II. Aus den Mitteilungen von Fräulein Fanny Giannatasio del Rio.

(S. o. S. 9ff.)

(Vorzugsweise nach den Aufzeichnungen A. W. Thayers.)


Die hier zu gebenden Mitteilungen reichen ihrem Inhalte nach zum Teil noch in das vorige Jahr zurück; da es sich aber nicht empfiehlt, innerlich Zusammengehöriges zu trennen, so folgt hier alles Wesentliche, was über den Gegenstand zu sagen ist, soweit es nicht der chronologische Zusammenhang notwendig erscheinen ließ, Stellen aus dem Tagebuche im Texte selbst einzuschalten.

Zur Einleitung folgendes.

Die Grenzboten brachten 1857 (Nr. 14 und 15, vom 3. und 10. April) jene Aufsätze über Beethovens Verkehr mit der Familie Giannatasio, welche im 3. Bande unserer Biographie (S. 374 und später) angeführt worden sind. Sie waren beigesteuert von Edward Duboc (Robert Waldmüller) und hauptsächlich aus einem Tagebuche von Giannatasios ältester Tochter und Originalbriefen von Beethoven geschöpft, welche er im Besitze der Familie zu Steinerhof in Steiermark gefunden hatte, lange ehe unser dritter Band für den Druck vorbereitet wurde. Dr. Gerhard v. Breuning hatte Thayer eine vollständige Abschrift aller der Stellen des Tagebuchs, welche sich auf Beethoven beziehen, übersandt; es erschien damals am richtigsten, alle Mitteilungen für die gegenwärtige Stelle aufzuheben. Der Verfasser hielt das später für einen Irrtum und nahm sich vor, nur die Notizen an dieser Stelle zu geben, welche in der Tat in jenen Band gehörten, mit Ausnahme von einigen wenigen Stellen, welche sich persönlich auf Fräulein Giannatasio bezogen; die übrigen, soweit sie angeführt werden, sollten ihre richtige chronologische Stelle im Texte finden.1

[513] Besitzerin des Tagebuchs war später Frau Anna Pessiak,2 eine hervorragende und ausgezeichnete Gesanglehrerin in Wien, die Enkelin Giannatasios, welche seither hingeschieden ist. Ihrer Freundlichkeit verdankte Dr. v. Breuning den Erfolg seiner Bitte, die gewünschten Abschriften zu erhalten. Als Thayer zum erstenmal in Wien war und dieselben empfangen hatte, besuchte er natürlich Frau Pessiak, um ihr seinen Dank für diese Gunst auszusprechen, und daraus entwickelte sich eine intime und warme Freundschaft, und sofort wurde ihm gestattet, die Originalhandschrift zu durchforschen; bei seiner Abreise übergab ihm Frau Pessiak zu seiner freudigen Überraschung dieselbe mit der Erlaubnis, sie mit nach Triest zu nehmen behufs eingehender Prüfung, eine Gunst, welche natürliches Zartgefühl in Anspruch zu nehmen ihm verboten hatte.3 Die Gründe für dieses unerwartete Vertrauen beruhten auf folgenden Tatsachen. Die Briefe und andere interessante Erinnerungen an Beethoven, welche nach Giannatasios Tode in den Besitz seiner Töchter kamen, wurden mit wenigen Ausnahmen ohne ihre Erlaubnis und sogar ohne ihr Wissen verkauft!4 Die natürliche Folge hiervon war der Entschluß, nie und unter keinen Umständen ferner zu gestatten, daß irgend etwas von den wenigen Schätzen, welche zurückgeblieben waren, auch nur auf einen Augenblick aus ihren Händen komme. In einer Reihe mit den persönlichen Erinnerungszeichen an den Komponisten stand in ihrer Schätzung das Tagebuch der Fanny Giannatasio, gefüllt mit den Ergüssen eines scharfen und hochgebildeten Verstandes und eines warmen und äußerst liebevollen Gemütes, ein interessantes und rührendes Erinnerungszeichen für die Kinder ihrer Schwester, aber sicherlich nicht von der Art, um den Augen der Welt ausgesetzt zu werden. Im Verlauf der Zeit kam die Handschrift in den Besitz von Frau Pessiak. Sie willfahrte endlich den beharrlichen und dringlichen Bitten eines Schriftstellers (Nohl), welcher das Tagebuch vorübergehend zur Benutzung bei einer Biographie Beethovens zu benutzen wünschte. Als die Handschrift zurückkam, erschien gleichzeitig oder bald nachher eine kleine Schrift mit dem Titel: »Eine stille Liebe zu Beethoven«!5 Das Erstaunen und der Unwillen, mit welchem das Buch gelesen wurde, dürfte sich daraus ergeben, daß das Tagebuch in die Hände des Verfassers gelegt wurde, unaufgefordert und mit der einfachen Bitte, dasselbe sorgfältig zu untersuchen und sich über die »stille Liebe« eine vorurteilsfreie Meinung zu bilden auf Grund der inneren [514] Augenscheinlichkeit, welche sein Inhalt liefert Daß das Ergebnis der Untersuchung den Erwartungen und Hoffnungen von Frau Pessiak vollständig entsprach, wird sich unten ergeben.

In der Tat ist das Buch von Nohl recht unerfreulich. Fanny Giannatasio, sehr musikalisch und schon darum eine große Verehrerin Beethovens, hatte auch menschlich großes Interesse an ihm gewonnen und der Gedanke an ein freundschaftliches Verhältnis desselben zu ihrem Hause erfüllte sie ganz. Sie war schon verlobt gewesen und ihre Gefühle für Beethoven nahmen stellenweise eine verwandte Färbung an, ihr gefühlvolles Herz wallt zuweilen über, aber sie steht doch reflektierend dem gegenüber; immer freilich waltet in ihr, nach vielen inneren Erfahrungen, das Bedürfnis zu lieben und geliebt zu werden. Das tiefe Mitgefühl mit seinen häuslichen Leiden und die Überzeugung, daß es sein Glück sei, wenn ein weibliches Wesen neben ihm walte und ihm die Sorgen wegnehme, führte sie gelegentlich auf den Gedanken, ob ihr das wohl beschieden sein könne, sie wünscht sich seine besondere Zuneigung – alles in der verschwiegenen Form des Tagebuchs. Dann sagte ihr wieder der Verstand, daß das niemals eintreten könne; war ja doch auch von Gegenseitigkeit keine Rede. Es kamen auch Momente, in denen sie über sein Verhalten ungehalten war, und das schreibt sie ebenso offen nieder; auch ist ihr nicht verborgen, daß sein Gehör eine Annäherung erschwere; und Beethoven, zumal nachdem seine Beziehungen zu dem Hause gelöst waren, blieb nicht der einzige, für den sie Zuneigung im Tagebuche ausspricht. Solch ganz persönliche Empfindungen ans Tageslicht zu ziehen, entsprach doch nicht – mehr wollen wir nicht sagen – dem Vertrauen, welches mit der Übergabe des Tagebuchs verbunden war. Jedenfalls gibt dasselbe, wie auch der Herausgeber nach Einsicht desselben sagen darf, kein Recht, das Fräulein gewissermaßen zu einer Romanfigur zu machen und von einer, »stillen Liebe« zu Beethoven zu sprechen, zumal bei dem ganz vorübergehenden Verhältnisse der Familie zu Beethoven. Aus den Stellen, welche Nohl aus dem Tagebuche anführt, die man aber nicht herausreißen, sondern nur im Zusammenhange mit den übrigen Gefühlsäußerungen der Dame würdigen soll, wird der Unbefangene das, was man sonst unter einer stillen Liebe versteht, nicht herauslesen. Wenn wir unten die bezüglichen Stellen des Tagebuchs mitteilen, so geschieht es, damit jeder sich ein Urteil bilden könne. In dem weiteren Verlauf des Tagebuchs, welches bis ins Jahr 1824 geht, seit der Lösung des Verhältnisses, kommt Beethoven gar nicht mehr vor.

Die Bekanntschaft Thayers mit Frau Pessiak, welche so begonnen hatte, reiste zu völliger Vertraulichkeit besonders in Steinerhof und Triest und verschaffte ihm die Freude, mehrere Briefe von ihr zu erhalten, welche den wesentlichen Inhalt mancher Unterhaltungen über ihren Großvater, die [515] Familie Giannatasio und Beethovens Verkehr mit derselben enthielten. Aus diesen Mitteilungen entnehmen wir folgende Stellen.


»Wien, 20. März 1881.


Verehrter Freund!


Mit Vergnügen bin ich bereit Ihnen auf Ihr Ersuchen noch weitere Mitteilungen über meine Großeltern Gianatasio del Rio und deren Verbindungen mit Beethoven zu machen und will das (leider sehr wenige) was ich weiß erzählen.– – –

Ich glaube daß Sie der Mann sind, der diese innige wahre Verehrung welche dieselbe [Fanny Giannatasio] für den Genius Beethoven aber zugleich auch den Freund ihrer Eltern hegte, recht verstehen wird, und daß dieses Gefühl wohl die größte Achtung, Verehrung und innige Freundschaft vereinigte, aber Tante liebte Beethoven nicht in der Art wie es der Welt irrthümlicher Weise dargestellt wurde. Die betreffenden Stellen im Tagebuch allein herausgenommen, wurden mißverstanden. Es hat mich gedrängt Ihnen dieß noch einmal schriftlich zu sagen, umsomehr als ich nach unserer längeren Bekanntschaft klar wurde, daß Ihre Ansichten über Tante vollständig mit den Meinigen und denjenigen meiner Verwandten übereinstimmen. Sie haben den Charakter meiner guten Tante ganz richtig erfaßt und beurtheilt.

Nun zu der gewünschten Sache meine Großeltern betreffend; jedoch muß ich vorausschicken, daß ich nicht weiß, ob meine Mittheilungen authentisch sind, denn meine Erinnerungen in die Kindheit zurück, wo ich zufällig etwas unser Thema betreffendes hörte sind nur traumhaft.

Mein Großvater, Kajetan Gianatasio del Rio, war aus einem spanischen Adel stammend, die nach einerDr. Schuster gemachten Aeußerung der Tante nach dem spanischen Erbfolgekrieg unter Carl VI in Österreich eingewandelt sein sollen. Machte seine Studien wie ich glaube in Wien. – Wurde bei Baron Polza Hofmeister. Erst war er mit der benannten Familie in Wien und späterhin mit ihnen auf ihrem Gut in Ungarn. Dort war ein Fräulein Gouvernante, welches höchst gebildet war. Mein Großvater und sie liebten sich und bekamen die Erlaubniß von Baron Polza, bei ihnen zu heirathen. Dort sind auch ihre beiden Töchter geboren worden. zuerst Fanny meine Tante und Anna, gewöhnlich ›Nanni‹ genannt, welche meine Mutter war. Nachdem Großvater's Amt als Erzieher bei Baron Polza vollendet war, zog er nach Wien, eröffnete ein Knabeninstitut in welchem er die gewiegtesten Professoren Wien's anstellte, und wurde bald besonders beim Adel sehr populär. Seine beiden Töchter ließ er, da er keinen Sohn besaß, die Bildung gleich der eines Knaben angedeihen. In welchem Grad er diese Idee verfolgt hat, beweißt der Umstand, daß die beiden sogar etwas von Anatomie studiren mußten. Sie wurden einmal in den Secirsaal geführt und mußten einer Section beiwohnen. Tante welche schwächere Nerven als Mutter hatte, wurde ohnmächtig herausgetragen. Mutter ertrug es mit großer Ueberwindung.

[516] Zur Vervollständigung des Tagebuches meiner Tante ist es nothwendig zu erwähnen, daß Tante mit einem gewissen Cnobloch ein ernstes Verhältniß hatte und dieselben Brautleute waren. Leider starb Cnobloch,6 was natürlich alle Hoffnungen des damals ganz jungen Mädchens zu Grabe trug, und einen tief traurigen Einfluß auf ihr späteres Leben ausübte. Das erklärt auch die im Tagebuch oft ausgesprochene Sehnsucht nach Liebe, was Sie ganz richtig auslegen und erwähnen. Der so oft genannte Leopold Schmerling war damals Bräutigam meiner Mutter, nachheriger Gemahl derselben, mein Vater. Die oft erwähnte Lotte war die Schwester meines Vaters und intimste Freundin meiner Mutter und Tante; nachherige Fr. v. Menninger. Zur Erläuterung über die Stellen in Tantens Tagebuch über die Vermögensverhältnisse Großvaters mag folgendes dienen: Da Großvater wie oben erwähnt größtentheils Zöglinge aus dem hohen Adel hatte, mußte er in der Stadt wohnen und im Sommer eine Wohnung auf dem Lande haben. Im Sommer 1811 oder 12 war er in Baden wo ihm alles abbrannte.7 Nachher war Großvater mit den Zöglingen in Dornbach. Großvater war ein sehr guter Patriot und glaubte in Folge dessen den Worten einiger Freunde nicht, welche ihm sagten, die Staatspapiere seien unsicher. Als der Staatsbankerot ausbrach8 verlor Großvater den größten Theil seines erworbenen Geldes. Außer den Notizen im Tagebuche und dem vor Jahren erschienenen Aufsatz im ›Grenzboten‹ bin ich nach der Erzählung Mutters und Tantens noch im Stande ein paar Anecdoten beizufügen, welche meines Wissens nach unbekannt sind.

Einst hatte mein Großvater mit Beethoven wieder einen sehr ernsten Auftritt wegen Carl dem Neffen Beethovens, der wie bekannt im Institut meines Großvaters war, und denselben durchaus nicht befriedigte. Der Großvater schickte den Knaben zu Beethoven und wollte ihn nicht wieder nehmen. Da schrieb Beethoven an meine Mutter, zu welcher er trotzdem sie ein ganz junges Mädchen war großes Vertrauen hatte, und bat sie die Sache wieder in das Gleichgewicht zu bringen, doch dürfe sie nichts erwähnen, daß er sie darum ersucht habe, sondern er bitte sie dringend gleich nach dem Lesen den Brief zu verbrennen. Mutter kannte Beethoven's Stolz und wußte er würde es als eine Demüthigung angesehen haben, wenn er den Großvater gebeten hätte seinen Neffen wieder zu nehmen. So brachte meine Mutter mit ihren Bitten den Großvater dazu Carl wieder zu nehmen und verbrannte auch gewissenhaft, wenngleich mit sehr schwerem Herzen den Brief Beethovens. Die Verehrung für Beethoven von Seite meiner Mutter war dieselbe wie die der Tante so, daß sein Wunsch ihr Befehl war. –

Einst wurde eine Parthie auf den ›Himmel‹ (einen hübschen Aussichtspunkt in der Umgebung Wiens) gemacht, wo auch Beethoven dabei war. Mutter stand neben ihm an der schönsten Aussichtsstelle. Da zog Beethoven seine große Brieftasche heraus, riß ein Blatt aus derselben, zog mit seiner [517] Hand fünf Linien und schrieb darauf die Melodie des nachher erschienenen Liedchens:9 ›Wenn ich ein Vöglein wär und auch zwei Flüglein hätt‹ u.s.w., gab es meiner Mutter mit den Worten hin: ›Na Fräulein Nanni, schreiben Sie den Baß dazu.‹ Meine Mutter verwahrte stets das Blatt als theures Angedenken, und gab es dann mir mit dem Bedeuten, daß ich von den Schwestern am meisten musikalisch bin und das Kleinod daher am meisten zuschätzen weiß. Ich habe es unter Glas und Rahmen.

Einst kam Beethoven mit dem Manuscript von dem Lied aus Faust: ›Es war einmal ein König der hatt' einen großen Floh‹. Tante und Mutter mußten es versuchen. Als sie zum Schluß kamen, zeigte ihnen Beethoven lachend wie das gespielt werden müsse, und nahm immer zwei Töne mit dem Daumen wie man einen Floh knackt.

Beethoven schrieb meiner Mutter zu ihrer Hochzeit ein Hochzeitlied, wozu der Text von Prof. Stein (damaligen Lehrer der kaiserlichen Prinzen) geschrieben war. Als Mutter von der Trauung aus der Kirche nach Hause kam, hörte sie ein schönes Männerquartett erklingen, und als es verklungen war, trat Beethoven aus einem Versteck hervor und überreichte Mutter mit herzlichen Worten und Glückwünschen das Manuscript des eben gesungenen Männerquartettes. Dieses Manuscript wurde nachher meiner Mutter, als sie län gere Zeit vom Hause abwesend war entwendet, und trotz aller Nachforschungen gelang es ihr nicht wieder in den Besitz desselben zu kommen.10

Zum Schluß schreibe ich Ihnen noch einen Canon Beethovens auf, welchen mich meine Mutter schon als Kind singen gelehrt hat. Er kam nähmlich wieder ein Mal in recht heiterer Stimmung auf Besuch zu meinen Großeltern, trat zu meiner Mutter und begann zu singen, wie folgt: ›Glück fehl dir vor allem, Gesundheit auch‹ – – bis hieher sang er, dann blieb er still und lachte. Als nun Mutter sagte, das sei gerade kein schöner Wunsch, daß ihr Glück und Gesundheit fehlen sollten, sang er in lang ausgedehntem Ton den Schluß mit dem Wort ›niemalen‹. Der Canon liegt in Noten aufgeschrieben hier bei.

Und nun sage ich Ihnen ein herzliches Lebewohl und bleibe wie stets in treuer Freundschaft, Ihre Sie hochachtende


Anna Pessiak-Schmerling.

Wien den 20. März 1881.«


Wir lassen den Kanon unten folgen. – Einige Jahre später schrieb Frau Pessiak nochmals an Thayer; wir geben auch den Hauptinhalt dieses Briefes, soweit er nicht bloße Wiederholungen enthält.


[518] »Lieber werther Freund,


Mit tausend Freuden komme ich Ihrem Wunsche nach und theile Ihnen mit, was mir aus dem Leben meiner Mutter und Tante nach Erzählungen noch erinnerlich ist.

Sie waren die einzigen Kinder meines Großvaters Gianatasio del Rio. Er hatte sich so sehr nach einem Sohn gesehnt. Da ihm aber dieses Glück nicht beschieden war, so ließ er den beiden Mädchen von den ausgezeichneten Professoren, die er in seinem Institut angestellt hatte, Unterricht ertheilen, so wie er es einem Sohne hätte zu Theil werden lassen. [Hier folgt noch einmal die Erzählung von der Theilnahme an einer Section, vgl. den ersten Brief.] Erstere [Nanni] war geistig besonders günstig veranlagt und erhielt sich ihren frischen Geist bis in ihr hohes Alter. Wenn sie in der Gesellschaft erschien, so drängten sich die Leute um sie und sogar die jüngsten Männer suchten Gelegenheit sich mit ihr in ein Gespräch zu vertiefen. Tante [Fanny] hatte, wie erwähnt, die gleiche sorgfältige Erziehung genossen, ging aber, ihrer angebornen Schüchternheit wegen, sehr selten aus sich heraus. Wer sie jedoch näher kannte, war auch für sie begeistert. Geistige Anregung wurde ihnen in hohem Grade geboten durch die in Großvaters Hause verkehrenden Männer: Grillparzer,11 Bauernfeld, Castelli, Professor Stein, Professor Fick, Beethoven, Schubert, Lablache, Aßmayer, später Staudigl und Erl. Die Genannten giengen dann auch im Hause meiner Eltern aus und ein.

Liszt wurde als Knabe zu Großvater gebracht, woselbst er auch spielte. Beethoven, der zugegen war, soll gesagt haben: ›Dieser Knabe wird der Welt eine Nuß aufzuknacken geben.‹12

Mutter und Tante waren in ihrer Jugend ausgezeichnete, sehr beliebte Dilettantinnen; wurden auch häufig zur Mitwirkung in Conzerten gebeten. Grillparzer und Fräulein Fröhlich erzählten mir viel von dem schönen Gesange der Beiden. Ich konnte mich ja nur traumhaft daran erinnern, da ich die jüngste von meinen Geschwistern war und Mutter und Tante daher nur im vorgerückten Alter kannte. Sie hatten sehr umfangreiche Stimmen so, daß sie abwechselnd Alt- und Sopran- Partien sangen. Meine Mutter gab den Gesang früher auf, als Tante. Letztere sang noch in ihrem 66. Lebensjahre. Besondere viel Musik machten sie mit Schubert und Lablache.

Bei Großvater kamen immer zu festlichen Anlässen, Aufführungen kleiner Opern zu Stande wie: ›Der Schauspieldirektor‹; ›Der Häusliche Krieg‹. u.s.w. – Bei den Ensembles wirkte auch Fräulein Fröhlich mit. Später wurden diese Aufführungen in dem Hause meiner Mutter fortgesetzt. Da saß Tante am Clavier, eingezwängt zwischen uns allen; denn meine Schwester und sogar ich, obzwar ich noch Kind war, durften daran Theil nehmen.

Die gute Tante hatte mir schon in meiner frühesten Kindheit die herrliche musikalische Anleitung gegeben, der Quell, aus dem mir dann so [519] viel Freude floß und mir den Weg zur Künstlerbahn öffnete. Tante war bey solchen Aufführungen unser Begleiter und Dirigent zugleich. Mutter und Tante spielten auch sehr viel vierhändig. Wenn auch Erstere durch ihre Verheiratung das Clavierspiel etwas vernachlässigt hatte, so spielte sie doch die meisten der Beethoven'schen Compositionen. Sie hatte sich in den Geist seiner Meisterwerke so hineingelebt, daß sie sich mit werkwürdiger Geschicklichkeit über die technischen Schwierigkeiten hinweg half. Sehr oft spielten sie die neunte Symphonie und fangen dann gleich die Chorstellen dazu. Meine Schwestern und ich trugen meistens auch das Unsere bei und wir geriethen alle miteinander in solchen Enthusiasmus, daß uns zum Schlusse immer die Thränen über die Wangen hinabliefen.

Das Temperament meiner Mutter war ein außerordentlich lebhaftes, heiteres. Tantchens Charakter hatte einen melancholischen Grundzug, doch konnte sie auch sehr heiter sein. Beide waren durch und durch ideal angelegte Naturen, äußerst gutmüthig und hingen mit unvergleichlicher Liebe aneinander. Aehnlich sahen sie sich gar nicht, Mutter war von mittlerer Größe, hatte ein sehr lebhaftes braunes Auge, schwarzes Haar, welches in ihrem Alter ganz weiß wurde. Sie war in ihrer Jugend eine bekannte Schönheit. Tante war sehr klein, hatte graugrüne Augen mit schwermütigem Ausdruck und braunes Haar. Sie gab in ihren jungen Jahren viel Clavier- und Gesangsunterricht, doch mußte sie es später aufgeben, da sie sehr nervenleidend wurde. Vor ihrer Erkrankung hatte sie die eigenthümliche sehr ergötzliche Gewohnheit, alle Erlebnisse, die das Niveau des Alltäglichen überschritten, in Knittelversen niederzuschreiben und die Zeichnungen dazu zu liefern. Als sie von ihrem langjährigen Nervenleiden wieder genas, war sie überglücklich und sandte mir halb humoristisch halb wehmuthsvoll klingende Verse ein, die ihre Freude darüber schilderten.

Ich domicilirte zu der Zeit in Laibach. Daselbst lebte ein sehr geschickter Arzt der Homöopathie NamensDr. Kos, der sie im brieflichen Verkehr behandelte und ihr die Heilung gebracht hatte.

Als meine unvergeßliche Mutter starb, verlor Tante wohl die Hälfte ihres Lebens, denn sie waren unausgesetzt Hausgenossen gewesen. Sie überlebte selbe um 10 Jahre und wurde von meiner älteren Schwester Rosalie, bei der sie nach Mutters Tode wohnte, eines Morgens – nachdem sie am Abende vorher sich ganz gesund niedergelegt hatte – todt im Bette gefunden. Sie hatte ihr 86. Lebensjahr erreicht.

Aus ihrem Verkehr mit Beethoven erzählte sie mir so manche liebe Episode. Tante hatte oft mit ihm vierhändig gespielt. Jedes seiner damals componirten Werke hatte er im Manuscript gebracht, mit ihr durchgespielt, oder ließ sich das für Gesang Geschriebene von den beiden Schwestern singen. Auch studirte er mit ihnen so manche seiner Compositionen wie: die Fidelio Arie, die Conzertarie ›ah perfido spergiuro‹, von Liedern: den Liederkreis ›an die entfernte Geliebte‹, die vier Lieder auf den Text, ›Nur wer die Sehnsucht kennt‹, ›Andenken‹, ›Kennst du das Land‹, ›Neue Liebe, neues Leben‹; – das Lied aus Faust: ›Es war ein König, der hatt' einen großen Floh‹, brachte er unter Anderen auch im Manuscript, setzte sich lachend zum Clavier [520] und spielte ihnen den Schluß vor, wobei er mit dem Daumen zwei nebeneinander liegende Tasten zugleich eindrückte und sagte: ›Sehen Sie, so knackt man ihn.‹ Dies mußte Mutter und Tante auch versuchen, was ihn sehr ergötzte.

Da meine Tante die Wirthschaft führte, hatte sie einen Schlüsselbund umhängen, was Beethoven veranlaßte, sie in neckender Weise ›die Aebtissin‹ zu nennen.

Als Mutter Braut war, that Beethoven wiederholt die Aeußerung: ›Ach das Fräulein Nanni hat ja ihren Schmerling‹. Mutter war 18 Jahre alt als sie Braut wurde, muste aber 8 Jahre lang warten, bis sie ihr Ziel erreichte. Die Großmutter väterlicherseits wollte eine Verbindung nicht zugeben, da Vater lungenleidend war. Doch Vater und Mutter harrten aus und vermählten sich endlich nach achtjähriger Brautschaft. Trotz seinem Leiden erreichte Vater doch das 63. Lebensjahr. Als Wittwe zog Mutter sammt Tante zu meiner ältesten Schwester, die an den Magnetiseur Czippick verheirathet war und in Steiermark lebte. Czippick hatte dort das nächst der Südbahnstation ›Kapfenberg‹ liegende Fichtennadelbad ›Steinerhof‹ gegründet.

An Mutters Vermählungstag knüpft sich eine sehr liebe auf Beethoven bezugnehmende Erinnerung, die sie sich dann oft noch in ihr Gedächtniß zurückrief. Als sie nämlich nach ihrer Trauung heimkehrte, hörte sie eine schöne Männerstimme, darauf ein Männerquartett mit Clavierbegleitung. Es war ein Hochzeitslied, welches Beethoven zu dieser Gelegenheit componirt hatte. Die Mitwirkenden, wie auch Beethoven selbst waren in einer Ecke des Zimmers versteckt.13 Als sie geendet hatten, traten sie alle aus dem Versteck hervor und Beethoven überreichte ihr das Manuscript des Hochzeitsliedes. Der Text dazu war von einem Freunde meines Großvaters, Professor Stein, ein in damaliger Zeit berühmter Gelehrter. Ich besitze eine Abschrift davon. Das Original sollte ich nach dem Tode meiner Mutter erhalten, da sie sich nicht früher davon trennen wollte. Als sie jedoch nach einer halbjährigen Abwesenheit heimkehrte, wurde sie mit dem größten Entsetzen gewahr, daß dieses ihr so werthvolle Andenken aus dem geheimen Fache ihres Sekretäre entwendet war. Ihr und mein Schmerz war unsagbar groß. Trotz allen Forschens konnten wir nicht mehr in den Besitz dieses Schatzes gelangen, alle Mühe blieb erfolglos.

An einem Geburtstage meiner Mutter beglückwünschte Beethoven sie mit folgendem Canon, indem er sich ihr feierlich näherte und sang


2. Aus den Mitteilungen von Fräulein Fanny Giannasio del Rio

Da machte er eine große Pause. Als Mutter sagte: ›Dies ist ein freundlicher Wunsch! Glück und Gesundheit sollen mir fehlen?‹ lachte er laut auf [521] und sang weiter den Schluß


2. Aus den Mitteilungen von Fräulein Fanny Giannasio del Rio

Diesen Canon sangen wir oft mit Mutter und Tante,

Zur Zeit des Congresses hatte mein Großvater den Geheimen Rath Friedrich Duncker bei sich beherbergt, welcher sich später in wahrhaft freundschaftlicher Weise an die Familie anschloß. Friedrich Duncker war der Verfasser des Trauerspieles ›Leonore Prohaska‹ zu welchem Beethoven die Musik schrieb. Das Trauerspiel ist nicht im Druck erschienen, so auch nicht Beethoven's dazu componirte Musik. Eine theilweise Ab schrift derselben befindet sich in meinem Besitze. Ein Lied daraus wurde von Mutter sowohl wie später auch von mir oft gesungen.

Dies ist so ziemlich alles was ich von Mutter, Tante, und ihren Beziehungen zu Beethoven weiß und was speciell von Interesse für Sie sein könnte. Indem ich hoffe damit wenn auch halbwegs, Ihrem Wunsche entgegengekommen zu sein, bleibe ich wie immer


Ihre aufrichtige Freundin

Anna Pessiak.«

Wien 30. 3. 1887.


Beim Lesen des Tagebuchs spürt man durchweg den unbewußten Einfluß der Gefühlsschwelgerei einer gewissen Literatur jener Tage. Uns kann der größte Teil des Inhalts desselben, soweit er nur die Schreiberin selbst betrifft, hier nicht interessieren; wir bemerken nur im allgemeinen folgendes: Fanny Giannatasio del Rio war am 25. Mai 1790 geboren (ihre Schwester Anna am 26. April 1792), stand also in ihrem 22. Jahre, als sie am 1. Januar 1812 ihr Tagebuch begann; es sollte, wie sie selbst sagt, kein eigentliches Tagebuch werden, da sie nur mit Unterbrechungen daran schrieb. Auf die trübe und melancholische Stimmung der ersten Seite, welche mit körperlichem Befinden zusammenhing, werfen spätere Ereignisse ein Licht. Sie war damals halb verlobt mit einem gewissen Cnobloch, den sie einem andern vorgezogen hatte; doch kam ihr der Verdacht, daß er ihrer Liebe nicht würdig sei, und das war auch die Meinung ihres Vaters, der mit ihr offen sprach. Das Verhältnis wurde abgebrochen. Aus späteren Aufzeichnungen scheint es, daß Cnobloch das Verhältnis aufgab. Das verwundete sie nicht allzu tief, eine Reise tat ihr wohl und der Ton des Tagebuchs ändert sich. Dann näherte sich ihr ein Dr. Ziersky (wahrscheinlich Advokat in Wien), zu dem sie eine tiefe Zuneigung faßte, die man in dem Tagebuche verfolgen kann. Aber auch über diesem Verhältnisse türmten sich Wolken auf; Ziersky war kränklich, sah eine völlige Heilung nicht vor sich und nahm als ehrlicher Mann Anstand, ein anderes Leben an das seine zu binden. Fanny wußte das und litt mit ihm darunter; er hielt sich mehr zurück, schrieb ihr aber von einer Erholungsreise, [522] ein Brief, der ihr sehr teuer war und den sie auch beantwortete, worauf noch weiter kurze Korrespondenz folgte. Ziersky kehrte zurück, sein Leiden kehrte wieder, die Liebe ging in sachteren Bahnen, die Zurückhaltung des Geliebten machte ihr viel Schmerzen, obwohl sie den Grund wohl ahnen konnte und auch ahnte. Am 5. Mai 1815 starb Ziersky; ihren Schmerz gibt das Tagebuch wieder. Einen anderen Schmerz bereitete ihr bald nachher die Abreise des so hoch verehrten Duncker. Auch die pekuniären Verhältnisse des Hauses quälten sie.

So hatte Fanny, lange ehe sie Beethoven kennen lernte, reiche innere Erfahrungen zu machen Gelegenheit gehabt, und dieselben hatten in ihrem empfindsamen Gemüte ihre Spuren zurückgelassen; ein Bedürfnis, Zuneigung zu empfangen und zu geben, war ihr geblieben. Einen Schlüssel zu ihrer Stimmung geben die Worte, die sie nicht lange vor Zierskys Tode niederschrieb, es sei ihr zum Bedürfnis geworden, »ein Wesen, welches für sie leben wollte, mit treuer, warmer Liebe zu umfassen«, und nach dessen Tode: »Daß nur die Liebe ihr ihre Tagebuchblätter werth machte«. Dieser poetische Anstrich sei aus ihrem Leben geschwunden; so scheine ihr alles so wichtig darüber zu schreiben. – »Es kömmt mir oft so vor, als wenn die Meisten ihren Körper für die Hauptsache hielten und gar nicht dächten, daß sie auch ein besseres ich in sich haben.« Im Anschauen des Glückes ihrer Schwester fühlt auch sie den Wunsch nach Mitgefühl, nach einer gleichgestimmten Seele, »welche mich beseligen würde, und deren Glück auch ich ausmachen dürfte«. Sie zweifelt an der Erfüllung dieses Wunsches.

Begeistert für Musik, wie sie war, hatte sie die Bewunderung für Beethoven längst in sich aufgenommen, ehe sie ihn persönlich kannte; davon geben mehrere Äußerungen im Tagebuche Kunde. Duncker schenkte ihr den Fidelio und einen großen Teil der Sonaten. Die Freude der persönlichen Bekanntschaft sollte ihr denn nun jetzt zuteil werden, da Beethoven im Januar 1816 den Neffen in das Institut brachte. Am 25. Januar 1816 schreibt sie in ihr Tagebuch:


»Was ich so oft vergebens gewünscht habe, Beethoven möchte zu uns kommen, ist geschehen. Gestern Nachmittags kam er mit seinem kleinen Neffen, das Institut zu sehen, und heute ist schon alles in Richtigkeit. Nichte von meiner kindischen Verlegenheit, dennoch bin ich zu entschuldigen, da so viele Gedanken mir im Kopf herumfuhren, und die Auspizien so übel waren, daß ich sehr zerstreut war. Wie angenehm es ist, eben auf solche Art in Verbindung zu kommen [mit dem], den ich als Künstler so innig verehre und als Menschen achte, kann ich nicht beschreiben. Es ist mir wie ein Traum, daß was wir Jahre lang wünschten, nun so überraschend geschehen ist. Wie sehr würde es mich freuen, wenn wir in wahre freundschaftliche Verhältnisse mit B... träten und ich vielleicht hoffen dürfte, einige Stunden seines Lebens ihm angenehm zu machen, ihm aber, der schon so manche trübe Wolke aus[523] meinem Leben verscheucht hatte. Das innige Mitleid, welches ich mit seinem traurigen Zustand habe, ist ein Hauptgrund es zu wünschen. Der junge Mann, welcher mit ihm war [Bernard] sagte Nanni: B. wird sie nun recht oft besuchen, als wenn er gewußt hätte, wie sehr wir es früher gewünscht hatten. In dieser Hoffnung ist es mir so angenehm zu leben, und ich fühle nun ein besonderes Interesse für ihn [für] den Lauf der künftigen Tage. Die Stimmung vorgestern machte mich viel geneigter in Gesellschaft mehrerer fremderer Menschen zu sein.« –

Am 30. Januar: »Die Tage beschäftigte mich Beethoven so sehr, das heißt die Erwartung seines Neffen, daß ich mich fast schämte, destomehr da ich Leopolds und Nannis Gedanken nicht so ganz unmöglich finde, als es manche finden würden. Wünschen kann ich es nicht, aber verreden will ich es auch nicht, denn ich glaube kaum, daß meine Verehrung seines Genies durch näheren Umgang vermindert werden würde, an Achtung könnte ich aber wohl gewinnen, wenn ich ihn so herzlich und gut fände, wie er uns geschildert wird, und was ihn mir jetzt schon ungemein interessanter macht. Es ist mir unmöglich mich jetzt mit etwas anderem zu beschäftigen als mit meinen angenehmen Gefühlen über unsere neue so interessante Bekanntschaft mit Beethoven. Er brachte den ganzen Abend bei der Mutter und mir zu, und hat in der Zeit sich als einen Mann von seltenen moralischen Gefühlen, mit einem Wort, sich als einen so achtungswürdigen braven Mann gezeigt, daß mein Enthusiasmus für ihn durch das gediegenste Gefühl der Achtung erhöht wird.«

Am 22. Februar: »Nun einige Worte von der gestrigen Abendunterhaltung. Gewöhnlich finde ich im gemeinen Leben die Erwartung weit angenehmer als den Genuß, so auch hier, wir hatten uns recht viel vorgestellt, und in der Hauptsache war es nicht so, als es hätte sein können und sollen. Es lag wohl an der Gesellschaft, denn Nanni bot alles auf um sie allgemein zu beleben. Beethovens Anblick erfreute mich, ich kann nicht mehr sagen, denn gesprochen habe ich fast gar nichts mit ihm. Vorgestern Abends war er bei uns und nahm vollends unser Herz ein. Dieser feste gedie gene Charakter gefällt uns so sehr an ihm, diese Bescheidenheit und Herzlichkeit. Der Kummer, welchen ihm die unglücklichen Verhältnisse mit der Mutter machen, greift ihn sehr an, das betrübt mich wahrlich, denn er sollte recht glücklich sein. Wenn er sich nur recht sehr an uns anschlösse und durch unsere herzliche Theilnahme Beruhigung und Heiterkeit fände. Der Vater fragte ihn, warum er uns bei der Kinderunterhaltung so bald verlassen habe, und er antwortete: sein Gesicht gehöre nicht unter frohe Gesichter und es drückte ihn so sehr, daß er es nicht mehr aushalten konnte. Ich fürchte sehr, daß ich im längeren näheren Umgange mit diesem braven vortrefflichen Menschen, mein Gefühl für ihn mehr als Freundschaft werden dürfte und daß dann sehr viele unruhige Stunden mir bereitet wären..... Dennoch will ich manches Unangenehme gern ertragen, wenn es nur in meiner Macht stände, ihn heiter zu machen.«

Den 23. Febr.: »Auch gestern war Beethoven den ganzen Abend bei uns. Nanni war bei der Probe und ich und Mama ganz allein. Was ich, [524] als Mama zum vorlegen gegangen, mit ihm über seine Compositionen und Musik überhaupt sprach, war mir eben so interessant, als die erneuten Bemerkungen, welche ich als Mensch über ihn machte. Mir wird es nicht leicht zu viel mit ihm zu sprechen, obwohl die Unterhaltung sehr erschwert ist seines Unglücks wegen; doch besorge ich immer daß er die andern geniert.«

Den 26. Febr.: – – »Vorgestern war Beethoven wieder mehrere Stunden in unserer Mitte. Dieser Abend hinterließ mir einen ungemein angenehmen Eindruck, welcher den Wunsch mit sich führt, mehrere ihm ähnliche zu erleben. Er zeigt sich uns, oder vielmehr wir sehen ihn, immer mehr in jenem schönen Lichte, welches die wahrhaft guten umgiebt. Was er von seinem Freunde erzählte, von seiner vortrefflichen Mutter, sein Urtheil über Männer, die sich mit ihm in eine Linie stellen, alles zeugt von einem ebenso gebildeten Herzen als Verstand. Ueberhaupt finde ich das Meiste was er spricht, werth aufgeschrieben zu werden, so richtig und gediegen ist es. Wenn ihm unsere Gesellschaft recht unentbehrlich werden könnte, so würde es mich recht glücklich machen!«

Den 27. Febr. (nach anderm Gleichgültigen): »Die Bekanntschaft mit Beethoven bringt ein angenehmes Interesse in mein Leben. Der Gedanke, daß er den Abend bei uns zubringen könnte, erfreut mich des Tages über, obwohl es nicht angenehm ist, wenn irgend jemand bei uns ist, da man im reden geniert ist. Ich hoffe, daß es so angenehm bleiben wird.« –

Den 2. März: – »Was war das? so rufe ich nach einem Gespräche aus, welches ich so eben mit Nanni über Beethoven führte; soll er mir denn wirklich schon so interessant, ja so theuer geworden sein? daß mich dieser scherzhafte Rath meiner Schwester, mich nicht in ihn zu verlieben, recht sehr verdroß und schmerzte. Es ist ein Elend mit mir! ich lasse mich von dem Gedanken hinreißen! ein Leben mit Liebe verwebt, wenn es auch manche unruhigen Stunden mit sich bringt, sei besser als dieses leere todte fortvegetiren eines warmen Herzens. Und es ist doch nicht wahr! Ja wenn ich näher mit ihm bekannt werde, so muß er mir theuer, ja sehr theuer werden. Das soll er ja und darf es werden. Warum gleich an eine nähere Verbindung denken? die ich bei genauer Betrachtung fast für unmöglich ansehe. – Wie kann ich aber auch so eitel sein, zu glauben, daß es mir vorbehalten sei, diesen Geist zu fesseln. Diesen Geist? oder dieses Herz. Ja dieses vortreffliche Herz wäre ganz nach meinem Sinn. Genug auf lange über diesen Punkt, es würde mir ganz die Unbefangenheit im Betragen mit ihm rauben. Auch habe ich kleine Neckereien ausgenommen noch nie mit Nanni ernsthaft darüber gedacht und geredet. Gestern wollte ich schon schreiben, weil mich meine dumme Stimmung stürzen machte. Ich sage ce, wenn ich über manchen Punkt vernünftig bin, hier ist es, als wenn ich eine fixe Idee hätte, und werde nur in meinem Alter gescheidter werden.«

Den 4. März: »Beethovens Geschenk, die Schlacht bei Vittoria, freute mich ungemein, eben so sehr, daß er an uns dachte. – Was kann ich dafür, daß heute Morgens, bei einer nicht sonderlich guten Laune, welche vermuthlich Mamas Husten die Nacht hindurch hervorbrachte, die ersten Worte[525] jener Schrift, welche Karl mir beim Frühstückmachen zu lesen gab und welche ihm sein edler, vortrefflicher Onkel geschrieben hatte, Thränen entlockte. – – Und dieser Mensch ist nicht so glücklich, als er es als Mensch sein könnte!«

Den 7. März. [Sie war abends vorher von der Musik fortgerissen]: »Beethoven hörte eine Weile zu; das ängstete mich noch seinetwegen, so sehr ich gewünscht hätte, daß er den Abend vorher zu uns gekommen wäre. Wenn nur die fatalen Geschichten mit der Mutter ein Ende hätten, der arme redliche Mann nimmt es sich so sehr zu Herzen, daß er noch krank werden könnte! Meinem theuren Duncker schrieb ich recht viel von B.... wenn er nur recht bald antwortete.«

Den 11. März: »Gestern im Gesellschaftskonzert war ich mit der Ausführung nicht zufrieden, demungeachtet freute es mich Musik zu hören. Musik von unserm theuren Beethoven.14 Neulich Abends war er mir wieder so lieb. Alles was er erzählt und sagt, hat so sehr das Gepräge des Aechten und Wahren! Wenn er nur recht oft käme und uns recht lieb gewänne!«

Den 12. März: »Gestern Abends hoffte ich lange vergebens, daß Beethoven kommen würde, ich war allein mit der Mutter. Nur unsere gewöhnliche fatale Abendgesellschaft Herr A... erschien. Endlich als ich mich schon in das Geleise der gewöhnlichen Abende begeben hatte und etwas draußen zu thun hatte, läutete Jemand, und siehe da! es war mein theurer B... Er hat wohl keine Idee wie lieb er uns ist, und mir manchmal ganz besondere. Häßlich kam er mir nie vor, aber jetzt fängt er mir sogar an zu gefallen, besondere sein liebes Wesen, er ist in allem originell und was er sagt hat Gewicht.«

Den 14. März: »Gestern Abends war B... wieder bei uns. Die Mama, Leopold und Nanni sprachen durch mich mit ihm. Leider daß es so ist. Aber wie gerne würde ich auch in die Länge dieses Ämtchen übernehmen. Er war sehr gut gestimmt, vermuthlich weil seine Vormundsgeschäfte so glücklich sich enden. Wir sprachen viel über den Musikverein; lachten und ärgerten uns über die Einrichtungen in unserem Staateetc. Es freut mich sehr, daß er die Gedichte von Leo pold gelesen hat; denn daraus kann er recht erkennen, wie sehr wir ihn schon lange ehren. Als L... fortging, da wollte er auch gehen, Nanni ließ ihn merken daß es uns angenehm wäre, wenn er noch bliebe, und er sagte, es schicke sich ja nicht für ihn, da er der jüngste Bekannte sei, doch wir ermunterten ihn mit dem Bedeuten, daß wir nicht so sehr auf Etiquette sehen. Auch blieb er noch. Wie sehr es mich freut, wenn wir ihm recht lieb werden geworden sein. Ach wenn wir ihm nur recht lieb würden! So wie Duncker! Wird das wohl geschehen? Er könnte uns den Abgang dieses Freundes ersetzen, was die Gesinnungen betrifft, wenn auch nicht den gesellschaftlichen Umgang, denn der ist doch im ganzen ungemein erschwert.«

Den 17. März: – »Vorgestern war B... den ganzen Abend bei uns. Nachmittags auf einen Sprung, um uns mit Erstlingen des Frühlings, [526] wie er sagte: uns den Frühling zu bringen. Dieses Erinnern an uns freute mich ungemein. Abends sprach ich viel mit ihm, über Spaziergänge, Baaden, und der Geschichte mit Karls Mutter. Dieses reine sonderbare Gefühl für Natur ist so schön an ihm! Die Festigkeit, mit welcher er seinem Werthe nichts vergibt in Rücksicht seines Lebens mit den Großen, gefällt mir ungemein. Sein Geständniß der Art von Mißtrauen, weil er seinem Gefühle nicht freien Lauf lassen konnte, welches uns vor kurzem so ängstete, belustigte mich und Nanni, die von der Probe zurückgekommen war, wegen der zusammentreffenden Umstände und dem Namen Schönauer, der wie wir wissen, in einer ganz andern Hinsicht, freilich gar nicht mit ihm harmonirt. Ich war oft mit ihm allein und besorgte ihm langweilig zu werden, aber er hätte ja weg gehen können. Der Vater kam und wir zwangen ihn auf eine so herzliche Weise, mit uns Abendmahl einzunehmen, daß er da blieb und uns mit seinen so originellen als richtigen Bemerkungen, seinen lustigen Wortspielen und manchen Beweisen der Zutraulichkeit recht sehr erfreute Es war 12 Uhr als er uns verließ. Was mich betrifft, wie wollte ich so gern mir von dem Schlafe abbrechen, wenn es nur öftere geschehe.«

Donnerstag den 21. März: »Es drängt mich, mich mit meinen Blättern zu beschäftigen, da ich, was seit heute Vormittage in meiner Seele vorgeht, selbst meiner Schwester verschwiegen habe, welche sonst meine innersten Gedanken weiß. Kann ich mir es noch verhehlen, was mich in eine Stimmung brachte, daß ich immer weinen wollte. Ja es interessirt mich B... auf jene eigennützige Weise, daß ich will, ich soll ihm auch ausschließend gefallen? und der Gedanke, welchen der Vater, durch das Erzählen von einer einst zu unternehmenden Reise, von seinen Worten, daß er nie ein heiligeres Band knüpfen würde, als das ist, welches ihn jetzt an seinen Neffen bindet, der Gedanke also durch Verhältnisse getrennt von ihm zu werden, das bestimmte Aufgeben meiner Phantasie, denn anders kann ich es nicht nennen, welche mich ohne mein Wissen recht sehr beschäftigte, hat jene Stimmung hervorgebracht. Ich schäme mich arg, daß ich mir es gestehen muß, aber derjenige möge mich richten, welcher mit einem Herzen, welches die Kraft in sich fühlt, unendlich zu lieben, schon manchem Schmerz unterlegen, weil es seinem schönen Gefühle nicht freien Lauf lassen konnte, wenn es einen Gegenstand findet, der es mit all seiner Liebe umfassen könnte und hoffen dürf te, ihn dadurch zu beglücken, sich kalt verschließen soll. Ich fragte mich neulich und öftere schon in früherer Zeit, warum mir denn die kindliche und schwesterliche Liebe, welche denn doch die reinste ist, mir nicht genügen kann! Darüber ist aber schwer zu grübeln, und hier kommt es nur darauf an, Herr seiner selbst zu werden, was mir bisher so schlecht gelungen ist. Bis ich denn diese Kraft und Ruhe werde erlangt haben, nehme ich mir vor, über diesen Punkt meiner Zukunft weniger nachzudenken, oder vielmehr die Gedanken darüber zu verjagen, in kindlicher Erwartung fortzuleben, als treue Tochter, Schwester und Freundin, dann werde ich allmählich zu reiferen Jahren gelangt sein, wo es mir dann nicht mehr so schwer fallen wird, den lebhaften unvernünftigen Wünschen meines Herzens Stille zu gebieten.«


[527] Diese Gedanken setzt sie noch ein wenig fort. Sie kämpft mit sich, aber Verstand und Wille behalten die Oberhand; eine stille Liebe ist das nicht.


Den 23. März. – »Als ich nach Hause kam, hörte ich, daß Beethoven den ganzen Abend da gewesen wäre, er hatte mit der Mutter und den Kindern mit Kugeln gespielt und uns Shakespeare gebracht. Er hatte manches von seinen Ältern und Großvater erzählt, welcher ein wahrer Ehrenmann gewesen sein soll.« –

Den 30. März: – »Gestern und alle die verflossenen Abende erwarteten wir Beethoven vergebens. Der Vater wollte mich mit dem Kleinen zu ihm mitnehmen und ich versagte mir wirklich eine wahre Freude, daß ich nicht ging. Es war ein inneres Gefühl in mir, was mir sagte, ich solle es nicht thun und der Vater fand es auch für gut, als er nach Hause gekommen war Der gute B. ist schon einige Tage nicht ganz wohl. Alles verstimmte mich so sehr, dennoch ist mir alles unendlich interessant, was ich von diesem Mann höre!«

Den 3. April. – – »Unser theuerer Beethoven, den wir neulich in Gegenwart der Schönauerischen nur einige Augenblicke sahen, schrieb gestern seinem Kleinen einen sehr lieben Brief, worin er ihm wieder so viel schönes und gutes sagt, daß es mir wahre Freude gemacht hat, ihn zu lesen; indeß finde ich es doch nicht ganz recht, daß er ihn nicht in seiner Unbefangenheit fortleben läßt, sondern ein Vertrauen in Anspruch nimmt, dessen Vortheile und Werth der Kleine gar noch nicht zu schätzen weiß und ihn auf diese Weise nur grübeln machen könnte, was ihm etwa fehle, oder nach seiner nicht zu großen Liebe zur Wahrheit noch gar verleiten könnte, ihm Unwahrheiten vorzusagen. Doch das kömmt wohl von dem Wunsche ihm die Liebe zur Mutter zu ersetzen und ihm alles zu sein.«

Den 11. April: – »Dienstag Nachmittag [9. April] sah ich Beethoven wieder nach ziemlich langer Zeit, da er krank war; was uns wirklich, oft für die Folge, für ihn besorgt machte. Ich war ganz allein mit ihm und da er wenig Theil an dem zu nehmen schien, was ich ihm sagte, so war mir nicht angenehm zu Muthe. Es kam Leopold Nanni und die Mutter und da wurde es etwas lebhafter. Er sprach einmal von seinem Uebelbefinden und sagte, daß würde auch einmal sein Ende sein, diese Anfälle von Koliken; da sagte ich ihm ins Ohr, das solle noch lange hinaus gesetzt sein. Doch er antwortete: ein schlechter Mann der nicht zu sterben weiß! ich wußte es schon als ein Knabe von 15 Jahren. Ja freilich, meinte er, für die Kunst habe er noch wenig gethan; da rief ich ihm mit Freimüthigkeit zu: Deswegen könne er keck sterben. Diese wenigen Worte verstimmten mich sehr, der Gedanke nämlich daß er bald sterben könnte. Seine neue Composition, ›Die Hoffnung‹ aus Tiedges Urania mit dem Recitativ ist göttlich. Ich war so entzückt als Nanni, als wir es spielten und sangen, es hob uns himmelan!«

Den 16. April (Sie spricht ihren Schmerz aus, daß Duncker nicht schrieb): »Beethovens Erscheinen, seine obwohl nur augenblickliche frohe Laune, machte [528] mir einen angenehmen Eindruck und verlöschte zum Theil den ersten unangenehmen.«

Den 20. April: – »Abends' fanden wir unsern lieben Beethoven. Er schien uns recht fröhlich und guter Dinge. Doch viel wurde nicht gesprochen. Sein neckisches Wesen, die kleinen witzigen Ausfälle, sind so originell als Mensch wie als Musikdichter. Ich wünschte nur daß er recht oft käme, damit auch jene kleinen Unbequemlichkeiten, welche sich öftere in seinem Umgange finden, verloren, ich meine daß man sich weniger genierte, und ihm alles so sagen könnte wie man es denkt.«

Den 4 Mai. In düsterer Stimmung, aus verschiedenen Anlässen, schreibt sie: »Die ernste Erscheinung Beethovens, dessen kaltes Benehmen gegen uns mir eine höchst unangenehme Empfindung erregte, die mich nun in meiner liebsten Beschäftigung begleiten wird. Die ängstliche Besorgniß, er möchte sein theueres anvertrautes Gut nicht lange in unserer Obhut lassen, verläßt mich nicht seitdem ich den Knaben gefragt, warum er geweint habe und er mir geantwortet hat, der Onkel habe es ihm zu sagen verboten und die Hauptsache seiner üblen Stimmung wäre es nicht gewesen, was Nanni und ich geglaubt hätten, daß er ihm so lange nicht geschrieben habe. Gott weiß es, was da geschehen wird, aber ich weiß, daß es mir so schmerzlich fallen wird, das Band so bald gelöst zu sehen, das uns mit diesem vortrefflichen Menschen in Verbindung brachte, als es mich erfreut hatte.«

Den 8. Mai: – »Unsere Lage mit Beethoven beunruhigt mich und raubt mir das angenehme Gefühl, mit welchem ich mich in Beziehung auf ihn als Mensch mich mit seinen Meisterwerken beschäftigte. Doch wenn er uns ernstlich etwas zur Last legt, könnte vielleicht meine hohe Stimmung von seiner Bildung herabgestimmt werden.«

Den 9. Mai. (Verschiedene trübe Eindrücke): »alles dieß, die Geschichte mit der Brieftasche, daß uns Beethoven nicht mehr besucht, – – stürmt mächtig den Tag über auf mich ein.«

Den 27. Mai (Sie hatte zu ihrer Freude einen Brief von Duncker erhalten): – »Nanni meinte, als sie Dunckers Brief nicht ganz gelesen, man müsse ihn Beethoven zeigen, um ihm eine richtige Idee von dem Mann beizubringen, aber als ich sie später fragte, so ließ sie ein ähnliches Gefühl mit mir es nicht für gut finden. Nur eine Bemerkung über ihn, so zart sie angebracht ist, verbietet es uns. Es werden es manche nicht verstanden haben; ich glaube aber verstanden zu haben, was Duncker mit dem Wesen meint was B. finden könnte Er war vorgestern Abends heraußen, sein Wesen hat jetzt so manchmal so etwas trübes, unfreundschaftliches, daß es mich scheuer mit ihm macht und die vertrauensvolle Annäherung, welche an einigen Winterabenden schon recht im Gang war, zum Stocken bringt. Die Umstände haben da sehr viele Schuld, aber ich darf kaum hoffen, daß der liebe Wunsch, B. möchte uns ein vertrauter Freund werden, in Erfüllung gehen werde, da sich die Ersteren schwerlich ändern werden. Bei hundert andern Gelegenheiten, so wie bei dieser möchte ich ausrufen: wäre Duncker hier, wäre es andere und besser!«

[529] Den 7. Juni: »Einen dieser Abende war Beethoven hier. Co geschieht wie bei manchen seiner Aeußerungen so oft, daß ich ausrufen möchte: ja so ist es, denn so fühle ich.. Doch mit einer konnte ich wohl gar nicht beistimmen, daß ihm sein Leben nichts werth sei und er es blos des Knaben wegen erhalten wünsche! Diese zweimalige Aeußerung verstimmte mich in einem unerlaubten Grade, denn sie brachte mich zu Thränen. Den theueren Wunsch meines Herzens, B. mehr zu werden, als gewöhnliche Freunde, ihn in unserem Kreise öfters erheitert zu sehen, werde ich mit Nanni'n nach und nach aufgeben müssen. Duncker schreibe ich davon. Vorzügliche Schuld an diesem wenigen Naherücken mit ihm ist doch sein Gehör.«

Den 29. Juni: (Sie war krank gewesen.) »Während der Zeit in welcher ich mich im leidenden Zustand befand, erfreuten mich 2mal Beethovens Besuche. Es mag sein, daß mein Unvermögen ihm im Lauf des Gespräches nichts sagen zu können, oder wenigstens einen Gedanken durch den Andern zu ihm bringen zu können, mich in eine Unruhe versetzte, welche mein Fieber vermehrte, indeß litt ich es gern noch öfters, wenn ich dafür das Vergnügen haben könnte, diesen äußerst interessanten, von seltenem Verstande, von alter deutscher Redlichkeit und Biedersinn beseelten Mann sprechen zu hören. Er paßt wohl nicht in die gewöhnliche Welt und sein Eifer für das Wahre und Gute, welcher durch viele traurige Erfahrungen nichts von seiner Heftigkeit verloren hat, hat in unsern jetzigen Zeiten nur zu viel Gelegenheit auf das schmerzlichste gekränkt zu werden; aber ist es nicht eben diese Heftigkeit, welche ihn uns desto achtbarer macht. Die Geschichte seiner Trennung von Lichnowsky, die Geschichte seines Decrets, sind zwar keines erfreulichen Inhaltes, doch interessirten sie mich besonders von ihm ungemein; bei ersterer gefällt mir die Festigkeit seines Charakters besondere. Er war nicht so heiter als die letzten Male und schien durch den Eifer, mit welchem er einige interessante Begebenheiten seines Lebens, aber vorzüglich eine kleine Zergliederung des jetzigen, ich darf es schon sagen: Menschenverfalles, denn wahr bleibt es doch, daß wir in solcher Epoche leben! vortrug, nicht besser gestimmt zu werden, das that mir recht leid und ich hätte vieles gegeben, wenn er in unserem Umgange einige Erheiterung fände, doch ich hoffe kaum, daß dieß je geschehen wird. Ach! so gern hörte ich ihn spielen! Ich zeige ihm oft, ohne ihn gerade darum zu bitten, meine Luft, aber er hat noch nie meinen Wunsch erfüllt. Ich getraue mich nicht hierüber zu urtheilen, ob es nur Laune ist, ob es zu große Bescheidenheit ist, welche ihn nicht einsehen läßt, was für eine Freude er uns damit machen würde, oder gar das Gefühl seines Werthes, welches ihn glauben macht, wir würden sein Spiel nicht nach Würde zu schätzen verstehn. Letzteres wäre denn freilich ein wenig stolz; ich denke mich in seine Lage und dürfte vielleicht auch so [sein], aber gefälliger wäre ich denn doch. Ich weiß wahrlich nicht was ich glauben soll und meine er hätte keine Luft und nicht viel Glauben an unsere Freude darüber, was ihn unseren Wunsch seit seiner Bekanntschaft noch nicht befriedigen läßt.« Sie habe an Duncker geschrieben, könne aber doch nicht so ungeprüft alles schreiben, was sie denke: »denn dann müßte ich [schreiben], daß ich mir oft Mühe geben muß; B. nicht so interessant zu finden, da ich [530] bei meinem in dieser Art interesselosen Leben, es leicht geschehen könnte und ich dann in die Lage kommen dürfte, ein wenn nicht unruhiges, doch ein minder ruhiges Leben zu führen, als ich es seit meinen letzten Stürmen gewohnt war. Ich wünsche dennoch sehnlichst näheren freundschaftlichen Umgang mit diesem Manne, weil wie ich glaube, die Phantasie ihren allzu geschäftigen Spielraum dann verlieren und durch den theilnehmenden Umgang eines so braven theuern Freundes für andere Freude entschädigt sein würde. Aber er müßte in seiner Weise so mit uns reden wie Duncker, vielleicht ist hier einiges mit weniger Einsicht gedacht, aber der letzte Wunsch ist doch reell, denn was ist dauernder und schöner als der Genuß wahrer Freundschaft in dieser Welt.«

Den 12. Juli: – – »Was aber vorzüglich meinem Wesen das Gesellschaftliche versagte, war das Bewußtsein, Beethoven sei hier und ich hatte nur einen Augenblick mit ihm gesprochen, mußte [ihn] kleiner Geschäfte halber verlassen, was mich so unruhig machte, daß ich selbst auf mich böse war.« –

Den 14. Juli: Spaziergang. »Ich ging mir zum Trotz, weil ich bemerkte, daß ich Beethoven erwarte!«

Den 28. Juli – – »wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel traf uns als wir zu Hause angekommen waren der Brief von Beethoven mit ihrem Einschluß So schmerzlich es mir fiel, als ich seinen Brief gelesen hatte, so war es mir dennoch tröstend, denn bei Mama's Worte, er hat aufgekündet, nebst ihrem elenden Brief, fürchtete ich daß irgend ein Mißverständnißetc. zum Grunde liege Die ersteren Stunden that mir der Gedanke unendlich wehe, so bald aus aller Verbindung mit einem Mann zu kommen, den ich so sehr schätze und der meinem Herzen seit unserer Bekanntschaft immer lieber geworden ist, doch heute ist es mir weniger schmerzlich, wenn ich denke wie äußerst herzlich sein Brief ist und daß er mir nicht abhold ist. Dem Anschein nach ist seine Handlungsweise inconsequent: ich getraue mir aber kein Urtheil darüber zu fällen. Denn er sagt ja, daß ihn wichtige Beweggründe zu diesem Schritte bewegen. Sollte vielleicht doch seine gar zu große Aengstlichkeit, daß ihm niemand selbst die Mutter nicht vorwerfen könne, wäre dieser Vorwurf auch ohne Grund, er sorge nicht für das Wohl seines Kindes? Ich weiß es nicht, aber ich glaube oft ähnliche Schwäche, so fest er übrigens sein mag, von ihm bemerkt zu haben Aber das weiß ich wie wehe es mir thut um seinetwillen; denn es ist mir nicht wahrscheinlich, daß dieser Schritt das Wohl des Knaben be fördern wird; dann thut es mir auch sehr leid, daß die meisten Menschen wieder über ihn aburtheilen werden, und die es nicht thun beschuldigen unser Haus. Was nur Schaden bringen kann. Es könnte noch eine kleine Hoffnung sein, daß ihn Papas Brief von seinem Plan abbringen wird; aber ich weiß ja selbst nicht, ob es sogar zu wünschen ist, denn wenn es dann auf was immer für eine Art fehl schlüge mit dem Kinde so hätten wir vielleicht die Schuld. Und dennoch halte ich ihn für so gerecht und er sagt in seinem Brief, ewigen Dank für das Geleistete und wie wahr und dankbar er von der mütterlichen Pflege spricht. Ich wüßte nicht bald einen Vorfall, der mich so herzinnig gekränkt hätte als dieser! Doch wer weiß zu was es gut ist, wäre das beste Sprichwort, was man sich angewöhnen könnte.«

[531] Den 1. August: – – »Auch Herr Bernhard, Beethovens Freund, kam den Abend, er versicherte uns, daß jener Brief der Mutter gewiß in keiner Verbindung mit dem Wegnehmen des Knaben habe, und er immer mit Dankbarkeit von unserm Hause spräche. Ich glaube es, und halte die Ursache davon für den Wunsch, Karln um sich zu haben, denn er liebt ihn gewiß leidenschaftlich, da er das einzige Wesen ist, das ihm ganz angehört. Indeß wünsche ich zu des Kindes Wohl, daß er in unserem Hause bleiben möchte, da es gewiß für dasselbe besser ist, als bei dem Onkel, der es vielleicht zu spät wünschen wird.«


Wunsch nach Liebesglück, vergebliche Hoffnungen spielen auch weiterhin noch eine Rolle, ohne daß bestimmte Personen genannt werden.


Den 16. August: (Ausflug nach Baden). – »Der Tag wurde einer jener ganz dem Anblicke der geputzten großen Welt geweihten und ward mir bald genug; oder ich hatte den Tag desto weniger Sinn dafür, da mich des Vaters Aeußerungen über unseren theueren Beethoven sehr düster stimmten. Er meinte er würde nicht lange in dieser Welt ausdauern, mit seinem gar zu regen Gefühle gegen die traurigen Zeitumstände nebst seiner Kränklichkeit. Tröstend ist es mir sehr, wieder so bestimmt zu erfahren, daß er nichts gegen unser Haus habe, unendlich leid, fast mit Gewißheit voraussehen zu müssen, daß es für das Kind besser wäre, wenn es bei uns bliebe, dann denke ich zwar wieder, wie weit angenehmer es ihm sein wird, ein Wesen um sich zu haben, das ihm anhängt, doch ich bin ängstlich, daß eben dieses lebhafte Gefühl für den sehr leichtsinnigen Knaben, ihn nicht mit der Strenge gegen ihn wird wiederfahren lassen, welche nöthig ist, um die Freude an ihm zu erleben, die nöthig ist, um ihm sein Leben angenehmer zu machen. Ich glaube kaum daß jemand auf der Welt es inniger wünschen kann, daß dieser edle Mensch des Lebens froher würde, als ich. Ich befürchte daß dieser Wunsch immer unbefriedigt bleiben wird, doch mehr und minder vielleicht und selbst dann will ich mich zufrieden stellen. Der Gedanke fällt mir dann doch auf, daß die Menschen gewöhnlich selbst Schuld sind, wenn sie kein Glück finden in der Welt; in ihm liegt auch viele Schuld, doch wenn dieß auch ist, ist der Verlust seines Gehöres nicht schon Unglück genug! was gewiß unendlich viel zu der Stimmung seines Gemüthes beiträgt und ihn leider so allein stehen macht.« –

Den 29. August: – (Oekonomische Unruhen). »So eben klagte Beethoven, welcher auf einige Tage von Baden gekommen, wieder hierüber, aber das ist eigentlich sein Steckenpferd. Auch hierüber war ich einige Zeit so ruhig, doch wenn ich ihn wieder höre und seine Herzlichkeit gegen uns mir wohl thut, dann wünsche ich wieder, daß er wissen sollte, wie sehr lieb er mir ist und wie wir wünschen, daß wir es auch ihm wären. Er ist recht wohl und sagte uns er würde gewiß ganz gesund werden, weil er eine sehr gute Constitution habe, aber nur sehr reizbar wäre.«

– – – »Ich las neulich einen Gedanken, welcher mir recht treffend schien und ich so passend fand für mein Gefühl, welches mich oft in Gegenwart Beethovens ergreift. Es ist wie bei dem Anblick eines Kunstwerks,[532] wenn man es zum erstenmal sieht, so beunruhigt uns der lebhafte Wunsch, es ganz zu verstehen, zu erkennen, in jedem Lichte, es von jeder Seite zu sehen.«

Den 8. September: – –»Später kam Herr Bernhard, welcher mir in Rücksicht Beethovens immer eine angenehme Erscheinung ist. Schon neulich, als er mit Beethoven Abends gekommen war und Nanni letzterem alles sagte, was sie auf dem Herzen hatte, war er mir weit lieber geworden, da er mir anfangs etwas steif und streng vorkam und nur vorgestern kam es mir in den Sinn, daß dieser Mensch mir recht interessant werden könnte, da [er] mich doch [an] Beethoven so sehr erinnert. Es war nur augenblickliche Stimmung, dieser Bernhard ist der einzige junge Mann den ich kenne, dessen Aeußeres etwas Anziehendes für mich hat. Ich kann mir in ihm einen so geliebten Menschen vorstellen und sein ernstes Wesen gefällt mir, obwohl er weit jünger ist, als alle jene, bei welchen mir das ernste Wesen gefiel.«

Den 13 September: »Gestern verlebte ich einen äußerst interessanten Tag in Baden bei Beethoven Ich bin auch davon so erfüllt, daß ich einige Tage nöthig haben werde, um in meine vorige ruhige Stimmung zu kommen. Es hat alles was ich sah und hörte so viel Interesse für mich, daß ich es gern umständlicher zu Papier bringe, obwohl die Erinnerung meinem Gedächtniß schwerlich je entschwinden wird. Die Vorstellung zu wem wir gingen, nebst der Erwartung eines Tages, welcher uns so ganz nach unserem Sinne im Genuß der freien hier so göttlichen Natur verfließen würde schon brachte mich in eine frohe Stimmung. Als wir angekommen, war es nicht so angenehm, als wir es vermuthet hatten, denn unser lieber B. hatte vermuthlich uns nicht mehr erwartet; wir fanden ihn arbeitend und daher zerstreut, so daß wir uns des drückenden Gefühles ihm lästig zu sein nicht erwehren konnten. – Im Park dann die komische Scene wegen Ph., der Ausruf Beethovens: dort schleichen zwei Geister, wird mir immer komisch vorkommen. Als wir aus dem Gasthause nach Hause gekommen waren, so brachten uns die (in) schlechten Anstalten unsere ruhebedürftigen Glieder zu erquicken, wegen Beethovens Mißvergnügen über die Dummheit seines Bedienten, wieder in eine ziemlich unangenehme Lage. Mir that es so leid um ihn, daß wir Ursache seiner unangenehmen Empfindungen waren Doch das gab sich bald wieder und als uns unser lieber Beeth. beim Scheiden zurief, wir sollten ihm nicht fluchen, wenn uns etwas fehlte, war alles wieder gut.«

Den 16. September:– – »Doch nun weiter von unserem Badener Aufenthalt. Das hohe Interesse für Beethoven und alles was ihn betrifft, verleitete uns einer vielleicht sträflichen Neugierde kein Ziel zu stecken und wie war es möglich, in einem Zimmer, welches von den Heiligthümern seiner Kunst aufgefüllt war, nicht von dem Wunsch ergriffen zu werden, alles etwas genauer zu besehen Nanni fand ein Notizbuch, welches dem Anschein nach ganz unbedeutende Dinge enthielt, doch wie sehr wurden wir bald für unsere Neugierde bestraft, als ich die schmerzliche Entdeckung machte, er müsse oft sehr sehr unglücklich sein. Dieser kindliche Glaube, der hohe Sinn, welcher so fest am göttlichen hängt, entzückte uns und steigerte unsere Theilnahme, unsere Achtung für diesen seltenen Menschen, wenigstens bei mir aufs [533] höchste. Es war unrecht, daß wir es angesehen haben, aber durch unseren Blick wurde es nicht entweiht, wir kamen hingegen in die Gelegenheit, den Werth dieses wahrhaft Edeln vollkommener als je zu würdigen. Ich war sehr erschöpft und konnte lange nicht einschlafen, doch endlich behauptete die Natur ihre Rechte. Des andern Morgens erschreckte uns die Scene mit dem Bedienten im höchsten Grade. Unser Unwille gegen den elenden Menschen und Mitleiden daß ›Jener‹ mit solchen Thieren leben müsse, kannte keine Grenzen, äußerst unangenehm verstimmte mich dieser Vorfall, doch ging es bald vorüber, als er uns zum Frühstücken an der Antonsbrücke nachgekommen war, und den Hergang erzählte, seine Heftigkeit entschuldigte und den Kleinen warnte, es nicht so zu ma chen wie sein Onkel. Es knüpfte sich bald ein äußerst interessantes Gespräch mit dem Vater an, welches sich aus den Bemerkungen fortspann, daß B. unter diesen Menschen ein so trauriges Leben führe und dem durch nichts abzuhelfen wäre, als wenn er eine brave liebende Frau nähme, weil nur die die tausenderlei traurigen Umstände seines Gehöres wegen mit Geduld ertragen würde. Mein Vater fragte ihn, ob er denn niemanden kenne etc. Ich hörte mir der gespanntesten Aufmerksamkeit in einiger Entfernung zu und erfuhr, was mich in's innerste der Seele erschütterte, eine lang gehabte Ahnung bestätigt, er liebe unglücklich! Seit 5 Jahren hatte er eine Person kennen gelernt, mit welcher sich näher zu verbinden, er für das höchste Glück seines Lebens gehalten hätte. Es sei nicht daran zu denken, fast Unmöglichkeit, eine Chimäre. Dennoch ist es jetzt wie den ersten Tag. Ich hab's noch nicht aus dem Gemüth bringen können, waren die Worte welche mich schmerzlich ergriffen. Also auch von dieser Seite leidet er; nun waren mir jene Worte auf einem Fleckchen Papier erklärt! Diese Harmonie sagte er noch, hat er noch nicht gefunden! Doch es ist zu keiner Erklärung gekommen. Fremd stand er nun vor mir und ich drückte meinen Schmerz tief in mein Innerstes zurück; doch nicht lange, so war mein Wunsch wieder so lebhaft, der Vater und überhaupt unsere Familie möchte viel zu seinem frohen Leben beitragen können. Auch bot sich letztere so herzlich an. B. war so überzeugt von unseren Gefühlen der Freundschaft für ihn, daß es mir wohl that. So zerstreut ich war, so konnte ich dieser göttlich schönen Natur meinen Zoll nicht versagen, Er sprach noch viel von dem unglücklichen Verlust seines Gehörs, von dem elenden Leben, welches er viele Zeit in physischer Hinsicht geführt etc. bis wir bei der Krämerhütte ankamen.«

Den 7. Oktober: »Wie angenehm war es mir beim Rückwege, mich mit ihm über manches zu verständigen, was ihm vielleicht unangenehme Augenblicke verursacht hätte, wegen der [zu] erwartenden Operation Karls. Ich beruhigte ihn über seine Pflegeetc. Er war so froh beim Mittagsmahl in Helena und seine Muse umschwebte ihn! Er schrieb mehrere Takte (wie interessant war mir das) und sagte: Mein Spaziergang mit Ihnen hat mir Noten genommen, doch auch wieder eingetragen! Der heftige Gewitterregen vereitelte meinen Plan für Nachmittag: Als er aufgehört hatte, gingen Leopold Nanni und ich auf die Langischen Anlagen, der Vater zu Schönfeld und B. nach Hause mit Karlen – Was ich Beethoven mit Nanniens Willen [534] zum Dank für diesen vergnügten Tag schrieb, tröstete mich für mein Unvermögen es mit Worten thun zu können.«

Den 28. September:15 »Erst jetzt komme ich dazu von Karl B.'s Operation, unserem Mitgefühl und den Tagen, welche wir an des Kleinen Schmerzenslager zubrachten etwas zu schreiben. Er wird uns immer lieber und man muß erstaunen, wie vorgerückt dieses Kind schon ist. Ein unendlich angenehmes Gefühl verursacht es mir, daß wir im Stande sind dem guten ehrlichen Onkel keine ganz gewöhnlichen Dienste zu leisten, daß er es so tief fühlt und wir uns auf diese Weise ein bleibendes Denkmal in seinem Herzen bauten. Er war die Tage hier, ich sprach viel mit ihm von der Mutter, der Ausführung seines Plans mit Karl, er sinnt nur darauf alles gut einzurichten und wünschte bei uns wohnen zu können. Freilich wäre dies das Beste, doch der Plan wegen dem Gartenhaus ist nicht ausführbar Was mich betrifft, so hatte ich noch nie so sehr den Gedanken als jetzt, daß ich diesem Geiste nicht genügen würde, wenn der Zufall oder was immer mich ihm so nahe brächte, doch das Herz – er ist so herzlich, so natürlich, ja das müßte ihm genügen. Der lebhafte Wunsch diesen herrlichen Menschen in einem sorgenfreien angenehmen Leben zu sehen, bringt mich oft auf so närrische Gedanken, aber wie ich sage, ich habe es nie so sehr eingesehen, als jetzt, wie undenkbar dieß wäre.«

Den 29. September: »Gestern Abende war wider alles Vermuthen der theure Onkel Beethoven bei uns und brachte einen jungen Menschen seinen Landsmann. Als ich ersterem sagte, ich hätte geglaubt er wäre schon in Baaden, so lachte er und meinte, er höre immer mehr auf zu glauben und ich glaube immer; überhaupt war er in so lustiger Laune und da gefällt er uns immer vorzüglich. Wegen seinem Lied, das ich ihm leihen mußte, sagte er auch er müsse es mir wohl bald wieder bringen (da ich ihn darum bat) schon meiner Liebe zur Wahrheit wegen; es war: das Geheimniß, Liebe und Wahrheit, von Winterberg, und so war er voll Späße und Wortspiele. Von dem jungen Menschen ist nicht viel zu sagen; er liebt die Musik wir spielten und fangen, was ihm sehr zu gefallen schien und ist stolz dem Städtchen anzugehören, welches der Welt einen Mann wie Beethoven schenkte. Wie hart mir ums Herz war und wie Wehmuth mein Inneres füllte als wir mit ihm gingen das Morgenbrot einzunehmen, kann ich nicht sagen. Aber unendlich angenehm der Gedanke ihm einen Dienst leisten zu können durch die Pflege des Kleinen, der, wie er oft sagte, unbezahlbar ist. Viel, sehr viel tröstet mich dies für mein Ich, und der Gedanke, daß er uns kennt!«

Den 1. November: – – »Die traurige Lage unseres theueren Beethoven betrübte mich die Zeit her ungemein; krank, umgeben von unwürdigen elenden Menschen, ohne Lebensfreuden. Er! es ist schrecklich! Dennoch hatte ich gestern ein angenehmes Gefühl, als der Vater erzählte, er wünsche immer bei uns wohnen zu können, und das Bewußtsein, daß er uns als wahre Freunde kennen lernte, versüßte mir die Bitterkeit des Gedankens, daß er keinen wahren Freund hat, wie er sich ausdrückt, und er allein auf der Welt [535] ist. Ich wollte viel darum geben, wenn diesem seltenen Menschen ein heiteres vergnügteres Leben verschafft werden könnte. Ich hoffe noch immer, obwohl von der Besserung unserer Zeit wenig zu hoffen ist, welche doch sehr damit in Verbindung steht.«

Den 6. November: – – »Auf dem Spaziergang nach Hause mit ihnen allen begegnete uns Beethoven. Er sieht sehr übel aus; und zweifelt fast an seiner Herstellung. Mir machte es einen tiefen Eindruck.« – –

Den 10. November. (Sie will an Duncker schreiben, kann aber nicht alles so schreiben, wie sie es denkt, da vergeht ihr die Luft): »und ich schreibe nur ein paar Worte über mein heutiges Gefühl, als ich Beethoven wieder sah. Er war mir so lieb, und die Hoffnung, daß er noch lange unter uns leben wird, belebt mich wieder, obwohl er selbst wenig auf seine Gesundheit traut. Ich bin oft so kindisch, daß mich ein kleiner Vorzug, den er Nanni'n gibt, schmerzt, und ich werde nur dann wieder billig, wenn ich mir oft genug vor. gesagt habe, daß ich gar auf keinen Vorzug von ihm Anspruch machen kann und darf. Der Name Äbtissin, den er mir meiner Sorgfalt um das häusliche Leben wegen aufgebracht hat, ist mir nicht ganz recht und der Gedanke, den ich von seiner Meinung damit habe, stellt mich ebenso wenig zufrieden, als Leopolden im Gegensatz mit Nanni. Mir ist es nämlich nicht recht, wenn er in mir nur eine Haushälterin, und Leopolden wenn er in meiner Schwester nur eine Dame des Vergnügens sieht. Wäre es mir nur vergönnt für ihn zu wachen und zu sorgen, ich würde es mit größter Freude thun! Denn er ver. dient es, daß ein liebevolles Wesen für ihn sorgte! Einigemal habe ich mir die Freiheit genommen, mir solche Scenen, ohne nähere Verbindung auszumalen und mir die Wirklichkeit als äußerst angenehm vorgestellt! Es müßte ihn doch freuen, wenn er es wüßte, daß es mir ein wahres Vergnügen wäre, ihm sein Leben durch so manche häusliche Dienste zu erleichtern!«

Dienstag den 17. November halb 11 Uhr N. – – »Beethoven war heute hier, er hat sich sehr erholt und ich befürchte nicht mehr so viel, daß seine Krankheit so tief liegt. Ich unterhielt mich, während die andern noch bei der Tafel waren, ziemlich lange mit ihm. Schon lange war er mir nicht so interessant als heute. Es ist alles was Werth, was er spricht. So närrisch es ist das zu schreiben, so muß ich zufolge meiner Empfindung es thun. Es that mir wehe daß ihm Nanni lieber ist, als ich, als er eine halbe Stunde mit mir ernst gesprochen, sie kam herein – so war er mit ihr gleich so froh und bemerkte mich nicht mehr. Was will ich aber? ich närrisches Mädchen, muß ja zufrieden sein, daß er mich noch so lieb hat, als es in der That ist. Auf mehr kann ich ja keine Ansprüche machen. Leider, daß ich sie so gern machte! Ich sollte mich schämen, daß ich so bald nach einem Gefühl, was mir so viel Schmerz verursacht hat, in ein ähnliches zu verfallen drohe, welches mir wenigstens unruhige Stunden verursacht; indeß meine Empfindungen sind mir klar und es ist unendlich schwer ihnen zu widerstehen, desto mehr, da ich ein Leben ohne Liebe sehr wenig achte. Es ist das Bedürfnis zu lieben; der lebhafte Wunsch einen Gegenstand zu finden, der meine Gefühle theilt, der beseeligend beseeligt; daß dieser Wunsch bei Erkenntniß eines Menschen [536] wie B... rege werden muß, liegt in der Natur; also halte ich mich nicht so tadelnswerth. Der Verstand ist dann freilich etwas zurückgesetzt, aber nicht immer Das Gefühl ist zu mächtig, um ihn nicht manchmal zu unterdrücken...«

Den 18. November: – – »ich fühlte mich bald glücklich in der wahrhaften Liebe eines anderen« – –

Den 23. November: – – »wenn ich mich putzen könnte um einem zu gefallen, das wäre dann freilich ganz andere Allein dieser eine ist für mich nicht in der Welt. – Ich weiß wohl einen dem ich recht sehr gern gefallen möchte, doch für den bin ich nicht in der Welt, wenigstens nicht in dieser Beziehung.« – – »Die Musik (Stadler) finde ich gut, doch fehlt ihr für mein und Nannis Geschmack das Gebieterische um uns zu fesseln. Warum hat uns der Einzige verwöhnt?«

Den 5 Dezember: »Vor ein paar Tagen war Beethoven Vormittags bei uns und da sprachen wir so viel interessantes, ich möchte sagen, er erzählte vieles von ihm, was mich so sehr interessirte und dennoch wirklich recht sehr verstimmte. Wir werden ihn wahrscheinlich verlieren. Er wird einen Ort verlassen, an welchem sein hoher Werth nur von Wenigen erkannt ist. Wie elend geht es doch in unserem Staate zu! Mit Recht rief er aus: man müsse jetzt nur für den Metzger, Schuster und Schneider arbeiten. Wenn es zu seinem Wohl ist so ertrage ich gern das schmerzliche Gefühl, ihn nicht mehr in unserer Nähe zu wissen und jede Hoffnung durch einen näheren vertraulichen Umgang ihm manche unangenehme Beschwerde des häuslichen Lebens weniger fühlbar zu machen. Wenn mir nur die Hoffnung bliebe, ihn wiederzusehen, oder wenigstens immer zu wissen, ob es ihm wohl geht! Doch mag es sein wie Gott will; im innersten bleibt er mir immer was er ist und so hoffe ich es, auch von ihm; der Gedanke sei mein Trost! Obwohl er es doch nicht ganz weiß, wie sehr mein ganzes Wesen von hohem Interesse für sein Wohl erfüllt ist.«

Den 16. Dezember. »Gestern verlebte ich einen äußerst angenehmen Abend in Beethovens Gesellschaft. Er war guter Laune, oder wenn ich nicht irre, besondere wohlwollend für uns eingenommen. Mit der freundlichsten Güte beantwortete er unsere kleinen Fragen und Berichtigungen und was er überhaupt sprach, hatte alles so viel Gehalt und war uns allen so voll Interesse, daß ich noch mehr von ihm eingenommen sein würde, wenn es möglich wäre. Obwohl ich ihn mir ohnedieß nicht anders denken kann, als daß er gründliche Kenntnisse, nicht nur allein über das was seine Kunst betrifft besitzt, so war es mir doch unendlich angenehm es in seinen Aeußerungen so sehr bestätigt zu finden. Mit einem Worte, je näher man diesen seltenen Menschen kennen lernt, desto mehr Werth findet man an ihm. Doch warum schreibe ich diese ewigen Wiederholungen, ich fühle mich so oft leider zu sehr davon durchdrungen. Bei Rohmanns erster Musik am 12. entlockte mir das neue Lied ›an die entfernte Geliebte‹ von Marien gesungen Thränen. Das Herz hat es geschrieben! Wie interessant muß dieß Wesen sein! Doch seine Phantasie leiht ihr vielleicht so viel Interesse? Nein, nein, er sagte ja, nie habe er mehr Harmonie gefunden! und wer so ganz im ganzen Umfange seines Wesens mit ihm harmonirt, [537] ihn versteht, der muß ihm sehr ähnlich sein und daher von recht sehr hohem Werth sein!«

Am 20. Dezember: »Einen noch angenehmeren Abend in B...'s Gesellschaft. Er schrieb zu Nannis Entzücken ihr das kleine neue Lied, dessen Manuscript sie als Reliquie verwahrt.« [Ruf vom Berge?]

Am 25. Dezember: »Am Stefanstage waren wir Abende ganz einsam und die gewöhnliche Hoffnung, welche mich die Sonntags Abende belebte Beethoven zu sehen, war dem Verlöschen nahe, als er dennoch kam. Doch nicht wie gewöhnlich mit ihm das Vergnügen; denn er war sehr einsilbig, und las immer in einem Hauskalender. Wir überzeugten uns aber nachher, daß es mehr physisch war, obwohl wir auch einen gewissen Theil seiner übleren Stimmung dem Verdrusse zuschrieben, welchen er mit den Bürgern gehabt! Der Vater war ganz entrüstet über das Publi kum vom Mittwoch,16 welches so wenig den Werth seines Meisterwerks zu würdigen verstanden und keinen Sinn dafür hatte, ihn an der Spitze zu sehen. Der Abend endete auf die komischeste Art. Beethoven neckte uns, wie wir ihn wahrhaft kindisch und kindlich; denn ich bewundere oft das wahrhaft kindliche Gemüth dieses Mannes.17 Wir schäkerten mit einander; und als er mit Leopolden fortgegangen war, so verdanke ich es nur der Stimmung, welche er mir hinterließ, daß ich nicht wehmüthig wurde, als ich sein himmlisches Lied an die ferne Geliebte sang. Ich kann nicht helfen, wenn mein ganzes Leben mit ihm erfüllt ist; wo ich bin, in meiner liebsten Beschäftigung, ist er auf meinem Wege, und erhöht sie mir zum höchsten Genuß. – Auch im Zirkel bei Rohmann, wo nichts mich an ihn erinnern sollte, umschwebte mich sein lieblicher Geist und bewegte meine Seele in sanfter Wehmuth. Manchmal war diese Wehmuth freilich wohl nicht so sanft, denn das Gedicht, was man unwillkürlich auf ihn anwendet, macht sie schmerzlich.«

Den 29. »Kaum hatte ich gestern zu schreiben aufgehört, als uns der herrliche Mensch wieder besuchte. Es freute mich desto mehr, weil es so ganz aus freiem Antrieb zu geschehen schien und er sich wohl befindet in unserem häuslichen Zirkel. Ueberhaupt sind wir auf einem wenigstens dem Aeußern nach recht vertraulichen Fuße mit ihm. Es muß ihn unsere bewährte Freundschaft näher bringen; denn das ist sie!«


[538] 1817.

Rückblick ins vergangene Jahr. Hoffnungen!

Um im Zusammenhange zu bleiben, folgen hier die weiteren Aufzeichnungen Fannys über Beethoven, soweit nicht der biographische Fortgang nötigte, sie dem Texte einzuverleiben.


Am 6. Januar: »Gestern Gesellschaftskonzert. Abends mit Beethoven recht vergnügt, obwohl Mamas Kränklichkeit mich sehr drückt. Er war wieder krank.«

Am 11. Januar: »– – Abende verlebten wir mit Beethoven, so wie seit einer Woche fast alle Abend Ungemein beglückend ist mir der Gedanke, daß wir ihm etwas sind. Aehnliche Geschichtchen, wie mit dem Ring an seinem Finger, der bedeutenden Antwort auf Nannis kindische Frage, ob er noch außer der fernen Geliebten jemand liebe, – erregen in mir ein bitter wehmüthiges Gefühl, was an Eifersucht gränzt. Doch es ist nur der Gedanke, daß mir kein Glück der Liebe beschert ist und daß ich mir so klein gegen ein Wesen vorkomme, welches große Vorzüge besitzen muß, weil sie ein so hohes Interesse bei solch einem Mann erregte.«

Am 19. Januar: »Ein äußerst interessanter Abend durch Beethoven. Er begleitete seine Entfernte zu Nanni's Gesang. Ich lebte nur für diesen Augenblick, meine Seele war gefesselt, ein heiliger Schauer durchlief mich, als ich ihn da sitzen sah – endlich, nachdem unsere Erwartung aufs höchste gestiegen war! Er war so wohlwollend gegen uns und wir für unsere Besorgniß, daß der Abend langweilig vergehen würde, wegen Schönauers, belohnt. Ich sollte mein zu hohes Interesse für diesen Menschen zurückdrängen, aber es geht nun einmal nicht, ich kann nichts dafür, daß mich ein freudiges Leben meine Seele bei dem Gedanken faßte, daß er den Sommer wahrscheinlich auf Tage unser Hausgenosse werde, in diesem Wort liegt sehr viel, unendlich viel. Wenn er das so recht geworden wäre – nun und was dann? Ja dann hätte ich manches gehofft, und nun darf ich nichts, nicht einmal hoffen.«

Am 27. Januar. (Vom Tage vorher): – »Verstimmt durch des kleinen Beethovens Zurückkunft vom Onkel, welcher krank ist, und dem wir frische Eier schickten, da er mir sagte, er sei sehr traurig« –

Am 31. Januar: »Gestern Vormittage unterhielt sich Nanni so gut mit unserem lieben Beethoven und erzählte mir so viel von einem höchst interessanten Gespräch über Kunst und von den Briefen und Geschenk, welches er von einer Bremer Bürgerin erhalten.«


Diese Bremer Bürgerin war ohne Zweifel Elise, Tochter von Dr. W. C. Müller, in dessen Hause Beethovens Musik schon viele Jahre gepflegt worden war. Auch in die Briefe an Frau von Streicher spielt sie hinein. (S. den Brief an sie vom 27. Januar o. S. 483; vgl. S. 206 s.)

Die Aufzeichnungen vom 1., 6. und 15. März und vom 2. und 13. Mai wolle man im Texte (o. S. 10 und S. 26) nachlesen.

[539] Am 18. Mai schreibt sie auf, daß sie dem neuen Hausfreunde Pacher, der in schwerer Familientrauer war, die »entfernte Geliebte« gesungen habe, der wie der gern Musik höre.»Ich könnte es nicht! ich müßte in Schmerz vergehen: in der Lage wäre mir diese Musik, die in sich schon wehmüthige Empfindungen erregt, kein Trost.« Auch für Pacher interessiert sie sich, seine Ähnlichkeit mit Ziersky versetzt sie in eine, »sonderbare Stimmung« und beschäftigt ihre »ungehorsame Phantasie« (1. Juni). »Beethoven (heißt es da später) sehe ich sehr selten. Es thut mir sehr leid, daß er so wenig unserer Gesellschaft bedarf. Wir sind ihm doch lieb und etwas werth, das tröstet mich.« Auch weiterhin (15. Juni) interessiert sie Pacher, sie will sich zurückhalten,


»warten, ob er mich vielleicht nicht ganz ohne Interesse findet; denn jenem zu gefallen, dem ich eigentlich am liebsten gefallen möchte [Beethoven]18 das geschieht doch nicht. Heute eben war ich wieder entzückt über die Werke seines kräftigen schaffenden Geistes, Seine Musik durchdringt mein Innerstes und macht ein enthusiastisches Gefühl für den Mann in mir rege, welches nur dessen höheren Werth als Mensch zur Basis hat und dadurch noch gediegener ist. Er und Nanni hatte neulich einmal ein zwar kurzes aber sehr interessantes Gespräch über Liebe und Ehe. Wie er in allem ein besonderer Mensch ist, so ist er es auch in seinen Meinungen und Ideen hierüber.

Jede Art Verhältnis beim Menschen ist ihm unangenehm, ich glaube ihn zu verstehen, wenn ich sage, er will die Freiheit des Menschen nicht beschränkt wissen; so ist es ihm weit interessanter, wenn ein weibli ches Wesen ihm, ohne an ihn, wie er meint gebunden zu sein, ihm ihre Liebe und mit ihr das Höchste schenkt. In dem Verhältnis des Mannes zum Weibe glaubt er vielleicht schon die Freiheit des Weibes beschränkt. Von einem Freunde erzählte er, welcher ihm gesagt: man müsse ganz ohne Liebe ehelichen, er sei recht glücklich und habe viele Kinder. Wir waren noch weniger der Meinung dieses Freundes, als er, der immer meinte, er wüßte es nicht. Von sich sagte er, er habe keine Ehe gekannt, von welcher nach einiger Zeit nicht das eine oder andere den Schritt bereut hätte, und von wenigen Mädchen, welche er in früheren Zeiten zu besitzen gewünscht, als das höchste Glück erachtet hätte, hat er in der Folge die Bemerkung gemacht, daß er sehr glücklich sei, daß keine von ihnen seine Frau geworden wäre und wie gut es sei, daß die Wünsche der Sterblichen oft nicht erfüllt würden.

Meine Bemerkung spar ich, aber ich glaube ein Mädchen zu kennen, die ihn, von ihm geliebt, gewiß nicht unglücklich gemacht haben würde, ob aber auch glücklich? Nanni bemerkte, daß er seine Kunst immer mehr lieben würde als seine Frau: das meinte er wäre auch in der Ordnung und daß er eine Frau nicht lieben könnte, welche seine Kunst nicht zu würdigen verstände. Basta!«


[540] Am 25. Juni spricht sie wieder ihr Interesse für Pacher aus, dann ihr Mitgefühl mit Beethoven wegen der Ereignisse mit Carls Mutter. (S. o. S. 34.) Die Freundschaft mit Pacher schwebt ihr als sehr wünschenswert vor, ihr Gefühl für ihn wird stärker; sie faßt zwar den Vorsatz, ihn zu vermeiden, hält ihn aber nicht, »weil mir ein Leben ohne Liebe öde und freudenlos vorkömmt, ich mag darüber denken was ich will«. Es schmerzt sie, daß er die Schwester Nanni vorzuziehen scheint; sie kämpft mit ihrer Empfindung, sie erschrickt an dem Gedanken, daß er sich verheiraten könne. (10. Juli.) Doch glaubt sie seiner Freundschaft sicher zu werden; »es ist mir sehr angenehm, ja beruhigend einen Mann wie Pacher sein Geschick an das unsere binden zu sehen, einen wahren innigen Freund an ihm zu erhalten und es bleibt mir nur der innige Wunsch, ihn dann auch zu erhalten.« (21 Juli.) Sie findet ihn immer von neuem interessant; lebhaft sehnt sie sich nach einer Seele, die ihr angehört: Pacher erinnert sie immer wieder an Ziersky. Sie ist unruhig im Innern; ihre Wünsche gehen über die bloße Freundschaft hinaus und doch verhehlt sie sich nicht, wie unmöglich das sei. – – –

Diese dem Tagebuche anvertrauten Empfindungen eines liebebedürftigen Herzens spielen also gleichzeitig während der noch fortdauernden Bekanntschaft mit Beethoven und sind den damals ausgesprochenen Empfindungen ganz verwandt. Freilich war eine Trübung des Verhältnisses zu Beethoven eingetreten. Aber kann man, wenn man von dieser Gemütsverfassung Kenntnis nimmt, noch von einer »stillen Liebe« zu Beethoven sprechen?

Ihre weiteren Aufzeichnungen in betreff Beethovens vom 25. Juni, 8. und 21. Juli, 10. und 29. August, ferner vom 30. November und 23. Dezember findet man im Text. (S. 34, 36f., 40, 71, 73.)

Noch am 30. November 1818 schreibt sie beim Anschauen des leichtsinnigen Neffen: »Ach, wenn ich doch ein Mann wäre, ich wollte sein innigster Freund sein!« Und weiter: »ich gäbe mein halbes Leben für den Mann.« »Zuletzt denkt er immer an sich.« Es blieben ihr auch später innere Kämpfe nicht erspart; »in der Liebe war ich bisher nur unglücklich!«

»Kann ich denn gar nicht vernünftig werden!« (Ende 1820.)

Beethoven verschwindet, nachdem seine näheren Beziehungen zu dem Hause gelöst waren (1820) vollständig aus dem Tagebuche.

Fußnoten

1 Der Herausgeber folgt im ganzen dieser Absicht Thayers.


2 Vgl. o. S. 155.


3 Thayer ließ eine vollständige Abschrift des Tagebuchs anfertigen, welche jetzt dem Herausgeber vorliegt.


4 Thayer fand sie 1861 im Besitze von Ewer u. Cie. in London.


5 Eine stille Liebe zu Beethoven. Nach dem Tagebuche einer jungen Dame. Von Ludwig Nohl. Zweite verbesserte Auflage. Leipzig 1902.


6 Dies ist irrtümlich und Verwechslung, eine spätere Hoffnung Fannys wurde durch Krankheit und Tod zerstört. S. u. S. 522 s.


7 Den 26. Juli 1812 (Thayer).


8 Patent vom Februar 1811.


9 »Ruf vom Berge«, Text von Treitschke. Thayer chron. Verz. 219.


10 Thayer sah es später in London und schrieb es dort ab. In seinen mir übergebenen Materialien finde ich es nicht. Vgl. übrigens o. S. 155f.


11 Über Grillparzer schreibt Fanny am 8. Juni 1821 nach einem Ausflug: »Ich sah da... auch Dichter Grillparzer, den ich schon lange kennen zu lernen gewünscht. Nun das kann man nicht sagen; denn er war nur für Kathi Fröhlich da.«


12 Das erklärt Thayer in einer Note für sehr zweifelhaft.


13 Hinter einer spanischen Wand. Th. Die Erzählung stand auch in dem ersten Briefe, wir wollten sie hier nicht unterdrücken


14 In dem Gesellschaftskonzert vom 10. März wurde u.a. das Violinkonzert von Beethoven und die Egmont-Ouvertüre gespielt; »der Spieler verunglückte« heist es beim Violinkonzert.


15 Die Daten sind hier in Verwirrung gekommen.


16 Bezieht sich auf das Konzert am 25. Dez. für das Bürgerspital, worin Beethovens 7. Symphonie gespielt wurde.


17 Zu den Scherzen dieser Tage gehört vielleicht ein mit Bleistift beschriebener Zettel mit dem Datum des 22. Dezember 1816, der sich bei dem Tagebuche befindet, Jemand fragt: »Was nützt mehr, die Malerei oder Tonkunst?« Beethoven antwortet: »Man braucht sowohl bei der Malerei als der Tonkunst Lichtputzen. Beide haben ihren guten Einfluß. Jedoch die letztere kann auch den Armen sehr nützen, ja sie nützt ihnen wirklich so, daß durch die Einnahme bei Akademieen sich selbe eine [?] Lichtputze anschaffen können.«


18 Daß Beethoven gemeint war, geht aus der Veröffentlichung in den Grenzboten hervor.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1907..
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