unerhörten steigert und ihren harmonischen Gehalt bis auf den letzten Tropfen aussaugt. Diese cyklisch geschlossene Gruppe offenbart den Meister in jener unheimlichen Größe, die wir an keinem andern Tonkünstler außer ihm kennen. Sie beweist zugleich aufs deutlichste, wie sehr er auch in diesem Werke bedacht war, nach rein künstlerischen Principien zu gestalten. Zur vierten Gruppe einigen sich die beiden letzten Fugenpaare. Technisch angesehen zeigen sie Bach auf einer schwindelnden Höhe. Wo für alle andern die Lebensbedingungen aufhören würden athmet er gleich leicht und frei. Die Form-Beschränkungen, denen er sich unterwirft, dienen ihm eben dazu, den Sätzen ihren eignen Kunstcharakter zu geben. Die ernste Ruhe des Anfangs ist wiedergekehrt, aber sie hat sich zu einem Ausdrucke erhoben, der mit dem Worte »grandiose Kälte« treffend bezeichnet worden ist152. Bachs letzten Willen in Betreff der Anordnung der Sätze wissen wir nur bis zur elften Fuge. Indessen ist füglich anzunehmen, daß er von den beiden letzten Paaren das dreistimmige dem vierstimmigen vorangehen lassen wollte153. Wie er die 4 Canons den Fugen hat angesschlossen wissen wollen, ob sie als Intermezzo nach der dritten Gruppe eingefügt, oder dem Ganzen nur als interessanter Anhang beigegeben werden sollten, darüber hat des Meisters vorzeitiger Tod seinen undurchdringlichen Schleier geworfen. Mir erscheint es kaum glaublich, daß Bach den großartigen Aufbau, wie er sich in der Fugenfolge offenbart, durch eine Anzahl von engeren Formen hätte unterbrechen wollen, welche, obgleich sehr geistreich und kunstvoll, doch auch an jenem Mißverhältniß zwischen Ideengehalt und Material leiden, das wir schon bei zweien der Clavierduetten bemerkten, und die deshalb nicht wohl geeignet sind den harmonischen Eindruck der Fugenfolge zu erhöhen.

Die beiden Theile des Wohltemperirten Claviers durften wir als Kunstganze betrachten, wiewohl auch jede einzelne Fuge derselben [681] sei es ohne, sei es mit Praeludium einen befriedigenden Eindruck macht. Bach selber sah sie als solche an, da er sich zuweilen gestimmt fühlte, sie von Anfang bis zu Ende in einem Zuge vorzutragen154. In viel höherem Grade aber muß die Kunst der Fuge als eine geschlossene Einheit gelten. Nicht nur deshalb weil in allen Fugen dasselbe Thema herrscht. Hierbei wäre immer noch eine Behandlungsweise denkbar, die eine jede auf sich selbst gestellt erscheinen ließe; bei Schumanns sechs Fugen über den Namen Bach wird so leicht niemand an eine innere Zusammengehörigkeit denken. Aber in der Kunst der Fuge werden die einzelnen Theile auf einander bezogen und sind nur durch einander völlig zu verstehen. Wie die Wirkung eines im doppelten Contrapunkt geschriebenen Stückes davon abhängt, daß der Hörer die beiden Lagen, in welcher ein Gedanke gegenüber einem andern auftreten kann, als eine Einheit empfindet, die zugleich eine Zweiheit ist, ebenso tritt die Bedeutung der einzelnen Fugen dieses Werkes nur dann in das richtige Licht, wenn man die verschiedenen Abwandlungen, in welchen sich das Thema zeigt, seine verschiedenartigen Gegensätze und die hieraus gewonnenen abgerundeten Bilder sowohl mit der Grundgestalt des Themas selbst und der aus ihr entwickelten einfachsten Fugenform, als auch unter einander vergleicht. Es ist hiermit nicht die verstandesmäßige, sondern die empfindende Vergleichung gemeint; allerdings bedarf es, um sie in einer so umfassenden Weise auszuüben, einer höheren und besonderen musikalischen Bildung. Aber es wird, um nur ein Beispiel herauszuheben, bei der siebenten Fuge, wo das Thema in gerader und verkehrter Bewegung, in natürlicher, verkleinerter und vergrößerter Gestalt verarbeitet wird, schon kaum möglich sein, nur die Beziehungen der Stimmen zu einander zu verstehen, wenn das Ohr nicht durch die vorhergehenden einfacheren Combinationen vorbereitet und mit den Hauptgedanken gründlich vertraut geworden ist. Ebenso wird man nur unter dieser Voraussetzung die innere Berechtigung zur Anwendung so überaus künstlicher Formen zugestehen wollen. Dieses letzte Werk Bachs ist im Grunde nur eine einzige Riesenfuge in fünfzehn Abschnitten. Es wird daher auch in viel engerem Sinne, [682] als die beiden Theile des Wohltemperirten Claviers, von einer Grundstimmung getragen. Jeder Abschnitt muß für sich den Eindruck des Fragmentarischen machen, und aus diesem Umstande ist es gewiß zum großen Theile zu erklären, daß auch nicht eine Fuge des wunderbar gewaltigen Werkes sich nur soweit bei der Nachwelt hat einbürgern können, wie die leichtest wiegende Fuge des Wohltemperirten Claviers. Es aber als Ganzes aufzunehmen, dazu haben wie es scheint nicht allzu viele die Kraft und Neigung gehabt. Bei dem Zustande halber Verschüttung, in dem es sich seither befand, war dies auch äußerlich erschwert, und so ist es gekommen, daß eine Composition von unvergleichlicher Kunstvollendung und unermeßlicher Empfindungstiefe, trotzdem sie als Bachs letzte große Arbeit stets mit besonderer Ehrfurcht genannt wurde, doch dem Leben des deutschen Volkes fast fremd geblieben ist.

Der Stich der Originalausgabe war ziemlich geschmacklos, plump und fehlerhaft ausgefallen155. Emanuel Bach übernahm den Vertrieb, in der Erwartung eines großen und schnellen Absatzes sah er sich aber getäuscht. Er setzte deshalb den Preis von fünf Thalern auf vier herab und veranlaßte F.W. Marpurg in Berlin, anstatt der kurzen Nachricht, die man dem Werke wegen seiner vermeintlichen Unvollständigkeit vorausgeschickt hatte, einen ausführlicheren Vorbericht zu schreiben. Mit ihm versehen präsentirte sich die Kunst der Fuge zuerst in der Leipziger Ostermesse 1752. Aber der Erfolg war auch jetzt nur ein mäßiger. Als Emanuel Bach bis zum Herbst 1756 nicht mehr als ungefähr 30 Exemplare verkauft hatte, gab er die Sache auf und bot die Kupferplatten »für einen billigen Preis« öffentlich aus156. Breitkopf verhandelte im Jahr 1760 das [683] Exemplar wieder zu einem Louisd'or (= 5 Thaler)157. Trotz der geringen Abnahme stand indessen die Meinung über den Werth des Werkes alsbald fest. Die wenigen, die es kennen lernten, waren competente Beurtheiler. Unter den ersten Käufern befand sich Mattheson, der bis ins hohe Alter für alle bedeutenden Neuigkeiten eine seltene Frische und Empfänglichkeit behielt. »Joh. Sebast. Bachs so genannte Kunst der Fuge«, schreibt er,«ein praktisches und prächtiges Werk von 70 Kupfern in Folio, wird alle französische und welsche Fugenmacher dereinst in Erstaunen setzen; dafern sie es nur recht einsehen und wohl verstehen, will nicht sagen, spielen können. Wie wäre es denn, wenn ein jeder Aus- und Einländer an diese Seltenheit seinen Louisd'or wagte? Deutschland ist und bleibet doch ganz gewiß das wahre Orgel- und Fugenland«158. –

Bachs Schaffenstrieb ruhte auch nach Vollendung der Kunst der Fuge nicht. Er machte sich daran, eine Clavierfuge in den allergrößesten Verhältnissen zu componiren, von deren drei Themen das letzte seinen eignen Namen darstellt. Er hat dies Werk nur bis zum 239. Takte ausgeführt, wenigstens uns nicht mehr davon hinterlassen, und Em. Bach berichtet, sein Vater sei über der Ausarbeitung gestorben. Es ist dasselbe Werk, welches durch Mißverständniß in die Originalausgabe der Kunst der Fuge gerieth159. Da das Fragment nur bis an den Beginn der Combination aller drei Themen reicht, so dürften in ihm auch nur etwa drei Viertel des beabsichtigten Ganzen vorliegen, und man kann daraus sehen, in welch kolossalen Dimensionen die Fuge concipirt war. Die Stimmung ist feierlich ernst, ähnlich wie in der Kunst der Fuge; was voraussetzt, daß ihr entsprechend damals Bachs allgemeine Gemüthsverfassung [684] war. Trotz der langen Reihe musikalischer Ahnen, deren Bach sich rühmen konnte, war doch ihm die Entdeckung vorbehalten geblieben, daß selbst der Name seines Geschlechts sich in Musik auflösen lasse. Hernach ist die melodisch eigenthümliche und harmonisch vieldeutige Tonreihe von Bachs Söhnen und Schülern, von ferner stehenden Bewunderern und späteren Nachfolgern bis auf unsere Zeit ungezählte Male zu Fugen und Canons benutzt worden. Ein allbekanntes Praeludium und Fuge über den Namen Bach aus B dur, bei dem Sebastians Autorschaft lange Zeit als selbstverständlich galt, will man jetzt allgemein dem Meister absprechen160. Handschriftlich beglaubigt ist das Stück freilich nicht, auch existiren noch mehre andre Fugen über dasselbe Thema, für welche zu Zeiten Seb. Bach als Componist in Anspruch genommen wurde. Forkel fragte einmal Friedemann Bach, wie es sich hiermit in Wahrheit verhalte. Dieser antwortete, sein Vater sei kein Narr gewesen; nur in der Kunst der Fuge habe er seinen Namen als Fugenthema benutzt161. Das klingt sehr entschieden, und ist doch in doppelter Beziehung falsch. Was die Kunst der Fuge betrifft, so wissen wir nunmehr, daß das von Friedemann gemeinte Stück garnicht hinein gehört. Daß aber Sebastian lange vorher schon eine Composition über seinen Namen geschrieben haben muß, verräth uns Walther. Er sagt in dem kleinen Artikel seines Lexicons über Sebastian Bach: »Die Bachische Familie soll aus Ungarn her stammen, und alle die diesen Namen geführet haben, sollen so viel man weiß der Musik zugethan gewesen sein; welches vielleicht daher kommt, daß sogar auch die Buchstaben à ā 5. Q in ihrer Ordnung melodisch sind. (Diese Remarque hat den Leipziger Herrn Bach zum Erfinder)«. Niemand wird glauben, Bach habe sich mit der bloßen Beobachtung begnügt, und die so sehr brauchbare Tonreihe nicht auch sofort als Thema ausgenutzt. Walthers Lexicon erschien 1732; seine Kenntniß von Bachs Compositionen stammt aber fast ausschließlich aus der gemeinsam verlebten weimarischen Zeit, und vorzugsweise wohl aus der ersten Hälfte derselben162. Ihrer inneren [685] Beschaffenheit nach muß die in Rede stehende Fuge in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts entstanden sein. Wäre Bach nicht ihr Schöpfer, so ständen wir vor der seltsamen Thatsache, die Fuge eines unbekannten Musikers aus jener Zeit, und zwar eine vortreffliche, zu besitzen, während des berühmtesten Fugenmeisters eignes Werk verloren gegangen wäre. Stichhaltige innere Gründe gegen die Echtheit lassen sich meines Erachtens nicht vorbringen, sobald man daran festhält, daß die Fuge nur ein Jugendwerk sei. Dem Praeludium hat die französische Ouverture als Muster gedient, deren Form Bach schon in Weimar häufiger anwandte. Stellen wie Takt 8 ff. finden im Präludium der großen D dur-Orgelfuge163 Analogien. Das Fugenthema in seiner Weiterbildung ist durchaus Bachisch: die Wendungen des zweiten Takts kehren im Thema der H moll-Fuge aus dem ersten Theil des Wohltemperirten Claviers wieder, im »Kleinen harmonischen Labyrinth« finden sie sich sogar mit derselben Contrapunktirung164. Terzengänge mit aufwärts steigender Wiederholung sind der Compositionstechnik jener Zeit, für die noch Kuhnaus Claviermusik maßgebend war, etwas ganz geläufiges; die virtuosenhafte Unterbrechung gegen den Schluß ist eine Stileigenthümlichkeit der nordländischen Meister, deren Einwirkung sich damals Bach noch nicht entzogen hatte. Das ganze jugendlich frische, wohlklingende und spielfreudige Stück paßt zu dem Charakter von Bachs früheren weimarischen Compositionen. Von den übrigen anonym cursirenden Fugen über den Namen Bach tragen die meisten den nicht-Bachischen Ursprung deutlich aufgestempelt. Nur eine:


5.

hat einen ältlichen Zug und erinnert an Buxtehudes größere C dur-Fuge165. Sie könnte daher auch wohl von Seb. Bach sein, und [686] müßte noch früher als die andre, etwa um 1707 angesetzt werden. Hat aber Walther eine derselben gekannt, was ich annehme, so war es gewiß nicht diese, sondern jene; es darf darauf hingewiesen werden, daß er das Thema in der eingestrichenen Octave notirt, nicht in der kleinen. –

Auch ohne sich dessen zu erinnern, was am Ausgange der Darstellung von Bachs weimarischer Periode gesagt wurde, wird der Leser erwarten, daß auf Orgelcompositionen noch einmal die Rede komme. Wenn Bach auf den übrigen Feldern instrumentaler Musik in Leipzig die Arbeit nicht einstellte, wie viel weniger konnte dieses auf dem Orgelgebiete geschehen, das seine älteste und eigentlichste Domäne war. Überdies steht die Orgelmusik zu Cantaten, Passionen, Motetten und Messen in nächster Beziehung, in sofern sie wie diese der Kirche dient. Eine vorzugsweise in kirchlicher Musik sich bethätigende Schöpferkraft mußte immer wieder auch auf sie geführt werden. Wirklich offenbart sich zwischen den concertirenden Compositionen und den Orgelwerken, welche Bach in Leipzig schrieb, ein Gemeinsames. In der ersten Periode, da hinsichtlich der Cantaten die freie Mannigfaltigkeit der Formen überwiegt, herrschen auch in der Orgelmusik die selbständigen Formen vor. In der zweiten Periode tritt entschieden die Choralcantate in den Vordergrund, hier ergiebt sich auch der Instrumentalcomponist überwiegend dem Orgelchoral.

Im Ganzen aber ist, wie begreiflich, die Zahl der Leipziger Orgelstücke im Vergleich mit den weimarischen keine große. Nicht durch die Menge, noch auch durch Vielgestaltigkeit, wohl aber durch den Vollgehalt zeichnen sie sich aus. Von den Orgelcompositionen, die Bach in Leipzig vollendete, zweigt sich außerdem noch manches in frühere Perioden hinüber. Zwei Praeludien mit Fugen, aus C moll und F dur, sind ihrem zweiten Theile nach Erzeugnisse seiner früheren Meisterschaft, und hatten ursprünglich vermuthlich andere Vorspiele166. Was Bach ihnen später vorsetzte, ist so überaus gewaltig, daß es die Fugen fast zu Boden drückt. Genauer [687] läßt sich die Entstehungszeit der gigantischen F dur-Toccate – denn diese steht in Rede – und des aus harmonischen und fugirten Perioden wie aus Tutti und Solo sich entwickelnden C moll-Praeludiums nicht angeben. Auch die edle D moll-Toccate und -Fuge, die sogenannte dorische, müssen wir uns begnügen, im allgemeinen nur der mittleren Schaffensperiode Bachs zuzuweisen167. Ein Praeludium mit Fuge aus G dur brachte Bach 1724 oder 1725 zum Abschluß, ein gleiches Werk aus C dur um 1730168. Die Entwürfe derselben reichen aber jedenfalls in die vorleipzigische Zeit zurück. Als Bach in Weimar und Cöthen die Formen der italiänischen Kammermusik für seine Kunst verarbeitete, ist ihm auch der Gedanke gekommen, nach Analogie des italiänischen Concerts eine dreisätzige Orgelform zu schaffen. Voll ausgeführt hat er ihn nur einmal, wie wir annehmen mußten in Weimar169. Die Idee eines Orgelstücks in der Form des ersten Concertsatzes scheint ihm nicht ergiebig genug gewesen sein. Sie macht sich in dem obengenannten großen C moll-Praeludium noch einmal geltend, obgleich sehr modificirt; übrigens aber behauptet sich die Form des thematischen Praeludiums. Nichtsdestoweniger machte Bach in den erwähnten Werken aus G-und C dur den Versuch, wenigstens die Dreisätzigkeit des Concerts festzuhalten, indem er zwischen Praeludium und Fuge dreistimmige, ruhigere Mittelstücke einlegte. Wegen dieses Experiments darf man die erste Conception der beiden Werke in dieselbe Zeit setzen. Endlich aber entfernte er die Mittelstücke wieder, da er sich klar geworden war, das was ihm vorschwebte auf einem andern Wege erreichen zu können. So sind zwei Satzpaare übrig geblieben, die man mit der D moll-Toccate und -Fuge im schönsten Sinne mittleren Charakters nennen kann: ausgereift in der Form, nach keiner Seite hin ein wohlthuendes Maß überschreitend. Eine [688] festliche Stimmung spielt bei der C dur-Composition mehr ins Feierliche, bei der andern ins Freudige hinüber; der Rhythmus des Themas der G dur-Fuge, welches in der Cantate »Ich hatte viel Bekümmerniß« schon in Moll verarbeitet war, dient dem Praeludium als frei wirkendes Motiv.

Auch die Composition der berühmten großen A moll-Fuge, welche Virtuosität und Gediegenheit in vollkommenster Weise vereinigt, spannt sich augenscheinlich über zwei Lebensperioden170. Die erste Conception des Praeludiums, das Bachs späterer Art entgegen nur ganghaft ist, dürfte wegen gewisser an Buxtehudes Schule erinnernder Eigenthümlichkeiten (T. 22 ff. und 33 ff.) sogar in ziemlich frühe Zeit zurückreichen. Als unmittelbare Früchte der Leipziger Periode lassen sich nur vier große Praeludien und Fugen ansehen. Sie stehen in C dur, H moll, E moll, Es dur, vier Riesengestalten, in welchen das Höchste Gestalt gewann, was Bach auf diesem Gebiete zu geben hatte171. Die C dur-Fuge, deren fünfstimmiger Prachtbau auf dem bürglich kraftvollen Untergrunde des Praeludiums emporsteigt, wie Bachs Künstlergestalt selber aus der breiten Mittelschicht des deutschen Volkes, hat ein Seitenstück in der C moll-Fuge des zweiten Theils des Wohltemperirten Claviers. Bescheidener Art freilich; aber die künstlichen Verschlingungen des Themas in grader und verkehrter Bewegung sind ganz gleicher Art, namentlich auch der späte Eintritt der tiefsten Stimme mit der Vergrößerung, der in der C dur-Fuge mit überwältigender Majestät wirkt. Einen tief elegischen Ton, wie wir ihn so intensiv in Bachs Orgelwerken sonst nicht finden, schlägt er in Praeludium und Fuge aus H moll an. Das feine und dichte Geflecht des Praeludiums führt in romantische Irrgärten, wie sie kein neuer Componist zauberreicher hätte erfinden können. Still und melancholisch [689] sinnend fließt die Fuge hin. Daß Bach diese Stimmung in ein Orgelstück strengsten Stiles bannen und in den größesten Verhältnissen mit gleicher Stärke fortwalten lassen konnte, würde ihn allein schon unvergänglichen Ruhmes würdig machen. Im Gegensatze zu diesem Werke arbeitet in Praeludium und Fuge aus E moll des Meisters ganze großartige Lebensenergie. Eine Composition, bei der die hergebrachten Bezeichnungen nicht mehr ausreichen, die man eine zweisätzige Orgelsymphonie nennen müßte, um unsrer Zeit eine richtige Vorstellung von ihrer Größe und Gewalt nahe zu legen. Das Praeludium zählt 137, die Fuge erstreckt sich auf 231 Takte. Unter den Orgelfugen Bachs ist sie die längste. Von äußerster Kühnheit ist das Thema und doch, wie das Ganze, im höchsten Grade stilvoll. Die Composition muß zwischen 1727 und 1736 geschehen sein172. In die ersten Jahre der letzten Lebensperiode gehören Praeludium und Fuge aus Es dur, welche um 1739 im dritten Theil der Clavierübung veröffentlicht wurden. Sie bilden den Ein- und Ausgang dieser Sammlung, die eigentlich nur Orgelchoräle enthalten sollte. Obgleich also räumlich getrennt gehören sie doch innerlich zusammen; man erkennt es an dem mild-prächtigen Charakter, welcher beiden gemein ist, auch an der hier wie dort herrschenden Fünfstimmigkeit, außerdem hat Forkel nach Mittheilung von Bachs Söhnen die Zusammengehörigkeit ausdrücklich bezeugt173. Das weit ausgebaute Praeludium müßte man der Toccatengattung zuzählen. Jedoch ist in den nicht fugirten Partien ein eigenthümlicher Zug, der auf Emanuel Bachs und Haydns Claviermusik hinüberdeutet174. Die Fuge dagegen zeigt merkwürdiger Weise die mehrtheilige Buxtehudesche Form175; wird das Thema im zweiten und dritten Abschnitte auch fast nur rhythmisch umgebildet, so bewirken doch seine neuen Contrapunkte, daß es ein völlig andres Gesicht erhält. Dieses Werk ist demnach recht eigentlich ein Werk der Mitte: es weist voraus in die Zukunft und greift in eine vergangene Kunstperiode zurück176.

[690] Jene dreisätzige Form, welche Bach vergeblich suchte, als er zwischen Praeludium und Fuge einen contrastirenden Mittelsatz einschob, hat er in den sechs sogenannten Orgelsonaten gefunden. Es sind dies Compositionen, in denen die Formen der italiänischen Kammersonate, wie sie Bach ausbildete, und des Instrumentalconcerts combinirt erscheinen. Sie bilden zu den sechs Violinsonaten mit obligatem Clavier insofern ein Gegenstück, als auch sie streng dreistimmig sind, ja noch strenger wie jene, die wenigstens hier und da Generalbassaccorde zulassen. In den Orgelsonaten führen zwei Manuale je eine Stimme, die dritte ist dem Pedal zugetheilt. Von seiner Kammermusik ausgehend ist Bach zu dieser Form gelangt. Die Musik, welche uns in ihr geboten wird, hält zwischen Orgel- und Kammerstil die Mitte und gehört sich demgemäß auch für ein Instrument, welches diese mittlere Stellung zum Ausdruck bringt. Es ist das Pedalclavier mit zwei Manualen. Die Originalmanuscripte bestimmen sie ausdrücklich dafür und die jetzt übliche Benennung »Orgelsonaten« ist genau genommen unrichtig. Für seine eigentliche Orgelmusik hat Bach sich zwar manches aus der Kammermusik zu Nutze gemacht. Aber er hat davon Abstand genommen, die Formen ohne weiteres und völlig zu übertragen. Wirkliche Orgelsonaten besitzen wir von ihm so wenig, wie Orgelconcerte. Im Gegensatze zu Händel blieb ihm die Orgel endlich doch immer ein kirchliches Instrument. Mit den sechs Sonaten verfolgte er den praktischen Zweck, den ältesten Sohn Wilhelm Friedemann zum Orgelspieler vorzubilden177. Sie entstanden allmählig; der erste Satz der D moll-Sonate fällt um 1722, Adagio und Vivace der E moll-Sonate gehörten anfänglich zur Kirchencantate »Die Himmel erzählen« aus dem Jahre 1723, der letzte Satz desselben Werks und das Largo der C dur-Sonate sollten zuerst Mittelsätze zwischen Orgel-Praeludien [691] und -Fugen aus G dur und C dur sein, und entstammen demnach auch der cöthenischen oder gar weimarischen Zeit (s. oben). Zum Ganzen wurde aber die Sammlung zwischen 1727 und 1733 abgerundet, da in letzterem Jahre Friedemann Bach als Organist in Dresden angestellt wurde; genauer noch darf man wohl die Vollendung bald nach 1727 ansetzen178. Das musikalische Verständniß für diese Sonaten eröffnet sich am leichtesten, wenn man von den erwähnten sechs Violinsonaten ausgeht. An Reichthum schöner Gedanken, interessanter Durchführung, meisterlicher Behandlung des dreistimmigen Satzes, wie auch an scharfer Gegensätzlichkeit unter einander ihnen vollkommen ebenbürtig, haben sie jedoch ein gedrungeneres Wesen, wie solches dem weniger abwechslungsreichen Tonmaterial entspricht179.–

Der erste, zweite und vierte Theil der »Clavierübung« enthielten Werke, deren jedes in seiner Gattung als ein Höchstes, theilweise Abschließendes betrachtet werden mußte. Auch von dem dritten Theile ist dieses zu sagen, welcher die meisten und bedeutsamsten Choralbearbeitungen für Orgel umfaßt, die Bach in seiner letzten Lebensperiode schuf180. Man ist genöthigt, die 21 Choralsätze des [692] dritten Theils als ein Ganzes zu betrachten, dem eine poetische Idee die Einheit verleiht. Den Grundstock geben 12 Bearbeitungen von sogenannten Katechismusgesängen ab. Für jedes der fünf Hauptstücke des lutherischen Katechismus und außerdem für die Beichte ist einer der bekanntesten und schönsten Choräle ausgewählt, für das erste Hauptstück »Dies sind die heilgen zehn Gebot«, für das zweite »Wir glauben all an einen Gott«, das dritte »Vater unser im Himmelreich«, das vierte »Christ unser Herr zum Jordan kam«, für die Beichte »Aus tiefer Noth schrei ich zu dir«, und für das Abendmahl »Jesus Christus unser Heiland«. Ein jeder wird zweimal bearbeitet, zuerst mit Pedal, sodann manualiter allein. Ihnen vorauf geht eine doppelte Bearbeitung des »Kyrie Gott Vater in Ewigkeit« und eine dreifache des »Allein Gott in der Höh sei Ehr«. Diese Choräle – Verdeutschungen des Kyrie fons bonitatis und Gloria in excelsis – haben hier als Ersatzstücke der protestantischen Kirche für die ersten beiden Acte der Messe, als welche sie auch am Anfang des Hauptgottesdienstes zu Leipzig gesungen wurden, eine besonders tiefe Bedeutung. Die musikalische Verherrlichung der dogmatischen Grundlagen des lutherischen Christenthums, welche Bach in diesem Choralwerke unternahm, stellte sich ihm unter dem Gesichtspunkte einer vollständigen Cultushandlung dar, zu deren Beginn er sich mit denselben Bitt-und Lobgesängen an den dreieinigen Gott wandte, wie es die Gemeinde allsonntäglich that. Auch in dem Umstande, daß der Choral »Allein Gott in der Höh sei Ehr« dreimal behandelt wird, prägt sich ein kirchlich-dogmatischer Charakter aus. Denn dieses Lied diente zum Preise der Dreieinigkeit, wie das Kyrie zum Gebet an dieselbe; im Kyrie wurden aber schon durch die drei verschiedenen Melodien ebenso viele Behandlungen nöthig, während beim »Allein Gott in der Höh« alle Strophen nach derselben Melodie zu singen waren. Ich sagte früher, der Pachelbelsche Orgelchoral erscheine als eine Art von idealem Gottesdienst auf rein instrumentalem Gebiet181. Es ist grade diese Kunstidee, welche sich in der großartigen Entwicklung, die der Orgelchoral durch Bach erfuhr, so ungemein fruchtbar erwiesen hat. Sie führte zur Choralfantasie, drängte dann zur Übertragung des Cantus firmus [693] auf den Gesang und leitete endlich in die vieltheilige Choralcantate als in die letzte und höchste Consequenz des Pachelbelschen Orgelchorals hinein. Ganz offenbar ist sie es auch, welche das Wesen des Choralwerks im dritten Theil der »Clavierübung« bestimmt hat, sofern dasselbe als Ganzes sich darstellt. Freilich hängen dessen Theile musikalisch garnicht und poetisch nur indirect, vermittelst einer abgeleiteten Vorstellung zusammen. Bach hatte es längst erkannt, daß die Erfüllung jener Kunstform nicht auf instrumentalem Gebiet erfolgen könne, und bethätigte diese Erkenntniß grade am eifrigsten zu der Zeit, da er jene Orgelchoräle schrieb. Aber lassen konnte er von der Idee auch hier nicht, um so weniger als es galt, in ihnen die Summe seiner Lebensarbeit zu ziehen.

Die reine Form der Choralfantasie hat Bach hier nur für die ersten Bearbeitungen der Melodien »Dies sind die heilgen zehn Gebot«, »Christ unser Herr zum Jordan kam« und »Jesus Christus, unser Heiland« angewandt. Es sind diese gewaltigen Stücke zugleich beredte Verkündiger seines poetischen und tonbildlichen Tiefsinns. Bach schöpfte die Grundstimmung der Orgelchoräle stets aus dem Kirchenliede als Ganzem, nicht nur aus dessen erster Strophe. So griff er auch zuweilen aus dem Gedichte irgend eine besondere Vorstellung heraus, die ihm vorzüglich bedeutsam erschien, und gab nach ihr dem Tonbilde seinen eignen, poetisch-musikalischen Charakter. In dieser Thätigkeit muß man ihm folgen, um gewiß zu werden, daß man ihn richtig versteht. Der breit und wuchtig schreitende Contrapunkt des Abendmahls-Liedes »Jesus Christus, unser Heiland« mag bei oberflächlicherer Betrachtung befremden, da er zum Wesen des Gedichtes nicht zu stimmen scheint. Wer dasselbe aber aufmerksam durchliest, findet bald die Stelle, welcher die charakteristische Tonreihe entquollen ist. Die fünfte Strophe lautet:


Du sollt gläuben und nicht wanken,

Daß ein Speise sei der Kranken,

Den'n ihr Herz von Sünden schwer,

Und für Angst ist betrübet sehr.


Unerschütterlicher, lebenstärkender Glaube, gepaart mit dem Ernst, welchen das Bewußtsein der Sündhaftigkeit bedingt, diese beiden Factoren bilden den Empfindungsgrund, auf dem das Stück ausgeführt [694] ist. Ein Vergleich mit der nicht weniger großartigen früheren Bearbeitung desselben Chorals, auch mit der mystischen Composition »Schmücke dich, o liebe Seele«182 öffnet nicht nur einen neuen Einblick in Bachs Phantasie-Reichthum, sondern dient eben wegen des subjectiven Elements, das in den Orgelchorälen zu Tage tritt, ebensosehr auch der tieferen Erkenntniß seines persönlichen Charakters. Wenn sich ferner in der Bearbeitung des Chorals »Christ unser Herr zum Jordan kam« eine unablässig strömende Sechzehntelbewegung bemerkbar macht, so wird zwar kein kundiger Beurtheiler Bachs hierin ein Bild der Jordanfluthen sehen wollen. Bachs wirkliche Meinung wird aber auch er erst nach vollständiger Lesung des Gedichtes erfassen. Den sichern Schlüssel bietet die letzte Strophe: hier erscheint dem gläubigen Christen das Taufwasser als ein Symbol des Blutes Christi, dessen rothe Fluth alle ererbte und selbst begangene Sünde hinwegspült. Unmittelbarer einleuchtend ist in dem fünfstimmigen Orgelchoral »Dies sind die heilgen zehn Gebot« der poetische Sinn des im Canon der Octave geführten Cantus firmus. Das Bild strengster Gebundenheit, welches also entrollt wird, ist uns überdies schon bei der Cantate »Du sollst Gott deinen Herrn lieben« begegnet, wenn auch nicht in so vollständiger Ausführung. Bach hat sich bei Composition des Orgelchorals jedenfalls an den Cantatenchor erinnert; der Grund, weshalb dies angenommen werden muß, ist an jener Stelle angegeben183.

Häufiger sind jene weniger freien Mittelbildungen zwischen Choralfantasie und einer dem Pachelbelschen Typus nahekommenden Form, welche entstehen, wenn zwar ein Motiv oder Thema das ganze Stück beherrscht, aber aus der ersten Melodiezeile abgeleitet ist. Ich nenne zuerst die größere Bearbeitung von »Vater unser im Himmelreich«. Auch hier erscheint zu drei contrapunktirenden Stimmen die Melodie im Canon der Octave. Bach dürfte durch dieses Mittel den kindlich gläubigen Gehorsam haben symbolisiren wollen, mit welchem der Christ das vom Herrn selbst angeordnete und ihm vorgesprochene Gebet sich aneignet. Die eigenthümlich bewegten Contrapunkte haben etwas besonders inständiges184.[695] Sodann gehören hierher die beiden dreistimmigen Bearbeitungen von »Allein Gott in der Höh«, bei deren zweiter aber der Cantus firmus von den Stimmen abwechselnd, hier und da auch canonisch oder mit Wiederholung derselben Zeile vorgetragen wird. Schließlich die erste Bearbeitung des dreitheiligen Kyrie, deren majestätischer Bau in dem grandiosesten fünfstimmigen Tonsatze gipfelt.

Wie man sich denken kann, durfte in einem so erschöpfenden Werke wie diesem der reine Pachelbelsche Typus nicht fehlen, dem Bach für seinen Orgelchoral am meisten verdankte. Er erscheint an dem Buß- und Beichtgesange »Aus tiefer Noth schrei ich zu dir« sowohl in der vierstimmigen Bearbeitung für Manual allein, als auch in der sechsstimmigen für Manual und Doppelpedal. Es kennzeichnet Bachs Empfindungsweise, daß er grade diesen Choral sich erlas, um ihn zur Krone des Werkes zu erheben. Denn das ist die Composition unfraglich, sowohl wegen der Kunst der Stimmenführung, als der Fülle und Erhabenheit der Harmonien, als auch der Spielvirtuosität, welche sie voraussetzt. In dieser Weise das Pedal durchweg zweistimmig zu führen hätten sich selbst die nordländischen Meister nicht getraut. Grade sie waren es sonst, welche die zweistimmige Pedalbehandlung aufgebracht hatten, und Bach hat neben Pachelbel auch ihnen in dem Stücke Gerechtigkeit widerfahren lassen. Und nicht in ihm allein. In der Fughette über »Dies sind die heilgen zehn Gebot« grüßt uns Buxtehudes Geist ganz vernehmlich, wennschon völlig wiedergeboren aus dem Bachschen Genius. Bedeutsam sowohl für Bachs Kunst als für seine Persönlichkeit ist es, wie in diesem letzten großen Orgelwerke die Ideale seiner Jugendzeit wieder auftauchen. Was mochte der ernste Meister empfinden, als er auf höchster einsamer Kunsthöhe die Bilder alter Tage beschwor und in dankbarlicher Bewegung noch einmal durch seine Phantasie ziehen ließ! Auch Georg Böhm erscheint, das Vorbild der Lüneburger Schuljahre. Der Basso quasi ostinato des Orgelchorals »Wir glauben all an einen Gott« kündigt ihn deutlich an. Das Stück ist sonst eine Fuge über die erste Melodiezeile [696] und hat mit dem Basse garnichts zu schaffen. Eben hieraus wird die Bezugnahme auf Böhm ganz klar; denn Fugen zu schreiben, in denen das Pedal sich nicht an der Themadurchführung betheiligt, auch keinen Cantus firmus führt, sondern nur eine kurze frei erfundene Tonreihe von Zeit zu Zeit wiederholt, war übrigens nicht Bachs Manier185. Damit endlich auch der Orgelchoral in einfachster Form nicht fehle, wie ihn Bach so tiefsinnig in Weimar ausbildete und hernach im »Orgelbüchlein« in den herrlichsten Exemplaren fixirte, hat er jene schöne zweite Bearbeitung des »Vater unser« der Sammlung einverleibt.

Ja, noch weiter wollte er den Bereich der Sammlung spannen. Es genügte ihm nicht, Orgelchoräle in den verschiedensten Formen zu schaffen. Er ist zurückgegangen auf den Keim derselben und hat auch wirklichen Choral-Vorspielen einen Platz gegönnt, Formen also, mit welchen er sich außer vielleicht in frühester Jugendzeit nicht beschäftigt hatte186. Der Orgelchoral unterscheidet sich vom Choralvorspiel dadurch, daß er ein selbständiges Kunstwerk ist, welches nur die Bekanntschaft mit der behandelten Melodie voraussetzt, während das Choral-Vorspiel nichts weiter soll als vorbereiten und seinen Schwerpunkt nicht in sich, sondern in dem nachfolgenden Gemeindegesange hat. Demnach ist hier die Behandlung der Melodie eine ganz andre, nur andeutende, und vor allem braucht die Melodie im Orgelstück nicht vollständig aufzutreten. Solchergestalt ist nun in unsrer Sammlung zuvörderst die zweite Bearbeitung des »Kyrie Gott Vater in Ewigkeit«: hier werden in allen drei Theilen nur die ersten drei Töne des jedesmaligen Chorals durchgeführt. In der zweiten Bearbeitung des Taufliedes ist zwar die volle erste Melodiezeile benutzt, jedoch auch nichts weiter als sie. Um sich aber den fast unmeßbaren Fortschritt klar zu machen, der vom älteren Choralvorspiel zum Bachschen stattgefunden hat, vergleiche man die derartigen Arbeiten Johann Christoph Bachs187 mit den eben genannten.

Eine besondere Art des Choralvorspiels ist die Choralfuge. Auch mit ihr hatte sich Bach während seiner Meisterzeit bislang [697] kaum befaßt188. Der dritte Theil der »Clavierübung« bringt fünf solcher Stücke und zwar über die Melodien »Allein Gott in der Höh«, »Dies sind die heilgen zehn Gebot«, »Wir glauben all« und »Jesus Christus unser Heiland«. Mit Ausnahme des ersten dient in allen nur die Anfangszeile als Fugenthema. Drei derselben sind mit meisterlicher Leichtigkeit hingeworfene Fughetten und scharf gezeichnete Charakterstücke: die kleinere Composition über das Glaubenslied im französischen Stil, die Composition zum ersten Hauptstück im Buxtehudeschen. Die Fuge über das Abendmahlslied, zugleich der Beschluß der Sammlung, zeichnet sich durch künstliche Engführungen aus und combinirt endlich die natürliche Gestalt des Themas mit seiner Vergrößerung. Von der großen Fuge über den Glauben war schon die Rede. Hier sind zwei Formideen mit einander verschmolzen, die des Böhmschen Chorals und die des Vorspiels.

Man entscheide hiernach, ob es begründet ist die Choralsammlung der »Clavierübung« eine zusammenfassende, abschließende Arbeit zu nennen. Als sie vollendet war, sah Bach sein Lebenswerk auf dem Gebiete des Orgelchorals im wesentlichen als gethan an. Er hat seitdem bis an seinen Tod noch ältere Werke gesammelt und überarbeitet189, aber Neues wenig mehr geschaffen. Als Sammlung und Überarbeitung ergeben sich jene sechs Choräle für zwei Manuale und Pedal, welche er zwischen 1746 und 1750 durch Johann Georg Schübler in Zella St. Blasii bei Suhl verlegen ließ. Sie sind Leipziger Kirchencantaten entnommen, nachweislich bis auf einen, der aber keine Ausnahme bilden wird, und unter diesem Gesichtspunkte muß man sie betrachten, will man sie richtig würdigen190. Originalcompositionen sind dagegen noch die »canonischen Veränderungen« über das Weihnachtslied »Vom Himmel hoch da komm ich her«, welche bei Balthasar Schmidt zu Nürnberg in elegantem Kupferstich erschienen191. Nach einer nicht anzuzweifelnden Überlieferung hat sie Bach für die Leipziger musikalische Societät geschrieben, der er im Juni 1747 beitrat192. Sie sind aber jedenfalls[698] schon ein Jahr vor seinem Beitritt componirt und auch gestochen gewesen193. Aus dem Titel »Veränderungen« könnte man leicht auf die Form einen falschen Schluß machen. Er ist aber werthvoll, sofern er uns die Absicht verstehen lehrt, welche Bach bei diesem Werke hegte. Um 1700 noch wurde der Name Variation auch für Partita gebraucht, welch letztere anfänglich den einzelnen Theil einer mehrsätzigen, aus Stücken gleicher Tonart bestehenden Composition, hernach erst diese mehrsätzige Composition selber zu bezeichnen pflegte. Man verfuhr in der Vertauschung beider Namen so unbekümmert, daß garnicht selten auch die erste Partita eines Variationenwerks, also das Thema, die erste Variation genannt wird. Nun kennen wir die Choralpartita als eine Form, welche Bach in seiner Jugendzeit nach Böhms Muster pflegte194. Ihr äußerliches und unkirchliches Wesen konnte ihm in reiferen Jahren nicht mehr genügen. In der Choralsammlung der »Clavierübung« hat sie keine Berücksichtigung gefunden. Aber der Drang nach vollständigster Erfüllung seiner Aufgabe scheint dem Meister keine Ruhe gelassen zu haben. Die »Variationen« über das Weihnachtslied sind Partiten. Man sieht es schon daraus, daß das Werk gleich mit der sogenannten ersten Variation beginnt; dies ging nur in der Partiten-Form an und kommt in diesem Sinne auch öfter, z.B. bei Pachelbel vor, während eine wirkliche Variation ohne vorhergegangenes Thema ein Unding ist195. Man muß also dieses Werk mit den Jugendarbeiten »Christ, der du bist der helle Tag«, »O Gott du frommer Gott« und »Sei gegrüßet, Jesu gütig«196 vergleichen. Es zeigt sich dann ein gleich großer Fortschritt, wie beim Choralvorspiel. Die eigentliche Form der Variation, welche sich genau an den Umfang und die Gliederung des Themas hält, brauchte in den Choralpartiten nicht durchweg beobachtet zu werden, spielte aber immerhin eine bedeutende Rolle. In den Partiten über das Weihnachtslied hat Bach sie gänzlich verlassen, und zugleich auch die claviermäßige, figurative Umspielung [699] der Melodie. Ebenso aber die unkirchliche motivische Zerpflückung derselben und das bunte Wesen Böhms, welcher das Thema bald hierhin, bald dorthin wirft, und nach Belieben eine größere oder geringere Stimmenzahl in Bewegung setzt. Eine Reihe von wirklichen Orgelchorälen zieht vorüber, ihr Typus ist der im »Orgelbüchlein« vorherrschende. Was sie zum Ganzen einigt, ist die allen gemeinsame Art canonischer Behandlung. In den ersten vier Partiten liegt der Canon in den contrapunktirenden Stimmen, eine Form, die wir im Musikalischen Opfer kennen lernten. Die Nachahmung erfolgt in der Octave, Quinte, Septime und in der Octave mit Vergrößerung. Bach hat sich aber das Ziel dadurch noch höher gesteckt, daß er nicht nur den Contrapunkt meistens aus der Melodie ableitet, sondern in der dritten Partite zwischen Cantus firmus und die beiden canonführenden Stimmen sogar eine sehr gesangreiche, frei erfundene Melodie einflicht. In der letzten Partite, welche eigentlich aus vier mit einander verbundenen vollständigen Durchführungen besteht, wird die Melodie selbst dem Canon der Gegenbewegung, und zwar der Sexte, Terz, Secunde und None unterworfen. Von staunens-werther Künstlichkeit sind die drei Schlußtakte, in denen die verschiedenen Stimmen alle vier Melodiezeilen zu gleicher Zeit hören lassen. An Ungezwungenheit der Bewegung stehen die Partiten über »Vom Himmel hoch« weder dem Musikalischen Opfer noch der Kunst der Fuge, noch auch den 30 Claviervariationen nach. Bach war auch bei den schwierigsten Problemen stets des völligen Gelingens sicher. Er liefert aber hier von neuem den Beweis, daß die complicirtesten Formen, denen er sich in den letzten Lebensjahren mit Vorliebe ergab, ihn nicht nur um der Technik willen reizten, daß er nicht etwa bei einem allmähligen Eintrocknen der Phantasie durch das Vergnügen am leichten Überwinden selbstgeschaffener Schwierigkeiten sich schadlos zu halten suchte, sondern daß seine immer profunder gewordene musikalische Empfindung ihn zu jenen Formen zog. Wahrlich eines urkräftigen Lebens und einer eigenartigen poetischen Empfindung sind diese Partiten voll. Wieder schweben hier die himmlischen Heerschaaren auf und nieder, tönt holder Gesang über der Wiege des Jesuskindes, springt in Fröhlichkeit die erlöste Christenschaar und singt »mit Herzenslust den süßen Ton«. Aber in die Empfindungen, die ihm früher beim Weihnachtsfeste [700] aufblühten und denen er durch Orgelchoräle, durch das Weihnachts-Oratorium, Magnificat und andere Werke eine immer dauernde Gestalt verlieh, auch in die Stimmung, welche ihn einstmals fast noch als Knaben zu jener Kunstform drängte, die er endlich in unvergleichlicher Weise zu veredeln bestimmt war, haben sich die Erfahrungen eines sechzigjährigen reichen Lebens mit tausend Fäden hineingeschlungen. Sie haben sie schwer und gedankenvoll gemacht, wie den Blick des Greises, der unter seinen Enkeln beim Glanze des Christbaumes der eignen Jugend nachsinnt.

Wenn es für Bachs kirchliche Vocalmusik charakteristisch erscheinen mußte, daß sein Geist, nachdem er alle Weiten des Kunstgebietes durchmessen hatte, endlich in der Choralcantate sein Genügen fand, so ist es nicht weniger bedeutsam, wie er bis in die letzten Lebensjahre den Orgelchoral pflegte. In mächtigem Bogen strömt seine Kunst allgemach zu der Quelle zurück, von der sie einst ihren Ausgang nahm. Händels Entwicklungslauf ist der eines stolzen Flußes, welcher den Schiffer zuletzt in das Weltmeer hinausträgt. Bach führt durch alle Höhen und Tiefen des Lebens endlich wieder in die stille Heimath zur Ruhe und Beschaulichkeit. Er schenkt sich nicht weg an die Welt, sondern umschließt dieselbe mit seiner Persönlichkeit. Dieser subjective Zug seiner Musik wird zu keiner Zeit undeutlich, aber in der letzten Lebensperiode macht er sich stärker bemerkbar, als bisweilen in den Jahren vollster Manneskraft. Der Orgelchoral ist unter allen Formen, die Bach ausbaute, die subjectivste, und hatte sich zugleich für sein Leben als die ergiebigste erwiesen. Wie sehr sein Herz an ihr hing, bewies er wenige Tage vor dem Tode. Die letzte Composition, welche er des Augenlichtes beraubt mit Hülfe Altnikols ausarbeitete, war die Erweiterung eines Orgelchorals »Wenn wir in höchsten Nöthen sein« aus früherer Zeit. Seine tiefsten Lebenskräfte hat er bis ans Ende einer Form geweiht, deren Inhalt die Empfindung des Glückes ist, Gott in der Gemeinde loben und anbeten zu können. Wie Augustinus dachte auch Bach: »Du hast uns zu dir geschaffen, und unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir«.

Fußnoten

1 Vrgl. S. 501 f. dieses Bandes.


2 S. Band I, S 750 f. und 833 f. – Band II, S. 558.


3 Vrgl. S. 84 dieses Bandes.


4 Die eigentlich zur Composition von Violinconcerten auffordernde Zeit war für ihn in Cöthen; s. Band I, S. 734 f. – Wenn die Originalstimmen des A moll-Concerts und zwei autographe Stimmen des D moll-Concerts das Wasserzeichen M A tragen, so folgt hieraus mit Sicherheit nur die Aufführung der Concerte zwischen 1727 und 1736, nicht auch ihre Composition während dieser Zeit.


5 S. Band I, S. 688 ff. und 707.


6 S. Rusts Auseinandersetzungen im Vorwort zu B.-G. XVII. – Auch davon, daß das andre der beiden C moll-Concerte für zwei Claviere aus einem Concert für zwei Violinen hervorgegangen ist, hat mich Rust (Vorwort zu B.-G. XXI1, S. XIII) vollkommen überzeugt. Hiernach ist Band I, S. 734, Z. 19 zu berichtigen.


7 S. S. 279 f. dieses Bandes.


8 S. S. 278 f. dieses Bandes. – Daß sich unter den Cantaten-Sinfonien auch sonst noch Bestandtheile verloren gegangener Violin- und Clavierconcerte befinden, ist sehr wahrscheinlich. Eine solche Sinfonie ist, da ihre Cantate nicht mehr existirt, von Rust B.-G. XX1, Nr. 4 unter den Violinconcerten herausgegeben. Auf eine andre Erscheinung dieser Art habe ich S. 564 dieses Bandes hingewiesen. Forkel (S. 60) sagt, Bach habe Instrumentalstücke während der Communion zu spielen geschrieben, und immer so eingerichtet, daß sie für die Spieler instructiv gewesen wären; sie seien aber meistens verloren gegangen. Das dürften theils ebenfalls arrangirte Sätze aus Instrumentalconcerten, theils auch Stücke gewesen sein, wie sie sich am Anfang des zweiten Theils zweitheiliger Kirchencantaten finden; vrgl. »Die Elenden sollen essen« und »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes«.


9 B.-G. XXI1, Nr. 1 und 3. – P.S. II, C. 10. – Beide C moll.


10 G moll B.-G. XVII, Nr. 7; P.S. II, C. 2. – D dur B.-G. XVII, Nr. 3; P.S. II, C. 4. – D moll B.-G. XVII, Nr. 1; P.S. II, C. 7. – F moll B.-G. Nr. 5; P.S. II, C. 3. – E dur B.-G, XVII, Nr. 2; P.S. II, C. 6. – A dur B.-G. XVII, Nr. 4.; P.S. II, C. 5. – D moll s.B.-G. XVII, S. XX und VII, Nr. 35.


11 S. S. 278 und 559 dieses Bandes.


12 S. S. 278 f. dieses Bandes.


13 S. S. 279 f. dieses Bandes.


14 B.-G. XXI2, Nr. 3. – S. Anhang A, Nr. 33 gegen Ende.


15 Das auf der königl. Bibliothek zu Berlin befindliche Autograph enthält deren sieben und außerdem das Fragment des zweiten D moll-Concerts. Eines derselben (F dur) ist aber ein Concerto grosso mit Clavier, worüber weiter unten.


16 Vrgl. Band I, S. 717.


17 Forkel nennt (S. 57) die Bachschen Concerte für ein Clavier mit Begleitung kurzweg veraltet. Das werden sie nie sein, solange man ihnen mit den richtigen Ansprüchen gegenüber tritt. Ein Künstler darf verlangen, daß man seine Gaben so annimmt, wie sie gemeint sind. Durch Forkels Urtheil hat sich dann Hilgenfeldt (S. 127) verleiten lassen, die ihm bekannten »etwas altfränkischen« vier Clavierconcerte in die erste Zeit der Cöthener Periode zu versetzen, und Bitter (II, 292) hat es ihm nachgethan. Wie unbegründet diese Angabe ist, ergiebt sich daraus, daß unter ihnen eines der brandenburgischen Concerte sich befindet, und eines welches aus einem brandenburgischen Con certe überarbeitet wurde. Diese entstanden aber bekanntlich 1721.


18 Band I, 8. 734 f.


19 Breitkopfs Verzeichniß zu Neujahr 1764, S. 52: »Bach, G.S. I. Concerto, a Oboe Concert. Violino Conc. 2 Violini, Viola, Basso. 1 thl.« Hiernach scheint es gar, als hätte es mehre Oboen-Concerte von Bach gegeben.


20 S. Band I, S. 739, 742 und 741.


21 Man findet es B.-G. XVII, Nr. 6 und P.S. II, C.I.


22 Band I, S. 417 f.


23 Nach den allerdings nicht originalen aber doch sehr glaubwürdigen handschriftlichen Vorlagen scheint in diesem Concerte das Soloclavier die Aufgabe des Generalbassinstrumentes zugleich mit übernommen zu haben. Herausgegeben ist es B.-G. XVII, Nr. 8.


24 S.F.K. Griepenkerl in der Vorrede zum D moll-Concert für drei Claviere; P.S. II, C. 11.


25 Die autographen Clavier-Stimmen tragen das diplomatische Zeichen M A. Herausgegeben B.-G. XXI2, Nr. 2 und P.S. II, C. 9.


26 Forkel sagt (S. 58), das gemeinte C moll-Concert sei im Vergleich zu demjenigen aus C dur »sehr alt«. Indessen scheint er nur haben sagen zu wollen, es sei veraltet.


27 Eine Annahme, der sich Rust (B.-G. XXI2, S VI) zuneigt.


28 S. Couperins Werke, herausgegeben von J. Brahms (Denkmäler der Tonkunst IV), S. 160.


29 Der Anfang der Tutti-Periode erinnert an den Anfang des ersten Satzes der Cantate »Wer mich liebet«. Ich erwähne das, weil auch dem Cantatensatze die Concertform zu Grunde liegt; s. Band I, S. 505 f.


30 S. Band I, S. 744.


31 S. Band I, S. 415 ff.


32 Rust vermuthet (B.-G. XXI2, S. VI und VIII) auf Grund einer älteren Vorlage, welche nur den ersten Satz und zwar ohne Orchesterbegleitung enthält, daß der erste Satz vereinzelt entstanden und die Orchesterbegleitung demselben erst später zugefügt worden sei. Aus der Art der Begleitung selbst läßt sich dies nicht schließen, denn daß dieselbe zum ersten Satze eine andre sei als zum letzten kann ich, abgesehen von dem was die verschiedene Form der Sätze an sich verlangte, nicht einsehen. Organisch nothwendig ist sie weder hier noch dort; schon Forkel bemerkt (S. 58), das Concert könne ganz ohne Begleitung von Bogeninstrumenten bestehen und nehme sich sodann ganz vortrefflich aus. Man mag es also auch schon früh so gespielt haben. Dagegen hat Rust scharfsinnig geschlossen, daß Bach wohl eine vollständige Partitur des Concerts garnicht angelegt, sondern die Streichinstrumente gleich in Stimmen niedergeschrieben haben dürfte.


33 P.S. II, C. 11.


34 P.S. II, C 12. – Dieses Werk, von welchem, wie auch von dem D moll-Concerte, das Autograph fehlt, kommt handschriftlich auch in D dur vor. Ich halte, Griepenkerls Ansicht entgegen, diese Tonart für die ursprüngliche, wegen Takt 33 des Adagios. – Die Ausgabe enthält mancherlei Fehler: so muß in dem genannten Takte nach f die Bratsche wieder mit den Violinen im Einklänge gehen, in Takt 48 des letzten Satzes, erstes Clavier linke Hand, muß es im zweiten Viertel statt f e heißen f g.


35 Als Streichbass dürfte sich Bach nur ein Violoncell gedacht haben. Wenigstens schließen Stellen, wie Takt 22 und 116 des ersten Satzes, die Mitwirkung des Contrabasses aus.


36 S. S. 58 f. seiner Schrift über Bach.


37 Daß das vierclavierige Concert aus Vivaldischem Stoffe geformt sei, hat zuerst Hilgenfeldt (S. 128) gezeigt. Ihm lag auch das Vivaldische Original vor; wo dasselbe geblieben ist, habe ich trotz vieler Bemühungen nicht erfahren können. In der Ausgabe von Roitzsch (P.S. II, C. 13) ist übrigens gleich zu Anfang ein Fehler: die zweite Violine setzt offenbar vier Takte zu früh ein, und in Takt 8, der also für die zweite Violinstimme Takt 12 sein muß, wird das dritte Viertel 5. statt Q heißen sollen.


38 B.-G. III, S. 139 ff. – P.S. I, C. 6, Nr. 1.


39 S. Band I, S. 415 ff. – Ein Concert im G dur für Clavier allein, das von Zelters Hand S. Bachs Namen trägt, ist seither noch in alter Handschrift aus dem Grasnickschen Nachlasse zum Vorschein gekommen. Ich kann aber diese dürre, bocksteife Composition nicht für Bachisch halten.


40 S. Band I, S. 427.


41 Critischer Musikus, S. 637 f. – Die großen deutschen Componisten haben Bach nicht nachgeeifert, wohl aber die kleinen, z.B. Michael Scheuenstuhl, Stadt-Organist in Hof, der 1738 ein G moll-Concert für Clavier allein bei Balthasar Schmidt in Nürnberg herausgab.


42 S. Band I, S. 670.


43 S. Band I, S. 688 und 691 ff. – Von der Sonate in Kuhnaus Stile (s. Band I, S. 239 ff.) sehe ich hier ab.


44 S. Band I, S. 767 f.; auch den Nachtrag zu dieser Stelle am Schlusse des zweiten Bandes. – Daß die E moll-Suite ursprünglich vielleicht eine besondre Bestimmung gehabt haben könnte, darüber s. weiter unten.


45 S. Band I, S. 428.


46 So berichtet Forkel S. 56, der es von Bachs Söhnen gehört haben wird. In Johann Christian Bachs Handschrift der englischen Suiten steht auf dem Titel der A dur-Suite »fait pour les Anglois«.


47 S. Anhang A, Nr. 58.


48 S. Band I, 693–701.


49 Die Gigue der D moll-Suite hat ihr Vorbild bei Buxtehude (s. meine Ausgabe der Buxtehudeschen Orgelcompositionen I, S. 94 f.). Forkel (S. 28) führt sie als Beispiel kühner Harmonienfolgen an.


50 Es stimmt hierzu, daß Johann Christian Bach in seiner Abschrift der G moll-Suite die verzierte Sarabande weggelassen hat. Ohne dieselbe ist auch die Handschrift Nr. 50 aus der Bibliothek der Prinzessin Amalia von Preußen.


51 P.S. I, C. 8. – B.-G. XIII2, S. 3–86.


52 S. Band I, S. 233.


53 S. S. 199 ff. und 220 f. dieses Bandes, und Band I, S. 232 ff., S. 239 ff., S. 318.


54 S. Anhang A, Nr. 59.


55 S. Burneys Tagebuch seiner musikalischen Reisen. III, S. 203. – Über den Preis werden wir ungefähr durch das Breitkopfsche Verzeichniß von Neujahr 1760 unterrichtet: Breitkopf nahm für das ganze, sechs Partiten (5 im Verzeichniß ist jedenfalls Druckfehler) umfassende Werk fünf Thaler; für die zweite Partite allein nahm er 8 gr.


56 S. Band I, S. 341.


57 S. Band I, S. 392.


58 Verzeichniß aller ... Musikalien ... welche zu Berlin beim ... J.C.F. Rellstab zu haben sind (1790), S. 67: »Bach, J.S., 6 Partite ou Suites francoises 4 Thlr.


– – 6 dito Tedesche 6 Thlr. 12 gr.

– – 6 dito Anglaises 5 Thlr. 12 gr.«


Nach gefälliger Mittheilung des Herrn G. Nottebohm in Wien.


59 S. Band I, S. 682 f.


60 »Suites de Pièces pour le Clavecin.«


61 S. Band I, S. 642 ff.


62 S. Band I, S. 694.


63 In den späteren Ausgaben und leider selbst in derjenigen der B.-G. ist gegen Bachs ausdrückliche Vorschrift überall die Bezeichnung Courante gesetzt. Auch bei andern Tänzen ist der wichtige Unterschied zwischen den italiänischen und französischen Bezeichnungen von den Herausgebern nicht in Acht genommen.


64 Marpurg, Kritische Briefe über die Tonkunst II, S, 26: ... »die eigentliche Tactart der Couranten nach französischer Art, welche zwar zu dem schweren Dreyzweytheil gehöret, aber der äußerlichen Form des Metri nach an verschiedenen Oertern, sehr vieles von dem Sechsviertheil entlehnet. Der Unterschied ist nur, daß diese Sechsviertheilpassagen im ordentlichen Dreyzweytheil gespielet werden müssen. Der seel. Herr Capellmeister Bach hat gnugsam ächte Muster von diesem eigentlichen Courantentact hinterlassen.«


65 S. Band I, S. 698 f.


66 Merkwürdig ist in dieser Gigue, daß in Takt 17–19 des zweiten Theils nach der Höhe hin ein größerer Umfang des Claviers ideell angenommen worden ist, als er damals vorhanden war. Das Hauptthema müßte hier eigentlich mit dem dreigestrichenen e einsetzen, die Noth zwang Bach, eine Octave tiefer zu beginnen. Solche Fälle sind bei ihm selten, da er sich sonst streng und ungezwungen in den Gränzen seines Materials zu bewegen pflegt. Zwei derartige Stellen kommen noch im Wohltemperirten Clavier vor, s. Band I, S. 770.


67 Die muthwilligen Decimensprünge des Themas erinnern stark an den ersten Satz des D moll-Concerts für zwei Violinen.


68 Wir wissen allerdings nicht, daß D. Scarlatti schon vor 1726 Claviercompositionen durch Stich veröffentlicht hat. Unzweifelhaft aber waren die Werke dieses, 1683 geborenen, Meisters bereits damals abschriftlich in der musikalischen Welt verbreitet.


69 Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, I, S. 35 f.


70 Schon J.A.P. Schulz machte darauf aufmerksam, daß diese Giga Gluck bei Composition der Arie Je t'implore aus Iphigenia in Tauris vorgeschwebt habe (s. Jahn, Mozart IV, S. 715). Wie Marx entdeckt hat (Gluck und die Oper I, S. 201), kommt diese Arie mit allen ihren wesentlichen Bestandtheilen schon in Glucks Oper Telemacco vor, welche gegen 1750 entstand. Daß die Übereinstimmung keine zufällige ist, muß als unzweifelhaft gelten.


71 Minuetta in der Original-Ausgabe dürfte ein Stichfehler sein.


72 S. die Allemanden auf S. 90 f., 99, 102 f., 110 f., 219 f. der Ausgabe von J. Joachim (Denkmäler der Tonkunst III.).


73 Eine Sarabande mit Auftakt findet sich bei Bach sonst nur noch in der Orchesterpartie aus H moll, der Claviersonate aus A moll und der Violinsuite aus A dur.


74 Forkel, S. 50. – Mizler sagt in einer Anzeige des »Wegweisers zu der Kunst, die Orgel recht zu schlagen« (Musikalische Bibliothek I, 5, S. 75): »Wer die Finger nicht besser zu versetzen weiß, wird schwehrlich unsers berühmten Herrn Bachens zu Leipzig Partien auf das Clavier spielen lernen können«. – Als die leichteste galt die C moll-Partita (Breitkopfs Verzeichniß zu Neujahr 1760, S. 18: »die leichteste unter allen«).


75 Forkel, welcher berichtet, daß »man noch nie so vortreffliche Claviercompositionen gesehen und gehört« hatte, ist als Beförderer der Mittheilungen der Söhne Bachs kein ganz unparteiischer Zeuge, falls Bachs Söhne ihm solches wirklich als das allgemeine Urtheil der Zeitgenossen angegeben haben.


76 Forkel, S. 23.


77 Sorge, Vorgemach der musicalischen Composition. Dritter Theil. Lobenstein (1747). S. 338 ff., 404, 416, 425.


78 Von Ausgaben des ersten Theils der »Clavierübung« nenne ich hier nur P.S. I, C. 5 und B.-G. III, S. 46–136.


79 P.S. I, C. 6, Nr. 2. – B.-G. III, S. 154–170. – Eine von Anna Magdalena Bach gefertigte Abschrift, welche die königliche Bibliothek zu Berlin aufbewahrt, giebt das Stück in C moll. – S. Anhang A, Nr. 33.


80 S. Band I, S. 746 f.


81 Es würde hier für mich der Ort sein, rückblickend auf die Rhythmik Bachs und die in ihr sich offenbarenden Grundanschauungen noch tiefer einzugehen, und dadurch ein Band I, S. 781 Anmerk. 58 halb gegebenes Versprechen zu erfüllen. Seit ich jene Anmerkung schrieb, hat indessen Rudolf Westphal selbst den Gegenstand erneuten eindringenden Untersuchungen unterzogen, deren Erscheinen bevorsteht. Ich glaube, daß ich durch diese der Erfüllung meines Versprechens einstweilen überhoben sein werde.


82 Breitkopfs Verzeichniß zu Michaelis 1761, S. 56: »Bach, J.S. Direttore della Musica in Lipsia, III. Partite à Liuto solo. Raccolta I. 2 thl.«


83 »Prelude pour le Luth ou Cembal«, P.S. I, C. 3, Nr. 4. – Das Autograph besitzt jetzt Mr. Henry Huth Esq. in London. – Ein alleinstehendes Praeludium für Laute oder Clavier hat J.P. Kellner überliefert; s.P.S. I, C. 9, Nr. 16, III.


84 S. Band I, S. 768.


85 Welche schon F.A. Roitzsch ausgesprochen hat; s. Vorwort z.P.S. I, C. 3, Nr. 8.


86 S. Band I, S. 657, und Anhang B, XVI dieses Bandes.


87 S. Band I, S. 708.


88 Fürstenau, Zur Geschichte der Musik am sächsischen Hofe. II, S. 126 f.


89 Baron, Untersuchung des Instruments der Lauten. Nürnberg, 1727. S. 109 f.


90 P.S. I, C. 4, Nr. 11. – B.-G. III, S. 242–253.


91 S. Band I, S. 667 f.


92 S. Marpurg, Kritische Briefe I, S. 183.


93 Forkel, S. 51.


94 Neue Ausgabe P.S. I, C. 6, Nr. 3. – B.-G. III, S. 263 ff. – Die Originalausgabe verkaufte Breitkopf im Jahre 1763 mit 2 Thlrn. 8 gr.


95 S. Band I, S. 693 und 697.


96 Man sehe Ciacone und Passacaglio in Georg Muffats Apparatus Musico-Organisticus.


97 In der G dur-Ciacone H.-G. II, S. 110–122.


98 S. 76 und 77. Sie steht zwischen Auf- und Abgesang des Liedes »Bistu bey mir«; die Schreiberin hatte aus Versehen zwei Seiten überschlagen und hat den leeren Raum dann durch das Clavierstück ausgefüllt. Es trägt keine Überschrift; die BezeichnungAria hat ihr Bach erst behufs der Variationen gegeben.


99 S. S. 302 f. dieses Bandes.


100 Die Grundform der ersten Hälfte hat mitgetheilt Kirnberger, Kunst des reinen Satzes II, 2, S. 172 f.


101 S. Band I, S. 126 f.


102 S. S. 586 dieses Bandes.


103 Die Überlieferung ist durch Pölchau auf uns gekommen, welcher eine hierauf bezügliche Notiz seinem Exemplar der Originalausgabe der Variationen einfügte. Das Exemplar befindet sich auf der königl. Bibliothek zu Berlin.


104 »tumpf« ist wohl Dialektform für »stumpf«.


105 S. Band I, S. 152.


106 Schwartze, Historische Nachlese zu denen Geschichten der Stadt Leipzig. 1744. S. 231.


107 S. »Das jetzt lebende und florirende Leipzig.« Jahrgang 1736 und 1746.


108 S. S. 170 dieses Bandes.


109 Die übrige Dichtung ist dialektfrei, doch kommen noch einzelne Ausdrücke der Volkssprache vor, wie Guschel = Mund, Dahlen = Kosen u.s.w.


110 S. Band I, S. 224, Anmerk. 19.– Fürstenau, Geschichte der Musik am Hofe zu Dresden. II, S. 158 f.


111 S. Marpurg, Kritische Briefe II, S. 45. – Der Text dieses Liedes, der in Bachs Composition etwas anders lautet als bei Picander (s. dessen Gedichte, Theil V, S. 285), scheint sich auf Ausgaben zu beziehen, welche gelegentlich des Huldigungsfestes von dem Gutsherrn gemacht waren.


112 S. Gregorio Lambranzi, Neue und Curieuse Theatralische Tantz-Schul. Nürnberg, 1716. I. Theil, Blatt 4. – Der Text der Paysanne hat etwas von echtem Trinkerhumor und ist für Picander entschieden zu gut. Mir scheint es, daß er hier irgend ein Studentenlied benutzt hat; im Umarbeiten fremder Erfindungen war er ja stark.


113 S. Gottfried Benjamin Hanckens Weltliche Gedichte. Dreßden und Leipzig, 1727. S. 144. – Poetischer Staar-Stecher, In welchem sowohl Die schlesische Poesie überhaupt, als auch Der Herr v. Lohenstein ... verthaydiget ... wird. Breßlau und Leipzig. 1730. S. 70. – Der Nachweis des Ursprungs wird Hoffmann von Fallersleben verdankt; s. dessen Horae Belgicae. Pars secunda. Vratislaviae. MDCCCXXXIII. S. 100. – Das Gedicht beginnt ursprünglich: »Auf, auf! auf, auf zum Jagen! Auf in die grüne Heyd!« und zählt 12 Strophen. In neueren Sammlungen erscheint es auf 6 Strophen reducirt und auch im Einzelnen geändert. Die Melodie s. bei Erk und Irmer, Die deutschen Volkslieder mit ihren Singweisen. Leipzig, 1843. Erstes Heft, S. 47.


114 S. S. 523 dieses Bandes.


115 Eine ältere Quelle für die Melodie und deren ursprünglichen Text aufzufinden ist mir nicht gelungen. Vielleicht sind Forscher wie L. Erk oder F.M. Böhme glücklicher.


116 Vrgl. Anhang A, Nr. 59.


117 Die Bauern-Cantate ist zuerst herausgegeben von S.W. Dehn bei Gustav Crantz in Berlin. Eine zweite Ausgabe erschien bei C.A. Klemm in Leipzig. – Es ist, wie hier noch erwähnt werden mag, eine Andeutung vorhanden, daß Seb. Bach der Componist des um die Mitte des Jahrhunderts verbreiteten scherzhaften Liedes sei »Ihr Schönen, höret an.« Ich halte dafür, daß die Melodie nicht von Bach, stammt, muß mich hier aber darauf beschränken, meine Meinung einfach auszusprechen, und werde den Gegenstand, der sich in allerhand andre Fragen weitläufig verzweigt, demnächst an einem andern Orte behandeln.


118 P.S. I, C. 4, Nr. 1.–S. Anhang A, Nr. 60.


119 S. Band I, S. 635 f.


120 S. Band I, S. 434.


121 Eines der Vivaldischen Concerte, welche Bach für Orgel arrangirte, hat ein Adagio im Recitativstil. S. P S. V, C. 8, Nr. 3; außerdem Band I, S. 414.


122 Das Autograph ist im Jahre 1876 durch Moritz Fürstenau in Dresden wiederaufgefunden worden und gehört der Musikaliensammlung des Königs von Sachsen. Es trägt die Wasserzeichen des Oster-Oratoriums; s. Anhang A, Nr. 48. – Forkel und Griepenkerl sind in der Beurtheilung des Werkes unglücklich gewesen, da sie meinen, die Fuge gehöre weder ursprünglich zu der Fantasie, noch sei mehr von ihr als die ersten 29 oder 30 Takte authentisch. Beides ist durch das Autograph als unrichtig erwiesen worden. Griepenkerl glaubt außerdem noch, die Fantasie werde 1725 schon da gewesen sein. S. Forkel S. 56 und Griepenkerl in der Vorrede zu P.S. I, C. 9, woselbst unter Nr. 7 die Fantasie und unter Nr. 18 die Fuge veröffentlicht ist.


123 Autograph fehlt. – Herausgegeben P.S. I, C. 4, Nr. 6.


124 Einstweilen kennt man nur von der As dur-Fuge ein Autograph; es ist auf der königl. Bibliothek zu Berlin. – Fragmente einer gleichzeitigen, werthvollen Handschrift besitzt Professor Wagener in Marburg. Sie haben bis jetzt fälschlich für Autographe gegolten; auch Kroll hielt sie dafür (s. B.-G. XIV, S. XVIII, Nr. 14a). Ergänzungen zu dieser Handschrift hat 1876 Fürstenau in der Musikaliensammlung des Königs von Sachsen aufgefunden. Durch sie wird die Handschrift vollständig, bis auf Praeludium und Fuge in G dur und Fuge in H dur.


125 Das Jahr 1744 giebt die Schwenckesche Handschrift an, welche sich auf der königlichen Bibliothek in Berlin befindet (s. B.-G. XIV, S. XVI, Nr. 11). Hilgenfeldt (S. 123) will ein Autograph aus dem Nachlasse Em. Bachs mit der Jahreszahl 1740 in Händen gehabt haben.


126 Als 17 taktiges Stück steht das Praeludium in einem mit dem Datum »3. Juli 1726« versehenen Clavierbuche J.P. Kellners, das Herr Roitzsch in Leipzig besitzt und Kroll unbekannt geblieben ist. In seiner zweiten Gestalt bietet es die Fürstenausche Handschrift und die offenbar mit dieser zusammenhängenden Nr. 2, 3, 9, 16, 18 bei Kroll.


127 Die Fuge in ihrer ersten Gestalt und die beiden beseitigten Praeludien hat Roitzsch herausgegeben P.S. I, C 3, Nr. 10 und 11. Von letzteren ist das zweite besonders schön, aber für die Fuge wohl zu gehaltvoll erschienen. Das erste nebst Fuge ist ebenfalls von Kellner in dem genannten Buche überliefert.


128 P.S. I, C. 3, Nr. 9 und Vorwort daselbst.


129 Eine Handschrift Johann Christoph Bachs zeigt es noch in C dur. Dieser Sohn Sebastians war 1732 geboren; das Stück muß also auch nach Vollendung des 2. Theils des Wohltemperirten Claviers – denn vor derselben kann es von Johann Christoph nicht abgeschrieben sein – noch seine eigne Existenz weitergeführt haben. – S. B.-G. XIV, S. 243.


130 S. Band I, S. 644 f.


131 Bach überschreitet auch im zweiten Theil nicht den Tonumfang von C zu 5.; nur im As dur-Praeludium findet sich einmal 5., im H dur-Praeludium zweimal Contra-H und am Schluß der A moll-Fuge Contra-A. Letztere hat allerdings auch mehr Cembalo-Charakter.


132 S. Band I, S. 772 f. und 838.


133 Den ersten Theil des sehr eigenthümlichen, harmonisch reichen A moll-Praeludiums versuchte Kirnberger auf seine Grundharmonien zurückzuführen; s. Die wahren Grundsätze zum Gebrauch der Harmonie. S. 107 ff.


134 S. Band I, S. 669.


135 Ebenso in der F-moll-Fuge des ersten Theils, T. 19.


136 S.W. Dehn hat, wie hier gelegentlich erwähnt werden möge, entdeckt, daß eine Fuge von Froberger in phrygischer Tonart fast über dasselbe Thema und denselben Contrapunkt gebaut ist (s. Analysen dreier Fugen Joh. Seb. Bachs. Leipzig, Peters. 1858. S. 31). Da Bach mit Frobergers Compositionen vertraut war (s. Band I, S. 321), wird die Übereinstimmung kein Zufall sein.


137 S. Band I, S. 417 f. und Band II, S. 623.


138 Im ersten Theile ist nur die G dur-Fuge gigueartig.


139 Von der F dur-Fuge sagt Kirnberger (Kunst des reinen Satzes II, 1, S. 120: »Soll diese Fuge auf dem Clavier richtig vorgetragen werden, so müßen die Töne in einer flüchtigen Bewegung leicht, und ohne den geringsten Druck angeschlagen werden.


140 S. den Contrapunkt der Duodecime in der Fis dur-Fuge T. 15–16 und 32–33.


141 In der C moll-Fuge des zweiten Theils tritt die vierte Stimme erst gegen das Ende, und zwar sofort mit der Vergrößerung ein. Denselben Effect hat Bach in der großen C dur-Orgelfuge (B.-G. XV, S. 234), deren Construction auch sonst mit der C moll-Fuge viel Ähnlichkeit hat. Wahrscheinlich gehören also beide Fugen zeitlich zusammen, und auch die C moll-Fuge ist vielleicht ursprünglich für Orgel componirt gewesen.


142 Vrgl. S. 231 dieses Bandes.


143 Bei Marpurg, Kritische Briefe I, S. 192.


144 Marpurg, Abhandlung von der Fuge. II. Theil. Berlin, 1754. In der Zueignung. – Eine Art von Nachahmung des Wohltemperirten Claviers lieferte Gottfried Kirchhoff (s. Band I, S. 516) mit seinem A.B.C. musical, vierundzwanzig Fugen aus allen Tonarten enthaltend. – Desgleichen Sorge mit seiner »Clavir Ubung, in sich haltend das I. und II. halbe Dutzend Von 24. melodieusen, vollstimmigen und nach modernen Gustu durch den gantzen Circulum Modorum Musicorum gesetzten Praeludiis«. Herausgegeben um 1738 bei Balthasar Schmidt in Nürnberg.


145 P.S. I, C. 12. – Ausgabe Breitkopf und Härtel in Querfolio. – Ein Autograph des sechsstimmigen Ricercars auf der königl. Bibliothek zu Berlin; es stammt aus Emanuel Bachs Nachlasse. – Über die Originalausgabe s. Anhang A, Nr. 61.


146 In der Originalausgabe hat Bach das sechsstimmige Ricercar in Partitur stechen lassen, um dem Auge das kunstvolle Gewebe klarer vorzulegen. Im Autograph ist es auf zwei Systeme zusammengezogen.


147 Kirnberger hat (Kunst des reinen Satzes II, 3, S. 47 ff.) drei dieser Canons aufgelöst. In dem Canonper motum contrarium kann aber Takt 3 unmöglich richtig sein. In Bachs Dedications-Exemplar ist das vierte Sechzehntel h mit rother Tinte in b corrigirt, vermuthlich auch von Kirnberger, da das Exemplar in den Besitz der Prinzessin Amalie überging. Dann müßte aber auch a in as verwandelt werden und somit wäre freilich alles in schönster Ordnung, wenn nur nicht beide Quadrate des Originalstichs dadurch eine kräftige Beglaubigung erhielten, daß vor dem letzten a des Taktes wieder ausdrücklich ein ~ steht.


148 Die Auflösung giebt Hilgenfeldt an S. 122.


149 Eine von Agricola gefertigte Abschrift eines Theils des Musikalischen Opfers, die sich auf der Amalienbibliothek befindet, enthält auch diesen Canon und darunter die ersten beiden Auflösungen. Über die Auflösung, welche mit dem Basse beginnt, hat Kirnberger geschrieben: »Diese Auflösung ist nicht nach des Autors Sinn«, über die andre: »Die wahre Auflösung«. Die dritte wird durch einen Ungenannten angedeutet in der Allgem. Musik. Zeitung von 1806, S. 496 Anmerkung.


150 Die Generalbassbegleitung zu der Sonate ist von Kirnberger vierstimmig ausgesetzt. Herausgegeben P.S. III, C. 8, Nr. 3.


151 In unserm Jahrhundert ist die Kunst der Fuge zuerst wieder von Nägeli in Zürich herausgegeben, dann von Czerny bei Peters in Leipzig (P.S. I, C. 11) und neuerdings von W. Rust (B.-G. XXV1); letzteres eine vortreffliche, an werthvollen kritischen Resultaten reiche Leistung. Die unzugehörigen Theile auszuscheiden hat Rust noch nicht gewagt. Das Verhältniß zwischen der dreistimmigen umzukehrenden Fuge und den Fugen für zwei Claviere ist merkwürdigerweise sowohl ihm entgangen, wie M. Hauptmann, dem wir eine gediegene Analyse des Werkes verdanken (Leipzig, C.F. Peters). Aus diesem Verhältniß erklären sich aber sehr leicht die in den zweiclavierigen Fugen befindlichen Fehler, welche Rust durch zum Theil sehr kühne Conjecturen zu heben sucht: sie sind beim Zusetzen der füllenden vierten Stimme aus Flüchtigkeit entstanden, wie sie denn auch nur durch sie herbeigeführt werden.


152 Hauptmann, Erläuterungen zur Kunst der Fuge. S. 10.


153 Dies ist auch die Ansicht Rusts, s. B.-G. XXV1, S. XXVIII.


154 Gerber, L. I, Sp. 492.


155 Rust vermuthet als Stecher J. Gr. Schübler in Zella bei Suhl. Das auf S. 25 befindliche Monogramm, aus dem ein A als Hauptbuchstabe hervortritt, scheint gegen diese Vermuthung zu sprechen. Sicher aber ist nach Rusts Untersuchungen, daß einer der Söhne Bachs den Stich nicht ausgeführt hat, was bis her als ausgemacht galt. Auch daß Bachs Söhne nur indirect an der Herstellung des Stiches sich betheiligt hätten, läßt sich durch nichts beweisen. Die Notiz auf Beilage I des Berliner Autographs (s. B.-G. XXV1, S. 115), aus welcher man dergleichen schließen könnte, ist meiner Überzeugung nach nicht von Em. Bachs Hand.


156 Die Schlüsse, welche Rust aus der vermeintlichen Veranstaltung von zwei Auflagen der Kunst der Fuge auf die Aufnahme des Werkes in der Öffentlichkeit zieht, sind unhaltbar. Er hat übersehen, daß Forkel, dem er Opposition macht, hier nicht auf Grund mündlicher Überlieferung berichtet, sondern nach einer sehr zuverlässigen, gedruckten Quelle: Emanuel Bachs eigner Bekanntmachung vom 14. Sept. 1756 in Marpurgs Historisch-Kritischen Beyträgen II, S. 575 f. An der sogenannten zweiten Auflage sind nur Titel und Vorbericht neu.


157 Breitkopfs Verzeichniß von Neujahr 1760. S. 7.


158 Mattheson, Philologisches Tresespiel. Hamburg, 1752. S. 98. – Das Buch erschien laut Zueignung und Vorbericht Ostern 1752, ist also 1751 geschrieben.


159 In der Ausgabe der B.-G. findet man es S. 93.


160 P.S. II, C. 4, Anhang.


161 Wie Forkel an Griepenkerl und dieser an Roitzsch überlieferte.


162 S. Band I, S. 388.


163 P.S. V, C. 4, Nr. 3.


164 S. Band I, S. 654. Ich vergesse nicht, daß die Echtheit dieses Werkchens nicht hinreichend beglaubigt ist. Aber es Bach abzusprechen, fehlt es auch an Grund.


165 Nr. XVII des ersten Bandes meiner Ausgabe der Buxtehudeschen Orgelcompositionen. – Die citirte, anonyme Fuge stammt aus Schelbles Nachlaß; ich verdanke die Bekanntschaft mit ihr Herrn Roitzsch.


166 Die Fugen haben schon Band I, S. 581 f. Berücksichtigung gefunden.


167 P.S. V, C. 3, Nr. 3. – B.-G. XV, S. 136 ff.


168 P.S. V, C. 2, Nr. 2 und 1. – B.-G. XV, S. 169 ff. und 212 ff. – Die Zeitbestimmung gründet sich auf die Beschaffenheit der Autographe. Das der G dur-Composition hat dasselbe diplomatische Merkzeichen, wie die älteren Stimmen der Pfingstcantate »Erschallet ihr Lieder«; s. Anhang A, Nr. 21. Das der C dur-Composition hat M A; s Anhang A, Nr. 33. – Über die allmähligen Umgestaltungen der Werke s. Rusts Vorwort zu B.-G. XV.


169 S. Band I, S. 415 f.


170 P.S. V, C. 2, Nr. 8. – B.-G. XV, S. 189 ff. S. dazu das Vorwort.


171 P.S. V, C. 2, Nr. 7, Nr. 10, Nr. 9 und C. 3, Nr. 1. – B.-G. XV, S. 228, 199, 236 ff., und III, S. 173 und 254 ff. – Die drei ersteren sind mit den Fugen aus A moll (P.S. V, C. 2, Nr. 8), C dur (P.S. V, C. 2, Nr. 1) und C moll (P.S. V, C. 2, Nr. 6) unter dem Titel der Sechs großen Praeludien und Fugen bekannt. Da sie auch handschriftlich vereinigt vorkommen, so ist es möglich, daß Bach sie in seiner letzten Periode selbst zu einem Sammelwerke zusammengestellt hat.


172 Nach dem Zeichen MA der Originalhandschrift, welche bis zum 20. Takte der Fuge (einschließlich) Autograph ist.


173 S. Griepenkerls Vorrede zu P.S. V, C. 3. Nr. 1.


174 Vrgl. Band I, S. 729.


175 Vrgl. Band I, S. 322 f.


176 Eine schöne fünfstimmige Fantasie mit Fuge aus C moll ist leider nur fragmentarisch erhalten, insofern die Fuge nur bis Takt 27 reicht. Griepenkerls Vermuthung, der ich Band I, S. 582 gefolgt bin, es möchte die Fantasie ursprünglich zu der Fuge P.S. V, C. 2, Nr. 6 gehört haben, wird sich nachdem das Autograph zu Tage gekommen ist, kaum mehr halten lassen. Das sehr große und kräftige Züge auf schönem, starkem Papier aufweisende Autograph war früher im Besitz von Professor Wagener in Marburg und ist jetzt auf der königlichen Bibliothek zu Berlin.


177 Forkel, S. 60.


178 Beide vorhandene Originalmanuscripte tragen das Zeichen M A; s. darüber Anhang A, Nr. 33. Autograph ist aber nur eines; das andre hat bis S. 48 incl. Friedemann Bach geschrieben, von da ab Anna Magdalena, Sebastian selbst hat nur einige wenige Zusätze gemacht. Im übrigen s. Vorwort zu B. -G. XV, in welchem Bande die Sonaten herausgegeben sind und P.S. V, C. 1, mit dem Vorworte Griepenkerls.


179 Forkel, S. 60, redet noch von mehren Sonaten, die Bach außer den sechsen geschrieben habe. Solche giebt es indessen jetzt nicht mehr, nur zwei einzelne dreistimmige Sätze aus D moll und C moll sind noch vollständig vor handen. Ersteren findet man P.S. V, C. 4, Nr. 14; letzterer ist handschriftlich auf der königl. Bibliothek zu Berlin, und umfaßt neben einem Adagio noch ein fragmentarisches Allegro. Vielleicht hat indessen Forkel auch an das Pastorale für zwei Claviere und Pedal gedacht, das mit drei nachfolgen den kleinen Clavierstücken, welche offenbar garnicht dazu gehören, von Griepenkerl auf Forkels Autorität hin als ein Ganzes herausgegeben ist (P.S. V, C. 1, Nr. 3). Auch das Pastorale selbst, das jetzt in F dur beginnt und sehr unbefriedigend in A moll schließt, ist sicher nur ein Fragment.


180 B.-G. III, S. 184–241. – Die Originalausgabe, welche 1739 oder spätestens Ostern 1740 erschien, kostete 3 Thaler; s. Mizler, Musikalische Bibliothek II, S. 156. – Die Bemerkungen Kirnbergers zu diesen Choralbearbeitungen (s. S. 613 dieses Bandes) findet man Anhang B, XIV.


181 S. Band I, S. 110.


182 S. Band I, S. 602 ff. und 607.


183 S. S. 263 dieses Bandes.


184 Über die Art, wie gewisse Tonreihen derselben zu spielen sind vrgl. S. 530, Anmerk. 51 dieses Bandes.


185 Vrgl. Band I, S. 209.


186 S. Band I, S. 2l5.


187 S. Band I, S. 99 ff.


188 Vrgl. Band I, S. 596.


189 S. Band I, S. 819 f.


190 B.-G. XXV2, II. – S. Anhang A, Nr. 62.


191 P.S. V, C. 5, Abth. II, Nr. 4.


192 S. S. 506 dieses Bandes.


193 S. Anhang A, Nr. 63.


194 S. Band I, S. 207 ff.


195 Kirnberger (Kunst des reinen Satzes II, 2, S. 173) scheint die Form gänzlich verkannt zu haben; er ließ sich wohl durch den Namen »Variation« verleiten und dadurch, daß in der Mehrzahl der Partiten derCantus firmus im Bass liegt.


196 S. Band I, S. 594.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1880..
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