Zehntes Kapitel.

Kurfürst Max Franz (1784–1794).

Maximilian Franz, Erzherzog von Österreich, der jüngste Sohn der Kaiserin Maria Theresia und der Bruder Kaiser Josephs, war schon am 7. August 1780 zum Koadjutor Max Friedrichs für Köln, und am 16. August für Münster gewählt worden, so daß die unmittelbare und friedliche Nachfolge ihm für Max Friedrichs Tod gesichert war. Über die Gründe, welche zu jener Wahl geführt hatten, äußert sich Dohm im siebenten Kapitel seiner Denkwürdigkeiten so:

»Maria Theresia war eine zärtliche Mutter. Sehr angelegen war ihr der Wunsch, noch bei ihrem Leben ihre Kinder gut versorgt und in möglichst unabhängiger Lage von ihrem ältesten Sohne und Thronerben zu sehen. Dieser Wunsch war bei mehreren dieser Kinder bereits erfüllt. Die Vermählung von drei Töchtern hatte das die Ruhe der Monarchie sichernde Band mit dem Bourbonischen Hause fester geknüpft; zwei derselben saßen auf den Thronen von Frankreich und Neapel, die dritte war mit dem Herzoge von Parma vermählt. Eine vierte lebte in glücklicher Ehe mit dem sächsischen Prinzen Albert; Maria Theresia hatte sie mit dem Herzogtum Teschen ausgesteuert, und dieser Tochter nebst ihrem Gemahl die Statthalterschaft von Ungarn, nachher der Niederlande anvertraut. Von den Söhnen besaß der zweite, Leopold, das von seinem Vater ererbte Großherzogthum Toscana; der dritte, Ferdinand, war Statthalter von Mailand und hatte durch Vermählung mit der Tochter des letzten Herzogs von Modena ein Erbrecht auf dieses Land erhalten.

Der jüngste Sohn Maximilian [geboren zu Wien den 8. Dez. 1756] war bereits zum Coadjutor seines väterlichen Oheims, des Hoch- und Deutschmeisters Herzogs Karl von Lothringen erwählt1. Aber um diesem Prinzen eine noch bedeutendere Versorgung zu verschaffen, machte Fürst Kaunitz einen Plan, der dem Mutterherzen der Monarchin gefiel, und dessen Ausführung zugleich dem Wiener Hofe erweiterten Einfluß im deutschen Reiche geben konnte; Erzherzog Maximilian sollte mit noch mehr [172] geistlichen Fürstenthümern versehen werden. Das nächste Absehen war deshalb auf das Erzstift, Churfürstenthum Cölln, und das Hochstift, Fürstenthum Münster, gerichtet. Diese beiden Länder hatten damals einen und denselben Regenten, Maximilian Friedrich, aus einer Schwäbischen Reichsgrafen-Familie von Königseck-Rothenfels abstammend. Bei dem schon hohen Alter dieses Herrn schien sein Ableben nicht mehr entfernt, doch wurde gut gefunden, seinen Tod nicht abzuwarten, sondern dem jungen Erzherzog schon jetzt das Recht der Nachfolge dadurch zu versichern, daß er zum Coadjutor in Cölln und Münster erwählt wurde. Der Besitz dieser Lande wurde als eine des Sohnes der Kaiserin-Königin würdige Versorgung angesehen. Als Churfürst und als Herr der Ufer des Niederrheins, zugleich als Mitdirektor des westfälischen Kreises (welche Würde auf dem Hochstift Münster ruhete) konnte derselbe seinem Hause nützlich werden, und gerade in dem Theile von Deutschland, wo der preußische Einfluß am bedeutendsten war, demselben entgegenwirken.«

Die Nachricht von der Wahl zu Köln erreichte Bonn (nach der Literatur- und Kunstzeitung dieser Stadt vom 12. Aug.) an demselben Tage, dem 7. August 1780, 1 Uhr mittags. Der Kurfürst begab sich sofort zur Franziskanerkirche, welche seit dem Brande von 1777 als Hofkapelle benutzt wurde, und welche mit dem Schlosse durch einen bedeckten Gang, der über die Straße hinübergeführt war, zusammenhing; dort wurde »unter Läutung aller Stadtglocken ein feyerliches musicalisches Te Deum abgesungen«2. Von Kleists Regiment feuerte eine dreimalige Salve ab, auf welche die Kanonen von den Wällen der Stadt antworteten. Der 8. August war ein großer Festtag für die kleine Hauptstadt. Mittags wurde öffentliche Tafel im Schlosse gehalten, an einem Tische 54, an einem zweiten 24 Kuverte. Abends um 81/2 Uhr folgte die schönste Illumination, die man in Bonn je gesehen, und welche der Kurfürst, in seinem Wagen umherfahrend, betrachtete. Hierauf folgte ein großes Souper von 82 Gedecken, und dann ein Maskenball, »wozu jedem anständig gekleideten Unterthan sowohl als Fremden der Eingang offen stand, und der erst gegen 7 Uhr Morgens geschlossen wurde«.

Maria Theresia, welche nun auch das letzte ihrer Kinder so reichlich mit den Gütern dieses Lebens versorgt sah, starb zufrieden am 29. des folgenden November; es war ein Glück für sie, daß sie die Zukunft nicht vorhersehen konnte.

[173] Max Franz stand in seinem 28. Jahre, als er nach Bonn kam. Er war von mittlerer Größe, stark gebaut und schon zu jener Korpulenz hinneigend, welche ihn in seinen letzten Jahren förmlich entstellte. »Aus seinen großen blauen Augen«, sagt sein Panegyrist, Freiherr von Seida und Landensberg, dessen Beschreibung vollständig zu den Ölbildern und Kupferstichen von ihm paßt, »strahlte der Abglanz seiner edlen Seele; seine Miene war offen und einnehmend, doch erlosch mitunter seine Freundlichkeit schnell in einen düstern Ernst. Seine Nase war sanft gebogen, sein Mund wohlgebildet; seine Lippen aufgeworfen; seine Stirn sehr hoch und mit Haaren nur leicht bedeckt. Durch sie und durch die allzu abhängenden Backen wurde die Eurhythmie seines ganz besonders schön gefärbten Gesichtes etwas gestört. Sein Gang war rasch und fest; seine Stimme war männlich, helle und deutlich; seine Mundart etwas Österreichisch und seine Sitten wie seine Kleidung in hohem Grade einfach. Entfernt von allem Prunke, den gern die Eitelkeit zur Schau ausstellt, trug er fast beständig einen schlichten grauen Ueberrock oder die Hofuniform3

Wenn man alle Phrasen seiner Lobredner für Wahrheit annehmen wollte, so wäre der letzte Kurfürst von Köln mit allen Vorzügen des Gemütes und des Charakters ausgestattet gewesen, welche je die menschliche Natur geschmückt haben. In Wirklichkeit war er ein Mann von angenehmem Äußeren, freundlich, doch indolent und etwas cholerisch; dabei leicht zugänglich und gesprächig, ein Liebhaber von Scherzen und ein Feind steifer Zeremonien4; ein ehrbarer, liebenswürdiger, gewissenhafter Regent, welcher die Klugheit und den Willen besaß, seine eigenen Mängel durch erleuchtete und tüchtige Minister zu ersetzen, und die gute Absicht, durch deren politische Einsicht und Scharfsinn zu regieren, seine Augen ebensosehr auf die Interessen seiner Untertanen wie auf seine eigenen gerichtet. In seiner Kindheit erschien er etwas beschränkt. Swinburne macht ihn mit diesen wenigen Worten ab: »Maximilian ist ein gutgearteter, ein Ueberall und Nirgends von einem Jünglinge.« Der scharfe, witzige, oft etwas beißende Beobachter Mozart schreibt an seinen Vater (17. Nov. 1781): »Wem Gott ein Amt gibt, gibt er auch Verstand; so ist es auch [174] wirklich beim Erzherzog. Als er noch nicht Pfaff war, war er viel witziger und geistiger, und hat weniger, aber vernünftiger gesprochen. Sie sollten ihn itzt sehen! Die Dummheit guckt ihm aus den Augen heraus, er redet und spricht in alle Ewigkeit fort und Alles im Falset, er hat einen geschwollenen Hals – mit einem Wort, als wenn der ganze Herr umgekehrt wäre!« Seine Mutter hatte ihn mit den besten Erziehern versehen, die Wien bot, und hatte ihn auf Reisen geschickt, die für einen Erzbischof in jenen Tagen ziemlich ausgedehnt waren. Eine dieser Reisen war ein Besuch bei seiner Schwester Marie Antoinette in Paris, wo sein Ungeschick und seine Verstöße gegen die Etikette ebensosehr der antiösterreichischen Partei zur Ergötzung dienten, als sie der Königin Verdruß bereiteten, und ebenso später seinem Bruder Joseph, als sie zu seinen Ohren kamen.

Im Jahre 1778 befand er sich mit Joseph bei dem bayrischen Feldzuge. Eine Verletzung am Knie, veranlaßt durch einen Fall vom Pferde, war der Grund, der für seinen Austritt aus der militärischen Karriere angeführt wurde; »dann erst konnte er bewogen werden«, wie das Historische Taschenbuch (II, Wien 1800) es ausdrückt, »Candidat für die Coadjutorschaft in Cöln zu werden«. Wenn er erst bewogen werden mußte, in den Kirchendienst einzutreten, so war die Art, wie er diese neue Bahn verfolgte, nachdem einmal seine Berufung und Erwählung sicher war, um so ehrenvoller für ihn.

Die starre Ökonomie, die er am Hofe unmittelbar nach seiner Thronbesteigung einführte, macht den Eindruck, als sei er geizig gewesen; zu seiner Verteidigung kann man sagen, daß die Lage der Finanzen Einschränkung und Reformen erforderte, sowie ferner, daß er sehr einfach in seinem Geschmack war und nichts auf Pracht und Glanz gab, ausgenommen, wenn nach seiner Meinung die kurfürstliche Würde es erforderte; dann war er gleich seinem Vorgänger verschwenderisch. Seine persönlichen Ausgaben waren nicht groß, und er wartete, bis seine Einkünfte es erlaubten, ehe er seiner Leidenschaft für Musik, Theater und Tanz (denn trotz seiner Korpulenz war er ein passionierter Tänzer) sowie für die Tafel einen ausgedehnteren Spielraum gestattete. Seiner Konstitution zufolge war er ein außerordentlicher Esser; aber sein einziges Getränk war Wasser. Es kursierten von ihm keine jener pikanten Geschichten, wie über seinen Vorgänger und die gräfliche Äbtissin von Vilich. Nur von seiner Bewunderung und seinem intimen Verhältnisse zu der schönen, bezaubernden Frau von Ralph Heathcote Esq., welcher der [175] Nachfolger Cresseners als englischer Ministerresident in Bonn war, wußte das Geklatsch jener Zeit zu erzählen.

Der Einfluß eines Fürsten auf den Ton und den Charakter der Geselligkeit in einer kleinen Hauptstadt ist sehr groß. Ein Umschwung zum Besseren hatte schon während der Regierung Max Friedrichs begonnen, aber unter seinem Nachfolger kam ein ganz neues Leben nach Bonn. Neue Gegenstände des Ehrgeizes wurden den jungen Männern dargeboten; Kirche und Klöster hörten auf, alles in allem zu sein. Man kann wohl begreifen, wie Wegeler in seinem hohen Alter, als er nach Ablauf eines halben Jahrhunderts auf die Zeit zurücksah, wo er Student und Professor war, und zwar jenes halben Jahrhunderts mit seinen Revolutions- und Napoleonischen Kriegen, seinen politischen, religiösen und sozialen Umwälzungen, schreiben konnte: »Ueberhaupt war es eine schöne, vielfach regsame Zeit in Bonn, solange der selbst geniale Kurfürst Max Franz, Maria Theresias jüngster Sohn und Liebling, daselbst regierte (Notizen S. 59).« Wie stark dieser verfeinerte gesellige Ton auf den Charakter der jungen Leute einwirkte, kann man an der Menge derjenigen erkennen, welche in den folgenden Jahren als Männer von reichen und freisinnigen Ideen bekannt waren und als Juristen, Theologen, Gelehrte und Künstler sich auszeichneten. Das waren die Jahre von Beethovens Jugend und früherem Mannesalter; und obgleich seine großen geistigen Kräfte hauptsächlich in seiner speziellen Kunst geübt wurden, so kann man doch sein ganzes Leben hindurch eine gewisse Vielseitigkeit geistiger Interessen an ihm beobachten, welche zum Teil ohne Zweifel den geselligen Einflüssen zu verdanken war, unter denen er sich entwickelte.

Das beste Andenken an Max Franz, als Regent wie als Mensch, gewähren die gleichzeitigen öffentlichen Blätter, namentlich jene von Bonn und Wien; nicht wegen der unangenehmen persönlichen Schmeicheleien, welche sie enthalten; denn auch der schlechteste Fürst findet immer ein Blatt, welches sich erniedrigt, ihm diese Art eines Denkmals zu setzen; sondern weil man seine Regierungsgrundsätze ohne Noten und Kommentar in den Dekreten und Verordnungen, welche von Zeit zu Zeit erschienen, und seinen menschlichen Charakter in mancher einfachen Handlung erkennen kann, welche als Neuigkeit des Tages erzählt wurde.

Zwischen Joseph II. und Maximilian scheint eine innige Zuneigung bestanden zu haben. Sie waren beinahe 15 Jahre in ihrem Alter verschieden, und der Kurfürst scheint in seiner Kindheit seines Bruders Liebling gewesen zu sein, in seinem Mannesalter sein Schüler. Soweit es [176] der Charakter ihrer verschiedenen Staaten erlaubte, war Maximilians öffentliche Politik in allen Hinsichten dieselbe wie die Josephs und offenbar von diesem geleitet, zum großen Vorteile seiner Untertanen.

Max Franz reiste am 22. April 1784 von Wien ab und kam am 27. April »Abends nach 9 Uhr« in Bonn an. »Es läßt sich von selbst ermessen, daß unsere Stadt durch diese Höchste Gegenwart nunmehr wieder völlig auflebt«, sagt ein Berichterstatter5. Seine erste Sorge war, sich zum Herrn der finanziellen Lage und der Ausgaben des Hofes zu machen und den vielen Mißbräuchen, welche während der letzten Jahre eingerissen waren, ein Ziel zu setzen. Er verlangte eingehende und genaue Berichte (von denen wir in Beziehung auf die Hofmusik Proben geben werden), und auf diese gründete er die für die Zukunft einzuhaltende Stufenfolge. Die Zahl der Gedecke bei der kurfürstlichen Tafel wurde auf 10 oder 12 beschränkt; Müßiggänger und Faulenzer wurden aus dem Palast entfernt, Ställe und Remisen wurden geschlossen, ausgenommen für bestimmte Gelegenheiten. Solche Schritte waren in der Tat nötig, wenn man liest, daß die Hofausgaben der letzten Jahre sich fast regelmäßig auf mehr als 200000 Taler beliefen. Und trotz seiner Sparsamkeit beliefen sich die Ausgaben des Hofes für den Kurfürsten infolge der Kosten seiner Thronbesteigung, der Abgaben an den Papst für sein Pallium, des Leichenbegängnisses für seinen Vorgänger und ähnlicher Dinge auf nicht weniger wie 260120 Tlr. 59 Alb. 7 Stüber.

Als die Angelegenheiten in Bonn und Münster (wohin er am 6. Mai gekommen war, und wo er sich am 18. Mai noch befand) geordnet oder auf dem Wege der Ordnung waren, machte er sich bereit zu seiner am 5. August pro forma vorzunehmenden Wahl durch das Domkapitel zu Köln und zu seiner formellen Inauguration. Bei dieser Gelegenheit wurden verschiedene Anreden an ihn gehalten; der Kurfürst beantwortete sie »mit einem solchen Nachdruck und sachvoller Kürze, daß das Gefühl aller Anwesenden, die schon die milde Majestät seiner Person, der Zauber, der auf jeder seiner Gebehrden und Bewegungen schwebte, gewonnen hatte, sich in süßer Bewunderung ergoß (!). Gewohnt, das Schicksal der Dürftigen möglichst zu lindern, spendete er sofort eine Gabe von 200 Louisd'or, um auch die Bewohner der Hospitäler, Kranken- und Waisenhäuser und andere Nothleidende an dem allgemeinen Jubel des Tages herzlichen Antheil nehmen zu lassen.« So Freiherr von Seida und Landensberg.

[177] Es folgte dann eine zweite Reise nach Münster am 12. Oktober, wo er als Regent dieses Fürstentums inthronisiert wurde.

Es war in hohem Grade ehrenvoll für den jungen Mann, daß er es ablehnte, sich ein Privilegium zunutze zu machen, welches ihm in einer von seiner Mutter ihm ausgewirkten päpstlichen Bulle zugesichert war: die priesterlichen Gelübde für eine Periode von 10 Jahren zu verschieben. Er trat vielmehr, sobald er Muße für diesen Schritt hatte, in das Seminar zu Köln ein (29. Nov.), um sich für die Konsekration vorzubereiten. Streng unterwarf er sich der ganzen Disziplin der Unterweisung für die Dauer von – 8 Tagen, nach welchen ihn (8. Dez.) der päpstliche Nuntius Bellisoni zum Subdiakon weihte; nach weiteren 8 Tagen gleicher Vorbereitung (16. Dez.) wurde er Diakon und am 21. Priester. Nach seiner Rückkehr las er seine erste Messe am Tage vor Weihnachten in der Florianskapelle. Sein vierwöchentlicher Aufenthalt im Seminar war (ist wahrscheinlich noch) erwähnt auf einer Tafel mit einer langen lateinischen Inschrift, die so beginnt:


Cellulas has inhabitabat a 29. Novembris ad 20. Decembris anni 1784 princeps Regius Filius et Frater Caesaris etc.


Aus dieser Zelle wurde schon ein wichtiges, für die Zukunft bezeichnendes Dekret erlassen (15. Dez.), welches den Bettelbrüdern aus anderen Staaten verbot, sich im kurfürstlichen Territorium herumzutreiben; damit begann ein Kampf mit den Scharen, welche die Rheingegenden belästigten, welcher die 9 Jahre seines Regimentes hindurch fortdauerte.

Den Monat April 1785 brachte er in Münster zu, kam am 30. nach Bonn zurück und bereitete sich dann eine Woche hindurch zu seiner Konsekration als Erzbischof vor. Diese fand statt am Sonntag den 8. Mai; sie erfolgte durch den Kurfürst-Erzbischof von Trier, der zwei Tage vorher zu Schiff angekommen war und mit ungeheurem Gepränge empfangen wurde; der Herzog von Württemberg wohnte als Gast bei. Die alte Münsterkirche in Bonn war der Schauplatz der Feier, welche mit allem möglichen Glanze begangen wurde. Dann war großes Fest. Montags lud der neue Erzbischof seine Gäste zu einem großen Konzert, dem ein Souper von 160 Gedecken »mit Ausnahme anderer getrennter Tafeln« folgte, und am Dienstage, dem dritten Tage, endigte die Feier »mit einem herrlichen Carrousel«. Darauf ging Max zu Pfingsten nach Köln und las seine erste Messe im Dom unter dem Donner des Geschützes und mit allen Arten von Festlichkeiten, über welche das Wiener Diarium, eine oder zwei Wochen später, Bericht gibt. Dann sehen wir ihn bald in Koblenz, [178] bald in Spa, in Arnsberg, Elberfeld, wieder in Bonn, mit der Ausspendung der Firmung beschäftigt; nach dem Berichte des Bonner Intelligenzblatts vom 13. Sept. firmte er in Westfalen allein 27464 Menschen; dasselbe fügt hinzu: »Höchstdieselben hatten sich durch diesen Eifer in der Ausübung Dero Erzbischöflichen Amtes eine Geschwulst am rechten Arme zugezogen.«

Am 28. Sept. reiste er von Bonn nach Wien, wo er am 5. Oktober mittags ankam. »Se. Majestät der Kaiser reisten Ihrem königlichen Bruder bis St. Pölten entgegen. Es muß ein Schauspiel für Götter sein, diese erhabenen Brüder beisammen zu sehen!« ruft der enthusiastische Berichterstatter des Intelligenzblattes in Ekstase aus. Man bemerkte, daß Maximilian während seines Besuches viele Zeit mit Colloredo, dem Minister seines Bruders, zubrachte, und man begreift leicht, daß dort und damals, wo ihm offizielle Berichte aller Art eine klare Anschauung von der Lage seiner Staaten verschaffen konnten, sein politisches Verhalten für die Zukunft, sowohl für sein eigenes Land wie für die österreichischen Niederlande und andere Nachbarstaaten, entschieden wurde. Er nahm seinen Rückweg über Würzburg, Fulda, Kassel, Münster und traf am 30. Dezember wieder in Bonn ein. Während der nächsten zwei Monate erwähnt das Intelligenzblatt wenig anderes von inneren Angelegenheiten als die französische Komödie, Bälle, Festlichkeiten und andere Unterhaltungen des Hofes; im März jedoch begann der Kurfürst seine politische Tätigkeit ernstlich.

Am 14. erging das Dekret, welches einen höchsten Appellationshof einsetzte, der bald darauf unter der Leitung des Grafen Wolf-Metternich organisiert wurde; eine lange Reihe von Jahren hindurch hatte das Volk vergeblich um diese Gnade gefleht. Zugleich wurde der energische und erleuchtete Baron Johann Christian von Waldenfels zum Chef der Zivilverwaltung ernannt, eine Anstellung, welche, da der Baron ein »Fremder« war, im Anfang nicht wohl aufgenommen wurde.

Die Sache der Wissenschaft und Erziehung lag dem Kurfürsten sehr am Herzen. 1785 hatte er einen botanischen Garten eingerichtet; jetzt eröffnete er ein öffentliches Lesezimmer in der Schloßbibliothek und ließ an die theologische Schule in Köln die Botschaft ergehen, daß, wenn die verbesserte Methode des Unterrichts, die man in Österreich angenommen hätte, dort nicht eingeführt würde, er andere Seminare gründen würde. Am 26. Juni war er bei der Eröffnung einer Normalschule zugegen, und am 9. August erging das Dekret, welches die Bonner Hochschule zu [179] dem Rang einer Universität erhob unter der Autorität eines kaiserlichen Diploms. Nach der Aufhebung des Jesuitenordens im Jahre 1774 hatte Max Friedrich die Besitzungen und Einkünfte desselben dem Zwecke der Erziehung gewidmet; neue Professorenstellen waren am Gymnasium eingerichtet und im Jahre 1777 eine »Akademie« gegründet worden6. Das war der erste Schritt; auf ihn folgte kurz vor Max Friedrichs Tode ein Gesuch an den Kaiser um ein Universitätsdiplom. Joseph erließ das Diplom am 7. April, 8 Tage vor Max Friedrichs Tode; Max Franz eröffnete die neue Hochschule feierlich am 20. November 17867. Der ungewöhnliche Glanz der geistlichen und weltlichen Zeremonien, das Interesse, welches Maximilian und die höheren Klassen der Gesellschaft an den öffentlichen Reden und Disputationen an diesem und den folgenden Tagen nahmen, die großen öffentlichen Tafeln, die Konzerte, die Bälle, alles war darauf gerichtet und dazu geeignet, im Volke eine Vorstellung von der Wichtigkeit des Studiums und der geistigen Bildung zu erregen. Der Maler Gerhard Kügelgen, der damals als junger Mann mit seinem Zwillingsbruder die Schule in Bonn besuchte, hat den von ihm empfangenen Eindruck so wiedergegeben8: »Die wundervolle Feierlichkeit, mit welcher diese Anstalt eingeweiht und eröffnet wurde, der große Triumphbogen, welcher über den ganzen Markt sich wölbte, und der prachtvolle Zug, welcher, den Kurfürsten und das Domcapitel an der Spitze, von der Schloßkirche her durch die Ehrenpforte nach der Jesuitenkirche hin langsam sich bewegte, machte auf Gerhard den tiefsten Eindruck. Alle diese Anstalten huldigten in seinem Auge einem unbekannten Genius der Menschheit, und sein Gemüth ahnete zum ersten Male die Hoheit der Wissenschaft. Die Erhebung, welche er damals fühlte, gab seinem Schulfleiße eine ernstere Richtung. Er achtete nun das Wissen und strebte nach Erkenntnis; [180] aber sein Herz blieb liebevoll der Kunst zugewandt.« Sollte nicht das Gemüt des jungen Beethoven einen ähnlichen Eindruck empfangen haben?

Der Hofkalender des nächsten Jahres nennt 6 Professoren der Theologie, 6 für Jurisprudenz (bürgerliche und kirchliche) wie für Medizin und 10 für Philosophie und andere Gebiete des Wissens. In späteren Ausgaben finden sich neue Namen hinzugefügt; in dem von 1790 erscheint Wegeler als Professor der Geburtshilfe.

Maximilians liberale Gesinnung konnte sich nicht deutlicher zeigen als in der Duldung, welche er der freisinnigen Richtung angedeihen ließ, die sich in der literarischen Tätigkeit der von ihm angestellten Professoren sehr bald zeigte. Innerhalb der ersten vier Jahre nach Eröffnung der Universität wurden verschiedene Schriften von dem Dekan Dr. Hedderich, dem Dr. Thaddäus (Dereser) und von Eulogius Schneider, Professor für schöne Wissenschaften, auf den päpstlichen Index gesetzt. Pius VI., welchen der Kurfürst früher persönlich in Wien kennen gelernt hatte, klagte in einem Briefe an ihn verschiedene Professoren, namentlich Thaddäus und Schneider, an, daß sie falsche und verderbliche Lehren ausgesprochen hätten. Das Metropolitan-Domkapitel in Köln stimmte in diese Klagen ein; aber der Kurator der Universität Freiherr von Spiegel verteidigte die Beklagten, und Maximilian verweigerte es, einzuschreiten. Sie behielten alle ihre Stellen bis zur Auflösung des Kurfürstentums mit Ausnahme von Schneider, und auch dieser würde sie ohne Zweifel behalten haben, hätte er nicht seinen Herrn persönlich beleidigt. Und doch war Maximilian so großmütig, ihm sein Gehalt für ein Jahr im voraus zu bezahlen und ein Geschenk von hundert Louisdor hinzuzufügen, indem er ihn entließ. Schneider ging nach Straßburg, wo er 1794 unter der Guillotine endete. »Man versichert«, sagt Seida, wo er von des Kurfürsten natürlicher Neigung zu plötzlichen Ausbrüchen der Leidenschaft spricht, »daß er nie in einen so hohen Affekt des Zornes, als über diesen übermüthigen, verwegenen Mann geraten sei.«

Während des Dezembers 1786 war der Kurfürst in Münster. Dort erhielt er die Nachricht, daß Pacca, der neue päpstliche Nuntius, ein Zirkular über Ehedispense an alle Pfarrer in den rheinischen Kurfürstentümern geschickt habe, ohne vorherige Beratung mit den örtlichen Kirchenbehörden oder Mitteilung an dieselben. Sofort erließ er die Order, daß alle Pfarrer seiner Diözese dieses Schreiben zurückzusenden hätten und überhaupt vom römischen Hofe nichts annehmen dürften, was nicht dem Vikariate vorher angezeigt und »mit dessen schriftlicher Erlaubniß zur Bekanntmachung versehen sei«.

[181] Das Bonner Intelligenzblatt vom 10. August 1789 enthält eine Proklamation des Kurfürsten, daß er »wegen Halsstarrigkeit, und wegen des unanständigen gegen Hochdieselben bezeigten Betragens der Stadt-Kölnischen Universität sich bewogen gefunden«, allen Studenten nach Ablauf des gegenwärtigen Schulkursus in der Theologie, der Jurisprudenz und Medizin »den Zutritt zu allen öffentlichen geistlichen und weltlichen Aemtern in den kurkölnischen Ländern zu untersagen«. Ein Pamphlet, welches in Köln gegen dieses Dekret erging, wurde konfisziert.

Seine Verabscheuung der starren Intoleranz, welche ihm an seinem Metropolitansitze entgegentrat, war aufrichtig; der Streit, welchen er mit derselben einging, als er in Köln Mitglied des Seminars war, endete nicht, solange seine Herrschaft dauerte. War er auch ein Erzbischof der katholischen Kirche, so erkannte er doch die Rechte der Andersgläubigen an und verlangte dasselbe von anderen. So gestattete er den Protestanten in Köln, welche lange Zeit nicht die Erlaubnis erhalten konnten, in jener Stadt sich eine Kirche und ein Schulhaus zu erbauen, und nach ihrem Erfolge beim Kaiserlichen Hofe doch zuletzt das Projekt fallen ließen, sich ein großes schwimmendes Gebäude für ihre gottesdienstlichen und pädagogischen Zwecke zu errichten und dasselbe verschlossen unter den Wällen der Stadt vor Anker zu legen. Andere im gleichen Sinne erlassenen Verordnungen kann man in den Urkunden und geschichtlichen Mitteilungen aus seiner Regierung (bei Mering u.a.) mehrfach finden.

Als er in Köln inthronisiert wurde, versicherte er einer Deputation der städtischen Universität, daß die Sache der Erziehung an ihm immer einen entschiedenen Freund finden würde; dieses Versprechen erfüllte er, wie wir sahen, vollständiger, als jene Herren erwarteten oder nach ihrem Geschmacke fanden. Im Jahre 1789 bot er seine Bibliothek der neuen Bonner Universität an; und immer bereit, zu ermutigen, was auf geistige Bildung hinzielte, ging er, als eine Gesellschaft von Bürgern (1787) ein Lesezimmer eröffnet hatte, eines Tages (22. Jan. 1788) ruhig hin und schrieb seinen Namen in das noch vorhandene Fremdenbuch ein9.

[182] Trotz seiner Sparsamkeit zog er doch manche Männer von höheren Fähigkeiten, Gelehrte sowohl wie Künstler, nach Bonn; und wäre nicht der Sturm hereingebrochen, welcher damals über die französische Grenze sich ergoß, so hätte seine kleine Hauptstadt leicht für die deutsche Literatur eine ähnliche Bedeutung gewinnen können wie Weimar. Auch fehlte es nicht an Beispielen, in denen er jungen Talenten, die mit Armut kämpften, großmütige Hilfe zuteil werden ließ; und so hat auch der junge Beethoven seine Gnade erfahren, wenngleich das, was seitens des Kurfürsten für ihn geschehen ist, mitunter überschätzt wird. Als die Zwillingsbrüder Kügelgen 1790 nach Bonn zurückkehrten, Gerhard mit seinem eigenen Porträt in Öl, Carl mit einer Ansicht der Stadt Würzburg, besuchte der Kurfürst ihr Atelier. Er hatte früher von ihrem Fleiße und ihren reißend schnellen Fortschritten auf dem Gymnasium gehört und drückte ihnen jetzt sein Bedauern darüber aus, daß sie ihre Studien nicht fortgesetzt hätten und gleich ihrem Vater in den Staatsdienst eingetreten seien. Nach einer Pause von einigen Minuten, während seine Aufmerksamkeit zwischen den beiden hübschen jungen Männern und den Produkten ihres Pinsels geteilt war, sagte er: »Ich verstehe zwar nichts von der Malerei; aber das sehe ich doch, daß ihr ein paar ganze Kerls seid.« Gerhard malte bald nachher Maximilians Porträt. Während der Sitzungen machte die männliche Offenheit des jungen Malers einen so gewinnenden Eindruck auf den Sitzenden, daß er den Künstler mit der Vertraulichkeit eines Freundes und Gleichstehenden behandelte und seinem Witz und Humor die Zügel schießen ließ, zum großen Erstaunen des jungen Malers, nicht am wenigsten darum, weil des Kurfürsten kaiserlicher Bruder und der Papst selbst unter den Gegenständen seiner Scherze waren. Nicht lange nachher wurde den Brüdern ein Stipendium von 200 Dukaten auf drei Jahre gewährt, um sie in den Stand zu setzen, ihre künstlerischen Pläne in Rom weiter zu verfolgen.

Dieser Mann, kein Genie, kein überwältigend großer Geist, aber von der anderen Seite keineswegs so beschränkt, wie die über seine Knabenzeit erzählten Geschichten anzudeuten scheinen; ehrlich, wohlmeinend, bereit, weise Maßregeln anzunehmen und durchzuführen, welche von tätigen Ministern ausgingen; umgänglich, scherzliebend und sorglos im äußeren Scheine, ein großer Liebhaber der Musik und ein Beschützer von Künsten und Wissenschaften – dieser Mann gab jetzt den Ton an für die Gesellschaft von Bonn.

Fußnoten

1 Am 25. Oktober 1780 wurde er als Hochmeister des deutschen Ordens zu Mergentheim feierlich installiert. (Kobl. Intell.-Bl. vom 6. Nov. 1780.) Anm. d. Herausg.


2 Bönn. Intelligenzbl. 12. Aug. 1780.


3 Zeitung für die elegante Welt II, S. 776.


4 Von Interesse ist die ausführliche Charakteristik, welche sein Bruder Leopold von Toscana, der spätere Kaiser, 1775 dem Kaiser Joseph über ihn gab. Sie steht bei Varrentrapp, Beiträge zur Gesch. der kurk. Universität Bonn (1868) S. 1f. Anm. d. Herausg.


5 Koblenzer Intelligenzblatt 1784. Nr. 35. (3. Mai.) D. H.


6 Ein feierlicher Einweihungsakt in Gegenwart Max Friedrichs fand am 12. Nov. 1783 statt. S. das Koblenzer Intelligenzbl. vom 17. Nov. 1783. Nach einem musikalischen Hochamte war Redeakt im akademischen Hörsaale; Hedderich war Festredner, führte die neuen Professoren ein und verpflichtete sie auf das tridentinische Glaubensbekenntnis. Später war große Tafel. S. auch Varrentrapp S. IX. Anm. d. Herausg.


7 Über die ältere Bonner Universität gibt der Pfarrer Meuser Nachrichten in Lerschs Niederrheinischem Jahrbuch für Geschichte und Kunst, Bd. II, S. 86. Die Eröffnung derselben wurde in einer besonderen Schrift (Bonn bei Abshoven 1786) beschrieben. Nach umfassender Quellenuntersuchung hat dann Varrentrapp ausführlichen Bericht gegeben in der Schrift: »Beiträge zur Geschichte der Kurkölnischen Universität Bonn. Bonn 1868.« Anm. d. Herausg.


8 Hasse, Leben Kügelgens S. 37.


9 Dies ist die noch bestehende Bonner Lese- und Erholungsgesellschaft, über deren Geschichte Näheres in Giers' Festschrift zur Feier ihres hundertjährigen Bestehens, Bonn 1888, gegeben ist. Ihr gehörten auch mehrere der Hofmusiker (z.B. Neefe, Ries, Reicha u.a.) an.; der Name Beethoven findet sich nicht. Am 15. Juni 1790 führte der Kurfürst seine Schwester, die Herzogin von Sachsen-Teschen, ein; »sie schrieb ihren Namen ins Buch, und der Kurs. schrieb auf eins der gedruckten Zettelchen: ›Marie Christine von Oestreich aufgeführt von Max Franz Kurfürst zu Köln‹«. Professor Schneider versäumte nicht, einige Schmeichelworte in Versen darunter zu setzen. (Nach einem später zu erwähnenden Briefe.) Anm. d. Herausg.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 1, 3. Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1917.
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