Dreizehntes Kapitel.

Die Familie von Breuning. Graf Waldstein. Häusliche Angelegenheiten.

Im Jahre 1527, in welchem die Administration des Hochmeisteramts im deutschen Orden mit dem Amte des Deutschmeisters verbunden wurde, dem schon 1525 Mergentheim als Sitz eingeräumt war, wurde diese Stadt der Hauptsitz des Ordens. Kurfürst Klemens August war von 1732 bis 1761 Hoch- und Deutschmeister des Ordens; Kanzler war nach dem französischen Hofkalender von 1761 Christoph von Breuning, Conseiller d'Etat et Referendaire, welcher seinem Schwiegervater von Mayerhofen in diesem Amte gefolgt war1.

Christoph von Breuning hatte fünf Söhne: Georg Joseph, Johann Lorenz, Johann Philipp, Emanuel Joseph und Christoph. Georg Joseph blieb in Mergentheim und folgte dem Vater in der Würde als Kanzler. Lorenz wurde Kanzler des Archidiakonalstifts in Bonn und des freiadlichen Stifts in Neuß; nach dem Tode seines Bruders Emanuel lebte er in Bonn, um als Vorstand der Familie seines Bruders Emanuel die Erziehung der Kinder desselben und die Familienangelegenheiten zu leiten; er starb dort 1796. Johann Philipp, geboren 1742 zu Mergentheim, war Kanonikus in Kerpen, einem Städtchen an der alten Landstraße von Köln nach Aachen, wo er am 12. Juni 1832 gestorben ist; nach Gerhard v. Br. war er »ein äußerst liebenswürdiger und gescheidter Mann«. Christoph war Hofrat in Dillingen2.

Emanuel Joseph, geb. 1741, verblieb im kurfürstlichen Dienste in Bonn; er war schon in dem jugendlichen Alter von 20 Jahren Hofrat (Conseiller actuel). Er verheiratete sich mit Helene von Kerich (geb. in Köln 3. Januar 1750), der Tochter des Leibarztes des Kurfürsten, [224] Stephan von Kerich. Ihr Bruder Abraham von Kerich, Kanonikus und Scholaster beim Archidiakonalstift zu Bonn, bewohnte das von dem Dechanten des Stifts Adolf Sigismund von Burmann (gest. 1701) erbaute Haus, welches noch bis in die jüngste Zeit gegenüber der Münsterkirche an der Stadtseite des Münsterplatzes stand und durch einen in Sandstein ausgehauenen geistlichen Hut über der Eingangstür bezeichnet war3. Er starb 1821 in Koblenz.

Über Emanuel v. Breunings Charakter wissen wir wenig und sind nur auf Schlußfolgerungen angewiesen; aber seine sehr frühe Anstellung, sein Aufsteigen zu wichtigen Vertrauensstellungen, seine Heirat mit der Tochter des Geheimenrats v. Kerich und die gleichmäßige Überlieferung lassen ihn als einen Mann von mehr wie gewöhnlicher Fähigkeit und Bildung erkennen. Über die Geistes- und Gemütsbildung seiner Frau gewinnen wir schon aus dem, was wir von ihrem günstigen Einfluß auf den jungen Beethoven erfahren, eine hohe Meinung.

Am 15. Januar 1777 gegen 3 Uhr morgens brach im kurfürstlichen Palaste und zwar im westlichen Teile desselben Feuer aus, welches sich mit reißender Schnelligkeit unter dem Dache ausbreitete. Die Explosion der Pulverkammer, der Lärm der Trommeln und das Geläute der Glocken weckte die schlafenden Bürger; sie sahen in ein weites Flammenmeer, welches noch durch einen scharfen Südostwind weiter getrieben wurde. Gegen 6 Uhr ergriffen die Flammen den Glockenturm in der Bischofsgasse. Gerade hatte das Glockenspiel die beliebte Ouvertüre zu Monsignys Deserteur ungefähr bis zur Hälfte gespielt, als die Fundamente nachgaben, und Holzwerk, Maschinerie und Glocken innerhalb der Mauern des Turmes mit Gekrach herabstürzten. Auch das erste Stockwerk der Schloßfront, wo jetzt die akademische Uhr ist, stand schon in Flammen4. Um 8 Uhr wurde auch die Schloßkapelle zerstört, gegen 11 Uhr stürzte die Decke der großen Marmortreppe ein und zerschmetterte dieselbe. Das Feuer wütete noch immer; die ganze Stadt war in Gefahr. Hofrat von Breuning hatte schon den Tag über die erdenklichsten Anstrengungen gemacht, [225] die aus den Hofratsräumen geretteten Papiere zu bergen. Da aber die Nacht hereinbrach und das Feuer noch nicht gelöscht war, wurde die Gefahr dringend, daß die Archive und Dokumente, von welchen das Wohl und Wehe so mancher Personen abhing, zerstört würden. Es galt, durch das Portal gegenüber der Franziskanerstraße, auf einem Wege, welchen man schon am Nachmittag frei gemacht hatte, zu dem gefährdeten Platze zu dringen. Die Räume, welche die Papiere des Archivs enthielten, waren von starken Gewölben überdeckt. Hofrat v. Breuning, von einer Anzahl mutiger Männer unterstützt, drang mit einer Brandspritze in den Hallenhof ein; er baute auf die Festigkeit der Überdachung des kleinen Höfchens nördlich der Schloßkapelle. Während er die Spritze nach den Gewölben spielen ließ, stürzte plötzlich die Giebelmauer des nahen Gebäudes auf die Bedachung der Halle, und die wackeren Leute wurden unter den Trümmern begraben. Zwölf von ihnen, welche W. Hesse namentlich aufführt, büßten sofort ihr Leben ein. Breuning wurde noch lebend, aber mit schweren Verletzungen, in seine Wohnung gebracht, mit den Sterbesakramenten versehen, und starb kurz vor Mitternacht, im 36. Jahre seines Alters, infolge treuer Erfüllung seiner Pflicht5.

Die junge Frau, welche eben ihr 28. Lebensjahr erreicht hatte, verblieb in dem schon bisher bewohnten Hause ihres Bruders Abraham von Kerich mit ihren drei Kindern, welchen im Sommer 1777 ein viertes folgte. Gleich nach dem Tode des Vaters siedelte dessen Bruder, Kanonikus Lorenz von Breuning, von Neuß nach Bonn über und blieb mit der Familie in demselben Hause als Vormund und Erzieher der verwaisten Kinder. Diese waren folgende:

1. Christoph, geboren am 13. Mai 1771; er studierte in Bonn, Göttingen und Jena Jurisprudenz, kam nach dem Tode von Lorenz (1796) nach Bonn zurück, wurde dort Munizipalrat, Notar, schließlich Präses des Munizipalrats, 1806 Professor an der Rechtschule in Koblenz, welche 1816 aufgehoben wurde, 1815 Mitglied des Revisionshofs in Köln, 1832 Geheimer Ober-Revisionsrat in Berlin, trat 1838 in den Ruhestand und lebte dann auf seinem Gute zu Beul an der Ahr, wo er 1841 starb. [226] Wohl infolge seiner häufigen und langen Abwesenheit von Bonn spielt er keine besondere Rolle in Beethovens Leben.

2. Eleonore Brigitte, geboren am 23. April 1772. Sie heiratete am 28. März 1802 Franz Gerhard Wegeler zu Beul an der Ahr und starb am 13. Juni 1841 zu Koblenz in ihrem 70. Lebensjahre.

3. Stephan, geboren am 17. August 1774; er studierte Jurisprudenz in Bonn und Göttingen und wurde kurz vor dem Ende des Kurfürstentums von Max Franz in Mergentheim beim deutschen Orden angestellt. Im Frühjahr 1801 kam er nach Wien, wo er die Bekanntschaft mit Beethoven, mit welchem er gleichzeitig bei Ries Violinunterricht gehabt hatte, erneuerte. Da der Orden einem jungen Manne keine Gelegenheit mehr bot, weiterzukommen, erhielt er durch den Präsidenten Faßbender Beschäftigung beim Hofkriegsrate und wurde 1818 Hofrat. Er starb am 4. Juni 1827. Seine erste Frau war Julie v. Vering, Tochter des Stabsfeldarztes Ritter v. Vering, welche schon im elften Monate der Ehe starb; dann verheiratete er sich wieder mit Constanze Ruschowitz6.

4. Lorenz (Lenz genannt), geboren im Sommer 1777, studierte Medizin, war 1794–97 gleichzeitig mit Wegeler und Beethoven in Wien, starb aber schon am 10. April 1798 in Bonn7.

Die Mutter, Hofrätin von Breuning, lebte bis 1815 in Bonn, dann teils bei ihrem Schwager in Kerpen, teils bei ihrer Schwester (verehelichten Stockhausen) in Beul an der Ahr, seit 1823–24 mit ihrer Schwester in dem ererbten Hause »unter Goldschmied« in Köln und schließlich bei ihrem Schwiegersohne Wegeler in Koblenz, wo sie am 9. Dezember 1838, nach 61 jährigem Witwenstande, im Alter von fast 89 Jahren, gestorben ist.

Eleonore und Lenz von Breuning bedurften eines Klavierlehrers; durch Wegeler wurde der junge Ludwig van Beethoven empfohlen und in das Haus eingeführt8. Es war das größte Gut, welches das [227] Schicksal ihm bringen konnte; denn in seinem Alter, bei den häuslichen Verhältnissen, in welchen er lebte, war die Einführung in eine so hoch gebildete und angesehene Familie für ihn in geistiger und moralischer Beziehung vom höchsten Werte. Die Leere, welche der Verlust der Mutter in seinem Herzen zurückließ, war nur eine so vorzügliche Frau, wie Frau von Breuning, in gewisser Weise auszufüllen imstande. Er stand in dem Alter, in welchem das schlechte Beispiel seines Vaters eines Gegengewichts bedurfte; in welchem das Gefühl seiner Unvollkommenheit in allen Dingen, mit Ausnahme seiner Kunst, anfangen mußte, drückend für ihn zu werden; in welchem seine geistigen Fähigkeiten, so kräftig und gesund, eine Abwechslung und Erfrischung verlangten nach der fortwährenden Anstrengung in der einen Richtung auf Musik, welcher sie beinahe von Kindheit an unterworfen gewesen waren; in welchem nicht allein die Rückwirkung des frischen geistigen Lebens, welches jetzt die Bonner Gesellschaft durchdrang, auf seinen Geist, sondern die tägliche Berührung mit Freunden und Genossen seines Alters, welche die Vorteile einer feineren Bildung genossen, ihm manchen Schmerz bereiten mochte; in welchem endlich ein hoher und edler Ehrgeiz ihn wecken konnte, um ihn immer weiter vorwärts zu führen – oder wo er auch in Gefahr kommen konnte, als Opfer verzweifelter Melancholie, in eine bloße musikalische Routine zu verfallen, ohne höheres Streben und höheren Zweck, als aus seinen Talenten die Mittel zu schöpfen, seine Bedürfnisse und seine Liebhabereien zu befriedigen.

Es muß doch etwas sehr Anziehendes in dem Charakter des kleinen pockennarbigen Jünglings gewesen sein, sonst hätte er schwerlich den Weg zum Herzen der Witwe von Breuning und ihrer Kinder finden können. »In diesem Hause herrschte, bei allem jugendlichen Muthwillen, ein ungezwungener, gebildeter Ton. Christoph von Breuning versuchte sich früh in kleinen Gedichten, was bei Stephan von Breuning viel später, aber nicht ohne Glück geschah. Hausfreunde zeichneten sich durch gesellige Unterhaltung aus, welche das Nützliche mit dem Angenehmen verband. Setzen wir noch hinzu, daß in diesem Hause, besonders vor dem Kriege, ein ziemlicher Wohlstand herrschte, so begreift sich leicht, daß bei Beethoven sich hier die ersten fröhlichen Ausbrüche der Jugend entwickelten. Beethoven wurde bald als Kind des Hauses behandelt; er brachte nicht nur den größten Theil des Tages, sondern selbst manche Nacht dort zu. Hier fühlte er sich frei, hier bewegte er sich mit Leichtig keit, Alles wirkte zusammen, um ihn heiter zu stimmen und seinen Geist zu entwickeln. [228] Fünf Jahre älter als Beethoven, war ich fähig dieses zu beobachten und zu beurtheilen.« (Wegeler S. 10.)

»Die erste Bekanntschaft mit der deutschen Literatur, vorzüglich mit Dichtern, sowie seine erste Bildung für das gesellschaftliche Leben erhielt Ludwig in der Mitte der Familie von Breuning.« (Not. S. 9.) Als die Dichter jener Zeit treten uns zunächst Klopstock, Lessing, Gleim, Gellert und ihre Zeitgenossen vor Augen; aber damals waren auch die früheren Werke von Goethe, Schiller, Matthisson usw. bereits erschienen und setzten die literarische Welt von Deutschland in Feuer. Es war zugleich ein rechtes Zeitalter des Übersetzens; und wer z.B. die englische Literatur jener Periode kennt und zugleich die Kenntnis der in jener Zeit in Deutschland gedruckten Bücher sich zu verschaffen sucht, wird kaum ein wichtiges Werk aus irgendeinem Zweige der Literatur vermissen. Milton und Shakespeare erwartet man natürlich in allen Sprachen zu finden; aber man ist erstaunt zu sehen, wie vertraut den damaligen deutschen Autoren die Namen Swist, Pope, Young, Addison usw. waren, und mit welcher Begierde auch die kleineren Sterne aufgesucht wurden. Könnte nicht die große Vorliebe Beethovens für England und alles Englische entstanden und befestigt worden sein durch seine Bekanntschaft mit der glänzenden Literatur dieses Volkes? Die griechischen und lateinischen Klassiker wurden ebenfalls allgemeines Eigentum; das Größte und Wichtigste zu diesem Zwecke hatte eben Voß vollbracht durch seine Übersetzung Homers; und dieser, namentlich die Odyssee, war eine Lieblingslektüre Beethovens bis zu seinem Tode, wovon sein noch vorhandenes stark gebrauchtes Exemplar Zeugnis ablegt.

Es darf nicht vergessen werden, daß außer Frau von Breuning und ihren Kindern auch der Scholaster Abraham von Kerich und der Kanonikus Lorenz von Breuning Mitglieder der Familie waren. Der letztere scheint namentlich ein schönes Beispiel jener aufgeklärten Geistlichkeit von Bonn gewesen zu sein, welche nach Risbeck einen so überraschenden Kontrast zu den Priestern und Mönchen von Köln bildete; und es liegt nahe, Beethovens lebenslängliche Vorliebe für die alten Klassiker, Homer und Plutarch an der Spitze, auf die Zeit zurückzubeziehen, wo die jungen Breunings mit denselben im Original beschäftigt waren unter Leitung ihres gebildeten Vormunds und Lehrers. Auch der Onkel Johann Philipp von Breuning in Kerpen mag nicht ohne Einfluß auf die geistigen Fortschritte des jungen Musikers gewesen sein, »zu dem die Familie mit ihren Freunden alljährlich auf 5–6 Wochen in die Vakanz zog. Auch Beethoven [229] brachte mehrmals einige Wochen recht fröhlich dort zu, wo er häufig angehalten wurde Orgel zu spielen9

In dem schönen und intimen Verhältnisse zu dieser Familie, aus welchem er für sich Genuß und Vorteil zog, während er die Freundlichkeit derselben in gewisser Weise dadurch erwiderte, daß er Eleonore und Lenz in der Musik unterrichtete, wollen wir ihn fürerst verlassen und unterdessen einen neuen Freund und Wohltäter Beethovens einführen.

Emanuel Philipp Graf Waldstein und Wartemberg von Dux und seine Frau, die Tochter des Prinzen Emanuel von Lichtenstein, waren die Eltern von 11 Kindern, von denen drei in ihrer Kindheit starben. Der Graf starb 1775 und hinterließ 4 Söhne und 4 Töchter, alle minderjährig, der Fürsorge seiner Witwe. Als die Söhne zu ihren Jahren kamen, wurden sie in folgender Weise versorgt: der älteste, Joseph Karl Emanuel, folgte natürlich in den Familienbesitzungen; der zweite, Johann Friedrich, wurde auf den Weg kirchlicher Beförderung gebracht und starb als Bischof von Seckau, Präbendar von Salzburg und Augsburg; Franz von Paula Adam, der dritte, wurde Ritter des Johanniterordens, verheiratete sich später, hinterließ aber, gleich dem ältesten, keine Kinder. Er zeichnete sich als Schriftsteller über Naturgeschichte aus. Der vierte Sohn Ferdinand Ernst Gabriel10, geboren am 24. März 1762, welcher also nach dem deutschen Rechte nicht vor dem 24. März 1786 großjährig wurde, hatte seine Laufbahn noch zu wählen. In seinen Adern mischte sich das Blut von so manchen der ersten Häuser des österreichischen Staates; es konnte keine, jüngeren Söhnen hochadliger Familien offenstehende Laufbahn geben, die ihm verschlossen gewesen wäre. Die Entscheidung fiel für den Eintritt in den deutschen Orden aus, dessen damaliger Großmeister Max Franz war. Wir geben zur Erläuterung des Folgenden einige Bestimmungen aus den Regeln dieses Ordens.

»§. 5. Hat der Aspirans durch glaubwürdige Attestation zu beweisen, daß er nicht unter 24 Jahre alt und bei Schließung des Noviziats [230] von solchem Alter seie, und das 50. Jahr nicht überschritten habe, dann sonsten er zur Admission ad Noviciatum oder würcklichen Reception sich keine Hoffnung zu machen hat, es wäre dann Sach, daß ein zeitlicher Herr Hoch- und Teutsch Meister hierunter gnädigste Dispensation ertheilen würde.«

Die Archive des Ordens in Wien zeigen, daß keine solche »gnädigste Dispensation« dem Grafen Waldstein erteilt ward, und daß seine Aufnahme in Übereinstimmung mit den gewöhnlichen Regeln stattfand. Mit Übergehung der langen Reihe von Bestimmungen, welche die sog. Ahnenprobe des neu Aufzunehmenden zum Gegenstande hatten, möge noch die erste und elfte Sektion der »Anweisung« für die Kandidaten hier Platz finden.

»§. 1. Ein jeder Cavalier, der in den hohen Teutschen Ritter-Orden aufgenommen zu werden suchen will, ist schuldig coram capitulo derjenigen Ballay, worinnen er aufgenommen zu werden verlanget, dann vor einem zeitlichen Herrn Hoch- und Teutsch-Meistern, wann Höchst Selbe solches gnädigst verlangen würden, Persöhnlich zu erscheinen, und sich zu sistiren, oder dann wegen Verweilung des Kapituls, oder anderen erheblichen Verhinderungen, solches nicht geschehen könnte, jedoch auf Verlangen bei einem zeitlichen Herrn Hoch- und Teutsch-Meistern, und vor dem Herrn Land-Commenthuren gedachter Ballay und etlichen derselben Ballay Raths-Gebiethigern oder Capitularen sich zu präsentiren, um dardurch erkennen zu geben, daß er die erforderlichen Qualitäten besitze, und an denen äußerlichen Gliedmaßen seines Leibs sowohl, als an denen Sinnen und seiner guten Vernunfft keinen sichtbarlichen und dem Hohen Orden unanständigen Defect, Gebrechen oder Deformität an sich habe, sondern von Gliedmaßen grad und ohne alle Leibs-Mangel und heimlichen Siechtagen seye.«

»§. 11. Hat derselbe ein gantzes Probier Jahr ohne mindesten Abgang zu vollstrecken, und zwar die eine Halbscheid bei demjenigen Herrn Land-Commenthuren, dessen Ballay derselbe einverleibt zu werden verlanget (sofern der Herr Hoch- und Teutsch-Meister nicht ein anderes, nach mit des Herrn Land-Commenthurn schrifft oder mündlich gepflogener Verabhandlung disponiren würde), die andere Halbscheid aber bei eines Herrn Hoch- und Teutschmeisters Hoflager, oder in dero Residenz zu Mergentheim, wohin er angewiesen werden wird.«

Diesen Regeln und Bestimmungen zufolge kam Graf Waldstein nach Bonn, um dort seine Prüfung zu bestehen und sein Noviziatsjahr [231] in dem Hoflager des zeitigen Hoch- und Deutschmeisters Maximilian Franz zuzubringen. Wenn es gelingen sollte, die Zeit seiner Ankunft daselbst genau zu bestimmen, so würde das Datum ein vorzüglich wichtiger Beitrag zur Bestätigung oder zur Entkräftung der oben gegebenen chronologischen Argumente sein. Sollte man aber wohl nicht daran verzweifeln, ein so unwichtiges Ereignis, wie die Reise eines jungen Mannes von 25 Jahren von Wien an den Rhein, irgendwo aufgezeichnet zu finden? Wir werden sehen. Eine Tatsache, die gerade auf den fraglichen Punkt hinführt, kann man in der Wiener Zeitung vom 2. Juli 1788 lesen. Ein Korrespondent aus Bonn sagt, daß die Anwesenheit hoher Herrschaften zurzeit die kleine Hauptstadt sehr lebhaft mache. Der Statthalter der österreichischen Niederlande, Prinz Anton von Sachsen (der Schwager des Kurfürsten), der Kurfürst von Trier, dessen Schwester Prinzessin Kunigunde (Großtante des Königs Johann von Sachsen), der Kurfürst von Mainz und Baron Dalberg, kursächsischer Gesandter, seien sämtlich dort; und »vorgestern (d. i. den 17. Juni) verrichtete unser gnädigster Landesvater, als Hoch- und Deutschmeister, an dem in den hohen Deutschen Orden aufgenommenen Grafen v. Waldstein, unter den gewöhnlichen Feierlichkeiten, den Ritterschlag«11. Rechnen wir das Noviziatsjahr hinzu, so [232] war der Graf sicherlich schon in Bonn vor dem 17. Juni 1787. Wie lange vorher war er nun wohl dort gewesen? Das Mißgeschick von zwei unglücklichen böhmischen Landleuten, so sonderbar es erscheinen mag, gibt uns nach Ablauf von beinahe 80 Jahren eine befriedigende Lösung dieser Frage. Die Wiener Zeitung vom 19. Mai 1787 erzählt, daß am 4. dieses Monats zwei Bauernhäuser im Dorfe Likwitz, welches zu Ossegg gehört, durch Feuer zerstört worden seien, und fügt hinzu: »der Herr Graf Ferdinand von Waldstein, von der edelsten Menschenliebe beseelt, eilte von Dux –, machte die besten Anstalten und befand sich überall, wo die Gefahr am größten war.« Es war also zwischen dem 4. Mai [233] und dem 17. Juni 1787, daß der Graf seine verwitwete Mutter verließ und an den Ort seines Noviziats reiste, wo sein Name Wegeler leicht schon vor seiner Abreise nach Wien bekannt werden konnte12.

Wir lassen hier folgen, was der würdige Doktor von dem Grafen erzählt; in welchem Grade es richtig oder irrtümlich sei, wird der Leser nun selbst entscheiden können. »Der erste und in jeder Hinsicht der wichtigste Mäcen Beethovens war Graf Waldstein, Deutsch-Ordens-Ritter und, was hier Hauptsache, Liebling und beständiger Gefährte des jungen Kurfürsten, nachheriger Deutsch-Ordens-Commandeur zu Virnsberg und Kämmerer des Kaisers von Oesterreich. Er war nicht nur Kenner, sondern selbst Praktiker der Musik. Dieser war es, welcher unsern Beethoven, dessen Anlagen er zuerst richtig würdigte, auf jede Art unterstützte. Durch ihn entwickelte sich in dem jungen Künstler das Talent, ein Thema aus dem Stegreife zu variiren und auszuführen. Von ihm erhielt er, mit der größten Schonung seiner Reizbarkeit, manche Geldunterstützung, die meistens als eine kleine Gratification vom Kurfürsten betrachtet wurde. Die Ernennung Beethovens zum Organisten, seine Sendung nach Wien durch den Kurfürsten u.s.w. war des Grafen Werk. Wenn Beethoven ihm später die große, gewichtige Sonate in Cdur, opus 53. dedicirte, so war dieses ein Beweis der Dankbarkeit, die ungeschwächt bei dem reisen Manne fortdauerte.

Diesem Grafen von Waldstein verdankte Beethoven, daß er in der ersten Entwicklung seines Genies nicht niedergedrückt wurde; deshalb sind auch wir diesem Mäcen für Beethovens nachherigen Ruhm verpflichtet.«

Frau Karth erinnert sich bestimmt des 17. Juni, an welchem Waldstein eingekleidet wurde; das Ereignis prägte sich ihrem Gedächtnisse durch eine nicht sehr freundliche Erinnerung mit dem Schaft der Muskete einer Schildwache ein, welche ihr zu verstehen gab, daß die Schloßkapelle bei [234] einer solchen Gelegenheit kein Platz für Kinder sei; sie bemühte sich nämlich im Gedränge mit hineinzukommen, wozu einige ihrer mutwilligen Gespielinnen sie angetrieben hatten. Sie erinnert sich aus den folgenden Jahren der Besuche Waldsteins bei Beethoven in seinem Zimmer in der Wenzelgasse und weiß genau, daß er dem jungen Musiker einen Flügel zum Geschenk machte.

Um sein Geschlecht vor dem Aussterben zu bewahren, erhielt Waldstein Dispensation von seinen Gelübden und heiratete am 9. Mai 1812 Maria Isabella, die Tochter des Grafen Rzewuski; nach dem gräflichen Taschenbuch von 1838 wurde ihm am 23. Nov. 1816 eine Tochter Ludmilla geboren, welche später mit dem Grafen Franz von Deym vermählt wurde. Er starb am 29. August 1823, nur 3 Monate nach dem Tode seines Bruders Franz von Paula Adam, und damit verschwindet die Familie der Waldstein von Dux.

Gewiß haben sowohl jene Eigenschaften, welche den jungen Beethoven zu einem Liebling der Familie Breuning machten, als namentlich sein offenbares Genie ihm auch den Weg zu dem Herzen des jungen Grafen gebahnt und ihm in demselben einen eifrigen, einflußreichen und tätigen Freund verschafft. Wie weit wir einen Einfluß desselben auf Beethovens musikalische Entwicklung, insbesondere seine produktive Tätigkeit anzunehmen haben, wird schwer zu sagen sein. Als Komponist ist er uns nur aus dem schlichten, zarten, an Mozart anklingenden Thema bekannt, über welches Beethoven vierhändige Variationen schrieb13. Für seine bedeutende Fertigkeit auf dem Klavier spricht es, daß ihm Beethoven (1805) die große Sonate in C Op. 53 widmete. Aus dem später zu erwähnenden Stammbuchblatte dürfen wir entnehmen, daß er namentlich die Notwendigkeit weiterer ernsten Studien betont hat14.

Einem Gesuche um Gehaltserhöhung, welches sein Schützling 1788 eingereicht hatte, konnte er freilich nicht sofortige Gewährung erwirken. Das Gesuch selbst ist verschwunden, aber folgender Bescheid darauf findet sich noch unter den Düsseldorfer Papieren:


[235] »ad sup.

Organisten Lud. van Beruhet. Urkund. p.

Beethoven

um einen gnädigstenBonn den 5. Juni 1788.«

Zusatz


Ludwigs Gehalt als Organist blieb also auf dem alten Satze von 100 Talern, welche nebst den 200, die sein Vater erhielt, den ihm gewährten drei Maltern Korn und der geringen Summe, die er sich durch Unterricht verdienen mochte, alles waren, wovon Johann van Beethoven und seine drei Söhne, jetzt in ihrem 18., 15. und 12. Jahre, leben mußten; die Notwendigkeit, daß Waldstein seine Großmut ausübte, war demnach um so größer15.

Da dieser Gegenstand sich uns hier gleichsam von selbst zur Besprechung dargeboten hat, so möge in der Folge der Ereignisse hier einiges vorweggenommen und die Rubrik »häusliche Angelegenheiten« ein für allemal erledigt werden.

Nach dem Tode der Mutter wurde nach der Aussage von Frau Karth eine Haushälterin angenommen; Vater und Söhne blieben zusammen in dem Hause in der Wenzelgasse. Karl wurde für den Musikerberuf bestimmt, Johann kam als Lehrling in die Hofapotheke, deren Besitzer Johann Peter Hittorf war. Kaum waren jedoch zwei Jahre verflossen, als die Schwäche des Vaters den ältesten Sohn, der noch nicht 19 Jahre alt war, veranlaßte, durch einen außerordentlichen Schritt sich selbst zum Haupte der Familie zu machen. Eine Erinnerung Stephans von Breuning zeigt, wie tief Johann van Beethoven gesunken war; er sah einmal, wie Ludwig seinen betrunkenen Vater zornig und gewaltsam aus den Händen eines Polizeibeamten befreite. Daher die Notwendigkeit der Sache.

Auch diesmal ist die Bittschrift verschwunden, aber ihr Inhalt geht mit voller Deutlichkeit hervor aus den Worten des folgenden Dekretes:


»Ad Sup.

des Organisten L. van Beethoven.


Demnach Se Kurfürstl. Dchlt. dem Supplicant, in der einvermeldeten Bitt ggst willfahren, und desselben Vater, der sich in ein churcolnisches [236] Landstädtchen zu begeben hat, von seinen weitern Diensten hiemit gänzlich dispensiren wollen; mithin. mildest verordnen, daß demselben begehrter maßen nur ein hundert Rthr. von seinem bisherigen jährlichen Gehalt künftig, und zwar im Anfang des eintretenden neuen Jahrs, ausgezahlt werden, das andere 100 Thlr. aber, seinem supplicirenden Sohn nebst dem bereits genießenden Gehalt von gedachter Zeit an zugelegt seyn, ihm auch das Korn zu 3 Mktr. jährlichs, für die Erziehung seiner Geschwistrigen, abgereicht werden soll; Als wird mehrgemeldetem Supplicant gegenwärtige Ausfertigung darüber ertheilt, wornach Kurfürstl. Hofkammer das fernere zu verfügen, und ein jeder, den es angehen mag, sich ghst zu achten hat.


Urkund. p.

Bonn den 20. November 1789.«


Es ist wahrscheinlich, daß man nicht beabsichtigte, die in diesem Dekrete verlangte Entfernung des Vaters von Bonn durchzusetzen, und daß die Klausel in terrorem eingeschaltet war für den Fall, daß er sich schlecht betragen würde. Denn nach dem Zeugnisse von Frau Karth wohnte er fortwährend mit seinen drei Kindern zusammen, und seine erste erhaltene Quittung über das herabgesetzte Gehalt ist von Bonn datiert16, ein Umstand, der freilich für sich allein wenig oder nichts beweisen würde.

Fußnoten

1 Im Nachlasse des Verfassers befindet sich ein Konzept auf mehreren Blättern, welches vermutlich für eine Neubearbeitung dieses Abschnittes bestimmt war. Demselben waren ausführliche Aufzeichnungen des Dr. Gerhard von Breuning in Wien beigefügt, deren Inhalt in dem Buche »Aus dem Schwarzspanierhause« wiedergegeben ist. Beides hat der Herausgeber in folgendem benutzt. Anm. d. Herausg.


2 Unter den Truchsessen des Kurfürsten findet sich im Kalender von 1776 noch ein Friedrich Wilhelm von Breuning; es wird aber nicht klar, ob dieser zur Familie gehörte. [Gerhard v. Br. erwähnt ihn nicht.]


3 Vgl. Hesse, Familie Beethoven, Monatsschr. V, S. 210. Auch dieses durch Beethovens täglichen Verkehr bemerkenswerte Haus hat in neuester Zeit Neubauten weichen müssen. Anm. d. Herausg.


4 Der Kontrabassist Passavanti, den wir aus dem Verzeichnis (S. 193) kennen, suchte hineinzudringen, wurde aber zurückgedrängt. Da rief er einmal über das andere Mal: Oh mio povero contrabasso, che ho portato sul dosso mio da Venezia, was er dann in gebrochenem Deutsch wiederholte. Hesse in dem gleich zu nennenden Auff. D. H.


5 Vgl. W. Hesse, Der große Brand des kurfürstlichen Schlosses. Bonn 1876. – In die Geschichte Beethovens spielt dieser Brand insofern hinein, als (nach Fischer) die Familie, welche damals vorübergehend in der Neugasse wohnte, aus Furcht wieder in die Rheingasse zog. Beethovens Kinder hätten gesagt: »Das ist gut, daß wir wieder hier sind, am Rhein ist Wasser genug für zu löschen.« Anm. d. Herausg.


6 Aus dieser Ehe stammte Gerhard von Breuning, geboren 28. August 1813, Arzt in Wien und Verfasser des wichtigen Büchleins »Aus dem Schwarzspanierhause«. D. H.


7 Unrichtig sagt also Wegeler, Not. S. 26: »Lenz von Breuning, als der jüngste der drei Brüder, stand Beethoven im Alter der Nächste.« Er war vielmehr ihm der Entfernteste.


8 Dies geht aus Gerh. v. Breunings Buche »Aus dem Schwarzspanierhause« S. 6 hervor. Der Herausgeber hat an dieser Stelle die Darstellung des Verfassers gekürzt und nimmt Bezug auf seine obige Anmerkung. Erwähnt sei nur, daß Thayer den Beginn dieses Unterrichts erst gegen Ende des Jahres 1787, nach dem Tode von Beethovens Mutter, ansetzt. Anm. d. Herausg.


9 Wegeler Not. S. 62. Der alte Organist Thönnessen in Kerpen wußte auch später noch von Beethovens Spiel auf der dortigen Orgel zu erzählen. Die alte Orgel, für damalige Zeit wohl ausgestattet, ist jetzt durch eine neue ersetzt. Das Haus des Kanonikus von Breuning ist noch vorhanden, aber in anderem Besitze. Vorstehendes nach freundlicher Mitteilung des Herrn Rektors Schneider in Kerpen. Anm. d. Herausg.


10 Vgl. S. 233 die Erinnerungs-Inschrift, die als dritten Vornamen Joseph statt Gabriel gibt. H.R.


11 In den Rheinischen Geschichtsblättern Jahrg. 2 (1895/96), S. 327f. teilt H. Stupp einen Aufsatz aus der historischen Beilage zum Kreisblatte für Ahrweiler und Adenau von 1847 mit, welcher von der Aufnahme des Grafen Waldstein in den Deutschen Orden am 17. Juni 1788 handelt. Es wird auf Grund eines Briefes eines kurfürstlichen Beamten, welcher nicht genannt wird, zuerst eine Beschreibung des Gottesdienstes und der Zeremonie und hierauf eine Mitteilung über die sonstigen Festlichkeiten gegeben. Nach Prüfung der Ahnen, heißt es, »versammeln sich die anwesenden Ritter und Commenthurs, deren diesmal 17 hier waren, unter Vortretung des ganzen Hofes, bei Pauken- und Trompetenklang in der Hofkapelle; endlich erscheint der neu zu Promovirende in einem schwarzen Rock, und der Deutschmeister steigt unter einen prächtigen Baldachin. Die churfürstlichen Kammerherren tragen die Ordenszeichen, Mantel, Kreuz, Sporen u.s.w. auf sammetnen, mit Gold gestickten Kissen. Der Noviz tritt dann ab und kömmt bald darauf wieder in einer völligen Rüstung, geharnischt vom Kopf bis auf die Kniee, mit einem Ellen langen Rosenkranz in der Hand; auf dem Helm schweben etliche Dutzend großer, schwarzer Federn. Er stellt sich vor den Altar, und dann beginnt die Messe, welche ein Deutsch-Ordenspriester halten muß. Beim Gloria und Evangelium opfert er, aber beim Offertorium fängt die Ceremonie erst recht an. Das Veni creator wird gesungen, es wird, ich weiß nicht was, gebetet, der Noviz wird eingesegnet u.s.w., und dann steigt der Deutschmeister in seiner ganzen Majestät von seinem Thron, setzt den Federhut auf, tritt vor den Ritter, zieht ihm den Degen aus der Scheide, salutirt gegen den Altar, die Ritter und das Volk, und schlägt ihm dreimal auf den geharnischten Kopf – mit den Worten: ›Im Namen Gottes, Mariä und St. Georgs, leid dies von mir und niemals mehr! Du bist Ritter, nicht mehr Knecht!‹ Dieses ist die vornehmste Ceremonie. Hernach werden ihm die Spornen, Kreuz, Mantel u.s.w. von einem Ritter angezogen, und dann wird die Messe bis bald an's Ende fortgelesen. Inzwischen wird ein schwarzes Tuch vor den Altar gebracht mit zweien schwarzen Kissen, und der Ritter legt sich auf sein Angesicht und bleibt so lange liegen, bis die Litanei von allen Heiligen herunter gesungen ist. Zuletzt wird das Te Deum gesungen, und dann geht der ganze Zug in der Ordnung heraus, wie er hereinkam.

Zu mehrerer Bequemlichkeit der Zuschauer waren auf beiden Seiten für das Volk, und dem Altar gegenüber für die Dikasterien Gerüste von Holz aufgeschlagen. Oben in der churfürstlichen Tribüne waren in der Mitte unseres Churfürsten Schwester und jene des Churfürsten von Trier, auf beiden Seiten der Churfürst von Trier und Prinz Albert von Sachsen-Teschen; in der Nebenloge waren der Herzog von Würtemberg und mehrere fremde Herrschaften. Der Zulauf von Fremden in unserer Stadt war außerordentlich. Mittags war große Tafel von etwa 80 Abends von 150 Gedecken.«

Abends war, wie weiter erzählt wird, in der festlich illuminierten Vinea Domini, zu welcher der Weg mit Pechkränzen erleuchtet war, Ball für den hohen Adel; glänzend erleuchtete Schiffe, welche »die Krümmen des Rheines« herunterkamen, türkische Musik auf denselben und zahllose Raketen verherrlichten die Szene. Am 18. abends kam der Kurfürst von Mainz an; der Kurfürst führte ihn nach Poppelsdorf ins Konzert und darauf in den Hofgarten, »wo gegen 10 Uhr eine Luftkugel aufgelassen wurde, die eine Reise von 10 Stunden über den Rhein gemacht hat«. Abends reiste Kur-Trier auf seinem Jachtschiff nach Koblenz, an den folgenden Tagen auch die übrigen Herrschaften.

Man wird wohl annehmen dürfen, daß auch der junge Beethoven, bei seinem nahen Verhältnis zu Waldstein und seiner Zugehörigkeit zur Hofmusik, den Eindruck dieses Festes erhielt.

Die Einkleidung Waldsteins war noch durch folgende Inschrift auf einem Predigtstuhle, der sich später in der Lazaruskapelle bei Bonn befand, dem Gedächtnisse überliefert: (FE)RDINAND ERNST IOSEPH, des H.R.R. GRAF von WALD∙S∙TEIN FR. v. WARTEMBERG von Sñer kurfürstl. Durchl. zu Cöln (Ho)ch u. Deutsch Mstr. MAX FRANZ zum D. O. Ritter eingekleidet den 17 ... (1)788. Bonner Zeitung 1870, Nr. 114. Anm. d. Herausg.


12 Auch diese scharfsinnige Beweisführung dürfte, soweit es auf Waldsteins erste Ankunft ankommt, vor Erwägung der Tatsachen nicht Stand halten. Wegelers Enkel, Karl W., macht in dem früher erwähnten Artikel (S. 232) mit vollem Recht darauf aufmerksam, daß die im Texte erwähnte Hilfeleistung sehr wohl bei einem zeitweiligen Besuche des jungen Grafen bei seiner Mutter stattgefunden haben könne; es sei schwer glaublich, daß derselbe bis zu seinem 24. Lebensjahre »in idyllischer Einsamkeit« dort gelebt habe. Graf Waldstein war nach Wegeler (N. S. 13), »Liebling und beständiger Gefährte des jungen Kurfürsten«; das macht es mehr als wahrscheinlich, daß er schon vor seinem Noviziatsjahr und wohl schon seit 1784 in Bonn war. Wir werden also auch den im Text gegebenen weiteren Mitteilungen Wegelers den Glauben nicht versagen können. Anm. d. Herausg.


13 Nach Gerber gab es in Privatsammlungen eine Kantate von ihm: La Primavera, die aber ungedruckt blieb. D. H. [Eine Kantate für Sopran und Streichinstrumente L'amor timido (Text von Metastasio) ist im Archiv der Gesellsch. der Musikfreunde in Wien erhalten. H.R.]


14 Waldstein verkehrte auch im übrigen gern mit der Bonner Bürgerschaft. Er war Mitglied der Lesegesellschaft seit 1788 und 1794 Direktor derselben. Anm. d. Herausg.


15 Man möchte doch vermuten, daß der junge Beethoven gerade als heranreifender Künstler auch auswärts, namentlich in Köln, Konzerte gab, was wir von anderen Mitgliedern der Kapelle, z.B. den beiden Romberg, bestimmt erfahren. Anm. d. Herausg.


16 »Bescheinige mein quartal der Monaten Jan. Feb. März mit zwanzig fünf Rthlr. cur. aus der Kurfürstl. Landrentmeisterey richtig zahlt empfangen zu haben, Bonn den 1. Feb. 1790. Johan Bethofen.«

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 1, 3. Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1917.
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