Erstes Kapitel.

Das Jahr 1817.

Persönliches. Die Familie Ginnatasio. Heiligenstadt-Nußdorf.

Die verdrießlichen Bemerkungen, welche Beethoven Fremden gegenüber in seinen letzten Jahren über Musik, Musiker und Publikum in Wien zu machen liebte, haben die Entstehung von weit verbreiteten, aber vollständig falschen Vorstellungen über diesen Gegenstand veranlaßt. So hat W. H. Fry, ein namhafter amerikanischer Schriftsteller über Musik während der letzten Generation, nur einer allgemeinen Meinung Ausdruck gegeben, wenn er über Beethoven Folgendes schreibt: »Dieser Komponist arbeitete ausdauernd dreißig Jahre lang; bei seinem Tode, als die Schale seines Ruhmes schon übergeflossen war und der Klang seines Namens durch die ganze Christenheit widerhallte, hinterließ er alles in allem die armselige Summe von zwei oder drei Tausend Dollars, nachdem er, wie ein jeder, der seine Laufbahn kennt, weiß, ein dürftiges Leben geführt hatte, entsprechend seiner Armuth und seiner untergeordneten Stellung als Komponist in Wien.« Der Mangel an Würdigung seiner Verdienste im Kreise der Bevölkerung, heißt es weiter, »verurtheilte Beethoven zu einer Dachstube, in welcher ein Irischer Auswanderer hätte wohnen können.« Es ist vollkommen überflüssig, gegen solche Behauptungen zu streiten; der ganze Verlauf unserer Erzählung widerlegt sie; aber die öffentliche Presse Wiens verdient in Schutz genommen zu werden, und das Erscheinen einer neuen »Allgemeinen Musik-Zeitung« am 2. Januar bietet eine passende Gelegenheit für die wenigen Bemerkungen, welche über diesen Gegenstand gemacht werden müssen.

Diese Zeitung, welche, »mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat« geleitet wurde und bei Steiner und Co. erschien, trug während [3] der ersten beiden Jahre keinen Namen eines verantwortlichen Herausgebers; die Bände von 1819 und 1820 lassen Ignaz von Seyfried in dieser Stellung erscheinen; die anderen von 1820 bis 1824 tragen den Namen von Friedrich August Kanne. Ein Hauptschriftsteller in den früheren Bänden war Hofrath Ignaz von Mosel (geboren 1772), welcher durch seine Aufsätze über musikalische Gegenstände in den »Vaterländischen Blättern« und anderen Zeitschriften schon eine gewisse lokale Berühmtheit besaß, und welcher fortgesetzt bis zum Ende seines Lebens (1844) reichliche Beiträge für musikalische Zeitungen spendete. Beethoven schätzte ihn als Schriftsteller; aber Mosel hatte die Kühnheit, gleich Mozart den Versuch zu machen, Händel zu verbessern und zu modernisiren. Von den acht Verstümmelungen der Werke dieses großen Mannes wurden zwei – Samson und Belsazar – gedruckt und etwa 50 Jahre lang in Oesterreich und Deutschland den Aufführungen zu Grunde gelegt, ein bemerkenswerther Beweis für die allgemeine Unkenntniß, welche hinsichtlich der Werke des größten Oratorienkomponisten herrschte; denn es dürften wohl kaum noch zwei weitere Denkmäler solcher Anmaßung, solcher Unfähigkeit, den Meister zu verstehen, und eines so falschen und verirrten Geschmackes existiren, abgesehen vielleicht von den übrigen sechs, welche nicht gedruckt wurden. Eine von Beethovens sarkastischen Bemerkungen, welche Karl Czerny berichtet, scheint seine Meinung über Mosels Dilettantismus anzudeuten. Als er einst dei Artaria eine Zeitung las, fand er, daß Mosel »besonders wegen seiner Verdienste um die Musik in den Adelstand erhoben war«.1 »Die Mosel fließt trüb in den Rhein,« sagte er lachend.

Kanne, 1778 in Sachsen geboren, war eins jener unglücklichen Genies, welche unter der Einwirkung ihrer natürlichen Anlagen sich auf verschiedenen Gebieten hervorthun, aber in Folge des Mangels einer stetigen ausdauernden Anstrengung nach irgend einer Richtung hin in keiner einzigen Hervorragendes leisten. In seiner Jugend studirte er Theologie und Medizin, verließ jedoch diese Studien und wandte sich der Litteratur und Musik zu, und als er 1807 durch widrige Umstände gezwungen wurde, Leipzig zu verlassen, kam er auf den Gedanken, in Wien sein Glück zu versuchen. Dort nahm ihn ein oder zwei Jahre lang Lobkowitz unter seinen Schutz; aber seine ungeduldige Auflehnung gegen jeden Zwang und seine Unmäßigkeit im Genusse geistiger Getränke – in Folge wovon er 1834 im Elend starb – brachte ihn um die Achtung und die Gunst des Fürsten. Von da [4] an führte er ein halb vagabundirendes Leben. Er schrieb Opern, Text und Musik, von welchen einige eine gewisse örtliche und vorübergehende Volksthümlichkeit erlangten, nicht geringer als die, welche die Arbeiten der Kapellmeister Weigl, Gyrowetz und Seyfried erreichten, ausgenommen sehr wenige der besten Werke dieser Männer. In der Wissenschaft und Theorie der Musik war er gründlich unterrichtet und wurde in dieser Hinsicht von Beethoven vorzüglich geschätzt, der ihn mit Förster und Weigl in eine Linie stellte. Sein Name steht an erster Stelle in einem Verzeichnisse von Verfassern von Operntexten von Beethovens Hand: »Kanne (Matthias), Collin, Werner (besonders für geistliche), Weißenbach, auch wohl Pichler.«2 Wir wollen hier einfügen, daß Caroline Pichler einen Operntext geschrieben hatte, der sich auf Mad. Cottins »Mathilde ou les Croisades« gründete, und ihn sauber abgeschrieben an Erzherzog Rudolf geschickt hatte, wo ihn Beethoven las. Sie hörte davon und dachte, wie sie erzählt: »Wenn dieser Genius sich entschlösse, meine Oper zu komponiren! Aber es blieb bei der Hoffnung.«

Kanne gehörte zu den besten musikalischen Journalisten seiner Zeit und stand unter denen in Wien an erster Stelle; daß er »als Kritiker bedeutend gewirkt hat, namentlich durch seine begeisterte Verehrung für Beethoven«, um Hanslicks Worte zu gebrauchen,3 ist sicher.

In den Jahren 1821 – 1822, um einen mittleren Zeitpunkt zu wählen, waren die tonangebenden politischen und litterarischen Journale in Wien folgende:


die Wiener ZeitungHerausgeberJoseph Carl Bernard;

der WandererHerausgeberIgnatz von Seyfried;

der BeobachterHerausgeberJoseph Pilat;

der SammlerHerausgeberPortenschlag

und Ledermeyer;

die Wiener Zeitschrift

(Modenzeitung)HerausgeberJohann Schickh;

die Theater – ZeitungHerausgeberAdolph Bäuerle.


Die meisten dieser Herausgeber waren persönliche Freunde Beethovens; und wer immer den ermüdenden Versuch macht, die Tausende der von ihnen [5] gefüllten Blätter durchzusehen, wird finden, daß sie alle seine Bewunderer waren und keine Gelegenheit unbenutzt vorübergehen ließen, ohne seinen Lorbeeren ein Blatt hinzuzufügen. Freilich folgt einer solchen Prüfung zugleich eine Enttäuschung über die vergleichsweise geringe Zahl der auf ihn bezüglichen Beiträge. Die Ursache hiervon lag aber in ihm selbst, in der kleinen Zahl neuer Kompositionen von höherer Bedeutung und der Seltenheit seines Erscheinens vor dem Publikum.

Freilich gab es auch Zeitungen, und zwar in verschiedenen Sprachen, welche von Beethoven und seinen Werken keine Notiz nahmen, weil Musik und Musiker nicht in ihrem Gesichtskreise lagen; aber keine einzige derselben war ihm feindlich. Kurz, mag man die periodische Presse als die Vertreterin oder als die Führerin der öffentlichen Meinung betrachten, in jedem Falle ist ihr Ton in Wien während der zehn Jahre, welche unsere beiden letzten Bände umfassen, eine glänzende Widerlegung der so oft behaupteten Mißachtung und geringschätzigen Vernachlässigung ihres großen Komponisten von Seiten der Wiener. –

Die Korrespondenz Beethovens ist in diesen und den zwei oder drei folgenden Jahren eine sehr umfangreiche. Schindler sagt darüber vollständig zutreffend:4 »Anstatt wie gewohnt viele Noten zu schreiben, hat unser Tondichter während dieser Jahre viele Briefe geschrieben, die theils seine häusliche Einrichtung, theils den Proceß, theils die Erziehungsangelegenheiten seines Neffen zum Inhalt haben, und im Allgemeinen zu den unerquicklichsten und beklagenswerthesten Zeugnissen innerer Erregtheit und leidenschaftlichen Verfolgens dieser Dinge zu zählen sind. Jene seiner Freunde und näheren Bekannten, die sich nach diesen drei Richtungen hin in Mitthätigkeit ziehen ließen, wurden mit Zuschriften und Aufträgen überhäuft, so daß sie die Stunde segneten, in welcher dem Processe ein Ende gemacht wurde.«

Von den meisten Menschen würde man ein ganz falsches, nach gewissen Richtungen übertriebenes Bild erhalten, wollte man ihre Aeußerungen, welche sie in langen Zwischenräumen und in ganz verschiedenen Lagen und Stimmungen ihres Gemüthes gesprochen oder geschrieben haben, zusammenstellen. So sagt auch Thomas Carlyle: »Die Hälfte, oder mehr als die Hälfte der dicht gehäuften Verdrehungen, welche das Bild Cromwells verzerren, würde verschwinden, wenn wir es nur ehrlich versuchen wollten, sie in der Folge darzustellen, wie sie wirklich erfolgt sind; nicht in der Beleuchtung, welche sie, getrennt und auseinandergerissen, erhalten.« Deshalb[6] darf man die chronologische Folge nicht leichthin verlassen; niemals, wenn eine Verzerrung des Bildes dadurch herbeigeführt wird. Nun sind aber auch Reihen von Briefen Beethovens vorhanden, welche sich über vergleichsweise kurze Perioden seines Lebens erstrecken, und welche man ohne die Gefahr ungünstiger Folgerungen gesondert zusammenstellen und mittheilen kann. Dahin gehört die Reihe der Briefe an Steiner und Co.; dahin ferner auch die an die Familie Streicher und an Zmeskall. Sie sind zu unwichtig, um im Texte Platz zu finden, und sollten doch dem Leser nicht unbekannt bleiben. Ein Auszug aus ihnen oder Mittheilung des Inhalts im Text würde dem Zwecke nicht entsprechen; wir theilen daher eine Auswahl derselben im Anhang mit. Sicherlich sind sie ermüdend und alltäglich, aber man sollte sie doch lesen; denn sie zeigen besser, als es irgend eine Beschreibung vermöchte, die Hülflosigkeit ihres Schreibers in allen Angelegenheiten des gewöhnlichen Lebens, und sie gewähren stillschweigend eine recht ungünstige Aussicht auf irgend ein gutes Ergebniß des Unternehmens, das er sich zur Lebensaufgabe gemacht,5 einen Knaben zu beaufsichtigen und zu erziehen, der mit mehr wie gewöhnlichen persönlich anziehenden Eigenschaften und geistigen Fähigkeiten ausgestattet war, dessen Charakter aber durch die unüberlegt wechselnde Nachsicht und Strenge seines kränklichen und leidenschaftlichen Vaters und seiner eigensinnigen und gemeinen Mutter schon eine falsche Richtung erhalten hatte.

Dazu kam Folgendes: Jenes Unternehmen machte eine plötzliche und sehr eingreifende Veränderung in den häuslichen Gewohnheiten eines Mannes von nahezu 50 Jahren nöthig, welcher zwanzig Jahre vorher nicht einmal im Stande gewesen war, als er in der Familie seines Mäcenas Lichnowsky wohnte, die Beschränkungen auf sich zu nehmen, welche gewöhnliche Höflichkeit und Anstand ihm auferlegten. Offenbar konnte mit dem Knaben nur ein Weg eingeschlagen werden, von welchem man vernünftiger Weise ein gutes Ergebniß erwarten konnte; und dieser war, ihn sofort in ein Institut zu bringen, weit genug von Wien entfernt, um ihn – die Ferien ausgenommen – gänzlich von Mutter und Onkel zu trennen, ihn dort einer strengen Zucht zu unterwerfen und ihm den Antrieb des Wetteifers mit Knaben seines eigenen Alters zu verschaffen. Als es zu spät war, wurde, wie wir sehen werden, dieser Gedanke gefaßt, aber von den bürgerlichen [7] Autoritäten nicht gestattet. Daß ein solcher Weg mit dem Knaben zu einem guten Ergebnisse geführt haben würde, daran lassen die späteren Ereignisse keinen Zweifel. Wir übergehen hier die Frage, inwieweit die herben Urtheile, welche über 50 Jahre über ihn gefällt worden sind, von jedem neuen Schriftsteller bitterer wie von dem letzten, durch Thatsachen gerechtfertigt sind –; das wissen wir, daß nach dem Tode seines Onkels, obgleich die schlimme Richtung seines Charakters durch den Mangel eines wirksamen, gleichmäßigen, festen und entschiedenen Zwanges in den Jahren von 1815 bis 1827 verstärkt und gesteigert worden war, dennoch wenige Jahre straffer militärischer Zucht aus ihm einen guten friedlichen Bürger, einen liebevollen und zärtlichen Gatten und Vater gemacht haben. Wäre Beethovens Einsicht und kluge Ueberlegung ebenso groß gewesen, wie seine unbegrenzte Liebe zu seinem Neffen, dann würde manche traurige Seite in dieser Darstellung keine Stelle haben; manche würde man, wenn es die Wahrheit und die Gerechtigkeit gegen Todte und Lebende gestattete, gern unterdrücken. Aber man darf nicht vergessen, daß Beethoven auf seinem Sterbebette, nach Schindlers Zeugnisse,6 seinem aufrichtigen Wunsche Ausdruck gab, »daß, was man einstens über ihn sage, nach allen Beziehungen hin strenge der Wahrheit getreu gesagt werde, gleichviel, ob Dieser oder Jener sich dadurch getroffen fühle, oder es selbst seine eigene Person betreffe«. So sagt auch der sterbende Othello:


»Wenn Ihr von all dem Unheil hier berichtet,

Sprecht von mir, wie ich bin, beschönigt nichts

Und stellt nichts boshaft dar; dann müßt Ihr sprechen

Von einem, der nicht klug, doch zu sehr liebte.« –


Wir nehmen den Faden der Erzählung wieder auf.

Wir haben uns Beethoven noch in dem Hause Sailerstätte 1055/56 wohnend zu denken, hoch und schmal, wenn man es von der Straße betritt; aber seine besseren Zimmer lagen an der Rückseite und gewährten die Aussicht auf den alten Stadtwall und Graben, und weiter über das Glacis und den kleinen Wienfluß hinweg zu der Vorstadt Landstraße, an welcher mit der Vorderseite gegen das Glacis das Institut Giannatasios stand. Keine Nachricht, auch keine Andeutung in den Skizzenbüchern weist darauf hin, daß sein Geist während der ersten Hälfte dieses Jahres mit irgend [8] wäre;7 im Gegentheil waren seine Ziele und seine Gedanken durch die Angelegenheiten seines Neffen, durch die beabsichtigte neue Einrichtung seines Haushalts und die Mißhelligkeiten mit seinen Dienstboten in Anspruch genommen, wie die vielen Billets und Briefe an Streichers und Zmeskall bis zum Ueberdrusse zeigen. Ein eigenthümlich interessantes Bild von Beethovens Thun und Denken in jener Zeit gewinnen wir nicht nur durch die Mittheilungen aus seiner Korrespondenz,8 sondern auch aus den Erzählungen der Fanny Giannatasio und anderen Aufzeichnungen von ihr in der chronologischen Form eines Tagebuchs. Wie bereits in dem vorigen Bande (S. 372 fg.) mitgetheilt worden ist, befand sich Beethovens Neffe seit dem Februar 1816 in dem Institute von Giannatasio del Rio, und in Folge dessen war Beethoven ein häufiger Gast in dessen Familie; über den Verkehr mit ihm geben die Aufzeichnungen der Tochter Fanny höchst interessante Nachrichten. Wenn auch manches aus denselben in unserem Texte seinen Platz finden muß, theils wegen äußerer Ereignisse, theils weil uns die Persönlichkeit Beethovens in der durch die große Zuneigung der Hausgenossen belebten Schilderung so recht anschaulich vor Augen tritt, so haben wir doch das Wichtigste aus den Verhältnissen der Schreiberin und ihren Aufzeichnungen im Anhange geben müssen.9 Wir theilen dort auch die Briefe mit, welche die Nichte Fannys, Frau Pessiak, an den Verfasser schrieb, weil ihr Inhalt überhaupt von Interesse ist, und weil wir daraus entnehmen, wie auch Beethovens produktive Thätigkeit dort eine kleine Anregung erhielt. Ein Lied »Ruf vom Berge« schrieb er in diesem Kreise nieder, ein kleiner Gratulationskanon entstand dort, den wir ebenfalls mittheilen werden; eine Hochzeitskantate, auch für diesen Kreis bestimmt, wird bei 1819 zur Sprache kommen.

Vom Beginn des Jahres an finden wir Beethoven weiter in dem freundschaftlichen Verkehr mit der Familie Giannatasio. Er wünschte in der Nähe des Institutes zu wohnen, Giannatasio bot ihm eine Wohnung in seinem Gartenhause an, Beethoven lehnte das aber ab; »wenn ich [9] auch gern Gebrauch machen wollte von ihren gütigen Anerbietungen bei ihnen im Gartenhaus zu wohnen, so kann es doch verschiedener Umstände wegen nicht sein.« Im April bezog er die Wohnung in der Gärtnerstraße, nicht weit vom Institute. Es traten auch Verstimmungen ein, wie aus den folgenden Aufzeichnungen aus Fannys Tagebuch zu entnehmen ist.

Am 1. März schreibt sie:


»Daß Beethoven auf uns böse ist, ist etwas was mich die Zeit her recht sehr betrübte, obwohl die Art wie er es zeigte, das traurige Gefühl mehr in ein bitteres umschuf. Es ist wahr, daß der Vater nicht artig gegen ihn gehandelt hat, aber Menschen die ihm ihre Achtung und Liebe jederzeit so bewiesen haben wie wir, sollte er nicht mit beißendem Spott zurückweisen wollen. Er hat jenen Brief wohl in einer seiner menschenfeindlichen Launen geschrieben und ich verzeihe es gern. Wir sahen ihn nun seit jenem Abend nicht mehr, als ich und Nanni krank zu Bett lagen.«


Es findet sich in den dem Verfasser bekannt gewordenen Briefen Beethovens keiner, der die obige Bemerkung veranlassen konnte. Der Brief, welcher Anstoß erregte, ist vielleicht vernichtet oder dem Schreiber zurückgegeben worden.

Wieder schreibt sie am 6. März:


»Uebrigens fühle ich mich durch Beethovens Betragen gegen uns wahrhaft gekränkt, mein bitteres Gefühl gegen ihn verlöscht ganz gegen ihn und ich fühle nur den ängstlichen Wunsch, bald die dumme Geschichte aufgeklärt und wenn ich ihn auch nicht oft sehe, doch zu wissen, daß er mit freundschaftlichem liebevollem Herzen an uns denkt; das weiß ich nun nicht und es beunruhigt mich und Nanni selbst in unseren Träumen. Der böse Mensch! wenn er wüßte wie viel trübe Augenblicke er uns schon gemacht hat und es einsehen könnte, wie wir Beide es doch so gar nicht um ihn verdient haben und ihn immer so lieb haben, – er müßte vermöge seines gefühlvollen Herzens – auf der Stelle kommen und ganz gut mit uns sein!«


Am 15. März:


»Ich überlese diese letzten Zeilen mit einem überaus angenehmen Gefühle; denn er kam – und alles ist wieder gut. Wie wehe thut es mir bemerken zu müssen, daß Carl sehr viele Schuld an diesem Mißverständniß hatte und wie viel weher, noch überhaupt neue Züge seines Leichtsinns an seinem braven Onkel ausgeübt zu sehen, welche ihm neu waren und ihn desto mehr kränkten. –

Als Nanni Beethoven fragte: ob er noch bös wäre, so antwortete er: Ich lege viel zu wenig Werth auf mich, um es zu sein. Dennoch thaute er erst nach unseren wechselseitigen Erklärungen auf, wo es sich denn fand, daß nur Mißverständniß die Ursache dieser kleinen Spannung war. Das Undelicate [10] der Handlungsweise des Vaters wegen dem Abholen Karls, der Mahnung wegen des Geldes, was ihm Karl vor dem Klaviermeister ausgerichtet hatte, nebst der Lüge des letzteren, man habe ihn abgewiesen sich auf dem Klavier zu üben, alles dies zusammengenommen wirkte auf sein ohnedies bedrängtes Gemüth, so daß er uneingedenk des Vertrauens, das er uns schuldig ist, sich nicht liebevoll an seine Freunde wandte, sondern dem Schein traute. Doch er kam – er schien ja verlegen, sein Brief thut ihm vielleicht jetzt leid und ich lebe wieder in der beruhigenden Ueberzeugung, daß er uns so gut ist, wie er es sonst war. Ueberhaupt war ich in meinen Erwartungen nie so genügsam als jetzt; wenn mein erfüllter Wunsch, Beethoven möchte es einsehen, daß wir es gut mit ihm meinen und er uns dafür lieb haben, wenn dieser Wunsch noch eine Ausdehnung erleiden darf, so wäre es: in seiner Nähe zu leben und ihm, wenn es in unserer Macht stände, manche trübe Stunde seines Lebens zu erheitern.«


Man ergänze diese Mittheilungen durch die mehr für die Schreiberin wichtigen, welche wir im Anhange geben; in den biographischen Zusammenhang gehören nur noch einige wenige. Wir lassen sie weiter unten folgen.

In den Mittheilungen der Familie, besonders Fannys, tritt auch die Persönlichkeit Beethovens so recht anschaulich hervor, seine Offenheit und Gradheit, seine männliche feste Gesinnung, auch seine Neigung zu Scherz und wieder zu herzlichem Mitempfinden; wir sehen, wie tiefen Eindruck er bei guter Stimmung, wenn unangenehme Eindrücke zurückgetreten waren, auf weibliche Gemüther machte. Daß dann später auch Launen und Mißtrauen die Verhältnisse trüben konnten, verstehen wir leider nur zu wohl.

Wir haben nunmehr die weiteren Ereignisse aus dem Jahre 1817 zu verfolgen, und sehen uns auch hier in großem Maße auf Mittheilung von Briefen angewiesen. Den Anfang machen wir mit einem Briefe an Peters, den Erzieher im Hause des Fürsten Lobkowitz.


»am 8ten Jenner 1816. [1817.]10


Euer Wohlgeboren!


Ich höre erst gestern von Herrn v. Bernard, welcher mir begegnete, daß Sie hier sind, u. sende daher diese 2. Exemplare, die leider erst fertig geworden zu eben der Zeit, da man schon von unseres lieben verstorbenen Fürsten Lobkowitz Tode sprach.

Haben Sie die Gefälligkeit sie Sr. Durchlaucht dem erstgebohrenen Fürsten Lobkowitz zu übergeben, sammt diesem Schreiben, eben heute wollte [11] ich den Hrn. Kassier darum aufsuchen, die Uebernahme davon nach Böhmen zu übernehmen, indem ich Sie wirklich alle nicht hier geglaubt –

ich, wenn ich von meinem wenigen ich etwas reden darf, befinde mich bald wieder in einem ziemlich gefunden Zustande u. wünsche ihnen desgleichen – ich darf Sie nicht bitten zu mir zu kommen denn ich müßte ihnen sagen warum, das kann ich mir unterdessen nicht anmaßen, eben so wenig als warum sie nicht kommen oder kommen wollen – ich bitte Sie die Überschrift an den Fürsten auf den Brief zu schreiben, da ich seinen Vornamen nicht weiß – das 3te Exemplar behalten Sie gefälligst für ihre Frau. –

Leben Sie wohl


Ihr Freund u. Diener

L. v. Beethoven.«


Die in diesem Briefe erwähnte Komposition sind die »Lieder an die ferne Geliebte«, welche dem Fürsten Lobkowitz gewidmet und im Dezember 1816 erschienen waren.

Nicht lange nachher richtete er folgende Zeilen an Thomson in Edinburg, mit welchem er, wie wir wissen, schon längst wegen der schottischen u.s.w. Lieder in Verbindung stand.11


Adresse: A Monsieur George Thomson a Edinbourg (en Ecosse).


»Vienne 18. janvier 1817.


Mon cher ami!


Tous les chansons, que vous m'avez prie au moi de 8 juillet 1816 de composer pour vous, étaient dejà finis a la Fin du mois Septembre, mais comme je me fus proposé moi même de les porter chez Mess. Friess, la chose se prolongeait, surtout que j'avais une grande Maladie, et dans ce moment, je ne me trouve pas encore tout à fait sain, c'est aussi la cause pourquoi je les envoie a Messr les Fries – quant à chansons de divers Nations, vous n'avez que prendre des paroles en prose, mais non pas en vers, enfin si vous prendrès des paroles en Prose, vous y reussirès parfaitement. –

Quant a vos autres propositions, j'aurai l'honneur de vous repondre le plus prochain, je vous presenterai mes idees de ce project, et j'espère, que vous les applaudires, et alors j'expedirai tout ce, que vous demandes de moi, ainsi vite qu'exactement

j'ai l'honneur d'être mon très cher Thomson, votre ami et

Serviteur

L. v. Beethoven


[12] Auf die Rückseite hatte Thomson geschrieben:


»18th Janr 1817.


L. van Beethoven, Vienne,


Has composed Symphs a. Accompts for the Melodies sent by me in July last


In derselben Zeit waren auch Zuschriften an den alten bewährten Freund Zmeskall ziemlich zahlreich; doch betreffen sie meist Gegenstände von geringerer Bedeutung; wir können sie hier nicht alle mittheilen. Schon früh im Jahre schrieb er ihm einen Zettel, auf welchem der Empfänger das Datum des 6. Jan. 1817 verzeichnet hat.12


»An Hrn. v. Zmeskall.


Lassen Sie mich heute wissen lieber Z., wann ich morgen mit ihnen sprechen kann, Nachmittags wär's mir am liebsten. –

ich erwarte eine gefällige Antwort


an ihren Freund

Beethoven.«


Einige Zeit später erhielt er von Beethoven einen Brief, auf welchen er das Datum des 20. Januar 1817 geschrieben, welcher hier mitgetheilt werden muß, da er ein Werk Beethovens erwähnt.


»Für Seine Wohlgeboren

H. v. Zmeskall.


Lieber Zmeskall, ich bitte sehr mir das Exemplar der bei Simrock 2 gestochenen Violonschell Sonaten mir auf heute zu leihen, da ich noch keins zu Gesicht bekommen indem aus was für einer Ursache ich weiß nicht mir Simrock keines geschickt hat.

Ich besuche sie bald, in Eil


Ihr Freund

Beethoven.«


Daraus geht hervor, daß die beiden Violoncellosonaten Op. 102 von Simrock bereits veröffentlicht waren.

Auch die folgenden Zeilen an Zmeskall sind durch ein Werk Beethovens veranlaßt; der Empfänger schrieb das Datum des 30. Januar darauf.


»An S. Wohlgeboren

Herrn v. Zmeskall.

(30. Jan. 1817.)


Lieber Z.


Sie haben mich zu einem Schuppanzigh etc. gesellen wollen und haben mein reines aufrichtiges Wort [Werk in Thayers Abschrift] entstellt. Sie [13] sind nicht mein Schuldner, sondern ich der ihrige, und jetzt haben sie mich nur noch mehr dazu gemacht, ich kann nicht schreiben wie weh mir dies Geschenk thut, u. so aufrichtig als ich bin, muß ich noch dazu setzen, daß ich ihnen keinen freundlichen Blick dafür gönnen kann, obschon sie nur ausübender Künstler, so bedienten sie sich doch mehrmals der Einbildungskraft und mir scheint daß ihnen diese doch zuweilen unnöthige Grillen eingibt, wenigstens hat mir dieses aus ihrem Briefe nach meiner Dedication geschienen – so gut ich bin und alles gute an ihnen schätze, so bin ich doch böse, böse, böß


ihr

neuer Schuldner

der sich aber zu rächen wissen wird

Beethoven.«


Die »Dedication« war die des Quartetts Op. 95, welches im Monate vorher (Dez. 1816) mit der Widmung an Zmeskall herausgegeben worden war. Zmeskall scheint ihm dafür irgend ein Geschenk geschickt zu haben; anders lassen sich die einleitenden Worte nicht verstehen.

Und gleich am folgenden Tage (31. Januar) schrieb er wieder an Zmeskall:


(31. Januar 1817 nach Zm.'s Datirung.)


»Lieber Z. von D–z! etc. etc. etc.

sammt Burgunder Reben –


Ich schicke hier das Trio sammt dem Violonschell Schlüssel dazu und bitte Sie es zu behalten – außerdem würde es mir sehr lieb sein wenn Sie ihren Bedienten übermorgen früh schicken wollen u. doch wenn's möglich gegen 11 oder halb 12 Uhr, bis 12 bin ich sicher zu Hause. –

Tragen Sie ihm zugleich gefälligst auf, wenn er Jemand für meine Dienste findet, es mir anzuzeigen, ich habe anderwärts auch schon deßwegen mich umgesehn, denn es ist zu arg mit diesen Menschen, ich könnte wirklich einmal in sehr große Verlegenheiten gerathen, beyde sind einander werth u. nur Mitleiden, was sie keineswegs verdienen u. eigentlich auch nicht bedürfen hat mich so lange Geduld haben machen, Leben Sie wohl Herr u. Zwingherr

aller Ofner und Burgunder


dero

L. v. Beethoven.«


Das Trio war wohl das in B Op. 97, welches kurz vorher erschienen (so richtig Nohl N. Br. S. 87, der nur das Datum nicht ganz richtig angiebt):

Noch eine kurze Zuschrift an Zmeskall, wenige Tage nachher (4. Februar) geschrieben, möge hier folgen:


(4. Febr. 1817.)


»Ich werde mein lieber Zwingherr gegen zwölf Uhrprecise bei ihnen sein. Danke, Dank viel Dank.

Gratias agimus tibi, Domine


Ihr

L. v. Beethoven.«


[14] Von den übrigen Briefen an Zmeskall aus diesem Jahre, welche größtentheils schon anderweit gedruckt sind, können wir hier nur eine ganz beschränkte Auswahl geben; sie greifen in Beethovens Leben nicht tiefer ein, eröffnen aber den Einblick in die alten ungetrübten Beziehungen zu dem bewährten stets hülfsbereiten Freunde und erfreuen durch den immer hervorbrechenden Humor, wenngleich auch öfter, wo er von seinen Krankheiten spricht, eine gewisse Muthlosigkeit sich einschleicht. Meist beziehen sie sich auf Fragen des Haushalts und andere Bedürfnisse; die Bedientenfrage spielt eine besondere Rolle. Einen kleinen Brief, in welchem er einen jungen Künstler empfiehlt, vielleicht aus dem März 1817, fügen wir hier noch ein:13


»Lieber Z.


Ich empfehle ihnen den Überbringer dieses den jungen Boklet, welcher ein sehr geschickter Violinspieler ist, wo sie durch ihre Bekanntschaften ihm nützen können, thun sie es um so mehr, als er mir von Prag aus sehr warm empfohlen ist. –


Wie immer ihr

wahrer Freund

Beethoven.«


Boklet, damals ein Knabe von 15 Jahren, wird uns im Jahre 1825 als Klavierspieler wieder begegnen. Er war, wie er Nohl erzählte, 1817 zum ersten Male nach Wien gekommen, blieb dort sechs Wochen und gab am 8. April ein Konzert.14 Der empfehlende Freund in Prag war Dr. Berger. Beethoven empfahl den jungen Boklet zugleich, in seiner gewohnten kategorischen Weise, der Firma Steiner:15


»Das G–ll–t Amt hat diesen jungen Künstler Bocklet aus Prag allen Vorschub zu leisten. Es ist der Ueberbringer dieses Virtuose auf der Violine, und hoffen daß unser Schreiben geachtet wird, um so mehr, da wir mit der rasendsten Zuneigung uns nennen Dero


G–s.«


Weitere Zuschriften an die Steinersche Firma aus dieser Zeit beziehen sich zum Theil auf die Klaviersonate in A Op. 101, welche bereits geschrieben war und jetzt im Februar 1817 bei Steiner erschien;16 sie wurde [15] der Baronin von Ertmann gewidmet. Beethoven war von den Anregungen, die italienischen Bezeichnungen in Musikstücken durch deutsche zu ersetzen, sehr befriedigt und hatte sich entschlossen, fortan statt Pianoforte »Hammerklavier« zu setzen. Darauf beziehen sich die nachfolgenden Mittheilungen an Steiner.


»An den Wohlgebornen G–ll–t Steiner zu eigenen Händen.


Publicandum


Wir haben nach eigener Prüfung und nach Anhörung unsers Conseils beschlossen und beschließen, daß hinführo auf allen unsern Werken, wozu der Titel deutsch, statt Pianoforte Hammerclavier gesetzt werde, wonach sich unser bester G–ll–t sammt Adjutanten wie aller andern, die es betrifft, sogleich zu richten, und solches ins Werk zu bringen haben.

Statt Pianoforte Hammerclavier –

womit es sein Abkommen einmahl für allemahl hiermit hat.

Gegeben etc. etc.


vom

G–s.

– – m. p.«

am 23. Jänner 1817.


Dieser Befehl fand gleich in der A dur-Sonate Op. 101 Anwendung auch der Zeit nach gehört folgende Zuschrift hieher:


»Der Zufall macht, daß ich auf folgende Dedication gerathen:

Sonate für das Pianoforte

oder – – Hämmerklavier17

verfaßt und

der Frau Baronin Dorothea Ertmann

geborene Graumann

gewidmet von

Ludwig van Beethoven.


Bey der neuen Sonate; sollte der Titel schon fertig seyn, so habe ich folgende 2 Vorschläge, nähmlich entweder ich bezahle den neuen Titel, d.h. auf meine Unkosten, oder man hebt ihn auf für eine andere [16] neue Sonate von mir, wozu sich nur die Bergwerke des G.–ll–ts, insonderlich pleno titulo G–ll–t und ersten Staatsrathes zu öffnen haben, um solche ans Tageslicht der Welt zu bringen. – –

Der Titel ist zuvor einem Sprachverständigen zu zeigen. Hammerklavier ist sicher deutsch, ohnehin ist die Erfindung auch deutsch; gebt Ehre dem Ehre gebührt. – Wie ist es denn, mir fehlen die Berichte von den ohne Zweifel erfolgten Executionen? – Wie immer dero bester«


1. Kapitel. Das Jahr 1817

18


Und so möge auch der folgende Brief an Haslinger noch folgen, der aus dem Februar stammt.19


»Des Adjutanten Unschuldigkeit und nichts weiter! Wir bitten gefälligst uns 2 Partitur-Exemplare zu senden von der Symphonie in F.20 – Außerdem wünschten wir zu wissen, wann wir ein Exemplar von der Sonate für die Baronin von Ertmann haben könnten? Denn sie geht vielleicht schon längstens übermorgen von hier.

Nr. 3 nähmlich beigefügter Zettel ist von einem Musikfreund aus Schlesien, jedoch eben nicht reich, dem ich ebenfalls schon Partituren von mir habe schreiben lassen, er wünscht diese Werke von Mozart in seiner Bibliothek zu haben, da aber mein Bedienter das Glück von Gott hat, einer der ersten Esel des Kaiserstaats21 (welches viel gesagt ist) zu sein, so kann ich ihn hiezu schon nicht brauchen, seyd also so gut und schickt zu Hrn. Träg (mit einem Kleinkrämer kann sich der G–s ebenfalls nicht einlassen) und laßt euch aufschreiben wie viel jedes kostet und schickt mir dieses sammt meinen 2 Partituren in F, und Antwort auf meine Frage wegen der Ertmann noch heute baldigst (presto prestissimo) zu; – wohl gemerkt, im Sturmmarsch am Ende; – übrigens wird die beste Aufführung empfohlen, – damit meiner Gesundheit weiter kein Hinderniß gelegt werde. –


L. van Beethoven m. p.

der Beste G–s für die Guten

– Teufel selbst – Bösen.22«


[17] Das Exemplar der Sonate Op. 101, welches an Frau von Ertmann geschickt wurde, begleitete Beethoven mit folgendem Briefe:


»Meine liebe, werthe Dorothea-Cäcilia!


Oft haben Sie mich verkennen müssen, indem ich Ihnen zuwider erscheinen mußte, vieles lag in den Umständen, besonders in den früheren Zeiten, wo meine Weise weniger als jetzt anerkannt wurde. – Sie wissen die Deutungen der unberufenen Apostel, die sich mit ganz anderen Mitteln als mit dem heil'gen Evangelium forthelfen, hierunter habe ich nicht gerechnet wollen seyn. – Empfangen Sie nun, was Ihnen öfters zugedacht war, und was Ihnen ein [so in Thayers Abschrift] Beweis meiner Anhänglichkeit an Ihr Kunsttalent, wie an Ihre Person, abgeben möge. – Daß ich neulich Sie nicht bei Czerny spielen hören konnte, ist meiner Kränklichkeit zuzuschreiben, die endlich scheint vor meiner Gesundheitskraft zurück fliehen zu wollen.

Ich hoffe bald von Ihnen zu hören, wie es in St. Pölten mit den – steht, und ob Sie etwas halten auf Ihren


Verehrer u. Freund

L. v. Beethoven, m. p.


Alles Schöne an Ihren werthen Mann und Gemal von mir.


Wien am 23. Februar 1816.« [1817]23


In S. Pölten lag eine Abteilung des Infanterieregiments, dessen Oberst Herr von Ertmann war. Über Frau von Ertmanns Spiel, über welches bereits in Bd. II S. 334 das Urteil Reichardts angeführt wurde, schalten wir hier die wichtigen Mitteilungen Schindlers ein:

»Diese Künstlerin im eigentlichsten Wortsinn excellirte ganz besonders im Ausdrucke des Anmuthigen, Zarten und Naiven, aber auch im Tiefen und Sentimentalen, demnach sämmtliche Werke vom Prinzen Louis Ferdinand von Preußen und ein Theil der Beethoven'schen ihr Repertoire gebildet haben. Was sie hierin geleistet, war schlechterdings unnachahmlich. Selbst die verborgensten Intentionen in Beethovens Werken errieth sie mit solcher Sicherheit, als ständen selbe geschrieben vor ihren Augen. Im Gleichen [18] that es diese Hochsinnige mit der Nüancirung des Zeitmaßes, das bekanntlich in vielen Fällen sich mit Worten nicht bezeichnen läßt. Sie verstand es, dem Geiste jeglicher Phrase die angemessene Bewegung zu geben und eine mit der andern künstlerisch zu vermitteln, darum alles motivirt erschien. Damit ist es ihr oft gelungen, unsern Großmeister zu hoher Bewunderung zu bringen. Der richtige Begriff von Taktfreiheit im Vortrage schien ihr angeboren zu sein. Aber auch mit der Colorirung schaltete sie nach eigenem Gefühle und umging bisweilen die Vorschrift. Der Selbstdichterin war diesfalls manches nach eigenem Ermessen zu thun gestattet. Sie brachte in verschiedenen von Andern verkannten Sätzen kaum geahnte Wirkungen hervor; jeder Satz wurde zum Bilde. Vergaß der Zuhörer das Athmen beim Vortrage des mysteriösen Largo im Trio D dur Op. 70, so versetzte sie ihn wieder im 2. Satze der Sonate in E, Op. 90, in Liebeswonne. Das oft wiederkehrende Hauptmotiv dieses Satzes nüancirte sie jedesmal anders, wodurch es bald einen schmeichelnden und liebkosenden, bald wieder einen melancholischen Charakter erhielt. In solcher Weise vermochte diese Künstlerin mit ihrem Auditorium zu spielen. Allein diese Kundgebungen seltener Genialität waren keineswegs Resultate eigenwilliger Subjektivität, fußten vielmehr ganz auf Beethovens Art und Weise im Selbstvortrage seiner Werke, überhaupt auf seiner Lehre inhalthabende Compositionen zu behandeln, die Niemand in damaliger Zeit sich mehr angeeignet hatte, als diese Dame. Jahre hindurch – bis Oberst von Ertmann 1818 als General nach Mailand versetzt worden – versammelte sie entweder in ihrer Wohnung oder an andern Orten, auch bei Karl Czerny, einen Kreis von ächten Musikfreunden um sich, hatte überhaupt um Erhaltung und Fortbildung des reinsten Geschmackes in der Elite der Gesellschaft große Verdienste. Sie allein war ein Conservatorium. Ohne Frau von Ertmann wäre Beethovens Klaviermusik in Wien noch früher vom Repertoire verschwunden, allein die zugleich schöne Frau von hoher Gestalt und seinen Lebensformen beherrschte in edelster Absicht die Gesinnung der Bessern und stemmte sich gegen das Herandrängen der neuen Richtung in Composition und Spiel durch Hummel und seine Epigonen. Beethoven hatte darum doppelten Grund, sie wie eine Priesterin der Tonkunst zu verehren und sie seine ›Dorothea-Caecilia‹ zu nennen. Ein anderer Schlüssel, das künstlerische Vermögen in der Reproduktion zu so hohem Grade zu steigern, findet sich bei Frau von Ertmann noch in der charakteristischen Eigenheit, alles, was ihrer Individualität nicht entsprach, nicht auf ihr Pult zu legen.«

1820 schreibt Schindler im K. B.: »wenn es sich bestätigt, daß das [19] Regiment Deutschmeister ebenfalls nach Italien gehen muß, so verlieren wir auch die Oberstin Erdmann, was unsere Matinées bei Czerny sehr fühlen werden.«

Über Frau von Ertmann verweisen wir auch auf den sorgfältigen und lehrreichen Aufsatz Kalischers in der»Deutschen Musikerzeitung« (Fortsetzung von »Aus Beethovens Frauenkreis«, 1904 Nr. 23, 25, 30, 33, 34. Da sind auch Mendelssohns Mitteilungen verwertet). –

Die vorstehenden Mitteilungen mit Einschluß der in Anhang gegebenen genügen für unseren Zweck; doch wird das Bild gewinnen, wenn wir uns die folgenden Auszüge aus dem sogenannten »Tagebuche« in dem Fischhoffschen Manuskript über die vorigen Seiten zerstreut denken. Daten find nirgendwo angegeben; da aber Notitzen über Briefe an Brentano in Frankfurt folgen, welche in den April fallen, so müssen die Einzeichnungen in die vorhergegangenen Monate gehören.


»Nie mit einem Bedienten mehr allein zu leben; es ist und bleibt das Missliche, setzen wir nur den Fall, der Herr wird krank und der Diener vielleicht auch.«

»Wer Thränen ärndten will muß Liebe säen.«

»Barmherzige Brüder im Tell schließen einen Halbkreis um den Todten und singen im tiefen Ton:


Rasch tritt der Tod den Menschen an

Es ist ihm keine Frist gegeben

Es stürzt ihn mitten in der Bahn

Es reißt ihn fort vom vollem Leben

Bereitet oder nicht zu gehn!

Er muß vor seinen Richter stehen!«


»Vidi malum et accepi. (Plinius.)«

»Tametsi quid homini potest dari maius quam gloria et laus et aeternitas. (Plinius.)«

»Wiewohl was kann man einem Menschen größeres geben als Ruhm und Lob und Unsterblichkeit?«

»Audi multa loquere pauca.«

»Etwas muß geschehen – entweder eine Reise und zu dieser dir nöthigen Werke schreiben oder eine Oper – solltest du den künftigen Sommer noch hier bleiben, so wäre eine Oper vorzuziehen im Falle nur leidlicher Bedingnisse – ist der Sommeraufenthalt hier, so muß jetzt schon beschlossen werden, wie, wo?«

»Gott helfe, du siehst mich von der ganzen Menschheit verlassen, denn Unrechtes will ich nichts begehn, erhöre mein Flehen, doch für die Zukunft nur, mit meinem Karl zusammen zu sein, da nirgends sich jetzt eine Möglichkeit [20] dafür zeigt o hartes Geschick, o grausames Verhängniß, nein, nein, mein unglücklicher Zustand endet nie.«

»Dies eine fühl ich und erkenn' es klar, das Leben ist der Güter Höchstes nicht, der Uebel größtes aber ist die Schuld.«

»Dich zu retten ist kein anderes Mittel als von hier, nur dadurch kannst du wieder so zu den Höhen deiner Kunst entschweben, wo du hier in Gemeinheit versinkst, und eine Sinfonie – – – – und dann fort – fort – fort – derweilen die Gehalte aufgenommen, welches selbst auf Jahre geschehen kann. –«

»Ueber den Sommer arbeiten zum Reisen, dadurch nur kannst du das große Werk für deinen armen Neffen vollführen, später Italien Sizilien durchwandern mit einigen Künstlern – mache Plane und sei getrost für C.«24

»Meines Erachtens zuerst die Salzwasserbäder wie Wiesbaden etc. alsdann die Schwefelbäder wie Aa chen waren unendlich kalt. Abends und Mittags in Gesellschaft sein es erhebt und ermüdet nicht so daher ein anderes Leben [nach?] diesem im Hause zu führen.«

»Sinnlicher Genuß ohne Vereinigung der Seelen ist und bleibt viehisch, nach selben hat man keine Spur einer edlen Empfindung vielmehr Reue.«


Für die folgende Zeit des Jahres wird aus den vorstehenden Aufzeichnungen festzuhalten sein, daß der Gedanke zu reisen Beethoven fortgesetzt beschäftigte.

Aus dem zu Ende gehenden Vierteljahr und mutmaßlich aus der letzten Zeit des Monats März stammt der folgende undatierte Brief an Kanka, da die Kinskysche Gehaltsrate Anfang April fällig war.


»Mein lieber werther liebevoller K.!


Eben erhalte ich von dem Syndicus Bajer in R. [Retz] gute Nachrichten, welche Sie selber in Betreff des I. H.25 mitgetheilt haben, was das übrige anbelangt, so werden Sie vollkommen befriedigt werden. –

Ich nehme mir die Freiheit Sie weiter zu bitten mir das meinige vom fürstlich K–schen Hause zu besorgen und füge hierbei die dazu nöthige Quittung. Vielleicht läßt sich noch ein anderer Weg ausfinden, da mir unterdessen jetzt zu spät einfällt, wie ich vermittels dessen ihnen künftighin hierin nicht mehr beschwerlich fallen darf! – Schon seit 15. Oktober überfiel mich ein Entzündungskatarrh an dessen Folgen ich noch leide, doch ist zu hoffen, daß er nach und nach besser wird, u. ich wenigstens in meinem kleinen Reich der Töne mich wieder reich zeigen kann. Bin ich doch in allem übrigen arm – durch die Zeiten? durch die Armuth des Geistes u. wo????? – Leben Sie wohl. – Uebrigens macht einen alles um uns nahe her ganz verstummen! [21] Dies soll aber zwischen unserem geknüpften Freundschafts- und Seelenband nicht stattfinden.

Laut nenne ich mich wie immer


Ihr

Sie verehrender

und liebender

Freund

L. v. Beethoven m. p.


Frage?


Wie wird es denn gehen, wenn ich mich entferne und zwar aus den österreichischen Ländern mit dem Lebenszeichen, wird das etwa von einem nicht österreichischen Orte unterzeichnete Lebenszeichen gelten?«


Die Absicht zu reisen, und zeitweise Wien zu verlassen, klingt auch aus diesem Briefe. Von Mißmut erfüllt, vielleicht unter dem Einflusse der noch fortdauernden Krankheit, ist der nicht lange nachher geschriebene Brief an Neate in London,26 den wir hier folgen lassen:


»Wien, am 19ten April 1817.


Mein lieber Neate!


Seit 15ten Oktober befiel mich eine große Krankheit, an deren Folgen ich noch leide und nicht geheilt bin, Sie wissen, daß ich nur von meinen Compositionen leben muß, Seit meiner Krankheit habe ich nur äußerst wenig componiren können, also auch beinahe nichts verdienen können, um so mehr würde es mir sehr willkommen gewesen seyn, wenn Sie etwas für mich gethan hätten – unterdessen vermuthe ich, daß das Resultat von allem – nichts ist. –

Sie haben sogar noch anklagend gegen mich an Hering geschrieben, welches meine Redlichkeit gegen Sie keineswegs verdient – unterdessen muß ich mich hierüber rechtfertigen, nemlich: die Oper Fidelio war vor mehreren Jahren schon geschrieben, allein das Buch und der Text sehr mangelhaft; das Buch mußte ganz umgeändert werden, dadurch mußten mehrere Musik Stücke vermehrt, andere verkürzt, wieder andere ganz neu dazu komponirt werden. So z.B. ist die Ouvertüre ganz neu, wie verschiedene andere Stücke, allein es ist möglich, daß in London, vielleicht die Oper sich findet, wie sie zum erstenmal war, so ist sie denn auch gestohlen worden, wie daß beim Theater kaum möglich ist zu vermeiden. – Was die Symphonie in A betrifft, da sie mir gar keine Antwort geschrieben hierüber, welche befriedigend war, so mußte ich sie wohl herausgeben, eben so gern hätte ich 3 Jahre warten wollen, wenn Sie mir geschrieben hätten daß sie die philharmonische Gesell schaft genommen hätte – allein überall Nichts – Nichts. – Nun was die Klavier-Sonaten mit Violonschell betrift, ich gebe ihnen hiezu [22] einen Monath Zeit, habe ich alsdann hierüber keine Antwort von ihnen, so gebe ich sie in Deutschland heraus, da ich aber so wenig hierüber von ihnen gehört, als von den andern werken, so habe ich selbe einem deutschen Verleger gegeben, der mich darum dringend gebeten, jedoch habe ich mir schriftlich ausbedungen (Hering hat diese Schrift gelesen), daß er die Sonaten nicht eher herausgibt bis Sie selbe in London verkauft haben, ich dächte, sie sollten diese 2 Sonaten wenigstens für 70 oder 80 Ducaten in Gold anbringen können, der Englische Verleger kann den Tag bestimmen, wann sie in London erscheinen sollen, an selbem Tage erscheinen sie alsdann auch in Deutschland,27 auf die Art hat Birchall auch das große Trio und die Klaviersonate mit Violin von mir gekauft und erhalten. Ich bitte sie also um die letzte Gefälligkeit mir so geschwinde als möglich der Sonaten wegen eine Antwort zu geben. Die Frau v. Jenny28 schwört darauf, was Sie alles für mich gethan haben, ich auch, das heißt, ich schwöre darauf, daß Sie nichts für mich gethan haben, nichts thun für mich und wieder, nichts für mich thun werden – summa summarum, Nichts! Nichts! Nichts!!!

Ich versichere sie der vollkommensten Hochachtung, und hoffe wenigstens als letzte Gefälligkeit eine baldige Antwort. –


ihr ergebenster

Diener

und Freund

L. v. Beethoven.«


Wir sehen hier wieder den Meister unter dem Einflusse trüber Erfahrungen und dürfen die unmutigen Äußerungen gegen den Freund Neate nicht auf die Goldwage legen.

Beethoven hatte inzwischen wegen einer neuen Wohnung Entschluß gefaßt und bezog dieselbe zu Georgi (24. April) 1817; sie lag in der Vorstadt Landstraße, nicht weit von Streicher und Giannatasio.29 Am 13. Mai spricht Fanny im Tagebuche ihre Freude darüber aus, daß Beethoven jetzt in ihrer Nähe atme und schaffe; damals also wohnte er dort.

[23] Es muß ihm aber doch nicht alles behaglich gewesen sein und das Mieten scheint nur ein vorläufiges gewesen zu sein; denn noch im Juli schreibt er an Frau von Streicher: »wegen der Wohnung wär es auch Zeit, in der Gärtnergasse gibt es auch auf der gegenüberstehenden Seite Wohnungen«, und ähnlich noch einmal; noch am 25. September schreibt er: »die Wohnung in der Gärtnergasse könnte ich noch aufsagen.« Beethoven machte eben in diesem Sommer wenig Gebrauch von der neuen Wohnung, da er meist auf dem Lande lebte. Aber gewechselt hat er die Wohnung bald nachher wieder (s.u.).

In diese Zeit fällt der schnelle und unerwartete Tod eines alten Genossen Beethovens, des Violinspielers Wenzel Krumpholz, welcher am 2. Mai 181730 bei einem Spaziergange auf dem Glacis vom Schlage getroffen wurde und starb. Beethoven hatte, wie wir wissen, ehemals seine Studien im Violinspiel bei Krumpholz wieder aufgenommen und war auch später zu ihm in Beziehung geblieben.31 Dieser plötzliche Todesfall gab Beethoven Veranlassung zu einer kleinen Komposition; er setzte die Worte aus Schillers Tell »Rasch tritt der Tod den Menschen an« für drei Männerstimmen a capella, in einfacher, ernster, dem Texte entsprechender Weise und schrieb am Schlusse die Worte: »zur Erinnerung an den schnellen und unverhofften Tod unseres Krumpholz.« Das Autograph befand sich bei Aloys Fuchs, nach dessen Angabe Beethoven die Komposition in dessen Album schrieb.32 Aloys Fuchs war jener Sopransolist, den Beethoven 1811 in Troppau Gelegenheit hatte kennen zu lernen (vgl. Bd. III S. 181): er zählte jetzt annähernd 18 Jahre und war einige Monate vorher nach Wien gekommen, um die Universität zu besuchen; hinsichtlich seines Unterhalts war er vorzugsweise auf seine Talente und seine Kenntnisse in der Musik angewiesen. Vielleicht erhielt er von Krumpholz Unterricht im Violinspiel. Ob nun Beethoven sich des ehemaligen Solisten in seiner Messe erinnerte, oder ob Krumpholz der Vermittler war, jedenfalls scheint ihm [24] Beethoven einen Beitrag für sein Album versprochen zu haben; denn wir sehen keinen Grund, Fuchs' Angabe zu bezweifeln (wie es Nottebohm tut), daß Beethoven jenen Gesang in Fuchs' Album geschrieben habe. –

Vor einer Reihe von Jahren hat Frimmel33 Erinnerungen des alten C. Fr. Hirsch in Oberdöbling bei Wien veröffentlicht, welche zwar die Verwirrung des Gedächtnisses zeigen, wie sie bei bejahrten Personen nicht selten ist, aber namentlich dadurch von Interesse sind, daß sie zeigen, daß es in Beethovens Erinnerung noch eine zarte Stelle für seinen alten Lehrer Albrechtsberger gab; denn der damals etwa 16jährige Knabe war ein Enkel des großen Theoretikers. Im Herbst und Winter 1816/17 speiste Beethoven häufig in dem Gasthause »zum Römischen Kaiser« in der Renngasse, und traf dort mit dem jungen Hirsch und seinem Vater, welche in der Nähe wohnten, zusammen. Durch den Vater erfuhr er von dem ausgesprochenen musikalischen Talente des Sohnes und war sogleich bereit, ihm musikalische Unterweisung »und zwar im Generalbasse« zu erteilen. »Der Unterricht, zwei bis dreimal wöchentlich gegeben, umfaßte ungefähr das, was wir heute Harmonielehre nennen.« Der Schüler erinnerte sich noch in späteren Jahren namentlich der Besprechung der verminderten Septimenakkorde und ihrer Auflösungen. Dieser Unterricht dauerte nach Hirschs Erinnerung vom November 1816 bis zum April 1817 (vielleicht noch etwas länger). Daß die Lektionen damals aufhörten, erklärt sich leicht aus dem Umzuge des Komponisten aufs Land, und aus dem Umstande, daß eine neue Angelegenheit zwischen ihm und der Witwe van Beethoven seine Gedanken in Anspruch nahm. Mit Recht macht Frimmel auf den menschlich schönen Zug bei Beethoven aufmerksam, daß er einem begabten jungen Menschen in uneigennütziger Weise behülflich zu sein ohne weiteres bereit war. –

Es handelte sich bei jener Angelegenheit um den Beitrag, welchen die Witwe zu den Kosten der Erziehung ihres Sohnes zu leisten hatte. Diese Frage war offenbar in jener Zeit aufs Tapet gebracht worden und fand ihren Abschluß durch einen von beiden Parteien am 10. Mai 1817 unterzeichneten Vertrag, durch welchen sie sich verbindlich machte, »zu seiner besseren Erziehung und Unterhalt – – – alsogleich einen Betrag von Fl. 2000 W. W. zu Gerichtshänden zu erlegen«, und daß in Zukunft die vierteljährliche Zahlung für den gleichen Zweck »wenigstens die eine Hälfte der von der Frau Wittwe Johanna v. Beethoven ab Aerario zu erhaltenden [25] Pension sammt Zuschüssen oder anderen zu selbe jemals gegeben werdenden, wie immer Namen habenden Beiträgen, betragen muß.«34 Auf diese Verhältnisse beziehen sich die folgenden Eintragungen, welche wir im Januar (oder Februar) des nächsten Jahres in dem Fischhoffschen »Tagebuche« lesen:


»Die Mutter Karls suchte selbst den Vergleich, allein die Basis davon war, daß das Haus35 verkauft werden sollte, wo man rechnen konnte, daß alle Schulden bezahlt würden, und nebst der Hälfte Wittwengehalt nebst dem übrig bleibenden Theil vom verkauften Hause nebst der Mitgenießung als von Karls Wünschen sie müßte alle [so! wahrsch. ›nicht allein‹] anständig sondern sehr wohl leben könnte, da aber das Haus nicht verkauft wird! welches die Hauptbedingung war, worauf der Vergleich geschlossen wurde, da man vorgab, daß schon die Execution hierauf lastete, so müssen meine Skrupel nun aufhören und ich kann wohl denken, daß sich die Wittwe nicht schlecht bedacht, welches ich ihr von Herzen wünsche. Das meinige, o Herr, habe ich erfüllt.« – –

»Es sei möglich gewesen ohne Kränkung der Wittwe, es war aber nicht an dem, und du Allmächtiger siehst in mein Herz, weißt, daß ich mein eigenes Beste um meines theuren Karl willen zurückgesetzt habe, segne mein Werk, segne die Wittwe, warum kann ich nicht ganz meinem Herzen folgen und sie die Wittwe fürder –«

»Gott Gott mein Hort mein Fels o mein Alles du siehst mein Inneres und weißt wie wehe es mir thut Je manden leiden machen müssen bei meinen guten Werken für meinen theuren Karl!!! o höre stets Unaussprechlicher, höre mich – deinen unglücklichen, unglücklichsten aller Sterblichen – – –«


Das war dürftige Ergebnis von Verhandlungen, welche Beethoven – gleich irgend einem seiner wichtigeren Werke – die erste Hälfte des Jahres gekostet und den unterhaltenden und friedlichen Verkehr mit der Familie Giannatasio unterbrochen hatten. Die Teilnahme für ihn spricht aus folgenden Einzeichnungen im Tagebuche der Fanny Giannatasio. Am 2. Mai schreibt sie:


– – »Unsern theuern Beethoven sehe ich sehr selten, es thut mir sehr wehe, daß ich ihn wegen den Knaben bedauern muß, viel Kummer wird er ihm noch machen, und wie sehr wünschte ich jede trübe Wolke von seiner Stirn zu bannen. Mit seinem neuen Lied: ›Nord oder Süd‹ hat er uns wieder so viel Freude gemacht.«


Dieses Lied, auf welches wir später noch zurückkommen, war als Beilage der Wiener Moden-Zeitung vom 15. Febr. 1817 erschienen.

Am 13. Mai:


– – »Beethoven sah ich gestern wieder nach langer Zeit bei uns. Er athmet in unserer Nähe, sein schöpferi scher Geist erschafft vielleicht in [26] unserer Nähe Werke die Jahrhunderte noch bewundert werden. Wenn er sich doch ganz ungehindert dem Drange seines immer weiterstrebenden Geistes überlassen könnte! Doch oft mag seine Gesundheit darunter leiden, daß ihn kalte gemeine Begebenheiten der gedrückten Menschheit im gewöhnlichen Leben quälen, ihn, der so sehr verdiente, von nichts und niemand gequält zu werden!«


Sie klagt dann weiter (1. Juni), daß sie ihn selten sehe und überläßt sich (15. Juni) ihren Betrachtungen über seine Gesinnung übers Heiraten, worüber er mit der Schwester ein interessantes Gespräch gehabt. Man findet die hierauf bezüglichen Äußerungen im Anhang, wohin sie nach dem Zusammenhang gehören, da sie wesentlich die Gemütsverfassung der Schreiberin kennzeichnen. –

Im Mai bezog Beethoven eine Wohnung in Heiligenstadt, um dort die Bäder gegen seinen hartnäckigen Katarrh zu benutzen; von dort gab er gleich der stets hülfsbereiten Frau Streicher Nachricht in zwei offenbar zusammengehörigen, auf Wäsche bezüglichen Briefchen, von denen das eine aus Heiligenstadt vom 16. Mai datiert ist.36 Ausführlicher spricht er über seine Krankheit in einem Briefe aus denselben Tagen an die Gräfin Erdödy, welcher hier nicht fehlen darf.37


»Meine verehrte leidende Freundin!

wertheste Gräfin.


Zu viel bin ich die Zeit herumgeworfen, zu sehr mit Sorgen überhäuft und seit dem 6. Oktober 1816 schon immer kränklich, seit 15. Oktober überfiel mich ein starker Entzündungs-Chathar, wobei ich lange im Bett zubringen mußte, und es mehrere Monathe währte, bis ich nur spärlich ausgehen durfte, die Folgen davon waren bisher noch unvertilgbar, ich wechselte mit den Ärzten, da der Meinige ein pfiffiger Italiener so starke Nebenabsichten auf mich hatte und ihm sowohl Redlichkeit als Einsicht fehlte; dies geschah im April 181738 ich mußte nun den 15. April bis 4. Mai alle Tage 6 Pulver gebrauchen, 6 Schalen Thee; dies dauerte bis 4. Mai; von dieser Zeit erhielt ich wieder eine Art Pulver wovon ich wieder 6 des Tages nehmen mußte, und mich 3 mal mit einer volatilen Salbe einreiben mußte, dabei reißte ich hierher, wo ich die Bäder gebrauche. Seit gestern erhielt ich nun wieder eine [27] Medizin, nemlich 1 Tinktur, wovon ich des Tages wieder 12 Löffel nehmen mußte. Alle Tage hoffe ich das Ende dieses betrübten Zustandes, obschon es sich etwas gebessert hat, so scheint es doch noch lange zu währen bis ich gänzlich genesen werde.

Wie sehr dies alles auf mein Dasein wirken muß, können Sie denken! mein Gehörs-Zustand hat sich verschlimmert, und schon ehmals nicht fähig für mich und meine Bedürfnisse zu sorgen, jetzt als noch..... und meine Sorgen sind noch vergrößert durch meines Bruders Kind. Hier habe ich noch nicht einmal eine ordentliche Wohnung, da es mir schwer wird, für mich selbst zu sorgen, so wende ich mich bald an Diesen bald an Jenen, und bin ich überall übel belassen, und die Beute elender Menschen. Tausendmal habe ich an Sie, liebe verehrte Freundin gedacht und auch jetzt, allein der eigene Jammer hat mich niedergedrückt. C. hat mir Linkes Brief übergeben, er ist bei Schwab, ich habe ihm kürzlich geschrieben, um mich zu erkundigen, was wohl die Reise zu Ihnen kosten würde? habe aber keine Antwort erhalten; da mein Neffe Vacanzen hat vom letzten August bis Ende October, so könnte ich alsdann, wenn ich vielleicht hergestellt bin, zu Ihnen kommen, freilich dürfte es uns an Zimmern zum studiren, und einem bequemen Dahin39 nicht fehlen, und wäre ich eine Zeit lang einmal unter alten Freunden,40 welche sich ungeachtet diesen oder jenen Teufels-Menschen-Zeug noch immer um mich herum erhalten haben, so würde vielleicht Gesundheits Zustand und Freude wiederkehren. Linke mußte mir schreiben auf welche Art ich die Reise am wenigsten kostspielig machen kann, denn leider sind meine Ausgaben so groß und durch mein Kranksein, da ich wenig schreiben kann, meine Einnahme klein und dieses kleine Capital, woran mein verstorbener Bruder Schuld ist, daß ich es habe, darf ich nicht angreifen, da mein Gehalt immer weniger und beinahe nichts ist, so muß ich dieses bewahren. Offen schreibe ich ihnen theuerste Gräfin allein eben deßwegen werden sie selbe nicht mißverstehen wollen, ich bedarf dessen ungeachtet nichts und würde gewiß nichts von ihnen annehmen; es handelt sich nur um die größt möglichste sparsamste Weise, um zu ihnen zu kommen; alles ohne Unterschied ist jetzt in der Lage hierauf zu denken, daher sei meine Freundin hierüber nicht betroffen.

Ich hoffe ihre Gesundheit in immer erwünschteren Zustande, als ich früher annehmen mußte. Der Himmel möge doch ihren Kindern die vortrefflichste Mutter erhalten, ja schon bloß deswegen verdienten Sie der ihrigen wegen, die höchste Fälle der Gesundheit, leben Sie wohl! beste verehrteste Gräfin, lassen sie mich bald von ihnen hören,


Heiligenstadt 19. Juni 1817.


ihren wahren Freund

Beethoven.«


[28] In diesem Sommer war auch Christoph Kuffner41 in Heiligenstadt, und ging, wie er später dem Musikdirektor Kren in Wien erzählte, oft mit Beethoven nach Nußdorf, um dort im Gasthaus »zur Rose« Fische zum Abendbrot zu essen. Eines Abends, als der Komponist bei guter Laune war, begann Kuffner: »Sagen Sie mir aufrichtig, welche ist Ihnen die Beliebteste unter Ihren Symphonieen?« Ganz vergnügt antwortete Beethoven: »Eh, eh, die Eroica.« »Ich hätte gedacht die C moll,« sagte Kuffner. »Nein, die Eroica,« entgegnete Beethoven. Noch im Jahre 1826, als Kuffner mit Beethoven wegen eines Oratorientextes verhandelte, erinnerte er sich dieser Nußdorfer Tage; er schreibt im Konversationsbuche: »Erinnern Sie sich noch an das Fischerhaus bei Nußdorf, wo wir Nachts bis gegen 12 Uhr im Vollmond auf dem Altan saßen, vor uns das Brausen der Auen und der hochgeschwollenen Donau? Da war ich auch Ihr Gast.«42

Beethoven konnte nicht lange nachher seine Fische mit weniger Umständen verzehren; er zog nach Nußdorf, vielleicht noch im Juni, er war dort jedenfalls im Juli und blieb dort, unter Beibehaltung seiner Stadtwohnung, längere Zeit, wie es scheint jedenfalls bis in den Oktober.43 Eine Reihe der Briefe an Frau von Streicher sind aus Nußdorf geschrieben; wir entnehmen denselben, daß er dort einen Bedienten hatte, mit dem er nicht sonderlich zufrieden war.

[29] Hier erhielt er einen wichtigen Brief von Ferdinand Ries aus London, der die Reisepläne wieder in Anregung brachte. Derselbe folgt hier nach O. Jahns Abschrift.44


[London den 9. Juni 1817.]


»Mein liebster Beethoven.


Sehr lange bin ich wieder ganz von Ihnen vergessen, obwohl ich mir kaum eine andere Ursache denken kann, als Ihre zu häufige Beschäftigungen, und wie ich durch andere Leute leider hören muß, eine bedeutende Krankheit sogar. Wahrlich lieber B. die Dankbarkeit die ich Ihnen schuldig bin, ewig schuldig bleiben muß – und ich glaube mit offenem Herzen sagen zu können, nie aus meinen Augen gelassen habe, obschon ich manchmal bei Ihnen durch meine Feinde als undankbar und neidisch dargestellt wurde – ist unverän derlich, und so hatte ich immer den heißesten Wunsch, Ihnen mehr als durch Worte Beweise zu geben. Dieser sehnliche Wunsch ist nun endlich (so hoffe ich) in Erfüllung gekommen, und ich hoffe in meinem alten Lehrer auch meinen alten liebevollen Freund wiederzufinden. Die Philharmonische Gesellschaft wo nun unser Freund Neate auch ein Direktor ist, und wo man Ihre Compositionen allen andern vorzieht, wünscht Ihnen einen Beweis der großen Achtung und Erkenntlichkeit zu geben, für die so vielen schönen Augenblicke, die wir durch Ihre außerordentliche genialischen Werke so oft genossen haben – und ich fühle es wirklich durch das schmeichelhafteste Compliment für mich selbst mit Neate beauftragt zu sein, an Sie zuerst deswegen zu schreiben. Kurz lieber B. wir möchten Sie gerne nächsten Winter unter uns hier in London haben. Freunde werden Sie mit offenen Armen empfangen, und Ihnen wenigstens einen Beweis davon zu geben, habe ich den Auftrag Ihnen im Namen der Direktion der Philharmonischen Gesellschaft, 300 Guinees unter folgenden Bedingungen anzutragen:

1tens Sollen Sie nächstkommenden Winter hier in London sein.

2t. Sollen Sie für die philharmonische Gesellschaft zwei große Symphonieen schreiben, die das Eigenthum derselben bleiben sollen.

3t. Müssen Sie sich verbindlich machen keine Compositionen für großes Orchester, für irgend ein Concert in London herzugeben, noch selbst zu dirigiren, bevor oder während unsere acht Concerte, welche Ende Februar anfangen, und in der Hälfte des Monats Juny aufhören, vorüber sind (ohne die Erlaubniß der phil harm. Gesellschaft) die gewiß nicht schwer sein soll.

Verstehen Sie nicht, daß wir Ihnen die Hände binden wollen, nur im Falle der Noth, wenn vielleicht ein Oppositions Concert, das wir schon einmal niedergeschlagen haben wieder aufstehen sollte, da diese Herren den Plan machen könnten, Sie gegen uns statt für uns zu besitzen, und zugleich könnte es Ihnen eine große Menge Feinde machen, etwas persönlich zu verneinen, wo auf diese Art alles auf uns Direktoren fallen würde, und wir haben uns daran nicht zu kehren. Wir alle sind Ihnen herzlich zugethan, und ich glaube [30] jede Gelegenheit Ihnen in ihren Planen nützlich zu sein, würde uns eher Vergnügen machen, als Sie im mindesten einschränken zu wollen.

4t. Sollen Sie in keinem Concert öffentlich im Orchester erscheinen, bevor unsere zwei ersten Concerte vorüber sind, außer im Falle Sie selbst ein Concert geben wollen, deren Sie überhaupt so viele geben können, als Sie dienlich finden werden.

5ten Sollten Sie vor dem 8. Jänner 1818 hier sein, und wenn die Concerte vorüber sind unter gar keiner Verbindlichkeit gegen die Gesellschaft stehen, außer uns für die Zukunft im Falle wir die nämlichen Bedingnisse wie andere Ihnen anbiethen können den Vorzug zu lassen.

6ten Können Sie im Falle Sie das Engagement annehmen, und vielleicht Geld zur Reise haben müssen, 100 Guinees voraus haben. Dies ist mein Auftrag an Sie von der Gesellschaft.

Nun stehen Ihnen alle Speculationen mit den Verlegern frei auch mit Sir G. Smart, der Ihnen 100 Guinees für ein Oratorium in einem Acte angebothen hat, und mir besonders aufträgt, Sie an eine Antwort zu erinnern indem er solches für den nächsten Winter haben möchte. Der Intendant der großen italienischen Oper G. Ayrton ist ein besonderer Freund von uns. Er will zwar nicht bestimmt sich engagieren, allein gab er das Versprechen, Ihnen den Auftrag zu einer Oper geben zu wollen.

Ihr eigenes Concert, oder vielleicht Ihre Concerte können Ihnen eine schöne Summe Geldes einbringen, so wie auch andere Engagements im Lande. Neate und ich freuen uns wie Kinder Sie hier zu sehen, und ich darf wohl nicht sagen, daß ich alles mögliche aufbiethen werde Ihnen Ihren Aufenthalt nützlich und angenehm zu machen, auch kenne ich England und zweifle keinen Augenblick an guten Erfolg.

Auch brauchen wir hier einen, der alles wieder einmal in Bewegung setzt und die Herren im Orchester in der Corda hält.

Gestern Abends war unser letztes Conzert und Ihre schöne Sinfonie in A ⌗ wurde mit außerordentlichem Beifall gegeben. Es macht einem furchtsam uns Sinfonieschreibern nur zu denken, wenn man solch Werk sieht u. hört. Schreiben Sie mir nun und recht bald eine ausführliche Antwort, und machen Sie mir Hoffnung Sie recht bald selbst hier zu sehen.

Ich bleibe ewig


Ihr dankbarer aufrichtiger Freund

Ferd. Ries.


Meinen herzlichen Gruß an

Herrn v. Zmeskall, Zizius, Krump-

holz u. andere Freunde.«


Beethoven zögerte nicht diesen Brief zu beantworten und nahm für Abschrift und Absendung die so oft erprobte Hülfe Zmeskalls in Anspruch in folgendem Billet:


»Nußdorf am 7ten. Juli.


Lieber guter Zmeskall


Da Sie schon eine Abschrift der Briefe besorgen wollen, so schicke ich für die Abschrift des einen Briefe einen Bogen Papier mit, Sie sehen daraus [31] schon was ich für nöthig gefunden, Herings Schrift dürfte leicht erkannt werden, u. das möchte ich nicht, auch fand ich noch nöthig diese beizufügen, ich bitte sie unterdessen zu sorgen, daß der Brief an Ries spätestens am Mittwoche45 abgesendet werde, jedoch gegen Recipisse, das ist die sicherste Art auf so weitem Wege, die Adresse an Ries finden Sie in seinem Briefe, ich sehe Sie vielleicht morgen, da ich in die Stadt muß –


in Eil ihr

dankbarer Freund

Beethoven.«


Der Brief an Ries war folgender:46


»Wien den 9. Julius 1817.


Die in Ihrem werthen Brief vom 9. Junius mir gemachten Anträge sind sehr schmeichelhaft. Aus Gegenwärtigem sollen Sie sehen, wie sehr ich sie würdige, Wäre es nicht in Ansehung meines unglücklichen Gebrechens, wodurch ich viel mehr Wartung und Unkosten bedarf, besonders auf der Reise und in einem fremden Lande, so würde ich den Vorschlag der philharmonischen Gesellschaft unbedingt annehmen.

Setzen Sie sich aber in meine Lage; bedenken Sie, wie viel mehr Hindernisse ich zu bekämpfen habe, als jeder andere Künstler, und urtheilen Sie dann, ob meine Forderungen unbillig sind. Hier sind sie, und ich bitte Sie, selbige den Herren Directoren benannter Gesellschaft mitzutheilen.

1) Ich werde in der ersten Hälfte des Monats Januar 1818 spätestens in London sein.

2) Die zwei großen Symphonien, ganz neu componirt, sollen dann fertig sein, und das Eigenthum der Gesellschaft einzig und allein sein und bleiben.

3) Die Gesellschaft gibt mir dafür 300 Guineen und 100 Guineen für die Reisekosten, die mir aber weit höher kommen werden, da ich unumgänglich einen Begleiter mit mir nehmen muß.

4) Da ich gleich an der Composition dieser großen Symphonieen zu arbeiten anfange, so weiset mir die Gesellschaft (bei Annahme meiner Aeußerung) die Summe von 150 Guineen hier an, damit ich mich mit Wagen und anderen Vorrichtungen zur Reise ohne Aufschub versehen kann.

5) Die Bedingnisse wegen Nichterscheinen in einen anderen Orchester im Oeffentlichen, wegen Nichtdiri giren, wegen des Vorzuges der Gesellschaft bei gleichen Bedingnissen, sind von mir angenommen, und würden bei meiner Ehrliebe auch von sich selbst verstanden gewesen sein.

6) Ich darf auf den Beistand der Gesellschaft in der Einleitung und Beförderung eines oder nach Umständen mehrerer Benefice-Concerte hoffen. Sowohl die besondere Freundschaft einiger Directoren Ihrer schätzbaren Reunion, als überhaupt die gütige Theilnahme aller Künstler für meine Werke bürget mir dafür, welches mich um so mehr beeifert, den Erwartungen derselben zu entsprechen.

[32] 7) Noch bitte ich, die Bewilligung oder Bestätigung des Obigen in englischer Sprache von drei Directoren unterzeichnet im Namen der Gesellschaft ausgefertigt zu erhalten.

Daß ich mich herzlich freue, den braven Sir George Smart kennen zu lernen, und Sie und Mr. Neate wiederzusehen, das können Sie sich wohl vorstellen. Möchte ich doch statt dieses Briefes selbst hinfliegen können!


Ihr aufrichtiger Verehrer und Freund

L. v. Beethoven.«


Dem Briefe ließ er noch eine eigenhändige Nachschrift folgen:


»Lieber Ries! Ich umarme Sie von Herzen; ich habe mit Fleiß eine andere Hand zu dem Obigen dieses Briefes genommen, damit Sie alles besser lesen und der Gesellschaft vortragen können. Von Ihren guten Gesinnungen gegen mich bin ich überzeugt, und hoffe, daß die p. G. meinen Vorschlag genehmigen werde, und Sie können überzeugt sein, daß ich alle Kräfte anwenden werde, mich des ehrenvollen Auftrages einer so auserlesenen Künstlergesellschaft auf die würdigste Art zu entledigen. – Wie stark ist Ihr Orchester? wie viel Violinen u.s.w. u.s.w. mit einer oder zwei Harmonien? Ist der Saal groß, klangreich?«


Die hier mitgeteilten Briefe an und von Ferd. Ries, wie auch die noch folgenden, lassen uns das Verhältnis zwischen Beethoven und Ries als ein ungetrübt herzliches erscheinen; liebevolle Zuneigung von Beethovens, diensteifrige Beflissenheit von Ries' Seite. Die Briefe, welche noch folgen, dienen lediglich zur weiteren Bestätigung dieser Wahrnehmung. Nach Schindler (II. S. 252, vgl. auch sein Vorwort) war in den letzten Zeiten eine Verstimmung zwischen beiden eingetreten. Ries, selbst Komponist und mehr auf brillante Technik gerichtet, verlor (so sagt Schindler) allmählich das volle Verständnis für Beethovens Werke, tadelte einzelne kühne Wendungen und erlaubte sich in der Darstellung derselben Willkürlichkeiten, tat auch nicht viel für Beethovens Werk in London, was Beethoven durch englische Freunde erfuhr; seinen Unmut ließ er nicht Ries gegenüber, sondern gegen andere aus, so daß es auch Ries zu Ohren kam und diesen tief verletzte. Ein Groll gegen Beethoven blieb bei Ries bestehen. Das hatte Schindler bei den Verhandlungen über die ersten biographischen Nachrichten über Beethoven wahrgenommen, wobei sie sich nicht einigen konnten. Auch die doppelte Dedikation der Variationen Op. 120 hatte Ries verletzt (Not. S. 123); ferner hatte Beethoven trotz seiner Aufforderung keine Dedikation von Ries erhalten, und da er aus neuen Kompositionen von Ries die Überzeugung gewann, daß Ries ganz der modernen Richtung verfallen sei, so wollte er ihm in einer öffentlichen [33] Erklärung untersagen, sich ferner seinen Schüler zu nennen, was jedoch unterblieb; doch kam die Sache Ries zur Kenntnis. Wir wissen nur noch von einer Äußerung Beethovens über Ries; er sagte einmal zu Czerny: »Er ahmt mich zu sehr nach« (in den Aufzeichnungen von O. Jahn).

Groll und Zerwürfnis treten in Ries' Darstellung nicht hervor, auch bleiben Beethovens Briefe an ihn, soweit wir sie kennen, bis zuletzt freundschaftlich; volle Pietät spricht auch aus Ries' Notizen, und auf seinen Charakter kann nach Wegelers Schilderung kein Makel fallen. War wirklich Veranlassung zum Groll vorhanden, so ehrt es ihn um so mehr, daß davon in den Notizen nichts laut wird. Was Schindler mitteilt, mag immerhin bestimmte Grundlagen haben, jedenfalls steht er, wo er über Ries schreibt, unter dem Einflusse einer gewissen erklärlichen Voreingenommenheit, so daß seine Mitteilungen nur cum grano salis aufzunehmen sind. Doch glaubten wir die Sache nicht ganz übergehen zu sollen. –

Einen Nachklang von Beethovens Stimmungen in dieser Zeit, besonders unter dem Eindrucke der Versuche der Mutter Carls, zu dem Sohne zu kommen, gewähren auch einige weitere Eintragungen der Fanny Giannatasio in ihrem Tagebuche, in deren Erwähnung wir daher fortfahren.

So schreibt sie am 25. Juni:


– »Gestern sah ich den guten Beethoven ganz ergriffen von den traurigen Verhältnissen mit der Mutter des Kindes. Er wurde erheiterter nach Mittheilung und unserem Mitgefühl.«

Am 8. Juli: – »An Beethoven habe ich geschrieben, wegen seinen Brief an Karl, doch hat er den Brief noch nicht. Ich kann es nicht aushalten, wenn irgend eine Spannung zwischen uns ist!

Er kann die Wahrheit die er enthält und die Beweise unserer Achtung, und Verehrung nicht übel deuten und ich glaube sie könnten ihm angenehm sein. Nur war mir der Gedanke unangenehm, daß wirklich etwas wahres daran ist, daß der Vater öfters seine Handlungsweise für inconsequent gehalten hat, doch wie kann B... glauben, daß er gegen Karl so etwas äußern würde; wenn ich es mir recht in den Kopf gehen ließe, würde es mich wahrscheinlich sehr verdrießen.«

Und am 21. Juli: »Im ganzen genommen verlebte ich den gestrigen Tag recht angenehm in Heiligenstadt. Die Tage vorher hatte [ich] einige Gemüthsbewegung, welche mein gewöhnlich ruhiges Leben ein wenig aus dem Geleise brachte. Erstens wegen dem Brief, welcher endlich an die Adresse kam an Beethoven, wo ich seinen scheinbaren Verdacht in Betreff Karls rüge, und unsere Gesinnungen klarer als man es bei ihm im Sprechen kann darthue –47

[34] – – Was unsern Beethoven betrifft, so bin ich sehr froh in meinem alten Gedanken, er erkenne unsere Gesinnungen in Rücksicht seiner, fortleben zu können; denn ich kann mir nicht helfen, aber es gehört zu meiner Ruhe, zu wissen, daß er uns nicht verkennt. Nach unserem Spaziergang von Nußdorf,48 wo mich der Anblick der Donau mit ihren grünen Ufern überraschte, kehrten wir – – zu Rohmanns Wohnung« u.s.w.


Hieher gehört denn auch der folgende undatierte Brief an den Vater Giannatasio:49


»Was die Mutter anbelangte, so hat sie ausdrücklich verlangt Karl bei mir zu sehen, daß Sie mich haben einigemal wanken gesehen, in Sie ein besonderes Vertrauen zu setzen, dieses ist meinem Gefühl wider Unmenschlichkeiten beizumessen, um so mehr, da sie außer stand gesetzt ist, K. schaden zu können, übrigens können Sie leicht denken, wie einem so frei gewohnt zu lebenden Menschen wie mir alle diese ängstlichen Verhältnisse, worin ich durch K. gerathen bin, unerträglich öfter vorkommen, worunter denn auch das mit seiner Mutter gehört, ich bin froh nie etwas davon hören zu müssen, dies die Ursache warum ich über haupt vermeide von ihr zu reden. – Was Karl betrift so bitte ich Sie ihn zum pünktlichsten Gehorsam anzuhalten u. sogleich wo er ihnen nicht folgt (oder überhaupt denen welchen er zu folgen hat) zu bestrafen, behandeln Sie ihn lieber, wie Sie ihr eigenes Kind behandeln würden u. nicht wie einen Zögling, denn ich habe ihnen schon bemerkt, daß er gewohnt war nur durch Schläge gezwungen bei seines Vaters Lebzeiten zu folgen; dies war nun sehr übel, allein es war nun einmal nicht anders und man darf dieses nicht vergessen. – Übrigens wenn Sie mich nicht viel sehen so schreiben Sie dies nichts anders als überhaupt meinem wenigen Hang zur Gesellschaft zu, manchmal äußert er sich unterdessen etwas mehr hiezu u. auch wieder weniger, dieses könnte man für Veränderung meiner Gesinnungen halten, es ist aber nicht an dem. Das Gute unabgesehen von unangenehmen Ereignissen bleibt mir immer nur gegenwärtig, nur dieser eisernen Zeit schreiben Sie es zu, daß ich ihnen meine Dankbarkeit Karls wegen, nicht thätiger bezeige, doch Gott kann alles ändern u. so können sich auch meine Umstände wieder bessern, wo ich gewiß eilen werde ihnen zu zeigen wie sehr ich bin wie immer mit


Hochachtung ihr

dankbarer

Freund

L. v. Beethoven.

ich bitte sie diesen Brief

mit Karl selbst zu

lesen.«


Die Frage, wie das Zusammenkommen Carls mit der Mutter zu regeln sei, war Gegenstand weiterer Beratungen, bei denen auch Zmeskall [35] beteiligt war; man sieht, daß Beethoven die Mutter doch nicht ohne Not kränken wollte. Darauf bezieht sich ein Brief an Zmeskall vom 30. Juli.50


»An Seine Wohlgeboren H. v. Zmeskall

Bürgerspital


Lieber Zmeskall! Ich habe es anders überlegt. Es möchte der Mutter Karls doch wehe thun, bei einem Fremden ihr Kind zu sehen, u. Hartes ist ohnedem mehr hierbei als mir lieb, daher lasse ich sie morgen zu mir kommen, ein gewisser Bihler, Hofmeister von Puthon wird sich auch bei mir einfinden. Wenn Sie sich gegen 6 Uhr jedoch nicht später bei mir einfinden wollen, so würde mich dieses ungemein freuen, ja ich bitte Sie sehr darum, indem ich gerne bei den Landrechten anzeige, wer dabei zugegen ist, ein Hofsekretair, Sie wissen schon das wird dort besser aufgenommen als ein Mensch ohne Karakter, jedoch von Karakter – Nun allen Scherz bei Seite, Es ist mir wirklich, ohnedem daß Sie mir lieb sind, auch sehr damit gedient, wenn Sie kommen. – ich erwarte Sie also sicher


Ihr Freund

und Verehrer

L. v. Beethoven.

Mittwoch

am 30ten.

Juli 1817.


NB. Ich verbitte mir bei

meinem Scherz jede Mißdeutung.«


Eine besonders starke Verstimmung zeigt folgende Eintragung der Fanny Giannatasio vom 10. August:


»Von da an [Freitags vorher] häuften sich viele unangenehme Kleinigkeiten bis zur Geschichte mit Beethoven, welche allen die Krone aufsetzte. Daß Nanni durch ihr kluges schnelles Handeln großen Verdruß und Schmerz von uns abgewendet, beweist ihr hellerer richtigerer Blick,51 denn ich fürchtete mich so in das Handeln anderer einzugreifen; doch wenn ich die Ursache dieser Mißhelligkeiten gewesen wäre, hätte ich es vielleicht eben so alles aufgebothen, um sie wieder gut zu machen. Am Abend konnte ich und Nanni Pachern kaum erwarten, um diesem sich immer mehr bewährenden Freunde unsere Leiden zu klagen – – –. Als Carl von Czerny zurückkam, bat er mich vom Onkel aus, ich möchte jenen in Wuth und Verblendung geschriebenen Brief desselben dem Vater nicht übergeben. Nun war alles gut. Gestern – – – kehrte ich im Regen nach Hause, als mich Beethovens Brief an den Vater, in welchem er eine so höchst kränkende Meinung von mir zeigt, im Innersten schmerzte, ja empörte. Ich konnte nicht ruhen nicht rasten und schrieb sogleich meine Herzensmeinung nieder.52 Noch nie habe ich eine so [36] kränkende Erfahrung gemacht; und von einem Menschen, welchen ich so sehr hochschätz te, schmerzt sie desto mehr. Wenn Duncker das wüßte! daß Beethoven mich für so niedrig hält, denn ich kann es nicht anders meinen, wenn er von mir glaubt, daß ich gegen Carln meine Mißbilligung gegen seine Reden zu ihm zeigte und überhaupt das Thun und Lassen des Onkels mißbilligte, ihn gegen das Kind verkleinere und was dergleichen meiner unwürdige Dinge mehr sind. Nanni glaubt er müsse dem Inhalt meines Briefes glauben, ich zweifle fast, denn ein Mensch, welcher so sehr von Mißtrauen gegen jemand eingenommen, von dem er mit einiger Menschenkenntniß eine bessere Meinung haben müßte, wird, wenn er auch vielleicht für den Augenblick glaubt, bei ähnlicher Gelegenheit doch wieder zweifeln; nur dann könnte es sein, wenn er Beweise meiner Denk- und Handlungsweise hätte, und die bin ich nicht in der Lage ihm geben zu können. Ich verzeihe ihm ganz! doch kränkt es mich tief und wenn, ich muß; sagen was ich fühle, die Freundschaft Pachers nicht so wohl thäte, würde ich mich sehr unglücklich fühlen.«


Zur Erläuterung ihrer letzten Bemerkungen mag hier stehen, was ihr Manuskript für die Grenzboten (1857 S. 26 fg.) enthält:

»Einmal kam ich mit Beethoven in sehr unangenehme Conflicte, weil er geglaubt hatte, ich gäbe ihm in seiner Handlungsweise Unrecht gegen seinen Neffen.«

Weiter: »Mich hat er einmal sehr gekränkt, da er meinte, eine Nachlässigkeit meiner Schwester, welche auf dem nicht lesen können seiner Schrift beruhte, und wohl einigermaßen entschuldigt werden konnte, sei mir zuzuschreiben.« Beethoven hatte besonderes Vertrauen zu der Schwester, und hatte sie z.B. nach den Hoffnungen für Karl um ihre Meinung befragt. »Merkwürdig war mir, daß, nachdem er durch ein sehr aufrichtiges Schreiben von meiner Seite die Wahrheit erfuhr, und daß ich keine Schuld an dem von ihm erfahrenen Verdruß habe, er mir kein freundlich Wort gab, sondern nur meiner Schwester mit dem Finger drohte und sagte: ›nu warten sie, Sie haben was schönes angestellt.‹« – »Beethoven,« sagt sie weiter, »war sehr leicht verstimmbar und so geschah es auch, daß seine Freunde oft glaubten, er habe etwas gegen sie, wenn es nicht der Fall war; aber er war in seinem Benehmen so verschieden und schien zuweilen so unfreundlich und kalt, daß man es glauben mußte und sich scheu zurückzog; – oft aber kam es auch daß er seinen besten Bekannten nicht traute und sie in der That kränkte.«

Beethoven wurde denn auch andern Sinnes; schon der Brief vom 14. August schlägt einen andern Ton an. Beethoven schreibt an Giannatasio:


[37] »am 14. August (1817):


P. P.


Leider erhielt ich ihr Schreiben vorgestern zu spät, denn sie war schon hier gewesen, Nach Verdienst hätte ich ihr sonst die Thüre gewiesen, Ich danke dem Fräulein N. recht herzlich für die Mühe, welche sie sich gegeben, das Geschwätz dieser Frau aufzuschreiben. Ein Feind sonst alles Gewäsches u. Geplauder ist dieses uns jedoch wichtig, denn ich werde ihr Schreiben sammt einem Briefe von ihr an mich morgen Hr. v. Schmerling übergeben. Es mag mir ein Wort von Unordnung bei dem neulichen Vorfall in Betracht ihrer in ihrer Gegenwart entfallen sein, über sie geschrieben zu haben kann ich mich nicht im mindesten erinnern, Es war nur ein Versuch von ihr Sie gegen mich zu erbittern um dadurch bei ihnen mehr zu erlangen u. zu gewinnen, so wie sie früher mir auch allerlei von ihnen gegen mich beigebracht, allein ich achte ihr Geschwätz nicht – Diesesmal wollte ich den Versuch machen, ob sie durch ein duldendes gelinderes Betragen vieleicht zu bessern sei, diese meine Absicht theilte ich H. v. Schmerling mit, allein es ist gescheitert, denn schon Sonntags gleich hatte ich den Entschluß gefaßt, es bei der alten nothwendigen Strenge zu lassen, indem sie Karl in der Geschwindigkeit etwas von ihrem Gifte mitgetheilt hatte – kurz u. gut, wir müssen uns schon auf dem Thierkreise halten, u. sie K. nur 12 mal des Jahres sehen lassen, u. sie dann so verpallisadieren, daß sie ihm auch nicht eine Stecknadel heimlich beibringen könne. Ob bei ihnen, bei mir oder noch an einem dritten Orte, das ist alles einerlei, diesmal habe ich geglaubt, wenn ich ihren Wünschen ganz entspreche, daß sie dieses aufmuntern werde, sich zu bessern, u. meine gänzliche Uneigennützigkeit anzuerkennen. – Vieleicht sehe ich Sie morgen. Die Strümpfe könnte die Frau v. G. besorgen, so auch von Schuhen was er braucht, ich schick ihr sodann das Geld dafür ins haus –

Uebrigens bitte ich sogleich was Karl braucht, für ihn zu kaufen u. anzuschaffen, ohne mich zu fragen, mir aber jedesmal, ohne das Ende des Quartals abzuwarten, den Betrag, welchen ich sogleich tilgen werde, bekannt zu machen. Für die künftige Prüfung werde ich Karln einen neuen Frack besorgen. –

Noch eins, sie gibt vor aus ihrem Hause von einer Person Nachrichten zu erhalten.

Im Falle Sie Karl nicht bis zu dem Hause v. Czerny begleiten können lassen, muß es unterbleiben – trau schau wem! Karl darf keine andere Vorstellung von ihr erhalten als welche ich ihm früher schon gemacht, nemlich sie als Mutter zu ehren, aber ja nichts von ihr nachzuahmen, hiefür muß man ihn sogar warnen


der ihrige

L. v. Beethoven.«


Der folgende kleine undatierte Zettel an Giannatasio bedeutet wohl das Ende des unerquicklichen Zwischenfalls.


[38] »Daß ich Karl morgen früh werde abholen lassen, wird ihnen schon ihr Freund gesagt haben. Die Mutter will sich in einen bessern Kredit mit der Nachbarschaft setzen u. so erzeige ich ihr den Gefallen ihren Sohn morgen zu ihr zu führen in Gesellschaft eines dritten. –

Es geschieht alle Monath einmal. –

Ueber alles Geschehene bitte ich nun weder mehr zu sprechen noch zu schreiben, sondern alles, wie ich, zu vergessen.« –


Wir fügen noch einen undatierten Brief an Giannatasio bei, der möglicherweise in diese Zeit gehört. Wegen der Bemerkungen über Musikunterricht kann er noch zur Ergänzung der gleich zu machenden Mitteilungen über Czerny herangezogen werden.53


»Es ist wenigstens das erstemal, daß ich mich an eine mir liebe Pflicht mahnen muste lassen, sehr dringende Beschäftigungen sowohl mit meiner Kunst als noch manche andere Nebensachen54 ließen mich auf die Rechnung gänzlich vergessen; –

Es wird unterdessen nie mehr nöthig sein – Wegen meinem Bedienten Karl Abends nach Hause zu bringen ist die Veranstaltung schon getroffen, ich danke ihnen unterdessen, daß sie gestern noch die Gefälligkeit hatten, ihn durch ihren Bedienten noch abholen zu lassen, da ich gar nichts davon voraus wußte, so hätte es leicht geschehen können, daß K. bei Czerny hätte bleiben müssen. –

Karls Stiefel sind zu enge u. er hat hierüber schon mehrmalen Klage geführt, ja es ist so arg damit, daß er kaum gehen konnte u. wie lange brauchte um die Stiefel zu richten. So etwas verdirbt die Füße, ich ersuche sie diese Stiefel ihn nicht eher anziehen zu lassen, bis sie weiter gemacht sind. –

Was seine Stunden55 in dem Klavierüben betrifft, so bitte ich Sie, ihm selbe immer zu halten,56 weil sonst der Klaviermeister zu nichts nüzt, Gestern hat K. den ganzen Tag nicht spielen können, ich selbst habe es auch schon mehrmalen erfahren, indem ich mich darauf verließ, um mit ihm durchzugehen, daß ich unverrichteter Sache wieder abziehen muste, ›la Musica merita d'esser studiata‹ die paar Stunden, die ihm jetzt zu seinem Musikstudium gestattet sind, klecken57 ohnedem nicht, und ich muß daher, um so mehr darauf dringen, daß sie ihm gehalten werden – Es ist eben nichts ungewöhnliches, daß auf d. g. in einen Institut Rücksicht genommen werde, ein guter Freund von mir hat ebenfalls einen Knaben in einem Institute welcher zur Musik bestimmt ist, u. man leistet ihm hierin allen Vorschub, ja ich war nicht wenig überrascht, [39] als ich den Knaben dort in einem entfernten Zimmer sich ganz allein üben fand, u. weder er gestört wurde noch andere störte! –

Morgen bitte ich Sie, daß Sie erlauben, daß ich Karl kann gegen halb 11 Uhr abholen lassen, da ich mit ihm durchzugehen habe u. auch mit ihm zu einigen Musiken58 gehe. –

Mit aller erdenklichen Hochachtung ihr


Freund

L. v. Beethoven.«


So kommt es denn zu versöhnlicher Stimmung, welche wir aus Fannys Eintragung vom 29. August erkennen: »Von Beethoven habe ich die beruhigende Gewißheit, daß er erkennt, was man für ihn thut und wenigstens einen Theil unserer Familie seit jener Geschichte lieber hat. Er bewies sich sehr herzlich, gegen den Vater und Nanni. Ich sah ihn neulich nicht, als er vor dem Thor mit ihr sprach. Ich fühle mich in Rücksicht seiner, so zurückgesetzt, so ist mein Gefühl, es ist gegen ihn verschüchtert, denn ich muß was er mir angethan unwillkührlich vergessen und es bleibt mir nur das kränkende Gefühl, daß er mich verkannte. Uebrigens besorgte Nanni, daß er verreisen wird, da er neulich mit Karln so überaus herzlich war. Es bessert sich mit seinem kranken Zustande, doch sein Genius leidet sehr unter dem Druck des Körpers, doch hat er geäußert, er wolle es einbringen.« –

In dem obigen Briefe an Zmeskall kommt als Bekannter Beethovens ein Bihler vor, über welchen inzwischen durch Seb. Brunner im »Vaterland« Näheres mitgeteilt worden ist.59 Derselbe war, wie dort angegeben wird, ein Landsmann Beethovens, war mehrere Jahre Hofmeister im Hause des Großhändlers Baron Puthon, dann Erzieher bei den Söhnen des Erzherzogs Carl, wo auch Joseph Neugebauer den Unterricht der Prinzen im Zeichnen leitete. Der Maler Professor Neugebauer besaß von seinem Vater her zwei Briefe Beethovens an Biehler, welche dieser dem Vater (wohl eben jenem Zeichenlehrer, was aus der Mitteilung nicht klar hervorgeht) geschenkt hatte.60 Diese beiden kurzen Briefe wurden in dem citierten [40] Artikel zum erstenmal veröffentlicht; da sie nicht datiert sind und ihre Zeit nicht bestimmt festzustellen ist, Biehler aber nur in diesem Jahre und später nicht wieder unter Beethovens Bekannten vorkommt, so haben wir sie hier aufgenommen.61


»Lieber Biehler!


Der Doctor Sassafraß, wovon ich Ihnen sagte, kommt heute um 12 Uhr. Ich bitte Sie daher, sich auch bei mir einzufinden. – Damit Sie nicht stolpern, numerire ich Ihnen das Haus, den Stock, so daß Sie alles vor sich sehen, ehe Sie da find. – 1241 im 3. Stock wohnt dieser arme, verfolgte, verachtete österreichische Musikant.


Beethoven.«


Nach Brunner spielte in einer im Josephstädter Theater aufgeführten Posse ein Arzt Dr. Sassafraß die Hauptrolle; davon sei vielleicht einem gemeinschaftlichen Freunde dieser Scherzname beigelegt. Das möge auf sich beruhen. Die Hausnummer 1241 finden wir nicht in den Anführungen Beethovenscher Wohnungen, wohl 1239 nach ehemaliger Bezeichnung auf dem Pasqualatischen Hause, Möller Bastei, wo er nach Frimmels Annahme bis zum Winter 1814/15 gewohnt hat.62 Darf man hier eine Verwechslung Beethovens annehmen, dann wäre also hier ein wenn auch unsicherer Fingerzeig für die Zeit des kleinen Briefes gegeben.

Der »arme kränkliche österreichische Musikant« kommt auch in den Briefen an die Frau Streicher aus diesem Jahre vor (s. Anh.).

Der zweite Brief, ohne Unterschrift, lautet so:


»Lieber Biehler!


Ich melde Ihnen nur, daß ich in Baden derweil bin und mich vortrefflich – nicht durch die dortigen Gesellschaften, wohl aber durch die wahrhaft schöne Natur dort – befinde.«


Beethoven war in den Sommern von 1813 bis 1816 in Baden.63 Die frohe Hinweisung auf sein gutes Befinden, verglichen mit anderen gleichzeitigen Äußerungen, würden am meisten auf die Jahre 1813 und 1814 passen.

Biehler begegnet noch einmal in einem Briefe unseres Jahres 1817, kommt aber später in Beethovens Geschichte unseres Erinnerns nicht mehr vor. Im Dez. 1819 schreibt jemand ins Konv. Buch: »Doctor Bühler bei Puthon denkt oft an Sie.« Und im Febr. 1820 »Biller vom B. Puthon ist krank« (Bernard), wohl auf eine Frage. Ferner 1820: »Der Bühler [41] liebt sie sehr. Die Frau und der Bühler haben ein Herz der letztere ist aber melancholisch«. Unter den Unterzeichnern der Adresse von 1824 steht auch Biehlers Name. –

Aus dieser Nußdorfer Zeit stammt noch ein Brief an Wilhelm Gerhard in Leipzig, wichtig, weil er zeigt, wie klar Beethoven die Grenzen seiner Kunst erkannte. Nach Nohl (N. Br. S. 135) war derselbe Kaufmann in Leipzig und kam öfter in Geschäften nach Wien, wo ihm Beethoven auf dringendes Bitten das Autograph von »Gretels Warnung« (Op. 75, 4) schenkte. Der Brief folgt hier nach Thayers Abschrift:


»Nußdorf, am 16. Juli 1817.


Ew. Wohlgeboren! Sie haben mich einmal beehrt mit einer Bitte an mich, einige Ihrer anakreontischen Lieder in Musik zu setzen; sehr beschäftigt war es mehr Unmöglichkeit als Unhöflichkeit ihnen hierauf nicht zu antworten; zu willfahren ihren Wünschen aber noch schwerer, da diejenigen Hefte, die Sie mir zusendeten, wirklich am wenigsten zum Gesang sich eigneten. Die Beschreibungen eines Bildes gehört zur Mahlerey; auch der Dichter kann sich hierin noch als einen Meister glücklich schätzen, dessen Gebiet hierin nicht so begränzt ist, als das meinige, sowie es sich wieder in anderen Regionen weiter erstreckt und man unser Reich nicht so leicht erreichen kann. – Zum Theil ist meine seit beynahe 4 Jahren immerwährende Kränklichkeit Schuld, wenn ich so manches mir Zukommende nur stillschweigend beantworten kann – seit vorigen Oktober 1816 hat sich meine Kränklichkeit noch vermehrt, ich hatte einen starken Entzündungskatarrh und daher noch Lungenkrankheit, dies alles damit sie mich nicht ungefällig glauben, oder sonst, wie viele andere, mich verkennen. –


Mit Achtung

ihr ergebenster

Ludwig van Beethoven.« –


Ungeachtet der Jeremiaden in Beethovens Briefen aus diesem Jahre, und des Verdrusses, welchen ihm seine Schwägerin bereitete, sind doch Anzeichen in Fülle vorhanden, daß er keineswegs vollständig in jenem Zustande der Niedergeschlagenheit war, welchen man geneigt sein könnte anzunehmen. Eins dieser Anzeichen ist ein Werk, welches ihn während dieses Sommers unterhielt, und dessen Geschichte Dehn in die Cäcilia aufnahm.64 Ein nicht Genannter brachte Beethoven das Trio in C moll (Op. 1 Nr. 3), welches er als Quintett für 2 Violinen, 2 Violen und Violoncell arrangiert hatte, zur Ansicht, wahrscheinlich um des Meisters Meinung darüber zu [42] erfahren. Beethoven muß vieles an der Arbeit auszusetzen gefunden haben; dennoch war ihm das Unternehmen anziehend genug, um es einer eigenen Bearbeitung und manchen Abänderungen zu unterziehen. Dadurch entstand nun eine neue, von der Arbeit des X. ganz verschiedene Partitur, auf deren Umschlag der geniale Meister in seiner guten Laune eigenhändig folgenden Titel schrieb, welchen wir hier nach dem auf der K. Bibl. in Berlin befindlichen Autograph folgen lassen:


»Bearbeitetes Terzett zu einem

3 stimmigen Quintett

von H. Gutwillen

u. aus dem schein von 5 stimmen

zu wirklichen 5 Stimmen ans Tags

licht gebracht, wie auch aus größter Miserabilität

zu einigem Ansehen erhoben

von H. Wohlwollen

1817

am 14. august.


NB. Die ursprünglich 3 stimmige Quintett-partitur ist den Untergöttern als ein feierliches Brandopfer dargebracht worden.«


In der zweiten Zeile steht in den Anführungen dieser Überschrift »vierstimmigen Quintett«, und tatsächlich hatte Beethoven anfangs »4-stimmigen« geschrieben, dies aber nachträglich mit Bleistift in »3 stimmigen« geändert, wie es nach der Nachschrift heißen mußte. Das in Berlin befindliche Exemplar ist außer der obigen Aufschrift, welche von Beethovens eigener Hand ist, Abschrift, aber von Beethoven durchkorrigiert.

Beethoven hat durch eine bei Artaria befindliche Erklärung die Echtheit der Bearbeitung bestätigt. Das war also Beethovens größte musikalische Arbeit während dieses unfruchtbaren Jahres.65 Man wird das Werk als eine Arbeit Beethovens mit großem Interesse und nicht ohne Belehrung näher betrachten dürfen; man wird gewahren, wie er wieder ganz in dem schönen Jugendwerk lebt und dasselbe durch Übertragung für Streichinstrumente, für die er immer so gern schrieb, zu neuer Bedeutung bringt. Der gleichmäßige Vollklang des Saitenquartetts macht treffliche Wirkung, auch die Führung der einzelnen Stimmen ist überall sein erwogen. Es ist alles aus dem Geiste des ursprünglichen Werkes gearbeitet. Wenn [43] die Erinnerung an die ursprüngliche Bestimmung fürs Klavier nicht überall ganz getilgt sein konnte, so weiß er doch das bloß Klaviermäßige mehrfach der Natur der Saiteninstrumente anzupassen und entsprechend abzuändern und ersetzt eigenartige Wirkungen der Klavierpassagen durch entsprechende aus der Natur der Saiteninstrumente genommene Wirkungen, in welcher Hinsicht auf die Rückführung ins Thema im letzten Satze und auf den Schluß desselben aufmerksam gemacht sei. Mehrfach überrascht er durch Hinzufügung neuer, zum Teil durch Nachahmung gewonnene Motive; besonders interessant ist die Vergleichung der anspruchlosen Variationen des Mittelsatzes mit der neuen Bearbeitung im Quintett, in welchem dieser Satz an mehreren Stellen zu neuer und eigenartiger Bedeutung erhoben erscheint. Aber auch sonst wird man Ähnliches genug finden.

Beethoven legte offenbar Wert auf die Arbeit, er erwähnt sie in den Briefen an Frau v. Streicher, an Zmeskall66 und mehrfach an Ries (Not. S. 147 fg.); er will es probieren lassen. Am 13. Dezember 1818 wurde es in einer musikalischen Abendunterhaltung der Gesellschaft der Musikfreunde aufgeführt. –

An einen anderen jüngeren Freund erinnert uns ein anderer Brief Beethovens aus diesen Tagen. Xaver Schnyder von Wartensee67 hatte am 17. Dezember 1811, wo er als junger Mann behufs seiner weiteren musikalischen Ausbildung in Wien lebte, an Nägeli in Zürich geschrieben:


»Von Beethoven wurde ich äußerst gut empfangen und war schon einigemal bei ihm. Er ist ein höchst sonderbarer Mann. Große Gedanken schweben in seiner Seele, die er aber nicht anders als durch Noten zu äußern vermag; Worte stehen ihm nicht zu Gebote. Seine ganze Bildung ist vernachlässigt, und seine Kunst ausgenommen ist er roh aber bieder und ohne Falschheit, er sagt geradezu von der Leber weg, was er denkt. In seiner [44] Jugend und noch jetzt hatte er mit vielen Widerwärtigkeiten zu kämpfen; dieses machte ihn launisch, finster. Ueber Wien schimpft er und wünscht fortzugehen. ›Vom Kaiser bis auf den Schuhputzer,‹ sagte er, ›find alle Wiener nichts werth.‹ Ich fragte ihn, ob er keinen Schüler annehme? Nein, antwortete er, dieses sei eine verdrießliche Arbeit; er habe nur einen, der ihm sehr viel zu schaffen mache und den er sich gern vom Halse schaffen möchte, wenn er könnte. ›Wer ist denn dieser?‹ – ›Der Erzherzog Rudolph.‹68«


So schrieb Beethoven denn jetzt


»An Seine Wohlgeboren

Herrn

Xaver Schnyder von

Wartenstein [so!]

in

Luzern

[in der Schweiz].«69


»Wien am 19. Aug. 1817.


Euer Wohlgeboren!


Sie haben sich einmal ihres Daseyns in Wien bey mir erinnert, u. mir davon schriftliche Beweise gegeben, d. g. von einer edleren besseren Menschen Natur thut mir wohl – fahren Sie fort sich immer weiter in den Kunsthimmel hinauf zu versetzen, es giebt keine ungestörtere ungemischtere reinere Freude als die von daher entsteht. – Sie wünschen mich einmal begriffen zu sehen in dem Anstaunen der schweizerischen großen Natur, ich mich selbst auch – giebt mir Gott die Gesundheit wieder, die sich seit einigen Jahren verschlimmert hat, so hoffe ich wohl noch dazu zu kommen. –

Der Ueberbringer dieses Hr. v. Bihler, der auf Reisen mit seinem Zögling v. Puthon begriffen ist, dürfte wohl ohne mich auch eine freundliche Aufnahme von Ihnen erwarten. Unterdessen will ich mir einbilden, als wenn Sie großes Gewicht auf meine Empfehlung seiner an Sie legten und Ihnen recht sehr die Bitte ans Herz legen ihn ihrer Gefälligkeit so viel als möglich theilhaftig zu machen.


Ihr Freund und Diener

L. v. Beethoven.«70


[45] Die Zeitfolge bringt nachfolgenden Brief an den Erzherzog Rudolph:71


»Nußdorf, am 1. September 1817.


Immer hoffte ich, mich selbst zu Ihnen nach Baden verfügen zu können; allein mein kränklicher Zustand dauert noch fort, und wenn sich auch einiges davon gebessert hat, so ist das Uebel doch noch nicht ganz geheilet. Was ich gebraucht und noch dawider gebrauche, sind Mittel auf alle Art, in allen Gestalten. Nun muß ich wohl die so oft genährte Hoffnung gänzlich befreit zu werden aufgeben. – Ich höre, daß I. K. H. wundervoll gut aussehen, und wenn man auch aus solchem falsche Schlüsse auf eine vortreffliche Gesundheit machen kann, so höre ich doch sehr von der verbesserten Gesundheit I. K. H. sprechen, woran ich gewiß den lebhaftesten Antheil nehme. Ich hoffe ebenfalls, daß wenn I. K. H. wieder in die Stadt kommen werden, wieder Beistand leisten zu können bei Ihren den Musen gewidmeten Opfern. – Gott wird wohl meine Bitte erhören, und mich noch einmal von so vielem Ungemach befreien, indem ich vertrauensvoll ihm von Kindheit an gedient, und Gutes gethan, wo ich nur gekonnt, so vertraue ich auch ganz allein auf ihn, und hoffe, der Allerhöchste wird mich nicht in allen meinen Drangsalen aller Art zu Grunde gehen lassen. – Ich wünsche I. K. H. alles erdenkliche Schöne und Gute, und werde, sobald Sie Sich wieder in der Stadt befinden, mich sogleich zu I. K. H. verfügen.«


Die Erwähnung Czernys in dem Briefe an Giannatasio mag uns Veranlassung geben, eine weitere Auswahl aus dem Teile seiner Erinnerungen zu geben, welcher sich auf die Jahre 1816–1818 bezieht.

Nachdem Beethoven die Verfügung über seinen Neffen erhalten und ihm im Februar 1816 der Schule Giannatasios übergeben hatte, war es natürlich, daß er Maßregeln traf, ihm eine systematische Unterweisung in der Musik zu teil werden zu lassen; zu diesem Zwecke wählte er Karl Czerny als Lehrer.72

»Im Jahre 1815« [1816], schreibt Czerny »begann ich auf seinen Wunsch den Unterricht seines damals von ihm adoptirten Neffen Carl, und von da an sah ich ihn beynahe täglich, da er meistens selber mit dem Kleinen zu mir kam. Auch aus dieser Zeit besitze ich noch viele Briefe von ihm, wovon ich hier einen, als musikalisch merkwürdig, ebenfalls genau nach dem Originale mittheile.«


[46] »Mein lieber Czerny!


Ich bitte sie, den Karl so viel als möglich mit Geduld zu behandeln, wenn es auch jetzt noch nicht geht, wie Sie und ich es wünschen, er wird sonst noch weniger leisten, denn (ihn darf man das nicht wissen lassen) er ist durch die üble Austheilung der Stunden zu sehr angespannt, leider läßt sich daß nichtgleich ändern, daher begegnen Sie ihm so viel als möglich mit Liebe, jedoch ernst, es wird alsdann auch besser gelingen bei diesen wirklich ungünstigen Umständen für K. – In Rücksicht seines Spielens bei Ihnen, bitte ich Sie, ihn, wenn er einmal den gehörigen Fingersatz nimmt, alsdann im Takte richtig, wie auch die Noten ziemlich ohne Fehler spielt, alsdann erst ihn in Rücksicht des Vortrages anzuhalten, und wenn man einmal so weit ist, ihn wegen kleinen Fehlern nicht aufhören zu lassen, und selbe ihm erst beym Ende des Stückes zu bemerken: obschon ich wenig Unterricht gegeben, habe ich doch immer diese Methode befolgt, sie bildet bald Musiker, welches doch am Ende schon einer der ersten Zwecke der Kunst ist, und ermüdet Meister und Schüler weniger, – bei gewissen Passagen wie


1. Kapitel. Das Jahr 1817

wünsche ich auch zuweilen alle Finger zu gebrauchen wie auch bey d. g.


1. Kapitel. Das Jahr 1817

damit man d. g. schleifen könne; freilich klingen d. g. wie man sagt ›geperlt gespielt‹ (mit weniger Fingern) oder ›wie eine Perle‹, allein man wünscht auch einmal ein anderes Geschmeide – – Auf ein andermal mehr. – ich wünsche daß Sie alles dieses mit der Liebe aufnehmen, mit welcher ich Ihnen es nur gesagt und gedacht wissen will, ohnehin bin ich und bleibe ich noch immer ihr Schuldner – mögte meine Aufrichtigkeit überhaupt Ihnen zum Unterpfand der künftigen Tilgung derselben, so viel als mir möglich, dienen. –


Ihr wahrer Freund

Beethoven.«


»Merkwürdig ist in diesem interessanten Briefe, die sehr richtige Ansicht, daß man das Talent des Schülers nicht durch allzukleinliche Ängstlichkeit ermüden müsse (wobei freilich viel auf die Eigenschaften des Schülers ankommt) so wie der eigenthümliche Fingersatz und dessen Einfluß auf den Vortrag.«

»Noch weit schätzbarer waren Beethovens mündliche Bemerkungen über musikalische Gegenstände aller Art, über andere Tonsetzer etc., über die er sich stets mit größter Bestimmtheit, treffendem, oft kaustischem Witz, und immer aus dem hohen Standpunkte äußerte, den ihm sein Genie anwies, und von dem er die Kunst übersah. Daher war sein Urtheil, selbst über klassische Namen, meistens streng, und wurde mit dem Gefühl seiner Ebenbürtigkeit [47] ausgesprochen. Bei einer Lection, die ich einst seinem Neffen gab, sagte er mir: ›Sie müssen nicht glauben, daß Sie mir einen Gefallen erweisen, wenn Sie ihn Sachen von mir spielen lassen. Ich bin nicht so kindisch dergleichen zu wünschen. Geben Sie ihm, was Sie für gut finden.‹

Ich nannte Clementi. ›Ja, ja,‹ sagte er, ›Clementi ist recht gut.‹ Lachend fügte er hinzu: ›Geben Sie Carl einstweilen das Regelmäßige, bis er später zu dem Unregelmäßigen kommen kann.‹

Nach solchen Einfällen, die er beinahe jeder Rede einzuflechten wußte, pflegte er in ein schallendes Gelächter auszubrechen. Da ihm in früherer Zeit von der Kritik oft Unregelmäßigkeit vorgeworfen worden, so pflegte er oft mit lustigem Humor darauf anzuspielen. In jener Zeit (um 1816) begann ich in meiner Wohnung für meine sehr zahlreichen Schüler jeden Sonntag musikalische Unterhaltungen vor einem sehr gewählten Zirkel zu veranstalten, welche durch mehrere Jahre fortgesetzt wurden. Beethoven war fast immer zugegen und mehrmal fantasirte er in denselben mit freundlicher Bereitwilligkeit und mit all dem Ideenreichthume, der seine Improvisationen eben so sehr, ja oft noch mehr auszeichnete als seine geschriebenen Werke.73 Da in diesen Musiken vorzugsweise seine Werke aufgeführt wurden und er das Tempo angab, so glaube ich in diesem Punkte bei den meisten seiner Werke (selbst seinen Symphonien, welche auf zwei Clavieren arrangirt oft vorgetragen wurden) mit seinem Willen genau bekannt geworden zu sein.«

Folgender kleine Brief an Czerny gehört noch hieher:


»Mein lieber Czerny!


Geben Sie dieses gefälligst ihren Eltern für das neuliche Mittagsessen; ich kann dieses durchaus nicht umsonst annehmen. Auch verlange ich ihre Lectionen nicht umsonst, selbst auch die schon gegebenen sollen verrechnet und Ihnen bezahlt werden, nur bitte ich Sie in diesem Augenblicke Geduld zu haben, indem von der Wittwe noch nichts zu fordern ist, und ich große Ausgaben hatte und habe. – Allein es ist nur geborgt für diesen Augenblick. – Der kleine kommt heute zu Ihnen und ich später auch.


Ihr Freund Beethoven.«


[48] Einige Anmerkungen zu diesen beiden Briefen von Ferdinand Luib hatte dieser, wie er sagt, »noch aus Czernys Munde selbst«. »Daß die [in dem ersten] ausgesprochene Ansicht Beethovens wegen des Nichtanhaltens während des Vortrags, so richtig sie auch im ganzen sein [mag], praktisch manchen Ausnahmen unterworfen sei, da es dabei sehr auf die Beschaffenheit des zu unterrichtenden Talents ankommt, und daß sie daher auch von Czerny nicht befolgt wurde, versteht sich wohl von selbst.« Über den zweiten Brief bemerkt er folgendes: »Er [Czerny] protestirte natürlich gegen jede Bezahlung, und zwar wiederholt, so daß dadurch Beethovens Empfindlichkeit rege gemacht worden sein mag; daher auch die vorkommende kleine Wunderlichkeit, daß derselbe ein Mittagsmahl, daß er mit seinem Neffen bei Czernys Eltern (die damals am Hohenmarkt, beim breiten Stein wohnten) einnahm, vergüten wollte.« Wir hören nichts weiteres von Bezahlungen an Czerny.

Folgende allgemeine Bemerkung aus Czernys Erinnerungen bei O. Jahn möge hier noch Platz finden:


»Man hat mehrmal im Auslande gesagt, daß Beethoven in Wien mißachtet und unterdrückt worden sei. Das Wahre ist, daß er schon als Jüngling von unserer hohen Aristokratie alle mögliche Unterstützung und eine Pflege und Achtung genoß, wie sie nur je einem jungen Künstler zu Theil geworden.

Auch später als er durch seine Hypochondrie sich viele entfremdete, wurde seinen oft sehr auffallenden Eigenheiten nie etwas in den Weg gelegt; daher seine Vorliebe für Wien; und man darf bezweifeln, ob er in irgend einem anderen Lande so unangefochten geblieben wäre.

Daß er als Künstler auch mit Kabalen zu kämpfen hatte ist richtig, aber das Publikum war daran unschuldig. Er wurde immer als ein außerordentliches Wesen angestaunt und geachtet, und seine Größe auch von Jenen geahnet, die ihn nicht verstanden. Es lag nur an ihm auch wohlhabend zu sein, aber für häusliche Ordnung war er nicht geschaffen.«


Eine andere Erinnerung Czernys zeigt den Humor, mit welchem Beethoven sich zuweilen über seine Taubheit erheben konnte.


»B. unterhielt sich einmal mit Czernys schwerhörigem Vater. Beide deuteten auf das Fenster und sprachen von ganz verschiedenen Dingen; endlich merkt es B., nahm seinen Hut und ging lachend weg, indem er sagte: ›Haha, zwei Taube wollen einander etwas erzählen!‹ Noch auf der Treppe hörte man ihn lachen.«


Es soll kein Tadel gegen den würdigen Czerny ausgesprochen sein, wenn wir nochmals bemerken, daß sich sowohl in seinen Erinnerungen als in der Sprache, in welcher er sie wiedergibt, stellenweise eine störende Ungenauigkeit [49] sich findet. In den obigen Citaten darf die Jahreszahl 1815 statt 1816, der unbestimmte Ausdruck »von da an sah ich ihn beinahe täglich«, »Beethoven war [bei den sonntäglichen Musikzirkeln] fast immer zugegen«, was nur von den ersten Monaten richtig sein kann, und die Angabe, daß er »mehrmals fantasierte«, nicht in zu ausgedehntem Sinne verstanden werden. Schindler, welchem O. Jahn die Bemerkungen Czernys und anderes Handschriftliche zur Prüfung und Äußerung übergab, bemerkt über dieses »Fantasieren«: »Nur zweimal; das erste Mal, als Frau von Ertmann eine seiner Sonaten spielte; das andere Mal als Hr. Czerny Op. 106 vortrug, das er mit ihm früher wiederholt durchgegangen ist. In den Jahren 1818 u.s.f. phantasierte Beeth. niemals mehr außer seiner Wohnung.«

Schindler ist nun aber bezüglich dieses letzteren Punktes jedenfalls im Irrtum; sehr möglich, daß dies auch bei dem anderen der Fall ist. Es ist kein Gegenstand von besonderer Wichtigkeit in irgendwelcher Hinsicht; aber es bietet uns Gelegenheit, auf Irrtümer in Schindlers Angaben hinzuweisen, welche lange Zeit hindurch eine reichliche Quelle der Verwirrung in diesem Teile von Beethovens Leben gewesen sind, vielleicht es noch sind. Mehr wie ein neuerer Schriftsteller spricht von seinem »intimen Verkehr mit dem Komponisten vom I. 1814 an«; einer hat sogar erfahren, daß er »zehn Jahre in einem Hause mit Beethoven wohnte, diesem alle Zeit widmend über die er disponiren konnte«; und vielfach sehen wir gewisse Umstände auf Schindlers Autorität hin als zweifellose Tatsachen angenommen, von denen er keine persönliche Kenntnis gehabt haben konnte. Der Verfasser74 hat seiner Zeit Schindlers Charakter als Biographen ausführlich mit Otto Jahn besprochen; beide hatten ihn persönlich gekannt; ihre Ansichten stimmten vollständig überein. Sie hielten ihn für ehrlich und aufrichtig in seinen Angaben, jedoch behaftet mit einem unzuverlässigen Gedächtnisse und einer Neigung, Eindrücke und später gebildete Überzeugungen als Tatsachen aus früherer persönlicher Kenntnis anzunehmen und sie als solche bekannt zu machen, ohne mit Sorgfalt sie auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Zu seiner Rechtfertigung müssen wir daran erinnern, daß er zu der Zeit, als er in Frankfurt a. M. sein Buch in die Gestalt brachte, in welcher es 1860 erschien, er hierzu nicht mehr die nötigen Hülfsmittel besaß; denn die Konversationsbücher, welche ihn vor den offenkundigsten Irrtümern bewahrt haben würden, befanden sich seit 1845 in der Königlichen Bibliothek [50] zu Berlin. Deshalb muß jeder, der seine Lebensbeschreibung des Meisters und seine zahlreichen Beiträge für die periodische Presse während der langen Zeit von 30 Jahren durchstudiert – alle reich an biographischen Angaben von großem Werte – dennoch fortgesetzt auf seiner Hut sein. Wenn man in Schindlers Schriften eine genaue Belehrung über Beethovens Leben während der Jahre 1816–20 sucht, so erweisen sich seine Mitteilungen so dürftig und unbestimmt und zeigen gelegentlich solche Widersprüche und Irrtümer, daß der Verdacht erwächst, er spreche, so weit es auf diese Jahre ankommt, nicht überall aus eigener persönlicher Kenntnis, und sein Gedächtnis lasse ihn bedenklich im Stiche. Wären die Konversationsbücher noch in seinem Besitze gewesen, dann hätte er z.B. nicht schreiben können: »Um 1817 verließ auch Oliva die Kaiserstadt für immer« (S. 228), denn er würde aus demselbe ersehen haben, daß Oliva noch 1820 in seinen alten Beziehungen zu Beethoven stand. Ferner schreibt er I S. 231:»Schon 1816 sah er sich in Verhältnisse verwickelt, die ihm viele Schreibereien verursachten. Dr. Bach, in dessen Canzlei ich täglich einige Stunden gearbeitet, empfahl ihm alles mir anzuvertrauen. Ich wurde also Beethovens Geheimsecretär – ohne Gehalt.« Später lesen wir im Zusammenhang mit der Frage nach Beethovens Adel und dem Übergange seines Prozesses mit Carls Mutter an den Wiener Magistrat (S. 257): »Dort war für Beethoven nur dann ersprießliches zu erreichen möglich, wenn er seinen Vertreter verabschiedet, und eine ganz andere Persönlichkeit dem Gegner gegenüberstellt. Seine Wahl fiel auf Dr. Johann Baptist Bach, der eben in die Reihe der Hof- und Gerichtsadvokaten getreten.«75 Und endlich S. 262: »Als Dr. Bach die Leitung in die Hand genommen, erklärte er: sein Client müsse von nun an mit dem Titel als Capellmeister auftreten, weil die Herren Magistratsräthe zumeist Böotier seien, daher ein Compositeur ihnen so viel als nichts gelte« usw.

Diese Citate erzeugen verschiedene Zweifel.

1) Eine Urkunde des Landrechts, datiert vom 29. November 1815, enthält folgende Worte: »Ludwig van Beethoven (K. K. Kapellmeister und Musik-Compositeur).« Dr. Bach mag den Gebrauch dieses Titels fortgesetzt haben, aber wie konnte er ihn eingeführt haben?

2) »Dr. I. B. Bach hat am 21. Jänner 1817 den Eid als Advocat abgelegt.« Wie konnte dann aber Schindler 1816 »einige Stunden täglich arbeiten« in einer Kanzlei, die noch gar nicht existierte?

[51] 3) Das Dekret des Landrechts, welches Beethovens Prozeß an den Magistrat verwies, ist vom 18. Dezember 1818 datiert, und Schindler sieht mit Recht darin die Veranlassung von Dr. Bachs Tätigkeit im Jahre 1819; allein wie kannte er dann auf Buchs Empfehlung des Komponisten »Geheimsekretär« während der beiden vorhergehenden Jahre sein?

Die unvermeidliche Schlußfolgerung hieraus ist folgende:

Obgleich kein Grund vorliegt zu bezweifeln, daß Schindler mit Beethoven auf vortrefflichem Fuße stand und ihn in den Jahren 1817–18 oft besuchte, kann doch der »intime Verkehr«, wie er oben angegeben war und in dem Sinne, wie er dort verstanden sein sollte, nicht vor 1819 begonnen haben; und auch da mals – Oliva war ja noch in Wien – erstreckte er sich nicht über die Hülfeleistung bei der Korrespondenz und ähnliche Verpflichtungen. Das früheste Konversationsbuch unter denen, die Schindler aufbewahrte, ist aus dem April 1819, in welchem sowohl er wieDr. Bach schrieben, und von dieser Zeit an zeigen diese Bücher, daß der Verkehr ein »intimerer« wurde; und so werden da ab auch seine Mitteilungen natürlich glaubwürdiger.

Indem wir zu dem nicht gerade sehr wichtigen Gegenstande zurückkehren, welcher diese Abschweifung veranlaßt hat, so dürfen wir wohl die Genauigkeit von Schindlers Behauptung, Beethoven habe nur zweimal in Czernys Sonntagskonzerten fantasiert, in Zweifel ziehen. Czernys Zeugnis ist hier von größerem Gewichte. –

Wir fahren unterdessen in unserem Berichte über die Ereignisse des Jahres 1817 fort. Die Klagen über seinen Gesundheitszustand dauern fort und kommen in den Zuschriften an Zmeskall zu wahrhaft erschütterndem Ausdruck. So schreibt er an ihn im August:76


»Lieber bester Z.


Mit Bedauern vernehme ich Ihren kränklichen Zustand – was mich angeht, so bin ich oft in Verzweiflung u. möchte mein Leben endigen, denn es kommt nie zu Ende mit allem diesem Gebrauchen, Gott erbarme sich meiner, ich betrachte mich so gut wie verlohren –

nöthig habe ich mit ihnen auch sonst zu sprechen, dieser Bediente stiehlt, woran ich nicht zweifle, er muß fort, Meine Gesundheit fordert Kost im Hause u. mehr Gemächlichkeit, hierüber möchte ich ihre Meinung wissen –

[52] Wenn der Zustand nicht endigt bin ich künftiges Jahr nicht in London aber vielleicht im Grab – Gott sey Dank daß die Rolle bald ausgespielt ist. –77


In Eil der Ihrige

L. v. Beethoven.«


Dazu nehme man zur Vergleichung den Brief vom 9. Sept., s. o. S. 44.

Am 10. September war die Antwort der philharmonischen Gesellschaft eingetroffen, wie er gleich am 11. an Zmeskall meldet:


»Lieber Z.! Die Antwort von London ist gestern eingetroffen allein in englischer Sprache, wissen Sie denn Niemanden, der uns den Brief auch nur mündlich übersetzen könnte?


In Eil

Ihr Beethoven.«


Sie lehnte natürlich die neu geforderten Bedingungen ab, wiederholte jedoch die früheren (wie die Aufzeichnungen der Gesellschaft zeigen), welche denn auch jetzt sofort angenommen wurden. Nun, möchte man glauben, setzte sich Beethoven eifrig an die Ausarbeitung einer neunten und zehnten Symphonie? Keineswegs. Seine Gedanken waren bereits durch eine neue Arbeit, eine Klaviersonate, in Anspruch genommen – so daß die Studien zur neunten Symphonie, von welcher einzelnes bereits skizziert war, einstweilen nicht wieder aufgenommen wurde. Jene Sonate war die große in B dur Op. 106, deren Skizzierung in den letzten Monaten von 1817 begann und an der er 1818 weiter arbeitete.78 In seinen Erinnerungen bei O. Jahn erzählte Czerny: »Beethoven sagte mir einst auf einem Spaziergang nach Mödling: Jetzt schreibe ich eine Sonate, welche meine größte sein soll,« und gibt dabei an, daß sei um 1818 und die Sonate Op. 106 gewesen. Auf diese kommen wir bei ihrer Vollendung zurück.

Jene »Unentschlossenheit in vielen Dingen«, welche Breuning etwa ein Dutzend Jahre vorher bei Beethoven erwähnt hatte, konnte im Laufe der Jahre nur gesteigert worden sein; sie war auch diesmal sein Unglück. Es gab in der Tat nichts, was ihn hätte verhindern können, sogleich abzureisen, ausgenommen daß die neuen Symphonien noch geschrieben werden mußten. Wenn sein Neffe in Wien oder in dessen Nähe bleiben mußte, so konnte er nirgendwo so gut aufgehoben sein als in der Schule und Familie des trefflichen Giannatasio, welcher alle gesetzlichen Machtmittel in Händen hatte, den Knaben vor dem übeln Einflusse seiner Mutter zu [53] schützen. Die Erfolge einer solchen Reise: eines mehrmonatlichen Aufenthalts in England; des Verkehrs mit einem ganz neuen Kreise von gebildeten Menschen, nicht allein Musikern, sondern Musikfreunden aus allen Gesellschaftsklassen bis zu den höchsten; ferner der enthusiastischen Bewunderung, welche ihn dort erwartete, und des großen pekuniären Lohnes für seine Arbeiten, welcher ihm sicher war, alles das konnte nur im höchsten Grade glückverheißend sein für sein leibliches und geistiges Wohlbefinden. Dazu kam gerade damals ein neuer und kräftiger Beweggrund, diese Berufung anzunehmen und ihr zu folgen. Wiewohl die Entwertung der Einlösungsscheine noch nicht völlig den Punkt erreicht hatte, welchen er in dem Briefe an Ries befürchtete, so hatte sie doch einen Wert von 4 zu 1 ergeben, und die Regierung war wiederum gezwungen, ihre Obligationen zum Teil zurückzuweisen. Sie gründete jene Nationalbank – bei welcher Beethoven nicht lange nachher sieben Anteilscheine kaufte – und schloß einen Vertrag mit dem neuen Institute, durch welchen die Bank die Verpflichtung übernahm, die Einlösungsscheine zu dem Betrage von 21/2 für 1 zurückzukaufen. Sie trat am 15. Juli 1817 in volle Wirksamkeit, und von da an betrug Beethovens Jahrgehalt, statt 3400 Gulden in jenem Papier, nur noch 1360 Gulden in Silber.

Aber diese verhängnisvolle Unentschlossenheit! Hätte er kurz entschlossen eine oder zwei der Symphonien, die er nach Ausweis der Skizzenbücher entworfen hatte, in Angriff genommen und sich ernstlich ihrer Ausarbeitung zugewendet, gewiß er würde nicht geruht haben, bis sie vollendet waren, und würde dann auch ohne Zweifel seine Versprechungen eingelöst haben; er würde sich dann gleich Händel, Haydn und manchen anderen deutschen Musikern von weit geringerem Rufe mit Hülfe eines bewundernden und freigebigen Londoner Publikums ein reichliches Auskommen für die Zukunft haben sicher stellen können. Denn der Geschmack des wirklichen musikalischen Publikums jener Zeit in England, durch Händels, Haydns und Mozarts Werke erzogen, war ein reiner und durchgebildeter und allem Guten und in seiner Weise Vollendeten in gleicher Weise zugewandt. Was wir früher von dem unwiderstehlichen Reize der Musik des jungen Beethoven auf Deutschlands und Österreichs Jugend gesagt haben, galt vielleicht in noch weiterem Umfange auch für England. –

In den früheren Bänden war mehrfach Gelegenheit gewesen, junge englische Beethovenverehrer zu er wähnen; diesen haben wir an dieser Stelle noch einen anderen hinzuzufügen, Cipriani Potter, welcher gerade in jener Zeit nach Wien kam (1817, wie er selbst angab), und Briefe von [54] Neate, Ries, Rode, Dragonetti und anderen mitbrachte.79 Beethoven wohnte damals, nach Potters Mitteilung, in Mödling, wo er auch während des Winters 1817/18 blieb, in einer Reihe von Zimmern, die nicht zur Hälfte möbliert waren.

Hier müssen wir aus biographischen Gründen einen Augenblick Halt machen Thayer drückte zwar seinen Zweifel aus, daß der Aufenthalt in Mödling den Winter über gedauert habe, was allerdings ausgeschlossen ist, folgerte aber aus Potters Mitteilung, der Mödling noch einmal erwähnt, daß Beethoven nach dem Sommeraufenthalt in Heiligenstadt und Nußdorf noch einen dritten in dem weiter entfernten Mödling aufgesucht habe. Das ist nicht gut denkbar. Beethoven war lange in Nußdorf gewesen, jedenfalls noch Ende September, vielleicht bis in den Oktober, und stand nun unmittelbar vor der Einrichtung der neuen Haushaltung; er war im Begriff, den Neffen zu sich zu nehmen, worüber er im November (12.) in Wien an Giannatasio schreibt; in dieser Zeit, in der er fortgesetzt auch nach Wien mußte, hat er sicherlich nicht noch einen weiteren auswärtigen Aufenthalt genommen. Die Briefe aus dieser Zeit an Frau Streicher u.s.w. erwähnen nichts von einem derartigen Vorhaben.

Im Jahre 1818 war Beethoven tatsächlich in Mödling, und hierauf kann die Verwechslung Potters beruhen. Eine solche Verwechslung konnte bezüglich der Orte in Wiens Umgebung bei einem älteren Manne (Potter machte seine Mitteilungen an Thayer 1861) leicht eintreten. Wollten wir sie nicht annehmen, dann müßten wir den ganzen Besuch Potters ein Jahr später ansetzen. Da aber Beethoven am 5. März 1818 an F. Ries schreibt, daß Potter (er schreibt Botter) ihn einige Male besuchte – (er kam erst im Mai 1818 nach Mödling) – so werden wir beim Jahre 1817 bleiben und für die erste Zeit annehmen, daß Potter Mödling und Nußdorf verwechselt hat.

Wir geben nun das Wesentliche aus Potters Mitteilungen an Thayer. Er hörte so viel von Beethovens Rauheit und mürrischem Wesen und bemerkte so manches Mal, wie die Leute den Kopf schüttelten, daß er unschlüssig war, ob er ihn besuchen solle. So waren zwei Wochen vergangen, als er eines Tages bei Streichers gefragt wurde, ob er Beethoven gesehen habe und ob er Briefe an ihn habe. Er erklärte daher, weshalb er ihn [55] noch nicht gesehen. Man sagte ihm, das sei alles törichtes Zeug, Beethoven werde ihn gewiß freundlich aufnehmen. Da rief er: ich werde sogleich hingehen – was er denn auch tat. Er übergab einen oder zwei Briefe, darunter den von Dragonetti. Kaum hatte Beethoven diesen geöffnet, als er auch sein Herz gegen den Gast öffnete, und er bat ihn sofort, ihm einige seiner Kompositionen zu zeigen. Potter zeigte ihm die Partitur einer Ouvertüre. Beethoven überblickte sie mit solcher Geschwindigkeit, daß Potter daraus schloß, daß Beethoven aus Höflichkeit nur einen raschen Blick darein habe werfen wollen, und war höchlichst überrascht, als Beethoven, nachdem er sie ganz durchlaufen hatte, sich umwandte und ihm ein tiefes Fis im Fagott mit dem Bemerken zeigte, daß diese Note nicht angängig sei, und so noch ähnliche Beobachtungen.80

Beethoven riet ihm, einen Lehrer zu nehmen, er selbst gebe keinen Unterricht, wolle aber alle seine Sachen durchsehen. Auf die Frage Potters, wen er ihm als Lehrer empfehle, sagte Beethoven: »Ich habe meinen Albrechtsberger verloren und habe kein Vertrauen zu irgend einem anderen.« Potter wurde jedoch auf Beethovens Empfehlung Schüler Försters, bei welchem er so lange studierte, bis ihm sein Lehrer sagte, er habe nun genug studiert und brauche sich jetzt nur noch praktisch in der Komposition zu üben. Als Potter dies Beethoven erzählte, erwiderte dieser, man könne nie aufhören zu studieren, er [Beethoven] habe nicht genug studiert. »Sagen Sie dem Förster, daß er ein alter Schmeichler ist.« Potter erzählte das Förster, welcher nur dazu lachte. Beethoven lobte Potter niemals ins Angesicht; er sagte wohl: »recht gut, gut«, aber niemals ein bestimmtes Lob. Bei Streichers jedoch sprach er rühmend über Potter und wunderte sich, daß er ihn nicht öfter in Mödling besuchte.81 Einmal gab er ihm den Rat, beim Komponieren nie in einem Zimmer zu sitzen, in welchem ein Klavier stehe, um nicht der Versuchung ausgesetzt zu sein, dasselbe zu Rat zu ziehen. Wenn sein Werk fertig sei, möge er es probieren; denn er könne nicht immer ein Orchester zur Verfügung haben. Beethoven hat Czerny nach dessen Mitteilung gesagt, daß er selbst in früheren Jahren vielfach am Klavier probiert habe.

Noch manche kleine Züge erzählte Potter aus der Zeit seines Zusammenseins mit Beethoven. Er begleitete den Meister zuweilen auf seinen Spaziergängen über die Felder nach Wien. Beethoven blieb oft stehen, blickte umher und gab seine Freude an der Natur zu erkennen. Eines [56] Tages fragte ihn Potter, wer der größte lebende Komponist sei, ihn selbst ausgenommen. Beethoven schien einen Augenblick nachzusinnen und rief dann aus: »Cherubini.« »Und von den toten Meistern?« fragte Potter weiter. Beethoven erwiderte, er habe jederzeit Mozart als solchen betrachtet, seit er aber mit Händel bekannt geworden sei, stelle er diesen an die Spitze.82

Potter hielt Fidelio für die erste aller Opern. Als er einst davon sprach, daß er sie in Wien gehört habe, bemerkte Beethoven, er habe sie nicht gehört, und sprach die Ansicht aus, daß die Sänger jener Zeit (1817) ihr nicht gewachsen seien. Eines Tages fragte ihn Potter, ob er nicht eine neue Oper zu schreiben vorhabe. »Ja,« antwortete Beethoven, »ich schreibe jetzt Romulus. Aber die Dichter sind alle solche Narren. Ich werde kein thörichtes Zeug [rubbish] komponiren.«83 Als er ihm einst von dem Eindruck erzählte, welchen seiner Zeit das Septett auf ihn gemacht habe, sagte Beethoven im wesentlichen folgendes: »ich wuste in jenen Tagen nicht zu komponiren. Jetzt, denke ich, weiß ich es.« Bei dieser oder einer ähnlichen Gelegenheit sagte er: »jetzt schreibe ich etwas Besseres«; und bald nachher erschien die B dur- Sonate Op. 106, das Werk, wie wir bereits wissen, des Jahres 1818.

Einmal fragte ihn Potter um seine Meinung über einen der ersten Pianisten, welche damals in Wien waren; es war Moscheles. »Sprechen Sie nie wieder von lauter Passagenspielern,« war die Antwort. Ein anderes Mal erklärte ihm Beethoven, daß ihn John Cramer mehr befriedigt habe als irgendein anderer.

Potter trat einmal in Mödling84 in sein Vorzimmer, hörte ihn nahebei phantasieren und wartete natürlich, überrascht und entzückt durch das wundervolle Spiel, zuweilen in unerhörten Harmonien (besser Disharmonien infolge seiner Taubheit), zuweilen übergehend in zarte und schnelle Passagen. Nicht lange nachher öffnete er die Tür ein wenig und sah hinaus; als er Potter erblickte, war er zuerst ungehalten und sagte: ich liebe es nicht, daß irgend jemand mir zuhört.

Selbst die Politik spielte eine Rolle in ihren Gesprächen. Gleich am ersten Tage des Zusammenseins stürzte sich Beethoven darauf und belegte die österreichische Regierung mit allen möglichen Namen. Er war [57] erfüllt von dem Gedanken, nach England zu kommen. Sein Wunsch wäre, sagte er, das Haus der Gemeinen zu sehen. »Ihr in England habt Köpfe auf euren Schultern.«

Von Interesse ist Potters Mitteilung, daß Beethoven fließend italienisch sprach, weniger geläufig französisch. Er muß also durch den Verkehr mit Salieri und anderen italienischen Künstlern den Antrieb erhalten haben, auch in dieser Sprache seine Kenntnis zu fördern, und war ja wiederholt in der Lage gewesen, italienische Texte zu komponieren. In dieser Sprache wurde meist die Unterhaltung geführt. Potter konnte sich ihm verständlich machen, wenn er durch die Höhlung seiner Hand zu seinem Ohre sprach; zuweilen freilich war es klar, daß er nicht gehört hatte; doch genügte es, wenn er das Nötige verstanden hatte.

Potter sah auch oft den Copisten Schlemmer. Als er aus einer Stelle gar nichts machen konnte, sagte Schlemmer: ich muß alles lesen. –

Ein anderer Besucher aus jenen Tagen, vielleicht noch gelegentlich während des folgenden Winters, war der damals 21 jährige Heinrich Marschner, welcher im Herbst 1817 von Karlsbad aus auf Einladung des Grafen Thaddée von Amadée nach Wien gekommen war.85 »Sein erstes Zusammentreffen mit Beethoven schilderte Marschner späterhin öfter mit Humor und gerechterer Würdigung als diejenige war, mit welcher er es im Augenblicke selbst auffaßte. Der einundzwanzigjährige Jüngling mochte freilich von dem Oberpriester der Tonkunst ein tieferes Eingehen auf die mitgebrachten Manuscripte erwartet haben, und sehnte sich nach Aufschlüssen über die Geheimnisse der Kunst, die er nur hier zu finden hoffte. Allein Beethoven liebte es nicht, viele Worte zu machen. Er nahm den jungen Menschen indeß ganz gut auf, sah die Manuscripte flüchtig durch, gab sie mit einem ›Hm!‹, das mehr Zufriedenheit als das Gegentheil aus drückte, zurück und sagte: ›Ich hab' nicht viel Zeit – nicht zu oft kommen – aber wieder was mitbringen.‹ Mochte nun der Eindruck von Beethovens Ton oder die plötzliche Enttäuschung zu hoch gespannter Erwartungen in dem jungen Mann eine augenblickliche Bestürzung und darauf folgende Leidenschaftlichkeit erregt haben, kurz, er kam wie verzweifelnd nach Hause, zerriß die Notenhefte, die er mitgenommen, packte seinen Koffer und wollte nach Leipzig zu dem begonnenen Brodstudium zurück, da er ja doch kein Talent zur Kunst besitze!

Bei diesen Anstalten und in dieser Stimmung trafen ihn der Graf [58] Amadée und der Professor Klein aus Preßburg. Der Auftritt bei Beethoven wurde ihnen in großer Aufregung erzählt, machte aber natürlich einen ganz anderen Eindruck auf sie, als auf den jungen Heißsporn; ihre Schilderung Beethovens rief in Marschner die Erinnerung an das Wohlwollen und die Innigkeit, die in dem Blicke des Meisters lagen, als er die wenigen Worte sprach, zurück, und als er nun gar erzählte, daß ihm Beethoven beim Abschiede freundlich die Hand gegeben, so wurde es den Freunden um so leichter, ein ganz anderes und wahreres Bild jener Scene in ihm hervorzurufen, als leidenschaftliche Aufregung ihm vorgespiegelt hatte. Spätere Besuche bei Beethoven zeigten, daß sich die Freunde nicht geirrt hatten; er war immer wohlwollend und ließ auch hier und da ein ermunterndes Wort fallen. Doch trat Marschner nicht in ein näheres Verhältniß zu ihm.« –

Eine dritte neue Bekanntschaft, welche Beethoven in diesem Jahre 1817 machte, war für ihn ohne Zweifel viel erfreulicher als irgendeine der anderen, wenn sie auch nicht die Bedeutung für ihn hatte, welche ihr Schindler (I. S. 95) beigelegt hat. Es war die Frau Marie Pachler-Koschak aus Gratz, welche ihn im August oder September 1817 besuchte.86 Beethoven hatte schon durch den Historiker Professor Schneller, dessen Schülerin sie lange gewesen war, und durch andere von ihrer ungewöhnlichen Schönheit, ihren Talenten, ihrer geistigen Bildung und ihrem musikalischen Genie gehört und von letzterem schon unbewußt einen besonderen Beweis erhalten. Ihr Schwager, Dr. iuris Anton Pachler in Wien, hatte in ihrem Auftrage eine von ihr komponierte Phantasie dem Meister zur Beurteilung vorgelegt, jedoch ohne ihren Namen zu nennen. »Beethoven,« schrieb Pachler am 17. Oktober 1816 an seine Schwägern (S. 17 der genannten Schrift) »war eben ein paar Tage vorher von Baaden zurückgekommen, das wußte ich, ich lief also spornstreichs zu ihm hin und traf ihn glücklicher Weise zu Hause Ich hielt Dir Wort und nannte keinen Compositeur, er durchlas das Stück aufmerksam und sagte am Ende, es sei sehr viel für Jemanden, der die Composition nicht studirt habe. Wenn er zugegen wäre, wolle er ihn auf die Mängel aufmerksam machen; aber schriftlich sei das zu weitläufig und nach fleißigem Studium der Composition würde der Compositeur selbst darauf aufmerksam werden.«

Marie Leopoldine Koschak war am 2. Oktbr. 1794 in Gratz [59] als die Tochter des geistreichen und angesehenen Advokaten Dr. Koschak geboren und erregte schon früh durch ihr Klavierspiel und ihr Kompositionstalent Aufsehen. In einem Konzerte am 22. Dez. 1811 spielte sie Beethovens Chorphantasie und hatte eine Zeitlang die Absicht, sich ganz der Kunst zu widmen; gab dieselbe aber im Interesse ihrer Familie auf (S. 12 der obengenannten Schrift). Am 12. Mai 1816 vermählte sie sich mit dem Advokaten Dr. Carl Pachler in Gratz. Ihr Haus wurde Mittelpunkt eines gebildeten Kreises; sie fuhr fort, solange es ihr das Hauswesen gestattete, die Kunst zu pflegen. Anselm Hüttenbrenner schreibt über sie: »Die Tochter des Advokaten Koschak war das schönste Fräulein und späterhin mehrere Jahre lang die schönste Frau in Gratz und ward die ›Himmelstochter‹ genannt. Sie glühte für Jean Paul, Göthe und Schiller, für Beethoven, Mozart und Schubert.«

1817 wurde ihr Wunsch erfüllt, Beethoven persönlich kennen zu lernen; ihr Schwager Anton führte sie im August oder September (nach Angabe des Sohnes) zu ihm; sie stand damals im 24. Jahre ihres Alters und im zweiten ihrer Ehe; sie war nie in Wien gewesen, Beethoven nie in Gratz; so konnten sie einander noch nie begegnet sein. Als dies geschah, konnte es nicht wie unter Fremden geschehen; Beethovens Musik war für sie gleichsam eine neue Offenbarung gewesen, und ihre hohen geistigen und körperlichen Vorzüge konnten in ihm wohl ein Gefühl wecken, welches der Verehrung glich. Leider ist über ihren damaligen Verkehr gar nichts bekannt, außer ihre 10 Jahre später getane Äußerung, »wir waren viel zusammen«, und dem Umstande, daß er ihr zwei Zettel mit Bleistift schrieb, von denen der eine völlig unlesbar ist, der andere in Ausdrücken abgefaßt ist, welche sie als Darstellerin seiner Klavierwerke sogar noch über Frau von Ertmann stellen. Er schreibt:


»Ich bin sehr erfreut, daß Sie noch einen Tag zugeben wir wollen noch viel Musik machen die Sonate ausf dur u. c moll spielen Sie mir doch? nicht wahr?

Ich habe noch niemand gefunden der meine Compositionen so gut vorträgt als Sie. Die große Pianonisten[sic] nicht ausgenommen, sie haben nur Mechanik oder Affektation.

Sie sind die wahre Pflegerin meiner Geistes Kinder –«87


Einen dritten Zettel schrieb er an Dr. Pachler, der nach Wien gekommen war, um seine Frau abzuholen. Dieser lud ihn nach Gratz ein und Beethoven antwortete:


[60] »Mein lieber P.


Nach der Meinung meines Arztes wäre eine mich zerstreuende Reise sehr zweckmäßig, es könnte daher wohl geschehen, daß ich von ihrem Antrage Gebrauch machte, versteht sich, daß ich gerne meinen Theil an Kosten trage und in Gratz nicht nöthig habe irgend jemanden zur Last zu fallen – ich bin morgen und vielleicht übermorgen noch hier, wohne auf der Landstraße Nr. 2182ten Stock – sie finden mich in der Frühe besondere gegen 8 Uhr immer zu Hause.88


Ihr

Freund

Beethoven m/p.«


Zu einer solchen Reise ist es weder damals noch später gekommen. Doch geht aus dieser Zuschrift und den übrigen Mitteilungen Pachters hervor, daß dieser Verkehr mit Pachler in Wien, nicht wie Thayer annahm, in Mödling stattfand.

Die Annahme Schindlers, Marie Pachler sei der Gegenstand von Beethovens »herbstlicher Liebe« gewesen, dürfte durch die Darlegung ihres Sohnes vollständig beseitigt sein; auch Hüttenbrenners Bemerkung, Beethoven solle ihr ein wenig den Hof gemacht haben, ändert daran nichts.89 Schindler war damals noch nicht Beethovens »Geheimsekretär ohne Gehalt«, sondern in Dr. Bachs Kanzlei mehrere Stunden täglich beschäftigt, und hatte schwerlich von den Ereignissen in Beethovens Umgebung nähere Kenntnis. Seine gewiß ehrlich ausgesprochene Behauptung war vielleicht nur eine Vermutung, welche sich Jahre nachher bei ihm bildete, als er in Beethovens Papieren folgenden Ausbruch des Gefühles fand. »Nur Liebe – ja nur sie vermag dir ein glücklicheres Leben zu geben, – o Gott laß mich sie – jene endlich finden – die mich in Tugend bestärkt – die mir erlaubt mein ist –

Baaden am 27ten Juli90

als die M. vorbeifuhr und es schien als blickte sie auf mich –«

[61] Dieser Buchstabe, wenn er wirklich ein M sein sollte, kann nach den Darlegungen hinsichtlich der Zeit in Pachlers Schrift nicht auf Marie Pachler bezogen werden, da er sie nie an einem 27. Juli hat vorbeifahren sehen können.

Unverheiratete Männer von empfindsamer Natur haben gewiß manchmal die bittere Erfahrung einer hoffnungslosen Leidenschaft gemacht und dann empfunden, wie doppelt dankenswert in solchen Zeiten der Verkehr mit einem so herrlichen Geschöpfe sein kann, wie es Frau Pachler war, und wie wohltätig, um die Gedanken davor zu bewahren, sich mit Unmöglichem zu beschäftigen, und der Vernunft und dem Gewissen darin beizustehen, daß sie den Sieg über Herz und Phantasie behaupten. Nun trifft es sich hier, daß eine von Beethovens vorübergehenden aber starken Neigungen zu einer verheirateten Frau, welche bekanntermaßen in diese Periode seines Lebens fallen und welche in einem früheren Kapitel erwähnt worden sind,91 ihr genau zu bestimmendes Datum durch folgende eigenhändige Bemerkungen in dem sogenannten »Tagebuche« aus den Jahren 1816 und 1817 erhält.

»Wegen T. ist nichts anders als Gott es anheim zu stellen, nie dort hin zu gehen, wo man Unrecht aus Schwachheit begehen könnte, nur ihm, ihm allein dem allwissenden Gott sei dieses überlassen.« Und ferner: »Jedoch gegen T. so gut als möglich ihre Anhänglichkeit verdient immer nie vergessen zu werden – Wenn auch leider nie davon vortheilhafte Folgen für dich entstehen könnten.« Man halte dazu die oben S. 20 fg. mitgeteilte Stelle, in welcher namentlich das Verlangen, weg zu reisen, stark betont wird, und lese nochmals folgende: »Ueber den Sommer arbeiten zum Reisen, dadurch nur kannst du das große Werk für Deinen armen Neffen vollführen, später Italien Sizilien durchwandern mit einigen Künstlern – mache Plane und sei getrost für C...« Der letztere Buchstabe ist ungewiß, andere Abschriften bieten L. Beethoven pflegt den Vornamen seines Neffen nicht mit C zu schreiben. Vielleicht meinte er wieder die T. Charakteristisch ist wieder folgende Stelle: »Die Schwachheiten der Natur sind durch die Natur selbst gegeben und die Herrscherin Vernunft soll sie durch ihre Stärke zu leiten und zu vermindern suchen.« Letzteres scheint darauf hinzuweisen, daß die Herrscherin Vernunft bereits gesiegt hatte.

[62] Da der Familienname der im Obigen erwähnten Dame bekannt ist92 – ihr Gatte war ein Mann von hoher Stellung und Ansehen, doch nicht von hoher Geburt –, so ist es gewiß, daß die »T« in den obigen Citaten nicht Therese Malfatti, jetzt Baronin Droßdick, war; da aber ihr Taufname nicht hat ermittelt werden können, so kann man nur die Möglichkeit andeuten, daß dieses T und das M (oder R) in dem obigen Zettel dieselbe Person bezeichnete, und daß jener Schmerzensruf ein oder zwei Jahre später geschrieben war, als der Anblick der M. eine halb geheilte Wunde für einen Augenblick wieder aufriß.

Damit werden wir wahrscheinlich Beethoven als Liebhaber zum letztenmal erwähnt haben. –

Noch vor dem Ende des Jahres trat er durch die Angelegenheit von Mälzls Metronom wieder in unmittelbare Beziehung zu musikalischen Bestrebungen. In Nr. 5–8 hatte die Wiener Allg. Mus. Zeitung aus der Feder F. S. Kandlers einen langen Artikel gebracht, welcher historische Notizen über verschiedene Versuche enthielt, für die Zeitmessung in der Musik ein zufriedenstellendes Instrument herzustellen und welcher mit einem aus dem Englischen übersetzten Berichte über Mälzls Metronom schloß. Nr. 25 (vom 19. Juni) brachte einen Beitrag von Gottfried Weber »Ueber eine chronometrische Tempobezeichnung, welche den Mälzlschen Metronomen, sowie jede andere Chronometer-Maschine entbehrlich macht«, und wiederholte darin seine schon 1813 in der Leipziger Musikzeitung dargelegte Idee, daß das einfachste und sicherste Chronometer ein einfaches Pendel sei, d.h. bloß irgendein kleines Gewicht, z.B. eine Bleikugel an einem Faden aufgehängt, dessen Schläge dann je nach seiner Länge den Taktteilen entsprechen. Dieser Artikel gefiel Beethoven, und in einer der vielen Variationen über das Thema der Federn schreibt er an Zmeskall:93


»Wohlgebohrenster! Clarissime amice!


mein ehemaliger Federschneider betet wahrscheinlich dort oben für mich, daß ich bald ohne Federn schreibe. – Lesen sie dieses über die chronometrische Tempobezeichnung. – Mir scheint es noch das beste hierüber erfundene – nächstens besprechen wir uns darüber – verlieren sie dieses ja nicht. –


In Eil

Ihr

Beethoven.«


[63] In Nr. 35. 36 (28. August und 4. September) ließ sich dann Zmeskall ausführlich über den Gegenstand aus, und machte zunächst darauf aufmerksam, daß ihm bereits Neate aus London einen in London schon bekannt gewesenen, aber nur kurze Zeit benutzten Taktmesser aufgezeichnet habe, der dem von Weber vorgeschlagenen ganz ähnlich war: »eine kleine Kugel an einen Faden hängend und darunter eine Linie in einige Zolle abgetheilt.« Er lobt grundsätzlich Webers Vorschlag, sucht denselben aber dadurch zu verbessern, daß er an die Stelle der Taktteile, welche das Pendel anzeigen soll, die Dauer einer bestimmten Note setzt, und schlägt vor, an dem Faden selbst durch eingeknüpfte Knötchen die Zollweiten zu bestimmen. Beethoven hatte den Artikel Zmeskalls, wie es scheint auch eine Probe seines »Zeitmessers« erhalten; darauf dürfte sich der folgende Brief beziehen, den Zmeskall von ihm am 10. September erhielt:


»Lieber Z.


Lassen Sie es noch mit der Probe bewenden,94 ich muß wieder zum Arzt dessen Hudeley ich doch endlich müde werde. –

Dank für ihren Zeitmesser –

Wir wollen sehen, ob sich hinüber damit bis in die Ewigkeit messen läßt, der Leichtigkeit und Begreiflichkeit des Ihrigen dürfte wohl nichts im Wege stehen –

Wir wollen unterdessen darüber eine Zusammen kunft halten obschon natürlich an einem Uhrwerke mehr mathematische Richtigkeit, so habe ich doch schon früher bei Ihren kleinen Versuchen in meiner Gegenwart mir manches mit ihrem Z. erklecklich gefunden, und ich hoffe, wir werden damit gänzlich zu rechte kommen.


bald sehe ich sie

ihr Freund

Beethoven.«


Vielleicht gehört auch folgender kleine mit Bleistift geschriebene zettel hierher:


»Mein lieber Z.


Es geht mir so ziemlich, da Sie wenn Sie gesund sind, immer hausiren, so kann ich Sie trotz meines besten Willens nicht finden, indessen frage ich mich einmal dieser Täge bei ihnen an. –


Wie immer

Ihr

Freund

Beethoven.«95


[64] Es war unterdessen schon Musik mit Mälzls Tempobezeichnung im Druck erschienen, und Weber, welcher ihm wie es scheint nicht freundlich gesinnt war, veröffentlichte in der auf Zmeskalls Artikel folgenden Nummer einen weiteren mit der Überschrift, »Mälzls Metronome überall umsonst zu haben;« und gibt eine Tabelle, welche die Pendellängen in Rheinischen Zollen und Französischen Centimetern zeigt, korrespondierend mit allen Zahlen des Metronoms. Schon nach der ersten englischen Ankündigung hatte der Metronom in England, Frankreich und den Vereinigten Staaten in weiterem Umfange Eingang gefunden, aber noch nicht in Deutschland und Österreich; es war von großer Wichtigkeit für den Verfertiger des Instruments, die Unterstützung und den guten Willen der Komponisten auch in diesen Ländern für sich zu gewinnen. So kehrte Mälzl nach Wien zurück, um die Wirkung persönlicher Bemühungen zu versuchen; er nahm dabei die Gefahr auf sich, daß der noch nicht entschiedene Prozeß zwischen ihm und Beethoven noch ernstliche Folgen nach sich ziehen könne. Das war aber nicht der Fall; die Sache wurde freundschaftlich beigelegt; beide Parteien zahlten die Hälfte der erwachsenen gesetzlichen Kosten. Das würde kaum glaublich sein, wenn Beethoven wesentliche Gründe für seine Klage gehabt hätte; denn seine Gutheißung des Metronoms war von solchem Werte, daß Mälzl bereitwillig vieles zugestanden hätte, um sie zu erhalten; und der ganze Ton von Beethovens Korrespondenz in dieser Periode, soweit sie sich auf seine Geldangelegenheiten bezieht, zeigt, wie wenig wahrscheinlich es war, daß er irgend einen gerechten Anspruch geopfert haben würde.

Beethoven war anfangs für das Instrument nicht sehr eingenommen; trotzdem hatte er sich 1813 mit Salieri und den übrigen Wiener Komponisten zu einer nachdrücklichen Empfehlung des »Chronometers« verbunden; dieses Zeugnisses bediente man sich in England wegen seines besonderen Gewichtes für den neuen Metronom

I. I. Mickley schrieb am 21. Mai 1873 aus Philadelphia folgendes an Thayer:


»Herr Mälzl, mit welchem ich wohlbekannt war, erzählte mir, daß er in besonderem Grade darauf begierig gewesen sei, daß Beethoven seine Musik nach seinem Metronom bezeichne und daß er seine Empfehlung erhalte, daß aber Beethoven dies anfange zurückwies und ganz unwillig wurde, indem er sagte ›es ist dummes Zeug, man muß die Tempos fühlen.‹96 Doch bald nachher gab er den einleuchtenden Betrachtungen zu Gunsten der Erfindung Gehör. Diese wurden dem Publikum zugleich mit den Einwänden gegen die Pendel[65] Webers und Zmeskalls in klarer und überzeugender Weise vorgeführt von Mosel in einem Artikel der Steinerschen Musikzeitung (27. Nov.), welcher der Kontroverse über den Gegenstand ein Ende machte.«97


Inzwischen hatte Beethoven eine Tabelle über die Tempi in seinen acht Symphonien aufgestellt, welche in der Leipziger Allg. Mus. Ztg. 17. Dez. 1817 gedruckt wurde,98 und setzte dies fort durch eine metronomische Bezeichnung seiner übrigen Werke oder wenigstens eines großen Teiles derselben. Auf das Autograph seines Liedes »Nord oder Süd« schrieb er: »100 nach Mälzl, doch kann dieß nur von den ersten Täkten gelten, denn die Empfindung hat auch ihren Takt, dieses ist aber doch nicht ganz in diesem Grade (100 nämlich) auszudrücken.«99

Wenn das Gemälde, welches Schindler und seine Nachschreiber von Mälzl geben, richtig ist, dann konnte auch die christlichste und zum Vergeben geneigteste Gesinnung kaum mehr von Beethoven verlangen, als die öffentliche Anerkennung des Wertes des Metronoms; schon dadurch sammelte er Mälzl »glühende Kohlen« aufs Haupt. Aber Beethoven tat noch mehr durch folgenden, für Mälzl sehr wertvollen, für uns hoch interessanten Brief an Mosel.100


»Euer Wohlgeboren!


Herzlich freut mich dieselbe Ansicht, welche Sie mit mir theilen in Ansehung der noch aus der Barbarei der Musik herrührenden Bezeichnungen des Zeitmaaßes, denn nur z.B. was kann widersinniger seyn als Allegro welches ein für allemal lustig heißt, und wie weit entfernt sind wir oft von dem Begriffe dieses Zeitmaaßes, so daß das Stück selbst das Gegentheil der Bezeichnung sagt. – Was diese 4 Hauptbewegungen betrifft, die aber bey weitem die Wahrheit oder Richtigkeit der 4 Hauptwinde nicht haben, so geben wir sie gern hindan, ein Anderes ist es mit den Karakter des Stückes [66] bezeichnenden Wörtern, solche können wir nicht aufgeben, da der Tact eigentlich mehr der Körper ist, diese aber schon selbst Bezug auf den Geist des Stückes haben – – Was mich angeht, so habe ich schon lange drauf gedacht, diese widersinnigen Benennungen Allegro, Andante, Adagio, Presto aufzugeben; Mälzls Metronom gibt uns hiezu die beste Gelegenheit. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich sie in allen meinen neuen Compositionen nicht mehr gebrauchen werde – eine andere Frage ist es ob wir hiedurch die so nöthige Allgemeinheit des M. bezwecken werden, ich glaube kaum! Daß man uns aber als Zwingherren ausschreien wird, daran zweifle ich nicht, wäre nur der Sache selbst damit gedient, so wäre es noch immer besser als uns des Feudalismus zu beschuldigen – Daher glaube ich, das beste sey besonders für unsere Länder, wo einmal Musik Nationalbedürfniß geworden, und jedem Dorfschulmeister der Gebrauch des Metr. gefördert werden muß, daß Mälzel eine gewisse Anzahl Metronome auf Pränumerazion suche anzubringen zu den höheren Preisen und sobald diese Zahl ihn deckt, so wird er im Stande seyn, die übrigen nöthigen Metron. für das musikalische Nationalbedürfniß so wohlfeil zu geben, daß wir sicher die größte Allgemeinheit und Verbreitung davon erwarten können. – Es versteht sich von selbst, daß sich einige hierbey an die Spitze stellen müssen, um Aneiferung zu erwecken. Was an mir liegt, so können Sie sicher auf mich rechnen, und mit Vergnügen erwarte ich den Posten, welchen Sie mir hiebey anweisen werden. –


Euer Wohlgeboren

mit Hochachtung

ergebenster

Ludwig van Beethoven.«


Und er tat noch mehr; er verband sich mit Salieri zu folgender


Erklärung.101


»Mälzels Metronom


ist da! – Die Nützlichkeit seiner Erfindung wird sich immer mehr bewähren; auch haben alle Autoren Deutschlands, Englands, Frankreichs ihn angenommen; wir haben aber nicht für unnöthig erachtet, ihn zufolge unserer Überzeugung auch allen Anfängern und Schülern, sey es im Gesange, dem Pianoforte oder irgend einem andern Instrument, als nützlich, ja unentbehrlich anzuempfehlen. Sie werden durch den Gebrauch desselben auf die leichteste Weise den Werth der Note einsehen und ausüben lernen, auch in kürzester Zeit dahin gebracht werden, ohne Schwierigkeit mit Begleitung ungestört vorzutragen; denn indem der Schüler bey der gehörigen Vorrichtung und vom Lehrer gegebenen Anleitung auch in Abwesenheit desselben nicht außer dem Zeitmaße nach Willkühr singen oder spielen kann, so wird damit sein Taktgefühl in kurzem so geleitet und berichtiget, daß es für ihn in dieser [67] Sache bald keine Schwierigkeit mehr geben wird. – Wir glaubten, diese so gemeinnützige Mälzelsche Erfindung auch von dieser Seite beleuchten zu müssen, da es scheint, daß sie in dieser Hinsicht noch nicht genug beherziget worden ist.


Ludwig van Beethoven.

Anton Salieri.«


An einem der letzten Tage des Dezember schrieb Beethoven an Frau Streicher: »Vorgestern hatte ich mit Mälzel, der sehr pressirt ist, da er bald von hier abreist, zu thun.« Worauf sich diese Unterhandlungen mit Mälzl bezogen, können wir nicht wissen; vielleicht sollten weitere Schritte zur Einführung des Metronoms getan, vielleicht die Presse noch weiter in Anspruch genommen werden. Auf der Hamburger Stadtbibliothek befindet sich ein Brief Beethovens an einen unbekannten Adressaten, der sich auf die Sache bezieht und an die Leitung irgend einer Zeitung gerichtet ist:102


»Euer Wohlgeboren!


Ich ersuche Sie hiermit, von Hrn. Mälzel, was er ihnen angibt, nichts eher einrücken zu lassen, bis ich selbst mit ihm zu ihnen komme – da schon mehreres hervorgekommen in den Blättern, was allen unange nehm ist, die dazu beigetragen, denn bei einer so schönen und heiligen Sache, ist keiner der erste und keiner der letzte, sondern alle sind gleich, ich wünsche daher, daß sie die Gefälligkeit haben, nichts eher einrücken zu lassen, als bis ich mit ihnen die Ehre gehabt zu sprechen, welches zwischen heute und morgen unfehlbar geschehen wird.


Euer Wohlgeboren

ergebener Diener

Ludwig van Beethoven.«


Weiter gab die Sache zu folgendem Scherze an Steiner Veranlassung, welcher auch in die letzte Zeit dieses Jahres fallen mag:103


»Mein lieber Steiner, Sobald sie mir die Oper, welche ich brauche, warum habe ich ihnen gesagt, schicken, können Sie die stimmen der Sinfonie jeden Augenblick haben – nicht vertragsmäßig – sondern aus Gefälligkeit geschieht dieses – Beleidigungen beantworte ich gar nicht. Alles Uebrige wie und warum ich es habe bin ich jeden Augenblick bereit zu verantworten.


Ihr ergebenster

L. v. Beethoven.


Se. Majest. haben aus a. h. eigenem Antriebe befohlen, daß der Metronom von Mälzl im Finanzministerium eingeführt werde, und nach demselben das Tempo der Finanzen zu bestimmen. Siehe Allg. K. K. österr. Musik Ztg.«


[68] Das Absingen des Kanons »ta ta ta« unter Mälzls Mitwirkung verlegt später Schindler in einer Unterhaltung von 1824 in den Dezember 1817, was zu dem übrigen stimmt; wir verweisen über diesen Punkt auf Bd. III S. 222, wo auch über das Verhältnis dieses Kanons zum Allegretto der 8. Symphonie das Nötige gesagt ist. In seiner Biographie (I S. 237) gibt er wieder einen auffallenden Beweis seiner Gedächtnisschwäche. Er erzählt dort im Anschlusse an den Prozeß:104 »Die Gerichtskosten wurden ›zu gleichen Teilen‹ aufgehoben. Maelzel kam niemals wieder nach Wien zurück, suchte aber den hintergangenen Freund späterhin noch brieflich auf, als er dessen Empfehlung für seinen Metronom zu bedürfen glaubte. Dieser Brief vom 19. April 1818 aus Paris befindet sich hier.« Er hatte ganz vergessen, daß er selbst noch 1824, als er mehrere Werke Beethovens im Josephstädter Theater zur Aufführung brachte, in einem Gespräche Beethoven den Dezember 1817 als die wahrscheinliche Zeit der Absingung des Kanons mit Mälzl angegeben hatte. Von Beethovens Bemühungen zu Gunsten des Metronoms scheint er wenig zu wissen, jedenfalls was er wußte nicht zu würdigen. 1820 hatte er zu den bereits Bd. III S. 222 mitgeteilten Worten zugefügt: »Von Mälzel hört man jetzt gar nicht.« In dem Briefe vom 19. April 1818, der ganz freundschaftlich gehalten ist und das Fortbestehen eines guten Verhältnisses empfinden läßt, macht Mälzl dem Meister von dem Fortgange seiner Sache in Paris Mitteilung. Er hatte Beethovens Brief an Mosel ins Französische übersetzen lassen, welcher dort große Sensation machte und die Pariser Komponisten zu einer Erklärung veranlaßte, nach welcher sie sich der metronomischen Bezeichnung ausschließlich bedienen wollten Er legt ihm ein Exemplar eines Tableaus bei, welches den Komponisten an die Hand geben wolle, »welche Bezeichnungsarten sie in allen Taktarten zu wählen haben, je nachdem das Musikstück ein langsames, mäßiges oder geschwindes Tempo hat.« Noch in den Unterhaltungen von 1825 spricht Schlesinger aus Paris u.a., wie der Sinn ergibt, von Mälzl; er sei böse auf Beethoven, weil er nicht mehr nach dem Metronom bezeichne. »Der arme Mann lebt davon und hält darauf, daß die ersten ihn gebrauchen.« Die Metronomisierung der 9. Symphonie war erfolgt, die der großen Messe beabsichtigt; es war nicht Beethovens Absicht, sie weiterhin zu unterlassen.

Damit sei dieser Gegenstand geschlossen. –

[69] Beethoven hatte nunmehr zugegriffen und die Wohnung in der Gärtnergasse gemietet, in welcher er die neue Haushaltung einrichten wollte.105 Bei der Einrichtung und Beaufsichtigung derselben war ihm wieder die Hülfe der Frau Streicher von großem Werte; wir verweisen in dieser Hinsicht auf die Briefe im Anhang.

In die Zeit der Einrichtung einer eigenen Haushaltung müssen auch die Fragen gehören, welche Beethoven hinsichtlich der Beköstigung der Dienstboten aufschrieb und die Schindler I. S. 254 zum Teil mitgeteilt hat. Beethoven nahm einen großen Bogen und schrieb auf die erste Halbseite eine Anzahl Fragen auf, an irgend einen erfahrenen Hauswirt (vermutlich doch wohl Frau Streicher) gerichtet, die dann von der gefälligen Hand des Gefragten auf der folgenden Seite ausführlich beantwortet werden. Der Bogen, aus Schindlers Nachlaß, befindet sich auf der Berliner Bibliothek; die Fragen sind folgende (»zur Einrichtung einer eigenen Haushaltung um 1816 oder 1817« nach Schindler):


»was gibt man 2 Dienstleuten mittags u. Abends zu essen sowohl in der qualität als quantitaet

wie oft gibt man ihnen Braten?

geschieht dies Mittags u. Abends zugleich?

das was den Dienstleuten bestimmt ist, haben sie dieses gemein mit den speisen des Herrn, oder machen sie sich solches besondere d.h. machen sie sich hiezu andere speisen als der Herr hat?

Wie viel Pfund Fleisch rechnet man auf 3 person?

wie viel Brodtgeld die Haußhälterin und Dienst- Magd täglich?

wie wird es gehalten beim waschen?

bekommen die Haußhälterin u. Dienst-Magd mehr?

wie viel Wein u. Bier?

gibt man ihnen solches u. wann?

Frühstück?«


Die eingehenden Beantwortungen mitzuteilen dürfen wir uns wohl ersparen. Zu bemerken ist nur, daß ein Teil (der Schluß) der Antwort am heiligen Abend niedergeschrieben ist. Hat die Verhandlung um die Weihnachtszeit 1817 stattgefunden, so würde das mit der Zeit der Einrichtung [70] der Haushaltung ungefähr übereinstimmen. Rührend, daß der große Mann, der gerade mit der B dur- Sonate und den Vorarbeiten der 9. Symphonie beschäftigt war, sich um diese kleinen und alltäglichen Dinge kümmern muß.

Nun sollte auch die Absicht, den Neffen zu sich zu nehmen, ausgeführt werden; das machte er Giannatasio in folgendem Briefe bekannt:


»Wien am 12. November 1817.


P. P.


Veränderte Verhältnisse könnten wohl machen daß ich Karl nicht länger als bis zu ende dieses Vierteljahres bey ihnen lassen kann, in so fern bin ich gezwun gen ihnen für das künftige Vierteljahr aufzusagen, so hart mir diese Aufkündigung ist, so leidet die Beschränktheit meiner Umstände nicht, sie dessen entheben zu können, weil ich sonst gerne u. als geringen Zoll meiner Dankbarkeit ihnen in dem Augenblicke, wo ich Karl von ihnen genommen, gern auch ein ganzes Vierteljahr mit größtem Vergnügen eingehändigt hätte, ich wünsche, daß Sie diese meine Gesinnungen hierin ja als wahr u. rein erkennen mögen, sollte ich unterdessen Karl wieder das künftige Vierteljahr von Februar an gerechnet bei ihnen lassen können, so werde ich ihnen dieses im Monath Januar, 1818, gleich anfangs zu wissen machen, um diese Begünstigung muß ich sie bitten, u. ich hoffe sie werden mich hierin nicht umsonst bitten lassen, genieße ich eine vollkommere [sic] Gesundheit, so daß ich wieder mehr verdienen kann, so werde ich ihnen noch außerdem mich dankbarer zeigen, da ich viel zu sehr weiß, wie viel sie noch für Karl thun, was ihnen eigentlich gar nicht zuzumuthen wäre, u. wirklich kann ich sagen, daß ich hierin mein unvermögen in diesem Augenblick bekennen muß, thut mir sehr wehe. – Ich bin wie immer mit vollkommener Hochachtung


ihr Freund

L. v. Beethoven.«


Der Neffe war um diese Zeit krank, wodurch die vorstehenden Außerungen erläutert werden. Am 21. November schreibt Fanny Giannatasio ins Tagebuch: »Wir haben mehrere Kranke, worunter Louis Pacher und Beethoven, welche besonders der guten Mutter viel zu schaffen machen.« Es waren wahrscheinlich die Masern, welche im Institut grassierten.

Der Entschluß, den Neffen zu sich zu nehmen, brachte nicht nur eine Vermehrung seiner Ausgaben mit sich, sondern auch das Aufgeben seiner Verabredungen mit der philharmonischen Gesellschaft in London und aller der Vorteile, die ihm daraus erwachsen konnten.

Giannatasio, ergriffen von Beethovens Klagen über seine Armut, und vielleicht auch von dem Wunsche geleitet, ihm bei dem beabsichtigten Besuche in London behülflich zu sein, machte ihm das liebenswürdige Anerbieten, den Knaben für einen herabgesetzten Preis für Wohnung und [71] Unterricht zu übernehmen. Beethovens Antwort scheint anzudeuten, daß er wegen seiner Pläne für das bevorstehende Frühjahr noch nicht fest entschlossen war, und es ist möglich, daß er, wenn er die verlangten Symphonien hätte fertig machen können, doch vielleicht nach England gegangen wäre.106 Jetzt aber hatte die neue Sonate vollständig von seiner Phantasie Besitz ergriffen, und die Symphonien mußten warten.

An Giannatasio schreibt er:107


»Werther Freund!


Sehr beschäftigt u. sonst noch immer nicht ganz hergestellt war es mir nicht möglich ihnen noch auf ihr freundschaftliches Schreiben zu antworten – was ihren Antrag anbelangt, so verdient er eben so viel Dank als Ueberlegung, ich muß sagen, daß ich früher schon auch diese Idee mit Karl gehabt, für diesen Augenblick aber bin ich in den unbestimmbarsten Verhältnissen, eben darum habe ich mir auch vorbehalten u. sie eben gebeten dieses anzunehmen, nemlich: den letzten Monath dieses Quartals ihnen zu sagen, ob Karl noch künftig bei ihnen bleiben könne, auf diese Weise ist nichts übereilt u. nichts gestört, übrigens weiß ich recht gut, daß es gar nicht wohlfeiler sein kann, so wie Karl jetzt bei ihnen ist oder auch nach ihrem letzten Vorschlag, u. eben deswegen habe ich ihnen nur in meinem Schreiben andeuten wollen, wie gern ich noch zu dem gewöhnlichen Honorar ihnen meine Dankbarkeit noch auf eine außerordentliche Weise gezeigt hätte, wenn ich von Unvermögen gesprochen, so ist dieses nur hierin so gemeint gewesen, nicht um weniger für Karl anzuwenden, im Gegentheil ich weiß daß mich seine Bildung auf jede andere Art höher zu stehen kommen würde als bei ihnen, indessen hat jeder Vater mit der Bildung seiner Kinder so viel möglich seinen Zweck, so ich auch mit Karl, Es wird sich nun wohl bald finden, was das beste für K. sei, mag dies nun sein, daß er bei ihnen auf die eine oder die andere Art sei, oder wie sonst, vor der Hand habe ich mich nur nicht binden wollen, hierin mit völliger Freyheit u. so wie es das Interesse Karls mit sich bringt, handeln zu können. –

Große Opfer kostet mich freylich Karl, allein mehr wegen ihm habe ich nur hievon gesprochen, denn, wer weiß wie seine Mutter einmal Einfluß auf ihn erlangt, welche sich durchaus einer Königin der Nacht immer würdig zeigen will, sprengt sie doch überall aus, daß ich nicht das mindeste sondern sie alles für Karl bezahlt u. bezahle, u. da wir nun eben bei ihr angelangt sind, danke ich ihnen für ihren wahrhaft einsichtsvollen Brief, er wird auf [72] jeden Fall für mich wichtig sein, hiebei bitte ich sie Herrn v. Leopold Schmerling [so] zu bitten, daß er mich gefälligst bei seinem Hr. Bruder entschuldige, weil ich noch nicht zu ihm gekommen bin, zum theil sehr beschäftigt, zum theil noch immer kränkelnd, war es mir wirklich beinahe unmöglich, denke ich noch dieser so oft besprochenen sache, so mögte ich ihn lieber in jeder andern Hinsicht besuchen als eben dieser sache wegen. Sie schickt nicht zu mir u. so habe ich auch nicht die Zusammenkünste mit ihrem Sohne zu befördern, was die andere Geschichte anbelangt, so hör ich schon auch von andern, daß hier nur Zwangsmittel anzuwenden, das kostet mich nun wieder neuerdings Geld, hauptsächlich habe ich dieses Hr. Dr. Adlersburg zu verdanken, da aber Karls Erziehung so viel als möglich unabhängig von seiner Mutter muß festgestellt werden auch wegen der Zukunft, so muß auch dieses noch geschehen. –


mit Hochachtung ihr wahrer Freund

L. v. Beethoven.«


Die Fortsetzung dieser Angelegenheit wird im folgenden Jahre zur Erwähnung kommen; an dieser Stelle wird von Mitteilung weiterer Briefe an Giannatasio abgesehen. Wir schließen an dieser Stelle die Mitteilungen mit einer Äußerung der Fanny Giannatasio, welche am 23. Dezember in ihr Tagebuch schreibt, sie habe Beethovens herrliche Ouvertüre zu Egmont gehört. »Entzückt wie gewöhnlich, und das wehmüthige Gefühl, daß dieser Mensch nicht glücklich ist.« –

Unter denen, mit welchen Beethoven in diesem Jahre korrespondierte, befand sich auch der damals junge Ferd. Kessler aus Frankfurt a/M., welcher ihm geschrieben hatte, daß er ein Arrangement des Fidelio angefertigt habe. Beethovens freundliche und ermunternde Antwort ist seinerzeit in London auf einer Auktion verkauft worden und kommt vielleicht noch einmal ans Tageslicht.

Die letzten Tage des Jahres waren Beethoven, der mit den Sorgen des neuen Haushalts belastet war, durch eigenes Unwohlsein und durch Schwierigkeiten mit den Dienstleuten verbittert. Wir nehmen hier Bezug auf den Brief, welchen er zu Neujahr an Frau Streicher schrieb, und den man im Anhange findet.

Vielleicht gehört in dieses Jahr, jedenfalls in diese Zeit, ein Ölbild Beethovens, welches der Maler Christoph Heckel, 1814–18 Schüler der K. K. Akademie in Wien, der Beethoven bei Streichers kennen gelernt hatte, gemalt hat, wie es heißt in deren Pianofortesaal. Dasselbe befindet sich in Mannheim in Heckels Musikhandlung.108

[73] Eine kurze Erwähnung wird an dieser Stelle die Zunahme von Beethovens Taubheit verdienen. Czerny, welcher gerade in diesen Jahren Beethoven oft sah, erzählte O. Jahn, daß es seit 1812 bis um das Jahr 1816 nach und nach immer schwerer wurde, sich ihm, ohne zu schreien, verständlich zu machen. »Aber erst um das Jahr 1817 wurde die Taubheit so stark, daß er auch die Musik nicht mehr vernehmen konnte, und dauerte darnach durch ungefähr 8 bis 10 Jahre bis an sein Ende.« Und ferner: »bis um das Jahr 1816 konnte er sich noch (mittelst Maschinen) spielen hören, später wurde auch das immer schwerer und er mußte nun auf sein inneres Gehör, seine Fantasie und Erfahrung sich stützen.« Damit vergleiche man auch Schindlers Bemerkungen in der Niederrheinischen Musikzeitung 1854 Nr. 28, der nur die Hörfähigkeit mit Rücksicht auf Musik etwas weiter ausdehnt, dann aber u.a. sagt: »Für mündliche Conversation war Beethovens Gehör schon im Laufe von 1818, selbst mit Hülfe der Sprachrohre, zu schwach, und mußte von da an zur Schrift Zuflucht genommen werden.« –

Nur ein einziges persönliches Erscheinen in der Öffentlichkeit kann für dieses Jahr festgestellt werden. Zwar wurde am 30. und 31. März die siebente Symphonie und Christus am Ölberg im Burgtheater im Konzerte für den Witwen- und Waisenfonds aufgeführt; es ist aber nicht festgestellt, ob Beethoven dirigierte, und da in der Symphonie beide Male das Scherzo wegblieb, ist es durchaus unwahrscheinlich. Am 15. November spielte Anton Halm im Kärnthnerthor-Theater in einem Konzerte für die Armen Beethovens Chorphantasie; auch da wissen wir nichts von einer Beteiligung Beethovens. Als aber am 25. Dezember im Redoutensaal, im ersten Teile des Konzerts für den Bürgerspitalfonds, die 8. Symphonie aufgeführt wurde, geschah dies unter der Leitung des Komponisten.109 Über den zweiten Teil erzählt uns Seyfried in seiner Selbstbiographie folgendes: »Zur jährlichen Bürgerakademie am Weihnachtstage führte ich Ph. Em. Bachs Oratorium ›die Israeliten in der Wüste‹ auf; ich vermehrte die Instrumentalbegleitung, kürzte die Arien in den›da Capo's‹ ab, fügte die bekannte Fuge über des Meisters Namen: B. A. C. H., für das volle Orchester gearbeitet, als Ouvertüre bei, und legte zum Finale den majestätischen Doppelchor ›Heilig, heilig, heilig‹ ein.« –

Von diesem Zeitpunkte an, meint Thayer, faßte Beethoven den Vorsatz, eine Ouvertüre über den Namen Bach zu schreiben. Die von Nottebohm [74] bekannt gemachten Skizzen und Notizen für eine solche gehören aber einer späteren Zeit an. Immerhin kann der Gedanke durch eine solche Aufführung angeregt worden sein. –

Über die Kompositionen, welche in dieses Jahr fallen, ist noch einiges nachzutragen; es war schon angedeutet, daß das Jahr 1817, von Krankheit und Sorgen umdüstert, von allen das unfruchtbarste war. Das »bearbeitete Quintett«, die größte Arbeit des Jahres, und der »Gesang der Mönche« bei Krumpholz' Tode waren schon oben erwähnt. Dann sind ein paar kurze Lieder mit Klavierbegleitung zu nennen. Als Beilage zur »Wiener Moden-Zeitung« erschien am 15 Februar 1817 das Lied von Karl Lappe »So oder so« (»Nord oder Süd! Wenn nur im warmen Busen ein Heiligthum der Schönheit und der Musen, ein götterreicher Himmel blüht!« u.s.w., 6 Strophen, alle zu derselben Melodie). Das Lied war ehemals mit einer Melodie von K. Klage sehr beliebt; die Komposition Beethovens scheint weniger bekannt geworden zu sein.110 Der Text, welcher die Macht des inneren Geistes- und Gemütslebens über alle äußeren Gegensätze betont, entsprach ganz der idealen Lebensanschauung Beethovens; er hat ihm in einfacher, schön singbarer Weise sprechenden Ausdruck gegeben. Bemerkenswert sind, im Anschlusse an die uns bekannten brieflichen Äußerungen, die deutschen Bezeichnungen: »ziemlich lebhaft und entschlossen«, »etwas zögernd bis zum ersten Zeitmaß«. In ähnlicher Weise aus seiner Gemütsstimmung, nur einer viel trüberen, hervorgegangen ist das Lied »Resignation« von Paul Graf v. Haugwitz (»Lisch aus, mein Licht! was dir gebricht, das ist nun fort, an diesem Ort kannst du's nicht wieder finden!«); dasselbe ist gegen Ende des Jahres komponiert111 und erschien am 31. März 1818 als Beilage zu der»Wiener Zeitschrift für Kunst«.112 In seinen gebrochenen Figuren bei organischer melodischer Gestaltung, wobei er auch dem Texte ausdrucksvoll nachzugehen beflissen ist, gibt es ganz die gedrückte [75] Stimmung wieder, welcher Beethoven in diesem Jahre verfallen war.113 Etwas frühere Skizzen zu diesem Liede lassen erkennen, daß er den Text anfangs vierstimmig setzen wollte. Wie nahe seinem Empfinden dieses Lied stand, geht daraus hervor, daß er den Verleger der Zeitschrift ersucht, dem Dichter für den Impuls zu so »glücklicher Inspiration« seinen Dank mitzuteilen. Das berichtet Schindler (II. S. 156), der das Lied »zwar eines der kürzesten, in Hinsicht aber des Gehaltes eine der seltensten Perlen in des Meisters Liedersammlung« nennt. Darin werden wir ihm sicherlich beistimmen.

Aus derselben Zeit stammt noch ein kurzer Instrumentalsatz, die Fuge in D dur für fünf Streichinstrumente.114 Sie war am 28. Nov. 1817 fertig und war für die von Haslinger veranstaltete geschriebene Sammlung von Beethovens Werken (jetzt der Gesellschaft der Musikfreunde gehörig) bestimmt; bei Haslinger wurde sie bald nach Beethovens Tode 1827 als Op. 137 herausgegeben. Es war die Zeit, in welcher die Neigung zur Fugenkomposition bei Beethoven besonders lebendig erwacht war, von der er schon in den vorhergegangenen Werken Proben abgelegt hatte, und die ihn dann nicht mehr verlassen hat; er wollte der durch Bach ihm wert gewordenen Form Ehre antun und ihr wo möglich einen neuen Geist einhauchen. »Eine Fuge zu machen,« sagte er später zu Holz,115 »ist keine Kunst, ich habe deren zu Dutzenden in meiner Studienzeit gemacht. Aber die Phantasie will auch ihr Recht behaupten, und heut zu Tage muß in die alt hergebrachte Form ein anderes, ein wirklich poetisches Element kommen.« In dem Skizzenbuche, welches den Schluß unserer Quintettfuge enthält,116 finden sich verschiedene Aufzeichnungen nach Bach und anderen, welche zeigen, wie eifrig er damals diesem Studium hingegeben war. Daß die vorliegende Fuge, für welche ein charakteristisches und ausgiebiges Thema gewählt ist, meisterlich gesetzt ist und Beethoven die Form auch in ihren besonderen Feinheiten (Umkehrung u. dgl.) sicher und frei behandelt und zu guter tonlicher Wirkung bringt, wird man als selbstverständlich ansehen; aber bei voller Würdigung des Kunstverstandes [76] und der strengen Zucht an sich selbst werden wir doch in dem kleinen Werke im wesentlichen eine Studie sehen dürfen und eine tiefere Wirkung auf das Gemüt von demselben nicht erwarten.

Außer diesen Arbeiten wurde, wie die Skizzen ergeben, im Jahre 1817 an der B dur- Sonate Op. 106 gearbeitet, und auch die Anfänge der 9. Symphonie reichen in dieses Jahr zurück, in welchem er ja die Einladung nach London erhalten hatte. –

Die Zahl der 1817 erschienenen Kompositionen ist ebenfalls sehr gering. Es sind, so viel wir sehen,

1) die Sonate für Klavier in A dur Op. 101, bei Steiner u. Co.;

2) die beiden Sonaten für Klavier und VioloncellOp. 102, welche zuerst Simrock in Bonn und zwar, wie es scheint, Januar 1817 herausgab, später 1819 Artaria;

3) das Lied »So oder so«, am 25. Febr. 1817 als Beilage zur Wiener Modenzeitung;

4) das Lied »Ruf vom Berge« als Beilage zu Treitschkes Gedichten, für welche es am Ende des vorherigen Jahres komponiert war. In einer Anzeige von Treitschkes Gedichten (in Kannes Allg. Mus. Zeitung 1817 S. 199) wird auch dieses Lied erwähnt. Wir fügen hier nachträglich einen kurzen Brief Beethovens an Treitschke ein, der aus diesem Jahre stammen muß:117


»Bester! Dichtester und Trachtester! Schicken sie gefälligst das Manuskript des Liedes in A € zu Steiner im Pater-Unser gassel, es sind einige Fehler in dem gestochenen, sie können nach Verbesserung der Fehler – im Fall etwas daran liegt, das Manuskript sogleich von Steiner erhalten.


Ihr Freund

Beethoven.«


»Meinen Dank für das

Exemplar ihrer Gedichte.«


5) Der Kanon »Lerne Schweigen« für Neate (s. Bd. III S. 367) in der Beilage von Kannes Allg. Mus. Zeitung vom 6. März 1817 und 5. Juni 1817 (mit Payers Auflösung).

6) Der 3. Band der von Thomson veranstalteten Sammlung wallisischer Melodien, vgl. Thayer Chron. Verz. 175. Nottebohm Themat. Verz. S. 173. –

Fußnoten

1 Das Diplom war vom 16. Juli 1818.


2 Noch 1826 erscheint Kanne unter denjenigen, die für Beethoven Texte schreiben sollten. Nach dem Konv.-Buche dachte Beethoven an Goethes Claudine und ersuchte Kanne, sie abzuändern. Kanne ließ ihm sagen, er getraue sich nicht, an Goethes Werk Hand zu legen.


3 Hanslick, Concertwesen in Wien S. 168.


4 Schindler Bd. I S. 263–264.


5 Im Tagebuche steht: »K. betrachtest du als dein eigenes Kind, alle Schwätzereien alle Kleinigkeiten achte nicht über diesen heiligen Zweck.

Hart ist der Zustand jetzt für dich, doch der droben, o er ist, ohne ihn ist nichts.«


6 Schindler, Einleitung I S. XVII.


7 Beethoven schreibt dies der Krankheit zu, an der er seit dem 15. Okt. 1816 litt, s. die weiter folgenden Briefe.


8 Eine Auswahl aus Beethovens Briefen an Frau von Streicher geben wir in Anhang I. Sie erläutern sich größtentheils selbst oder gewinnen ihre Erläuterung durch Heranziehung der bezüglichen Stelle unseres Textes. Der Text kann mit ihm so wenig wie mit allen Zuschriften an Zmeskall belastet werden, so charakteristisch sie an sich sind. Die wichtigeren Briefchen an Zmeskall werden an ihrer Stelle mitgetheilt.


9 Vgl. Anh. 2.


10 Das Datum 1816 war unrichtig, da Fürst Lobkowitz am 15. Dezember 1816 gestorben war. Der Brief ist abgedruckt bei Nohl N. Br. S. 154.


11 In der Orthographie etc. folgen wir der uns vorliegenden Abschrift. Der Brief war von Beethoven eigenhändig geschrieben und ohne Correctur,


12 Derselbe befindet sich in Wien auf der K. K. Hofbibliothek.


13 Es befindet sich auf der Wiener Hofbibliothek. Gedruckt ist er bei Nohl Br. B. Nr. 175.


14 Anzeige in der Theaterzeitung 1817 5. April.


15 Der kleine Brief steht in Seyfrieds Studien, Anh. S. 35; danach bei Nohl Br. b. 176. G–s ist Generalissimus, d.i. Beethoven; G–ll –t (= Generallieutenant) ist Steiner, sein Adjutant Haslinger.


16 Auf dem Autograph der Sonate steht (nach Nottebohm 2. Beeth. S. 344) »1816 im Monath November«. Die Zeit des Erscheinens geht aus der Anzeige in. Kanne's Musikzeitung hervor (23. Jan. 1817), s. Thayers chron. Verz. Nr. 199. – Ist Beethovens Datirung richtig und ebenso die der Anzeige, dann kann die Sonate wohl nicht schon im Februar 1816 öffentlich gespielt worden sein, wie Schindler (I. S. 240) angiebt; Nottebohm bestreitet dies. Kalischer (Deutsche Musikerzeit. 1904 S. 366) hielt Beethovens Datum nicht für richtig und verlegte die Sonate in das Jahr 1815. Wir hoffen darauf noch zurückzukommen.


17 Beethoven war im Zweifel, ob es Hammer- und Hämmerklavier (oder Hämmerflügel) heißen müsse, vgl. Nottenbohm II. Beeth. S. 344.


18 Daraus geht wie mir scheint hervor, daß Frau von Ertmann ein gedrucktes, nicht ein geschriebenes Exemplar erhalten sollte.


19 Der Brief folgt hier nach O. Jahns Abschrift, welche stellenweise von dem Druck bei Seyfried abweicht.


20 Seyfried: Symphonie in A.


21 »Der Welt« druckt Seyfried und nach ihm Nohl.


22 So nach Seyfried die Unterschrift; Jahns Abschrift hat nur »L. v. Bbn.«


23 Den Brief hat Beethoven irrtümlich vom 23. Febr. 1816 datiert; nach den bestimmten Nachrichten über das Erscheinen der Sonate mußte es 1817 heißen. Thayer hatte ihn daher bereits bei 1816 (Bd. III der 1. Auflage S. 384) mitgeteilt und deutete die Sendung auf ein handschriftliches Exemplar, was, wie aus Obigem hervorgeht, nicht wohl angeht. Unter den 1816 erschienenen Sachen führt Thayer die Sonate nicht an. Auch Schindler (I S. 243) hatte sich an das unrichtige Datum gehalten. Nohl (Br. B. 174)setzt das Datum richtig an. Vgl. auch Kalischer, Deutsche Musikerzeitung 1904 S. 443, der die Möglichkeit nicht ausschließt, daß ein geschriebenes Exemplar übersandt wurde.


24 So nach Jahn, andere lasen L.


25 Johann Hamatsch.


26 Das Original besitzt Herr Charles Neate in Brighton in England. Der Brief ist nach der Abschrift aus Jahns Nachlaß jetzt gedruckt bei Kalischer R. B. B. S. 51.


27 Nahm Beethoven wirklich im April an, daß der drei Monate vorher erfolgte Druck der Sonaten bei Simrock in Bonn in London noch unbekannt war?


28 Nach Kalischer Gräfin v. Genney, welche in den Konversationsheften von 1822/23 vorkommt (Heft vom April 22, Bl. 26. 32).


29 Thayer sagt schon hier: Gärtnerstraße, zum grünen Baum, Nr. 26 (später 47), erste Stiege zweiter Stock. Das war aber wohl die zweite Wohnung, die er im Jahre bezog. Frimmel (Beethovens Wohnungen, N. Fr. Pr. 1899, 11. August, Nr. 12560) gibt an Landstraße 268, und diese Nummer nennt auch ein Zettel Beethovens an Dr. Pachler, der mutmaßlich aus dem September 1817 stammt.


30 Wiener Zeitung vom 2. Juni 1817.


31 Czerny erzählte O. Jahn: »Krumpholz war zweiter Violinist am Orchester, ein Enthusiast für B., der sein Evangelium predigte, täglich bei ihm, und von ihm mißhandelt, daß er sich 1816 doch zuerst zurückzog, Bruder des Harfenbauers.«


32 A. Fuchs in der Wiener Musikzeitung vom 31. März 1846, wo er aber als Todestag unrichtig den 3. Mai angibt. Ein Datum der Komposition gibt er überhaupt nicht an. Das Stück erschien zuerst in der Zulage zur Leipziger N. Ztschr. für Musik, H. 6, vom Juni 1839. In der neuen Ausgabe von Br. und H. steht es Serie 23 Nr. 255. Vgl. Thayers chronol. Verz. 209, wo ich Nottebohms handschr. Bemerkungen zu Rate ziehen konnte.


33 Neue Beethoveniana S. 154 fg.


34 Den Wortlaut des Vertrages findet man in Anhang III.


35 Vgl. Anh. XI zu Bd. III.


36 Wir geben dieselben im Anhang I. Gedruckt findet man sie jetzt bei Kalischer Neue Beethovenbriefe S. 29/30.Als Wohnung Beethovens in Heiligenstadt 1817 stellte J. Böck-Gnadenau in der »Musik« II. 6 (1903) fest das Haus Pfarrplatz Nr. 2 bei Schlägl.


37 Wir geben ihn hier nach A. Schöne Briefe von Beethoven an M. Gräfin Erdödy u.s.w. S. 16, wo er nach O. Jahns Mitteilung abgedruckt ist. Die Abschrift in Thayers Nachlaß zeigt einige Abweichungen.


38 Nohl deutet das auf Malfatti (N. Br. S. 130). Es kann ebensowohl Bertolini gemeint sein.


39 »Dasein« in einer zweiten Abschrift Thayers.


40 »unter guten alten Freunden« bei Thayer. »Unter allen Freunden« bei Schöne.


41 Kuffner, geboren den 28. Juni 1780, in seinen späteren Jahren K. K. Hofsekretär, einst in Wien als fruchtbarer und nicht unpopulärer Dichter wohl bekannt, jetzt vergessen, war im Singen und im Violinspiel ein Schüler Wranitzkys und erfreute sich bei seinen musikalischen Studien auch der Aufmunterung Haydns, trat aber früh in den öffentlichen Dienst als Beamter im Kriegsdepartement und übte seitdem die Kunst nur noch als Liebhaber. Sein wichtigstes litterarisches Werk vor 1808 war die Übersetzung des Plautus, welche 1805 erschien. Die bestimmte Versicherung Czernys (s. o. Bd. III S. 59), daß Kuffner dem Texte zur Chorphantasie Op. 80 die metrische Form gegeben habe, wird von Nottebohm (s. II Beeth. S. 504) aus dem Grunde in Zweifel gezogen, weil dieser Text sich in Kuffners gesammelten Werken nicht findet. Sicherlich ist aber die Versifikation der Gedanken eines andern nicht in dem Grade eine originale Schöpfung, daß wenige solcher Strophen in eines Dichters »Werke« Aufnahme finden konnten. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhange, daß Beethoven den Triumphmarsch aus Kuffners Tarpeia komponierte, der am 26. Mai 1813 aufgeführt wurde. [Vorstehendes nach einer Bemerkung in Thayers Entwurf.]


42 Die Stelle führt auch Nohl an, Bd. III S. 671.


43 Das Haus, in welchem er dort wohnte, findet man abgebildet bei Frimmel Beethoven S. 57.


44 Er befindet sich außerdem im sog. Fischhoffschen Manuskript.


45 Mittwoch war der 9. Juli.


46 Ries teilte ihn in den Notizen S. 143 mit.


47 Der zweite Grund betraf Pacher, s. Anhang. –


48 Wo Beethoven damals war.


49 S. Grenzboten 1857 S. 57. Die Abschrift Thayers, die mir vorliegt, ist ebenfalls vom Original (vormals bei Ewer in London) genommen.


50 Nohl, Br. B. Nr. 185 nennt 3. Juli. Ich folge der Abschrift Thayers, die zweimal 30. Juli hat.


51 So in der Abschrift des Tagebuchs. Sollte vielleicht heißen: »ihren helleren – Blick.«


52 Ein Entwurf eines Briefes einer der Töchter in der Sammlung der Briefe in London trägt das Datum des 9. August.


53 Der Brief steht, wie der vorhergehende, in den Grenzboten 1857 S. 60. 61. – Ich folge Thayers Abschrift.


54 So Thayers Abschrift; in den Grenzboten »Ursachen«.


55 »Studien« Gr.


56 In den Gr.: »ihn selber immer anzuhalten«.


57 »Decken« Gr. Das Wort »klecken« in der Bedeutung von ausreichen, genügend fördern, wendet Beethoven auch sonst an. Nohl (Br. B. 181) druckt ebenfalls richtig »klecken«.


58 Musikern Gr.


59 Vgl. die Wiener »Presse« vom 2. Dez. 1884 Beilage. Der Name heißt dort Biehler.


60 Neugebauer hatte, wie es in der Mitteilung heißt, »Beethoven öfter dirigiren gesehen und kann sich noch lebhaft erinnern, wie der einsilbige Meister bei Concerten, die unter Gebauers Leitung im Landhaussaale abgehalten wurden, mit seiner gewöhnlichen verdrießlich-trotzigen Miene, welche wohl durch seine Taubheit veranlaßt war, den Tönen lauschte und sich zu Zeiten plötzlich bei erregter Stimmung mit allen fünf Fingern durch die Haare gefahren ist.«.


61 Die beiden Briefe stehen jetzt auch bei Frimmel, Neue Beethov. S. 82 fg.


62 Frimmel, Beethovens Wohnungen in Wien, Neue Freie Presse 11. August 1899.


63 Rollett, Beethoven in Baden, 2. Auflage 1902. S. 6 fg.


64 S. Caecilia Bd. XXI S. 59.


65 Das Quintett erschien als Op. 104 im Februar 1819 dei Artaria. In der neuen Gesamtausgabe Br. u. H. Serie 5 Nr. 36 b.


66 S. den Brief an Zmeskall vom 9. Sept. bei Nohl N. Br. Nr. 185. Er möge hier nach Thayers Abschrift folgen; auf Mitteilung aller Briefe an Zmeskall müssen wir verzichten: »Lieber Z. Ich befinde mich schon bei meiner Zustande durch eine Erkältung noch übler, konnte hier keinen Wagen erhalten und zu Fuß, wie gern ich auch sonst gehe, konnte ich eben meiner Umstände wegen nicht, dieser Täge erhalten sie das 5tett wo sie es dann immer bei sich machen können. Ich probire ohne Musik alle Tage den Grabe näher zu komen.


in Eil der Ihrige

L. v. Beethoven.


Diese Täge sehe ich Sie, da ich des Arztes wegen hinein muß.«


67 Über ihn vgl. Ph. Spitta, Musikgeschichtliche Aufsätze S. 363 fg.


68 Diesen Brief hat L. Nohl mitgeteilt, Beethovens Leben II. S. 341. Beethovens Unzufriedenheit mit seinem Dienst beim Erzherzog kommt auch in den Briefen an Frd. Ries einmal zum Ausdruck.


69 Der Brief nach O. Jahns Abschrift. Vgl. Nohl N. Br. N. 178.


70 Am 12. Okt. 1826 schrieb ihm Schnyder v. W. nochmals einen längeren Brief aus Frankfurt, worin er namentlich Aufklärung erbittet über das Tempo einiger der Variationen in Op. 111, dann über Prometheus usw. Der Brief wurde, wie Schindler dazu bemerkte, nicht beantwortet; »daß aber ein ästhetischer Streit über eine Stelle entstehen kann, die man nicht richtig zu lesen versteht, das machte den Meister stutzig. Auch wußte er sich nicht mehr zu erinnern woher denn die Freundschaft mit Schnyder von Wartensee datirt.« Der Brief Schnyders befindet sich in Berlin im Schindlerschen Nachlasse.


71 Bei Köchel S. 41.


72 Die wichtigsten Beiträge zu Beethovens Lebensbeschreibung aus Czernys Feder sind enthalten in Schmidts »Wiener Allg. Mus. Zeitung« 1845 No. 113, in Cocks Musical Miscellany (London 1852) und in handschriftlichen Bemerkungen aus O. Jahns Nachlaß.


73 In den Mittheilungen an O. Jahn hatte Czerny gesagt: »Er besuchte die Mus. Gesellschaften bei Czerny 1818ff. spielte dort einigemal.« An einer andern Stelle: »Von 1816–20 alle Sonntag mus. Unterhaltung bei Czerny, bei denen B. regelmäßig erschien, spielte, das Tempo angab.« Weiter teilte er O. Jahn mit: »Noch in den Jahren 1818 bis 1820 (wo ich in meiner Wohnung für meine Schüler und eine sehr gewählte Gesellschaft jeden Sonntag Musik veranstaltete und Beethoven meistens zugegen war) fantasirte er mehrmal, und jeder fühlte sich auf eine wunderbare Art ergriffen und gerührt.«


74 Thayer, dessen Entwurf diesem ganzen Abschnitte zu grunde liegt und dem ich im ganzen folge, wo ich nicht von ihm abweichen zu müssen glaube. (D.)


75 Diese Verhältnisse werden uns beim Jahre 1819 im einzelnen beschäftigen.


76 K. K. Bibl. in Wien. Der Empfänger notierte 21. Aug. Abschr. bei Thayer, Nohl, Br. Nr. 193.


77 Bei Nohl: »daß die Wolle bald ausgesponnen ist.« Eine kurze zum Teil unleserliche Beischrift auf der Außenseite bleibt hier weg.


78 Nottebohm II, Beethov. S. 123 fg. S. 135.


79 Potters Mitteilungen an Thayer finden sich in dessen Materialien; aus ihnen ist das Folgende entnommen.

Cipriani Potter (geb. 1792) starb 26. Sept. 1871 als Direktor der Kön. Musikakademie in London, als Dirigent, Klavierspieler und Komponist geschätzt. [Deutsche Warte Bd. I. H. 11. (1871.)]


80 Beethoven schrieb an Ries am 5. März 1818: »Botter besuchte mich einigemal, er scheint ein guter Mensch zu sein und hat Talent zu Composition.«


81 Das müßte denn nach unserer obigen Bemerkung in den Sommer 1818 fallen.


82 Diese Bewunderung Händels kommt bei Beethoven noch öfter zum Ausdruck, vgl. den Brief an Erzherzog Rudolph bei Köchel Nr. 44.


83 Den Text zu Romulus hatte ihm Treitschke geliefert, s. Bd. III S. 325. Es scheint nicht, daß Beethoven mit dieser Oper angefangen hat.


84 Der Verkehr erstreckte sich ja auch über das Jahr 1818.


85 Darüber giebt L. Bischoff Bericht in der Niederrhein. Musikzeitung 1857 Nr. 2–3.


86 Über dieses Verhältnis gibt ihr Sohn Dr. Faust Pachler näheren Aufschluß in der kleinen Schrift »Beethoven und Marie Pachler-Koschak. Berlin 1866«. (Abdruck aus der Neuen Berliner Musikzeitung).


87 Faksimile in Dr. Pachters Schrift.


88 Diese Wohnungsangabe scheint den Brief auch in 1817 zu verweisen.


89 Am 30. Nov. schreibt Fanny Giannatasio in ihr Tagebuch: »Vorgestern Abend war Beethoven bei uns und ganz der Alte in jeder Rücksicht. Unsere Vermuthung wegen jener interessanten Frau wird immer stärker.« Das könnte auf Frau Pachler bezogen werden; weitere Folgerungen sind daraus nicht zu ziehen.


90 Nicht 27. September, wie bei Pachler S. 4 steht. Im übrigen s. Schindler I. S. 95, der auch ein Faksimile des Zettels beifügt. Der Buchstabe braucht nicht notwendig ein M zu sein, er geht beim letzten Zug in ein R über und kann in Anbetracht der Schnörkel, die Beethoven gern bei Anfangsbuchstaben beifügte, ganz wohl ein R sein sollen. Pachler (S. 20) wirst noch einmal die Frage auf, ob seine Mutter gemeint sein könne, weist nochmals auf die Widersprüche hin und meint, die Tagebücher und Konversationshefte könnten eine Lösung bringen. Diese aber enthalten darüber nichts.


91 Vgl. Bd. II der 1. Aufl. S. 77.


92 In Thayers Aufzeichnungen finde ich keine nähere Angabe, und nach Thayers Tode fehlt mir der Anhalt, Näheres erforschen zu können. Ich muß diese Angaben so geben, wie ich sie bei Thayer finde, und kann nähere Aufklärung nicht geben. Vielleicht kann es ein anderer.


93 Der Brief ist undatiert, muß aber dem Inhalt nach in dieses Jahr gehören.


94 Nämlich zu dem neuen Quintett Op. 104.


95 Das Briefchen, welches Thayer in diese Zeit setzte, steht bei Kalischer S. 9.


96 Hier endet vermutlich das Citat, was bei Thayer nicht klar hervortritt. Die folgenden Betrachtungen scheinen mir Thayer zu gehören.


97 Über die Einzelnheiten der Einrichtung des Mälzlschen Metronoms, welcher ja auch die Gesetze der Pendelschwingung zu Grunde liegen, wird sich jeder selbst zu unterrichten Gelegenheit haben.


98 Dieselben sind nach Nottebohm (I Beethov. S. 130) einem kleinen Heft entnommen, welches 1817 bei Steiner erschien, und in welchem auch die metronomische Bezeichnung des Septetts enthalten war. Ein zweites Heft erschien spätestens 1819; aus beiden wurde einiges aufgenommen in das bei Hofmeister in Leipzig erschienene »Thematische Verzeichniß«. Über den ganzen Gegenstand sei auf Nottebohms Aufsatz »Metronomische Bezeichnungen« in den ersten Beethoveniana S. 126–137 verwiesen.


99 Ich entnehme dies Thayers Entwurf, nach dessen Angabe die Bemerkung so von Fischhoff abgeschrieben ist. S. Fischhoff, Cäcilia Bd. 26 S. 94.


100 Der Brief folgt nach Thayers Abschrift; er ist gedruckt bei Schindler II. S. 246 und bei Nohl Br. B. Nr. 165. Das Original, nach Nohls Angabe auf der K. K. Hofbibliothek in Wien, trägt die Jahreszahl 1817 von anderer Hand, welche aber richtig ist.


101 Diese Erklärung stand in der Wiener Allg. Musikal. Zeitung vom 14. Febr. 1818 (Nott. S. 126).


102 Ich gebe ihn nach Thayers Abschrift in seinen Materialien.


103 Das Original ist auf der Berliner Bibliothek.


104 Dessen Erwähnung schließt er an die Ereignisse von 1814 an, gibt aber keine nähere Zeitangabe.


105 Wir nehmen Bezug auf unsere Bemerkung oben S. 23 s. Daß Beethoven die in diesem Jahr zuerst gemietete Wohnung wieder wechseln wollte und aller Wahrscheinlichkeit nach auch gewechselt hat, darf man aus den Briefen an Frau Streicher entnehmen, s. Anhang. Dies war das Haus »zum grünen Baum«, damals Nr. 26, wie hier auch Thayer angibt. Übrigens fuhr er fort nach Wohnungen zu suchen; noch im Dezember 1817 notiert er sich aus dem Intelligenzblatt der Wiener Zeitung eine Wohnung in der Alservorstadt, s. Nottebohm II. Beethov. S. 354.


106 Daß der Plan in seinem Innern nicht völlig aufgegeben war, kann man daraus entnehmen, daß er sich aus den Intelligenzblättern der Wiener Zeitung aus dem Dezember 1817 eine Offerte über zu verkaufende Reisewagen in sein Skizzenbuch eintrug. Vgl. Nottebohm II. Beethov. S. 353. 354.


107 Beide Briefe an Giannatasio stehen in den Grenzboten 1857 (XVI. Jahrh.) S. 62. 63. Dann hat sie Nohl abgedruckt, Br. B. 204. 205. Außerdem habe ich die Abschriften bei Thayer.


108 Signale 1864 Nr. 13 S. 176. Frimmel, Neue Beethov. S. 240. Nottebohm, them. Verz. S. 195 gibt an: aus dem J. 1815, ohne nähere Nachweisung. Bildnisse Beethovens kommen noch später zur Sprache.


109 Vgl. Wiener Zeitung 8. Jan. 1818.


110 In den Br. u. H. Gesamtausgabe S. 23 Nr. 244. Vgl. Thayer chron. Verz. 210. Herausgegeben wurde es von Simrock um 1819 (3 Gesänge Nr. 3) und nochmals 1821 oder 1822 zusammen mit 3 andern Beethovenschen Liedern, darunter auch das folgende, mit der wie es scheint willkürlich gesetzten Opuszahl 113. Auf ein Exemplar jener Beilage hatte Beethoven, nach einer Notiz Thayers, geschrieben: »Für meine verehrte Freundin Antonie Brentano vom Verfasser.«


111 Vgl. Nottebohm, im Skizzenbuch aus dem Jahre 1817, II. Beethov. S. 349 fg., bes. S. 352.


112 Br. u. H. Gesamtausgabe S. 23 Nr. 246. Auch in die oben erwähnte Sammlung von Simrock war es aufgenommen. Vgl. Thayer chron. Verz. Nr. 214.


113 Der melodische Fortgang erinnert ein wenig an das Variationenthema im Harfenquartett (Op. 74), welches eine verwandte Stimmung zeigt, die vielleicht durch dieses Lied erläutert wird. Auch hier beachte man die deutschen Vortragsbezeichnungen, Den Worten »mit Empfindung, doch entschlossen«, hatte er in der Skizze vor Empfindung noch »inniger« beigefügt.


114 Br. u. H. G. A. S. 5 Nr. 35. Thayer, chronol. Verz. 213.


115 Vgl. Lenz Beethoven, 5. Th. S. 219.


116 Vgl. Nottebohm II. Beeth. S. 350.


117 Dieser Brief, nach der Abschrift bei Jahn in Thayers Materialien, ist jetzt auch nach Jahns Nachlaß von Kalischer (N. B. S. 44) mitgeteilt.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1907..
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Komtesse Mizzi oder Der Familientag. Komödie in einem Akt

Komtesse Mizzi oder Der Familientag. Komödie in einem Akt

Ein alternder Fürst besucht einen befreundeten Grafen und stellt ihm seinen bis dahin verheimlichten 17-jährigen Sohn vor. Die Mutter ist Komtesse Mizzi, die Tochter des Grafen. Ironisch distanziert beschreibt Schnitzlers Komödie die Geheimnisse, die in dieser Oberschichtengesellschaft jeder vor jedem hat.

34 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon