VIII.

Beethovens Geburtshaus.

Vom Herausgeber.


Wir stellen nachstehend das Wichtigste aus den zurzeit sehr eifrig geführten Verhandlungen über das Geburtshaus Beethovens zusammen, teils weil wir glauben, daß aus unmittelbarer Anschauung der damals für und wider vorgebrachten Gründe die Richtigkeit der im Texte gegebenen Entscheidung mit größerer Klarheit sich ergeben wird, teils weil in den verschiedenen hierher gehörigen Artikeln noch manches interessante Zeugnis von Altersgenossen Beethovens und manche Notiz über das ehemalige Bonn gegeben ist, die man in den alten Zeitungen jetzt kaum mehr aufzusuchen sich veranlaßt sehen wird.

Die Frage nach dem Geburtshause Beethovens hatte erst Wegeler mit wirklichen Gründen, und zwar zugunsten der Bonngasse, behandelt und beantwortet; für die Rheingasse sprach nur eine dunkle und auf kein bestimmtes Zeugnis gegründete Tradition. Auf einen kurzen Bericht über Wegelers Notizen im Feuilleton der Kölnischen Zeitung von 1838, Nr. 164, ließ nun Dr. Hennes in Nr. 196 desselben Jahrgangs folgenden Aufsatz einrücken:


»Beethovens Geburtshaus.


Beethoven ist geboren zu Bonn, im Jahre 1770, um die Mitte des December, wahrscheinlich am 15. December1. In welchem Hause ist er geboren? Das Feuilleton der kölnischen Zeitung vom 13. v. M. (Nr. 164) hat sich, nach den Mittheilungen der kürzlich erschienenen, höchst interessanten Broschüre über Beethoven für das Haus in der Bonngasse Nr. 515 entschieden. Sehen wir zu, wie es sich damit verhält.

In Bonn weiß man, daß Beethoven's Eltern in der Rheingasse, in der Wenzelgasse, auf der Brücke und in der Bonngasse gewohnt haben. Die Eltern starben, Beethoven kam von Bonn weg, nach Wien. Die schöne Zeit der Regierung des Kurfürsten Max Franz ging für Bonn zu Ende. Die Stürme des Krieges kamen. Unter der Noth der Gegenwart vergaß man die Herrlichkeit der kurfürstlichen Capelle. Beethoven'sche Musik hörte man nur selten. Wenn nicht der alte Herr Simrock mit [477] Beethoven in stetem Verkehr geblieben wäre, man hätte wohl selbst seinen Namen nur selten in Bonn gehört. Nur wenige bewahrten in liebendem Herzen die Erinnerung an den edlen Meister. Als aber der Kranz des Ruhmes immer glänzender um seinen Namen strahlte, am meisten als bei der Nachricht von seinem Tode der Gedanke an den großen Werth des Mannes und das Gefühl des unersetzlichen Verlustes in immer weiteren Kreisen sich verbreitete: da fing man an sich der Erinnerung an die Zeit hinzugeben, die er in Bonn verlebt. – Da war es denn auch, daß auf mehr wie Einer Seite Prätendenten auftraten, die seine Geburtsstätte in ihre Nähe verlegen, die mit ihm Nachbarskinder sein wollten. Jene vier Straßen, wo Beethoven's Eltern gewohnt, stritten um Beethoven wie die sieben griechischen Städte um den Homer.

Was soll uns nun den Streit entscheiden? Jener treue Freund Beethoven's, dem wir die oben erwähnte Broschüre verdanken, hat sich für die Bonngasse erklärt; indeß, wie. groß auch das Gewicht seiner Autorität ist, es wird uns gestattet sein, seine Meinung zu prüfen. – Was Beethoven, wie jeder unverheirathete Mann, so sehr ungern hatte, nämlich die Erkundigung nach seinem Taufschein, dazu müssen wir nun doch hier schreiten. Er findet sich in dem genannten Werke S. 4, und wir erfahren, daß er in der Pfarre St. Remigii am 17. December 1770 getauft worden, daß sein Großvater und die Frau Gertrud Baums seine Taufpathen gewesen. Wir sind schon zufrieden mit dieser Nachricht, denn wenigstens eine negative Ausbeute, wenn ich so sagen darf, giebt uns dieser Taufschein. Wenn es urkundlich erwiesen ist, daß er in St. Remigius getauft worden ist, so steht ebenfalls fest, daß er nicht außerhalb des Pfarrbezirks dieser Kirche geboren ist. Jenes Haus in der Bonngasse lag aber in der Pfarre St. Peter in Dietkirchen, und kann also nicht das Geburtshaus Beethoven's sein. Ohnehin wird man das, was zur Unterstützung jener Meinung angeführt wird, nicht als Beweis gelten lassen. Es heißt nämlich (a. a. O. S. 6), jene Frau Gertrud Baums, Beethoven's Pathin, habe in der Bonngasse gewohnt, und die Nachbarn seien es ja, die man zu Gevatter zu bitten pflege. Keineswegs; zu Gevatter bittet man seine Verwandten, und, wenn man deren keine hat oder sie nicht nehmen will, seine Freunde, die aber nicht immer gerade unsere Nachbarn sind. –

Die Prätensionen des Hauses in der Bonngasse hätten wir also zurückgewiesen. Sie sind auch noch nicht alt und haben in Bonn noch nicht Wurzel gefaßt; so viel ich weiß, datiren sie erst aus der Zeit, wo das Beethoven-Comité in Bonn die Geister in unruhige Bewegung gesetzt hat. [478] Früher war eine andere Meinung vorherrschend; und eben in die frühere Zeit, wo die Rivalitäten uns noch nicht entgegentreten und unsere Untersuchung stören, müssen wir zurückgehen und ihr Zeugniß vernehmen. Es gab auch damals überall, wo Beethoven's Eltern gewohnt, Leute, die den berühmten Mann ihrer Straße vindiciren wollten. Aber im Allgemeinen ward immer das Haus in der Rheingasse Nr. 934 als Beethoven's Geburtshaus bezeichnet. Wo man, in der früheren Zeit, nur irgend unter den Merkwürdigkeiten Bonns Beethoven's Geburtsstätte angegeben findet, ist es regelmäßig das eben genannte Haus. Ich will mich hier auf die Gasthofs-Empfehlungs-Karten und die beigedruckten Notizen über die Merkwürdigkeiten der Stadt beziehen, weil sie gewöhnlich am meisten verbreitet werden und als der Ausdruck dessen gelten können, was in der Stadt allgemein angenommen wird. Eine Abbildung des Gasthofs zum ›goldenen Stern‹ habe ich vor mir liegen. Auf der Rückseite sind die ›Sehenswürdigkeiten in und bei Bonn‹ angegeben, darunter Nr. 11: ›des berühmten Compositeurs Louis van Beethoven Geburtshaus, Rheingasse Nr. 934.‹ Dieselbe Angabe findet sich auch auf den Karten anderer Gasthöfe. Warum soll nun die früherhin herrschende Meinung plötzlich verdrängt werden? Wir haben gesehen, auf wie schwachen Stützen die Behauptung ruht, welche dies versucht hat.

In diesem Hause in der Rheingasse wohnte schon Beethoven's Großvater. Er war mit dem Besitzer desselben, Joh. G. Fischer, befreundet, und blieb in dieser Wohnung dreißig Jahre lang, bis an seinen Tod (1773). Mit seinen Freunden von der kurfürstlichen Kapelle verherrlichte er im Jahre 1761 die Hochzeit des Sohnes seines Hausherrn, die acht Tage lang dauerte; denn mit einem Tage hatten die fröhlichen Bonner nicht genug, weil da erst der ernste Eindruck der feierlichen Handlung schwinde und nun der Jubel erst recht anfangen könne. Doch in das Herz des alten Beethoven kam kein Jubel. Er hat später mehrmals davon gesprochen, wie er so das junge glückliche Pärchen vor sich gesehen und dann an sein eignes Loos gedacht habe, sei ihm sehr weh um's Herz gewesen. Seine Ehe war nicht glücklich; seine Frau war dem Trunk ergeben; damit nicht Alles zu Grunde gehe, mußte er sie nach Köln in Pension thun, in ein Kloster, wenn ich nicht irre. Die unglückliche Leidenschaft ging von der Mutter auf den Sohn, Johann van Beethoven über. Was ihm der Vater hinterließ, hielt bei ihm nicht lange. Jene seine Leinwand, die sich, wie man mir sagt, durch einen Ring ziehen ließ, wanderte, ein Stück nach dem andern, aus dem Hause; selbst das schöne [479] große Portrait, worauf der Vater, mit der Troddelmütze auf dem Haupt und einem Notenblatt in der Hand, stattlich abgebildet war, kam zum Trödler. Er blieb nach des Vaters Tode auch nicht lange in jenem Hause, und häufig sehen wir ihn die Wohnung wechseln. Doch kam sein Sohn Ludwig noch in diesem Hause zur Welt, drei Jahre vor dem Tode des Großvaters. Die sechsundsiebzigjährige Juffer Cäcilia Fischer erinnert sich noch sehr gut, den kleinen Louis in der Wiege gesehen zu haben, sie weiß noch Manches von ihm zu erzählen; sie sieht ihn noch, wie er als kleines Bübchen auf einem Bänkchen vor dem Claviere stand, woran die unerbittliche Strenge seines Vaters ihn schon so früh festbannte. Ihre Erzählungen haben durchaus nichts Absichtliches; das jetzige Gerede über Beethoven's Geburtshaus ist ihr eher lästig; sie würde es gern auf sich beruhen lassen und für ihr altes Familienhaus, das sie mit ihrem jüngeren Bruder noch immer bewohnt, auf die Ehre verzichten. Soll ich noch andere Zeugen aufrufen? Der Patriarch von Bonn, Herr Oberbürgermeister Windeck – möge es mir verzeihen, daß ich an ihn appellire und es hier anführe, daß auch er in diesem Hause den kleinen Louis van Beethoven hat vor dem Claviere stehen und Thränen vergießen sehen.

Nicht lange sollte das Kind in diesem Hause bleiben. Ach, damals wollte man ihn mit den Seinigen nicht im Hause haben; heute feiert man die Stätte, wo seine Wiege gestanden! Der Besitzer des Hauses, Bäckermeister Theodor Fischer, klagte, da er Nachts backen und bei Tage schlafen müsse, sei er durch das ewige Musiciren in seinem Schlafe gestört. Vielleicht steckte noch etwas Anderes dahinter: Johann van Beethoven wird die Miethe nicht regelmäßig abgetragen haben2. Doch ganz und gar konnten der Bäckermeister und der Hof-Tenorist, die neben einander aufgewachsen waren, sich nicht trennen. Zweimal zog Johann v. Beethoven wieder in seines Vaters Wohnung und zweimal zog er wieder aus. –

Ohne Freuden ging Beethoven's erste Kindheit dahin. Aber herrlich blühte, unter Bedrängniß und Schmerzen, sein Genius empor. Und nun ließen die beiden Kurfürsten, Max Friedrich und Max Franz, an Schutz und Pflege es nicht fehlen. Von dem letzten wurde er im Jahre 1792 nach Wien zu Haydn geschickt. Bonn sah er nicht wieder.

Hennes.«


[480] Auf diese Bemerkungen antwortete Wegeler in Nr. 210 desselben Jahrgangs:


»Beethovens Geburtshaus.


Im Feuilleton zu Nr. 196 dieses Blattes wird meine in den, Biographischen Notizen über Beethoven ', S. 6, vorkommende Aeußerung: Beethovens Geburtshaus sei höchst wahrscheinlich das graus'sche in der Bonngasse, durch einige, auf den ersten Blick als höchst wichtig erscheinende Argumente zu widerlegen gesucht. Das erste derselben würde allerdings meine Meinung gänzlich umwerfen, hätte es mit dem wichtigsten der Vordersätze seine Richtigkeit. Der Verfasser geht nämlich von dem unbestrittenen Grundsatz aus: der Taufact wird in der Pfarrkirche vorgenommen, zu welcher der Täufling gehört. Da nun aber, schließt man ferner, der Taufact Beethovens von der Pfarrei St. Remigius ausgestellt ist, die Bonngasse aber, worin das graus'sche Haus liegt, zur Pfarrei Dietkirchen gehört, so kann B–n darin nicht geboren sein.

In diesem Syllogismus ist der Minor unrichtig, da die Bonngasse nicht zu der Pfarrei Dietkirchen gehörte, sondern ungetheilt zu jener von St. Remy. Meine eigene Ueberzeugung, da ich von 1796 bis 1802 im graus'schen Nebenhause bei Wittwe Baum wohnte, soll hier wenig in Anschlag gebracht werden, wohl aber die Kirchenbücher und ähnliche Acten. Die Unrichtigkeit dieser zu allgemeinem Befremden gewagten Behauptung ist zu notorisch, als daß ich nöthig fände, sie weitläufig zu wiederlegen. Sämmtliche Bewohner der Bonngasse, die sich irgend eines Zeitraumes zwischen 1765 bis 1806 erinnern, werden unumwunden gestehen, daß St. Remy ihre Pfarrei war. Selbst mein gar lieber Freund, Hr. Simrock am äußersten Ecke der Bonngasse, wenn er gleich gegen das graus'sche Haus sich lithographisch erklärte, wird offen sagen: In diesem Argumente finde ich keinen Trost. Nur seit der neuen Organisation der Pfarreien, 1806, gehört die Bonngasse zu Dietkirchen; ein Umstand, wodurch der Verfasser wahrscheinlich in Irrthum gerathen ist.

Durch dieses Argument kann demnach meine als höchst wahrscheinlich geäußerte Behauptung nicht umgeworfen werden; sie würde aber gänzlich entkräftet zu Boden liegen, wenn dem Fi scher'schen Hause das Recht als B–'s Geburtshaus vindicirt werden könnte. Es wird dieses durch folgende Schlüsse versucht: ›B–'s Großvater wohnte in demselben 30 Jahre lang bis an seinen Tod.‹ Für diese Thatsache und einige folgende werden die Erzählungen der jetzt 76 jährigen Tochter des fischerschen Hauses angeführt.

[481] Dagegen erzählte der eben jetzt bei mir verweilende Vater Ries dem Herrn Notar Kamp und mir: ›Beethoven, der Capellmeister, wohnte in der Bonngasse in dem an das jetzige Posthaus anstoßenden Hause Nr. 386, und starb daselbst. Da meine Eltern mit mir gerade nebenan Nr. 387 wohnten, so darf ich auf volle Glaubwürdigkeit Anspruch machen.‹ Erwägt man nun, 1) daß Herr Ries, der schon im 10. Jahre ins Orchester kam, mit seinem Capellmeister in naher Geschäfts-Verbindung stand; 2) daß er beim Tode des Capellmeisters, 1773, 17–18 (die Fischer nur 10–11) Jahre alt war; dann 3) daß die Geisteskräfte meines sehr werthen Freundes Ries, wie alle näheren und entfernteren Bekannten gern bezeugen werden, gegenwärtig noch in schöner Reise stehen: so verliert die Aussage der fischer'schen Tochter in diesem Puncte ihre Richtigkeit.

Ja, diese Entdeckung des Wohnhauses des Großvaters mag überdies ein Gewicht für das graus'sche Haus als Geburtshaus unseres Ludwig werden; da beide Häuser etwas schief gegenüber und keine 80 Schritte von einander entfernt liegen, so lebten die drei Generationen gar nahe zusammen.

Aber auch mein vortrefflicher Freund und Schulcamerade, der Oberbürgermeister Windeck, wird als Zeuge gegen meine Aeußerung angerufen! Gegen diesen würde ich, falls seine Aeußerung der meinigen entgegen wäre, die ganze Autorität meines höheren Alters, welches drei volle Tage beträgt, geltend machen; aber Windeck sagt nur: ›er habe in diesem (fischer'schen) Hause den kleinen Louis vor dem Clavier stehen und Thränen vergießen sehen‹. Ohne als Zeuge gegen mich selbst aufzutreten, erklärte ich hiermit offen: ›Das sah auch ich.‹ Wie? Das fischersche Haus hing nämlich, hängt vielleicht noch, rückwärts durch einen Gang mit einem Hause zusammen, welches in der Giergasse liegt und damals von einem höhern Rheinzollbeamten, Hrn. Bachem, Großvater des Hrn. Landgerichtsrathes Bachem dahier, als Eigenthum fortdauernd bewohnt wurde. Der jüngste Sohn desselben, Benedict, war unser Schulcamerad, und bei unseren Besuchen konnte von hier aus der kleine Louis, sein Thun und Leiden gesehen werden.

Des Herrn Ober-Bürgermeisters Aussage beweist demnach nur, daß die Eltern schon im Fischer'schen Hause wohnten, als Louis noch ein kleiner Knabe war.

In wie weit die Aufführung des Fischer'schen Hauses als Geburtshaus Beethoven's in den Merkwürdigkeiten Bonns unter den an, [482] geführten Umständen noch gelten kann, überlasse ich gern weiterer Beurtheilung.

Und somit sind demnach ›die Prätensionen des Hauses in der Bonngasse noch nicht zurückgewiesen‹.

Und so wird man mich wahrscheinlich auch vom Vorwurf freisprechen, ich hätte mein ›höchst wahrscheinlich‹ mit großem Leichtsinn ausgesprochen.

Eben so wenig kann ich von einer andern Aeußerung: der Tag der Taufe sei der Tag der Geburt oder doch der Tag hernach (S. 7), abstehen. Bonn war zur Zeit der Geburt unseres B–n eine rein katholische Stadt, der Landesherr ein geistlicher Fürst. Die Eltern eilten, und eilen noch, daß ihrem Kinde die Taufe ertheilt werde, da sie für das Leben eines so zarten Wesens in der höchsten Besorgniß stehen. Wird doch selbst bei Kindern gekrönter Häupter gleich die Nothtaufe (ondoyement) vorgenommen, wenn die feierliche Taufe verschoben werden muß. Begnügen wir uns, zu wissen, daß B–n den 17. December 1770 da war, und freuen wir uns, daß dieses Dasein uns so herrliche Früchte brachte.


Coblenz, 5. Juli 1838.

Wegeler.


Nachschrift. Eben, 27. Juli, erhalte ich noch einen durch Herrn Kamp in Bonn gefertigten Notariatsact, welcher die schriftlichen Erklärungen des Herrn Pfarrers in Dietkirchen, Breuer, des Herrn Ober-Bürgermeisters Windeck, und sechs ehrenwerther Bewohner der Bonngasse, alle im Alter von 58 bis 75 Jahren, enthält, die dahin lauten, daß vor der in französischer Zeit Statt gehabten Organisation der Stadt-Bonner-Pfarrei die so genannte Bonngasse zur Pfarrei d. h. Remigius gehört hat.

Aber der nämliche Act bringt auch ein noch weit wichtigeres Stück, nämlich eine Liste der Pfarrgenossen von St. Remy, welche zum Bau eines Hauses für ihren Pfarrer beitragen sollen. Hier finden sich in der Boungasse die Namen, Capellmeister Beethoff' (I. Liste), dann ›Herr van Beethoven‹ (Ludwigs Vater? II. Liste), dann ›Capellen-Mr. van Beethoven und Hofmus. Riß‹ (III. Liste). Dagegen sucht man in der Rheingasse vergebens nach dem Namen Beethoven, obschon der Name ›Mstr. Fischer‹ zwei Mal, und ›Bäckermeister Fischer‹ ein Mal neben den Namen Schreinermeister Karte, Witwe Karte, Nachgänger Merkenich und mehrerer Nachbarn vorkommt. (Diese drei Listen wurden, [483] einer andern Notiz zufolge, in den drei Jahren 1769–1770, Ludwigs Geburtsjahr, und 1771 aufgestellt).

Und so möchten nun die Prätensionen des Fischer'schen Hauses abgewiesen und meine als höchst wahrscheinlich gegebene Meinung wohl

Wahrheit geworden sein. Wegeler.«


Auf diese Entgegnung antwortete wiederum Hennes in Nr. 219 in einem Aufsatze, den wir abzudrucken nicht für nötig halten, da eigentlich neues Material in demselben nicht beigebracht ist. Er gesteht hier in zwei Hauptpunkten seinen Irrtum: erstlich darin, daß die Bonngasse nicht zu Remigius, sondern zu Dietkirchen gehört habe, und zweitens, daß Beethovens Großvater bis zu seinem Tode in der Rheingasse gewohnt habe; nur daran will er festhalten, daß er früher dort wohnte, und überhaupt an den sonstigen tatsächlichen Erinnerungen der Juffer Fischer, deren geistige Rüstigkeit er bezeugt. Er will dann annehmen, daß die jüngeren Beethovens anfangs noch beim Großvater gewohnt hätten (gegenüber Nr. 515), aber nach dem Tode des ersten Kindes umgezogen seien. Das Zeugnis der Frau Mertens, geb. Lengersdorf (Biogr. Not. S. 6) sucht er dadurch zu entkräften, daß diese nur zwei bis drei Jahre älter sei wie Beethoven, daß ihr Haus nicht so ganz nahe bei Nr. 515 liege, daß eine Verwechselung mit der Musikerfamilie Salomon, die auch in Nr. 515 wohnte, möglich sei, daß auch der Name Grau'sches Haus (da der Hoflakai Grau einmal in dem Wohnhause von Beethovens Großvater gewohnt habe) zu einer Verwechselung habe führen können. Endlich führt er ein Zeugnis des 1765 geborenen Sohnes der Patin des ältesten Beethovenschen Kindes (Frau Courtin) an, wonach die Beethovensche Familie nie in Nr. 515 gewohnt habe, und glaubt dieses Haus so beseitigt zu haben. Für die Rheingasse beruft er sich dann noch einmal auf die alte Bonner Tradition, welcher z.B. auch die Brüder Simrock sich angeschlossen hätten, muß aber auch eingestehen, daß die Juffer Fischer, auf ausdrückliche desfallsige Frage, gesagt habe, einen Eid könne sie darauf nicht ablegen, doch habe sie Beethoven als kleines Kind gesehen.

In bezug auf das über die Frau Mertens Gesagte erging nun in Nr. 224 folgende Erklärung:

»Zur Berichtigung dessen, was Herr Hennes rücksichtlich van Beethoven's Geburtshaus im Feuilleton der Nr. 219 dieser Zeitung von meiner Frau, gebornen Lengersdorf, geäußert, fühle ich mich verpflichtet, Folgendes zu entgegnen:

[484] 1) ist dieselbe nicht zwei bis drei, sondern fast acht Jahre älter, als Ludwig van Beethoven;

2) liegt ihr elterliches Haus nur zwei Häuser quer von Grau's Hause gegenüber, und

3) behält sie ihre frühere Aussage wahr, und ist bereit, dieselbe eidlich zu erhärten, daß damals, Anfangs der siebenziger Jahre, Beethoven's Vater (der Hofsänger) und erst später der Violinspieler Salomon nebst Familie im besagten Hause gewohnt, und daß sie daselbst häufig mit den Kindern Beethoven's und Mangin's, des damaligen Besitzers des Hauses Nr. 515, gespielt habe.

Uebrigens, da meine Frau in dieser Sache kein anderes Interesse, als das der Wahrheit, hat, so muß ich mir, nach dieser öffentlichen, bereits mehre Jahre früher abgegebenen Erklärung, allen ferneren Mißbrauch ihres Namens und Zeugnisses höflichst verbitten.


Bonn, den 10. August 1838. Johann Mertens.«


Hierauf wurde das Material noch einmal von dem damaligen Sekretär des Beethovenkomités, Gymnasiallehrer Kneisel, vollständig zusammengestellt und das Resultat in eingehender und überzeugender Weise gezogen. Sein Aufsatz findet sich in der Beilage zu Nr. 242, und wird hier zum größten Teil mitgeteilt.


»Beethovens Geburtshaus.


(Von C. M. Kneisel.)


– – Eine ältere, wiewohl nicht geprüfte Tradition hatte das Fischer'sche Haus in der Rheingasse als Beethoven's Geburtsstätte angenommen, aus dem einfachen Grunde, weil alle Schulcameraden und Freunde des Verstorbenen einstimmig versicherten, ihn dort, als Knaben von 7 bis 10 Jahren, gesehen, besucht und Clavier spielen gehört zu haben, worauf man denn natürlich auch auf die dortige Geburt desselben zurückschloß; was um so weniger Widerspruch fand, weil man bis dahin keine genauere Untersuchung über diesen Punct angestellt, sondern sich mit dem Zeugnisse seiner Jugendgespielen begnügte, um so mehr, da von den Zeitgenossen des Vaters selbst, deren Urtheil allein hier vollgültig entscheiden könnte, wahrscheinlich nicht mancher mehr am Leben sein dürfte. Daher kam es denn auch, daß diese unverbürgte Annahme, in Ermangelung anderweitiger Beweisgründe, allmählich als unbestrittene Thatsache betrachtet, und das Fischer'sche Haus auf den Titelblättern von Beethoven's [485] Werken (selbst bei dessen Freunde Simrock), Gasthausanzeigen und Topographien von Bonn ohne Weiteres für Beethoven's Geburtshaus ausgegeben ward.

Dagegen behauptet eine andere, jedoch minder beachtete, Tradition, Beethoven sei in der Bonngasse, und zwar in dem vormaligen Grau'schen oder eigentlich Mangin'schen Hause Nr. 515, geboren; denn so hieß der Besitzer und Hauptbewohner desselben zu Beethoven's Geburtszeit, wie dies aus dem Zeugnisse der noch lebenden Nachbarn, des damaligen Hoffouriers Mangin, aus den officiellen Kaufacten des jetzigen Eigenthümers Herrn D. Schildt und aus drei authentischen Beitragslisten jener Zeit, die sich in dem städtischen Archiv vorfinden, zur Genüge erhellt. Erst später ging dasselbe an Herrn Grau über, nach welchem es in der Folge gewöhnlich benannt ward. Diese Tradition aber konnte sich, blos aus Unkunde der für sie sprechenden Argumente, nicht geltend machen, bis der verdienstvolle Jugendfreund des berühmten Verstorbenen, Herr Geheimrath D. Wegeler in Coblenz, dieselbe in seinen ›biographischen Skizzen u.s.w.‹ als die ›höchst wahrscheinlich allein echte‹ aufstellte und durch so gewichtige Gründe bekräftigte, daß der Unbefangene sich wohl nicht leicht anders, als für die letztere, wenigstens für den Umstand, daß Beethoven nicht in der Rheinstraße, sondern in der Bonngasse geboren sei, erklären mußte.

Gegen dieselbe trat nun Herr Gymnasiallehrer Hennes in dem Feuilleton dieser Zeitung auf und suchte durch scheinbar schlagende Beweisgründe deren Gültigkeit zu entkräften und das Vorrecht der früheren Meinung zu verfechten. Doch die auf officielle Documente und authentische Zeugnisse gestützte Widerlegung des Herrn Wegeler dürfte schon an sich selbst hinreichend sein, jeden etwa noch obwaltenden Zweifel zu verscheuchen und die Wahrheit in ihr vollstes Licht zu setzen. Dessen ungeachtet mögen zur Vervollständigung und verstärkenden Bewährung derselben hier noch einige gehaltreiche Actenstücke und Beweisgründe aufgeführt werden, die der jetzige Besitzer des fraglichen Hauses, Herr D. Schildt, aus reinem Interesse für die Sache und zur völligen Aufklärung des Streitpunktes, ohne Rücksicht auf Mühe und Kosten sich zu verschaffen gewußt und zu Jedermanns Einsicht auf dem Rathhause zu Bonn niedergelegt hat.

1. Ein eigenhändiges Zeugniß des Herrn Joh. Conrad Poll dahier (nach dem Taufbuch geboren 1755 den 3. October), eines damaligen nahen Nachbars von Beethoven, welches wörtlich also lautet:

[486] ›Ich Endesunterschriebener bezeuge hiermit, der Wahrheit gemäß, daß ich aus meinen Knabenjahren, zwischen 13 und 16 Jahren, mich noch recht gut erinnere, daß damals, in der Bonngasse wohnend, der Capellmeister van Beethoven neben dem Gudenauer-Hof und dessen Sohn, der damalige Tenorist, schief gegenüber in dem Hause, was man später das grau'sche Haus nannte, gewohnt hat.‹

Diese Zeitangabe stimmt genau mit dem Geburtsjahr Beethoven's zusammen.

2. Ein Brief des Herrn Hofraths Professors etc. D. Wurzer zu Marburg, gleichfalls eines Jugendfreundes von Beethoven, mit folgender Erklärung:

›Ich habe die Beethovensche Familie wohl gekannt: den Großvater, den Vater und den berühmten Enkel. Der Großvater wohnte, wie ich glaube, in dem ersten Hause, nördlich vom Gudenauer-Hofe. Ich ging, als kleiner Knabe, in der Nachbarschaft in die Schule und habe den alten Mann oft gesehen, der gewöhnlich – nach der Sitte der damaligen alten Herren – einen rothen Mantel trug. Ich erinnere mich auch, diesen Mann begraben gesehen zu haben. Von dem Vater des berühmten Beethoven kann ich die Wohnung nicht mit Bestimmtheit angeben, da er, so viel ich weiß, dieselbe nicht selten gewechselt hat. Ich glaube aber, daß er einige Zeit zwischen Baum und Courtin (beide Häuser habe ich wohl gekannt) gewohnt hat. Uebrigens hat auch zwischen den ebengenannten Häusern (ungefähr um dieselbe Zeit) noch eine Familie gewohnt, die sich durch musicalische Talente auszeichnete, nämlich die Familie Salomon. Es wäre möglich, daß dies verwechselt werden könnte. – In welchem Hause der geniale Louis van Beethoven geboren ist, bin ich nicht im Stande zu sagen.‹

[Die von Kneisel mitgeteilte Fortsetzung dieses Briefes enthält die schon oben S. 259 von Thayer mitgeteilte Anekdote und kann daher hier übergangen werden.]

Aus diesem Briefe geht hervor, daß der Großvater in dem Hause Nr. 386 gewohnt und wahrscheinlich auch gestorben, und daß dessen Sohn wenigstens eine Zeitlang in dem Hause Nr. 515 gewohnt hat. Letzteres betheuert gleichfalls eine mehr als neunzigjährige Frau Walraff in hiesigem Stadtspital, welche in Gegenwart von Zeugen nachfolgende Erklärung abgegeben: ›sie habe (jedoch ohne bestimmte Zeitangabe) als Magd des Metzgermeisters Strang an sechs Jahre lang täglich das bestellte Fleisch zu dem Musicus Beethoven, nähmlich in das jetzige Schild'sche Haus getragen, erinnere sich aber des Capellmeisters nicht mehr.‹

[487] Über die Zeit, wann die Künstlerfamilie Salomon in dem fraglichen Hause gewohnt, spricht sich vorstehender Brief nicht bestimmt aus; daß dies aber erst nach 1771 gewesen sein kann, erhellt aus den bereits angeführten officiellen städtischen Listen jener Jahre, nach welchen Salomon damals auf der Josephstraße wohnte, und aus dem bekräftigenden Zeugnisse des Herrn Ries.

3. Die seit mehr als drei Jahren oft und vor Zeugen, namentlich in Gegenwart des Herrn Stadtbeigeordneten Haast, abgegebene, stets gleichförmige Erklärung der Frau Krumscheit in hiesigem Stadtspital (geboren nach dem Taufbuche 1757, den 24. April), deren Vater Nußbaum in den vorbemerkten Listen gleichfalls als ein ziemlich naher Nachbar Beethoven's aufgeführt erscheint:

›Ihre Mutter sei Arbeitsfrau bei dem Musicus Beethoven gewesen, der damals in dem jetzigen schild'schen Hause auf dem zweiten Stocke gewohnt; sie selbst habe als Mädchen von 13 bis 15 Jahren, und zwar bis zu ihrer ersten Communion, ihrer Mutter dort nicht selten geholfen und dabei häufig Beethoven's noch ganz kleines Kind, von dem sie aber nicht wisse, ob es ein Knabe oder ein Mädchen gewesen, auf ihren Armen getragen; erst später sei Beethoven nach der Rheingasse verzogen, wohin ihm auch ihre ältere Schwester als Arbeitsfrau gefolgt.‹

Das angegebene Alter des Mädchens, das durch den Umstand der im 16. Jahre gehaltenen ersten Communion, als einer wichtigen, nicht leicht vergeßbaren Lebensepoche, die genaueste Bestimmtheit enthält, trifft ganz genau mit ihrer eigenen und Beethoven's Geburtszeit zusammen; das von ihr getragene Kind kann daher nur unser Ludwig, nicht aber dessen ältester, gleichnamiger, oder dessen jüngerer Bruder Caspar Anton Carl sein, indem ersterer schon sechs Tage nach seiner Geburt verstorben und letzterer erst 1774 den 8. April geboren ward, und das Mädchen mithin damals schon wenigstens 17 Jahre alt gewesen wäre, was mit ihrer bestimmten Angabe durchaus unvereinbar ist.

4. Die ausdrückliche, schriftlich abgegebene Erklärung des Herrn Cunibert Joseph Baum (geboren 1771), des Sohnes der Pathin unseres Beethoven ›daß Louis und er, als kleine Knaben, öfter in seinem elterlichen Hause, Bonngasse Nr. 516, zusammen gespielt; und daß, nach Aussage seiner sel. Mutter, Anna Getrudis Baum, geb. Müller (gestorben 1804), selbige als Pathin, mit dem Großvater Beethoven als Pathe, bei dem jungen Louis zur Taufe gestanden, der sogenannte Taufschmaus in ihrem (elterlichen) Hause veranstaltet, und die Familie Beethoven [488] im Nebenhause Nr. 515, dem alten Hansen's, nachherigen Grau's Haus, gewohnt haben sollen‹. Dieses Zeugniß bedarf wohl keines Commentars: der Ausdruck, sollen' beurkundet blos die strenge Gewissenhaftigkeit des Ausstellers, schwächt aber keineswegs die bestimmte Aussage der Mutter, welche sich, bei Mittheilung dieser ihr wohlbekannten Thatsachen, dieses Zusatzes nicht bedient haben kann.

Nach diesen Zeugnissen, verbunden mit jenem bereits von Herrn Geheimrath Wegeler vorgebrachten, kann wohl kein Zweifel mehr darüber obwalten, daß Louis van Beethoven nicht in der Rheingasse – wo er allerdings in späteren Jahren als ein schon erwachsener Knabe wohnte – sondern in der Bonngasse und – gewiß mehr als ›höchst wahrscheinlich‹ – in dem jetzigen schild'schen Hause geboren ist – – –.«

II.


»Eben beim Schlusse dieses Aufsatzes erscheint Herrn Gymnasiallehrers Hennes Entgegnung in dieser Zeitung, worin er in zwei Hauptpunkten von seiner früheren Annahme abgeht.

Erstens giebt er zu: daß die Bonngasse damals in die St. Remigius-Pfarre gehört und es daher möglich sei, daß Beethoven dort geboren; obgleich er den aufgestellten Zeugenbeweis nicht für erschöpfend erklärt und an die Kirchen-Akten appellirt. Was besagen aber die verlangten Pfarrbücher? 1. daß alle gleichzeitigen Geburten in der ganzen Bonngasse, namentlich die mehrfachen der nächsten Nachbarn Baum, Courtin und Portz, sowie auch des damaligen Besitzers des fraglichen Hauses selbst, Joh. Georg Mangin – und zwar 1769 und 1771, also ein Jahr vor und ein Jahr nach Beethoven's Geburt – gleichfalls in dem Taufbuch von St. Remigius eingezeichnet sind; wobei also kein Ueberspringen der Häuser aus einer Pfarre in die andere stattfinden kann; 2. daß es damals, sowie auch jetzt noch, häufig Sitte war, in Ermangelung näherer Verwandten seine besten Freunde oder nächsten Nachbarinnen, die sich nicht selten in Einer Person vereinigen, als Taufpathen zu wählen; denn blos bei den eben angeführten vier Nachbarfamilien findet dies fast bei der Hälfte der Kinder statt; was Herr Hennes in seinem ersten Aufsatz gleichfalls in Abrede zu stellen versucht hat. Um wie viel mehr konnte dies bei Beethoven's Vater der Fall sein! Seine Frau war bekanntlich aus Thal Ehrenbreitstein und von ihren Angehörigen getrennt; er selbst ganz verwandtenlos und dabei in ziemlich beschränkten Umständen; was war [489] demnach natürlicher, als daß er seine nächste Nachbarin, die angesehene und vermögende Frau Baum, in deren Hause ja sogar der Taufschmaus gefeiert wurde, zur Pathin seines Söhnchens nahm?

Auf die von Herrn Wegeler angeführten drei Listen der Pfarrgenossen von St. Remigius legt Herr Hennes kein sonderliches Gewicht, obgleich dieselben als gleichzeitige officielle Documente jener Zeit (1769 bis 1771) von der entscheidendsten Wichtigkeit sind zur genauen Kenntniß der Wohnung des Capellmeisters Beethoven's, seiner Nachbarn, des Violinspielers Salomon und des damaligen Einwohners des fischer'schen Hauses, als welcher nämlich der Chirurg Tepping, nicht aber Beethoven, aufgeführt ist.

Zweitens giebt Herr Hennes zu: ›Beethoven, der Großvater, habe zuletzt, also auch zur Zeit der Geburt seines berühmten Enkels, nicht in Fischer's Haus, sondern in dem Hause neben dem Gudenauerhof, Bonngasse Nr. 386, gewohnt‹, – sei also auch daselbst gestorben – ›und die Juffer Fischer habe in diesem Punkte geirrt.‹

Stimmt man auch gern dem Herrn Hennes bei ›daß wir uns bei der Rückerinnerung an unsere frühesten Jahre leicht in Zeitbestimmungen irren, aber die Personen – doch wohl eben so gewiß auch die wirklichen Thatsachen – unserer Umgebung eben so wenig erträumen, als sich deren Andenken gänzlich verwischt‹: so handelt es sich hier nicht von einer bloßen Zeitbestimmung über das Todesjahr, sondern von einem reellen Factum, dem Todesfall des Kapellmeisters Beethoven, der nach der früheren Angabe der Juffer Fischer in ihrem Hause statt gefunden haben sollte, jedoch nach den Zeugenaussagen in der Bonngasse statt gefunden hat. Dieser Irrthum in einem Hauptpunkt ist demnach ein wesentlicher und von weit größerem Gewichte, als Hr. Hennes demselben einräumt; denn ein Todesfall in einem Gewerbhause und ein feierliches Begräbniß, wie dies doch sicher dem Hof-Capellmeister zu Theil ward, hätten sich, sollte man glauben, dem Gedächtniß eines 10-bis 11 jährigen Mädchens doch fester einprägen müssen, als eine drei Jahre früher statt gehabte schlichte Kindtaufsfeier, wenigstens eben so fest als die Erinnerung, den jungen Beethoven gewiegt zu haben3. – –

Diesem nach beschränkt sich Hr. Hennes' Beweisführung für das fischer'sche Haus lediglich auf folgende vier Punkte:

[490] 1. Auf die frühere Tradition. Eine Tradition kann aber nur in so fern Werth haben, als sie der geschichtlichen Wahrheit und glaubwürdigen Gegenbeweisen nicht widerspricht; was aber hier nicht der Fall ist. Daher wird sie wohl, da ihre Entstehung ermittelt, vor einer solchen Wolke von Zeugnissen verstummen müssen.

2. Auf die Gasthauskarten, Lithographien und Beschreibungen Bonns allein diese stützen sich ja selbst einzig und allein auf die einmal vorhandene Tradition, und können daher nicht umgekehrt derselben zur Stütze dienen; sie bestätigen bloß deren Vorhandensein, nicht aber deren Echtheit; sie stehen und fallen mit derselben, um so mehr, da sie keine eigenen Beweisgründe liefern; oder man müßte etwa nachfolgenden Schluß in ›dem Führer zu Sehenswürdigkeiten von Bonn bei J. M. Dunst 1838‹: ›das (fischer'sche) Haus in seiner ganzen Bauart hat schon an und für sich etwas ganz eigenthümliches an sich, und jeder Fremde wird beim ersten Anblick dasselbe für Beethoven's Geburtshaus halten‹, für einen Beweis gelten lassen. Auch sind dieselben so gar alt noch nicht, sondern gehören meist der jüngsten Zeit an, indem die älteren Reisebeschreiber, als Schreiber, Klein u.s.w., von Beethoven's Geburtshaus durchaus keine Erwähnung thun.

3. Vorzüglich und beinahe ausschließlich auf das Zeugniß der Juffer Fischer, und zwar hauptsächlich im Gegensatze mit jenem der Frau Mertens, geb. Lengersdorf, welches dadurch entkräftet werden soll. Vergleicht man nun beide mit einander, und wendet die Gründe, welche Hr. Hennes für die größere Glaubwürdigkeit der ersteren aufstellt, auch auf die letztere, welcher dieselben mit gleichmäßigem Rechte zukommen, und umgekehrt an, so dreht sich zugleich das ganze Verhältniß um, und der Gegenbeweis wird durch die bloße Vertauschung der beiden Namen geliefert. Im schlimmsten Falle würden sich demnach beide Zeugnisse gegenseitig aufheben; doch muß man hierbei in Anschlag bringen, daß Frau Mertens bei der ganzen Sache durchaus nicht betheiligt, Juffer Fischer aber, als Mitbesitzerin des fraglichen Hauses, gleichsam als Zeugin in ihrer eigenen Sache, und daher wenigstens nicht ganz unbetheiligt erscheint; ferner, daß erstere noch stets ihre ganze frühere Aussage wahrbehält und mit einem Eide zu bekräftigen erbötig ist, – wie dies ihr Ehegatte in der kölnischen Zeitung vom 12. August d. J. öffentlich erklärt, – letztere dagegen, nach dem eigenen Zugeständniß des Hrn. Hennes, bereits in einem wesentlichen Punkte von ihrer ersten Angabe abgegangen, und das Uebrige nicht gerade mit einem Eide erhärten möchte. Ohne dem noch [491] frischen und lebendigen Geiste, der Wahrheitsliebe und der individuellen Ueberzeugung der Juffer Fischer auch nur in etwa zu nahe zu treten, wird es doch wohl erlaubt sein, zu fragen, ob eine, sonst gewiß ehrsame und achtenswerthe Person, die sich, wenngleich unabsichtlich, in einem erheblichen Factum geirrt, nicht gleichmäßig durch eine bloße Zeitvertauschung auch in der Hauptsache irren, und in dem jungen Beethoven, den sie als Mädchen gewiegt, nicht unsern Ludwig mit einem von dessen beiden 1774 und 1776 nachgebornen Brüdern verwechseln könne? – Sie wäre alsdann 12 oder 14 Jahre alt gewesen; – endlich, ob deren isolirtes Zeugniß alle widersprechenden, trotz deren Uebereinstimmung, an Glaubwürdigkeit zu überwiegen fähig sei? Ich glaube nicht, daß ein Unbefangener die letzte Frage wird bejahen wollen.

4. Das Zeugniß des ehrwürdigen Sohnes der Pathin von Joh. van Beethoven's erstem Kinde, nach welchem derselbe erklärt haben soll, daß weder Beethoven, noch sein Vater, noch sein Großvater (bis zum Jahre 1784, und wahrscheinlich auch nicht in späteren Jahren) jemals in dem angeblichen Geburtshause gewohnt habe'; wonach, wie Hr. Hennes behauptet ›von dem Hause in der Bonngasse Nr. 515 ferner nicht mehr die Rede sein kann‹. Nun liegt aber von eben diesem gewiß unverdächtigen Zeugen, auf den Hr. Hennes, und zwar mit Recht, ein besonderes Gewicht legt, hieselbst eine handschriftliche Erklärung vor, wahrscheinlich dieselbe, worauf sich Hr. Hennes selbst bezieht, welche aber bloß Folgendes bewahrheitet: ›er könne nicht bestimmt und gewiß das Haus in der Bonngasse, worin der junge Ludwig van Beethoven geboren, angeben; nur das sei ihm gewiß, daß der Großvater des Ludwig, dessen er sich ganz genau erinnere, gerade seinem Geburtshause gegenüber (also in dem Hause neben dem Gudenauer-Hofe Nr. 386) gewohnt habe; daß aber dessen (Ludwig's) Vater damals in seiner Nachbarschaft gewohnt haben müsse, ginge unzweifelhaft daraus hervor, weil seine Mutter dessen erstes Kind zur Taufe gehalten, indem seine Familie mit Beethoven nicht verwandt war‹. Hienach wird also die vorstehende Schlußfolge des Hrn. Hennes als grundlos in sich selbst zerfallen, dagegen mit vollem Rechte auf das fischer'sche Haus angewendet werden können, indem, außer der unhaltbaren früheren Tradition und der alleinigen Aussage der Juffer Fischer, alle übrigen ziemlich zahlreichen Documente und Zeugnisse sich rücksichtlich Beethoven's Geburtsstätte einstimmig für die Bonngasse und größtentheils mit Bestimmtheit für das jetzige schild'sche, damals mangin'sche Haus Nr. 515 – keines aber gegen dasselbe, oder [492] nur muthmaßlich für irgend ein anderes in der Bonngasse erklären. – Höchstens könnte hier das Wohnhaus des Großvaters 386 in Betracht kommen, wenn man nämlich unterstellen wollte, Johann van Beethoven habe damals bei seinem Vater gewohnt; allein Herr Ries, der als Mitglied des Hoforchesters mit seinem Capellmeister und nächsten Nachbar in häufigem Geschäftsverkehr stand, versichert auf das bestimmteste ›der Tenorist habe nie daselbst bei seinem Vater gewohnt‹. – Hiernach wären denn alle neueren Einwürfe hoffentlich zur Genüge beseitigt; und so lange demnach, was aber sehr zu bezweifeln, keine gewichtigeren Documente und Zeugnisse, als die bisherigen, gegen das Haus Nr. 515 ermittelt werden, wird wohl nothwendig die Behauptung des Herrn Geheimraths u.s.w. Dr. Wegeler als völlig in Wahrheit begründet und unangefochten fortbestehen.« –

Die Verhandlung über diesen Gegenstand war, soweit sie in wissenschaftlicher Weise mit Gründen und Zeugnissen geführt wurde, hiermit abgeschlossen. In etwas anderer Weise wurde sie im Jahre 1845, kurz vor der Enthüllungsfeier des Denkmals zu Bonn, in dem Bonner Wochenblatte wieder aufgenommen und durch 6 Nummern dieses Blattes (194, 197, 198, 199, 200, 201) fortgeführt. Der erste dieser Artikel nimmt im allgemeinen auf den Kneiselschen Aufsatz von 1838 Bezug, beruft sich auf die dort angeführten Gründe und Zeugnisse, fügt denselben jedoch noch eine Erklärung des 1765 gebornen Peter Hertel bei, des Bruders der von Thayer öfter genannten Frau Karth, welcher auf dem Oberbürgermeisteramte protokollarisch folgendes erklärt hatte:

»In dem Hause Nro. 517 in der Bonngasse bin ich am 17. December 1765 geboren und habe mit meinen Eltern dieses Haus bis zum Jahre 1779 bewohnt. – Im Jahre 1770 wohnten in dem jetzt mit Nro. 515 bezeichneten, dem Dr. Schild gehörigen Hause, und zwar im Unterhause und auf der ersten Etage, der Eigenthümer desselben, Hof-Posamentirer Clasen, auf der zweiten Etage der Musicus Salomon und im Hinterhause der pensionirte Hof-Musiker van Beethoven. – In diesem Hause wurde Ludwig van Beethoven im Jahre 1770 geboren, seine Taufpathin war die in dem Nebenhause Nro. 516 wohnende Ehefrau Baum, der Taufpathe war der Großvater van Beethoven. Späterhin hat die Familie van Beethoven in der Rheingasse und zuletzt mit mir zusammen in dem Hause des Zinngießers Peretti Nro. 476 in der Wenzelgasse gewohnt.«

In der Antwort in Nro. 197 wird zunächst wieder, wie ehemals [493] von Hennes, die alte Tradition als wichtigster Grund für das Fischersche Haus genannt, ihr gegenüber die angeführten Zeugnisse für unerheblich erklärt, und dem Hertelschen Zeugnisse folgendes offenbar sehr ungewisse gegenübergestellt:


»Ich Unterzeichneter bezeuge auf Verlangen, daß ich in Bonn, Pfarre St. Remigius, am 3. August 1753 geboren bin und mithin fast siebzehn Jahre alt war, als Ludwig van Beethoven geboren wurde. Meine Aeltern wohnten damals in den 1760r bis 1770r Jahren zur Miethe in der Rheingasse in dem Hause links neben Bäckermeister Fischer 935. Von dort zogen wir in das Haus gegenüber Nro. 912, ehemals Karth's Haus genannt, wo wir bis in die 1780r Jahre wohnten. Ich habe den Großvater Ludwig van Beethoven, dessen Sohn Johann van Beethoven und den nachher so berühmten Enkel Ludwig van Beethoven sehr gut gekannt, den letzteren bis zu seinem 18. Jahr. Ich bescheinige ferner, daß meines Wissens nach Ludwig van Beethoven in dem Hause Rheingasse Nro. 934 geboren ist.


Bonn, den 18. Juli 1845.

Johann Hendrig Wandels.«


In den weiteren Auslassungen findet sich kein neues Material, und da sich ein persönliches Element in dem Tone derselben stark geltend macht, haben sie für unsern Zweck um so weniger ein Interesse.

Das Geburtshaus Beethovens, Bonngasse 515, ist im Jahre 1889 von einem Vereine Bonner Bürger angekauft und hergestellt und in demselben ein Beethoven-Museum eingerichtet worden, welches Handschriften, Briefe, Bildnisse und sonstige Reliquien Beethovens und vieles andere, was Bezug auf ihn hat, aufgenommen hat und sich noch fortgesetzt erweitert. An der Spitze des »Vereins Beethovenhaus« steht Herr Carl Ebbinghaus in Bonn; Ehren-Präsident war Joseph Joachim. Durch die in angemessenen Zwischenräumen veranstalteten Kammermusik-Aufführungen hat sich der Verein nicht nur für die Interessen des Beethovenhauses, sondern für die Pflege der Tonkunst überhaupt ein weithin anerkanntes Verdienst erworben. Nachricht über die Entstehung und die Sammlungen des Vereins erhält man in dem »Führer durch das Beethovenhaus in Bonn« von Dr. Schmidt und Dr. Sonnenburg.

Fußnoten

1 Es werden 2 Tage vor der Taufe angenommen.


2 Fischer sagt das Gegenteil (s. o. S. 119) und wird sich in diesem Punkte schwerlich geirrt haben. Anm. d. Herausg.


3 Cäcilia Fischer hat nach dem Zeugnisse ihres Bruders noch eine andere Angabe über das Sterbehaus des Großvaters gemacht, s. o. S. 448. Sie war in diesem Punkte offenbar unsicher. Anm. d. Herausg.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 1, 3. Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1917.
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