Sechstes Kapitel.

Das Jahr 1801. Das Ballett Prometheus. Neue Sonatenwerke (Op. 23, 24, 26–29.)

Der Ton von Beethovens Korrespondenz und die vielen Beweise seines unermüdlichen Fleißes während des Winters 1800–1 und der ersten Zeit des folgenden Frühlings zeigen uns durchaus »einen gesunden Geist in gesundem Körper«. Sein Geist findet in der Ausübung seiner Kräfte Freude und Zufriedenheit; sein Körper strotzt von blühender Gesundheit. Seine eigenen Worte an Wegeler: »Diesen Winter gings mir wirklich elend«, und die gelegentlichen Anspielungen auf schwache Gesundheit in seinen Antworten auf Hoffmeisters Briefe werden auf den Leser keinen großen Eindruck machen; sie erweisen sich als halb grundlose Entschuldigungen für seine geringe Pünktlichkeit im Schreiben. Das vorliegende Kapitel wird uns den jungen Meister zeigen, wie er sowohl vor dem Publikum, als auch vor den wenigen erschien, vor denen er die Maske ablegte und sein Herz in vertraulicher Unterhaltung öffnete; und es wird, wie wir hoffen, die völlige Rechtfertigung dessen enthalten, was vorher von seiner heroischen Energie, seinem Mute und seiner Ausdauer, die er unter Verwirrungen nicht gewöhnlicher Natur bewahrte, gesagt wurde.

Im Anfange des Jahres schrieb er nachstehenden Brief an Hoffmeister1.


»Wien am 15ten (oder so was

dergleichen) Jenner 18012.


Mit vielem Vergnügen, mein geliebtester Herr Bruder und Freund, habe ich Ihren Brief gelesen, ich danke Ihnen recht herzlich für die gute Meinung, die Sie für mich und meine Werke gefaßt haben und wünsche es [211] mir oft verdienen zu können; auch dem Herrn K. [Kühnel] bitte ich meinen pflichtschuldigen Dank für seine, gegen mich geäußerte Höflichkeit und Freundschaft abzustatten. –

Ihre Unternehmungen freuen mich ebenfalls und ich wünsche, daß, wenn die Werke der Kunst Gewinn schaffen können, dieser doch viel lieber echten wahren Künstlern, als bloßen Krämern zu Theil werde.

Daß Sie Sebastian Bach's Werke herausgeben wollen, ist etwas, was meinem Herzen, das ganz für die hohe, große Kunst dieses Urvaters der Harmonie schlägt, recht wohl thut und ich bald im vollen Kaufe zu sehen wünsche; ich hoffe von hier aus, sobald wir den goldnen Frieden verkündigt werden hören, selbst manches dazu beizutragen, sobald Sie darauf Pränumeration nehmen.

Was nun unsere eigentlichen Geschäfte anbelangt, weil Sie es nun so wollen, so sei Ihnen hiermit gedient, für jetzt trage ich Ihnen folgende Sachen an: Septett (wovon ich Ihnen schon geschrieben) 20 Duc., Sym phonie 20 Duc., Concert 10 Duc., große Solo-Sonate Allegro, Adagio, Minuetto, Rondo 20 Duc. Diese Sonate hat sich gewaschen, geliebtester Herr Bruder!

Nun zur Erläuterung: Sie werden sich vielleicht wundern, daß ich hier keinen Unterschied zwischen Sonate, Septett, Symphonie mache, weil ich finde, daß ein Septett oder Symphonie nicht so viel Abgang findet, als eine Sonate, deswegen thue ich das, obschon eine Symphonie unstreitig mehr gelten soll. (NB. das Septett besteht aus einem kurzen Eingangs-Adagio, dann Allegro, Adagio, Minuetto, Andante mit Variationen, Minuetto, wieder kurzes Eingangs-Adagio und dann Presto.) – Das Concert schlage nur zu 10 Duc. an, weil, wie schon geschrieben, ich's nicht für eins von meinen besten ausgebe – ich glaube nicht, daß Ihnen dieses übertrieben scheint alles zusammen genommen, wenigstens habe ich mich bemüht, Ihnen so mäßig als möglich die Preise zu machen. – Was die Anweisung betrifft, so können, da Sie mir es frei stellen, Sie selbe an Geimüller oder Schüller ergehen lassen. Die ganze Summe wäre also 70 Ducaten für alle 4 Werke, ich verstehe mich auf kein anderes Geld als Wiener Ducaten, wieviel das bei Ihnen Thaler in Golde macht, das geht mich alles nichts an, weil ich wirklich ein schlechter Negociant und Rechner bin. –

Nun wäre das saure Geschäft vollendet, ich nenne das so, weil ich wünschte, daß es anders in der Welt sein könnte. Es sollte nur ein Magazin der Kunst in der Welt sein, wo der Künstler seine Kunstwerke nur hinzugeben hätte, um zu nehmen, was er brauchte; so muß man noch ein halber Handelsmann dabei sein, und wie findet man sich darein – du lieber Gott – das nenne ich noch einmal sauer. – Was die L...... O....3 betrifft, so lasse man sie doch nur reden, sie werden gewiß niemand durch ihr Geschwätz unsterblich machen, so wie sie auch niemand die Unsterblichkeit nehmen werden, dem sie von Apoll bestimmt ist. –

Jetzt behüte Sie und Ihren Mitverbundenen der Himmel, ich [212] bin schon einige Zeit nicht wohl und da wird es mir jetzt sogar ein wenig schwer, Noten zu schreiben, viel weniger Buchstaben. Ich hoffe, daß wir oft Gelegenheit haben werden, uns zuzusichern, wie sehr Sie meine Freunde, und wie sehr ich bin


Ihr

Bruder und Freund

L. v. Beethoven.


Auf eine baldige Antwort – Adieu –«


Der folgende Brief bedarf eines einleitenden Wortes. Jener Feldzug, welchen das unselige Gefilde von Hohenlinden (3. Dezember 1800) beschloß, hatte die Hospitäler von Wien gefüllt, und unter den verschiedenen Mitteln, zum Besten der Verwundeten Geld zu erlangen, befand sich auch eine Reihe öffentlicher Konzerte. Den Höhepunkt dieser Reihe bildeten zwei Konzerte in dem großen Redoutensaale des kaiserlichen Schlosses. In dem einen derselben, arrangiert von dem Baron von Braun, als dem Direktor der Hofoper (am 16. Januar), wurde Haydns Schöpfung aufgeführt, unter des Komponisten eigener Leitung. Das andere wurde gegeben von Frau Frank (Christine Gerhardi), und zwar am 30. Januar. Sie selbst, Frau Galvani (Magdalena Willmann) und Herr Simoni waren die Sänger, Beethoven und Punto die Instrumentalsolisten (sie wiederholten die Hornsonate); Haydn dirigierte zwei seiner eigenen Symphonien, Paer und Conti dirigierten das Orchester bei der Begleitung der Vokalmusik. Dieses Konzert war die Veranlassung eines Briefes von Beethoven an Madame Frank4, zu dessen genauerem Verständnisse wir zuvor die Originalanzeige aus der Wiener Zeitung vom 21. Januar vollständig mitteilen müssen.


»Freitags den 30. Januar Abends wird die berühmte Dilettantin der Singkunst Frau von Frank, geborne Gerhardi, in dem großen k. k. Redoutensaale eine musikalische Akademie zum Vortheil der verwundeten Soldaten der k. k. Armee geben. – Das Weitere macht der gewöhnliche Anschlagzettel bekannt. Die Eintritts- Billete werden um zwei Gulden in der Hoffnung erlassen, daß in Hinsicht des edeln Zweckes die erprobte Menschenliebe des Wiener Publikums in diesem Preise keine Grenzen wahrnehmen wird. Die Art der Einnahme ist wie gewöhnlich, und unter der Obsicht einer von hoher Behörde dazu beorderten Person.«


Der Brief selbst (im Besitze des Herrn Dr. Theodor Helm, Direktors des Generalhospitals in Wien) ist ohne Datum und lautet so:


[213] »Pour Madame de Frank.


Ich glaube sie meine Beste erinnern zu müssen, daß bei der zweiten Ankündigung unserer Akademie sie wieder nicht ihren Mann vergessen lassen sollten, daß diejenigen, die diese A. durch ihre Talente unterstützen, dem Publiko ebenfalls bekannt gemacht werden – so ist es Sitte, ich sehe auch nicht ein, wenn dieses nicht geschieht, was denn das Auditorium zahlreicher machen soll, welches doch der Hauptzweck dieser A. sein soll; – Punto ist nicht wenig aufgebracht darüber, und er hat auch recht, und es war mein Vorsatz, noch ehe ich ihn gesehen, sie daran zu erinnern, indem ich mir es nicht anders als durch eine große Eile oder große Vergeßlichkeit erklären kann, daß es nicht geschehen ist. Sorgen sie also jetzt meine Beste dafür, indem wenn es nicht geschehen wird sie sich sichern Verdrießlichkeiten aussetzen werden.

Nachdem ich mich einmal durch andere und durch mich bestimmt überzeugt habe, daß ich in dieser A. nicht unnütz bin, so weiß ich, daß nicht sowohl ich, als auch Punto, Simoni, Galvani, eben das nemliche fodern werden, daß das Publikum auch mit unserm Eifer für das wohlthätige Gute dieser A. bekannt gemacht werde, sonst müssen wir alle schließen, daß wir unnütz sind. –

Ganz ihr

L. v. Bthvn.«


Ob dieser scharfe Widerspruch Beethovens seine gebührende Wirkung auf die Abfassung der Anschlagzettel übte, kann gegenwärtig nicht konstatiert werden; in der Wiener Zeitung wurde trotz desselben die obige Anzeige vom 24. und 28. wörtlich wiederholt.

In J. H. F. Müllers »Abschied von der K. K. Hof-National-Schaubühne« ist das Programm dieses interessanten Konzertes der Vergessenheit entzogen, und es erscheint wert, hier mitgeteilt zu werden.


»Den 16ten Januar (1801) wurde von dem Herrn Baron von Braun im großen Redouten-Saale unter der eigenen Direktion des Herrn Compositors Joseph Hayden dessen Schöpfung zum Vortheile der K. K. verwundeten Soldaten gegeben. Die Einnahme war: 7183 Gulden 28 kr. – Aus gleicher patriotischer Gesinnung gab die Frau von Frank, gebohrne Gerhardi, mit allerhöchster Bewilligung in dem K. K. großen Redoutensaale den 30ten dieses Monats eine musikalische Akademie zum Vortheile der K. K. verwundeten Krieger. Ihr rühmliches Unternehmen unterstützten die von den menschenfreundlichen Gefühlen belebten und in dem hier folgenden Verzeichnisse der aufzuführenden Stücke genannten berühmten Tonkünstler.


Erster Theil.


Simphonie von Herrn Joseph Hayden, Doktor der Tonkunst, von ihm selbst dirigirt.

Scena und Aria mit Chören aus der Oper Merope von Herrn Nasolini. Gesungen von Madame von Frank.

[214] Eine Sonate auf dem Piano-Forte, komponirt und gespielt von Herrn van Beethoven und accompagnirt mit dem Waldhorn von Herrn Punto.

Scena und Duetto aus der Oper Merope von Herrn Nasolini. Gesungen von Madame von Frank und Herrn Simoni, Sänger bei der K. K. Hofkapelle.


Zweyter Theil.


Simphonie von Herrn Joseph Haydn, Doktor der Tonkunst, von ihm selbst dirigirt.

Terzetto mit Chören aus der Oper Orazi und Curiazi, von weyland Cimarosa5. Gesungen von Madame Galvani, Madame von Frank und Herrn Simoni.

Aria mit Corno obligato von Rispoli, gesungen von Herrn Simoni und accompagnirt von Herrn Punto.

Scena und Finale aus der Oper Orazi und Coriazi, von weyland Cimarosa. Gesungen von Madame Galvani, Madame v. Frank und Herrn Simoni, mit Begleitung der Chöre.

Die Einnahme bei dieser patriotisch veranstalteten Akademie für die verwundeten K. K. Soldaten betrug 9463 Gulden 11 Kreuzer. Wobey Ihre Majestäten der Kaiser und die Kaiserinn, die Königinn von Neapel, so wie J. J. K. K. H. H. die Herren Erzherzoge und der Herr Herzog Albert von Sachsen-Teschen die gewohnten Beweise ihrer Großmuth wiederholten.«


Der offizielle Nachweis über die Einnahmen dieses Konzerts in der Wiener Zeitung vom 28. Februar ist folgender:


»Bey der von der Frau Christine v. Frank am 30. Jänner d. J. in dem K. K. Redouten-Saale zum Besten der verwundeten Soldaten gegebenen musikalischen Akademie sind 9463 fl. 11 kr. eingegangen, und über Abzug der dabey bestrittenen Auslagen pr. 593 fl. 33 kr. der zur Sammlung für die K. K. Armee bestellten Regierungskommission 8869 fl. 38 kr. übergeben worden.«


Bei dem damaligen Stande der Verhältnisse war es nicht die geeignete Zeit, öffentliche Konzerte zum eigenen Vorteil zu geben; überdies mag der Streit mit dem Orchester im vorherigen Jahre es verhindert haben, daß Beethoven das Burgtheater wieder erhielt; und das neue Theater an der Wien war zur Benutzung noch nicht fertig. Jedoch kann der Umstand, daß Beethoven in diesem Frühjahre keine Akademie gab, noch einen andern Grund gehabt haben; er war nämlich engagiert worden, ein wichtiges Werk für die Hofbühne zu komponieren.

[215] Salvatore Vigano,6 ein Tänzer und Verfasser von Balletts (sowohl der Handlung als der Musik), der Sohn eines Mailänders von gleichem Berufe, geb. 29. März 1769 zu Neapel, gest. 10. August 1821 zu Mailand, begann seine Laufbahn zu Rom mit der Übernahme von Frauenrollen, da es Frauen dort nicht gestattet war, auf der Bühne aufzutreten und hatte Engagements in Madrid, wo er Maria Medina, eine gefeierte spanische Tänzerin, heiratete, in Bordeaux, London und Venedig, wo er 1791 seinen Raoul, Sire de Crequi für das Theater San Samuele dichtete und komponierte. Von da kam er nach Wien, und die Wiener Zeitung verzeichnet das erste Auftreten von Vigano und seiner Frau als Tänzer am 13. Mai 1793, und die Aufführung des Raoul am 25. Juni im Kärntnertortheater. Nach zweijährigem aktivem Dienste daselbst nahm er eine Reihe Engagements in Prag, Dresden, Berlin, Hamburg und Venedig an, kehrte jedoch 1799 nach Wien zurück. Hier bot sich ihm bald nachher Gelegenheit zur Verfassung des Werkes, welches ihn mit Beethoven in Verbindung brachte. Die zweite Gemahlin des Kaisers Franz, Maria Theresia, war eine Frau von hoher musikalischer Bildung und einem guten und geläuterten Geschmack, und Vigano beschloß, sie gerade wegen dieser Eigenschaft in einem Ballett zu feiern. Haydns »Schöpfung«, die einen so großen Erfolg erlebt hatte und in kurzer Zeit hochberühmt geworden war, mag einigen Einfluß auf die Wahl des Gegenstandes »Die Geschöpfe des Prometheus« gehabt haben, und die Widmung von Beethovens Septett an die Kaiserin mag nicht ohne Einwirkung auf Vigano bei der Wahl des Komponisten gewesen sein. Das Werk wurde Beethoven zur Komposition übergeben.

Nach der Art und Weise, wie dieses Werk von den Biographen und Beurteilern des Komponisten vernachlässigt worden ist, scheint man annehmen zu müssen, daß sie es weder dem Gegenstande, noch der Ausführung, noch dem Erfolge nach seiner würdig gehalten haben. Man hat aber dabei wohl vergessen, daß er als Orchesterkomponist damals nur durch zwei oder drei Klavierkonzerte und seine erste Symphonie bekannt [216] war, und daß von Arbeiten Beethovens für die Bühne bisher noch nicht das geringste bekannt war. Außerdem muß die Stellung, welche das Ballett gerade damals an der Hofbühne einnahm, hierbei wohl beachtet werden; dasselbe stand in der Tat höher als je zuvor, und als es vielleicht jemals nachher gestanden hat. Vigano war ein Mann von wirklichem Genie und hatte eine Reform bewirkt, welche uns Heinrich von Collin anschaulich und lebendig beschrieben hat7. »Eine für ihn (Collin) ganz neue Art des Schauspiels zog aber damals seine Aufmerksamkeit in besonderem Grade auf sich. Unter der Regierung Leopolds II. waren nähmlich die Ballette, einst durch Noverre in Wien ein viel besuchtes Schauspiel, wieder auf die Bühne gebracht worden. Das allgemeine Interesse wandte sich sogleich wieder dahin; dies wurde aber in einem hohen Grade gesteigert, als neben dem Balletmeister Muzarelli auch ein zweiter Balletmeister, Herr Salvatore Vigano, Darstellungen gab, dessen Gemahlin vor den Augen der erstaunten Zuseher eine bis dahin nie geahndete Kunst entwickelte. Die wichtigste Staatsangelegenheit ist vielleicht nicht im Stande, eine heftigere Entzweiung der Gemüther hervorzubringen, als damals der Streit über den Vorzug der beiden Balletmeister bewirkte. Die Freunde des Theaters theilten sich sämmtlich in zwei Parteien, die sich wegen der Verschiedenheit ihrer Ueberzeugungen mit Haß und Verachtung betrachteten. Die Anhänger Muzarettis, als der schwächere Theil, welche hauptsächlich darum die Seite jenes Balletmeisters zu halten schienen, weil er früher als Vigano im Besitze der Bühne gewesen war, und sich durch den neuen Ankömmling gleichsam in seinem Rechte gekränkt, und aus dem vormaligen allgemeinen Beifalle verdrängt sah, waren die erbittertsten, und suchten selbst der Sache fremdartige Mittel hervor, um sich den Gegnern gegenüber zu behaupten; wie sie denn auch das ganz allein auf wahre Kunst gerichtete Spiel der Madame Vigano als unsittlich zu verschreien trachteten, welches freilich nicht wie sie wollten gelingen wollte. Die Verehrer des neuen Balletmeisters im Gegentheile nannten die Vertheidiger des Aelteren mit ganz offener Verachtung Ignoranten, welche von der Idee der Schönheit niemals auch nur eine leise Ahndung gehabt hätten. Sie waren aber nicht sowohl damit beschäftigt, ihnen diese Meinung fühlen zu lassen, als vielmehr den Gegenstand ihrer Verehrung mit ungestümer Lobpreisung bis an den Himmel zu heben, und wirklich hörten die Theater zu Wien solch stürmenden Lärm des [217] Beifalls und gleichsam donnerndes Gebraus der zujauchzenden Menge nie wieder, wie in den Balletten jener Zeit. Die Feinde des Balletmeisters mußten im Theater vor dem betäubenden Schalle des Beifalls, der von den Parterren, Logen und Gallerien wiederhallte, unmuthsvoll verstummen. Diesen seltnen Sieg, welchen der neue Balletmeister über den älteren davon trug, hatte er der Zurückführung seiner Kunst von den übertriebenen, nichtssagenden Künstlichkeiten des älteren italienischen Ballets auf die einfachen Formen der Natur zu danken. Allerdings mußte es befremden, plötzlich in einer Gattung des Schauspiels, in welcher man bisher nichts als Sprünge und Gliederverrenkungen, mühsame Stellungen, combinirte, vielfach verschlungene Tänze, die keinen Eindruck der Einheit zurückließen, zu sehen gewohnt war, plötzlich Handlung, Tiefe der Empfindung und reine Schönheit der äußeren Darstellung zu erblicken, welche in den früheren Balletten des Herrn Salvatore Vigano so herrlich sich entwickelten und ein neues bis dahin nicht gekanntes Reich des Schönen aufthaten. Und wenn es zwar ungezweifelt wahr ist, daß besonders der naturgemäße, heitere, zwanglose Tanz der Madame Vigano8 und ihr ebenso ausdrucksvolles als reizendes Mienenspiel vorzüglich den allgemeinen Beifall nach sich zogen, so war nichts desto weniger der Gehalt der Ballette selbst, die sich von den späteren Erfindungen desselben Meisters sehr vortheilhaft unterschieden und sein damals ganz classischer gediegener männlicher Tanz gleichfalls vorzüglich geeignet, die Gemüther mit Bewunderung und Achtung für den Meister und seine Schöpfungen zu erfüllen.« – Es lag also nichts Entwürdigendes für Beethoven darin, daß er den Antrag annahm, die Musik zu einem Ballett von Vigano zu komponieren; von wem aber dieser Antrag an ihn erging, wann und unter welchen Bedingungen er gestellt wurde, über alle diese und andere Einzelheiten wissen wir nichts. Unsere Kenntnis beschränkt sich darauf, daß beim Schlusse der Saison, vor Ostern, am 28. März das Ballett »Die Geschöpfe des Prometheus« zum ersten Male aufgeführt worden ist zum Benefiz der Primadonna des Ballettkorps, Fräulein Cassentini, und daß die Zahl der Aufführungen desselben sich in diesem Jahre im ganzen auf 16, und im Jahre 1802 auf 13 belief.

[218] Ersteres geht aus dem, vom Verfasser im chronol. Verzeichnis mitgeteilten Theaterzettel hervor, welcher so lautet:


»Neues Ballet.

Im Kaiserl. Königl. Hoftheater nächst der Burg

und von den K. K. Hof-Operisten

heute Samstag den 26. März 1801 aufgeführt

zum Vortheil der Mademoiselle Casentini

Der Dorfbarbier.

Ein Singspiel in einem Aufzuge, nach dem Lustspiele

dieses Nahmens bearbeitet.«


Nachher (Zum ersten Mahle)

Die Geschöpfe des Prometheus,

Ein Heroisches, allegorisches Ballet in zwey Aufzügen

von der Erfindung und Ausführung des Herrn Salvatore Vigano.


Personen.


PrometheusHerr Cesari.

KinderMlle. Casentini.9

KinderHerr Salvatore Vigano.

BacchusHerr Ferdinand Gioja.

PanAichinger.

TerpsichoreMad. Brandi.

ThaliaMad. Cesari.

MelpomeneMad. Reuth.

Apollo.

Amfione.

Arione.

Orpheus.


Die Grundlage dieses allegorischen Ballets ist die Fabel des Prometheus.

Die Philosophen Griechenlands, denen er bekannt war, erklären die Bespielung der Fabel dahin; daß sie denselben als einen erhabenen Geist schildern, der die Menschen zu seiner Zeit in einem Zustande von Unwissenheit antraf, sie durch Wissenschaften und Kunst verfeinerte und ihnen Sitten beybrachte.

Von diesem Grundsatze ausgegangen stellen sich in gegenwärtigem Ballet zwei belebt werdende Statuen dar, welche durch die Macht der Harmonie zu allen Leidenschaften des menschlichen Lebens empfänglich gemacht werden.

Prometheus führt sie auf den Parnaß, um sie von Apoll, dem Gott der schönen Künste, unterrichten zu lassen. Apoll befiehlt dem Amfione, dem Arione und dem Orpheus, sie mit der Tonkunst, der Melpomene und der Thalia mit [dem] Trauer- und Lustspiele, der Terpsichore und dem Pan sie mit dem [von] letzterem erfundenen Schäfertanze – und dem Bacchus [sie] mit dem heroischen Tanze, dessen Erfinder er ist, bekannt zu machen.

Die Music ist von Herrn van Beethoven.

Die Dekorationen sind vom Herrn Platzer, k. k. Hofkammermahler und Hof-Theater-Dekorateur.


[219] (Folgt Anzeige eines maskirten Balles im Redoutensaale am Ostermontag den 6. April.)

»Der Anfang ist um halb 7 Uhr.«10


Eine weitere Erzählung der Handlung des Balletts ist in dem oben angeführten Buche über Vigano von Ritorni enthalten, aus welcher zuerst Grandaur in der Bayerischen Zeitung vom 27. März 1867 (abgedruckt Allg. Mus. Z. 1867, S. 179) und dann der Verfasser im Anhange der ersten Auflage dieses Bandes (S. 381) die betreffende Stelle in deutscher Übersetzung gegeben haben. Es scheint erforderlich, sie hier einzureihen.


[220] »Die Menschen des Prometheus oder Die Macht der Musik und des Tanzes.


Verfolgt durch den heftigen Zorn des Himmels, welches Gelegenheit zu einem geräuschvollen musicalischen Vorspiel gibt, kommt Prometheus durch den Wald gelaufen zu seinen beiden Thonstatuen, denen er eiligst die himmlische Flamme aus Herz bringt. Während er nach Vollendung der Arbeit müde und bekümmert sich auf einen Felsen legt, erlangen jene Leben und Bewegung, und werden dann in Wirklichkeit, was sie scheinbar waren, Mann und Frau (Salvatore selbst und die vortreffliche Casentini). Prometheus fährt erschrocken auf, sieht sie mit Freude an, lädt sie mit väterlicher Liebe zu sich ein, kann aber durchaus kein Gefühl in ihnen erwecken, welches den Gebrauch der Vernunft zeigte: im Gegentheil lassen sich jene, anstatt sich zu ihm zu wenden, indolent auf die Erde fallen neben einem hohen Baume (sollte dieser etwa die Eiche bedeuten, deren Früchte die unvermeidliche Nahrung der ersten Menschen waren?). Er wendet sich wiederum zu Liebkosungen und überzeugenden Worten; jene aber, welche den bessern Theil des Menschen, die Vernunft, nicht besitzen, verstehen seine Worte nicht und werden darüber verdrießlich, und versuchen dann mit täppischen Drehungen und Windungen sich zu entfernen. Hierüber betrübt, versuchte es der Titan noch mit Drohungen, und da dieselben nichts helfen, wird er unwillig und will sein Werk wieder zerstören; doch eine innerlich vernommene höhere Stimme hält ihn davon ab; er kehrt zu seiner ersten Empfindung zurück und indem er zu erkennen gibt, daß ein neuer Plan in ihm entstanden ist, erfaßt er die beiden und schleift sie mit sich fort.

Der zweite Act spielt auf dem Parnaß: es treten auf Apollo und die Musen, die Grazien, Bakchus, Pan und Gefolge, dann Orpheus, Amphion und Arion als Menschen, die künftig geboren werden sollen und mit einem kühnen Anachronismus hier eingeführt werden. Der Hof des Apollo zeigt bei Eröffnung der Scene ein schönes Bild dieser poetischen Figuren. Man bemerke, daß der Choreograph an dieser Stelle weder Musik noch Tanz im Besonderen will; dieselben treten erst bei dem neuen Auftritt jener ersten Personen als besondere Mittel ein. Diese Bemerkung gilt für alle ähnlichen Fälle. Prometheus kommt, um dem Gotte seine Kinder vorzustellen, damit es ihm gefalle, dieselben in den Künsten und Wissenschaften zu unterrichten. Auf den Wink des Phöbus schickt sich Euterpe, von Amphion unterstützt, zu spielen an, und bei ihren[221] Weisen beginnen die beiden jungen Wesen Zeichen von Vernunft und Überlegung zu geben, die Schönheiten der Natur zu sehen und menschliche Affecte zu fühlen. Arion und Orpheus verstärken die Harmonie mit ihren Cithern, und schließlich auch der Gott selbst. Die neu Geschaffenen tummeln sich hierhin und dorthin, und als sie vor Prometheus angelangt sind, erkennen sie in ihm den Gegenstand ihrer Dankbarkeit und Liebe, stürzen sich vor ihm nieder und umarmen ihn leidenschaftlich. Hierauf kommt Terpsichore mit den Grazien und Bakchus mit den Bakchanten, und führen (mehr für das Gefolge des Mars geeignet) einen heroischen Tanz auf. Die Geschöpfe des Prometheus widerstehen den Antrieben des Ruhmes nicht und wollen, nachdem sie die Waffen aufgerafft haben, am Tanze theilnehmen. Da tritt aber Melpomene dazwischen und stellt den erstaunten Wesen eine tragische Scene vor, indem sie ihnen mit dem Dolche zu erkennen gibt, wie der Tod die Tage des Menschen beschließt. Indem sie jene darüber in Entsetzen bringt, stürzt sie zu dem erstaunten Vater, macht ihm Vorwürfe, daß er die Elenden zu solchem Unglücke geschaffen habe, und glaubt ihn mit dem Tode nicht zu hart zu bestrafen; worauf sie ihn, den seine mitleidigen Geschöpfe vergebens zurückhalten, mit dem Dolche tödtet. Diesen Kampf unterbricht Thalia durch eine komische Scene, indem sie den beiden Klagenden ihre Maske vor das Gesicht hält, während Pan an der Spitze seiner Faune den getödteten Titanen wieder ins Leben zurückruft, und so endet mit festlichen Tänzen das Stück.«11

Diese Darlegung mußte hierher gesetzt werden, weil sie für uns den [222] einzigen Anhaltspunkt bietet, die Reihenfolge der Musikstücke Beethovens uns deutlich zu machen; denn das Textbuch des Balletts hat sich bisher nicht gefunden. Auch von der Originalpartitur wissen wir nichts; eine von Beethoven revidierte Abschrift der Partitur befindet sich auf der K. K. Bibliothek zu Wien und hat die Überschrift: »Ballo serio. Die Geschöpfe des Prometheus. Composto dal Sig. Luigi v. Beethoven.« Dieselbe enthält außer der Ouvertüre, an welche sich die Introduktion unmittelbar anschließt, 16 Nummern, einige mit kurzen Überschriften, wie gleich zu erwähnen sein wird. Skizzen der Musik finden sich neben solchen zu der Violinsonate Op. 24, zu den Klaviersonaten Op. 26 und 27 I, zum ersten Satze der zweiten Symphonie u.a. in einem auf der Berliner Bibliothek befindlichen Skizzenbuche; in demselben kommen noch vereinzelte Bemerkungen Beethovens vor, die für die Beziehung zu dem Bühnenvorgänge einen Hinweis geben12. Sie betreffen aber nur einen kleinen Teil; die Arbeit muß an einer anderen Stelle fortgesetzt sein. Für die Zeitbestimmung geben diese Skizzen kein genaueres Resultat; wenn aber im März 1801 schon die Aufführung stattfand, die natürlich schon einige Zeit vorbereitet war, so wird das Jahr 1800 für die Entstehung in Anspruch zu nehmen sein.

Beethoven hatte schon einmal im Alter von 20 Jahren Musik zu einem Ballett (dem »Ritterballett«; vgl. I2 285 ff.) geschrieben; wenn er jetzt, in größerem Umfange, das wiederholte, so muß ihn die Aufgabe doch angezogen haben. Es kam hinzu, daß die eigene so geliebte Kunst es war, die Musik, deren Wirkungen es hier zu feiern galt; das mußte ihn besonders anregen, seine Erfindungskraft steigern. Er hatte nicht eine verwickelte, durch große Kämpfe sich entwickelnde Handlung zu begleiten; es waren bestimmte Bilder, klar und einheitlich vor sich gehende Situationen, zum Teil einfache Tänze, mit der ihnen entsprechenden Musik zu versehen. Der Ausdruck dramatisch würde hier nicht passen; das lehrt der erste Blick auf die einzelnen Stücke. Es sind alles einheitliche, wohlgeformte Stücke, welche den Vorgang, die Pantomime, auf der Bühne begleiten und der Gesamtstimmung entsprechenden Ausdruck geben; selbst die tragische Szene der Melpomene verleitet ihn nicht, aus der festen Form herauszugehen. Die Musikstücke wirken selbständig, wir haben kaum das Bedürfnis zu wissen, was während derselben auf der Szene vorgeht. Doch gibt uns die obige Erzählung willkommene Fingerzeige.

[223] Die Ouvertüre – das einzige Stück, welches weiteren Kreisen bekannt ist und öfter zu Gehör gebracht wird – bereitet auf einen wichtigen, nicht gerade tief eingehenden, aber doch festlichen und feierlichen Vorgang vor. Nach einigen kräftigen Akkorden des ganzen Orchesters (es ist dasselbe Orchester wie in der ersten Symphonie) beginnt eine Melodie von schöner, anmutiger Feierlichkeit, die nach kurzem Verlaufe in das Allegro übergeht, dem eine lebhafte Geigenfigur zugrunde gelegt ist. Zwei Analogien mit der ersten Symphonie sind schon von anderen bemerkt: der Anfang mit dem Septimenakkord (in der Lage des Sekundakkords), welcher die Erwartung gewaltig erregt, und die Wiederholung des ersten Allegro-Motivs in der höheren Sekunde. Auch der weitere Verlauf des Allegro erinnert an den ersten Satz der C-Dur-Symphonie, ist nur beweglicher, lebhafter, munterer, und einige schärfere Einsätze und Ausweichungen in die Molltonart stellen diesen frohen, festlichen Charakter nur in helleres Licht. Die Entwicklung, durch Gegensätze (das zweite Thema) hübsch belebt und an seinen Zügen reich, verläuft in kurzer, prägnanter Form und hat durchaus den Zuschnitt der überlieferten Ouvertüre; man kann etwa an Mozarts Titus denken, und ist auch sonst an Mozart erinnert. Der Schluß erhebt sich zu ungemeiner Kraft und Fülle. In dieser Ouvertüre, der ersten, die er geschrieben, hat Beethoven gleich ein Muster der Gattung aufgestellt.

Die Ouvertüre geht mit ausgehaltenem Ton des Horns gleich in die Introduktion über, welche in dem alten gedruckten Klavierauszuge die Überschrift La Tempesta trägt. Sie beginnt dumpf grollend; es folgt eine hastig eilende Figur, in welcher Widerstreit zwischen der Figur und dem Rhythmus die unruhige Hast bezeichnet (Marx); dazwischen hört man einzelne Schläge, wie wenn der Blitz herniederfährt, und nun stürmt das Unwetter in lebendigster Bewegung hinein – Beethoven hat sich bei dem Sturme in der Pastoralsymphonie sicherlich dieser Szene erinnert, was man sogar in den einzelnen Motiven verfolgen kann. Noch einmal ein kräftiger, entschlossener Schlag, noch einmal die eilende Achtelbewegung, und es tritt – sprechend genug – rasche Beruhigung und ermüdetes Hinsinken ein. Hier kommt uns die obige Erzählung erwünscht zu Hilfe; Prometheus, vor Zeus' Blitzen fliehend, kommt hastig mit der himmlischen Flamme, vollzieht sein Werk und sinkt dann erschöpft hin. Noch deutlicher ist die Beziehung im folgenden (Nr. 1), wo uns Beethoven selbst hilft. Ein kurzer Satz (Poco Adagio) mit abgebrochenen Akkorden, tastend und zaghaft, neun Takte lang, gefolgt von einem leise aufsteigenden getragenen[224] Gange, der dann in raschem Cresc. in ein sehr heiteres Allegro con brio, mit dem Ausdruck überraschter Freude, übergeht. Die kurzen Figuren kommen wieder (anders moduliert, sonst der gleiche Ausdruck); ihm folgt zweimal eine hübsche, getragene Melodie, zuerst mit schmeichelndem, dann – in Moll – mit klagendem Ausdruck. Die Klage ergeht sich etwas länger, geht dann aber wieder in das Freudenmotiv über, welches sich dann wieder mit dem zögernd gehenden wechselnd verbindet – man meint einen Widerstreit zu gewahren; in tief liegender Harmonie geht das zögernde Motiv seinen Weg und endet, während die Freude hell und hoffnungsreich ausklingt. Hier merkt Beethoven an (sicher nach dem Textbuche): 1. »Die zwei S. gehen langsam über die Bühne aus dem Hintergrund.« 2. »P. kommt allmählich zu sich, den Kopf gegen das Feld, und geräth in Entzücken, wie er seinen Plan so gut gelingen sieht, und freut sich hierüber unaussprechlich, steht auf und winkt den Kindern, stille zu stehen.« Nun folgt (Nr. 2) ein kurzes Adagio, kräftig sich aufraffend, dann in suchenden Figuren13 anstrebend und wie nach vergeblichem Versuche zurücksinkend; es folgt ein Allegro in D-Moll, in unruhiger Bewegung, unmutig, unzufrieden, energisch sich erhebend und zuzufassen bestrebt, bis es (auf der Dominante) anhält; es erklingen in den Blasinstrumenten langsame, feierliche Harmonien und schließen erwartungsvoll auf C. Alle diese Stücke sind inhaltlich organisch geformt. »Der Titane versucht es noch mit Drohungen, und da diese nichts helfen, wird er unwillig und will sein Werk wieder zerstören, doch eine innerlich vernommene höhere Stimme hält ihn davon zurück.« Beethoven hatte für diese Szene anfangs andere Motive; bei den Skizzen finden sich die Wortemi presenta, miseria continua, va in collera und weiter Prom. piangendo, va in collera. Dann folgt (Nr. 3) ein Allegro mit einem hübschen, frischen Motiv, welches frohe Erhebung und festen Entschluß atmet (mit Mozartschen Anklängen); die Festigkeit und Entschiedenheit steigert sich in der Coda zu rascher Ausführung (die wir auf der Bühne zu denken haben). Dazu sagt die Erzählung: »Er gibt plötzlich zu erkennen, daß ein neuer Plan in ihm entstanden ist, erfaßt die beiden und schleppt sie mit sich fort.« Die Stimmung hierbei gibt die Musik schön und treffend wieder.

Der zweite Akt mit seinem schönen Tableau beginnt; dabei ist [225] anfangs keine Musik. Nun erst kommt Prometheus mit den Kindern und bittet, sie zu unterrichten. Nach erwartungsvollen Akkorden (Nr. 4) begleitet eine gehende Figur – nur Saiteninstrumenteunisono – das Herankommen; zu einer gehaltenen, verbindlichen Figur schreibt Beethoven in der Skizze: per il complimento prega, und bei der Fortsetzung:parla. Er will den Vorgang nicht malen, nur begleiten; die Klippe programmartiger Gestaltung vermeidet er, die Musik ist auch formell klar gestaltet. Dann beginnt die Einwirkung der Musik, für Beethoven die Verherrlichung seiner Kunst. Es folgt (Nr. 5) ein Satz von höchstem Liebreize und wunderbarster Klangschönheit. Die Harfe14 schlägt drei Akkorde an, dann beginnt die Flöte (zum pizz. der Saiteninstrumente) ausdrucksvolle Motive, ihr gesellen sich Fagott und Klarinette, während die Harfe ihre Harmonien dazwischen sendet. Im Streichorchester wird es lebendig; will der Komponist den Eindruck andeuten, welchen die beiden Wesen von dem herrlichen Klange empfangen? Am Schlusse dieser Vorbereitung bringt das Cello, nach langsamem Aufsteigen, eine kühne Kadenz, und intoniert dann Andante) eine reizende Melodie, echt Beethovenisch, welche dann die übrigen aufnehmen; es kann scheinen, als wolle der Gott selbst herniedersteigen, um auch den Gefühllosesten zu rühren. Es ist unmöglich, die edle Schönheit dieses Stückes zu beschreiben, in welchem namentlich auch die charakteristische Behandlung der Instrumente ihren Triumph feiert; man möchte auf das Hören verweisen – wenn man nur das Stück zu hören bekäme. Die Erzählung sagt hier: »Auf den Wink des Phöbus schickt sich Euterpe, von Amphion unterstützt, zu spielen an; bei ihren Weisen beginnen die beiden jungen Wesen, Zeichen von Vernunft und Überlegung zu geben. – – Arion und Orpheus verstärken die Harmonie mit ihren Cithern, und zuletzt auch der Gott selbst.« Diese einzelnen Personen in Beethovens Musik zu verfolgen, ist kaum möglich, und auch wohl überflüssig.

Für das Folgende fehlen uns Beethovens Bemerkungen, auch die Erzählung läßt uns ein wenig im Stich; und es ist sogar zu vermuten, daß bei der Aufführung einiges an Viganos Plan geändert worden ist. Wenigstens findet sich z.B. Euterpe (die üblicher Weise das Flötenspiel vertritt), welche in der Erzählung vorkommt und in der Musik klar genug angedeutet ist, nicht auf den oben angeführten Zetteln.

Nach einigen kräftig aufrufenden Akkorden folgt (Nr. 6) ein sehr munteres, lebendiges Stück im 3/4-Takt (Rhythmus der Polonaise), zweiteilig, [226] welches wieder, erstaunt und erwartend, auf dem Septimenakkord schließt. Hier ist nicht viel Schmuck, keine selbständige Verwendung der Blasinstrumente, sie dienen nur zur Verstärkung; eine detaillierte Darstellung ist hier nicht beabsichtigt, also es soll wohl die Wirkung gezeigt werden, und so dürften die Worte »die neu Geschaffenen bewegen sich hierhin und dorthin« auf dieses Stück passen; denn diese Bewegung wird doch wohl in anmutigem Rhythmus vor sich gehen. Das folgende Grave (Nr. 7) gibt ebenfalls zu raten; ein sehr gewichtiges Thema, in welchem man nach einer kräftigen Erhebung ein willensstarkes, bewußtes Hervortreten finden mag, dem gegenüber weiche Motive der Bläser, wieder Erhebung und nach ihr frohe Gänge der Streichinstrumente, im Seitenthema Anschmiegen und freundliches Aufnehmen zu erkennen sind; nach kraftvoller Steigerung schließt das Stück auf dem Dominantakkord. Das Programm bietet hier folgendes: »Als die Kinder vor Prometheus treten, erkennen sie in ihm den Gegenstand ihrer Dankbarkeit und Liebe, stürzen vor ihm nieder und umarmen ihn. Weiter können wir den Bühnenvorgang nicht konstruieren, glauben aber (da es sich hier nicht um eine neue belehrende Vorstellung handelt), daß sich die Musik einem derartigen Vorgange anschließen soll, bei welchem Prometheus sich stolz erhebt und die Kinder sich an ihn anschmiegen und ihn mit hoher Freude erfüllen. Aber nun soll weiteres folgen, der Tanz tritt in seine Rechte. Terpsichore und Bakchus mit beiderseitigem Gefolge kommen und führen einen heroischen Tanz auf; der Biograph Viganos meint selbst, daß sich dieser mehr für das Gefolge des Mars eigne. Wir können uns hier nur an die Musik halten, die in einem fest geformten, durch mehrere Zwischensätze unterbrochenen und in der Coda sich zur höchsten Kraft steigernden Tonsatze (Nr. 8) einen festlichen, mutigen, kriegerischen Charakter hat. Die Pauke beginnt mit leisen Schlägen, die Instrumente fallen kräftig und kampfbereit ein, es ertönt in punktierten Figuren eine mutige, selbstbewußte Idee (D-Dur); sie wird (D-Moll) von einem wilden, sehr energischen Zwischensatze unterbrochen (Gegenpartie, Bakchanten) und tritt dann wieder ganz wie zu Anfang auf; es folgt ein zweiter Zwischensatz, in welchem in mutigem Wechsel die Waffen sich zu kreuzen scheinen und der Kampf sehr heftig wird; der Anfang kommt wieder, aber auch hier (Coda) werden die Bewegungen wechselnder und verschlungener. Bei den beiden, mit Fermaten endigenden Zwischensätzehen mag man sich denken, wie auf der Bühne die beiden Kinder sich anschicken wollen, am Kampfe teilzunehmen; doch würde hier alles Erraten willkürlich sein. Der Kampf wird (Presto) [227] wilder; in höchster Anspannung der Kräfte endigen sie. Mag nun der Kriegstanz auf der Bühne verlaufen wie er will; wir haben ein schön geformtes, organisch gestaltetes Musikstück vor uns, welches auch ohne Bühnenvorgang seine Wirkung tut, weil es echt musikalischer Inhalt ist. Wir dürfen wohl sagen, anders konnte Beethoven gar nicht schreiben; darauf beziehen sich auch wohl die Worte der Kritik, er habe zu gelehrt (!), zu wenig nach den Forderungen des Tanzes geschrieben; worüber wir jetzt wohl anders urteilen. Nun tritt Melpomene auf und führt ihre tragische Szene vor (s. o.), welche Beethoven in verhältnismäßig kurzer Form erläutert (Nr. 9). Nach einem ernsten, wundervollenAdagio beginnt zu rascher Tremolobewegung der Saiteninstrumente ein Rezitativ mit dem Ausdruck der Klage, der Besorgnis, des Schreckens; es folgt ein Allegro, unwillig, heftig bewegt, durch Klagelaute nicht besänftigt, und führt in steigender Wut zu einer Katastrophe – man halte damit zusammen, was der Text sagt; was folgt, ist erschütterte Klage, wie einem Unabänderlichen gegenüber; sie verhallt in Hoffnungslosigkeit. Die Musik ist, nachdem wir ihre Veranlassung kennen, sprechend genug; aber die klare Gestaltung, die ausdrucksvollen Motive, geben dem Stück auch selbständig seinen Wert, sie zeigen, was Beethoven im dramatischen Ausdruck (wenn wir das Wort gebrauchen wollen) leisten konnte, wenn er wollte. Dem tritt nun gleich ein heiteres Hirtenlied gegenüber (Nr. 10, Pastorale, in der Deiters vorliegenden Abschrift Pastorella, sollte vielleicht die folgenden Stücke mit umfassen), in der sanft wiegenden Melodie zu den gehaltenen Tönen der Streicher vollen Frieden und Glück atmend, sehr einfach gebaut (nach kurzen wechselnden Figuren und frischem Übergang nach der Dominante, auf der kurz humoristisch verweilt wird, zum Anfang zurückkehrend); am Schlusse das pastorale Element in hübscher Nachahmung betont, und dann echt Beethovenisch schließend. Das ist die komische Szene, in der ›Thalia den beiden Klagenden ihre Maske vor das Gesicht hält‹, sie also das gesehene Furchtbare vergessen machen will. Dann tritt gleich eine fröhlichere Schar ein, meldet sich in einem kräftigen Andante, gleichsam als Einleitung an (Nr. 11) und führt einen frischen, kräftigmännlichen Tanz in Marschrhythmus aus (Nr. 12 Maestoso); nach energischem, fast finsterem Schlusse auf der Dominante unterbricht ihn ein kurzes, warm empfundenesAdagio, eine sanft sich hebende Flötenmelodie, nach welcher lebendige Geigenfiguren eintreten und wieder zur Dominante führen; dann folgt ein frisches, wiederum marschartiges Allegro, ein wenig weiter ausgeführt, aber auch nicht ausgedehnt; Freude über etwas Errungenes [228] in lauten Tönen ausdrückend. Was während dieser Musik auf der Bühne vorgeht, wird man ohne das Textbuch kaum erraten können; sicher aber leitet die Erzählung des Inhalts, in der es nach Erwähnung der Thalia heißt: ›während Pan, an der Spitze seiner Faune einen komischen Tanz ausführend, den getödteten Titanen wieder ins Leben zurückruft.‹ Nur hier haben wir den Pan zu suchen; die Szene der Thalia ist ganz einheitlich in der Stimmung und bietet für Pan keinen Raum. Wir denken uns also, daß zu Nr. 11 Pan mit seinem Gefolge auftritt, und daß er in Nr. 12 seinen Tanz ausführt. Darauf führen auch die beiden Aufschriften in der Partitur: Coro di Gioja, Solo di Gioja. Der Tänzer Gioja war freilich nach dem Theaterzettel Darsteller des Bacchus; Bacchus aber hat hier keine Stelle mehr. Entweder ist also auf dem Zettel eine Verwechselung begangen, oder es hat bei der Aufführung entgegen dem anfänglichen Plane eine Veränderung stattgefunden15. Der liebliche Zwischensatz soll also vielleicht das Wiederaufleben des Prometheus begleiten, vielleicht die Teilnahme der beiden Geschöpfe daran ausdrücken, und das letzte Stück dann der gemeinsame Jubel über dieses Ereignis. Jetzt aber erscheinen erst die komischen Tänze der Pan-Begleiter; in Nr. 13, überschrieben: ›Terzettino. Groteschi‹ entwickeln sie sich in derber Lustigkeit. Lauter kurze, doch in Zusammenhang gebrachte Tanzstücke, alle in knapper Form, ohne viel Aufwand von Kunst, mitunter das plumpe Dreinfahren humoristisch malend. Zugrunde liegt ein sehr kurzer, überaus lustiger Satz, einfach liedförmig, der dann mehr froh tutti-artig wiederkehrt; dazwischen dann eine Reihe ebenfalls ganz kurzer Stücke, ohne Kunst und tiefere Empfindungsbewegung, mehrfach in unisono, Begleitung ungekünstelter Tänze lustiger Gesellen, unter denen man, wenn sie etwa einzeln auftreten, drei verschiedene ohne Schwierigkeit unterscheiden kann. Beethoven hat dies Stück offenbar mit viel Humor behandelt, ohne die Tiefe und Feinheit seiner Kunst hier in Anspruch zu nehmen. Die Coda entwickelt große Kraft, nicht viel Kunst; hier treten sie jedenfalls alle zusammen. Beethoven schrieb damals ja viele kurze Tänze, er mag dabei wohl aus vorhandenen Vorräten geschöpft haben.«

Nun »enden festliche Tänze das Stück«. Zu denen können schon die vorher besprochenen (13) gehört haben. Aber die beiden Geschöpfe, [229] durch Musik, Tragödie, Tanz höher gehoben, müssen doch auch ihre vermehrte Bildung noch selbständig zeigen; jedem von ihnen ist ein besonderer Tanz zugewiesen. Zuerst dem Weibe (Nr. 14, Solo della Signora Cassentini) ein graziöses, aus mehreren Teilen bestehendes, melodisch sehr reizendes, durch und durch Beethovensches Stück, ein Duett zwischen Flöte und Bassethorn, mit kurzer Einleitung und entsprechenden Zwischenspielen; dazu haben wir uns einen eleganten, graziösen Tanz zu denken. Dann folgt das männliche Geschöpf (Nr. 15, Choro di Vigano); hier sind die Motive kräftiger, resoluter (schon die erwartungsvolle Einleitung), aber auch hier großer melodischer und instrumentaler Reiz; man sehe, wie Klarinette und Fagott im zweiten Stücke zur unisono-pizzic.-Begleitung der Saiteninstrumente ihre hübsche Melodie ausführen. Auch an Wechsel fehlte es nicht; ein lebhaftes, treibendes Allegro folgt und schließt glänzend ab; man darf vermuten, daß sich hier auch andere am Tanze beteiligen, worauf ja die Bezeichnung choro deutet. Die Tanzbewegungen muß man sich dazu auszumalen suchen. Die neugeschaffenen und nunmehr auch geistig entwickelten Geschöpfe zeigen ihre neu erworbenen Fähigkeiten in überaus anmutiger Weise.

Nun schließt das Werk mit einem Finale, welches, jedenfalls auch mit Tanzbewegungen, dem Glück und der Befriedigung über das Gelingen des Werkes Ausdruck gibt. Dieses Finale ist öfters erwähnt; das Thema ist dasjenige des letzten Satzes der Eroica, hier freilich nur in kurzer, einfacher Liedform, seiner Grundlage nach vorgeführt. Die großartige Ausgestaltung in der Symphonie mit ihren vielfachen Verzweigungen, wie wir sie aus der Symphonie kennen, ist hier nicht vorhanden; aber die Grundstellung ist dieselbe. Man wird uns nicht widersprechen, wenn wir in dem Satze der Symphonie den Ausdruck stolzer und hoher Befriedigung über etwas Vollendetes und den Ausblick auf dauerndes Glück erkennen. Das ist aber im Gewande des Märchens oder der Sage auch hier der Fall; der Titan blickt stolz auf das Gelingen seines Werkes; mehr brauchen wir für die Musik nicht. Die erste Fortsetzung des Themas, mit ihren Geigenfiguren und den Antworten der Bläser, besonders den kräftig betonten Unisono-Figuren der Saiteninstrumente kurz vor der Wiederkehr des Themas, steigern diese stolze Empfindung. Nach Beendigung folgt ein munterer Tanz in G-Dur; dieser ist, gleich dem Hauptthema, in der Sammlung von Kontretänzen vorhanden (Nr. 11), welche Anfang 1803 bei Mollo erschienen. Die Melodie wird dann in den Baß verlegt, zu hübsch spielenden Figuren der übrigen, und dann[230] kehrt nach kurzer, echt Beethovenscher Modulation das Hauptthema wieder, wobei eine Figur des G-Dur-Satzes in der zweiten Violine wiederkehrt, auch das Thema an einer Stelle kurz variiert wird. Ein zweiter Seitensatz in Es ist in seiner einfachen, kräftigen Rhythmisierung und Gestaltung ganz von Stolz geschwellt; das Thema kommt dann wieder, etwas mehr figuriert; ein kurzer Übergang nach F mahnt bedeutungsvoll an die Eroica. Ein schneller Schlußsatz beginnt fugenartig, führt aber die Fuge nicht durch, sondern geht wieder in kräftige Figuren über, unter denen noch einmal eine festliche melodische Wendung ertönt (S. 157 der Partitur) und schließt dann mit kräftigen, triumphierenden Figuren; eine Rückführung mit Orgelpunkt über B ist hier besonders schön (S. 160), ganz Beethoven. Es folgt noch ein Presto, ein festlicher, rauschender Abschluß, noch einmal sinnenden Akkorden der Bläser Raum gebend, dann mit Triumph endigend.

Wir können die Besprechung dieses Satzes nicht verlassen, ohne noch einmal des Hauptthemas zu gedenken. Beethoven hat dasselbe, wie bekannt, viermal verwendet: in den Kontretänzen, im Prometheus, in den Variationen Op. 35 und in der Eroica. Die chronologische Reihenfolge dieser vier Verwendungen ist öfter aufgeworfen (vom Verfasser II1 S. 393, von Marx, 4. Aufl. I. S. 217). Nottebohm hat sie (Ein Skizzenbuch v. B. S. 42) dahin beantwortet, daß zuerst der Prometheus die Melodie brachte16, dann die Kontretänze, dann die Variationen Op. 35, zuletzt die Eroica. Der Prometheus war 1801 im Frühjahr fertig, die Eroica im August 1804; das sind zwei feste Punkte. An drei Kontretänzen wurde gegen Ende 1801 skizziert (das. S. 12; sie waren Anfang 1803 fertig; Nr. 7 [das Eroica-Thema] erschien in der Ausgabe für Klavier schon 1802), an den Variationen Op. 35 später (a. a. O. S. 32), sie sind 1802 komponiert, also nach den Kontretänzen. Daher die Reihenfolge bei Nottebohm.

Nun ist folgendes zu beachten. Die beiden Tänze, welche im Prometheus angewandt sind, befinden sich nicht unter jenen Skizzen. Es hindert uns nichts, anzunehmen, daß sie schon vorher fertig waren. Beethoven hat in jenen Jahren, schon von 1795 an, für Tanzbelustigungen eine große Menge von Tänzen geschrieben, die noch nicht einmal alle gedruckt sind (vgl. S. 61 f.). Es ist sehr wohl möglich, daß jene Tänze verschiedenen Jahren angehören, und daß Beethoven, als er die Sammlung [231] herausgab, außer Verwendung neuer auch auf den schon vorhandenen Vorrat zurückgriff; wie oft hat er früher Geschriebenes erst später herausgegeben! Ob denn die innere Beschaffenheit nichts ergibt?

Der Es-Dur, Tanz ist in den Kontretänzen so notiert (wir geben nur Melodie und Baß):


6. Kapitel. Das Jahr 1801

6. Kapitel. Das Jahr 1801

Dieser Satz ist fast ganz unverändert, auch mit der Begleitungsfigur der zweiten Geige in der Prometheusmusik vorhanden, mit denselben dynamischen Bezeichnungen; nur mit kleinen Änderungen der Bindungen und Stakkatos. Nun sehe man aber hier:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

[232] Also der Gang des Basses ist etwas verändert: im zweiten Takt steigt er auf das höhere B, dann macht er den Oktavenschritt auf das tiefere. Das ist aber gerade die Form, die ihm so wichtig wurde, die er in den Variationen Op. 35 und in der Eroica als Ostinato verwendete. Nachdem er diese Form im Prometheus festgestellt, sollte er in den Tänzen ohne weiteren Grund zu der früheren einfacheren zurückgekehrt sein?

Der zweite in den Prometheus aufgenommene Tanz steht in den Kontretänzen als Nr. 11 und ist für Violine und Baß, denen wir noch eine Flötenfigur beifügen, folgender (erster Teil):


6. Kapitel. Das Jahr 1801

[233] Den zweiten Teil müssen wir auch hierher setzen.


6. Kapitel. Das Jahr 1801

Nun vergleiche man, wie das gleiche Stück im Prometheus gesetzt ist (auf drei Systemen):


6. Kapitel. Das Jahr 1801

6. Kapitel. Das Jahr 1801

[234] Man beachte nun: Im ersten Teile halten die Blasinstrumente den Ton aus und bringen die Sechzehntelfigur erst auf dem zweiten Viertel. Im dritten Takt geht der Baß die Tonleiter aufwärts, wie er abwärts gekommen war, statt der veränderten Bewegung im Kontretanz. Im zweiten Teile bringen die Blasinstrumente statt der einförmigen Wiederholung der Sechzehntelfigur eine kurze, belebende, imitierende Figur. Im fünften Takt berührt der Baß beim Übergange zur Unterdominante das F und macht den Übergang dadurch fühlbarer. Das sind alles Verbesserungen, Verfeinerungen eines vorhandenen roheren Stoffes; sie konnten meines Erachtens erst gemacht werden, wenn jener schon vorlag, und andererseits konnte Beethoven nicht wohl zu jener schlichteren Weise zurückkehren, nachdem er die Verschönerungen festgestellt hatte. Da wir nun durch keine sonst nachweisbare Entstehungszeit jener Tänze - die ja in den Skizzen fehlen – gebunden sind, so werden wir, glaube ich, hier von Nottebohm abweichen müssen. Nach meiner (H. D.) Überzeugung ist die Reihenfolge der vier Bearbeitungen des Es-Dur-Themas folgende: zuerst Kontretanz, dann Prometheus, dann Variationen, dann Eroica.

Und ebenso ist der 11. Kontretanz in G früher geschrieben, als die Prometheus-Musik.

Die Musik zu Prometheus hat in Beethovens Entwicklung nicht die hohe Bedeutung der Quartette und der ersten Symphonie; auch gab sie ihm nicht Gelegenheit, die Tiefen seines Gemütslebens darin auszusprechen. Aber sie brachte ihrerseits seine reifere Entwicklung – wir verweisen zur Vergleichung auf das Ritterballett 1. Bd. I2 S. 285 – mit der Bühne in Verbindung. Es waren nicht menschlich hochtragische Szenen, die ihn in Anspruch nahmen; alles war aus dem Gebiete der Sagen- und Märchenwelt gewonnen, und bot ihm im ganzen nur Gelegenheit,[235] anzuempfinden – und nach seiner Kraft charakteristische Musik zu liefern. Diese Kraft aber war groß; er hatte sie schon gezeigt und sollte sie in verstärktem Maße noch weiter zeigen. Wiederholt hat er Gelegenheit, sich dem Bühnenvorgänge anzupassen, und hat das immer in seiner edlen und vornehmen Weise meisterhaft verstanden; wo er nur leichtere Tanzmusik zu liefern hat, weiß er, daß der Vorgang nichts anderes fordert. Er hat geleistet, was am Platze war, und niemand ist berechtigt, hier höhere Maßstäbe anzulegen als an irgendein anderes bestimmten Veranlassungen entsprungenes Werk. Die Musikstücke haben nun, wie man von selbst erwarten wird, als Erzeugnisse Beethovens alle ihren besonderen musikalischen Wert, und es darf wohl bedauert werden, daß man sie so wenig kennt. Es würde eines angemessenen verbindenden Textes bedürfen, der gar nicht so schwer herzustellen wäre, um sie wieder allgemein zugänglich zu machen. Diesen Wunsch muß man einem Werke Beethovens gegenüber unbedingt hegen17.

Die Aufführung wurde in der Zeitung für die elegante Welt vom 19. Mai 1801 in folgender Weise besprochen.


»Wien Ende Aprilis 1801.


Den Schluß der Vorstellungen auf unserem Hoftheater vor Ostern machte ein neues heroisch-allegorisches Ballet, in 2 Aufzügen: Die Geschöpfe des Prometheus, von der Erfindung und Ausführung des Herrn Salvatore Vigano, und in Musik gesetzt von Herrn van Beethoven. Das erste mal ward es zum Benefiz der berühmten Tänzerin, Demoiselle Casentini, gegeben. Der Inhalt davon ward in einem sehr sonderbaren Programme, vermuthlich von einem der deutschen Sprache nicht so ganz kundigen Italiener, angekündigt.

Prometheus entreißt die Menschen seiner Zeit der Unwissenheit, verfeinert sie durch Wissenschaft und Kunst und erhebt sie zur Sittlichkeit. Dies ist kürzlich das Sujet. So viel Würde und artistische Anlage es auch hatte, und so meisterhaft sich einige Tänzer, vorzüglich Herr Vigano selber auszeichneten, so gefiel es doch im Allgemeinen nicht. Am allerwenigsten Behagen konnte unser sinnliches Publicum daran finden, daß die Bühne von dem zweiten Auftritte des ersten Aufzuges an bis ganz ans Ende immer unverändert blieb. Die Handlung begann mit einem Donnerwetter. Das Theater stellte ein Wäldchen vor, in welchem sich zwei Kinder von Prometheus befanden. Plötzlich kam ihr Vater mit einer brennenden Fackel daher. (Wo, und mit welchem Feuer er sie angezündet, bekam der Zuschauer nicht zu sehen.) Nachdem er jedem Kinde das Feuer in die Brust gelegt, singen diese sogleich an, steif und ohne Gestikulazion umherzutrippeln. (Dieser Auftritt dauerte etwas sehr lange und ennuyirte.) Nun führte Prometheus sie zum Apoll. Der Parnaß machte mit allen seinen Bewohnern eben nicht den angenehmsten Anblick. Die neun [236] Musen blieben wie leblose Statuen so lange auf ihrem angewiesenen Platz, bis die Reihe zu tanzen auch an sie kam, und Apollo selbst saß auf der höchsten Spitze des Berges, stets unbeweglich. Vielleicht machte eben dieser Anblick zu wenig Eindruck auf den Künstlergeist unserer beliebten Casentini, indem sie, von ihrem Vater dem Musen- Gott vorgestellt, so gar keine Theilnahme äußerte, und ihren Blick mit auffallender Gleichgültigkeit sogleich auf andere Gegenstände abschweifen ließ. Denn daß sie die einem solchen Publicum schuldige Hochachtung, besonders in einem Ballette, das ihr über baare 4000 Gulden eintrug, blos aus übler Laune sollte hint angesetzt haben, kann man sich doch nicht bereden. Gewiß aber würde sie, blos mit etwas mehr Anstrengung – wiewohl eine Casentini nie schlecht tanzen kann – das Ballet weit mehr anziehend gemacht haben.

Auch die Musik entsprach der Erwartung nicht ganz, ohnerachtet sie nicht gemeine Vorzüge besitzt. Ob Herr van Beethoven bei der Einheit – um nicht Einförmigkeit der Handlung zu sagen, das leisten konnte, was ein Publicum, wie das hiesige, fordert, will ich unentschieden lassen. Daß er aber für ein Ballet zu gelehrt und mit zu wenig Rücksicht auf den Tanz schrieb, ist wohl keinem Zweifel unterworfen. Alles ist für ein Divertissement, was denn doch das Ballet eigentlich seyn soll, zu groß angelegt, und bey dem Mangel an dazu passenden Situazionen, hat es mehr Bruchstück als Ganzes bleiben müssen. Dies fängt schon mit der Ouvertüre an. Bei jeder größern Oper würde sie an ihrer Stelle seyn, und einer bedeutenden Wirkung nicht verfehlen; hier aber steht sie an ihrer unrechten Stelle. Die kriegerischen Tänze und das Solo der Demoiselle Casentini mögten übrigens wohl dem Compositeur am besten gelungen seyn. Bei dem Tanz des Pans will man einige Reminiszenzen aus anderen Ballets gefunden haben. Allein, mich dünkt, es geschieht Herrn van B. hierin zuviel, zumal da nur seine Neider ihm eine ganz vorzügliche Originalität absprechen können, durch welche freylich er öfter seinen Zuschauern den Reiz sanfter gefälliger Harmonieen entzieht.«


(Vgl. auch das Journal des Luxus und der Moden vom 17. April 1801).

Das pekuniäre Resultat muß für Beethoven zufriedenstellend gewesen sein, teils nach der Zahl der Aufführungen, teils nach den bald nachher erschienenen Ausgaben des Ganzen oder einzelner Stücke. Zwar ist eine Partitur des Balletts zu Beethovens Lebzeiten und noch lange nachher nicht erschienen; sie kam erst in der kritischen Gesamtausgabe Serie II, als Nr. 1118. Doch erschien im Juni 1801 der Klavierauszug bei Artaria mit der Opuszahl 24 und mit der Widmung an die Fürstin Lichnowsky. Die Ouvertüre wurde in Orchesterstimmen und im Klavierauszug 1804 von Hoffmeister als Op. 43 herausgegeben (die Bezeichnung Op. 24 hatte [237] inzwischen die F-Dur-Violinsonate erhalten). Abgesehen von anderen Arrangements ist noch die Klavierbearbeitung für vier Hände von Nr. 8 zu erwähnen, »composé pour la famille Kobler par Louis van Beethoven. Cette pièce se trouve aussi à gr. Orchestre dans le même magazin« (nach Thayers Verz.). Die Tänzerfamilie Kobler war wiederholt, u.a. 1814, in Wien. Zur Prometheusmusik hat sie übrigens keinen Bezug.

Die Aufführung eines Prometheus veranstaltete Vigano im Mai 1813 in Mailand; das war aber wohl der größere Prometheus; er hatte sechs Akte, war in betreff der Personen anders eingerichtet, hatte von Beethovens ursprünglicher Musik nur vier Nummern, außerdem Stücke aus anderen seiner Werke und von anderen Komponisten (Weigl). Das Programm kann zur Wiederherstellung des verlorenen Wiener Programms nicht benutzt werden.

Alois Fuchs hat eine charakteristische Anekdote aufbewahrt, »ihm von achtbarer Hand eines Zeitgenossen« mitgeteilt. Als Beethoven im Jahre 1801 die Musik zu dem Ballett Die Geschöpfe des Prometheus geschrieben hatte, begegnete ihm sein ehemaliger Lehrer, der große Joseph Haydn, welcher ihn alsogleich festhielt und sagte: »Nun! gestern habe ich Ihr Ballett gehört, es hat mir sehr gefallen!« Beethoven erwiderte hierauf: »O, lieber Papa! Sie sind sehr gütig, aber es ist doch noch lange keine ›Schöpfung‹!« Haydn, durch diese Antwort überrascht und beinahe verletzt, sagte nach einer kurzen Pause: »Das ist wahr, es ist noch keine Schöpfung, glaube auch schwerlich, daß es dieselbe je erreichen wird« – worauf sich beide – etwas verblüfft – gegenseitig empfahlen.

Aus der nächstfolgenden Zeit haben wir wieder einen Brief Beethovens an Hoffmeister19.


»Wien am 22. April 1801.


Sie haben Ursache über mich zu klagen, und das nicht wenig. Meine Entschuldigung besteht darin, daß ich krank war, und dabei noch obendrein sehr viel zu thun hatte, so daß es mir kaum möglich war, auch nur darauf zu denken, was ich Ihnen zu schicken hatte, dabei ist es vielleicht das einzige Geniemäßige, was an mir ist, daß meine Sachen sich nicht immer in der besten Ordnung befinden und doch niemand im Stande ist, als ich selbst, da zu helfen. Soz.B. war zu dem Concerte in der Partitur die Clavierstimme, meiner Gewohnheit nach, nicht geschrieben und ich schrieb sie jetzt erst, daher Sie dieselbe wegen Beschleunigung, von meiner eigenen nicht gar zu lesbaren Handschrift erhalten.

[238] Um so viel als möglich die Werke in der gehörigen Ordnung folgen zu lassen, merke ich Ihnen an, daß Sie


auf die Solo-SonateOpus 22

auf die SymphonieOpus 21

auf das SeptettOpus 20

auf das ConcertOpus 19


setzen mögen lassen. Die Titeln werde ich Ihnen nächstens schicken.

Auf die Johann Sebastian Bach'schen Werke setzen Sie mich als Pränumerant an, so wie auch den Fürsten Lichnowski. Die Übersetzung der Mozartischen Sonate in Quartetten wird Ihnen Ehre machen und auch gewiß einträglich sein; ich wünschte selbst hier bei solchen Gelegenheiten mehr beitragen zu können, aber ich bin ein unordentlicher Mensch und vergesse bei meinem besten Willen auch Alles, doch habe ich schon hier und da davon gesprochen, und finde überall die beste Neigung dazu. Es wäre recht hübsch, wenn der Herr Bruder auch nebst dem, daß Sie das Septett so herausgäben, dasselbe auch für Flöte z.B. als Quintett arrangirten; dadurch würde den Flötenliebhabern, die mich schon darum angegangen, geholfen und sie wür den darin wie die Insekten herumschwärmen und davon speisen. – Von mir noch etwas zu sagen, so habe ich ein Ballet gemacht, wobei aber der Balletmeister seine Sache nicht ganz zum Besten gemacht. – Der Freyherr von Liechtenstein hat uns auch mit einem Producte beschenkt, das den Ideen, die uns die Zeitungen von seinem Genie gaben, nicht entspricht; wieder ein neuer Beweis für die Zeitungen. Der Freyherr scheint sich Herrn Müller beim Kasperle zum Ideal gemacht zu haben, doch – ohne sogar ihn – zu erreichen. –

Das sind die schönen Aussichten, unter denen wir arme hiesigen gleich empor keimen sollen. –

Mein lieber Bruder! eilen Sie nun recht, die Werke zum Angesicht der Welt zu bringen und schreiben Sie mir bald etwas, damit ich wisse, ob ich durch meine Versäumniß nicht Ihr ferneres Zutrauen verloren habe.

Ihrem associé Kühnel alles Schöne und Gute; in Zukunft soll alles prompt und fertig gleich folgen – diequarteten können in einigen Wochen schon herauskommen – und hiemit gehaben sie sich wohl und behalten Sie

Ihren Freund und Bruder

Beethoven


Unter demselben Datum schrieb Beethoven folgenden Brief


»An Herren Breitkopf und Härtel


in Leipzig.20

Wien den 22sten April 1801.


P. P.


Sie verzeihen die späte Beantwortung Ihres Briefes an mich, ich war eine Zeitlang immerfort unpäßlich und dabei überhäuft mit Beschäftigungen, und da ich überhaupt eben nicht der fleißigste Briefschreiber bin, so mag auch [239] das zu meiner Entschuldigung mit dienen – was ihre Aufforderung wegen Werken von mir betrifft, so ist es mir sehr leid, ihnen jetzt in diesem Augenblicke nicht Genüge leisten zu können. Doch haben sie nur die Gefälligkeit mir zu berichten von was für einer Art sie von mir Werke zu haben wünschen, nemlich: Sinphonie, Quartetten, Sonate u.s.w., damit ich mich darnach richten kann, und im Falle ich das habe, was sie brauchen oder wünschen, ihnen damit dienen können. – Bei Mollo hier kommen, wenn mir recht ist, bis 8 Werke heraus; bei Hofmeister in Leipzig ebenfalls vier Werke – ich merke dabei bloß an, daß bei Hofmeister eines von meinen ersten Conzerten21 herauskommt, und folglich nicht zu den besten von meinen Arbeiten gehört, bei Mollo ebenfalls ein zwar später verfertigtes Conzert, aber ebenfalls noch nicht unter meinen besten von der Art gehört,22 dies sei blos ein Wink für ihre Musikalische Zeitung in Rücksicht der Beurtheilung dieser Werke, obschon wenn man sie hören kann, nemlich: gut, man sie am besten beurtheilen wird. – Es erfordert die musikalische Politik die besten Conzerte eine Zeitlang bei sich zu behalten. – Ihren Hrn. Recensenten empfehlen sie mehr Vorsicht und Klugheit besonders in Rücksicht der Producte jüngerer Autoren, mancher kann dadurch abgeschreckt werden, der es vielleicht sonst weiter bringen würde, was mich angeht, so bin ich zwar weit entfernt mich einer solchen Vollkommenheit nahe zu halten, die keinen Tadel vertrüge, doch war das Geschrei ihres Recensenten anfänglich gegen mich so erniedrigend, daß ich mich, indem ich mich mit anderen anfing zu vergleichen, auch kaum darüber aufhalten konnte, sondern ganz ruhig blieb und dachte sie verstehen's nicht; um so mehr konnte ich ruhig dabei sein, wenn ich betrachtete, wie Menschen in die Höhe gehoben wurden, die hier unter den besseren in loco wenig bedeuten – und hier fast verschwanden, so brav sie auch übrigens sein mochten – doch nun pax vobiscum – Friede mit ihnen und mir – ich würde nie eine Silbe davon erwähnt haben, wäre's nicht von ihnen selbst geschehen. –

Wie ich neulich zu einem guten Freunde von mir kam und er mir den Betrag von dem, was für die Tochter des unsterblichen Gottes der Harmonie gesammelt worden zeigt, so erstaune ich über die geringe Summe, die Deutschland und besonders ihr Deutschland dieser mir verehrungswürdigen Person durch ihren Vater anerkannt hat, das bringt mich auf den Gedanken, wie wärs, wenn ich etwas zum Besten dieser Person herausgäbe auf praenumeration, diese Summe und den Betrag, der alle Jahr einkäme dem Publicum vorlegte, um sich gegen jeden Angriff festzusetzen – Sie könnten das meiste dabei thun. Schreiben sie mir geschwind wie das am besten möglich sei, damit es geschehe, ehe uns diese Bach stirbt, ehe dieser Bach austrocknet und wir ihn nicht mehr tränken können – Daß sie dieses Werk verlegen müssen, versteht sich von selbst.

Ich bin mit vieler Achtung

ihr ergebener

Ludwig van Beethoven.«


[240] Die noch übrigen Briefe dieses Kapitels enthalten Tatsachen und Anspielungen, welche eine ausführlichere Erklärung und Erläuterung nötig machen; da es aber wichtig ist, daß sie in unmittelbarem Zusammenhange miteinander gelesen werden, so mag der Kommentar besser für ein eigenes Kapitel (das siebente) aufgehoben werden, worin auch das, was über obige beide Briefe zu sagen ist, zur Sprache kommen soll, da so eine Unterbrechung der Erzählung vermieden wird. –

Des armen Maximilian Franz Gesundheitszustand war ein sehr bedenklicher geworden, und es war daher für die Wohlfahrt des deutschen Ordens in diesen revolutionären Zeiten nötig, daß ihm ein verständiger und einflußreicher Nachfolger als Großmeister in der Person eines geschäftsführenden Koadjutors gesichert werde. Die Gedanken aller beteiligten Parteien wendeten sich auf einen Mann, der damals nicht einmal Mitglied des Ordens war, vorausgesetzt, daß er bereit wäre, in denselben einzutreten und jene Stellung anzunehmen, nämlich auf den berühmten Erzherzog Karl. Es wurde daher ein großes Kapitel nach Wien berufen. Die Verhandlungen wurden am 1. Juni um 9 Uhr vormittags mit einer hohen Messe und einer Rede eröffnet, welche Rat Höpffner aus Mergentheim hielt. Erzherzog Karl wurde hierauf »einstimmig« als Mitglied des Ordens aufgenommen, jedoch »von der Ablegung der Gelübde einstweilen dispensirt«. Am 3. Juni wurde er zum Koadjutor erwählt, und am 11. empfing er den Ritterschlag.

Das Rundschreiben, welches diese allgemeine Versammlung der »Landkommenthure, Bevollmächtigten, Rathsgebietigen, Kommenthure und Ritter des Hohen Deutschen Ordens« in der Wohnung des Kurfürsten Hoch- und Deutschmeisters Erzherzog Maximilian im Deutschen Hause zu Wien zusammenberief, brachte dorthin notwendigerweise die ganze Schar der Beamten, welche zu Mergentheim, dem damaligen Hauptsitze des Ordens, angestellt waren23. So traf es sich, daß Stephan von Breuning, dessen Name im Ordenskalender der Jahre 1797 bis 1803 inkl. als Hofratsassessor erscheint, wieder nach Wien kam und seinen intimen persönlichen Verkehr mit Beethoven erneuerte.

Ein anderer unserer alten Bonner Bekannten kam ebenfalls noch im Laufe des Jahres 1801 nach Wien, nämlich der in der Folge in Paris als Komponist und Lehrer hochangesehene Anton Reicha.

[241] Im Frühling dieses Jahres zog Beethoven vom Tiefen Graben weg und mietete ein paar Zimmer mit der Aussicht auf die Bastionen – ohne Zweifel die Wasserkunstbastei – und zwar in einem der Häuser, zu welchen der Haupteingang sich in der Sailerstätte befindet. In einer späteren Periode seines Lebens kehrte er noch einmal dorthin zurück, und mit gutem Grunde; denn diese Häuser gewährten nicht nur eine schöne Aussicht über das Glacis und die Landstraßenvorstadt, sondern eine Fülle von Sonne und frischer Luft. In das Hamberger Haus, wo jetzt Nr. 15 steht, ist Beethoven oft mit seinen Übungen zu Josef Haydn gegangen, und dicht dabei wohnte sein Freund Anton von Türkheim, K. K. Truchseß. Ein undatierter Brief an Zmeskall, der jedoch die Handschrift dieser Jahre zeigt, und zu jener Klasse gehört, von welcher früher mehrere Beispiele mitgeteilt worden sind, macht es nicht unwahrscheinlich, daß diese neue Wohnung sich in dem Hause befand, aus welchem Haydn kurz vorher in die Gumpendorfer Vorstadt ausgezogen war. Man wird bemerken, daß der Schreiber noch nicht jenen Grad von Vertraulichkeit mit Zmeskall erreicht hatte, welcher in den späteren Briefen an ihn jene Fülle von Scherzen hervorrief. Der Brief, dessen Original sich zu Boston befindet, lautet so:


»Hr. von Zmeskall.


Lassen Sie mich wissen, wann Sie können einige Stunden mit mir zubringen, erstens zum Hamberger mit mir zu gehen, zweitens verschiedene andere mir bedürftige Sachen mit mir zu kaufen. – Was die Nachtslichte angeht, so habe ich d. g. zufällig gefunden, die sie vollkommen befriedigen werden – je eher je lieber –

ihr

Beethoven24


Zu seinem Sommeraufenthalte wählte Beethoven in diesem Jahre Hetzendorf. Diejenigen, welche die Umgebungen Wiens genauer kennen, werden bemerkt haben, daß dieses Dorf für den Liebhaber der Natur weniger Anziehungskraft hat als hundert andere in der näheren Umgebung der Stadt. Es findet sich daselbst nichts, was den, der die Einsamkeit des Waldes liebt, einladen könnte, als höchstens etwa das Dickicht in dem Garten von Schönbrunn, ungefähr zehn Minuten Weges entfernt. Möglich ist es, daß Beethovens Gesundheitszustand ihm verbot, seinem Geschmacke an weiten Gängen nachzugeben, und die kühlen Schatten von [242] Schönbrunn, welches leicht und zu jeder Zeit zugänglich war, mögen seine Wahl bestimmt haben. Vielleicht war aber auch die Anhänglichkeit an seinen ehemaligen Herrn, den Kurfürsten Max Franz, der damals zu Hetzendorf in völliger Zurückgezogenheit lebte, nicht ganz ohne Einfluß auf Beethovens Entschluß, den Sommer hier zuzubringen. Es findet sich freilich weder in den Briefen und Aufzeichnungen Beethovens, noch in Konversationsbüchern oder Berichten über Unterhaltungen mit ihm irgend welche Anspielung auf Maximilians Rückkehr und seinen Aufenthalt in Hetzendorf, und keine Überlieferung weiß uns etwas darüber zu erzählen, ob die Einsamkeit desselben noch einmal belebt wurde von den Musikern, die ehemals in seinen Diensten gestanden hatten und jetzt in Wien lebten. Dennoch möchten wir zur Ehre Beethovens, der Familie Willmann und anderer hoffen, es möchten sich noch einmal Beweise finden, daß der Kurfürst während dieser seiner letzten Lebensjahre zuweilen durch ihre Anwesenheit erfreut wurde, daß die Konzerte des großen kurfürstlichen Schlosses in Bonn gelegentlich in einem bescheidenen Raume der kleinen Villa zu Hetzendorf erneuert wurden. Mag dem nun gewesen sein, wie ihm wolle: in diesem Sommer hörte Maximilian jedenfalls wenig Musik mehr, da er am 26. Juli 1801 starb. Drei Tage später wurden seine sterblichen Überreste mit großartigen und imposanten Zeremonien in jener Gruft der Kapuzinerkirche in Wien beigesetzt, welche vor wenigen Jahren (1867) sich abermals öffnete, um den Leib eines andern Maximilian aufzunehmen, der gleich jenem eine auswärtige Krone angenommen und ein noch unseligeres Schicksal erfahren hatte. –

Es war damals in Wien eine sehr fruchtbare Zeit für kürzere geistliche Kantaten. An bestimmten Tagen im Frühling und Spätherbst waren theatralische Aufführungen nicht gestattet, und die bedeutendsten Komponisten ergriffen die Gelegenheit, in jener Gattung ihrer Kunst ihre Erfindungskraft und Geschicklichkeit zu zeigen, teils in Konzerten zu ihrem eigenen Vorteil, teils und häufiger in solchen zu wohltätigen Zwecken. Haydn, Salieri, Winter, Süßmayer, Paer sind Namen, welche einem jeden, der die musikalischen Annalen Wiens studiert, in dieser Verbindung begegnen werden. Beethoven, der immer bereit war, auch mit dem größten Talente wenigstens in einem Werke zu konkurrieren, und der den Wunsch hegte, in seinem nächsten Konzerte ein neues großes Vokalwerk von seiner eigenen Komposition vorzuführen, entschloß sich, ein Werk dieser Gattung zu komponieren. Der gewählte Text war »Christus am Ölberg«, und die Komposition desselben die große Arbeit des gegenwärtigen [243] Sommers. Dieser Text wurde, wie Beethoven in einem Briefe schreibt, »von mir mit dem Dichter in Zeit von 14 Tagen geschrieben; allein der Dichter war musikalisch und hatte schon mehreres für Musik geschrieben, ich konnte mich jeden Augenblick mit ihm besprechen«. Dieser Dichter war Franz Xaver Huber, ein fruchtbarer Schriftsteller allgemeiner Literatur und ein populärer Dichter für die Wiener Bühne. Unter seinen damals neuen Erzeugnissen befand sich »Die edle Rache«, eine von Süßmayers beliebtesten Opern, und »Das unterbrochene Opferfest«, Winters Meisterwerk. Diese beiden Werke hatten ihm für jene Zeit den ersten Rang unter den österreichischen Schriftstellern dieser Gattung verschafft. Obgleich er jetzt so vergessen ist, daß es nicht einmal dem unermüdlichen Wurzbach gelungen ist, das Datum seines Todes aufzufinden und ein vollständiges Verzeichnis seiner Werke, ja auch nur der Dramen, zu liefern, so nahm er doch damals in der öffentlichen Achtung eine so hohe Stellung ein, daß wir in seiner Bereitwilligkeit, den Text zum Christus zu verfassen, nur einen neuen Beweis des großen Rufes erblicken können, dessen Beethoven damals schon genoß. Die Verdienste und Mängel des Textes brauchen hier nicht ausführlich besprochen zu werden; Beethovens eigene Worte zeigen, daß er zum Teil für dieselben mit verantwortlich war25.

»Auch 1805 wohnte Beethoven in Hetzendorf«, sagt Schindler »und schrieb seinen Fidelio. Eine Particularität, die sich an diese beiden großen Werke knüpft, und der sich Beethoven nach langen Jahren noch lebhaft erinnerte, war die, daß er jene beiden Werke im Dickicht des Waldes im Schönbrunner Hofgarten auf der Anhöhe zwischen zwei Eichenstämmen sitzend, die sich ungefähr zwei Fuß von der Erde vom Hauptstamme trennten, componirte. Diese ihm merkwürdig gebliebene Eiche in der Parthie zur linken Seite des Gloriets fand ich mit Beethoven noch 1823, und sie erweckte in ihm interessante Erinnerungen aus jener Zeit.«

Es ist ein vergeblicher Versuch, diesen Baum noch jetzt zu bestimmen; es stehen dort mehrere, welche, wenn man dem Wachstum von 70 Jahren Rechnung trägt, der Beschreibung Schindlers entsprechen.


Kompositionen dieses Jahres.

[244] Die in diesem Jahre vollendeten Kompositionen, soweit sie festgestellt sind, waren: die Sonaten für Klavier und Violine Op. 23 und 24, die Klaviersonaten Op. 26 As-Dur, Op. 27 Es-Dur und Cis-Moll, Op. 28 D-Dur und das Quintett Op. 29 C-Dur. »Das D-moll-Andante in der Sonate Op. 28 war lange Zeit Beethovens Liebling, und er spielte sich es oft«, nach Czernys Erzählung.

Die zwölf Kontretänze und die sechs ländlerischen Tänze sind zum Teil skizziert in den ersten Zeilen des Keßlerschen Skizzenbuches. Darf man voraussetzen, daß sie für die Bälle des folgenden Winters geschrieben und aus dem Manuskript auf denselben gespielt wurden, so würden sie ebenfalls zu den in diesem Jahre fertig gewordenen Kompositionen zu rechnen sein.

Die veröffentlichten Werke waren: das Konzert für Klavier und Orchester Op. 15, dediziert »À son Altesse Madame la Princesse Odescalchi née Comtesse Keglivics«; die Sonate für Klavier und Horn Op. 17, dediziert »À Madame la Baronne de Braun«; das Quintett für Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott Op. 16, dediziert »A son Altesse Monseigneur le Prince Régnant de Schwarzenberg«. Diese drei wurden am 21. März von Mollo u. Co. angezeigt. Dann ferner: die Prometheusmusik, von ihm selbst (nach Czerny) für Pianoforte arrangiert und dediziert »A Sua Altezza la Signora Principessa Lichnowsky nata Contessa Thun«, publiziert im Juni von Artaria als Op. 27; 6 Variations très faciles über ein eigenes Thema in G-Dur, angezeigt von Johann Traeg als ganz neu am 11. August (diese Variationen, im Jahre vorher skizziert, wurden wahrscheinlich in dem gegenwärtigen ausgearbeitet); die Sonaten Op. 23 und 24, dediziert »A Monsieur le Comte Maurice de Fries«, angezeigt am 28. Oktober; die sechs Quartette Op. 18, gewidmet »À son Altesse Monseigneur le Prince Régnant de Lobkowitz«, angezeigt (2. Lief.) ebenfalls am 28. Oktober von Mollo. Das Klavierkonzert in B, Op. 19, dediziert »À Monsieur Charles Nikl Noble de Nikelsberg«, und die Symphonie in C, Op. 21, dediziert »À son Excellence Monsieur le Baron van Swieten«, wurden beide von Hoffmeister und Kühnel in Leipzig veröffentlicht, und sicherlich vor Ende des Jahres, da sie am 16. Januar 1802 nach Wien kamen und dort angezeigt wurden. Eine Leipziger Anzeige von früherem Datum hat sich nicht gefunden.

[245] Die beiden Violinsonaten Op. 23 A-Moll und Op. 24 F-Dur sind dem Grafen Moritz von Fries gewidmet und sollten eigentlich ein Opus bilden (Op. 23) wie auch die Voranzeige Mollos (Wiener Zeitung vom 28. Oktober 1801) beweist, desgleichen die Bezeichnung als Sonate II auf einer Kopie von Op. 24 (vgl. Thayer, Verz. 83). Skizzen des ersten Satzes finden sich im Petterschen Skizzenbuch. Eine gewisse Trockenheit, Farblosigkeit, ein Zerbröckeln in kurze Einschnitte, die auch fühlbar bleiben, wo Imitation sie überbrückt, ist wohl der Grund, daß die A-Moll-Sonate verhältnismäßig wenig gespielt wird; daß sie auch schon zu der Zeit, als Ries noch Beethovens Schüler war, sich geringerer Beliebtheit erfreute, sehe man bei Wegeler und Ries, Notizen S. 92. Es fehlt fast ganz die blühende Melodik und der kühne Schwung großer Linien. Selbst das zweite Thema des ersten Satzes gleitet fast verdrossen mit seinem gleichförmigen jambischen Rhythmus einher; ein Vergleich mit dem Feuer des (ursprünglich für Op. 30, I bestimmten) Finale der Kreutzersonate, das fast dasselbe Thema staccato gibt, wird dieses Urteil motivieren. Auch der zweite Satz (Andante scherzoso, più Allegretto A-dur 2/4,) kommt trotz des hellen A-Dur und mehrfacher Ansätze zu bestimmteren Themen wie:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

aus einer gewissen Gedrücktheit der Stimmung nicht heraus. Hervorgehoben sei die merkwürdige Stelle:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

die trotz ihrer glatten Viertaktigkeit als eine rhythmische Komplikation wirkt etwa für:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

Die Takte sind charakteristisch für die ganze Sonate und ihr Haften am Kleinen, ihr sich Drehen im engen Kreise.

Der dritte Satz Allegro molto 6. Kapitel. Das Jahr 1801 A-Moll, ein Rondo, dessen Hauptsatz direkt an Rameau anklingt, atmet trotz mehrmaligem Auftreten tröstlicher Elemente (F-Dur, B-Dur) doch dieselbe tiefe Melancholie. Man prüfe [246] nur die einzelnen Themen auf ihren auffallend bescheidenen melodischen Ambitus. Das Takt 25 f. zuerst auftretende viertaktige Arpeggiomotiv im Klavier und der Violine in Gegenbewegung, bringt nur ein paar schmerzliche Seufzer, in welche auch der gewaltsame Befreiungsversuch nach dem vierten Eintritt des Hauptthemas (ff heftige Akkordschläge und erregte Akkordfiguration) wieder ausmündet. Die ganze Sonate ist ein sehr wichtiger und in seiner Art einziger Beitrag zur Charakteristik von Beethovens Seelenleben. Wir wissen (S. 246), daß die F-Dur-Violinsonate Op. 24 eine Zwillingsschwester der A-Moll Op. 23 ist, das zweite Stück einer einheitlichen Dedikation; das Pettersche Skizzenbuch bestätigt auch die Zusammengehörigkeit beider der Entstehungszeit nach. Man wird darum gut tun, beide Sonaten direkt nacheinander zu spielen; dadurch rückt die in der A-Moll-Sonate herrschende Stimmung in das rechte Licht. Man hat die F-Dur-Sonate die »Frühlingssonate« genannt und sie ist eine der allerbeliebtesten wegen ihres freudigen Schwunges, ihres reichen melodischen Lebens. Gleich der erste Hauptgedanke bringt die Erlösung von dem Banne, in dem die A-Moll schmachtet, und flutet in einheitlichem Zuge über die Achttaktigkeit hinaus (10 Takte). Beglückt wechseln die Violine und das Klavier im Vortrage der Hauptgedanken; hier ist alles großzügig, alles natürlich weiter wachsend, selbstverständlich, so daß auch nicht ein einziges Mal eine Stockung entsteht. Die Arpeggios des Klaviers jubeln, die Triolen der Violine, ihre Triller und Tonrepetitionen sind ein freudiges Beben, und selbst derp-Triller des Klaviers auf groß A (am Ende der Durchführung) ist auf denselben Gefühlston eingestimmt. Das nicht lange Adagio molto espressivo 3/4, in dem satteren B-Dur stehend, atmet Glück und Zufriedenheit; die leichte Andunkelung des B-Dur zum B-Moll in der Mitte des Satzes schwindet schnell vor dem tröstlichen Ges-Dur, und die Enharmonik führt sogar in das strahlende D-Dur. Ein neckisches kleines Scherzo (F-Dur 3/4) frischt den Sinn für die breitere Linienführung des an Melodiosität mit dem ersten Satze konkurrierenden Schlußrondo (Allegro ma non troppo 6. Kapitel. Das Jahr 1801) auf. Man achte besonders auf die jubelnd empordringenden Doppelschläge Takt 4 ff. des Hauptgedankens. Die Parität der beiden Instrumente ist peinlich gewahrt; dieselben überbieten einander mit immer neuen Mitteln, dem Glücksgefühl Ausdruck zu geben. Eine kleine Coda macht dem allgemeinen Jubel ein Ende durch eine beschwichtigende viertaktige Kadenz in schlichten Akkorden, die aber sofort aufgegriffen und lebhaft figuriert werden und so dem Abschlusse den Gesamtcharakter wahren.

[247] Die As-Dur-Klaviersonate Op. 26 (dem Fürsten Karl Lichnowsky gewidmet) ist nach den Skizzenstudien Nottebohms (II. Beeth. S. 236 ff.) im Jahre 1800 entstanden; doch hat Shedlock (Musical Times August 1892 S. 464) in dem Kafkaschen Skizzenbande ein paar Ansätze zum ersten Satze in H-Moll (!) mitgeteilt, die wohl noch weiter zurückliegen (vielleicht aus der Bonner Zeit). Man wird Lenz aber nicht darum tadeln können, wenn er die Ansicht vertritt, daß das Werk unter den Klaviersonaten den Beginn eines neuen Abschnittes markiert. Es ist doch immerhin auffällig, daß Op. 26 und auch die beiden Sonaten Op. 27 die herkömmliche Satzordnung verlassen und als ersten Satz nicht ein Allegro in Sonatenform bringen. Wenn ihm auch darin Mozart vorangegangen war (Köchel 272 und 331, im letzteren Werke [A-Dur] sogar mit Variationen als ersten Satz), so hatte doch bis dahin Beethoven das normale Schema eingehalten. Eine gewisse Absichtlichkeit, ein Hervortreten freierer Verfügung über das Formenwesen ist wohl nicht in Abrede zu stellen. Ganz unverkennbar schlagen auch die Variationen ganz neue Wege ein, welche direkt zu den CharaktervariationenOp. 34 (F-Dur) überführen, die bereits Ende 1802 in Händen von Breitkopf und Härtel sind. Zwar zeigen die Variationen von Op. 26 noch nicht die kühnen Tonartwechsel von Op. 34, wohl aber ganz erhebliche Modifikationen des Charakters. Nur die beiden ersten Variationen begnügen sich mit motivischer und figurativer Verbrämung des Themas; die dritte (As-Moll) mit ihren mühselig empordringenden Synkopen unter Abstreifung aller Grazie und Verbindlichkeit der eigentlichen Melodie, mit ihren leidenschaftlichen Sforzati der Bässe und schmerzlich stöhnenden verminderten Septimenakkorden (im Zwischensatze) bereitet in frappanter Weise auf den Trauermarsch vor. Selbst genau im Tempo des Themas gespielt wird diese Moll-Variation langsamer erscheinen und als eine Art Largo wirken. Die folgende vierte Variation ist dagegen ganz offenbar das Scherzo innerhalb der Variationen, keck hin und her springend, die Dynamik zwischen pp und wirklichem forte fluktuierend, über alle Lagen des Klaviers verfügend – diese Variation streng im Tempo zu spielen, ist kaum möglich; sie zwingt zu schnellerer Bewegung. Die letzte Variation greift dagegen wieder auf das Tempo des Themas zurück und nimmt den Doubles-Charakter wieder auf, hat auch eine Coda von rührender Einfachheit, welche den Variationensatz so bestimmt abschließt, daß nun die Kontrastierung, die somit im kleinen vorgebildet war, im großen sich wiederholen kann. Man übersehe nicht, wie in dem nun folgenden Scherzo mit Trio bei aller Verwandtschaft mit der vierten Variation der große Stil wieder [248] in seine Rechte tritt und statt der Miniatur-Ziselierung wieder lange Linienführungen hervortreten. In erhöhtem Maße gilt das auch für den Trauermarsch. Ob diesen wirklich der Trauermarsch aus Paers »Achille« veranlaßt hat oder einer aus einer anderen Oper Paers (da der Achilles erst 1801 aufgeführt wurde, die [älteren] ersten Skizzen aber bereits ein »pezzo caracteristico p. e. una marcia in as-moll« ins Auge fassen) ist von untergeordnetem Interesse, zumal es sich ja unter keinen Umständen bei dieser Legende um Reminiszenzen, sondern nur um eine gewaltige Überbietung Paers handelt26. Jedenfalls ist dieser Sonatensatz vorbildlich geworden für alle Trauermärsche der Folgezeit, zunächst den der Variation Op. 34 und den der Eroica. Wahrscheinlich stehen aber Haydns F-Moll-Variationen dem Stück näher als alle Märsche Paers!

Der hastige Wirbeltanz des Finale – eines richtigen Elfenstückes und Perpetuum mobile – tritt besonders durch die unmittelbare Nachbarschaft des Trauermarsches wirkungsvoll heraus. Es dürfte schwer halten, denselben [249] in einen programmatischen Zusammenhang mit dem Marsche auf den Tod eines Helden zu bringen. Wohl aber steht fest, daß er den schweren Druck, mit dem der Marsch die Seele belastet, mit leichter Hand hinwegfegt. Die scheinbar etüdenhafte Entwicklung des ganzen Satzes aus der gebrochene Terzen und Sexten mischenden Anfangsfigur hat zu Vergleichen mit einem As-Dur-Sonatensatze J. B. Cramers Anlaß gegeben; darüber hat man übersehen, daß Beethoven in dem Satze ein ganz eigenartiges kompositionstechnisches Problem in überaus geistreicher Weise löst, nämlich die ungezwungene Verknüpfung eines durchaus dreitaktigen Hauptgedankens (Anfangsthema) mit regulär viertaktigen Fortspinnungen; das Problem ist nämlich die Rückkehr zur Dreitaktigkeit nach längere Zeit eingehaltenem streng symmetrischen Aufbau – die umgekehrte Folge nimmt das Ohr jederzeit sofort willig auf. Man sehe nun, wie sein Beethoven jedesmal, wenn er wieder den Hauptgedanken bringen will, ohne die forthaftende Bewegung zu unterbrechen, das rhythmische Gefühl durch auf der Stelle sich drehende Figuren in Verwirrung bringt, um der Wiederkehr der Dreitaktigkeit die Bahn frei zu machen. Das rätselhafte »Sonate pour M.« in den Skizzen dieser Sonate braucht wohl die Biographen nicht auf die Suche nach neuen Beziehungen Beethovens zu bringen; es dürfte vielmehr nahe liegen, dabei an einen speziellen Auftrag eines Verlegers zu den ken. Unterm 22. April 1801 schreibt Beethoven an Breitkopf und Härtel: »Bei Mollo hier kommen, wenn mir recht ist, bis 8 Werke heraus« – das pour M. wird daher einfach »für Mollo« bedeuten. Die prächtige Faksimileausgabe der Sonate, welche Erich Prieger nach dem von ihm aufgefundenen Autograph veranstaltete (Bonn, Fr. Cohen, 1895), orientiert in der Einleitung über die Skizzen und auch über die Legenden bezüglich der Entstehung der Sätze.

Von den zwei Klaviersonaten Op. 27 ist die erste (Es-Dur) der Fürstin Johanna v. Liechtenstein, geb. Landgräfin Fürstenberg, gewidmet, die zweite (Cis-Moll) der Komtesse Giulietta Guicciardi; beide sind deshalb zuerst einzeln erschienen. Skizzen der ersten (Nottebohm, II. Beeth. S. 249 f.) verbürgen ihre Entstehung im Jahre 1801. Beide Sonaten tragen auf dem Titel die Bezeichnung »quasi fantasia«, welche ausdrücklich auf das Abgehen von der schematischen Anlage hindeutet. Wenn Lenz (III 57) die Es-Dur-Sonate als »eine der 1. Periode angehörende verhältnißmäßig schwache Arbeit« bezeichnet und sie aus der mit Op. 26 eröffneten mittleren Gruppe der Sonaten entfernt, so beweist das nur, daß er mit derselben nichts anzufangen gewußt, dieselbe nicht verstanden, falsch gehört [250] hat. Nicht viel besser wird es aber manchem anderen gegangen sein und aus wohlbegreiflichen Gründen. Gleich der erste Satz zeigt wieder den Rhythmiker Beethoven auf neuen Pfaden. Gewöhnlich wird das Alla-Breve-Zeichen übersehen und der Satz langsamer gespielt als er gemeint ist; das ist verhängnisvoll, da die rhythmischen Verhältnisse dann unfehlbar falsch gehört werden. Ein flüchtiger Blick auf das Andante lehrt, daß in demselben durchweg (bis auf die acht Takte Coda) sämtliche Einschnitte auf die Taktmitte fallen, d.h. daß nicht die erste, sondern die zweite Halbe jedes Taktes das größere Gewicht hat, Schlußträger ist. Ist dieser Sachverhalt begriffen, so ergibt sich aber freilich an Stelle der faden Abhaspelung in lauter gleichen Motiven der Form 6. Kapitel. Das Jahr 1801 (volltaktig), die ja Lenzs absprechendes Urteil völlig begreiflich macht, die intrikate Konzeption:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

Beethovens Schuld ist es nicht, wenn die Kritiker des Werkes den Quartsextakkord nicht gesehen haben, der natürlich beide Male weibliche Endungen bedingt. Derselbe ist aber nicht so schwer zu erkennen wie der im vierten Takt des ersten Satzes des B-Dur-Trio Op. 97, der ebenfalls die Gefahr arger Mißdeutung bringt und den emphatischen Nachsatz in greulicher Weise zu verunstalten verleitet. Aber hier in Op. 27 I erschwert außer den (wie so häufig im 4/4 Takte) irreführend gesetzten Taktstrichen noch weiter die Führung der Unterstimme das Verständnis, da sie scheinbar die Taktstriche bestätigt. Aber man lese bis zum 4. Takt, und man wird inne werden, daß die beiden ersten Baßmotive unmöglich als in die schwere Zeit führend verstanden werden können:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

Die beiden Motive a und b stehen zwar im Verhältnis von Aufstellung und Antwort zueinander, aber nicht als führende Teile des Themas, [251] sondern vielmehr als Überbrückung der Cäsurstellen. Das gleiche ist der Fall mit den ähnlichen Sechzehntelgängen der nächsten vier (ebenfalls wiederholten) Takte, und W. Nagel leistet denen einen schlechten Dienst, welche nach einem Schlüssel für den Aufbau des Andante suchen, wenn er (Beethovens Klaviersonaten I. S. 196) auf zufällige annähernde Übereinstimmungen hinweist wie:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

ohne doch die ganz verschieden rhythmische Lage hervorzuheben (a ist ausfüllend, überbrückend, b konstitutiv).

Der ganze Andante-Satz einschließlich des trioartig eingekeilten Allegro 6/8 spielt in streng symmetrischen Sätzen (2. 2. 2 Takte) – nur am Ende des 6/8-Teils mit einer die Rückkehr zum 6. Kapitel. Das Jahr 1801 vermittelnden kleinen Erweiterung mit 6. Kapitel. Das Jahr 1801 – mit dieser leichten Verhüllung der Lage der schweren Zeiten, Takt 9–12 der Notierung auch durch Eintritt des Harmoniewechsels auf die leichte Zeit (Übertritt zur Dominantharmonie


6. Kapitel. Das Jahr 1801

In dem C-Dur 6/8 führen in ähnlicher Weise die Akkordschläge auf die leichte Zeit zu Anfang jeder Zweitaktgruppe irre:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

(statt bei NB2 wird bei NB1 der C-Dur-Akkord f voll im Baß gegriffen und bei NB2 ist Pause). Das alles sind Dinge, die aus der Praxis des späteren Beethoven (mit richtig gestellten Taktstrichen) wohl bekannt sind, ebenso die sforzati des Mittelsatzes des 6/8-Teiles:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

[252] Ob nicht hinter Takt 9–12 der Notierung sich eine Nebenform von Takt 1–4 verbirgt, etwa so:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

wie sie nachher als »veränderte Reprise« wirklich vorkommt, sei wenigstens angeregt; der Aufbau des Ganzen wäre dann so zu erklären:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

Dazu wäre noch zu überlegen, ob nicht auch C nur als eine Art transponierte Variierung von A anzusehen ist.

An innerer Einheitlichkeit fehlt es diesem Satze nicht; derselbe wurzelt sicher in Beethovens wachsender Freude am Variieren (beachte auch die Vertauschung von rechter und linker Hand bei der ausgeschriebenen Reprise von A3)

Der zweite Satz Allegro molto C-moll 3/4, stellt noch viel höhere Anforderungen an das rhythmische Auffassungsvermögen als der erste. Ähnlich wie dasAllegretto von Op. 10 II (das vielleicht mit Presto überschrieben wäre, wenn es dann nicht Gefahr liefe, überhastet zu werden) huscht derselbe zunächst imunisono beider Hände einher, das aber fast unmerklich in Akkordbrechungen in Gegenbewegung umsetzt, und steigert sich in unheimlichem Wechsel der Oktavenlagen aus gleitendem Piano zu hartgestoßenem Forte. Die Taktart (3/4) ist so klein gewählt, daß sie die schweren Zeiten verbirgt, wie es Beethoven zeitlebens für Sätze solcher Art liebte. Man lese 6/4 mit drei Vierteln Auftakt, so ist der erste Teil eine übersichtliche achttaktige Periode. Der zweite Teil bringt zunächst einen viertaktigen Zwischenhalbsatz und dann die Wiederholung des ersten Satzes mit Ganzschluß in C-Moll und einigen durch das Springen in anderen Oktavenlagen schwer verständlichen Verschränkungen der im ersten Teile sehr einfachen harmonischen Verhältnisse:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

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6. Kapitel. Das Jahr 1801

[253] welche auffallend lange weibliche Endungen bringen, ohne doch den normalen Verlauf der Achttaktigkeit zu stören. Der Trioteil (As-Dur) tritt dagegen aus der strengen Symmetrie stark heraus, der erste Satz hat 14 (7), der zweite 18 (9) Takte, der erstere hat also wohl eine elliptische Bildung, der zweite eine Einschaltung. Die Durchbrechung der Melodie mit Pausen erschwert aber sehr die Feststellung, wo die Auslassung bezw. Einschaltung liegt. Dazu kommt, daß beide Teile übereinstimmend erst nach zwei Takten (Vorhang?) überhaupt Melodie zeigen. Vielleicht trifft für den Anfang die Deutung Beethovens Absicht, daß der sechste Takt zum siebenten umgedeutet ist (Zusammenschiebung der beiden Zweitaktgruppen des Nachsatzes), also statt:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

Im zweiten Teil weisen dagegen die Ecken der Melodie auf eine Triolenbildung höherer Ordnung hin, so daß wohl zu verstehen ist:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

6. Kapitel. Das Jahr 1801

[254] Die Erklärung solcher Vorkommnisse ist gewiß die vornehmste Aufgabe der Analyse musikalischer Werke. Die Anregungen, welche nach dieser Richtung Haus von Bülow gegeben hat, werden zurzeit noch viel zu wenig gewürdigt.

Den Schluß der Sonate bildet die unlösliche Verbindung eines wunderschönen Adagio As-Dur von nur 24 Takten (drei achttaktige Sätze der Ordnung A B A*), das mit zwei kadenzartigen Takten direkt überführt zu einem fast durchweg nur zweistimmig gesetzten Rondo (Allegro vivace) von zuversichtlicher, zum Teil geradezu jubelnder Stimmung, nach welchem das Adagio verkürzt (nur acht Takte, das A* der dreisätzigen Form) in Es-Dur wiederkehrt und eine dem Rondo entwachsene Presto-Coda von wenigen Takten abschließt. Das Rondo selbst ist sehr frei und aus einem Guß gestaltet, enthält weitausgeführte, durchführungsartig mit dem Hauptgedanken (Anfang) gearbeitete Partien und verwendet auch die Nebenthemen in freien aber unverkennbaren Umgestaltungen mehrmals. Ein Grund, diese Sonate einer früheren Epoche zuzuweisen, ist nirgend ersichtlich; sie ist des Beethoven von 1801 durchaus würdig.

Die Cis-Moll-Sonate Op. 27 II ist der Komtesse Giulietta Guicciardi gewidmet, welche zu der Zeit (1801–2) Beethovens Klavierschülerin war und ohne Frage zu den Damen gezählt werden muß, die, wenn auch nur vorübergehend, seinem Herzen näher gestanden haben. Die darauf bezüglichen Daten folgen später (S. 305 ff.). Wie man diese Beziehungen aufgebauscht hat, so hat man auch in der Sonate mehr suchen zu müssen geglaubt, als ein ruhiges Urteil als berechtigt anerkennen kann. Beethoven selbst war unwillig darüber, daß man Sonaten, die er viel höher einschätzte (Op. 78), weniger beachtete als die früh unter dem Namen »Lauben-Sonate« oder »Mondscheinsonate« populär gewordene Cis-Moll, in der man wohl das »Liebeslied ohne Worte« schlechthin sehen zu müssen vermeinte, als durch Schindlers Biographie die Komtesse Guicciardi zur Adressatin des Briefs an die »unsterbliche Geliebte« (S. 300 ff.) gemacht worden war. Erst spät fand ein Brief an Dr. G. L. Grosheim Beachtung, der unterm 10. November 1819 an Beethoven schrieb: »Sie schrieben mir, daß Sie an Seumes Grab (in Teplitz) sich unter die Zahl seiner Verehrer gestellt haben ... Es ist mir noch immer ein nicht zu unterdrückender Wunsch, es möge Ihnen, [255] Herr Capellmeister, gefallen, Ihre Vermählung mit Seume (ich meine die Phantasie Cis-Moll und ›Die Beterin‹) der Welt mitzuteilen« (der Brief befindet sich in Schindlers Beethoven-Nachlaß in der Kgl. Bibliothek zu Berlin). Das Gedicht Seumes lautet:


Die Beterin.


Auf des Hochaltares Stufen kniet

Lina im Gebet, ihr Antlitz glühet,

Von der Angst der Seele hingerissen,

Zu der Hochgebenedeiten Füßen.


Ihre heißgerungnen Hände beben,

Ihre bangen, nassen Blicke schweben

Um des Welterlösers Dornenkrone,

Gnade flehend vor des Vaters Throne:


Gnade ihrem Vater, dessen Schmerzen

Ihrem lieben, kummervollen Herzen

In des Lebens schönsten Blütetagen

Bitter jeder Freude Keim zernagen;


Rettung für den Vater ihrer Tugend,

Für den einz'gen Führer ihrer Jugend,

Dem allein sie nur ihr Leben lebet,

Über dem der Hauch des Todes schwebet.


Ihre tiefgebrochnen Seufzer wehen

Ihrer Andacht heißes, heißes Flehen

Hin zum Opfer-Weihrauch; Cherubinen

Stehn bereit, der Flehenden zu dienen.


Tragt, ihr Engel, ihre Engeltränen

Betend hin, den Vater zu versöhnen!

Frommer weinte um die Dornenkrone

Nicht Maria bei dem toten Sohne.


Siehe Freund, in den Verklärungsblicken

Strahlet stilles, seliges Entzücken;

Lina streicht die Tränen von den Wangen,

Ist voll süßer Hoffnung weggegangen.


Eine Träne netzt auch meine Lider:

Vater, gib ihr ihren Vater wieder!

Gern wollt ich dem Tode nahetreten,

Könnte sie für mich so glühend beten!


Man wird sich schwer mit dem Gedanken befreunden, künftig bei dem ersten Satze dieser Sonate an Seumes schwerfällige Verse zu denken, obgleich ja der (nicht erhaltene) Brief Beethovens an Grosheim das beinahe zur Pflicht macht. Das Gebet einer Tochter um Genesung ihres [256] totkranken Vaters anstatt eines romantischen Liebesergusses! Doch sehe man bei Lenz (III. 58), daß auch andere darauf verfallen sind. das Adagio als eine Gnadenbitte zu verwenden (alsKyrie eleison für Gesang und Orchester von Bierey, dgl. für Gesang und Klavier von Otten). Was soll man aber mit den beiden anderen Sätzen anfangen, wenn man ernstlich den ersten im Sinne des Seumeschen Gedichtes auffaßt? Das feingliedrige, schnell vorüber eilende Allegretto Des-Dur (zu den entschieden schnellen Allegretti gehörig) hat sicher mit dem Stimmungskreise des Seumeschen Gedichtes keine Berührungspunkte und auch der aufgeregte Schlußsatz (4/4 Presto agitato) nicht; trotz seiner streng formalen Anlage (voll ausgeprägte Sonatenform mit breiten, epilogischen Partien nach dem zweiten Thema) wird letzterer eher als ein Naturstimmungsbild gelten können und als solches sich sowohl gegenüber dem zweiten als dem ersten Satze wohl differenziert abheben. Man wird darum gern der Sonate den Namen »Mondscheinsonate« lassen und den Bildern Rellstabs folgen, der den Vierwaldstätter See als Szenerie vorstellt. Aber die seelischen Vorgänge, welche solche Naturbilder auslösen, sind doch mit diesen selbst nicht identisch und keineswegs von ihnen untrennbar.

Wichtiger als solche Vergleiche ist die Würdigung der Sonate hinsichtlich der Ausnutzung der Mittel des Klaviers für die Aussprache leidenschaftlichen Empfindens. Daß sie da z.B. gegenüber Op. 22 wieder einen bedeutenden Schritt vorwärts bedeutet, steht außer Frage. Besonders an dunkeln Tinten neuer Wirkung sind der erste und letzte Satz reich. Aber auch das vibrierende Akkordpassagenwerk ist durchaus Ausdrucksmittel geworden und erscheint nirgend etüdenhaft oder virtuos. Alles lebt und bebt, wogt und schwillt, sehnt und zagt, nicht als ein äußerlich Geschehendes, sondern als innerlich Erlebtes. Gern wird man annehmen, daß das liebe »zauberische Mädchen« (Brief an Wegeler vom 16. November 1801) Anteil an der Entstehung dieser Seelengemälde hat, und daß die Widmung dieser Sonate mehr ist als ein zufälliger Ersatz für das ihr zuerst zugedachte G-Dur-Rondo, mag nun Giulietta Guicciardi die vielgesuchte »unsterbliche Geliebte« sein oder nicht.

Die D-Dur-Sonate Op. 28 trägt in dem nach Thayers Verzeichnis früher im Besitz von Johann Kafka befindlichen Autograph die Aufschrift »Gran Sonata Op. 28. 1801 da L. van Beethoven«. In Druck erschien sie 1802 (angezeigt in der Wiener Zeitung 14. August) im Verlage des Industriekontors mit der Widmung »À Monsieur Joseph Noble de Sonnenfels, Conseiller aulique et Sécrétaire perpétuel de l'Académie des Beaux[257] Arts«. Über die Persönlichkeit des Edlen von Sonnenfels gibt W. Nagel (Beethoven und seine Klaviersonaten I. 226) Näheres an mit Hinweis auf die Biographie: »Joseph von Sonnenfels. Biographische Studie aus dem Zeitalter der Aufklärung in Österreich. Von Wilibald Müller. Wien 1882.« Der damals fast 70jährige Sonnenfels hat, soviel bekannt, Beethoven nicht näher gestanden, die Widmung war wohl vielmehr ein Ausdruck der Hochachtung für den gesinnungstüchtigen Mann, mit dessen Weltanschauung Beethoven sympathisierte. Für die Entstehungszeit ist die Aufschrift auf dem Autograph (1801) der einzige Anhaltspunkt. Skizzen scheinen ganz zu fehlen. Es entsteht daher die Frage, ob wir etwa in dem Werke wieder eine mehr oder minder starke Umarbeitung eines älteren Manuskriptes vor uns haben. Dafür sind aber weder äußere Anhaltspunkte aufzutreiben, noch innere Indizien geltend zu machen. Der sonnige Glanz, der über das Ganze sich ausbreitet, das ruhige Behagen, die abgeklärte Zufriedenheit mögen wohl direkt inspiriert sein durch den Charakter des Mannes, dem das Werk gewidmet ist. Aus Beethovens Schicksalen und dadurch bedingten Stimmungen im Jahre 1801 läßt sich das Werk schwerlich ableiten, am allerwenigsten, wenn man 1801 zum Jahre des Briefes an die unsterbliche Geliebte macht. Das Werk hat früh den Beinamen Sonata pastorale erhalten (er erscheint gedruckt zuerst in einer Ausgabe von A. Cranz), dem man eine gewisse Berechtigung nicht absprechen kann; wenn auch die Bezeichnung den Inhalt des Werkes nicht erschöpft, so trifft sie doch den Hauptcharakter ganz entschieden. Lenz hat abgezählt, daß zu Anfang der Baß tu)mal das tiefe d bringt; aber der Baß hält das d auch über diese 20 ersten Takte hinaus noch weitere 19 Takte fast lückenlos durch, und Orgelpunkte und obstinate Haltetöne sind auch in den anderen Sätzen stark dominierend. Zweifellos beruht gerade in ihnen mit der Gesamtcharakter beschaulicher Heiterkeit, aber nicht in ihnen allein; zum mindesten haben Anfänge auf die schwere Zeit, weibliche Endungen und Stillstände auf höheren Schlußwerten ebenfalls daran wesentlichen Anteil. Richtig ist, daß gleich die zehn Anfangstakte diesen Charakter so feststellen. Freilich darf man zu Anfang keine Pause hören, sondern muß den Baßton in die Melodie einbeziehen, um den tiefen Atemzug zu verstehen, den dieser Anfang vorstellt(NB1):


6. Kapitel. Das Jahr 1801

[258] Ebenso wichtig ist die Beachtung der Endung beiNB2 und die bestimmte Doppeldeutung des d1 zugleich als Anfangsnote des zur Terz gehenden kleinen Anhanges (NB3); denn beide spielen fortgesetzt eine Hauptrolle, die Endung ad besonders verkürzt auf zwei Achtel:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

Aber es ist auch wichtig, nicht zu übersehen, daß die Übergangspartie zum zweiten Thema nicht mit der schweren sondern mit der leichten Zeit einsetzt das sf ist nur emphatische Betonung des Auftaktes):


6. Kapitel. Das Jahr 1801

Der ganze Satz würde bezüglich dieser rhythmischen Verhältnisse klipp und klar notiert scheinen, wenn die Taktart 3/4 durch 6/4, ersetzt würde, d.h. jeder zweite Taktstrich ausgelassen (Anfang mit dem vollen Takt). Es ist für die schlichte Faktur des Satzes eminent charakteristisch, daß bei solcher Herausstellung der wirklichen Takte (die Notierung hat in jedem Takte nur eine Zählzeit) sich ergibt, daß Komplikationen nicht vorkommen; nur die zwei ersten der vier Fermaten am Ende der Durchführung wären dann zweckmäßig so geschrieben:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

und schließlich erscheint vor der Coda einmal ein überschüssiger Takt in der Notierung:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

Der 6/4 Takt ist aber mit Recht unbeliebt, weil schlecht übersichtlich, wo entweder längere Noten (6. Kapitel. Das Jahr 1801) oder an einem Balken hängende Achtel (6. Kapitel. Das Jahr 1801) fehlen. Eine wirkliche Umschreibung ist daher nicht zu [259] empfehlen, wohl aber ist die Orientierung über leicht und schwer in der Ordnung der Zählzeiten für das Verständnis des Satzes unentbehrlich. Stellen wie diese


6. Kapitel. Das Jahr 1801

ohne Orientierung über das Taktgewicht zu spielen, ist Barbarei.

Der in Rondoform angelegte zweite Satz (D-Moll 2/4) bringt trotz des Moll keine Seelenkämpfe. Bleiben wir beim Naturbilde, so führt er vielleicht aus dem Sonnenlicht in Laubesschatten. Schon die Festhaltung des Grundtones D (anstatt etwa G-Moll), auch die Verwandtschaft des Rondothemas mit dem ersten Thema des ersten Satzes verhütet ein stärkeres Umschlagen der Stimmung. Dazu kommt das Wiederaufnehmen des D-Dur im Trioteile mit seinen leichtbeschwingten staccato-Triolen und den tanzartig punktierten Akkordrepetitionen. Selbst die merkwürdige synkopische Stelle (Zwischenhalbsatz des Hauptteiles), welche zufällig gerade acht Takte füllt, die aber eigentlich nur vier mit wiederholten Anhängen sind und sogar mit Umdeutung des zweiten Taktes zum dritten:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

bringt kein Leid, sondern höchstens ein süßes Verlangen.

Am ärgsten leidet wohl das Scherzo unter der Neigung zu volltaktiger Leseweise. Der Pausenkünstler Beethoven gibt da eine ähnliche harte Nuß zu knacken wie in dem Allegretto von Op. 7:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

[260] Wer in diesen beiden Fällen die Pausen als Motiv-Ende hört, der muß freilich Beethoven für einen sonderbaren Kauz halten und gehört in die Gesellschaft jener Kritiker, die seine Werke absurd, bizarr und vielleicht noch schlimmeres nennen. Hätte Beethoven geschrieben:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

so würde niemand über die Grenzen der einzelnen Motive im Zweifel sein; daß aber in dem graziösen Hinüberhüpfen über die Pausen innerhalb der Motive das eigentlich Beethovensche liegt, können leider viele auch heute noch nicht begreifen.

In dem Trio ist nicht das immer wiederholte fis2, sondern das immer wiederholte fis2 e2 d2 cis2 h1 der obstinate Ansatz, in dessen wechselnder Beantwortung der eigenartige Reiz dieses naiven Stückes besteht.

Das Schlußrondo bedarf keiner Erläuterung, es sei denn, daß jemand in der folgenden Stelle das hohe a2 als Ende statt als neuen Anfang verstünde:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

was leider nicht ausgeschlossen ist, zumal die 6. Kapitel. Das Jahr 1801 irreführend gestochen sind.

Das Streichquintett C-Dur Op. 29, dem Grafen Moritz von Fries gewidmet, ist laut Aufschrift auf der Partitur (im Besitz von Paul Mendelssohn in Berlin) 1801 komponiert und erschien Ende 1802 bei Breitkopf und Härtel in Druck. Gleichzeitig erschien es aber auch bei Artaria. [261] Diese zweite Ausgabe hat eine förmliche Geschichte (vgl. Nottebohm, I. Beeth. S. 3 ff.), Wir geben dieselbe zunächst hier, wie sie sich in den bisher bekannten Berichten und Belegen darstellt, können aber nicht umhin, im Anhang II eine Anzahl Aktenstücke zusammenzustellen, welche das Verfahren Domenico Artarias wenn auch nicht vollständig rechtfertigen, so doch wenigstens teilweise entschuldigen und das seltsame Schwanken Beethovens in der Angelegenheit verständlich machen.

Das Quintett wurde, nach dem Berichte von Ries (S. 120), »in Wien gestohlen und erschien plötzlich bei A(rtaria) und Comp. Da es in einer Nacht abgeschrieben worden war, so fanden sich unzählige Fehler darin .... Beethoven benahm sich hierbei auf eine seine Art, von der man nach einem zweiten Beispiel sich vergebens umsieht. Er begehrte nämlich, A. sollte die fünfzig bereits gedruckten Exemplare mir nach Haus zum Verbessern schicken, gab mir aber zugleich den Auftrag, so grob mit Tinte auf das schlechte Papier zu corrigiren und mehrere Linien so zu durchstreichen, daß es unmöglich sei, ein Exemplar zu gebrauchen, oder zu verkaufen. Dieses Durchstreichen betraf vorzüglich das Scherzo. Seinen Auftrag befolgte ich treu u.s.w.« Was Ries dieser nicht ganz korrekten Erzählung noch hinzufügt von Einschmelzung der Platten u.a., hat Nottebohm (I. Beeth. S. 3 f.) als irrig nachgewiesen. Wohl aber erfolgte eine öffentliche Erklärung des mit Recht aufgebrachten Komponisten27:


»An die Musikliebhaber.


Indem ich das Publicum benachrichtige, daß das von mir längst angezeigte Originalquintett in C dur bei Breitkopf und Härtel in Leipzig erschienen ist, erkläre ich zugleich, daß ich an der von den Herren Artaria und Mollo in Wien zu gleicher Zeit veranstalteten Auflage dieses Quintetts gar keinen Antheil habe. Ich bin zu dieser Erklärung vorzüglich auch darum gezwungen, weil diese Auflage höchst fehlerhaft, unrichtig und für den Spieler ganz unbrauchbar ist, wogegen die Herren Breitkopf und Härtel, die rechtmäßigen Eigenthümer dieses Quintetts, alles angewendet haben, das Werk so schön als möglich zu liefern.

Ludwig van Beethoven.«


Ein Jahr später widerrief Beethoven diese Erklärung soweit sie Mollo angeht in folgender


»Nachricht an das Publikum28.


Nachdem ich Endesunterzeichneter den 22. Jänner 1803 in die Wiener Zeitung eine Nachricht einrücken ließ, in welcher ich öffentlich erklärte, daß die bei Hrn. Mollo veranstaltete Auflage meines Originalquintetts in C dur [262] nicht unter meiner Aufsicht erschienen. höchst fehlerhaft und für den Spieler unbrauchbar sey, so widerrufe ich hiermit öffentlich diese Nachricht dahin, daß Herr Mollo und Co. an dieser Auflage gar keinen Antheil haben, welches dem verehrungswürdigen Publico zur Ehrenerklärung des Hrn. Mollo und Comp. anzuzeigen mich verbunden finde.

Ludwig van Beethoven.«


Wie schon Nottebohm nachgewiesen hat, war Beethoven schließlich damit einverstanden, selbst diese Ausgabe zu revidieren und zu korrigieren29.

Ein lebhaftes Bild der Aufregung, welche die Angelegenheit verursachte, gibt ein langer Brief Beethovens an Breitkopf und Härtel vom 13. November 1802:


»Ich eile ihnen nur das Wichtigste zu schreiben – wissen sie also, daß die Erzschurken Artaria unter der Zeit, als ich auf dem Lande wegen meiner Gesundheit wegen war, das quintett sich vom Grafen Frieß unter dem Vorwand, daß es schon gestochen und hier Existiere, sich zum Nachstich, weil das ihrige fehlerhaft, ausgebeten hatten und – wirklich vor einigen Tägen das Publikum damit erfreuen wollten – der gute Gr. F. bethört und nicht nachdenkend, ob das nicht eine schelmerey seyn könne hatte es ihnen also gegeben, mich selbst konnte er nicht fragen – ich war nicht da – doch glücklicherweise werde ich die Sache noch zu rechter Zeit gewahr, es war am Dienstag dieser Woche, in meinem Eifer meine Ehre zu retten, ihren Schaden in der größtmöglichsten Geschwindigkeit zu verhindern, zwei neue Werke bot ich diesen niederträchtigen Menschen an, um die ganze Auflage zu unterdrücken, aber ein kälterer Freund, den ich bey mir hatte, fragt mich, wollen sie diese Schurken noch belohnen? Die Sache wird also unter Bedingungen geschlossen, indem sie versicherten, es mögte bei ihnen herauskommen, was nur immer wollte, sie würden es ihnen nachstechen, diese edelmüthigen Schurken entschlossen sich also für einen Termin von 3 Wochen, wenn ihre Exemplare hier erschienen wären, nachdem also erst ihre Exemplare herauszugeben (indem sie behaupteten Gr. F. habe ihnen das Exemplar geschenkt). Für diesen termin sollte der Contract geschlossen werden und ich mußte dafür ihnen ein Werk geben, welches ich auf wenigstens 40 ⌗30) rechne. Noch ehe dieser Kontrakt geschlossen, kommt mein guter Bruder wie vom Himmel gesendet, er eilt zu Gr. Frieß, die gantze Sache ist die größte Betrügerei von der Welt, das Detail davon, wie sein sie mich vom Gr. F. abzuhalten wußten und alles übrige mit nächstem – auch ich gehe nun zu F., und beiliegenderRevers mag zum Beweise dienen, daß ich alles gethan, um ihren Schaden zu verhüten – und meine Darstellung mag ihnen ebenfalls beweisen, daß mir kein Opfer zu Theuer gewesen, um meine Ehre zu retten und sie vor schaden zu bewahren. – Aus dem Revers ersehen sie zugleich die Maßregeln, ich glaube, daß sie nun so viel als möglich eilen hierher Exemplare zu senden und wenns möglich ist, um denselben Preiß wie der der schurken – Sonnleithner und ich wollen alle übrigen Maßregeln nehmen, die unß gut dünken, damit [263] ihre gantze Auflage vernichtet werde – merken sie sich wohl, Mollo und Artaria machen schon wirklich nur ein Handelshauß, das heißt eine gantze Familie von Schurken zusammen. – Die dedikacion an Frieß haben sie doch nicht vergessen, indem sie mein Bruder auf erstem Blatte angezeigt – den Revers habe ich ihnen selbst geschrieben, indem mein armer Bruder so viele Geschäfte hat und doch alles mögliche gethan, um sie und mich zu retten, er hat dabey in der Verwirrung einen treuen Hund, den er seinen Liebling nannte, eingebüßt, er verdient daß sie ihm selbst deswegen danken, so wie ich es selbst schon für mich gethan – stellen sie sich vor, daß ich von Dienstag bis gestern Abends spät bei diesem handel fast eintzig beschäftigt, und nur die Idee dieses Schurkenstreichs mag hinreichen, sie fühlen zu lassen, wie unangenehm es war, mit solchen elenden Menschen zu thun zu haben. –

L. v. Beethoven.«


»Revers.


Unterzeichneter verpflichtet sich hiermit, das von Hr. Grafen Frieß erhaltene quintett komponiert von Lud. v. Beethoven unter gar keinem Vorwand zu verschicken, noch hier oder anderswo zu verkaufen, bis die Original Auflage 14 Täge hier in Wien in Umlauf ist.

Wien, am 12 9br 802 –

Artaria Comp


»Dieser R. ist mit eigener Hand von der Comp. unterschrieben. Benutzen sie Folgendes: ist zu habenà Vienne chez Artaria Comp. à Münich chez F. Halm, à Francfort chez Gayl et Nädler, vielleicht auch in Leipzig chez Meysel – der Preiß ist 2 Gldn. Wiener Währung. – Zwölf Exemplare, die einzigen, wie sie mir gleich anfangs versicherten, habe ich erwischt, und das alles davon abgeschrieben – der Stich ist abscheulich, alles dieses benutzen sie, sie sehen, daß wir sie auf jeden Fall in Händen haben und gerichtlich belangen können. – NB. Jede selbst persönliche Maaßregel wider A. ist mir recht.«


Unterm 5. Dezember 1802 schreibt Beethovens Bruder Karl zu derselben Angelegenheit an Breitkopf und Härtel:


»Endlich werde ich Ihnen auch die Art wie mein Bruder seine Werke verhandelt bekannt machen. Wir haben bereits 34 Werke und gegen 18 Nro heraus, diese Stücke sind meistens von Liebhabern bestellt worden und mit folgendem Kontrakt: derjenige, welcher ein Stück haben will bezahlt dafür, daß er es ein halbes oder ganzes Jahr oder auch länger allein hat eine bestimmte Summe und macht sich verbindlich keinem das Manuskript zu geben, nach dieser Zeit steht es dem Autor frei damit zu machen was er will. Dieses nämliche Verhältniß war bey Grf. Frieß. Nun hat Hr. Grf. Frieß einen gewissen Conti zum Geigenmeister, an diesen hat sich Artaria gewendet und dieser wahrscheinlich31 um 8 oder 10 ⌗ gesagt das Quartett wäre schon gestochen und überall zu haben. Jetzt hat Grf. Frieß geglaubt, [264] daß nichts mehr damit zu verliehren sey und hat es ohne uns etwas davon zu sagen, ge geben ... Jetzt ist der Grf. Frieß nicht hier, wird aber in 6 Tagen wiederkommen, dann werde auch Ihre Entschädigung auf eine oder die andere Art besorgen. Dann schicke ich Ihnen beyliegenden Revers von Artaria unterschrieben zur Einsicht, den Sie mir gelegentlich zurückschicken werden. Dieser Revers kostete meinem Bruder 7 Tage, wo er gar nichts thun konnte, mich unzählige Gänge und Unannehmlichkeiten und den Verlust meines Hundes.«


Da Beethovens erste Erklärung mehr als zwei Monate nach diesem Briefe und Reverse veröffentlicht ist, so fallen die Manipulationen, über die Ries berichtet, und der teilweise Neustich der Platten jedenfalls in die Zeit nach Januar 1803, die Beilegung des Konflikts sogar in das Jahr 1804.

Skizzen des Quintetts sind nicht bekannt. Es ist daher die Frage naheliegend, ob dasselbe nicht vielleicht älteren Ursprungs oder doch eine Umarbeitung älterer Entwürfe ist. Eine solche Annahme ist wohl nicht ganz abzuweisen, da mancherlei für den Beethoven von 1801 Befremdendes in dem Werke ist, soz.B. im ersten Satze die ungenügende Kontrastierung der beiden Hauptthemen, das unvermittelte mehrmalige Auftreten der Triolenpartien, das breite Zurückkommen auf das erste Thema vor der Reprise, die Unentschlossenheit der Modulationsführung usw. Andererseits kommt doch soviel Neues, Eigenartiges gerade in diesem ersten Satze heraus, daß man die Frage nach der Zeit der Entstehung dieser Ideen füglich auf sich beruhen lassen kann. Gemahnt doch das merkwürdige Wenden der Melodie Takt 8–9 (der Satz beginnt mit einem 8. Takt) direkt an Schubert:


6. Kapitel. Das Jahr 1801

und das heftige Triolenthema an Webers Euryanthen-Ouvertüre.


6. Kapitel. Das Jahr 1801

Allein schon der unverkennbare starke Einfluß des Quintetts auf Schubert (F-Moll-Phantasie, A-Moll-Sonate, H-Moll-Symphonie) würde genügen, dem ersten Satze eine große Bedeutung zu sichern. Die romantischen Elemente des Werkes sind keineswegs (wie Lenz will) auf das Finale beschränkt, das Lenz für nachkomponiert hält (Konflikt zwischen 2/4- und 6/8-Takt).

[265] Da Op. 29 das einzige Originalquintett Beethovens ist, so darf man wohl fragen, warum er es bei diesem einzigen Versuche bewenden ließ (die QuintettfugeOp. 137 [vgl. IV. 76 u. 83] als Betätigung im Fugenstil mag hier aus dem Spiele bleiben). Daß das Werk planmäßig den Zuwachs einer fünften Stimme auszubeuten sucht, ist wohl ersichtlich; die sich zunächst ergebenden Möglichkeiten sind:

1) eine Gegenüberstellung von zwei verschieden besetzten drei- oder auch vierstimmigen Gruppen nach Art der mehrchörigen Anlage fünfstimmiger Vokalsätze im 16. Jahrhundert. Schon Mozart im G-Moll-Quintett hatte hierfür ein instrumentales Vorbild gegeben (erster Satz Takt 1–8: 1. und 2. Violine mit 1. Bratsche als Baß, Takt 9–17: 1. und 2. Bratsche mit Cello als Baß – ähnlich im letzten Satze gegen Ende des C-Dur-Teils. Beethoven vermannichfaltigt die Teilungen, vermeidet aber die Zuweisung der Oberstimme an eine Bratsche; in der Tat heben sich die Gruppen genügend ab, wenn einmal die erste, das andere Mal die zweite Violine (in anderer Lage) die Melodie führt. Der beginnende Chor ist dreistimmig (Takt 1–8), der (wie bei Mozart) wiederholende vierstimmig und hat noch die erste Violine zu bläserartiger Behandlung extra zur Verfügung;

2) orchestermäßige Oktavverdopplungen, sei es des Basses oder der oben aufliegenden Melodie, sei es auch einer begleitenden Mittelstimme. Man darf annehmen, daß gerade die Erfahrungen an solchen einfach besetzten Oktavführungen Beethoven überzeugt haben, daß man besser dem Orchester läßt, was des Orchesters ist. Schätzbarer erweisen sich die

3) Terzen- oder Sextenverdopplungen (1. Satz, Takt 64 ff.), wo unter der in hoher Lage sich ergehenden 1. Violine die Gruppen 2. Violine mit 1. Bratsche und 2. Bratsche mit Cello alternierend kontrapunktieren;

4) Vermehrung des Vollklangs breit über den Gesamtumfang auseinandergelegter Harmonien. Speziell diese Möglichkeit hat Beethoven mehrfach ausgenützt und durch Doppelgriffe die Zahl der gleichzeitig ausgehaltenen Töne bis auf sieben und acht gebracht;

5) für sukzessive imitierende Einsätze der effektive Zuwachs einer Stimme. An der einzigen Stelle des ersten Satzes, wo nahe gelegen hätte, diese Wirkung anzubringen (S. 5 Zeile 3 der Partitur i. d. Gesamtausgabe) läßt Beethoven das Violoncell nicht an der Imitation teilnehmen;

6) vermehrte Fülle, wo von zwei wesentlichen Stimmen die eine verdoppelt, die andere verdreifacht wird.

[266] Es ließen sich noch einige solche Gesichtspunkte aufstellen, die aber alle zu demselben Ergebnis führen, daß die Bereicherungen des Quintetts gegenüber dem Quartett wesentlich orchestraler Natur sind und die Reinheit der auf solistische Besetzung berechneten Gattung gefährden. Die reichliche Ausnutzung der Möglichkeit stärkerer Füllung erweist sich zwar in Fortestellen und bei einzelnen Akzenten als wirksam, wird aber doch im ganzen mehr zu einem schweren Ballast. Stärkere Durchbrechungen der Vollstimmigkeit aber, also mit Vermehrung der Pausen in den Einzelstimmen und wechselndem Eingreifen bald der einen, bald der andern, erschweren die technische Ausführung in einem Maße, das den Gewinn, den die Heranziehung eines weiteren Instruments verheißt, illusorisch macht. Offenbar ist Beethoven durch diesen einmaligen Versuch zu der Überzeugung gelangt, daß er alles, was er mit dem Quintett machte, ohne wesentliche Einbuße irgendwelcher Art auch mit Verzicht auf die zweite Bratsche hätte zuwege bringen können. Die Geschichte hat ihm rechtgegeben. Obgleich schon Boccherini lange vor Beethoven die Quintettkomposition im Großen in Angriff genommen hatte (113 Quintette mit zwei Violoncelli, 12 mit zwei Bratschen) und zwar von Anfang an mit der Satzordnung der Symphonie, wodurch Lenzs Phantasterei von der durch Beethoven vermittelten Befreiung des Quintetts aus dem Kassationsstil (IV. 121) sich als haltlos erweist, so hat doch das Quartett den Sieg behalten.

Nicht unerwähnt bleibe übrigens die Verwandtschaft des Anfangsthemas des Adagio molto espressivo mit dem Thema der Variationen des Es-Dur-Quartetts Op. 127, sei es auch nur, um immer wieder dar auf aufmerksam zu machen, wie in Beethoven fortgesetzt ältere Ideen fortleben und in verwandelter Gestalt neu erstehen. Der Vergleich mit Op. 127 wird aber zugleich auch den Blick dafür frei machen, daß in Op. 29 noch manches Element enthalten ist, das noch weiter zurückverweist als 1801.

Ries (Notizen S. 85) weiß zu erzählen, warum Haydn kein Quintett geschrieben; auf seine diesbezügliche Frage an Haydn selbst erhielt er »die lakonische Antwort: er habe immmer an vier Stimmen genug gehabt. Man hatte mir nämlich gesagt, es seien drei Quintette von Haydn begehrt worden, die er aber nie hätte komponieren können, weil er sich in den Quartettstil so hineingeschrieben habe, daß er die fünfte Stimme nicht finden könne. Er habe angefangen, es sei aber aus einem Versuche am Ende ein Quartett, aus dem anderen eine Sonate geworden.« Die Anekdote hat zwar eine verdächtige Ähnlichkeit mit der [267] von Beethovens ersten Versuchen, Quartette zu schreiben, birgt aber vielleicht einen gesünderen Kern als jene.

Nach einer Notiz in einem Konversationsbuche von 1826 rührt ein Thema des Quintetts von Schuppanzigh her (Thayer).

Fußnoten

1 Neue Ztschr. für Musik 7. März 1837.


2 Man beachte die Unsicherheit in der Datierung, nicht speziell wegen des Inhalts des vorliegenden Briefes sondern nur als Beleg, wie wenig Beethoven mit dem Kalender lebt.


3 Das L...... O.... füllte Schindler (wie Nohl mitteilt) durch »Leipziger Ochsen« aus, und bezog es auf die Kritiker der Allg. Musikal. Zeitung, was auch eine Vergleichung mit anderen Briefen in diesem Kapitel als zutreffend erweist.


4 Vgl. die S. 132 ff. mitgeteilten beiden Briefe an dieselbe Dame.


5 Die Nachricht von Cimarosas Tode (11. Juni 1801 in Venedig) war wohl soeben angelangt.


6 Über Vigano handelt das Buch »Commentarii della vita e delle opere coredrammatiche di Salvatore di Viganò e della coregrafia e de' corepei scritti da Carlo Ritorni, Reggiano. 8vo. Milano 1838«. Die Exemplare dieser Schrift sind mit Ausnahme von fünf besser gedruckten mit einer Nummer (1 bis 500) versehen. Der Verfasser benutzte Nr. 18, Grandaur, welcher in der Allg. Mus. Ztg. 1867 S. 178 gleichfalls darüber Bericht gab, Nr. 147.


7 Vgl. Collins Werke VI. 305 fg.


8 Die gleichzeitigen Berichte würden Stoff genug zu einer Schilderung der Art und Weise bieten, wie die schöne Medina Vigano die Venusgleichen Reize ihrer schönen Körperformen darzustellen wußte. Dies würde aber hier um so unnötiger sein, als ihr Name lange vor dem Prometheusballett von der Liste des Theaters verschwunden war und Fräulein Cassentini an ihrer Stelle herrschte.


9 Über die Cassentini und in Verbindung damit über Prometheus schrieb A. Kalischer in der Rheinischen Musik-Zeitung 1901 (Jahrg. II) S. 75 ff. (Über Beethovens Frauenkreis).


10 Nach der Mitteilung Nottebohms (Allg. Mus. Ztg. 1869 Nr. 37) hat sich aber im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ein noch älterer Zettel vorgefunden, nach welchem das Stück eine Woche früher zur Aufführung kommen sollte. Ob diese stattfand, oder, was wahrscheinlicher, verschoben wurde, läßt Nottebohm ungewiß; das letztere geht aber doch wohl daraus hervor, daß es auf dem obigen Zettel heißt: Zum ersten Male. Doch ist der ältere Zettel bemerkenswert, weil in demselben der deutsche Name des Stückes anders lautet und einiges genauer angegeben ist. Er wird daher nach Nottebohm hier gleichfalls mitgeteilt:


»Nachricht.


Samstag den 21ten März 1801 wird in dem Theater nächst der k. k. Burg zum Vortheil der Mlle. Marie Casentini ein neues Ballet aufgeführt werden


genannt:


Die Menschen des Prometheus.


Ein mythologisches allegorisches Ballet von der Erfindung und Ausführung des Balletmeisters Herrn Salvator Vigano.

Die Musik ist von der Komposition des Hrn. Ludwig van Beethoven.

Die Dekorationen sind vom Herrn Platzer, Mitglied der k. k. Akademie der bildenden Künste und wirklichen Kammermahler Sr. Majestät des Kaisers.

Durchdrungen vom dankbarsten Gefühle für das gütige Wohlwollen eines so verehrungswürdigen Publikums, wird die Künstlerin mit unermüdetem Fleiße, die Zufriedenheit Desselben ferner zu erwerben trachten.

Logen und gesperrte Sitze sind am Vorabend und am Tage der Vorstellung in ihrer Wohnung auf der Sailerstadt am Ende der Himmelpfortgasse Nr. 1017 im zweyten Stock zu bestellen.

Diejenigen Herren Abonnenten, welche nicht gesonnen wären Ihre Logen und gesperrten Sitze beizubehalten, werden gehorsamst ersucht, Ihre Entschließung der Mlle. Casentini etwas früher, wenigstens Tags vorher gütigst wissen zu lassen.«


Dann folgt in gleicher Weise die italienische Ankündigung. Samstag den 28. März war der Samstag vor der Charwoche.


11 Der Verfasser Ritorni übt selbst scharfe Kritik an diesem Schlusse. »Dieses Abbrechen« (»diese Auflösung« übersetzt Grandaur), sagt er, »entspricht nicht der Würde des Gegenstandes. Zu tödten ziemt sich nicht für allegorische Gottheiten, und auch nicht für Melpomene, wirklichen Tod herbeizuführen, sondern nur wirklich blutige Katastrophen nachzuahmen. Warum nicht vielmehr nach dem tragischen Ende des Menschen das unsterbliche Leben der Seele darstellen, anstatt der Apotheose des Prometheus, den zu unsterblichem Leben zu erheben dem Apollo, dem Gotte der Handlung, gebührte? Doch sollte es wohl nur ein scenisches Divertissement sein, wobei man Großartigkeit der Scenerie und der Maschinen nicht anwenden wollte. Die Idee eines so kleinen Stückes, welches jener Liebe zu Ehren erfunden war, die die Kaiserin Maria Theresia, die zweite Gemahlin Kaiser Franz' II., für die Musik hegte, ist eine erhabene, und man erkennt deutlich, daß dieses Stück, welches ich ›den kleinen Prometheus‹ nennen will, den Keim in sich enthielt, der sich in dem großen Prometheus entwickelte, mit welchem Salvatore die Reihe seiner hauptsächlichsten Leistungen eröffnete. Doch ist der zweite Act, wie es scheint, voller Mängel, von geringer Kunst und keinem besonderen Geschmacke.« – Merkwürdig, daß der Verfasser Beethoven gar nicht nennt. (Grandaur.)


12 Nottebohm, II. Beeth. S. 246 fg.


13 Daß Beethoven die gehende Figur anfangs etwas anders gestaltete, und für die Freude anfangs andere Motive hatte, wolle man bei Nottebohm nachsehen.


14 Die Harfe hat Beethoven später nicht mehr verwendet. –


15 Wer aber das nicht annehmen will, sondern auch hier Bacchus findet, der kann nur in Nr. 13 das Auftreten des Pan finden. Das gäbe aber einen Widerspruch mit der Erzählung. – Ob vielleicht das anfangs für Pan bestimmte (Nr. 11–12) dann von Bacchus ausgeführt wurde?


16 Das scheint auch der Brief an Breitkopf und Härtel vom Juni 1803 zu bestätigen, der nachträglich für den Titel der Variationen Op. 35 den Zusatz fordert daß das Thema dem allegorischen Ballett Prometheus entnommen sei.


17 Vgl. hierzu die weiter unten folgenden Bemerkungen des Herausgebers (H. R.) über den Zusammenhang des Finale der Eroica und der Prometheusmusik.


18 Von dem Original-Manuskript ist nichts bekannt. Eine Abschrift der Partitur (mit Ausnahme von zwei Nummer revidiert) befindet sich auf der k. k. Hofbibliothek zu Wien, mit der Aufschrift: Ballo serio Die Geschöpfe des Prometheus. Composto dal Sig. Luigi v. Beethoven.


19 Zuerst gedruckt i. d. Neuen Zeitschr. f. Mus. 1837, 7. März. Nach dem Original (in Besitz der Firma C. F. Peters) ergänzt bei Kalischer, Sämtl. Br. I. 64.


20 Dieser überhaupt erste Brief an die Firma wurde dem Verfasser von Otto Jahn mitgeteilt.


21 Das B-Dur-Konzert Op. 19 (angezeigt in der Wiener Zeit. 16. Jan. 1802).


22 Das C-Dur-Konzert Op. 15 (angezeigt in der Wien. Zeit. 21. März 1801).


23 Der Verfasser stattet an dieser Stelle der Güte des Archivars im Deutschen Hause zu Wien, welcher die Dokumente, die sich auf dieses große Kapitel beziehen, ihm zugänglich machte, seinen Dank ab. Vgl. auch Wiener Zeitung vom 13. Juni 1801.


24 Auch Karajans Beschreibung des Hamberger Hauses (J. Haydn in London, S. 15) bestätigt unsere Annahme.


25 Eine kurze Notiz über Fr. X. Huber siehe in den Vaterländischen Blättern II 385. Nach dem Vereinsschematismus von 1798 war Huber in diesem Jahre Kapellmeister des Studentenchors.


26 Ferdinand Paer (geboren 1771 zu Parma) hatte seit Anfang 1798 auf der Hofbühne eine Reihe anziehender und populärer Opern zur Darstellung gebracht. Da er auf einem Gebiete tätig war, welches von der Wirkungssphäre Beethovens völlig verschieden war, so bestand keine Rivalität zwischen ihnen, und ihre Beziehungen zu einander waren herzlich und freundlich. Am 6. Juni 1801 brachte Paer eine heroische Oper »Achilles« auf die Bühne; dieselbe »ward mit rauschendem Beifall aufgenommen und verdiente diesen Beifall vollkommen«, nach den Worten des Korrespondenten der Zeitung für die elegante Welt. Paer erzählte in seinem hohen Alter Ferd. Hiller eine charakteristische Anekdote von Beethoven, wel che mit Beziehung auf seine Leonore, wie er sie infolge eines Gedächtnisfehlers erzählt, unmöglich richtig sein kann, vielleicht aber mit dem Achilles zusammenhängt. Beethoven sei nämlich mit Paer in das Theater gegangen, wo eine Oper des letzteren gegeben wurde. Er saß neben ihm, und nachdem er ein Mal über das andere Mal ausgerufen: »oh que c'est beau, que c'est interessant!« habe er endlich gesagt: »il faut que je compose cela«.

Der eben zitierte Korrespondent klagt über die »Charakterlosigkeit« der Märsche im Achilles und bestätigt so gelegentlich eine von Ries' Notizen (S. 80): »Der Trauermarsch in As moll, in der dem Fürsten Lichnowsky gewidmeten Sonate (Op. 26) entstand aus den großen Lobsprüchen, womit der Trauermarsch Paers in dessen Oper ›Achilles‹ von den Freunden Beethovens aufgenommen wurde.« Von dieser Sonate, welche im Jahre 1801 vollendet wurde, sagt ferner Czerny: »Als Cramer in Wien war und ebenso durch sein Spiel wie durch die dem Haydn gewidmeten drei Sonaten (wovon die erste in As dur 3/4 Tact) großes Aufsehen erregte, schrieb Beethoven, dem man Cramer entgegenstellte, die As-Sonate Op. 26, in welcher das Finale absichtlich an die Clementi-Cramersche laufende Manier des Finale erinnert. Die Marcia Funebre wurde bei Gelegenheit eines damals sehr beliebten Trauermarsches von Paer geschrieben und der SonateOp. 26 beigefügt.«


27 Wiener Zeitung vom 22. Januar 1803.


28 Wiener Zeitung vom 31. März 1804.


29 I. Beethoveniana S. 3 ff., Allg. Mus. Ztg. 1870, 9. Febr.


30 Dukaten


31 Giacomo Conti, geb. 1752, gest. 1805, war seit 1797 Violinist der Hofkapelle. Das »wahrscheinlich« läßt Karls Behauptung als eine schwere Verdächtigung erscheinen, die sich wohl als unbegründet erwiesen hat, nach dem Ausgang der Angelegenheit zu urteilen.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1910..
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