Fünftes Kapitel.

Max Friedrichs Nationaltheater.

Chronologisch betrachtet gehört die folgende Skizze eigentlich in die Biographie Beethovens, weil sie eine Periode umfaßt, welche gerade für ihn, so jung er war, von besonderem Interesse ist, nämlich die Zeit von seinem achten bis zu seinem vierzehnten Lebensjahre. Aber wenngleich die Mitteilungen auf das Musikleben, in welchem er lebte und webte, ein erwünschtes Licht werfen, so dürfte doch ihr Interesse für die meisten Leser nicht groß genug sein, um eine Unterbrechung des Ganges der künftigen Erzählung durch dieselbe zu rechtfertigen.

Es war eine Zeit allgemeinen Aufschwunges in theatralischen Dingen. Fürsten und Höfe begannen allenthalben in Deutschland die Bearbeitung des Dramas in der Muttersprache zu unterstützen, und die Bemühungen von Lessing, Gotter und anderen namhaften Männern, sowohl in deutscher Original-Produktion als in Übersetzung der besten englischen, französischen und italienischen Stücke, begründeten und beförderten überall den Umschwung des Geschmackes. Aus den vielen reisenden Schauspielertruppen, [72] welche in Buden oder, in größeren Städten, in den Schauspielhäusern spielten, fanden die besseren Mitglieder langsam ihren Weg in die stehenden Gesellschaften, welche von den Regierungen engagiert und unterstützt wurden. Freilich hatten viele der neu eingerichteten Hoftheater nur ein kurzes und nicht immer sehr fröhliches Dasein, und in der Mehrzahl der Fälle ging die Absicht nur dahin, irgendeiner wandernden Truppe Hilfe und Schutz zu gewähren; aber der Gedanke eines stehenden Nationaltheaters auf dem Fuße der schon lange Zeit bestehenden Hofmusikeinrichtungen war gefaßt und bereits an manchen Stellen zur Ausführung gebracht worden, ehe er von dem Kurfürsten in Bonn aufgenommen wurde. Man kann kaum annehmen, daß das Beispiel des kaiserlichen Hofes zu Wien mit den großartigen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, einen unmittelbaren Einfluß auf den kleinen Hof von Bonn am anderen Ende Deutschlands ausüben konnte; aber was der Herzog von Gotha und der Kurfürst in Mannheim in dieser Richtung unternommen hatten, das durfte Max Friedrich wohl nachzuahmen sich entschließen. Aber noch näher bei der Heimat fand er ein Vorbild; es war seine eigene Hauptstadt Münster, in welcher er, der Fürst Primas, gewöhnlich den Sommer zubrachte. Im Jahre 1775 löste sich die Truppe Dobblers auf, welche einige Zeit in dieser Stadt gespielt hatte. »Die Gebrüder Westhus zu Münster errichteten aus den Trümmern derselben die ihrige, die kurze Zeit dauerte. Hierauf wurde durch die Sorgfalt des Ministers H. von Fürstenberg, eines der seltenen Männer, die der Himmel zur Pflege der Künste und des Guten ausersah und mit allen nöthigen Gaben schmückte, im Mai eine Zusammenkunft der Schauspielliebhaber veranstaltet, und einige Herren von Adel und einige aus dem Parterre formirten einen Rath, der die Direction übernahm. Der Kurfürst giebt ein Ansehnliches. Das Geld, das nebenher eingenommen wird, soll zur Verbesserung der Garderobbe und des Theaters angewendet werden. Alle Monathe erhalten die Schauspieler ihre Besoldung1

Zu Ostern 1777 verließ Seyler, ein in den deutschen Theaterannalen namhafter Unternehmer, der damals in Dresden lebte, sich aber außerstande sah, mit seinem Nebenbuhler Bondini zu konkurrieren, mit seiner Gesellschaft diese Stadt, um sein Glück in Frankfurt a. M., Mainz und anderen Städten in jener Gegend zu versuchen. Die Gesellschaft war sehr zahlreich; das Theaterlexikon (Art. Mainz) berechnet sie, ihr Orchester [73] eingeschlossen, auf 230 Personen – gewiß eine, trotz der Versicherung des Theaterlexikons, viel zu große Zahl, um wirklichen Vorteil erzielen zu können. Mag dem nun sein, wie ihm wolle: nach der Erfahrung von etwas mehr wie einem Jahre folgten zwei der leitenden Mitglieder, Großmann und Helmuth, einer Aufforderung Max Friedrichs, in Bonn eine Gesellschaft zu bilden und zu leiten, damit »die deutsche Schauspielkunst zu einer Sittenschule für sein Volk erhoben werden möchte«2. Mit einem ziemlich großen Teile von Seylers Truppe, bei welchem sich einige der besten Mitglieder befanden, kamen die Unternehmer nach Bonn und waren bereit, bei der Rückkehr des Kurfürsten von Münster die Saison zu eröffnen. »Die Eröffnung des Theaters geschah«, wie die Bonner dramaturgischen Nachrichten (1stes Stück, Bonn 1779) mitteilen, »am 26ten November 1778 mit einem Prolog, gesprochen von Madam Großmann; ›Wilhelmine von Blondheim‹, Trauerspiel in drey Aufzügen, von Großmann, und der, Großen Batterie', Lustspiel in einem Aufzuge, von Ayrenhofer«. Dieselbe Quelle gibt uns ein Verzeichnis aller Aufführungen der Saison, welche bis zum 30. Mai 1779 dauerte, zugleich mit den Debüts, den Entlassungen und anderen auf die Schauspieler bezüglichen Angaben. Die Zahl der Abende, an denen das Theater geöffnet war, betrug 50. Regelmäßig nahm ein fünfaktiges Stück die ganze Zeit der Aufführung ein; von kürzeren Stücken wurden gewöhnlich zwei gegeben, und so wurde gelegentlich auch einer Operette Zugang gewährt. Musikalische Dramen wurden nur sieben aufgeführt, und diese so ziemlich aus der Zahl der leichtesten, mit Ausnahme des ersten, des Duodramas »Ariadne auf Naxos« (Deklamation mit erläuternder Musik) von Benda. Die übrigen waren:

1779, 21. Febr.: »Julie«, aus dem Französischen übersetzt von Großmann, Musik von Desaides;

– 28. Febr.: »Die Jäger und das Milchmädchen«, Operette in einem Akt, von Duni;

– 21. März: »Der Hufschmied« in 2 Akten, von Philidor;

– 9. April: »Röschen und Colas« in einem Akt, von Monsigny;

– 5. Mai: »Der Faßbinder« in einem Akt, von Oudinot;

– 14. Mai: Vorspiel zum Geburtstage des Kurfürsten. Dieses letzte Stück ist in den dram. Nachrichten vollständig mitgeteilt; es hat folgenden Titel:


[74] »Der Blick in die Zukunft. Ein Vorspiel mit Gesang. Dem höchsten Geburtsfeste Sr. kurfürstl. Gnaden zu Köln unterthänigst gewidmet, den 13. May 1779, von J. A. Freyherrn vom Hagen.


Die Musik ist von Hrn. Helmuth.

Personen.


Minerva– –Mad. Großmann.

Melpomene– –Mad. Erdmann.

Thalia– –Mad. Brandel.

Euterpe– –Mad. Helmuth.

Genius d. Zukunft– –Mslle. Flittner.

Lindor, ein Greis– –Hr. Helmuth.

Rosalia, dessen Tochter– –Mad. Hubert.

Erast, ihr Geliebter– –Hr. Erhard.


Bewohner der Gegend beyderlei Geschlechts.«


In einer ländlichen Gegend, unter welcher man sich vielleicht das alte Griechenland dachte, sitzt Rosalia auf einer Bank, Kränze windend und singend. Ihr Vater nähert sich ihr und bringt ihr eine Flöte, eine alte Gabe der Musen, welche er ihnen heute als Opfer zurückgeben will. Er erzählt einen Traum, der seine Befürchtungen für die Zukunft beruhigt hat; er hatte geglaubt, eine Stimme zu hören, die ihn versicherte, daß er heute einen Blick in die Zukunft tun und das Geschick seiner Nachkommen erfahren werde. Erast hat »in dem Hayne der Musen« Vorbereitungen für das Opfer getroffen; Lindor verlobt ihn mit seiner Tochter, und die Szene verwandelt sich in den geheiligten Platz, wo ein Altar mit dem Bilde des Apollo steht. Es folgt ein Chor des Volkes aus der Nachbarschaft, welcher durch die Erscheinung der Minerva unterbrochen wird3. Minerva spricht: – – »Nicht immer werden diese glücklichen Zeiten dauern, nicht immer Ruhe und Zufriedenheit diese lachenden Fluren bewohnen. Mannigfache Zerrüttungen verschiedener Art folgen einander, treffen auch diese den Musen geheiligten Hayne – treffen sie selbst, und ihre Verehrer. Unbeschützt, der Verachtung und jedem Bedürfnisse überlassen, werden diese sodann, ohne Aufenthalt zu finden, die Länder von da, wo die Sonne aufgeht, bis da, wo sie untergeht, durchirren [75] – Wird ihnen dieser Aufenthalt auch hie und da verstattet; so ist ihnen doch selten mehr vergönnt, als die Erde, die sie betreten, und die Luft, die sie einathmen. – Ihr staunt! – zittert! – höret weiter! – es folgen diesen aber auch Zeiten, in denen Künste und Wissenschaften verehrt werden – hier früher, dort später – nicht immer wird man den wohlthätigen Einfluß verkennen, den die Musen auf Verstand, Sitten und auf den moralischen Karakter einer Nation haben. Väter der Länder, die ihr Volk lieben, werden es bemerken; die Unterdrückten aufsuchen, – sie in Schutz nehmen. Auch die Beherrscher Germaniens – eines offenen, biedern Volkes – müde der wandernden Aftergeburten Lutetiens – werden aufhören, sich der Künste zu schämen, die auf vaterländischem Boden gereiset. – Dort, wo der Rhein zwischen Bergen hinausströmt – wo die Natur allen Zauber verschwendete, eine der glücklichsten und schönsten Gegenden zu bilden, dort wird einst ein Fürst, nicht über ererbte Länder regieren, sondern durch die freye Wahl der weisesten im Volke für den würdigsten erklärt werden, über sie zu herrschen. Die ser Fürst – mehr Vater, als Herrscher – wird vaterländische Künste beschützen, und huldreich den Künstler aufnehmen; wird in seiner Burg eine dauerhafte Stäte ihm gönnen. – Doch – ihr sollt ihn erst ganz kennen! heute ist der Tag, der ihn der Welt und seinem Volke zum Glücke einst schenken wird, und dieser Tag – so will es der Entschluß der Götter – sey auch ein immerwährender Tag der Freude, nicht mehr zu diesem Altar, sondern hier« – (die Szene wechselt, an der Stelle von Hain und Altar erscheint ein Tempel mit einer Pyramide in der Mitte, mit allegorischen Figuren fürstlicher Tugenden, und dabei stehend Melpomene, Thalia und Euterpe; Minerva fährt fort:) »hier in diesem Tempel, bringt künftig die Opfer der Ehrfurcht, und höret, was die Götter euch mehr kund machen« (geht ab). Nach einer Rede der Euterpe erscheint der Genius der Zukunft in Wolken, berührt das obere Teil der Pyramide, und plötzlich erscheint unter Trompeten und Pauken die Büste des Kurfürsten mit der Überschrift: Justo et mansueto. Das Volk fällt auf die Knie, der Genius läßt sich herunter, steigt aus der Wolke, und auf die Büste zeigend sagt er: »Dort sehet die Hoffnung, das Glück zukünftiger Zeiten, Gerechtigkeit, Sanftmuth, Gnade und Weisheit strahlen aus seinem Blicke. Von den Göttern geliebt, wird er die höchste Stufe des ehrwürdigsten Alters erreichen; wahre Verdienste und Tugenden schätzen – sie belohnen – und unvergeßlich wird sein Andenken bey der Nachwelt gesegnet bleiben« (ab, in die Wolke). Melpomene folgt mit einer Rede in gleichem Stile; [76] Thalia empfängt die Flöte von Lindor, das Volk opfert seine Kränze, Rosalie hält ebenfalls eine Rede, die so schließt:


»Heil uns, daß wir die glücklichsten der Tage sahn –

Es lebe unser Fürst, es lebe Friedrich Maximilian!«


und das Ganze schließt mit einem Chore.

Die moderne Art der Schmeichelei wurde in ziemlich starken Dosen verschwendet; doch war dieser Prolog delikat und bescheiden im Vergleich mit manchen andern zum Preise von Männern gedichteten, welche sich keiner der guten Eigenschaften Max Friedrichs rühmen konnten.

Die Wahl der Stücke gibt im ganzen einen recht günstigen Begriff von dem Geschmacke der Unternehmer. Unter denselben befanden sich fünf von Lessings Dramen, darunter Minna von Barnhelm und Emilia Galotti; außerdem einige der besten von Bock, Gotter, Engel und ihren Zeitgenossen; von Übersetzungen finden wir Colmans Heimliche Ehe und Eifersüchtige Frau, Garricks Miss in her teens, Cumberlands Westindien, Hoadlys argwöhnischer Ehemann, Voltaires Zaire und Jeannette, Beaumarchais' Eugenie, zwei oder drei von Molieres und Goldonis Stücken usw.; kurz, das Verzeichnis bietet viel Mannigfaltiges und viel Ausgezeichnetes.

Max Friedrich war offenbar zufrieden mit der Gesellschaft; die »Nachrichten« teilen in dem Verzeichnis der Aufführungen noch folgendes mit: »Am 8ten (April) geruheten Se. Kurfürstl. Gnaden der ganzen Gesellschaft ein prächtiges Dejeune im Theater geben zu lassen.« – »Die Gesellschaft beschäfftigt sich bis zur Zurückkunft Sr. Kurfürstl. Gnaden von Münster«, heißt es dort ferner, »welche in der Mitte des Novembers geschieht, mit Einlernung der neuesten und beßten Stücke, wozu vorzüglich Hamlet, König Lear und Macbeth gehören, welche auch in Ansehung des Kostums mit aller Pracht, und nach den Zeichnungen berühmter Künstler gegeben werden sollen.«

Die Mitteilungen über das Bonner Theater in H. A. O. Reichards Theaterkalender von 1780 enthalten alles Notwendige zur Ergänzung des Obigen, welches sich auf die erste Saison der neuen Gesellschaft bezieht. »Die hiesige Churfürstliche Hofschaubühne«, heißt es daselbst, »steht unter der höchsten Direction Sr. Hochwürdigen Excellenz, des Herrn Staatsministers, Freiherrn von Belderbusch. Se. Churfürstl. Gnaden zahlen für Dero höchste Person und Dero Suite wöchentlich eine gewisse Summe. Die Aufsicht über das Theater hat der Burggraf, Herr Hofkammerrath Vogel. [77] Baumeister ist der Hofkammerrath Roth. Das Churfürstl. Orchester besorgt die Musik. Der Magazinmeister Koch hat die Beleuchtung und der Hofschreiner Danko die Verwandlungen zu besorgen. Die Direction der Gesellschaft führen Hr. Großmann und Hr. Helmuth. Die Gesellschaft bestehet jetzt aus folgenden Personen nach alphabetischer Ordnung: Schauspieler: Dietzel, Erhard, Fendler, Gensike, Graubner, Große, Großmann, Helmuth, Huber, Josephi, Pfeifer, Santorini, Steiger, Steinmann; Schauspielerinnen: Mad. Fiala, Mams. Flittner, Mad. Gensike, Mad. Großmann, Mams. Hartmann 1., Mams. Hartmann 2., Mad. Helmuth, Mams. Helmuth, Mad. Huber, Mad. Josephi, Mams. Josephi. Souffleur: Hr. Sommer. Kassirer: Mad. Diezel4. Spieltage waren Sonntag und Mittwoch.«

An dieser Stelle möge bemerkt werden, daß das »Bonner Comödienhaus«, für dessen malerische Ausschmückung im Innern im Jahre 1751 Klemens August 468 Taler bezahlte (nach dieser Angabe kann man also das Datum der Vollendung dieses Endflügels des damals neuen Palastes bestimmen) den Teil des Schlosses einnahm, welcher dem Koblenzer Tore zunächst lag, und welcher gegenwärtig, nachdem der alte Bau an der Stelle niedergelegt worden, neu aufgerichtet ist und den Zwecken der Universitätsbibliothek dient. Der frühere Bau hatte große Ausgänge von der Bühne nach der Straße, so daß das Ende des Raumes in manchen Stücken als eine Verlängerung der Bühne benutzt werden konnte, wenn dies zur Hervorbringung großer szenischer Effekte notwendig war5. Über dem Theater befand sich unter Max Franz der sog. Redoutensaal, später ein Teil der Bibliothek. Der Kurfürst hatte einen Eingang von den Gängen seines Schlosses in seine Loge; der Eingang fürs Publikum befand sich in einem Winkel der Mauer, gegenüber der Kastanienallee, und wurde später zugemauert6. Der Zuhörerraum war natürlich niedrig, aber geräumig genug für einige Hundert Zuschauer. Wenn es auch von vielen Reisenden als unwürdig eines so eleganten Hofes beurteilt wurde, [78] so scheint es doch immer ein hübsches und behagliches kleines Theater gewesen zu sein.

In derselben Zeit drängten Seylers Angelegenheiten zu einer Krisis. Er war mit seiner Gesellschaft aus Mannheim zurückgekehrt und hatte am 2. August 1779 das Theater in Frankfurt a. M. wieder eröffnet. Am Abend des 17. nahm er, um der Gefangennahme wegen Bankerotts zu entgehen – ob aus eigener Schuld oder durch die eines anderen, ist ungewiß, das Theaterlexikon gibt letzteres an –, seine Frau mit und floh nach Mainz. Es wurde der Gesellschaft vom Magistrat erlaubt, noch einige Wochen zu spielen mit der Aussicht, wenigstens die Mittel zu gewinnen, um die Stadt zu verlassen; aber am 4. Oktober begannen die Mitglieder sich zu trennen. Borchers ging mit seiner Frau nach Hamburg, Benda und Frau nach Berlin usw.; aber Chr. G. Neefe, der Musikdirektor, und Opitz mit ihren Frauen und einem Fräulein Courte fuhren rheinabwärts nach Bonn und schlossen sich der dortigen Gesellschaft an; Neefe übernahm eine Zeitlang die Direktion der Musik im Theater, wovon an einer späteren Stelle noch mehr zu sagen sein wird.

Die Gesellschaft, wie sie jetzt für die Saison von 1779–80 zusammengesetzt war, galt für eine sehr gute. Großmann hat in der Geschichte des deutschen Dramas einen hervorragenden Namen als Autor und Direktor, und wiewohl ein sehr kleiner Mann von Person, gebot er über eine Reihe von Rollen, in denen er sich auszeichnete. Seine Frau leistete als Schauspielerin nicht sonderlich viel, besaß aber eine große Energie des Charakters und hatte in der Bühnenleitung ungewöhnliche Talente bewiesen. Die beiden Fräulein Hartmann, von denen die ältere, Christina, wie bereits berichtet wurde, die Frau des Hofmusikers Brandt und Mutter der Frau K. M. von Webers wurde, waren die Schwestern der Frau Großmann und sehr gute Schauspielerinnen. Opitz kommt in allen Theater-Annalen der Zeit vor; er er warb sich Ruhm in der Rolle des Hamlet; seine Frau war eine gute Tänzerin. Die meisten der Mitglieder waren imstande, eine Partie in einer Operette zu übernehmen, und sangen so gut, wie sie spielten. Das Kleinod der Gesellschaft aber war Friederike Flittner, die Tochter der Frau Großmann aus erster Ehe. Sie war erst 18 Jahre alt, als sie nach Bonn kam, und 23, als sie es verließ; aber in diesen fünf Jahren hat sie jenes Talent entwickelt und jene Kunst erworben, durch welche sie eine Reihe von Jahren hindurch eine der glänzendsten Zierden der Berliner Bühne wurde, wo sie nacheinander als Frau Unzelmann und Frau Bethmann [79] bekannt war. Ledebur zitiert in dem Tonkünstlerlexikon Berlins aus den »Annalen des Theaters« für 1788 folgende Worte über ihre Darstellung der Nina in Dalayracs gleichnamiger Oper: »Bei Mad. Unzelmann vereinigt sich alles, was eine Schauspielerin empfehlen muß: Reiz, Jugend, rührender Ton der Sprache, Wahrheit, Ausdruck, Innigkeit im Spiel, gute Methode im Gesang. So groß sie sich in der Nina als Schauspielerin zeigte, ebenso riß sie einige Tage darauf durch ihren angenehmen Gesang als Zemire alle Zuschauer hin.« Die vielversprechende Knospe hatte sich zu herrlicher Blüte entfaltet.

Noch ein anderes Mitglied muß etwas ausführlicher erwähnt werden, sowohl wegen seines Zusammenhangs mit der Geschichte Beethovens, als auch, um einige Irrtümer bei Gerber und Wegeler zu berichtigen. In den musikalischen und theatralischen Verzeichnissen und Berichten aus jenen Tagen begegnet der Forscher wiederholt dem Namen Pfeiffer. Franz Anton Pfeiffer, Fagottist und Schüler Reinerts in München, war 1777–79 bei Seylers Gesellschaft und scheint sich nach deren Auflösung zuerst in den Dienst des Kurfürsten von Mainz begeben und dann ein Engagement in mecklenburgischem Dienste angenommen zu haben, in welchem er starb (vgl. Gerber). J. M. Pfeiffer, auch bei Gerber genannt, Komponist des einst sehr beliebten Stückes für Klavierspieler Il Maestro ed il Scolare, brachte seine letzten Jahre in London zu. Ein anderer Sänger Pfeiffer befand sich 1775 bei der Truppe Abts in Amsterdam. Er war ohne Zweifel der Bassist, welcher zuletzt in Wien lebte und am Leopoldstädter Theater sang. Dieser oder noch ein anderer war einer der Theaterdirektoren gewesen, welche in Bautzen, Görlitz und in jener Gegend spielten.

Tobias Friedrich Pfeiffer (oder Pfeifer), Mitglied der Bonner Truppe, war im Weimarischen geboren, betrat zuerst die Bühne im J. 1778 in Gotha als Azor in Gretrys Oper »Zemire und Azor« und schloß sich in demselben Jahre (nach Reichards Theater-Kalender) der Truppe Fischers an. Im J. 1779 entwich er der Gesellschaft Neuhaus in Würzburg und erscheint unmittelbar darauf in Bonn. Sein erstes Auftreten erfolgte in der Rolle des Alexis in Monsignys Deserteur; über seine anderen Rollen fehlen die Angaben. Schon Ostern 1780 war er nicht mehr Mitglied der Gesellschaft, und im Herbste dieses Jahres sang er wieder den Alexis bei Bondinis Truppe in Dresden. Im nächsten Jahre »debütirte Hr. Pfeifer (zu Münster) mit italienischen Arien und dem Azor« (Theater-Kal. 1782, S. 235); im Herbst 1783 sang er kurze [80] Zeit in Großmanns Frankfurter Gesellschaft, wurde aber »unruhiger und liederlicher Aufführung halber, auf der Stelle entlassen« (Theater-Kal. 1785, S. 211)7. Eine Zeitlang verschwindet er; 1787 taucht jedoch sein Name in der Gesellschaft Dietrichs wieder auf, welche abwechselnd in Bremen, Osnabrück und Düsseldorf spielte; im Herbste desselben Jahres befand er sich bei Bellomo, dessen Winteraufenthalt Weimar war; auch dieses Engagement nahm ein vorzeitiges Ende im J. 1789: »Hr. Pfeiffer ist auf Befehl der Oberdirektion in Weimar seiner schlechten Aufführung wegen entlassen« (Theater-Kal. 1790, S. 68). Die Berliner Annalen des Theaters (Bd. I) verzeichnen sein Auftreten in Mozarts Entführung, Monsignys Deserteur, Guglielmis Robert und Calliste, Gretrys Zemire und Azor, Salieris Lügnerin aus Liebe und desselben Schule der Eifersüchtigen, und zwar in den Rollen des Belmonte, Alexis, Robert, Azor, Martin und Graf; allemal »mit großem, verdientem, wohl erworbenem Beifalle«. Nach seiner Entlassung erhielt er ein Engagement bei Joseph Seconda, damals in Leipzig, für »intrikate Rollen, Bösewichte, erste Liebhaber in der Oper«. Gerber (N. L.) nennt ihn zu dieser Zeit einen »braven Tenoristen und geschickten Clavierspieler«. Sein erstes Auftreten auf Secondas Bühne (28. Okt. 1789) geschah gerade nicht in der höchsten künstlerischen Weise; es fand statt zwischen den Akten von Gotters Jeannette und bestand in Gesang und gesungener Nachahmung des Flageoletts, wozu er sich selbst auf dem Pianoforte begleitete. Diese Aufführung wurde am 8. November wiederholt: zehn Tage später wurde Gideon von Tromberg gegeben; »zwischen den Akten sang Herr Pfeiffer komische Intermezzos von Schulmeistern, Scholaren und gab eine Katzenmusik preis, alles mit viel Beifall« (Berl. Ann. H. V. 1790). Über sein Auftreten vom 2. Dezember wird, ohne die stereotype Redensart »mit vielem Beifall« im Theaterkalender von 1791 (S. 241) folgendes bemerkt: »Hr. Pfeiffer hatte zu Leipzig einige Zuschauer beleidigt und mußte am 2. Dez. dem Publico öffentliche Abbitte und Ehrenerklärung vom Theater herab leisten.« Am 22. Dez. wurden »die Liebesproben« aufgeführt; »vorher wurde ein von dem bekannten berühmten Declamateur Herrn M. Schocher verfertigtes Vorspiel: ›Die Freuden der Redlichen‹ an dem Geburtsfeste des Landesvaters mit Musik von Pfeifer gegeben, welches sehr gefiel« [81] (Ann. d. Th.). Der Theaterkalender von 1792 (S. 309) nennt seinen Namen im Herbst 1791 in der Liste der Truppe Secondas in folgender Weise: »Hr. Pfeiffer, erster Liebhaber im Singspiel, junge Männer und Bösewichter im Schauspiel. Schöne Stimme, schlechtes Spiel, und ist schon jedem Direkteur bekannt«(!). Im J. 1792 wurde er vom Nationaltheater zu Frankfurt a. M. »plötzlich entlassen«. 1793–94 gehörte er zu der Gesellschaft Koberweins, welche in Düsseldorf, Köln und Mainz spielte. Im letzteren Jahre wurde er entlassen und wurde Musiklehrer in Düsseldorf (Theater-Kal. S. 224, 301); dorthin schickte, wie Wegeler erzählt, Beethoven seinem ehemaligen Lehrer durch den Verleger Simrock eine Geldunterstützung. Er gehörte zu jener unglücklichen Klasse von Menschen, welche durch ihre eigene Schuld in fortwährender Unruhe leben, indem sie ihre Talente zersplittern, den Einfällen des Augenblicks nachgeben und über die Folgen unbesorgt sind.

Von dem Repertoir des Bonner Theaters für die Saison 1779–80 ist, dem Schriftsteller und Leser zum Troste, kein Verzeichnis gemacht worden. Wir erfahren jedoch, daß zur Eröffnung am 3. Dezember, am Abend nach der Rückkehr des Erzbischofs von Münster, ein Prolog gegeben wurde: Wir haben Ihn wieder, Text von Baron v. Hagen, mit Arien, Rezitativen und Chören, komponiert von Neefe. Außerdem befand sich auf der Liste Monsignys Deserteur, in welchem Pfeiffer zuerst aufgetreten war; und endlich Hillers Jagd, worin Mad. Kramann ihr Debut ablegte. Eine Rede am Geburtstage des Kurfürsten 1780, geschrieben von Hag en und gesprochen von Mad. Gensike, ist gedruckt im Theater-Kal. von 1781, S. 35.

In der Saison 1780–81 hat die Liste der Gesellschaft nur wenig Veränderung erfahren; Neefe wird als Musikdirektor genannt, Brandt als erster Liebhaber in Operetten, das ältere Fräulein Hartmann ist nunmehr Frau Brandt; die Namen von Gensike und Opitz nebst ihren Frauen, sowie der von Pfeiffer fehlen. Auch für diese Saison hat sich kein Repertoir gefunden. An 52 Abenden wurden 75 Stücke aufgeführt; am 25. März 1781 veranstaltete Großmann eine Totenfeier für Lessing.

Im Juni 1781, als die Saison vorüber war, begab sich die Gesellschaft nach Pyrmont, wo Großmann alleiniger Direktor wurde, da Helmuths sich der Truppe zu Münster anschlossen; von Pyrmont nach Kassel, und von dort im Oktober zurück nach Bonn. Außer Helmuths verschwinden auch die Namen Opitz, Große und Fräulein Courte aus [82] der Liste der Truppe, während Conradi, Dengel, Pleißner, Schmid Grierle und Schmetterling hinzutraten.

Die Saison von 1781–82 war eine sehr tätige; von musikalischen Dramen allein werden 18 in der Zeit vom September 1781 bis Sept. 1782 als »neu einstudirt« angeführt, nämlich:


Die Liebe unter d. Hand-

werkern (L'Amore Artigiano)Musik von Gaßmann.

Robert und CallisteMusik von Guglielmi.

Der AlchymistMusik von Schuster.

Das tartarische GesetzMusik von D'Antoine

(aus Bonn).

Der eifersüchtige Liebhaber

(L'Amant jaloux)Musik von Grétry.

Der Hausfreund

(L'Ami de la Maison)Musik von Grétry.

Die Freundschaft auf der

Probe (L'Amitié à l'Épreuve)Musik von Grétry.

Heinrich und LydaMusik von Neefe.

Die ApothekeMusik von Neefe.

Eigensinn und Launen der

LiebeMusik von Deler

(Deller).

Romeo und JulieMusik von Benda.

Sophonisba

(Deklamation mit Musik)Musik von Neefe.

LucilleMusik von Grétry.

Milton und ElmireMusik von Mihl

(Mühle).

Die Samnitische

Vermählungsfeier

(Les Mariages Samnites)Musik von Grétry.

Ernst und LucindeMusik von Grétry.

Günther von SchwarzburgMusik von Holzbauer.


Aus diesen Angaben folgt jedoch nicht, daß alle diese Opern, Operetten und Singspiele während der Saison in Bonn aufgeführt worden seien. Die Gesellschaft folgte im Juni dem Kurfürsten nach Münster und begab sich von dort nach Frankfurt a. M. zu ihren regelmäßigen Aufführungen zu Michaelis. Im Herbst kam sie nach Bonn zurück, nachdem sie Helmuths, Josephis, Erhard, Fendler und Schmetterling verloren hatte, doch mit dem Zuwachs von Beckenkam und Frau, Hülsner und Frau, Lobenstein,[83] Schumann, Schuwärt und Frau, Bösenberg und Frau, Wiedemann und Cassini.

Die Saison 1782–83 war ebenso belebt wie die vorhergehende; zu den neu einstudierten gesprochenen Dramen gehören Sir John Falstaff, aus dem Englischen, Übersetzungen von Sheridans School for Scandal, Shakespeares König Lear und Richard III., Cowleys Who's the dupe und von deutschen Originalstücken Schillers Räuber und Fiesco (letzteres am 20. Juli 1783 zuerst in Bonn aufgeführt), Lessings Miß Sara Sampson, Schröders Testament usw. Die Zahl der neu einstudierten musikalischen Dramen, zu denen wir auch solche Balladen-Opern rechnen wie General Burgoynes Mädchen im Eichtale, beläuft sich auf 20; es sind folgende:


Das RosenfestMusik von Wolf8

(aus Weimar).

AzaliaMusik von Johann Küchler

(Fagottist in der Bonner

Hofkapelle).

Die Sklavin

(La Schiava)Musik von Piccini.

Zemire und AzorMusik von Grétry.

Das Mädchen im

EichtaleD'Antoine (kurkölnischer

Hauptmann).

Der Kaufmann von

SmyrnaMusik von J. A. Juste

(Hofmusikus im Haag).

Die seidenen SchuheMusik von Alexander

Frizer (oder Fridzeri).

Die Reue vor der ThatMusik von Desaides

(Dezède).

Der AerndtekranzMusik von J.A. Hiller.

Die olympischen Spiele

(Olympiade)Musik von Sacchini.

Die Lügnerin aus LiebeMusik von Salieri.

Die Italienerin zu LondonMusik von Cimarosa.

Das gute Mädchen

(La buona figiuola)Musik von Piccini.

Der Antiquitäten-SammlerMusik von André.

Die Entführung aus dem

SerailMusik von Mozart.

Die Eifersucht auf der Pro-

be (il Geloso in Cimento)Musik von Anfossi.

[84] Rangstreit und Eifersucht

auf dem Lande (le Gelosie

villane)Musik von Sarti.

Unverhofft kommt oft (Les

événements imprévues)Musik von Grétry.

Felix oder der Findling

(Felix ou l'Enfant

trouvé)Musik von Monsigny.

Die Pilgrimme von MekkaMusik von Gluck.


In der folgenden Saison 1783–84 wurde für die Unterhaltung des Kurfürsten noch eine weitere Fürsorge getroffen durch das Engagement eines Ballettkorps von 18 Personen, darunter Nuth jun., Ballettmeister und erster komischer Tänzer; die Pas-de-deux-Tänzer Döbbelin, Ehrling, Huber, Nuth sen.; Mad. Nuth jun., Solo- und Pas-de-deux-Tänzerin; 6 männliche und 6 weibliche Figuranten. Die Titel von fünf »neu einstudirten Ballets« finden sich in dem Verzeichnisse, aus welchem die obigen Einzelheiten genommen sind, und welches wohl auf den Theaterkalender von 1784 gegründet ist.

So waren mit vergrößerter Gesellschaft und erweitertem Repertoir die Vorbereitungen getroffen, das Theater bei der Rückkehr des Kurfürsten von Münster nach Bonn (Ende Oktober) zu eröffnen. Doch hatten sich die Verhältnisse der Gesellschaft zum Hofe geändert. Großmann hatte jetzt eine so große Truppe unter seiner Leitung, daß er imstande war, mit Hilfe noch einiger neuer Kandidaten und von Gastspielen dem Kurfürsten eine stehende Gesellschaft zu verschaffen und außerdem noch eine andere zu halten, welche abwechselnd in Frankfurt und in Mainz spielen sollte. Wir lassen den Theaterkalender die neue Stellung beschreiben, welche die Bühne in Bonn erhielt:


»Bonn. S. Kurfürstl. Gnaden haben aus ganz besonderer Huld gnädigst beschlossen, das Schauspiel künftig unentgeldlich geben zu lassen, und zu dem Ende mit Höchstdero Hofschauspiel-Direktoren Großmann einen neuen Kontrakt geschlossen, nach welchem demselben außer dem freyen Theater, Orchester und Beleuchtung ein ansehnliches Jahrgeld zur Unterhaltung der Schauspieler ausgeworfen worden. Es werden nun auf höchsten Befehl wöchentlich zwei oder drey Vorstellungen gegeben. Aus besondern Gnaden ist dem Direkteur vergönnet, einige Sommermonathe mit der Gesellschaft an andern Orten zuzubringen. Die Mitglieder werden aus der oben benannten Großmannischen Gesellschaft gezogen.«

[85] Die Vorteile dieses Planes für die Sicherung eines guten Repertoirs, einer guten Truppe und eines regen Wetteifers in weiterer Vervollkommnung sind offenbar; und seine praktische Ausführung während dieser seiner einzigen Saison war, soviel man jetzt aus sparsamen Aufzeichnungen schließen kann, von großem Erfolge begleitet. Großmann selbst blieb in Frankfurt; seine Frau reiste am 12. Oktober nach Bonn und übernahm dort die Direktion. Wir werden später sehen, daß der Knabe Ludwig van Beethoven oft am Klavier in den Proben dieser Gesellschaft, möglicherweise auch bei den Aufführungen, verwendet wurde. Aus diesem Grunde mögen auch die Namen derer, unter welchen er sich in dieser Weise bewegte und tätig war, soweit es möglich ist, aus dem langen Verzeichnisse der Großmannschen Gesellschaft im Theaterkalender für 1784 ausgesondert und hier verzeichnet werden.

Directrice: Madame Caroline Großmann, geb. Hartmann.

Musidirektor: C. G. Ne ese.

Correpetitor: Hr. Herfort.


Schauspielerinnen:


Mad. Veronica Beckenkam, geb. zu Coblenz 1754, Liebhaberinnen im Singspiel.

Mlle. Eleonore Bösenberg, geb. zu Hannover 1768, junge muntere Rollen im Schau- und Singspiel.

Mad. Christine Soph. Henr. Brand, geb. Hartmann, aus Gotha, Soubretten.

Mad. Cassini, gemeine, zänkische und Bauernweiber.

Mlle. Friederike Flittner, geb. zu Gotha 1766, erste Liebhaberinnen im Singspiel, verkleidete Rollen.

Mlle. Lotte Großmann, Kinderrollen beiderlei Geschlechts.

Mlle. Hartmann, Nebenrollen.

Mad. Huber, Liebhaberinnen im Trauer-, Luft- und Singspiele, junge Bauernmädchen und sanfte Weiber.

Mad. J.M. Neefe, geb. Zink, Mütter im Trauer-, Luft- und Singspiel.

Mad. Rosine Nuth, geb. Dosinger, geb. zu München 1763, Liebhaberinnen, muntere und naive Rollen.

Mlle. Schroth, singt in der Oper.


[86] Schauspieler:


Beck (welcher dieses Namens?), Bediente, muntere Rollen.

Bösenberg, Heinrich, geb. zu Hannover 1746, komische Bediente, alte Stutzer, Jüden.

Brand, Christ. J. H., im Kurs. Köln. Dienste, Liebhaber im Singspiel.

Cassini, Bühnendirector, Gerichtsdiener, Hülfsrollen.

Dengel, Friedr. Wilh., geb. zu Dresden 1741, Väter im Trauer-, Luft- und Singspiel, Bediente, Bauern- und Karrikaturrollen.

Dietzel, Joh. Wilh., geb. zu Berlin 1747, Liebhaber, Bösewichter und Pedanten.

Huber, Hülfsrollen.

Nuth senior, Königl. Liebhaber, zärtliche Väter, auch Stutzer.

Nuth jun., erster Ballettänzer, komische Bediente.

Schmidt, Liebhaber im Lust- und Trauerspiel, Philosophen, Geistliche, Helden.

Steiger, Liebhaber im Lust- und Trauerspiel, Helden, Chevaliers.

Widemann (Michael?), Liebhaber im Singspiel.

Herforth (nicht im Hofkalender in dieser Verbindung genannt), vormals Musikdirektor der Gesellschaft in Münster.


Daß eine Gesellschaft, welche fast ausschließlich aus Schauspielern bestand, welche die Probe eines häufigen Auftretens auf der Bühne bestanden hatten, – eine Gesellschaft, welche mit voller Kenntnis der Fähigkeiten eines jeden ausgesucht war und durch ihren Erfolg beim Bonner Hofe zu ihrer bleibenden Organisation gelangt war –, keine von den gewöhnlichen, in der leichten Oper jedenfalls eine ausgezeichnete war, bedarf keiner weiteren Begründung. Auch braucht nicht ausführlich erörtert zu werden, welchen Einfluß der tägliche Verkehr mit derselben und die Beteiligung an ihrer Tätigkeit, namentlich bei der Leitung der Oper, auf das Gemüt eines Knaben von 12 oder 13 Jahren ausüben mußte, eines Knaben zudem von so entschiedenem musikalischen Genie wie Ludwig van Beethoven.

Die Lebensbeschreibung der Frau Großmann von Neefe (Göttingen 1784) enthält eine Reihe von Auszügen aus Briefen während dieser Saison an ihren Gatten und an Hofrat T.9, welche den Leser hinter die Szene [87] blicken lassen und ihm ein interessantes Bild von dem Theaterleben bieten, in welchem der junge Beethoven sich bewegte. Sie verließ ihren Gatten am 12. Oktober 1783, und kaum war sie in Bonn angelangt, so begannen auch schon die Vorbereitungen für den Empfang des Kurfürsten, welcher am 30. jenes Monats erwartet wurde. Für den Morgen dieses Tages hatte sie eine Probe angesetzt. »Um 9 Uhr«, schreibt sie an Großmann, »sollte Probe sein, es schlug zehn, es wurde halb eilf und B.10 – war noch nicht da; ich schickte nach ihm; nach einer halben Stunde kam er. So lange hatten also Neefe und Herforth und alle Sänger auf ihn gewartet. Ich schalt ihn aus, er wurde obendrein grob: ich sagte, ich würde mich mit ihm nicht abgeben, sondern zum Minister gehen, der wisse, wie man die Leute zu ihrer Schuldigkeit brächte. Das wirkte, er strich die Segel, und ich ließ es für dießmal gut seyn. Der Minister war heute sehr gnädig. Mit dem Hofkammerrath V. – [Vogel] hab' ich doch einen hitzigen Auftritt wegen des Zetteldrucks gehabt. Alles wollen sie Dir aufbürden und das leid' ich nicht. Fürst Max giebt seinen Unterthanen das Schauspiel frey, Du ziehst keine Einnahmen vom Publikum, also brauchst Du keine Zettel drucken zu lassen.« Der Minister unterstützte Frau Großmann in dieser Sache.

Am 31. Oktober: – »Er ist gekommen, der Vater seines Volks. Morgen früh hab' ich die Gnade ihm aufzuwarten. Ich freue mich sein menschenfreundliches wohlwollendes Gesicht wieder zu sehen.«

Am 1. November: »Heut Morgen um 10 bis 11 Uhr war ich bei unserm gnädigsten Churfürsten. Er hat mich mit viel Gnade aufgenommen, worüber ich mich sehr gefreut habe.«

Über diese Audienz schreibt sie am 2. Nov. an Hofrat T.: – »Ich war bey unserm lieben Churfürsten, er war so gnädig – ich mußte weinen, weil er mich gleich beim Eintritt ins Zimmer an meiner empfindlichen Seite angriff. Ei, ei, sagte er, kann das Großmann übers Herz bringen, eine Frau in den Umständen zur Wittwe zu machen? Ich fing so gewaltig an zu weinen, daß ich ganz beschämt das Zimmer verlassen mußte, bis ich mich wieder gesammelt hatte. Er bedauerte mich herzlich, versicherte mich seiner Gnade, und wenn mir in meinem Wittwenstande etwas vorfiele, worin er mir helfen könne, sollte ich zu ihm kommen. O es ist der beste Fürst!«

Am 4. Nov. an Großmann: – »Die erste Oper ist vorbei, und mir ein großer Stein vom Herzen. Friz [Flittner] hat die Rede an den [88] Churfürsten recht gut gesagt. Der Minister kam aufs Theater und machte ihr viel Komplimente. Gespielt und gesungen hat sie auch recht schön, und unsere Schülerin Schroth hat alle Erwartung übertroffen. Das Mädchen ist zuweilen empfindlich, aber ich kehre mich nicht daran, es ist zu ihrem eignen Besten, sie soll brav werden. –«

Am 7. Nov. – »Ich bin Mutter! Kann ichs verantworten, daß das Mädchen, die Frize, in allen Stücken, in allen Opern die erste und stärkste Rolle spielen muß? Morgens von acht dis zwölf Uhr Probe. Um zwey Uhr Singen, um drey Uhr Clavier, um vier Uhr Französisch – was bleibt ihr zum Lernen übrig? Ich habe ihr zu Gefallen in drei Nächten fast nicht geschlafen. Die Rolle aus dem Guldenschnitt hat sie in einem Tag und einer Nacht gelernt. Auf den Sonntag wieder eine neue Rolle und die kleine Julie dazu. Sie sagt nichts, sie lernt und weint. Doktor Guldenschnitt hat nicht gefallen; es ist Wiener Arbeit, abgeschmackte Posse. –«

Am 11. Nov.: »– Gestern war der verschriebene Bräutigam aus Paris; hat nicht gefallen. Desto besser aber die Operette Julie, besonders die Frize; und als die B ... heraus kam und sagte: ›Hier ist Deine Julie!‹ fing der Churfürst und das ganze Publikum an überlaut zu lachen. Es ist und bleibt ein steifer Holzblock. Schade um ihre Stimme. Da hast Du einmal wieder viel Geld weggeschmissen. Der Churfürst ist mit der Oper, aber gar nicht mit der Komödie zufrieden. Die K ... und den I ... will er durchaus nicht mehr sehen, und er hat Recht. Ich gehe gar nicht mehr zu ihm, denn eine unzufriedene Miene dieses besten Fürsten würde mich zu Boden schlagen. Du hast ja bei der Maynzer Gesellschaft Leute überflüssig, schicke mir doch einige her; denn so kann und mag ich kein Stück mehr geben.« Die K. und J. waren nicht ständige Mitglieder der Truppe.

Am 16. Nov.: »– – Mit der Fritze bin ich sehr zufrieden, sie ist fleißig und brav. Gestern hat sie mich recht erschreckt, man brachte sie mir krank von der Probe ins Haus, ich ließ sie gleich ins Bett bringen. Was wird das werden, sagt' ich, mit der Komödie? Sie sprang aus dem Bette, Meinethalben keine Veränderung, sagte sie, ich singe, und wenn ich halb todt wäre. – – Künftigen Donnerstag soll sie im Konzert singen; die Schroth über acht Tage. – – – Leb wohl, Goldjunge, Grüß die Frau Räthin Göthe. Was macht die treffliche Mutter des großen Sohnes11

[89] Am 18. Nov. berichtet sie über die Ankunft von Madam G.12, welche ihr nicht sonderlich gefällt, und Herrn D.13, einem äußerlich sehr häßlichen Manne; beide sollen am folgenden Sonntag spielen. Herrn G. will sie nicht engagieren. Dann fährt sie fort: »Der argwöhnische Liebhaber hat sehr gefallen. Beck hat meine Erwartung ganz übertroffen und sich mit dem Publikum ganz ausgesöhnt. Aber erstaunen wirst Du, wie ich, über Widemann. Der hat alles gethan [als Kaufmann im Fabrikant von London], was ein geübter Chevalierspieler nur thun kann und hat sehr gefallen, und das ist mein Werk! Ich habe ihn die Rolle gelehrt. Ja, ja! Stutzt der Mann! Wundert sich das Gehirnchen? Glaubs wohl? Gieb acht, in einem Jahr wird Widemann einer unserer besten Schauspieler.«

Am 21. Nov. an Hofrat T., unter vielen Klagen über Geschäfte und Unwohlsein: »Alle Vormittag Singprobe, alle Nachmittag Leseprobe –«

Am 24. Nov. an Großmann: – – »Ja wohl hat Nuth getanzt, und hat auch sehr gefallen, aber der arme Teufel hat für alle seine Sprünge nichts bekommen. Es muß vergessen seyn, sonst giebt Vater Churfürst ja gern! Die Mutter ist ein artig Conversationsstück, gut, eine geschmackvolle Lesegesellschaft zu unterhalten, aber es ist wie ein schönes Miniaturgemälde, daß in einiger Ferne keine Wirkung mehr thut. Friz hat die Aglar recht brav gespielt, ist auch brav beklatscht worden. Dunst hat viel natürlich gutes Spiel, mir gefällt er ziemlich, aber er schmeckt nicht auf Opitz, und Schmidt und Steiger. Die Gensike spricht ihre Rollen mit Verstand, aber sie will doch nicht recht gefallen. – – Morgen spielt Gensike, aber ich nehme ihn gewiß nicht an. –«

Am 3. Dezember: »Gestern war der Herr Oberstallmeister bey uns. Er sprach viel von der Komödie. Der Churfürst möchte gern von der Fritze Gotters Mariane sehen, ich soll es gleich einstudiren lassen. Schick' es mir also gleich, und den Einsiedler für den Churfürsten, und den teutschen Hausvater! – – Es bleibt also dabey, daß Du den Maler im Hausvater hier spielst, der Churfürst weiß es schon; es ist die erste Vorstellung nach dem Fest. Alles freut sich drauf. – –«

Am 8. Dez. – »Friz hat gestern wieder herrlich gespielt und gesungen, aber vor Mariane ist mir ein bischen angst. Sie hat keine Zeit, [90] solche Rollen gehörig zu studieren; auswendig lernen kann jeder Stümper, ausarbeiten macht den Künstler.«

Am 10. Dez. – »Ich habe keine Parteilichkeit gegen irgend einen von der Gesellschaft. Sie sind mir alle gleich, und Du wirst auch, wenn Du kömmst, hören, daß keiner über mich klagen wird. Denn ich gehe mit allen um, wie mit Brüdern und Schwestern. Aber thun laß ich mir nichts Ungeziemendes. Ich behaupte, was ich zu behaupten habe; lese selbst die Stücke und theile sie nach meiner Einsicht aus.«

Am 11. Dez. – »Der Einsiedler hat gefallen. Wenn er durchaus wäre besser gespielt worden, hätt' er außerordentlich gefallen. Wenn die Fritze nicht bald unter andre bessre Leute kömmt, so glaub' ich, daß sie nachlässig wird. Alle Lust vergeht ihr. Und manche Thräne rinnt ihr die Backen herab, wenn neben ihr alles verhunzt wird. Sie will mehr, nicht weniger in der Kunst werden.« –

Die Theatersaison und mit ihr die Gesellschaft kam zu einem unerwarteten Ende. Belderbusch starb im Januar 1784; Frau Großmann starb an den Folgen des Kindbetts am 29. März; und am 15. April folgte ihnen Kurfürst Max Friedrich in eine andere Welt.

»Nach dem Ableben des Höchstseeligen Kurfürsten Maximilian Friedrich wurde wegen der Hof- und Landestrauer das Hoftheater geschlossen und die Hofschauspielergesellschaft mit einem vierwöchentlichen Gehalt entlassen. Großmann, Direktor derselben, führte solche nach Aachen, wo er selbige bis auf einige Mitglieder entließ, weil mit dem jetztregierenden Herrn kein neuer Kontrakt zu Stande kam. Für nächstes Karneval ist nachher die Böhmische Gesellschaft angenommen worden14.« So lautet die Erzählung im Theaterkalender für 1785 über die Katastrophe von Max Friedrichs Hoftheater.

Fußnoten

1 H. A. O. Reichard, Theaterkalender 1778, S. 99.


2 Die Nachrichten über Großmanns Tätigkeit in Bonn stellt J. Wolter zusammen in den Rhein. Geschichtsblättern, Jahrg. 4, S. 1f. Anm. d. Herausg.


3 Man möchte versucht sein zu glauben, daß die Rede der Minerva an Lindor die Veranlassung zu Kotzebues Ruinen von Athen war, mehr als 30 Jahre später; hat Beethoven sich der Musik Helmuths erinnert? Anm. d. Herausg.


4 Von den hier genannten Personen erscheinen Großmann mit Frau und Tochter (Frl. Flittner), Erhard und Frau und Josephi mit zwei Töchtern in den Fischerschen Mitteilungen unter den Besuchern des Beethovenschen Hauses, während Pfeiffer dem Knaben Beethoven noch näher trat. Anm. d. Herausg.


5 Vgl. Anh. VI.


6 Der Verfasser schöpft diese Mitteilung gewiß aus guter Erkundung, über die er sich nicht näher ausspricht. An sich ist es wahrscheinlicher, daß der Eingang für das Publikum von der Stadtseite her erfolgte. Die Frage dürfte heutzutage kaum noch zu entscheiden sein. Anm. d. Herausg.


7 Darauf dürften sich die Worte der Frau Großmann in dem Briefe an ihren Mann vom 2. Dez. 1783 beziehen: »Daß Dir der Unmensch Pf.* Deine Freude verdorben hat, kann ich ihm nicht vergeben.« Neefes biogr. Skizze (s.u.) S. 62. Anm. d. Herausg.


8 Ernst Wilhelm Wolf (1735–92). Das »Rosenfest« war 1771 zuerst in Weimar aufgeführt (Text nach Favarts Rosière de Salency).


9 Hofrat Tabor, Leiter des Frankfurter Stadttheaters. Anm. d. Herausg.


10 Vermutlich Brandt, da es sich um einen Sänger handelt. Anm. d. Herausg.


11 Goethe war der Pathe des kleinen Wolfgang Großmann.


12 Gensike (?).


13 Döbbelin? Döring?


14 Johannes Böhm spielte mit seiner Gesellschaft ebenfalls in Frankfurt und erwarb sich Verdienste um die Aufführung Mozartscher Opern. Anm. d. Herausg.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 1, 3. Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1917.
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