Einundzwanzigstes Kapitel.

Die Musik in Wien im Jahre 1793.

Wir beginnen unsere Besprechung der Wiener Musikzustände mit dem musikalischen Drama1.

Der Enthusiasmus Josephs II. für eine deutsche Nationaloper, welchem wir bekanntlich Mozarts Entführung verdanken, bewährte sich nicht als dauernd, und die italienische opera buffa nahm ihre Stellung in seiner Neigung wieder ein. Die neu engagierte Gesellschaft war indessen imstande, Mozarts Figaro und Don Giovanni sowie Salieris Axur aufzuführen.

Leopold II. traf in Wien am Abend des 13. März 1790 ein, um den Thron seines verstorbenen Bruders einzunehmen; aber in den Hoftheatern wurde vorläufig keine Abänderung getroffen. Vor dem 5. Juli hatte er kein Theater betreten, und die erste Oper, der er beiwohnte, war Salieris Axur (am 21. September), in Gesellschaft seines Gastes, des Königs Ferdinand von Neapel. Als er sich aber hinlänglich auf dem kaiserlichen Throne befestigt, Josephs zahlreiche Reformen mit Erfolg beseitigt, den türkischen Krieg zum Abschluß gebracht und seine verschiedenen Krönungen glücklich beendet hatte, wandte er seine Gedanken auch dem Theater zu. »Der Kaiser hatte im Sinne«, schreibt der Schauspieler Lange (Biographie S. 167), »die Bühne auch in Ansehung der Mannigfaltigkeit der Schauspiele und der Pracht jedes einzelnen auf die höchste Stufe zu heben, und schonte hierbei keines Aufwandes. Zu einer ernsten italienischen Oper wurden große Sänger und Sängerinnen verschrieben; zu einem Ballete eine Gesellschaft Tänzer unter dem Balletmeister Muzarelli aufgenommen.« Salieri, obgleich damals erst 41 Jahre alt und bereichert durch eine Beobachtung und Erfahrung von mehr als 20 Jahren in der Leitung der Oper, erhielt nach Mosel die gnädige Erlaubnis, nach anderen und besseren Autoritäten jedoch die Anweisung, sich [368] vom Opernorchester zurückzuziehen und auf seine Verpflichtungen als Dirigent der geistlichen Musik in der Hofkapelle sich zu beschränken, sowie auf die Komposition einer Oper jährlich, wenn es verlangt würde. Die Wiener Zeitung vom 28. Januar 1792 erwähnt die Anstellung von Joseph Weigl, Salieris Schüler und Gehilfen, jetzt 25 Jahre alt, als »Kapellmeister und Kompositeur beim K. K. Nationalhoftheater, mit 1000 Gulden Gehalt«. Der Titel »Kompositeur« war ein leerer; obgleich beim Publikum schon vorteilhaft bekannt, wurde ihm verboten, neue Opern für die Hofbühne zu schreiben; zu diesem Zwecke sollten »berühmte Meister« nach Wien gezogen werden. Eine erste Frucht dieser neuen Ordnung der Dinge war die Aufführung von Cimarosas heimlicher Ehe (7. Febr. 1792), welche, mit gutem Grunde, Leopold so entzückte, daß er den Darstellern ein Souper gab und sie in das Theater zurückbefahl, um die Oper noch einmal zu hören. Es war eine der letzten Theatervergnügungen für den Kaiser; am 1. März starb er und seine Gemahlin am 15. Mai darauf. Deshalb waren die Hoftheater für den größeren Teil der Zeit vom 1. März bis zum 24. Mai geschlossen; und doch war während der 13 Monate, die mit dem 15. Dezember endeten, 180mal italienische Oper gewesen (134mal in der Burg und 46 mal im Kärntnertortheater) und 163mal Ballett, so daß, da für den Augenblick keine Veränderung eintrat, in diesen Zweigen der Kunst für einen jungen Komponisten wie Beethoven ein Überfluß zu hören und zu sehen war. Alle Erzählungen stimmen darin überein, daß die damalige Operngesellschaft von ungewöhnlicher Vorzüglichkeit war, und ihre Aufführungen mit jenen des ausgezeichneten Orchesters bewiesen den Wert der langen Erfahrung, des geläuterten Geschmacks, des unermüdeten Eifers und der tiefen Kenntnis ihres letzten Leiters, Salieri. Wie Beethoven die Oper in der ersten Woche des November 1792 fand, so blieb sie in den nächsten 2 Jahren; ausschließlich italienisch, aber vom ersten Range.

Durch einen besondern Zug eines ungewöhnlich guten Glücks hatte gerade damals eine kleinere, private Theaterunternehmung einen so glücklichen Erfolg gehabt, daß sie nach 10 Jahren imstande war, das beste Schauspielhaus in Wien zu errichten und einzunehmen und eine Zeitlang das Hoftheater in der Vorzüglichkeit und dem Glanze der Opernaufführungen zu übertreffen; wir meinen das Theater Schikaneders auf der Wieden. Im Jahre 1793 war freilich die Gesellschaft schwach, ihr Haus klein, ihre Aufführungen schlecht genug. Castelli, in seiner Knabenzeit und Jugend ein stehender Besucher (einmal war er sogar, als [369] Affe verkleidet, auf die Bühne gezogen worden bei den Zaubereien von Taminos Flöte), beschreibt das Gebäude in seinen Memoiren so: »Das alte Theater auf der Wieden im Freihaus wurde im Jahre 1786 von dem Baumeister Christian Roßbach erbaut und auch einige Zeit von ihm geleitet. Dann kam es in die Hände eines Schauspielers Namens Friedel, welcher es nur bis 1788 leitete. Hierauf übernahm es Anton Edler von Bauernfeld, mit welchem im Jahre 1789 Emanuel Schikaneder in Compagnie trat. Vom Jahre 1790 bis zum Jahre, 1801, wo das neue Theater eröffnet wurde, führte es Schikaneder allein.

Das Theater im Freihause war beiläufig so groß als das Josephstädter Theater, hatte aber nur zwei Stockwerke und sah einer großen länglich viereckigen Kiste nicht unähnlich. Wenn man von der Schleifmühlgasse in den Hof tritt, so steht uns ein langer Quertract gegenüber; die Hälfte dieses Quertractes rechts nahm das Theater ein. Man konnte von dieser Seite hineingehen; vor der entgegengesetzten Seite befand sich von dem Thore, welches auf den sogenannten Naschmarkt führt, bis zum Theater durch den ganzen langen Hof ein von Holz aufgeführter bedeckter Gang. Der Zuseherplatz war nur ganz einfach bemalt, und an der Bühne standen zu beiden Seiten des Portals zwei große Figuren in Lebensgröße, ein Ritter mit einem Dolch und eine Dame mit einer Larve. In das Parterre war der Eintritt mit 17 Kr. und im letzten Stock mit 7 Kr. festgesetzt.« (Mem. I, 229.)

Trotz des rosenfarbenen Scheines, welcher die Erinnerungen eines alten Mannes an seine Kindheit zu umgeben pflegt, bestätigt Castellis Erzählung von Schikaneder und seiner Gesellschaft als Schauspieler hinlänglich die Worte eines Schriftstellers jener Zeit: »Die beiden noch einigermaßen erheblichen Theater (außer den Hoftheatern) sind jenes des Schikaneder auf der Wieden, und das des Marinelli oder das sogenannte Kasperl in der Leopoldstadt. Auf beiden werden deutsche Schauspiele und deutsche Operetten gegeben. Was Dekoration, Kleidung und Execution des Orchesters betrifft, so ließe sich das alles in beiden Theatern noch wohl sehen und hören; desto schlechter aber ist dort der Singsang und das Spiel. Da auf dem Hoftheater die italienischen Opern so vortrefflich aufgeführt werden, so wagt es wohl keins von den Deutschen diese zu übersetzen und wieder aufzutischen; dahingegen wird alles auf diesen Theatern gezaubert; so hat man z.B. die Zauberflöte, den Zauberring, den Zauberpfeil, den Zauberspiegel, die Zauberkrone, und andere dergleichen elende Zaubereien mehr, bei deren Ansehen und Anhören sich [370] einem das Inwendige umkehren mögte. Text und Musik tanzen ihren kläglichen Reigen nebeneinander – die Zauberflöte ausgenommen – so daß man nicht weiß, ob der Dichter den Kompositeur oder dieser jenen an Schmiererei habe übertreffen wollen. Dazu kömmt noch, daß diese miserablen Produkte noch miserabler vorgestellt werden. Mozarts treffliche Musik zu der Zauberflöte wird auf dem Theater des Schikaneder so genothzüchtigt, daß man vor dem Jammer davon laufen möchte. Auch nicht ein einziger Sänger, nicht eine einzige Sängerin ist da zu hören, die sich in dem Gesange oder in der Action nur über das Mittelmäßige erhoben hätte. Eben so stehet es mit der deutschen Oper auf dem Theater des Marinelli; doch hat dieser noch zwei oder drei singende Personen, die erträglich sind.«

Schikaneders Kapellmeister und Komponist war J. B. Henneberg, der Marinellis Wenzel Müller, welcher bereits die lange Reihe seiner 227 leichten und populären Kompositionen zu zauber- und possenhaften Texten eröffnet hatte.

Etwa zwei Wochen nach Beethovens Ankunft in Wien (am 23. Nov.) kündigte Schikaneder (fälschlich) die 100ste Aufführung der Zauberflöte an, einer Oper, deren Erfolg sein Theater wenige Jahre später auf einen ganz neuen Fuß brachte und Beethoven in ein anderes Verhältnis zu ihm setzte, als das eines gewöhnlichen Besuchers, der nur seiner Liebhaberei fürs Komische nachging und sich nach Seyfried dabei an sehr schlechter Musik herzlich erfreute.

Die vornehmsten dramatischen Komponisten Wiens, die noch nicht genannt sind, müssen hier vorübergehend erwähnt werden. Außer Cimarosa, welcher Wien wenige Monate später verließ, fand Beethoven Peter Dutillieu, einen Franzosen von Geburt, aber italienischen Musiker nach Ausbildung und Stellung; er war engagiert als Komponist für das Hoftheater. Seine Oper Il Trionfo d'amore war dort am 14. Nov. 1791 aufgeführt worden, und seine Nannerina e Padolfino war kürzlich auf die Bühne gekommen. Ignaz Umlauf, der Komponist der schönen Schusterin und anderer einst nicht unpopulärer Opern, hatte den Titel eines Kapellmeisters und Komponisten der deutschen Hofoper und war Salieris Stellvertreter als Kapellmeister bei der geistlichen Musik in der Hofkapelle. Franz Xaver Süßmayr, durch seine Verbindung mit Mozart wohlbekannt, schrieb damals gerade für Schikaneders Bühne, Schenk für Marinellis Theater oder für die Privatbühnen des Adels, und Paul Wranitzky, der erste Violinist und [371] sogenannte Musikdirektor im deutschen Hoftheater, Verfasser des damals berühmten, für das Theater auf der Wieden komponierten Oberon, beschäftigte sein sehr respektables Talent sowohl für Marinelli als für Schikaneder.

Die Kirchenmusik Wiens scheint in den Jahren 1792/93 auf einem sehr niedrigen Standpunkte gestanden zu haben. Zwei Komponisten jedoch, deren Namen in der Musikgeschichte noch jetzt von Bedeutung sind, und welche sich fast ausschließlich auf diesen Zweig der Kunst verlegten, waren damals in Wien: der Hoforganist Albrechtsberger, welcher wenige Monate nachher durch den Tod Leopold Hoffmanns (17. März 1793) Musikdirektor an St. Stephan wurde, und Joseph Eybler, etwa 5 Jahre älter als Beethoven, eben Regens chori in der Karmeliterkirche geworden, von wo er zwei Jahre später zu einer ähnlichen aber besseren Stelle an der Schottischen Kirche berufen wurde.

Öffentliche Konzerte, wie wir jetzt diesen Ausdruck verstehen, haben, wie man wohl sagen kann, damals nicht existiert, und regelmäßige Subskriptionskonzerte waren selten. Mozart gab einige Serien von solchen; doch nach seinem Tode scheint es in der musikalischen Welt niemanden von hinlänglichem Namen gegeben zu haben, um eine solche Spekulation mit Erfolg anstellen zu können. Einzelne Subskriptionskonzerte, gegeben von Virtuosen, und jährliche von einigen der besten in Wien ansässigen Musiker veranstaltete fanden natürlich damals statt, wie vorher und nachher. Die einzigen wirklichen und regelmäßigen öffentlichen Konzerte waren die vier jährlichen Aufführungen im Burgtheater, zwei zu Weihnachten und zwei zu Ostern, zum Benefiz der Witwen und Waisen der Musiker. Diese Konzerte, hauptsächlich von Gaßmann und Salieri veranstaltet, waren niemals exklusiv in ihren Programmen: Oratorien, Sinfonien, Kantaten, Konzerte, alles, was ihre Anziehungskraft vermehren konnte, fand Aufnahme. Die Bühne füllte sich in ihnen mit den besten Musikern und Sängern der Hauptstadt, und das vortreffliche Orchester war ebenso bereit, das Spiel eines Mozart zu begleiten, wie das irgend eines momentan erscheinenden Wunderkindes. Risbeck hörte 10 Jahre früher, daß die Zahl der Teilnahme an Orchester und Chor gerade damals bei einigen Gelegenheiten 400 erreichte; eine Angabe, die jedoch etwas nach Übertreibung aussieht.

Ein sehr ungewöhnliches, halb privates Konzert wurde noch im Jahre 1793 eingerichtet. Der Leser der Biographie Mozarts wird sich erinnern, daß dieser sich 1782 mit einem gewissen Martin verband, um [372] eine Serie von Konzerten während der Morgenstunden in der Augartenhalle zu geben, wobei die meisten der Ausführenden Dilettanten waren, und wozu die Musik aus der Bibliothek des Vizepräsidenten v. Kees geliefert wurde. Die Konzerte fanden solchen Anklang, daß sie für einige Jahre erneuert wurden; gewöhnlich waren ihrer 12 an der Zahl. »Selbst von dem höchsten Adel ließen sich Damen hören. Das Auditorium war sehr brillant, und Alles ging mit einer Ordnung und mit einem Anstand, daß Jedermann nach allen Kräften zur Unterstützung des Instituts gern beitrug. Den Ertrag des geringen Abonnements verwendete man ganz auf die Unkosten. Nachher übernahm Hr. Rudolph die Direction2.« Dieser Mann, noch jung und ein tüchtiger Violinspieler, war Direktor, als Beethoven nach Wien kam; und man konnte noch das ungewöhnliche Schauspiel sehen, wie Fürsten und Adlige sich seiner Leitung in der Ausführung von Orchestermusik unterwarfen, vor einer Zuhörerschaft von ihrem eigenen Stande, zu der ungewöhnlichen Zeit von 6 bis 8 morgens.

Aus dem Obigen geht hervor, daß Wien dem jungen Musiker weder in der Oper und Kirchenmusik, noch in den öffentlichen Konzerten bedeutende Vorteile für die Zukunft versprach. Andere Städte kamen Wien in den beiden ersten Hinsichten gleich, und London war damals in allem voraus: in der Zahl, der Mannigfaltigkeit und der Großartigkeit der letzteren, wie noch heutzutage. Es war ein anderes Gebiet, worin Wien all seine Konkurrenten übertraf. Wie Gluck zwanzig Jahre vorher, nach dem Anstoße, den der Franzose Rameau und der Engländer Arne gegeben hatten, die große Revolution in der Opernmusik begonnen hatte, die Mozart vollendete, so bewirkte Haydn, auf den Grundlagen der Bachs fortbauend und unterstützt von Mozart, eine neue Entwicklung der reinen Instrumentalmusik, welche ihre höchste Stufe durch den Genius und die Kühnheit des jungen Mannes erreichen sollte, der jetzt sein Schüler war. Und wie früher bei Gluck, so war auch jetzt wieder Wien der Schauplatz des Kampfes und des Sieges; denn ein Kampf ging vorher, ehe der Sieg vollständig war.

Das Beispiel, welches die österreichische Kaiserfamilie so manches Jahr hindurch gegeben, hatte seine natürliche Wirkung hervorgebracht, und Kenntnis und Geschmack in der Musik war unter den Fürsten und Edlen des Reiches allgemein verbreitet. Einige der reicheren Fürsten, wie Esterhazy, unterhielten vollständige musikalische Institute, selbst bis zu einer [373] italienischen Oper; andere waren damit zufrieden, wenn sie in ihrer Hauskapelle eine musikalische Messe mit Orchesterbegleitung hören konnten; wo das unmöglich war, da wurde wenigstens ein kleines Orchester eingerichtet, häufig aus den Beamten und Dienern zusammengesetzt, welche mit Rücksicht auf ihre musikalischen Fähigkeiten ausgewählt waren; und so weiter abwärts bis zu einer Harmoniemusik, einem Streichquartett und sogar zu einem einzigen Organisten, Klavierspieler oder Violinisten. Was in einem früheren Kapitel über die Musik als einer gleichsam notwendigen Sache für die Höfe der kirchlichen Fürsten gesagt wurde, das findet in großem Maßstabe auch auf den weltlichen Adel Anwendung. Auf ihren Schlössern und Landsitzen im Sommer mußte für manche sonst langweilige Stunde Unterhaltung geschafft werden, und in ihren städtischen Residenzen während des Winters konnten sie und ihre Gäste auch nicht immer essen, tanzen und Karten spielen; hier wurde sogar die Musik zu einer allgemeinen und beliebten Unterhaltung; jedenfalls gehörte sie zum Tone. Außer den Personen von hoher Geburt folgten auch solche, die durch Talent, Bildung oder Reichtum eine hohe gesellschaftliche Stellung einnahmen, jenem Beispiele und öffneten Musikern und Musikliebhabern ihre Salons, meistenteils durch wirklichen, zuweilen durch affektierten Geschmack für die Kunst dazu bewogen, in jedem Falle sie in ihrem Fortschritte unterstützend und ermunternd. Daraus entstand eine ungemein große Nachfrage nach Kammermusik, vokaler und instrumentaler, namentlich aber nach letzterer. Die Nachfrage brachte die Befriedigung mit sich, indem sie Genies und Talente ermutigte, in dieser Richtung zu arbeiten; und so errang die österreichische Schule der Instrumentalmusik bald den ersten Rang in der Welt.

Während einiger Monate im Jahre war Wien angefüllt von dem hohen Adel, nicht bloß aus Österreich, sondern auch aus anderen Teilen des deutschen Reiches. Jene, welche ihre meiste Zeit an ihren eigenen kleinen Höfen zubrachten, kamen für eine kurze Zeit in die Hauptstadt; andere machten es umgekehrt, ihre gewöhnliche Residenz war die Hauptstadt, und ihre Besitzungen besuchten sie nur im Sommer. Von jenen ersteren wurde mancher namhafte Komponist, der in ihrem Dienste stand, auf diese Weise gelegentlich für kurze Zeit in die Metropole gebracht, wie Mozart von dem Erzbischof von Salzburg, Haydn vom Fürsten Esterhazy; von den letzteren wurden häufig ausgezeichnete Komponisten und Virtuosen, die in der Stadt wohnten, für den Sommer aufs Land gezogen, die dann wie Gleichstehende behandelt wurden und wie hohe [374] Herren unter Herren lebten. So war Salieri Gast beim Fürsten Schwarzenberg, Schenk bei Auersperg, Mozart reiste mit Lichnowsky nach Berlin, Dittersdorf mit Graf Lemberg nach Troppau; Gyrowetz besuchte den Grafen Fünfkirchen, und so manche andere in gleicher Weise.

Ein ferneres Mittel, die Kunst zu fördern, war das Bestellen und Kaufen von Kompositionen, und zwar nicht bloß von Komponisten von festgegründetem Rufe, wie Haydn, Mozart, C. Ph. E. Bach, sondern auch von jungen und noch unbekannten Männern, welchen dadurch die doppelte Wohltat einer Geldunterstützung und der Gelegenheit, ihre Fähigkeit zu zeigen, zugewendet wurde. So kauften Fürst Kraczalkowitz und Graf Batthyany von dem jungen Gyrowetz seine sechs Sinfonien; Esterhazy bestellte bei ihm drei Messen, eine Vesper und ein Tedeum; Auersperg verwendete Schenks Talente für sein Privattheater; und was Kammermusik betrifft, so enthalten die Kataloge von Privatsammlungen aus jenen Tagen lange Reihen handschriftlicher Werke, die von jetzt ganz vergessenen Verfassern bestellt oder gekauft waren.

Instrumentalvirtuosen, welche nicht dauernd im Dienste eines Fürsten oder Theaters engagiert waren, suchten in der Regel die Belohnung für ihre Studien und Bemühungen in den Privatkonzerten des Adels. Wenn sie zugleich Komponisten waren, so brachten sie in solchen Konzerten ihre Kompositionen zu Gehör. Der Leser von Mozarts Leben wird sich erinnern, wie sehr gerade er von dieser Hilfsquelle abhing, um den Unterhalt für sich und die Seinigen zu erwerben. Man kann sagen, daß außer in London im Jahre 1793 ein musikalisches Publikum, wie wir den Ausdruck jetzt verstehen, nicht existierte; in Wien wenigstens, mit seinen 200000 Einwohnern, wagte selten ein Virtuose ein Konzert anzuzeigen, für welches er nicht bereits von seiten solcher, in deren Residenzen er seine Fertigkeit schon mit Erfolg produziert hatte, eine Subskription erhalten hatte, die genügend war, ihn gegen einen Verlust zu sichern. So erwähnt Mozart, der in einem Briefe an seinen Vater (1783) seine 3 Subskriptionskonzerte ankündigt, 5 Engagements beim Fürsten Galitzin zu spielen zwischen dem 26. Febr. und dem 25. März, und 9 beim Grafen Johann Esterhazy für den März; und im folgenden Jahre schreibt Leopold Mozart an seine Tochter, daß das Klavier ihres Bruders zwischen dem 10. Februar und dem 12. März wenigstens 12mal ins Theater, oder zum Fürsten Kaunitz, oder zum Grafen Zichy gebracht worden sei. Beethoven, »bleibend in Wien ohne Gehalt bis er einberufen [375] wird«, fand in diesen Hilfsquellen und in seinen Unterrichtsstunden ein reichliches Einkommen.

Doch dieser Gegenstand erfordert noch einige fernere Bemerkungen.

Etwa 12 Jahre früher, als Beethoven nach Wien kam, hatte Risbeck, wo er von der Kunst in dieser Hauptstadt spricht, geschrieben: »Die Musiken sind das Einzige, worin der Adel Geschmack zeigt. Viele Häuser haben eine besondere Bande Musikanten für sich, und alle öffentlichen Musiken beweisen, daß dieser Theil der Kunst in vorzüglicher Achtung hier steht. Man kann hier 4 bis 5 große Orchester zusammenbringen, die alle unvergleichlich sind. Die Zahl der eigentlichen Virtuosen ist gering; aber was die Orchestermusiken betrifft, so kann man schwerlich etwas schöneres in der Welt hören. Ich habe schon gegen 30 bis 40 Instrumente zusammenspielen gehört, und alle geben einen so richtigen, reinen und bestimmten Ton, daß man glauben sollte, ein einziges übernatürlich starkes Instrument zu hören. Ein Strich belebt alle Violinen, und ein Hauch alle blasenden Instrumente .... Es sind gegen 400 Musikanten hier, die sich in gewisse Gesellschaften theilen und oft viele Jahre lang ungetrennt zusammen arbeiten.« (I, 279.)

Wie viele solcher Orchester noch 1792–93 unterhalten wurden, ist jetzt wohl unmöglich zu bestimmen; die von Fürst Lobkowitz, Schwarzenberg und Auersperg können mit Sicherheit genannt werden. Graf Heinrich von Haugwitz und ohne Zweifel auch Graf Batthyany brachten ihre Musiker mit sich, wenn sie für die Saison nach der Hauptstadt kamen. Die Esterhazysche Kapelle, welche nach dem Tode von Haydns früherem Herrn entlassen worden war, scheint noch nicht wieder erneuert gewesen zu sein. Fürst Grassalkowitz (oder Kraczalkowitz) hatte die seinige auf eine »Harmonie-Musik« beschränkt, einen Verein von acht Blasinstrumenten (je 2 Oboen, Klarinetten, Fagotte und Hörner), wie es damals sehr gebräuchlich war. Baron Braun hatte eine solche, die während des Mittagessens spielen mußte, wie es bei dem Abendessen im Don Juan geschieht; diese Zugabe zur Szene hatte also Mozart aus eigener häufig gemachter Erfahrung beigefügt. Fürst Karl Lichnowsky und andere hielten noch ihre eigenen Streichquartetts.

Die Großen der böhmischen und mährischen Hauptstädte, Kinsky, Clam, Nostiz, Thun, Buquoi, Hartig, Salm-Pachta, Spork, Fünfkirchen, Troyer usw. wetteiferten mit dem österreichischen und ungarischen Adel. Viele von ihnen hatten auch in Wien Paläste, und da die Mehrzahl, wenn nicht alle, einen Teil des Jahres dort zubrachten [376] und dann einige der geschickteren Mitglieder ihrer Orchester mitbrachten, um Kammermusik aufzuführen und den Kern einer Gesellschaft zu bilden, wenn Sinfonien, Konzerte oder große Vokalwerke aufgeführt werden sollten, so trugen sie ebensowohl zu dem musikalischen, wie zu dem politischen und geselligen Leben in der Metropole ihren Teil bei.

In einer Hinsicht hatte seit dem Besuche des Kapellmeisters Reichardt, zehn Jahre vorher (1783), keine Veränderung stattgefunden. »Der Adel war [sagt er] der allermusicalischste, den es vielleicht je gegeben; das ganze lustige Volk nahm Theil an der frohen Kunst, und sein leichter Sinn, sein sinnlicher, genußliebender Character erheischten Abwechselung und eine überall belustigende Musik. Bei der Freigebigkeit des Hofes und Adels, dem allgemeinen Wohlstande des Publikums und der unglaublichen Wohlfeilheit der Lebensmittel konnte eine Menge fremder Künstler Wien besuchen, und sich auch wohl Zeitlebens ohne alles feste Engagement dort aufhalten: welches in Berlin höchstens für Musiklehrer und besonders für Klavierlehrer möglich war, die aber Alle und damals gewiß mit Recht an die bachische Schule gebunden waren3

In einer andern Hinsicht war ein Wechsel eingetreten: in dem Charakter der aufgeführten Musik. »Wien war damals«, sagt er, »auch gewiß, nach Paris, die erste Stadt in Europa für ausübende Musik und es fehlte ihr nichts als eine größere Mannigfaltigkeit in den vorgetragenen Werken. Die Arbeiten fremder Meister drangen auch damals sehr schwer durch – wie es denn überall so geht, wo man sich einbildet die einzig wahre Kunst und den besten Geschmack zu besitzen und sich aus Selbstbehaglichkeit gern auf ein einseitiges Genre beschränkt. Bis dahin war es auch mit Berlin der Fall; oder wo die Componisten, wie in Wien und Paris, von ihren Arbeiten lebten4

Die folgenden zehn Jahre, seitdem dieses Urteil gefällt worden, hatten eine große Veränderung hervorgebracht, und Abwechselung war länger kein Erfordernis. Die erstaunlich fruchtbaren letzten acht Jahre Mozarts waren in diesen Zeitraum gefallen, seine eigenen Kompositionen waren ungemein mannigfaltig in ihrem Charakter und hatten Muster aufgestellt, welche andere Komponisten zwangen, auf dem eingeschlagenen Wege fortzugehen. Haydn war gerade zurückgekehrt, bereichert mit den Erfahrungen, die er während seines ersten Aufenthaltes in London gesammelt [377] hatte. Van Swieten hatte während seines Aufenthalts in Berlin die Werke Händels, Bachs und ihrer Schulen würdigen und schätzen gelernt und übte seit seiner Rückkehr nach Wien (um 1778) einen entschiedenen und mächtigen Einfluß auf den musikalischen Geschmack Wiens aus.

So waren alle vorausgehenden Bedingungen zu einem Aufblühen der Kunst in Wien zu jener Zeit erfüllt, und in einem Gebiete, dem der Instrumentalmusik, in einem in anderen Städten unbekannten Grade. Die außerordentlichen Resultate hinsichtlich der in jenen Jahren produzierten Quantität kann man aus dem Kaufkataloge eines einzigen Musikalienhändlers, Johann Traeg, von 1799 ermessen, welcher an Sinfonien, Sinfoniekonzerten und Ouvertüren (die letzten in einer kleinen Minorität) die ungewöhnliche Zahl von 512 enthält. Wer die Programmusik unserer Zeit für etwas Neues halten will, braucht nur die Anzeigen in den Zeitungen jener Tage zu lesen, um in fast endloser Mannigfaltigkeit Überschriften von Sinfonien zu sehen wie: La Tempesta, La Bataille, Siege of Vienne, Portrait musical de la nature, King Lear, Ovids Metamorphosen (12 Sinfonien von Dittersdorf) usw.

Vielleicht war es nur die drängende Phantasie des jungen Mannes aus Bonn gewesen, welche einmal von der Möglichkeit geträumt hatte, die Instrumentalmusik noch über die von Haydn und Mozart erreichten Grenzen hinauszuführen; vielleicht waren diese Träume nur vage und unbestimmte Eindrücke von etwas Unbekanntem gewesen, was noch erreicht werden müßte, und zwar auf bis jetzt noch verborgenen Pfaden. Lassen wir aber eine solche Möglichkeit zu, dann war jetzt die Zeit und Wien der Ort für die Ankunft eines großen schöpferischen Genies auf diesem Gebiete, wie es London 50 Jahre früher für Händel im Oratorium war.

Die in Privatkonzerten aufgeführte Musik umfaßte alle Gattungen vom Oratorium, der Oper, der Sinfonie bis zur Klaviervariation und dem einfachen Liede. Solche Konzerte wurden während des zweiten Winters, den Beethoven in Wien zubrachte (wenn nicht schon während des ersten, wie Schönfeld und andere berichten), veranstaltet von den Fürsten Lobkowitz, Lichnowsky, Liechtenstein, Esterhazy, Schwarzenberg, Auersperg, Kinsky, Trautmannsdorf und Sinsendorf, von den Grafen Appony, Browne, Ballassa, Franz und Johann Esterhazy, Czernin, Hoyos, Erdödy, Fries, Strassaldo und Zichy; von den Gräfinnen Hatzfeld und Thun; den Baronen Lang, Partenstein, van Swieten und v. Kees; den Hofräten Meyer, Greiner, Paradies; dem Fräulein Martinez, dem Bankier Henikstein und [378] anderen. Diejenigen unter den besten Musikern und Komponisten, deren Verhältnisse es erlaubten, gaben auch Privatkonzerte, in welchen sie sich und ihre Werke bekannt machten, und zu welchen ihre Kollegen eingeladen wurden. O'Kelly, der irische Sänger, der erste Basilio in Figaros Hochzeit, begegnete Mozart zuerst in einer solchen Versammlung bei Koželuch, wo die damals beliebten Komponisten Vanhall und Dittersdorf ebenfalls zugegen waren.

Franz Joseph Max Fürst Lobkowitz war zu der Zeit, als Beethoven nach Wien kam, ein junger Mann (geb. den 7. Dezember 1772) und hatte eben (am 2. August) eine Tochter des Fürsten Schwarzenberg geheiratet. Er war ein Violinspieler von ziemlicher Fertigkeit und ein so hingebender Liebhaber von Musik und Drama, daß er sein ganzes Einkommen dafür verschwendete und in 20 Jahren vollständig Bankerott machte. Genau in Beethovens angenommenem Alter kam er mit ihm in ein außerordentlich vertrautes Verhältnis; gelegentlich stritten sie miteinander und hatten Differenzen, als wenn sie durch die Geburt einander ganz gleich ständen.

Der regierende Fürst Esterhazy war jener Paul Anton, welcher nach dem Tode seines Vaters (28. Sept. 1790) das musikalische Institut zu Esterhaz aufhob und Joseph Haydn aus seinem 30 jährigen Dienste entließ. Er starb am 22. Jan. 1794, und ihm folgte sein Sohn Nikolaus, ein junger Mann, gerade fünf Jahre älter als Beethoven. Fürst Nikolaus erbte seines Großvaters Geschmack für Musik, engagierte wieder ein Orchester und wurde bald als einer der eifrigsten Förderer katholischer Kirchenmusik bekannt. Die besten Komponisten Wiens, Beethoven eingeschlossen, schrieben Messen für die Kapelle in Esterhaz, wo sie mit großem Glanze aufgeführt wurden.

Graf Johann Nepomuk Esterhazy, »von der mittleren Linie zu Frakno«, war ein Mann von 45 Jahren; er spielte fertig die Oboe, und was ihm zur Ehre gereicht, er war ein treuer Freund und Beschützer Mozarts gewesen.

Von Graf Franz Esterhazy, einem Manne von 35 Jahren, sagt Schönfeld in seinem »Jahrbuch der Tonkunst«: »Dieser große Musikfreund gibt in gewissen Zeiten des Jahres sehr große und herrliche Akademieen, in welchen meistens große erhabene Stücke aufgeführt werden, besonders die Hendelschen Chöre, das Heilig von Emanuel Bach, das Stabat Mater von Pergolese und dergleichen. Dabei findet sich immer eine Auswahl der besten Virtuosen.«

[379] Nicht der damals regierende Fürst Joseph Kinsky (welcher 1798 in seinem allsten Jahre starb) war es, der in einer späteren Periode ein hervorragender Beschützer Beethovens wurde, sondern sein Sohn Ferdinand Joh. Nep., damals ein blühender Knabe von 11 Jahren (geb. d. 4. Dez. 1781), auf dessen jugendlichen Geschmack die Kraft, Schönheit und Neuheit der Werke jenes Meisters einen tiefen Eindruck machten.

Fürst Carl Lichnowsky, der Schüler und Freund Mozarts, hatte jeden Freitag morgen Quartettaufführung in seinem Hause. Schuppanzigh, Sohn eines Professors an der Realschule und damals ein junger Mensch von 16 Jahren (wenn die musikalischen Wörterbücher zuverlässig sind), spielte erste Violine, Louis Sina, ein Schüler E. A. Försters und ebenfalls noch ein sehr junger Mann, zweite, Franz Weiß (der am 18. Jan. 1793 sein 15. Jahr vollendete) Viola, und Anton Kraft, oder sein Sohn Nikolaus, ein Knabe von 14 Jahren (geb. den 18. Dez. 1778), Violoncell. Es war in der Tat ein Quartett von Knabenvirtuosen, aus welchem Beethoven, der einige Jahre älter war, machen konnte, was er wollte5. Die Gemahlin des Fürsten war Marie Christine (28 Jahre alt), eine von den »drei Grazien«, wie Georg Förster die Töchter jener Gräfin Thun nennt, in deren Hause Mozart so hohe Würdigung und warme Freundschaft fand, und deren edle Eigenschaften von Burney, Reichardt und Forster so sehr gepriesen werden. Die Fürstin sowohl wie ihr Gemahl gehörten zu den besseren Dilettanten im Klavierspiel.

Hofrat von Kees, Vizepräsident des Appellationsgerichtshofes von Nieder-Österreich, war noch am Leben. Er war, sagt Gyrowetz in bezug auf eine etwas frühere Periode, »als der erste Musikfreund und Dilettant in Wien anerkannt und gab wöchentlich zweimal in seinem Hause Gesellschafts-Konzerte, wo die ersten Virtuosen, die sich damals in Wien befanden, und die ersten Compositeurs, als Joseph Haydn, Mozart, Dittersdorf, Hoffmeister, Albrechtsberger, Giarnovichi u.s.w. versammelt waren; dort wurden Haydns Symphonien aufgeführt«. In Haydns Briefen an Frau von Genzinger6 kommt v. Kees' Name häufig vor, das letztemal in einem Billett vom 4. August 1792, worin der Schreiber erwähnt, daß er an jenem Tage bei dem Hofrat speisen werde. Dieser ausgezeichnete Mann hinterließ bei seinem Tode (am 5. Januar [380] 1795) eine sehr reiche Sammlung von Musikalien, bestehend nach der Auktionsanzeige »aus Symphonien, Conzerten, Arien, Chören, Kirchenstücken und ganzen Opern, welche mit Mühe von dem Eigenthümer gesammelt oder von den Meistern für ihn ausgesucht worden, zum Theil in seinem alleinigen Besitze waren«. Die Liste der Autoren zählt im ganzen 138 Namen, unter denen kaum einer der bedeutenden Instrumentalkomponisten bis zu jener Zeit herab fehlt.

Gottfried Freiherr van Swieten, Sohn des berühmten holländischen Arztes der Maria Theresia, »ist gleichsam«, sagt Schönfeld, »als ein Patriarch in der Musik anzusehen. Sein Geschmack ist blos für das Große und Erhabene. Er hat selbst vor vielen Jahren 12 schöne Symphonien geschrieben [›so steif wie er selbst‹, sagte Joseph Haydn]. Wenn er sich bei einer Akademie zugegen findet, so lassen ihn unsere Halbkenner nicht aus den Augen, um aus sei nen Mienen (welche jedoch nicht jedem verständlich genug sein mögen) zu lesen, was sie etwa für ein Urtheil über das Gehörte fällen sollen. Er gibt alle Jahre einige sehr große und prächtige Musiken, wo nur Stücke von alten Meistern aufgeführt werden. Vorzüglich liebt er den Hendelschen Styl, von welchem er meistens große Chöre aufführen läßt. Erst am verwichenen Weihnachtsfeste (1794) gab er eine solche Akademie beim Fürsten von Paar, wo ein Oratorium von diesem Meister aufgeführt wurde«. Neukomm erzählte Professor Jahn7, daß in Konzerten, wenn etwa einmal ein flüsterndes Gespräch entstand, Se. Exzellenz, die in den ersten Reihen zu sitzen pflegte, sich mit feierlichem Anstand in ihrer ganzen Länge erhob, dem Schuldigen sich zuwandte, ihn lange mit ernstem Blicke maß und sich langsam wieder niedersetzte. Das habe jedesmal gewirkt. Van Swieten hatte einige eigentümliche Begriffe von Komposition: er hatte z.B. eine Vorliebe für die Nachahmung von Naturlauten in der Musik und zwang Haydn zur Nachahmung der Frösche in den Jahreszeiten. Haydn selbst bestätigt es, indem er sagt: »Diese ganze Stelle als eine Imitation eines Frosches ist nicht aus meiner Feder geflossen, es wurde mir aufgedrungen diesen französischen Quark niederzuschreiben. Mit dem ganzen Orchester verschwindet dieser elende Gedanke gar bald, aber als Klavier-Auszug kann derselbe nicht bestehen. Mögen die Rezensenten nicht so strenge verfahren; ich bin ein alter Mann und kann das alles nicht noch einmal durchsehen.« Jedenfalls muß man aber van Swieten [381] den Ruhm lassen, in Wien den Geschmack für Händels Oratorien und Bachs Orgel- und Klaviermusik begründet und dadurch ein neues Element der dortigen Musik hinzugefügt zu haben. Die Kosten, welche solche Aufführungen von Oratorien verursachten, wurden jedoch nicht von ihm bestritten, wie Schönfeld anzudeuten scheint, sondern von einer Gesellschaft, welche durch ihn ins Leben gerufen war, und deren beständiger Sekretär er war. Mitglieder derselben waren die Fürsten Liechtenstein, Esterhazy, Schwarzenberg, Auersperg, Kinsky, Trautmannsdorf, Sinsendorf, die Grafen Czernin, Harrach, Erdödy und Fries; in ihren Palästen sowohl wie in dem van Swietenschen Hause (neben dem Hotel zum römischen Kaiser, damals »zu den drei Hacken« genannt, in der Renngasse) und zuweilen in den großen Hallen der K. Bibliothek fanden die Aufführungen mittags vor einem Auditorium von eingeladenen Gästen statt.

Fräulein Martinez, welche eine so hervorragende Stelle in Burneys Beschreibung seines Besuches in Wien einnimmt, eine Schülerin Porporas, in dessen Musikstunden vierzig Jahre früher der junge Joseph Haydn als Begleiter verwendet worden war, lebte noch in dem Michaels-Hause und gab während der Saison jeden Samstag abend musikalische Gesellschaften.

»Herr Hofrath und Kammerzahlmeister von Meyer«, sagt Schönfeld, »ist ein so ausgezeichneter Liebhaber der Tonkunst, daß sein ganzes Personal in der Kanzlei musikalisch ist, unter welchen Künstlern sich dann auch ein Raphael und Hauschka befinden. Es ist also leicht begreiflich, daß sowohl hier in der Stadt als wann sich selbiger auf dem Lande befindet sehr viel bei ihm musizirt wird. Auch haben seine Majestät der Kaiser selbst schon solchen Musiken beigewohnt.«

Diese Skizzen genügen, um die Bemerkungen zu erläutern und zu bestätigen, welche oben über Wien als den Mittelpunkt der Instrumentalmusik gemacht worden sind. Unter der großen Zahl von Komponisten in diesem Zweige der Kunst, welche Beethoven dort fand, müssen noch einige der bedeutenderen genannt werden.

Natürlich stand Haydn an der Spitze. Dem Range nach der nächste, aber in weitem Abstande von ihm, war Mozarts Nachfolger im Dienste eines kaiserlichen Kammerkomponisten, Leopold Koželuch, ein Böhme, damals eben 40 Jahre alt. Obgleich jetzt vergessen, und nach Beethovens Ausdruck »miserabilis«, war er damals durch seine Quartette und seine Kammermusik in Europa berühmt. Wie groß sein Ruhm in England war, werden wir unten sehen.

[382] Ein Mann von geringerem Ruhme bei der Masse, aber von solidem Talente, dessen Kenntnisse die von Koželuch weit übertrafen, den Beethoven in hohem Grade schätzte und 20 Jahre später seinen alten Lehrer nannte, war Emanuet Aloys Förster, ein Schlesier, damals 45 Jahre alt. Seine Quintette, Quartette und ähnlichen Werke waren sehr geschätzt, aber zu jener Zeit größtenteils nur handschriftlich bekannt.

Anton Eberl, 5 Jahre älter als Beethoven, ein Wiener von Geburt, hatte in seinem 16. Jahre 2 Operetten komponiert, die im Kärntnertortheater aufgeführt worden waren, und von denen eine dem Komponisten den Beifall Glucks verschafft hatte. Er scheint ein Günstling Mozarts gewesen zu sein und strebte so sehr, im Geiste und Stile dieses Meisters zu schreiben, daß einige seiner Werke von unehrlichen Verlegern unter Mozarts Namen gedruckt und durch Europa verbreitet wurden. 1796 begleitete er die Witwe Mozart und ihre Schwester, Madame Lange, auf ihrer Reise durch Europa und erwarb sich auch in anderen Städten den Ruhm als Klavierspieler und Komponist, den er in Wien besaß. Seine Stärke war die Instrumentalkomposition, und wir werden ihn unten für einen Augenblick als Sinfoniker erblicken, der Beethoven die Palme entreißt!

Johann Vanhall, dessen Name in Paris und London so bekannt war, daß Burney 20 Jahre vorher ihn in seiner Dachstube in einer Vorstadt Wiens aufsuchte, war im Produzieren so unermüdlich wie je. Gerber sagt in seinem älteren Lexikon (1792), daß Breitkopf und Härtel damals 50 seiner Sinfonien im Manuskript besaßen. Seine Fruchtbarkeit war der von Haydn gleich; sein Talent derart – daß alle seine Werke jetzt vergessen sind.

Es ist nutzlos, diese Liste weiter fortzuführen. Noch eine Tatsache, welche für den musikalischen Geschmack und die Bildung der höheren Klassen in der Hauptstadt bezeichnend ist, mag hinzugefügt werden. Während des Winters 1792/93 waren dort 10 Privattheater von Liebhabergesellschaften in Tätigkeit, deren bedeutendste in den Häusern der Edlen v. Stockhammer, Kinsky, Sinsendorf, Strassaldo und des Buchhändlers Schrambl spielten. Die meisten dieser Gesellschaften führten Opern und Operetten auf.

Fußnoten

1 Zur weiteren Erläuterung des Folgenden ist auf O. Jahns Mozart zu verweisen, sowie auf die Artikel Hanslicks in der Neuen Freien Presse (1865), welche später geschrieben sind, als das obige Kapitel im Original entworfen war. [Seitdem ist Hanslicks »Geschichte des Concertwesens in Wien« 1869 erschienen. Anm. d. Herausg.]


2 Allg. Mus. Ztg. III, 45.


3 Allg. Mus. Ztg. XV, 673.


4 A. a. O. S. 668.


5 Beethoven spielte auch öfter selbst mit, wie aus Wegelers Erzählung (S. 31) hervorgeht; doch wohl Klavier. Anm. d. Herausg.


6 Haydn in London, von T. G. v. Karajan. (Wien 1861.)


7 Mozart, 3. Aufl. II, S. 86.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 1, 3. Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1917.
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