Sechzentes Kapitel.

Musikalische Ereignisse und Anekdoten.

Als ein Gegenbild zu den vorhergehenden Skizzen der Bonner Musikgeschichte stellen wir hier eine Reihe von Erzählungen aus den letzten drei Jahren von Beethovens Leben an seinem Geburtsorte in chronologischer Reihenfolge zusammen; die meisten derselben beziehen sich auf ihn persönlich, und einige von ihnen haben sogar bis jetzt, durch irrige Ansetzung ihrer Zeit, als weitere Beweise für die Frühreife seines Talentes gegolten. Andere finden ihre Stelle lediglich als weitere Züge zu dem allgemeinen Bilde.

Im Sommer 1790 kam Madame Todi, die gefeierte portugiesische Sängerin und die einzige Nebenbuhlerin der Mara, welche auf schimpfliche, aber leider gerechte Weise von der Berliner Oper entlassen worden war, durch Bonn, wo sie sowohl bei Hofe als auf der Bühne sang. Der immer fertige kleine Mann, Neefe, verfaßte ein Impromptu zu ihrem Lobe, welches so begann:


»Dieß wäre Todi? Nein! dies ist nicht Todi's Ton,

Euterpe selbst entstieg vom Helikon« ...


Dem Leser mag das übrige erspart bleiben. Doch lassen wir den ungenannten Korrespondenten von Boßlers Musikal. Correspondenz (Juni 22. 1791), natürlich Neefe selbst, sprechen: »Die ganze Hofmusik machte ihr Besuch, brachte ihr eine Serenate, und überraschte sie 2 Stunden über Bonn auf ihrer Reise mit einem Déjeûne. Sie hatte während ihres hiesigen Aufenthalts Hofequipage; der Kurfürst hielt sie kostenfrei, und ließ ihr ein ansehnliches Geschenk reichen. Sie schien überhaupt über die Begegnung [259] zu Bonn sehr angenehm gerührt zu sein, welche sie nach ihrem eigenen Geständnisse sehr ausgezeichnet fand.

Unsere brave Sängerin, Demoiselle Willmann die jüngere, eine Schülerin von Righini, ward nach der Abreise der Mad. Todi von einem ungemeinen Kunsteifer beseelt. Sie hatte sich einige ihrer Hauptarien ausgebeten und studirte unablässig daran, bis sie in der Todischen Manier und Ausdruck am 16. December 1790 im Konzert singen konnte. Den andern Morgen schickte ihr Hr. Neefe folgendes kleine Gedicht zu« – welches wir jedoch ebenfalls dem Leser ersparen wollen. Der Inhalt desselben ist folgender: während es »Herr Paris« sehr schwer findet zu entscheiden, welcher der drei Göttinnen er den Apfel zuerkennen solle, würde Neefe, wenn er angegangen würde, zwischen der Mara, Todi und Willmann zu entscheiden, sofort den Apfel der »blühenden Rose« zuerkennen – eine Anspielung auf das Alter der drei Sängerinnen, welche galanter gegen die Willmann war als gegen die beiden anderen.

Professor Wurzer zu Marburg erzählte in einem Brief, den C. M. Kneisel in der Köln. Ztg. (1838, 30. Aug.) mitteilte, folgende hübsche Anekdote: »Im Sommer des Jahres 1790 oder 1791 war ich eines Tages in Geschäften am Godesberger Brunnen. Nach Tisch kommt Beethoven mit einigen jungen Männern auch dahin. Ich erzählte ihm, daß die Kirche zu Marienforst (Kloster hinter Godesberg im Busche) reparirt und aufgeputzt worden, und dies sei auch der Fall mit der dasigen Orgel, die entweder ganz neu, oder doch sehr vervollkommnet worden sei. Die Gesellschaft bat ihn, ihr die Freude zu machen und auf derselben zu spielen. Seine große Gutmüthigkeit gewährte bald unsere Bitte. Die Kirche war geschlossen: aber der Prior war sehr gefällig und ließ uns dieselbe öffnen. B. fing nun an, Themata, die ihm die Gesellschaft aufgab, zu variiren, so daß wir wahrhaft davon ergriffen wurden; aber was weit mehr war, und den neuen Orpheus verkündigte: gemeine Arbeitsleute, die unten in der Kirche das durch das Bauen Beschmutzte rein machten, wurden lebhaft davon afficirt, legten vor und nach ihre Werkzeuge hin, und hörten mit Staunen und sichtbarem Wohlgefallen zu. Sit ei terra levis!« –

Aber das größte musikalische Ereignis des Jahres 1790 in Bonn, welches gerade am Schlusse desselben eintrat, war der Besuch Joseph Haydns auf seiner Reise nach London mit Johann Peter Salomon, dessen Name uns schon wiederholt begegnet ist. Über diesen Besuch gibt uns Dies folgenden Bericht nach Haydns eigener Erzählung (S. 78):

[260] »In der Residenzstadt Bonn wurde er auf mehr als eine Art überrascht. Er traf daselbst an einem Sonnabend [Weihnachten den 25. Dez.] ein, und bestimmte den folgenden Tag zur Ruhe.

Salomon führte Haydn am Sonntage in die Hofkapelle, eine Messe anzuhören; kaum waren Beyde in die Kirche getreten und hatten sich einen schicklichen Plan gewählt, so nahm das Hochamt seinen Anfang. Die ersten Accorde kündigten ein Werk der haydn'schen Muse an. Unser Haydn hielt es für einen Zufall, der sich so gefällig gegen ihn bezeigte, ihm schmeicheln zu wollen; indessen war es ihm sehr angenehm, sein eigenes Werk mit anzuhören. Gegen das Ende der Messe, näherte sich eine Person und lud ihn ein, sich in das Oratorium zu begeben, woselbst er erwartet würde. Haydn begab sich dahin und war nicht wenig erstaunt, als er sah, daß der Churfürst Maximilian ihn dahin hatte rufen lassen, ihn gleich bey der Hand nahm, und ihn seinen Virtuosen mit den Worten vorstellte: ›da mache ich sie mit ihrem von ihnen so hochgeschätzten Haydn bekannt.‹ Der Churfürst ließ beyden Theilen Zeit, einander kennen zu lernen, und, um Hayd einen überzeugenden Beweis seiner Hochachtung zu geben, lud er ihn an seine Tafel. Haydn kam durch diese unerwartete Einladung in nicht geringe Verlegenheit; denn er und Salomon hatten in ihrer Wohnung ein kleines Diner veranstaltet, es war schon zu spät eine Abänderung zu treffen. Haydn mußte also zu Entschuldigungen seine Zuflucht nehmen, die der Churfürst für gültig annahm. Haydn beurlaubte sich darauf, und begab sich nach seiner Wohnung, woselbst er von einem nicht erwarteten Beweise des Wohlwollens des Churfürsten überrascht wurde; sein kleines Diner war nämlich auf des Churfürsten stille Ordre in ein Großes zu 12 Personen, verwandelt, und die geschicktesten Musiker dazu eingeladen worden.« – Ob wohl der junge Beethoven einer dieser eingeladenen geschicktesten Musiker war?

Sonntag abends den 6. März 1791 kam Beethovens Musik zu dem Ritterballett (oben, S. 256) zur Aufführung, aber ohne daß sein Name bekannt wurde.

Boßlers Mus. Correspondenz (13. Juli 1791) enthält ein Verzeichnis der »Kurfürstlichköllnischen Kabinets-Kapell- und Hofmusik« für dieses Jahr, wo es bei den Orchestermitgliedern heißt: »Die mit einem * bezeichneten sind Solospieler, die mit Recht unter die Virtuosen gezählt werden können. Zwei ** bedeuten zugleich Komponisten.« Nur vier Namen: Joseph Reicha, Perner (welcher im folgenden August starb) und die beiden Romberg haben die beiden Sterne; Beethoven hat [261] keinen. »Hr. Anton Reicha (wie hinzugefügt wird) fängt an zu komponiren.« – »Klavierconzerte spielt Hr. Ludwig van Bethoven, und Hr. Neefe akkompagnirt bei Hofe, im Theater und in Konzerten.« – »Konzertirende Bratschen werden von konzertspielenden Violinisten gespielt.« Demnach war Beethoven nicht Virtuose auf der Viola. »Se. Kurs. Durchlaucht zu Köln spielen jetzt sehr selten Bratsche. Wohl aber amüsiren sie sich mit Opern am Clavier« usw.

Das Jahr vorher (1790) veröffentlichte Ignatz Pleyel, der 1789–92 als Nachfolger Franz Xaver Richters Kapellmeister am Münster in Straßburg war, durch Boßler drei Sonaten für Klavier, Violine und Violoncell, seine ersten Werke in dieser Form, und ohne Zweifel die von Simrock im Bonner Intelligenzblatt im Oktober dieses Jahres angezeigten Sonaten. Dasselbe Blatt zeigt am 22. März 1791 ein Trio für dieselben Instrumente von demselben Verfasser an; und daraus kann man mit ziemlicher Sicherheit das Datum folgender Anekdote bei Wegeler bestimmen: »Einst spielte er [Beethoven] in dieser Eigenschaft [als Kammermusikus] in einer kleinen Gesellschaft mit Franz Ries und dem noch lebenden berühmten Bernhard Romberg ein neues Trio von Pleyel a vista: im zweiten Theil des Adagios blieben die Künstler, wenn auch nicht zusammen, doch nicht stecken; sie spielten immer muthig fort und kamen gleichzeitig und glücklich zu Ende. In der Klavierstimme waren, wie man nachher fand, zwei Takte ausgelassen. Der Kurfürst wunderte sich sehr über diese Arbeit Pleyel's und ließ sie acht Tage nachher wiederholen, wobei nun das Geheimniß, zu des Fürsten Vergnügen, entdeckt ward.«

Während dieses Sommers hatten die jungen Komponisten und Sänger von Bonn für einige Wochen den Vorteil der Anwesenheit einer andern der größten deutschen Sängerinnen, Madame Felicitas Agnesia Heyne, welche sich auf der Reise von England in ihre Heimat Würzburg befand. In dem vorangegangenen März hatte sie 400 Livr. für 12 Abendaufführungen in Dublin erhalten. Gerber rühmt ihre Fähigkeiten in starken Ausdrücken. Sie verließ Bonn am 5. August, wenige Tage nach dem Kurfürsten, der an diesem Tage gerade in Würzburg war auf seinem Wege nach Mergentheim. Dahin wollen wir ihm jetzt folgen.

In Mergentheim, der Hauptstadt des deutschen Ordens, fand in diesem Herbste eine große Versammlung der Komture und Ritter statt, unter dem Vorsitze ihres Großmeisters Maximilian Franz. Die Sitzungen dauerten von 18. September bis zum 20. Oktober 1791, wie aus dem Wiener Berichte hervorgeht. Der Aufenthalt des Kurfürsten [262] daselbst scheint sich bis auf einen Zeitraum von wenigstens drei Monaten ausgedehnt zu haben. Als er zwei Jahre früher ungefähr ebensolange sich dort aufhielt, war ihm die Zeit wahrscheinlich sehr lang geworden; denn dieses Mal wurden umfassende Vorbereitungen für theatralische und musikalische Unterhaltungen getroffen.

Unter den damals existierenden Schauspielertruppen befand sich eine, die Häußlersche Gesellschaft genannt, welche im Sommer zu Nürnberg, im Winter zu Eichstädt spielte. Der Unternehmer war Herr Baron von Bailaux (Theaterk. 1792, S. 284); der Kapellmeister Herr Weber der ältere; und unter dem Personal befand sich Herr Weber der jüngere und Madame Weber. Aus Max M. v. Webers »Lebensbild« seines Vaters geht hervor, daß diese Webers Bruder und Schwägerin von Karl Maria von Weber waren, der damals ein Kind von etwa fünf Jahren war. »Die Gesellschaft gibt«, sagt der Berichterstatter in dem Theaterkalender, »die auserlesensten Stücke und die größten Opern.« Demnach muß sich der Vater, Franz Anton von Weber, hier endlich in seinem eigentümlichen Elemente gefunden haben; und noch mehr ein Jahr später, als er selbst Direktor der Truppe wurde1.

Diese Truppe begab sich für eine Zeitlang nach Mergentheim und nahm dort den Titel »Kurfürstliches Hoftheater« an; Herr Baron von Baillon (so heißt hier der Name, es ist aber dieselbe Gesellschaft) war noch Unternehmer, Fried. Häußler und seine Frau Direktor und Direktrice; Herr Weber (ohne Zweifel Fridolin Andreas) war Musikdirektor, und die beiden anderen Weber Mitglieder der Gesellschaft; aber »Demois. Willmann, Hr. Lux, Hr. Müller, Hr. Mändel, Hr. Spitzeter, die mit der Hofmusik nach Mergentheim gegangen waren, spielten zuweilen mit«. Sechzehn andere Namen werden in dem Theaterkalender [1792, S. 352] in dem Verzeichnisse der Truppe angegeben. So war für theatralische Unterhaltung vorzüglich gesorgt.

Simonetti, Maximilians Günstling und ein vorzüglicher Konzert-Tenorist, nebst ungefähr 25 Mitgliedern des kurfürstlichen Orchesters, an ihrer Spitze Franz Ries, da Reicha zu leidend war, unter ihnen Beethoven, die beiden Romberg und das vorzügliche Oktett von Blasinstrumenten, gewährten reichliche Gelegenheit zu den besten musikalischen Unterhaltungen.

Schauspieler, Sänger und Musiker (Simonetti und die Frauen vermutlich ausgenommen), die meisten von ihnen noch jung, alle in ihren [263] besten Jahren und in dem Alter ihres vollen Genusses, machten die Reise in zwei großen Schiffen auf dem Rhein und Main2. Ehe sie Bonn verließen, versammelte sich die Gesellschaft und erwählte Lux zum Könige der Expedition, welcher bei der Verteilung der hohen Würden am Hofe Bernhard Romberg und Ludwig van Beethoven zu »Küchenjungen« in seinem Dienste ernannte. Es war die angenehmste Zeit des Jahres für eine solche Reise; die Hitze des Sommers gemäßigt durch die Kühle des Rheins und die Luftzüge, welche auf- und abwärts durch den tiefen Einschnitt des Flusses wehten. Die Vegetation stand noch in ihrem vollen Glanze, und die romantische Schönheit seiner Städte und Dörfer hatte noch weder von den Zerstörungen der Marssöhne gelitten, welche später über sie hereinbrachen, noch von dem unaufhörlichen, der Romantik feindlichen Zuge moderner »Verschönerung«. Koblenz und Mainz waren noch Hauptstädte von Staaten, und die große Festung Rheinfels noch keine Ruine. Als Risbeck 10 Jahre früher rheinabwärts reiste, hatte sein Boot »Mast und Segel, sein ebnes Verdecke mit einem Geländer, seine gemächlichen Kajüten mit Fenstern und einigen Meublen, und war überhaupt so ziemlich im Stil eines holländischen Jagdschiffes gebaut«. In Schiffen dieser Art machte ohne Zweifel die lustige Gesellschaft die langsame und unter anderen Umständen vielleicht langweilige Fahrt gegen die Strömung des Rheines. Die Zeit war für sie eine herrliche und fröhliche; der Mangel an Schnelligkeit war kein Unglück für sie; und in Beethovens Erinnerung lebte die kleine Reise hell und schön und war für ihn »eine fruchtbare Quelle der schönsten Bilder«. Die Fahrt schloß die ganze berühmte Gegend der Rheinufer vom Drachenfels bis Bingen in sich, von da bis Mainz die breite Fläche des Flusses mit seiner Menge von Inseln, und zuletzt die liebliche Partie des Mains, welcher die Hügel des Spessarts von denen des Odenwaldes trennt, und manchen Fleck »süßer Wildnis«, [264] der noch längs der Ufer beider Flüsse existierte, welchen das Wachstum der Bevölkerung und die steinernen Eisenbahndämme jetzt für immer vertilgt haben. Diejenigen, welchen beide Flüsse bekannt sind, können sich in ihrer Phantasie ein Bild von denselben entwerfen, wie sie ehemals gewesen sind; welchen Zweck könnten Beschreibungen haben für solche, die sie nicht kennen?

Das Bingerloch hielt man damals für eine gefährliche, und jedenfalls war es eine schwierige Passage für aufwärts fahrende Schiffe; denn hier bricht der Strom, plötzlich bis zur Hälfte seiner vorherigen Breite eingeengt, zwischen langen Reihen unebener Felsen durch einen engen Schlund. Die Reisegesellschaft überließ daher hier die Schiffe ihren Führern und bestieg den Niederwald, und daselbst erhob König Lux Beethoven zu einer höheren Würde an seinem Hofe (Wegeler gibt nicht an, welche es war) und bestätigte seine Ernennung durch ein Diplom oder einen Patentbrief, datiert von den Höhen über Rüdesheim. Diesem wichtigen Dokumente war mit einem aus einem Segel gedrehten Faden ein großes Siegel von Pech, eingedrückt in den Deckel einer kleinen Büchse, angehängt, welches dem Instrumente ein recht imposantes Aussehen gab, gleich der goldenen Bulle in Frankfurt a. M. Dieses Diplom von der Hand seiner komischen Majestät befand sich unter den Gegenständen, welche ihr Besitzer mit nach Wien nahm, wo es Wegeler noch sorgfältig aufbewahrt im Jahre 1796 sah.

Zu Aschaffenburg am Main war der große Sommerpalast des Kurfürsten von Mainz: und hier wohnte Abbé Sterkel, damals ein Mann von 40 Jahren, der von Kindheit an Musiker gewesen war, einer der ersten Klavierspieler von ganz Deutschland und in diesem Teile desselben ohne Nebenbuhler, ausgenommen vielleicht Vogler in Mannheim. Seinen Stil als Komponist und Pianist hatte er in Deutschland und Italien bis zum äußersten verfeinert und ausgebildet, und sein Spiel war im höchsten Grade leicht, graziös und gefällig; wie es Vater Ries bezeichnete, »etwas damenartig«. Ries und Simrock nahmen die beiden jungen Romberg und Beethoven mit, um dem Meister ihre Verehrung zu bezeigen, welcher, dem Gesuch aller willfahrend, sich zum Spielen hinsetzte. Beethoven, der bis dahin (sagt Wegeler) noch keinen großen, ausgezeichneten Klavierspieler gehört hatte, kannte nicht die seinen Nüancirungen in Behandlung des Instruments; sein Spiel war rauh und hart. Nun stand er in der gespanntesten Aufmerksamkeit neben Sterkel; denn diese Anmut und Zartheit, vielleicht auch Fertigkeit der Ausführung, welche er damals hörte, waren [265] eine neue Erscheinung für ihn. Nach dem Schlusse wurde der junge Bonner Konzertspieler eingeladen, seinen Platz am Instrumente zu nehmen; aber natürlich zögerte er, sich selbst zu produzieren nach einer solchen Darstellung; der schlaue Abbé brachte ihn dazu, indem er sich den Schein gab, als bezweifle er seine Fähigkeit. Ein oder zwei Jahre vorher hatte Kapellmeister Vincenz Righini, Kollege Sterkels im Dienste des Kurfürsten von Mainz, dodeci Ariette veröffentlicht, von denen eine, »Venni Amore«, eine Melodie mit 5 Variationen für die Singstimme zu derselben Begleitung war. Beethoven hatte sich diese Melodie als Thema genommen und 24 Variationen für Klavier über dieselbe geschrieben, der Gräfin Hatzfeld gewidmet und herausgegeben. Einige derselben waren sehr schwer, und Sterkel drückte jetzt seinen Zweifel aus, ob ihr Verfasser sie selbst spielen könne. Das ging an seine Ehre; »jetzt spielte Beethoven nicht nur diese Variationen, soviel er sich deren erinnerte (Sterkel konnte sie nicht auffinden), sondern gleich noch eine Anzahl anderer nicht weniger schwierigen und dies, zur größten Ueberraschung der Zuhörer, vollkommen und durchaus in der nämlichen gefälligen Manier, die ihm an Sterkel aufgefallen war3

[Zusatz des Herausgebers.] Von Sterkels ihrerzeit mit Recht [266] waren Op. 1–27 bereits bis 1787 in Druck erschienen und natürlich auch in Bonn bekannt. Sterkel hat in denselben die Klavier-Ensemblemusik gegenüber den Filtz, Toeschi, Eichner, Edelmann und Schobert bedeutend vorwärts gebracht durch breitere Anlage, interessantere Detailarbeit und vielseitigere Ausbeutung der Mittel des Pianoforte und führt zu Clementi, E. A. Förster und Beethoven über. Die vom Herausgeber in den Denkmälern der Tonkunst in Bayern, Jahrg. XVI (Mannheimer Kammermusik des 18. Jahrhunderts) herausgegebene G-dur-Violinsonate hat ganz offenbar auf Beethoven stark gewirkt (vgl. den Schlußsatz von Op. 2, III). H.R.

Es ist ein Mißgeschick für die Welt und ein unersetzlicher Verlust, daß König Lux unter den Beamten seines Hofes nicht auch einen Historiographen angestellt hatte; denn jetzt enthalten diese beiden Anekdoten sozusagen alles, was über ihn und seine Unterthanen bekannt ist während der ganzen Dauer seiner Herrschaft von Bonn bis Mergentheim. Schloß die Gesellschaft eine Verbrüderung mit den Sängern und Musikern Seiner Trierschen Durchlaucht zu Ehrenbreitstein? Gab es Belustigungen mit dem Kapellpersonal des Kurfürsten von Mainz? Konnten die Veteranen der Gesellschaft, Lux und andere, welche so oft die Bühne in Frankfurt als Sänger und Schauspieler betreten hatten, an dieser Stadt vorbeifahren, ohne daß Ereignisse eintraten, welche die Chronik geschmückt haben würden, hätte sich nur ein Chronist gefunden? Nur ein einziges Ereignis erzählte noch der ältere Simrock, welches auch hier eine Stelle finden muß, weil es sich auf Beethoven bezieht und die Strenge seiner Grundsätze in jenen Jahren erkennen läßt. An einem Orte, wo die Gesellschaft zu Mittag aß, stachelten einige der jungen Leute das Aufwartemädchen an, ihre Reize Beethoven gegenüber geltend zu machen. Beethoven nahm ihre Herausforderungen mit zurückweisender Kälte auf, und als sie, von den anderen ermutigt, nicht abließ, verlor er die Geduld und machte ihren Zudringlichkeiten schließlich durch eine Ohrfeige ein Ende.

Nachdem sie einmal in Mergentheim waren, hatte der lustige Monarch und seine fröhlichen Untertanen an andere Dinge zu denken, und sie scheinen in mehrfachem Sinne von sich reden gemacht zu haben. Jedenfalls hörte Carl Ludwig Junker, Kaplan zu Kirchberg, der Residenz des Fürsten Hohenlohe, von ihnen und kam von dort hinüber, um sie kennen zu lernen. Junker war dilettantischer Komponist und Verfasser von verschiedenen kleinen Schriften über Musik (musikalischen Almanachs, die ohne Namen herauskamen, und ähnlichen), welche sämtlich jetzt, ebenso wie seine Klavierkonzerte, so gut wie vergessen sind; doch in jener Zeit [267] war er ein Mann von nicht geringer Bedeutung in der musikalischen Welt des westlichen Deutschlands. Er kam nach Mergentheim, wurde von den kurfürstlichen Musikern mit großer Aufmerksamkeit behandelt und bewies seine Dankbarkeit durch einen langen Brief in Boßlers Musik. Korrespondenz (23. Nov. 1791), worin die superlativischen Ausdrücke ein wenig übermäßig angewandt sind, welcher uns aber das lebendigste Bild von der Kapelle gibt, das überhaupt existiert. Es ist eigentümlich, daß dieser Artikel beinahe 70 Jahre vergessen gewesen zu sein scheint, bis er von dem Verfasser hervorgezogen und für das Atlantic Monthly magazine (Mai 1858) übersetzt wurde. Es kann keiner Entschuldigung bedürfen, wenn derselbe hier vollständig mitgeteilt wird.

»Noch etwas vom Kurköllnischen Orchester.


In der musikal. Korresp. Num. 28 kommt eine Beschreibung der kurköllnischen Hof- und Theatermusik vor; ich kann jetzt einige Beiträge zu jenem Nomenklator liefern, da ich seit dem so glücklich war, verschiedene jener Mitglieder kennen zu lernen, und einigemal jenes Orchester zu hören.

Der Kurfürst hält sich, wie bekannt, schon eine geraume Zeit in Mergentheim auf, und hat etlich und zwanzig seiner Kapellisten bei sich. In diesem Mergentheim war es, wo ich zwei der glücklichsten Tage meines Lebens verlebte (den 11. und 12. Okt.), wo ich die ausgesuchtesten Musiken aufführen hörte, wo ich vortreffliche Künstler kennen lernte, die, wie sie versicherten, schon vor unserer Bekanntschaft meine Freunde waren, und die mich mit einer Güte aufnahmen, die hier meinen lautesten Dank verdienet.

Gleich am ersten Tage hörte ich Tafelmusik, die, so lange der Kurfürst in Mergentheim sich aufhält, alle Tage spielt. Sie ist besetzt mit 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotts, 2 Hörner. Man kann diese 8 Spieler mit Recht Meister in ihrer Kunst nennen. Selten wird man eine Musik von der Art finden, die so gut zusammenstimmt, so gut sich versteht, und besonders im Tragen des Tons einen so hohen Grad von Wahrheit und Vollkommenheit erreicht hätte, als diese. Auch dadurch schien sie sich mir von ähnlichen Tafelmusiken zu unterscheiden, daß sie auch größere Stücke vorträgt; wie sie denn damals die Ouverture zu M. Don Juan spielte.

Bald nach der Tafelmusik ging das Schauspiel an. Es war ›König Theodor‹, mit Musik von Paisiello. Die Rolle Theodors spielte Hr. Nüdler, besonders stark in tragischen Scenen, zugleich gut in der Aktion. [268] Den Achmet stellte Hr. Spizeter vor, ein guter Baßist, nur zu wenig handelnd, und nicht immer mit Wahrheit; kurz, zu kalt. Der Gastwirth war Hr. Lux, ein sehr guter Baßsänger, und der beste Akteur, ganz geschaffen fürs Komische. Die Rolle der Lisette wurde durch Demoiselle Willmann4 vorgestellt. Sie singt mit sehr viel Geschmack, hat vortrefflichen Ausdruk, und eine rasche, hinreissende Aktion. Auch Hr. Mändel im Sandrino war ein sehr guter, gefälliger Sänger. Das Orchester war vortrefflich besetzt; besonders gut wurde das Piano und Forte, und das Crescendo in obacht genommen. Hr. Ries, dieser vortreffliche Partiturleser, dieser große Spieler vom Blatt weg, dirigirte mit der Violin. Er ist ein Mann, der an der Seite eines Cannabichs steht, und durch seinen kräftigen, sichern Bogenstrich allen Geist und Leben giebt.

Eine Einrichtung und Stellung des Orchesters fand ich hier, die ich nirgends sonst gesehen habe, die mir aber sehr zweckmäßig zu sein scheint. Hr. Ries stand nemlich in der Mitte des Orchesters erhöhet, so daß Er von allen gesehen werden konnte, und hart am Theater; gleich unter und hinter ihm war ein Conterviolonist und ein Violonzellspieler. Ihm zur Rechten waren die ersten Violinen (denen gegenüber die zweite), unter diesen die Bratschen (gegenüber die Klarinetten), unter den Bratschen wieder Conterviolon und Violonzell, am Ende die Trompeten. Dem Direktor zur Linken saßen die Blasinstrumente, die Oboen (gegenüber die Fagotts), Flöten, Horns. Die Oper selbst hat so viel Licht und blühendes Colorit, daß sie auf das erstemal einen starken Eindruck macht, und mit sich fortreißt, aber bei öftern Vorstellungen, glaube ich, ist die Komposition für einen deutschen Magen wohl – zu italienisch.

Auf mich wirkte am meisten die Arie, wo der unglückliche König seinen fürchterlichen Traum erzählt. Hier hat der Komponist einigemal mit ausserordentlichen Glück gemalt, ohne ins Läppische zu fallen, und durch die Blasinstrumente eine vortreffliche Schattirung in sein Gemälde gebracht. Ich glaube, es ist im ganzen Stück keine Arie, die so viel große, fürspringende Stellen hat, so tief eingreifend ist, als diese Arie. Ausserdem schien mirs, als ob der Komponist zu viel wiederhole, seinen Gedanken oft zu sehr in langweilige Länge ausdehne, also nicht immer den glücklichen Zielpunkt treffe. Auch waren in den Chören die begleitenden Stimmen zu überladen gesetzt.

Den andern Morgen war um 10 Uhr Probe auf das feierliche Hofkonzert, das gegen 6 Uhr Abends seinen Anfang nahm. Hr. Welsch [269] hatte die Gefälligkeit, mich zu dieser Probe einzuladen; sie war in der Wohnung des Hrn. Ries, der mich mit einem Händedruck empfieng. Diese Probe machte mich zum Augenzeugen von dem guten Vernehmen, in welchem die Kapelle unter sich steht. Da ist ein Herz, ein Sinn! ›Wir wissen nichts von den gewöhnlichen Kaballen und Schikanen; bei uns herrscht die völligste Uebereinstimmung, wir lieben uns brüderlich, als Glieder einer Gesellschaft‹; sagte Hr. Simrock zu mir. Sie machte mich zum Augenzeugen von der Schätzung und Achtung, in welcher diese Kapelle bei ihrem Kurfürsten steht. Gleich beim Anfang der Probe wurde der Direktor Hr. Ries zu seinem Fürsten abgerufen, als er wieder kam, hatte er die Säcke voll Geld. ›Meine Herren, sprach er, der Kurfürst macht ihnen an seinem heutigen Namenstage ein Geschenk von 1000 Thlr.‹ Aber sie machte mich auch zum Zeugen ihrer eigenen Vortrefflichkeit. Hr. Winneberger von Wallerstein legte in dieser Probe eine von ihm gesetzte Sinfonie auf, die gewiß nicht leicht war, weil besonders die Blasinstrumente einige konzertirende Solos hatten. Aber sie gieng gleich das erstemal vor trefflich, zur Verwunderung des Komponisten.

Eine Stunde nach der Tafelmusik gieng das Hofkonzert an. Die Eröffnung geschah durch eine Sinfonie von Mozart, hierauf kam eine Arie mit einem Rezitativ, die Simonetti sang; dann ein Violonzellkonzert, gespielt von Hrn. Romberger. Nun folgte eine Sinfonie von Pleyel, Aria von Simonetti gesungen, von Regini gesetzt. Ein Doppelkonzert für eine Violin und ein Violonzell, von den beiden Hrn. Rombergers fürgetragen. Den Beschluß machte die Sinfonie von Hr. Winneberger, die sehr viele brilliante Stellen hatte. Hier gilt mein oben schon gefälltes Urtheil wieder vollkommen; die Aufführung konnte durchaus nicht pünktlicher seyn, als sie war. Eine solche genaue Beobachtung des Piano, des Forte, des Rinforzando, eine solche Schwellung, und allmählige Anwachsung des Tons, und dann wieder ein Sinkenlassen desselben, von der höchsten Stärke bis zum leisesten Laut, – – dies hörte man ehemals nur in Mannheim. Besonders wird man nicht leicht ein Orchester finden, wo die Violinen und Bässe so durchaus gut besetzt sind, als sie es hier waren. Selbst Hr. Winneberger war vollkommen dieser Meinung, wenn er diese Musik mit der gleichfalls sehr guten Musik in Wallerstein verglich.

Nur noch etwas über einzelne Virtuosen. Hr. Simonetti hat eine überaus angenehme Tenorstimme, und einen süssen reizvollen Vortrag. Er sang nicht nur in diesem Konzert zwei Adagio-Arien, sondern er ist [270] auch, nach der ganzen Art seines Vortrags zu urtheilen, hauptsächlich stark im Adagio, und vorzüglich für dasselbe gemacht. Seine Manieren sind überdem nie überladen, haben etwas neues, und sind sprechend und überredend, als aus der Natur des Stücks gezogen. Seine gefällige, immer etwas lächelnde Miene, und seine ganze schöne Figur erhöhen vielleicht die Eindrücke seines Gesangs. –

Hr. Romberg der jüngere verbindet in seinem Violonzeitspiel eine ausserordentliche Geschwindigkeit mit einem reizvollen Vortrag; dieser Vortrag ist dabei deutlicher und bestimmter, als man ihn bey den meisten Violonzellisten zu hören gewohnt ist. Der Ton, den er aus seinem Instrument zieht, ist überdem, besonders in den Schattenparthien, ausserordentlich schneidend, ferm und eingreifend. Nimmt man Rücksicht auf die Schwierigkeit des Instruments, so möchte man vielleicht sein durchaus bestimmtes Reingreifen, bei dem so ausserordentlich schnellen Vortrag des Allegro, ihm am höchsten anrechnen. Doch dies ist am Ende immer nur mechanische Fertigkeit; der Kenner hat einen andern Maßstab, wornach er die Größe des Virtuosen ausmißt; und dies ist Spielmanier, das Vollkommene des Ausdrucks, oder der sinnlichen Darstellung. Und hier wird der Kenner sich für das sprachvolle Adagio. des Spielers erklären. Es ist ohnmöglich, tiefer in die feinsten Nüanzen einer Empfindung einzugreifen, – ohnmöglich, sie mannigfaltiger zu koloriren, besonders durch Schattirung zu heben, ohnmöglich, genauer die ganz eigenen Töne zu treffen, durch welche diese Empfindung spricht, Töne, die so gerade aufs Herz wirken, als es Hrn. Romberger in seinem Adagio glückt.

Wie kennt er alle Schönheiten des Detail, die in der Natur des Stücks, in der besonderen Art der gegebenen Empfindung liegen, und für welche der Setzer noch keine kenntlichen Abzeichen hat? Welche Wirkungen bringt er herfür, durch das Schwellen seines Tons bis zum stärksten Fortissimo hinauf, und denn wieder durch das Hinsterben desselben im kaum bemerkbaren Pianissimo!!

Herr Romberger der ältere steht an seiner Seite. Auch er zieht aus seiner Violin den reinsten Glaston, auch er verbindet mit einer großen Geschwindigkeit im Spiel das Geschmackvolle des Vortrags; auch er versteht das, was man musikalische Malerei nennen könnte, in einem hohen Grad. Dabei steht er immer in einer so unschenirten, aber auch ungezierten, unmanirten und unaffektirten Stellung und Bewegung da, die nicht immer jedes großen Spielers Sache ist.

[271] Noch hörte ich einen der größten Spieler auf dem Klavier, den lieben guten Bethofen; von welchem in der speierischen Blumenlese vom Jahr 1783 Sachen erschienen, die er schon im 11. Jahr gesetzt hat5. Zwar ließ er sich nicht im öffentlichen Konzert hören; weil vielleicht das Instrument seinen Wünschen nicht entsprach; es war ein Spathischer Flügel, und er ist in Bonn gewohnt, nur auf einem Steinischen zu spielen. Indessen, was mir unendlich lieber war, hörte ich ihn phantasiren, ja ich wurde sogar selbst aufgefordert, ihm ein Thema zu Veränderungen aufzugeben. Man kann die Virtuosengröße dieses lieben, leisegestimmten Mannes, wie ich glaube, sicher berechnen, nach dem beinahe unerschöpflichen Reichthum seiner Ideen, nach der ganz eigenen Manier des Ausdrucks seines Spiels, und nach der Fertigkeit, mit welcher er spielt. Ich wüßte also nicht, was ihm zur Größe des Künstlers noch fehlen sollte. Ich habe Voglern auf dem Fortepiano (von seinem Orgelspiel urtheile ich nicht, weil ich ihn nie auf der Orgel hörte) gehört, oft gehört, und Stundenlang gehört, und immer seine außerordentliche Fertigkeit bewundert, aber Bethofen ist ausser der Fertigkeit sprechender, bedeutender, ausdrucksvoller, kurz, mehr für das Herz: also ein so guter Adagio- als Allegrospieler. Selbst die sämmtlichen vortrefflichen Spieler dieser Kapelle sind seine Bewunderer, und ganz Ohr, wenn er spielt. Nur er ist der Bescheidene, ohne alle Ansprüche. Indes gestand er doch, daß er auf seinen Reisen, die ihn sein Kurfürst machen ließ, bei den bekanntesten guten Klavierspielern selten das gefunden habe, was er. zu erwarten sich berechtigt geglaubt hätte: Sein Spiel unterscheidet sich auch so sehr von der gewöhnlichen Art das Klavier zu behandeln, daß es scheint, als habe er sich einen ganz eigenen Weg bahnen wollen, um zu dem Ziel der Vollendung zu kommen, an welchem er jetzt steht. Hätte ich dem dringenden Wunsche meines Freundes Bethofen, den auch Hr. Winneberger unterstützte, gefolgt, und wäre noch einen Tag in Mergentheim geblieben, ich glaube, Herr Bethofen hätte mir Stundenlang vorgespielt, und in der Gesellschaft dieser beiden großen Künstler, hätte sich der Tag für mich in einen Tag der süssesten Wonne verwandelt.

Ich schließe mit einigen Bemerkungen überhaupt.

1. Der Kurfürst hatte von seiner Kapelle, die aus etlichen und 50 Gliedern besteht, (und deren Beschreibung Num. 28 der musik. Korresp. nicht ganz richtig ist, und von Herrn Neefe verbessert werden wird) nur [272] etlich und 20 bei sich, aber vielleicht den Kern derselben, obgleich die Herrn Neefe und Reicha fehlten. Auf den erstern freute ich mich vorzüglich, da es unter meine alten Wünsche gehört, ihn kennen zu lernen.

2. Den Vorzug dieser Kapelle kann man im Ganzen, wie schon oben gesagt, vielleicht am sichersten darnach bestimmen, daß die Geigen und Bässe ohne Ausnahme so trefflich besetzt sind.

3. Den Einklang und die Harmonie dieser Kapelle unter sich, habe ich gleichfalls schon oben gerühmt. Ich war Augenzeuge davon, und hörte die Bekräftigung dieser Aussage von mehreren glaubwürdigen Männern, selbst von dem Kammerdiener des Kurfürsten, der doch die Sache wissen kann.

4. Ueberhaupt ist das Betragen dieser Kapellisten sehr sein und sittlich. Es sind Leute von einem sehr eleganten Ton, von einer sehr guten Lebensart. Eine größere Dißkrezion kann man wohl nicht finden, als ich hier fand. Den armen Spielern wurde im Konzert so sehr zugesetzt, sie wurden von der Menge der Zuhörer so gepreßt, so eingeschlossen, daß sie kaum spielen konnten, und daß ihnen der helle Schweiß über das Gesicht lief; aber sie ertrugen dies alles ruhig und gelassen, man sah keine unzufriedene Miene an ihnen. An dem Hofe eines kleinen Fürsten hätte es hier Sottisen über Sottisen gesetzt.

5. Die Glieder dieser Kapelle befinden sich fast alle, ohne Ausnahme, noch in den besten jugendlichen Jahren, und in dem Zustand einer blühenden Gesundheit, sind wohl gebildet und gut gewachsen. Ein frappanter Anblick, wenn man die prächtige Uniform noch dazu nimmt, in welche sie ihr Fürst kleiden ließ. Diese ist roth, reich mit Gold besetzt.

6. Man war vielleicht bisher gewohnt, unter Kölln sich ein Land der Finsterniß zu denken, in welchem die Aufklärung noch keinen Fuß gefaßt. Man wird aber ganz anderer Meinung, wenn man an den Hof des Kurfürsten kommt. Besonders an den Kapellisten fand ich ganz aufgeklärte, gesund denkende Männer.

7. Der Kurfürst, dieser menschlichste und beste aller Fürsten, ist nicht nur, wie bekannt, selbst Spieler, sondern auch enthusiastischer Liebhaber der Tonkunst. Es scheint, als könnte er sich nicht satt hören. Im Konzert, dem ich beiwohnte, war er – Er nur, der aufmerksamste Zuhörer.

C. L. Junker


Es findet sich eine Stelle in diesem ausnehmend wertvollen und interessanten Briefe, welche bei dem gegenwärtigen Standpunkte der Kenntnis [273] von Beethovens Jugend völlig unerklärlich ist; es ist folgende: »Nur er ist der Bescheidene, ohne alle Ansprüche. Indes gestand er doch, daß er auf seinen Reisen, die ihn sein Kurfürst machen ließ, bei den bekanntesten guten Klavierspielern selten das gefunden habe, was er zu erwarten sich berechtigt geglaubt hätte.« Was waren das für Reisen? wer kann es sagen?6

»In Mergentheim«, schrieb Simrock an Schindler, »erinnere ich mich nur, daß er dort eine Cantate geschrieben, die wir zwar mehrmale probirt, aber nicht bei Hof gemacht worden. Wir hatten alle Einwendungen über die schwierigen Stellen, welche vorkamen, und er behauptete, jeder müsse seine Stimme richtig vortragen können, daß wir dies könnten, bewiesen wir, allein da alle Figuren ganz ungewöhnlich waren, darin lag die Schwierigkeit. Vater Ries, der in Mergentheim die Direction hatte, erklärte auch seine Meinung ernsthaft, und so wurde sie nicht bey Hof produzirt, und wir haben nie mehr etwas davon gesehen.« Irrtümlich ist, daß die Kantate in Mergentheim komponiert worden sei; es kann sich nur um die Josephs-Kantate handeln.

Um wie viel länger der Kurfürst-Erzbischof und deutsche Hochmeister mit seinen Leuten7 in Mergentheim blieb, ist nicht ganz klar. Die öffentlichen Geschäfte waren am 20. Oktober beendigt, und Sänger wie Orchester waren früh genug wieder in Bonn, um sich für die Wiedereröffnung des Hoftheaters am 28. Dezember vorzubereiten. –

[274] Nur eins muß diesen musikalischen Erinnerungen aus jener Periode noch hinzugefügt werden: ein zweiter Besuch Joseph Haydns, welcher, nachdem er den Plan seiner Reise abgeändert hatte, im Juli von London über Bonn nach Wien zurückkehrte. Das kurfürstliche Orchester gab ihm ein Frühstück, wie früher der Madame Todi, zu Godesberg, und dort legte ihm Beethoven eine Kantate vor, »welche von Haydn besonders beachtet und ihr Verfasser zu fortdauerndem Studium aufgemuntert wurde«. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß damals zum Teil die Verabredungen getroffen wurden, unter welchen der junge Komponist wenige Monate später Schüler des alten Meisters wurde8.

Fußnoten

1 Theaterlexikon, Art. Nürnberg.


2 Zur genaueren Zeitbestimmung dieser Reise haben sich uns die alten Protokolle der Bonner Lesegesellschaft nützlich erwiesen. Simrock, Hornist in der Kapelle, dessen Teilnahme an der Reise sowohl aus dem unten folgenden Junkerschen Berichte, als auch aus einer ausdrücklichen Notiz in den genannten Protokollen (Ausschußsitzung vom 12. Oktober 1791) hervorgeht, war beständiger Kassierer dieser Gesellschaft und demgemäß in den allgemeinen wie in den Ausschußsitzungen regelmäßig anwesend. Sein Name findet sich noch am 28. Aug., während in der allg. Sitzung vom 1. Sept. kein Musiker (deren viele Mitglieder-waren) anwesend ist; am 27. Oktober ist er noch nicht zurückgekehrt, am 2. November aber sind Simrock, Paraquin, Pfau wieder da. Die Abreise geschah somit zwischen dem 28. August und dem 1. September, die Rückkehr wahrscheinlich in den letzten Tagen des Oktober 1791. Anm. d. Herausg.


3 So Wegeler, Notizen S. 17. Ganz ähnlich erzählte N. Simrock die Sache in einem Briefe an Schindler, dessen Abschrift sich in Thayers Nachlaß befindet. »Ich erinnere mich, daß mehrere der Kurfürstlichen Hofmusik bei unserer Durchreise in Aschaffenburg schicklich fanden, den Herrn Capellmeister Sterkel zu besuchen und Beethoven mit ihm bekannt zu machen. Wir wurden sehr freundschaftlich aufgenommen, und nach einigen Höflichkeiten war der Herr Capellmeister so gefällig, uns eine seiner Sonaten mit Violinbegleitung, welche Andreas Romberg übernahm, vorzutragen, in seinem eignen, zierlichen, sehr gefälligen Spiel. Darauf ersuchte er Beethoven zu spielen, und wünschte besonders seine unlängst in Maynz gestochenen Variationen über das Thema von Righini, Vieni Amore, von ihm selbst spielen zu hören: daß er gestehe, sie seyen ihm zu schwer, er könne sie nicht spielen – darauf suchte Herr Sterkel in einem Pack Musik, konnte aber das Exemplar nicht finden; wir hatten nun etwas Mühe Beethoven zu bewegen, daß er solche auswendig spielen möge. Es schien uns allen, Herr Capellmeister glaubte, Beethoven habe sie zwar geschrieben, könne sie aber vielleicht selbst nicht spielen. Dies bemerkte Beethoven selbst. Nun setzte er sich und spielte sie zum Erstaunen der gegenwärtigen Bönnischen, die ihn noch nie so gehört, ganz in der Manier des H. Capellmeister mit der größten Zier und brillanten Leichtigkeit, als seyen diese schweren Variat. wirklich ebenso leicht wie eine Sterkelsche Sonate, und hängte hieran noch ein paar ganz neue! Herr Capellmeister war in seinem Lobe unerschöpflich und verlangte durchaus, daß wir bei der Rückkehr ihn wiederbesuchen möchten – was aber der Eile wegen nicht geschah!«


4 »Sie ist aus Forchtenberg im Hohenlohischen gebürtig.«


5 »Auch 3 Son. für das Klav. kamen um diese Zeit im Bosslerschen Verlage von ihm heraus.«


6 Man wird hier zunächst an die Wiener Reise von 1787 zu denken haben. Auch soll er einmal bei der Westerholtschen Familie in Münster gewesen sein, als Graf Westerholt den Kurfürsten dorthin begleitete. Mäurer sagt in seinen mehrfach erwähnten Erinnerungen folgendes: »Der Churfürst Maximilian Franz schickte ihn nach Mainz zum Kapellmeister Sterkel, den er sehr schätzte; dort schrieb er die schönen Klaviertrios, welche Simrock gestochen hat; nachher schickte er ihn nach Wien, von wo er nie wieder nach Bonn zurückkam.« Das ist aber unsicher. Die Erzählung von der Mergentheimer Reise im Herbst 1791 läßt erkennen, daß Beethoven auf dieser Reise Sterkel zum ersten Male sah; also ist ein solcher Aufenthalt in Mainz vor jener Reise ausgeschlossen. Aber auch in dem einen Jahre, welches er dann noch in Bonn zubrachte, ist er schwerlich noch eine so lange Zeit, in welcher er die 3 Trios hätte schreiben können, dort gewesen, zumal Sterkel auf ihn ersichtlich keinen großen Eindruck gemacht hatte. Im Juli 1792 war er jedenfalls in Bonn, da er damals mit Haydn zusammentraf. Eine Bestätigung der früheren Entstehung der drei Trios, welche Thayer annahm, kann aus dieser Mitteilung nicht gefolgert werden. Anm. d. Herausg. [Vgl. S. 266–67 den Zusatz des Herausgebers. H.R.]


7 S. oben S. 264 Anm. Der Kurfürst begab sich nach Wien, wo er am 5. Nov. ankam und bis zum 21. Dezember blieb. Anm. d. Herausg.


8 Nach dem Wortlaute bei Wegeler (S. 10) sollte man schließen, daß dieses Vorlegen der Kantate bei Haydns erstem Besuche (oben S. 261) stattgefunden habe. Doch stimmt das Frühstück zu Godesberg nicht zu der Erzählung von jenem ersten Besuche, welcher zudem im Winter stattfand. Anm. d. Herausg.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 1, 3. Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1917.
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