4.

[207] Il Dissoluto Punito

ossia

Il Don Giovanni.

Opera buffa in zwei Acten.


Den 4. April 1787 schrieb Mozart an seinen Vater der erkrankt war, folgenden Brief:

»Wie sehnlich ich einer tröstlichen Nachricht von Ihnen selbst entgegensehe, brauche ich Ihnen doch wohl nicht zu sagen, und ich hoffe es auch gewiß, obwohl ich es mir zur Gewohnheit gemacht, habe, mir immer in allen Dingen das Schlimmste vorzustellen. Da der Tod, genau genommen, der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bildniß allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern sehr viel Beruhigendes und Tröstliches! Und ich danke meinem Gott, daß er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit zu betrachten. Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu beden ken, daß ich vielleicht, so jung als ich bin, den andern Tag nicht mehr sein werde. Und es wird doch [208] kein Mensch von allen, die mich kennen, sagen können, daß ich im Umgange mürrisch oder traurig wäre; und für diese Glückseligkeit danke ich alle Tage meinem Schöpfer, und wünsche sie von Herzen jedem meiner Mitmenschen.«

Einige Monate vor dem Datum dieses Briefes hatte es Mozart übernommen, eine Oper für das Theater, in Prag zu schreiben. ein Vater starb den 28. Mai in demselben Jahre 1787.22

Ein junger Mann von dreißig Jahren, voll Lebenskraft und auf dem Gipfel der Kunst, der das Vergnügen liebt und es überall verbreitet, wo er sich zeigen will, der munter bis zur Ausgelassenheit, sogar ein wenig locker ist, und der den Tod zum Gegenstande seiner täglichen Betrachtungen macht! Hier findet sich durch eigenes Geständniß jene Doppelheit der Natur förmlich bestätigt, die zuweilen aus diesem prädestinirten Musiker einen gegen sich gleichgiltigen Menschen machte. Mozart sagte aber in einer Zuschrift, welche die letzte sein konnte, und auch wirklich war, seinem sterbenden Vater nicht Alles. Man weiß, daß Mozart den Tod nicht fürchtete, und daß dieser ihm nicht immer unter der Gestalt des lieblichen, trauernden Engels erschien, welcher mit einer Hand die Fackel zu Boden senkt, während er mit der andern nach dem ewigen Lichte der Unsterblichkeit deutet. Darüber wird uns die [209] Partitur, welche wir zu prüfen im Begriffe stehen, gründlicheren Aufschluß geben.

Der Gedanke an den Tod in unzertrennlicher Verbindung mit dem an die Zukunft und die Nachwelt beherrscht Alles, was Menschen Großes und Dauerhaftes schaffen. Sei es, daß der Genius sich auf das Feld des Positiven wirft, die Aussaat für künftige Zeitalter, sei es, daß er in die Abgrunde metaphysischer Abstractionen sich vertieft, so ist immer der Tod da, welcher sich zwischen den Entwurf und dessen weit entfernte Erfüllung, zwischen die Speculation und die Unendlichkeit, wohin sie sich schwingt, stellen wird. Namentlich in der Kunst bringt der Gedanke an den Tod große Resultate hervor; vor Allem aber in der Musik, die aus dem Christenthume entstanden ist, die nie außer dieser Sphäre bestanden hat, noch bestehen wird. Indem die Musik mit ihrem luftigen Körper diese unbestimmten und geheimnißvollen Instincte der Seele bekleidet, für welche es in keiner Sprache Worte gibt, und welche das irdische Leben an eine unbekannte Zukunft zu knüpfen scheinen, schafft sie das zur Wirklichkeit um, was in der Poesie und den nachahmenden Künsten nur als Fiction, als Ideal oder als Blendwerk erscheint. Das Wunderbare und Übernatürliche, jenes der Seele verheißene Land, nach welchem ein unnennbares Sehnen sie unaufhörlich zieht, jenes unbekannte Land, welches so viele anmuthige Gestalten und so furchtbare Schreckbilder bevölkern, ist aber auch das Grundeigenthum, auf welchem die Musik am glänzendsten und auf die ungetheilteste Art herrscht. Wer ist aber der Wächter dieses Grundeigenthumes? Der Wächter ist die drohende Gestalt, die uns stets in's Gesicht sieht, nach welchem geistigen Gesichtspuncte man auch die Augen gerichtet haben mag. Der Tod sagt zu dem Philosophen: von den Räthseln, welche Du vergeblich zu lösen suchst, halte ich den Schlüssel [210] in der Hand. Sie spricht zum Dichter und Maler: diese ideale Welt, welche ihr durch Gedanken und Worte erbauen wollt, mit von dieser Welt entlehnten Formen und Farben, wird nie etwas Anderes als ein mehr oder weniger durch irdische Dinge verschönerter Reflex sein; ich allein lüfte den Schleier, der andere Typen verbirgt. Zu dem prädestinirten Musiker sagt aber der Tod: glücklicher als Deine Nebenbuhler im Verfolgen des Unbekannten, wirst Du es an der Quelle aufsuchen. Die Harmonie, welche Deine völlig christliche Kunst aus den Tiefen eines physischen Gesetzes geschöpft hat, wo sie seit der Schöpfung schlummerte, ist die einzige reale Form des Unbekannten in der Art und Weise des Daseins, welche Eurer sublunarischen Welt angehört. Ein Hauch der Ewigkeit soll Deine Leier streifen; ein Nachhall der himmlischen Concerte soll in Deinen Gesängen wiedertönen. Versuche es, Du kannst es, wenn Du mich hörst. Meine Stimme, welche Du zu früh gehört hast, wird zwar Deine Organe zerbrechen, aber was liegt daran. Sicher nicht lange auf Dich warten zu müssen, werde ich Dir die Melodieen von Oben mittheilen. Du wirst sie schreiben, wie ich sie Dir dictire. Mozart unterzeichnete den Vertrag, durch welchen er gegen zwei wunder volle Partituren sein Leben verpfändete. Er vermochte es nicht über sich, ihn abzulehnen.

Drei Dinge nehmen hier unsere ernsteste Aufmerksamkeit in Anspruch. Die biographischen Umstände und die moralischen Thatsachen, welche auf die Composition des Don Juan ihren Einfluß übten; die Persönlichkeit der Zuhörer und des executirenden Personals, für welche das Werk bestimmt war, und endlich der poetische Gedanke, welcher demselben zu Grunde liegt. Beginnen wir daher mit Letzterem.

[211] Wenn wir die Scenen des Libretto einzeln prüfen, so finden wir zuerst einen Mangel an Zusammenhang und eine Buntscheckigkeit, welche die heterogensten Elemente der dramatischen Poesie in einen Sack geworfen und geschüttelt zu haben scheinen, um sie von diesen gleich den Lottonumern herauszunehmen. Was sehen wir denn eigentlich? Eine muntere Hochzeit und einen blutigen Leichnam auf ihrem Wege; die Liebe, welche ihr erstes Gelübde bricht, und das dahinfliehende Leben in den letzten Zügen; eine Orgie in der Wohnung der Lebenden und auf dem Kirchhofe ein Grabmonument, das spricht; triviale Possen, die sich unter Versuche von Gewaltthaten, Mord, Verzweiflungsrufe, Racheschwüre und Grabeserscheinungen mischen; ein mit Champagner und durch Musik gewürztes Mahl, und den Tod in Person als Gast; Melpomene und Arlequin, Menschen und Dämone, die auf demselben Feste tanzen! Dann, wenn diese ganze Menge in diesem phantasmagorischen Kreise bis zum Schwindel sich gedreht hat, wenn alle Contraste der menschlichen Natur in diesen Saturnalien der Einbildungskraft sich erschöpft haben, zieht sich Jeder zurück, ohne eigentlich zu wissen wohin, mit Ausnahme des Helden des Stückes, der zur Hölle fährt.

Kann man es begreifen, wie da Ponte, der Nachfolger Metastasio's, der von Amtswegen bestellte Dichter am Hofe zu Wien, der Dichter, welchen die Milch der gesundesten classischen Doctrinen ernährt hatte, sich im Jahre der Gnade 1787 in diesem sonderbaren Werke zur höchsten Romantik hinaufgeschwungen haben soll, welches an die Mysterien des Mittelalters erinnert, und das, außerhalb aller Traditionen des achtzehnten Jahrhunderts gestellt, nur für ein Marionettentheater gut genug scheinen konnte! Schon waren viele Jahre seit der ersten Aufführung des Don Juan verflossen, als die Kritiker über die Ungereimtheit des Gedichtes [212] schrieen, obgleich sie zugaben, daß dasselbe dem Componisten den Stoff zu einer Musik geliefert, wie man noch nie zuvor eine gehört habe. Sie erklärten diesen Zufall nicht, weil der Zufall sich nicht erklären läßt; übrigens hatten sie Recht. Das Libretto ohne Musik ist so abgeschmackt, als möglich, und doch machen dieser abgeschmackte Text und diese erhabene Musik nur einen Leib und eine Seele aus, und doch wird es trotzdem Niemanden geben, der nicht anerkennte, wie weit die Gebilde des Musikers die Contoure ihrer poetischen Umrisse überragen, und wie wenig sie ihnen zuweilen gleichen; Niemand wird in der Geschichte des Den Juan, wie sie sich durch die Partitur gestaltet, eine dem Inhalte des Libretto gänzlich fremde Ordnung der Dinge mißkennen.

Wir wünschen den Leser aufmerksam zu machen, und so zu sagen mit dem Finger auf die Verschiedenartigkeit des Gesichtspunctes hinzuführen, von welchem der Musiker und der Dichter ausgingen, deren Intention getheilt ist, ja zuweilen sogar entgegensteht, wenn man sie einzeln betrachtet, und welche sich in Allem verständigen und zusammentreffen, sobald man sie vereinigt nimmt. Zu dem Ende denken wir uns nach Art des historischen Romanes, aber ohne allen Aufwand von Phantasie, einen Dialog, in welchem die Verfasser des Don Juan ihren Gegenstand besprechen, der Eine vom Buchstaben seines Gedichtes, der Andere vom Geiste seiner Partitur ausgehend. Beide scheinen uns so klar zu sein, daß wir keine Gefahr zu laufen fürchten, wenn wir ihre Gedanken übersetzen.

Mozart. Mein lieber Abbate, ich brauche einen Operntext, aber geben Sie mir, ich bitte, nicht noch einmal eine französische Komödie. Es handelt sich dießmal weder um den Hof, noch um Wien. Ich werde für das Prager Publicum arbeiten, [213] das jede Sylbe von mir versiebt, und für das Orchester in Prag das mich vom Blatte spielt. Die Truppe ist vortrefflich und die Sänger thun Alles, was ich will. Es ist also gerade wie wenn Mozart für Mozart arbeitete. Es handelt sich darum, Ehre einzulegen. Ich möchte aber etwas Appartes haben. Helfen Sie mir dazu.

Da Ponte. Sie konnten nicht gelegener kommen. Da ist gerade ein Text, den ich in Arbeit habe. Er ist einer alten Komödie von Tirso de Molina entnommen und heißt: der steinerne Gast, oder der Spottvogel von Sevilla. Molière und Goldoni haben Komödien daraus gemacht; ich habe die Idee, eine Oper daraus zu machen. Es ist die merkwürdigste Teufelsgeschichte23. Noch nie wurde den Dilettannten etwas[214] Ähnliches geboten; nur fürchtete ich, es möchte kein Componist sich damit befassen wollen.

[215] Mozart. Lassen Sie einmal sehen, was an dieser Teufelsgeschichte ist.

Da Ponte. Da findet sich zuerst eine Reiter-Statue, welche, zum Nachtmahle geladen, vom Pferde steigt, weil es sich nicht recht schickte, in einen Salon, von vier Füßen getragen einzutreten. Die Statue will nichts essen, dagegen hält sie dem Herrn des Hauses, einem großen Taugenichts, eine sehr erbauliche Rede, worauf sie ihn zur Hölle mit sich nimmt. Das wird sehr schön sein, ich versichere Sie. Ein Schauspieler mit Kreide beschmiertem Gesichte, einem Helme von Fayence, weiß glacirten Handschuhen und einer vollständigen römischen Waffenrüstung aus altem Linnenzeuge. (Er lacht.) Ferner blitzt es aus allen Verschwindlöchern und Teufel gibt es von allen Farben. Nur Eins setzt mich in Verlegenheit, sehen Sie. Es ist dieß die Anrede des Gespenstes; denn obgleich ich mir schmeichle, mein Gewerbe so gut zu verstehen, wie Einer, so bin ich doch nicht Shakespeare, um Geister sprechen zu lassen.

Mozart. Es gilt gleich, was er sagt. Der Tod wird in meinem Orchester sprechen und zwar auf eine Art, daß man ihn verstehen wird. Ich weiß es nur zu gut, wie er spricht. Vortrefflich! Es wird gehen mit der Statue. Was gibt es weiter?

Da Ponte. Dann ist ein schönes Fräulein da, deren Vater die Statue ist, und von dem Briccone, der der Held des Stückes ist, im Zweikampfe getödtet wurde. Die Signora weint, ist wie natürlich ganz trostlos, und zwar um so mehr, als der Verräther ihr beinahe einen sehr schlimmen Streich gespielt hätte, ihr, der Tochter eines Commandeurs, und, was noch mehr ist, der Verlobten des hübschesten Jungen in Andalusien. Sie schwört, sich zu rächen. Bis dahin geht Alles bene für Sie, Maestro, nun kommt aber das Schlimme. Der junge Mann, der heirathen [216] soll, und dem die Sorge der Rache überlassen ist, macht viele Versprechungen; er zieht sogar den Degen; aber in Gegenwart des Briccone, der entschlossen und muthig wie Vier ist, verliert er die Fassung und der Degen benützt diese Gelegenheit, um ruhig wieder in die Scheide zu schlüpfen. Unser Verliebter ist, ich gestehe es, ein armer Ritter. Man sieht ihn immer den Schritten seiner Geliebten folgen, wie eine Verlängerung des Schleppes ihres schwarzen Kleides. Es gab kein Mittel, ihn anders darzustellen; so daß die Wehklagen der Signora und ihre Rachepläne durchaus nichts zu Wege bringen.

Mozart. Sie werden das Unmögliche zu Wege bringen! Sie werden die Gerechtigkeit des Himmels beschleunigen! Sie werden die Todten aus ihren Gräbern erwecken! Man wird begreifen, daß es der gebieterische Schrei ist, der übermenschliche Schrei um Rache, der die Statue herbeiführt. Zwischen diesen beiden Dingen besteht eine augenscheinliche Verbindung. Abbate, ich bin entzückt über unsere Primadonna; ich hätte sie unter Tausenden ausgewählt. Was den Bräutigam betrifft, so verdient er Ihre Vorwürfe nicht. Wie können Sie verlangen, daß der poverino Streit mit diesem eingefleischten Teufel anfange, der dem Geiste des alten Mannes, den er ermordet hat, ein Glas Wein anbietet. Der Tochtermann wäre dem Schwiegervater nachgefolgt und dann hätten wir, wie im Figaro, keinen Tenor gehabt. Ein schöner Vortheil! Caro amico, Sie wissen noch gar nicht, was ein solcher Mensch ist; ich verstehe Ihren Taugenichts, aber Geduld! Wenn Sie ihn auf der Bühne sehen werden, der Statue gegenüber, mit vor Verwegenheit blitzenden Augen, Ironie und Gotteslästerung auf den Lippen, während den Zuhörern die Haare zu Berge stehen (dafür will ich schon sorgen); wenn er sagen wird: parla! che chiedi? che vuoi? Dann werden [217] Sie ihn erkennen. Nein, nein, ein Briccone von diesem Schlage kann nicht durch die Hand eines Lebenden gezüchtigt werte. Der Teufel würde darüber eifersüchtig werden. Leib und Seele, der Teufel allein muß Alles haben; haben Sie also Mitleid mit dem jungen Manne. Er verspricht, er möchte, er versucht selbst, ist das nicht Alles, was die Primadonna in solchem Falle von einem loyalen Tenor verlangen kann! Das Leben unsers Verliebten ist ein völlig inneres, sehen Sie; es geht ganz in seiner Liebe auf; es wird groß und schön sein, ich stehe Ihnen dafür. (Das Manuscript betrachtend.) Sie lassen ihn bei den Augen seiner Geliebten, bei'm Blute des ermordeten Greises schwören. Welch ein Duett!

Da Ponte. Wahrhaftig, Maestro, Sie haben Recht. Wie vernagelt war ich, daß ich nicht einsah, wie vielen Geist ich hatte; das passirt Meinesgleichen selten! Werden Sie aber mit dem Übrigen, was ich Ihnen vorzulegen habe, ebenso zufrieden sein? Dieser Briccone ist ein furchtbarer Weiberfresser. In Spanien allein hat er schon tausendunddrei verschluckt, und der Teufel von einem Menschen ist viel gereis't. Sie werden wohl einsehen, daß ich nicht alle diese Frauen auf die Scene bringen konnte; aber ich brauchte wenigstens eine als Repräsentantin dieses Heeres von Opfern. Ich habe sie aus Burgos genommen, wo unser Mann ihr Herz bethörte, worauf er sie, was weiß ich wo und wie, sitzen ließ. Diese Didone abbandonata. Gattin, Wittwe oder Fräulein, denn das ist ein Punct, den ich noch unentschieden lasse, kann aber ihren Unfall noch nicht verdauen. Sie läuft ihm über Berg und Thal nach, und fragt Jeden, dem sie begegnet, nach ihrem Ungetreuen. Endlich findet sie ihn angelegentlichst mit einer Andern beschäftigt. Statt sich bei ihr zu entschuldigen, lacht ihr der Briccone in's Gesicht und läßt sie bei [218] seinem Diener zurück. Die Dame verliert den Muth durchaus nicht. Man bringt sie dahin, Nachts mit eben diesem Diener durch die Straßen zu wandeln, der sich mit dem Barett und dem goldgestickten Mantel seines Herrn verkleidet. Sie bleibt dabei, den Verräther zu lieben, und nachdem alle Hoffnung verloren ist, möchte sie wenigstens den bekehren, auf dessen Besitz sie verzichten muß. Unter uns, Maestro, so glaube ich, daß sie toll ist. Sie sehen, daß man sonst nichts aus ihr machen kann.

Mozart. O die herrliche, anbetungswürdige Person! Toll sagen Sie; ja für euch Dichter, die ihr nichts als die Handlungen der Personen und die Worte, die ihr ihnen bunt durch einander in den Mund legt, seht. Aber wie verschiedenartigen Auslegungen sind nicht die Worte, ja selbst die Handlungen unterworfen? In's Herz muß man sehen, und nächst Gott kann nur der Musiker hineinschauen. Toll! höchstens so gut ist sie, um eine Plumpe Heiterkeit zu erwecken! Lassen Sie sie sprechen, was Sie wollen, ich hoffe aber, daß wenn das Bild dieser edelmüthigen und ergebenen Seele in meiner Musik wie aus einem Spiegel zurückfallen wird, meine Freunde etwas ganz Anderes als eine Tolle in ihr sehen sollen. (Das Manuscript durchsehend.) Sie kommt zu seinem letzten Mahle. Das ist ganz bewundernswerth; die mißkannte Stimme des Schutzengels, die sich vor der des Gerichtes hören läßt. (Nach kurzem Bedenken.) Überdieß ist diese leidenschaftliche und thatkräftige Person das notwendige Band zwischen den anderen Personen, von denen, wie ich bereits sehe, die zwei hauptsächlichsten zu einer passenden Rolle bestimmt sind. Didone abbandonata wird die Angel des Dramas sein, und, was die Musik betrifft, der Knoten der Ensemblestücke. Sie wird uns Terzetts, Quartetts, vielleicht sogar ein Sextett liefern, wenn es angeht. Ich habe am Sextett Geschmack gefunden, seitdem [219] wir es im Figaro versucht haben, obgleich der lyrische Stoff sehr schlecht war. Ist es nicht sonderbar, mein Lieber; je besser Sie Ihre Sachen machen, um so weniger vermuthen Sie es!

Da Ponte. Mir ist es schon recht, wenn Sie es so nehmen. Was das Sextett anbelangt, so gibt es Gelegenheit dazu; Wir sind mit unseren Personen noch nicht zu Ende; da ist Eine, die Ihnen sicher gefallen wird: eine junge, ländliche Braut, die offenherzig, gefühlvoll, zwar ein bischen gefallsüchtig und zugleich etwas lose ist, jedoch nur aus Nothwendigkeit, wie Sie sehen werden. Ein Ihrer würdiger Bissen, galanter Maestro.

Mozart. Und Ihrer selbst, heiliger Mann von einem Abbate24. Man kennt Sie.

Da Ponte. Der Taugenichts trifft sie bei'm Hochzeitszuge, dem er begegnet. Er ist ein Kenner, dieser Taugenichts, diese Gerechtigkeit müssen wir ihm widerfahren lassen, und er hat stets alle Taschen voll Ränke. Ein Augenblick genügt ihm, um die Hochzeitsgäste bei Seite zu bringen, so wie den Bräutigam, der ein Dummkopf, ein wahrer Einfaltspinsel ist. Die Bäuerin ist im Begriff, als armer, geköderter Vogel in die Falle zu gehen, als sie Jemand am Ärmel zurückhält. Dieser Jemand ist Didone abbandonata, die dem Briccone sehr zu rechter Zeit den Rang abläuft. Der Meister in der Verführungskunst hält sich aber noch nicht für geschlagen; er versucht es, Gewalt anzuwenden, was ihm glücklicherweise nicht gelingt. Der Bräutigam, ein so großer Pinsel er ist, wird aber doch ärgerlich und will sich selbst Recht verschaffen; es geschieht aber, ich weiß nicht recht wie, daß er, statt Schläge auszutheilen, selbst welche, und zwar wohl gemessene, erhält. Er heult wie ein Besessener. Die [220] kleine Frau kommt auf sein Geschrei herbeigelaufen, untersucht die Beulen und Wunden, die man dem lieben Manne beigebracht hat, mit dem Kolben seiner eigenen Flinte. Kleinigkeit! Die kleine Frau kennt ein Mittel, das ihn im Augenblicke herstellen wird. Vergessen Sie nicht, Maestro, daß die beginnende Nacht die ihres Hochzeittages ist. Sie errathen das Mittel, ha, ha, ha! Ein Dichter meines Schlages hätte dies vielleicht vermeiden sollen. Doch was läßt sich machen? Ich habe mich mit Ihnen entschuldigt, caro maestro, und habe so etwas wie eine Cavatine geschrieben.

Mozart. Lassen Sie die Cavatine sehen. (Er liest.) Vedrai carino u.s.w. Hm! eine sehr armselig verhüllte Zote. Schon gut, Sie konnten es nicht anders machen; aber meine Aufgabe, verstehen Sie sie? Den süßesten Augenblick des Lebens, die höchste Wonne des Herzens in Musik zu schildern! Ein anderer Dichter hätte gesucht, dieß in seiner Art auszudrücken, und würde mir damit Alles verdorben haben; aber Sie, den ich wie meinen Augapfel liebe, Sie, mein ergebener Genosse, mein getreuer Pylades, Sie, der wahre Dichter des Componisten, Sie fassen meine Hand, legen Sie aus ein vor Wollust klopfendes Herz und sagen zu mir: sentilo battere. Nun ja, an mir ist es, zu fühlen und fühlen zu lassen. Alle Wonne der Liebe soll sich in dieser Cavatine aussprechen; sie soll glühend und keusch sein, trotz des Textes. Der Text drückt die Sprache der Bäuerin aus; ihr geziemt er; die Musik wird ihre Seele sein, die Seele Mozart's, wie er Constanzen zum Hochzeitbette führte. Sehen Sie, ich bin bereits toll verliebt in unser Landmädchen.

Da Ponte (etwas außer Fassung). Ich wußte wohl, daß sie Ihnen gefallen würde.

Mozart (nachdem er auf's Neue nachgedacht hat). Aber lieber Abbate, welcher Gattung gehört denn unsere gemeinschaftliche [221] Arbeit an. Daraus wird offenbar keine Opera seria. Der große Taugenichts und Weiberfresser, Didone abbandonata, über die man sich lustig macht, der Tölpel, den man foppt und durchprügelt, selbst die Statue, welche eine Einladung zum Essen annimmt, alles dieß scheint mir entfernt nicht in die heroische Gattung zu passen. Höchstens könnten die Tochter des Commandeurs und ihr Liebhaber auf dem Rothurn einhergehen, und ihr hochberühmter Vorgänger, Signor Metastasio, glorreichen und langweiligen Andenkens, hätte selbst diese mit Verachtung zurückgewiesen, weil sie weder Griechen noch Römer, weder Könige noch Prinzessinnen sind. Andererseits ist ein Stück, das mit dem Tode der Hauptperson endigt und dessen Schlußdecoration die Hölle vorstellt, eben so wenig eine Buffo-Oper. Was ist sie also dann?

Da Ponte (fast zornig). Corpo di Bacco! bin ich den ein Schöps, daß Sie glauben können, ich habe mit dergleichen Materialien eine Opera seria machen wollen. Ich beabsichtigte ein dramma giocoso zu schreiben, und das komische Element fehlt durchaus nicht in dem, was ich die Ehre hatte, Ihnen aus einander zu setzen. Aber Sie fassen die Sache auf eine Weise auf ...

Mozart. Erhitzen wir uns nicht. Bin ich denn nicht contentissimo mit Allem, was Sie mir geben.Dramma giocoso, es sei darum; was liegt mir am Titel des Werkes; nach uns findet man vielleicht einen passendern dafür. Was mir das Wichtigste ist, ist, daß alle Contraste sich darin vereinigt finden; Alles in dieser Oper muß mit starken Farben aufgetragen sein. Die Narrheit darf nicht blässer erscheinen als das Laster, eben so wenig die Liebe blässer als der Unwille und die Rache. Sonst würde die letzte Gestalt, die des Todes, Alles zermalmen, Es ist so etwas Schönes um das Lachen! In Figaro habe ich nur [222] gelächelt; hier möchte ich aber so recht von Herzen lachen, mich förmlich ausschütten; aber über wen und mit wem, das ist mir bis jetzt noch nicht ganz klar. Sie kennen meine Ansicht über Ihre vermeintliche Närrin. Was den Tölpel anbelangt, so könnte er zwar das Publicum durch seine Rolle unterhalten, aber diese liefert der Partitur nicht vielen Stoff. Ein Tölpel in der Musik ist dasselbe, wie in der Welt poco oder niente. Haben Sie nicht vielleicht noch eine andere Person in Reserve? Sie lächeln.

Da Ponte. Ich sehe schon, ich muß zu meiner Selbstvertheidigung auch das noch ausliefern, womit ich Anfangs zurückhielt, um ihnen eine angenehme Überraschung zu bereiten. Ja, mein Lieber, wir haben einen Buffon ex officio, und ich willige ein, meine Anstellung als Dichter bei der kaiserlich königlichen Truppe in Wien zu verlieren, ja, ich verzichte auf meine Eigenschaft als Italiener, um ein Tedesco (Deutscher) in des Wortes weitester Bedeutung zu werden, wenn der Buffo nicht nach Ihrem Geschmacke ist.

Mozart. Ich zweifle nicht daran. Ihr Italiener seid Meister in Buffonerieen.

Da Ponte. Ihr Italiener! Und wer sind Sie denn, Herr Componist der Hochzeit des Figaro?

Mozart. Ich schmeichle mir, Ihnen in gewissen Beziehungen, jedoch nicht in Allem, zu gleichen.

Da Ponte. Sollten Sie die Anmaßung haben, in der Musik mehr als ein Italiener zu sein!

Mozart. Wir wollen darüber schwatzen, wenn unser gegenwärtiges Geschäft beendigt sein wird. Für den Augenblick handelt es sich um den Buffo; und wenn es sich der Mühe lohnt, werde ich bemüht sein, mich, so sehr ich kann, zu Ihrem Compatrioten zu machen.

[223] Da Ponte. Paisiello würde mir die Hand küssen um seines Gleichen zu haben. Urtheilen Sie selbst! Unser Possenreißer ist der Diener, der Secretair, der Aufseher, das Factotum des Briccone. Nun, hier kann man sagen: wie der Herr, so der Knecht. Dieser ähnelt seinem Herrn fast wie ein wohldressirter Affe dem Teufel gleichen konnte, bevor der rebellische Engel Bocksfüße und einen Schwanz hatte. Was die Moral anbelangt, so ist er ein Feigling, Speichellecker, Vielmaul und Spaßmacher, übrigens der beste Mensch von der Welt. Er tadelt aufrichtig das Betragen seines Herrn; er beklagt aus Herzensgrunde die jungen Vögel, welche sich durch seine Liebkosungen und Liebäugeleien fangen lassen; und diese Jagd, bei der er völlig unbetheiligt ist, erscheint ihm gleichwohl so belustigend, daß er nicht umhin kann, den Vogelfänger, dessen Geschicklichkeit ihm eine tiefe Bewunderung einstößt, mit allen seinen Mitteln zu unterstützen. Alle Tage verwünscht er die Beschwerden, die langen Fasten und die Gefahren, denen ihn die Unternehmungen seines Herrn aussehen; alle Tage nimmt er Abschied, und jeden Tag verwickeln ihn eine einfältige Narrheit, ein gewisser abenteuerlicher Geist, und mehr als Alles, seine Anhänglichkeit an seinen Herrn, welcher ihm zu gleicher Zeit ein so abscheulicher Schurke und ein so bewunderungswürdiger Mann erscheint, wider seinen Willen in die schlimmsten Händel. Sie bemerken seine Nasenspitze überall, wo es Nasenstüber setzt. Geht es über seine Haut her, entschlüpft der Bursche, der geschmeidig wie ein Aal ist, unter den Fingern weg im Augenblicke, wo Sie ihn festzuhalten meinen. Wenn er den Teufel sähe, würde er zuerst die beiden Augen schließen, dann würde er das eine halb öffnen, weil der Teufel ein Ding ist, das man nicht immer sieht. Kurz, es ist eine Zusammensetzung von Gutmüthigkeit und niederträchtiger Heiterkeit, von Feigheit und leichtsinniger [224] Unvorsichtigkeit, von ungeschickter Nachäffung und instinktmäßiger Geschicklichkeit, von natürlicher und origineller Dummheit und von einigem geborgten Verstande. He! was sagen Sie dazu, habe ich unsern Buffo nicht reichlich bedacht?

Mozart. Nicht zu bezahlen! Von Meisterhand gezeichnet, der einzige Charakter, den Sie vollkommen aufgefaßt haben! Es bleibt mir nur übrig, die Farben darauf zu tragen; wenn ich dießmal Ihre Absichten erfülle, bin ich glücklich.

Da Ponte. Ich vergaß, Ihnen zu sagen, daß der lustige Bursche Redacteur eines Privat-Journals ist, wozu ihm sein Herr den Stoff liefert. Ein ergötzliches Journal, eine schauerliche Chronik, wie es nie eine gab. Da sind, nach dem Datum und dem Orte geordnet, die Namen, Vornamen, Eigenschaften, das Alter und ein vollständiges Signalement aller Schönen eingetragen, welche der Patron mit seiner Aufmerksamkeit beehrt hat. Ich nehme an, daß sich darin in gleicher Weise ein historischer Abriß jeder Begebenheit findet. Denn das Journal bildet schon einen ungeheuren Folioband. Wie es sich auch damit verhalten mag, ist dieser Diener als Redacteur ziemlich stolz auf seine Arbeit. Er liest sie Jedem vor, der sie hören will und nicht will. Was die gute Wahl des Augenblickes und der Zuhörer anbelangt, so werden Sie sehen, daß er auch hierin eben so geschickt ist, als irgend einer seiner Collegen, welche die Feder führen. Die verlassene Dido erwartet einen Aufschluß; das ist der Moment oder niemals, meint der Geschichtschreiber der Taugenichtse. Sicherlich wird sie nichts besser trösten können, als die Lecture eines Werkes, wo es ein Capitel gibt, welches ihr besonders gewidmet ist; und schnell bereitet er ihr diese erbauliche Lecture. Ist dieß nicht komisch?

[225] Mozart. Komisch freilich, aber schändlich und fast grausam. Ich werde bei den Zuhörern Fürbitte einlegen, daß sie Ihnen diesen Scherz verzeihen. Im Grunde ist er freilich verzeihlich. Dido ist eine gänzlich geopferte Person unter dem dramatischen Gesichtspuncte; ein Unrecht mehr, eine Beleidigung weniger, sie ist schon daran gewöhnt, die arme Frau. Es sind dieß Alles glühende Kohlen, welche auf dem Haupte des Briccone angehäuft werden! Wir könnten nicht genug Beschwerden gegen, ihn zusammenbringen, um den Inhalt des Stückes mit der Entwickelung und dem Ausgange etwas in Uebereinstimmung zu setzen. Aber, à propos! wie viel Acte hat die Oper?

Da Ponte. Zwei Acte, welche gewiß vier aufwiegen werden.

Mozart. Was werden wir für das Finale des er sten haben? Ich wünschte ein großes Finale mit Chören und scenischer Action.

Da Ponte. Daran soll es wahrlich nicht fehlen. Sie werden ein glänzendes Fest haben, zu welchem der Briccone alle Vorübergehenden einladet. Sie werden Bauern, Bäuerinnen und Masken, Ball, Musik, glänzendes Gastmahl haben. Da ist der Schurke von einem Herrn, welcher die verdammtesten Streiche aussinnt, und der Schurke von einem Knecht, welcher ihm den Weg dazu bahnt; Andere sind mit Racheplänen beschäftigt, die Menge trinkt und tanzt, mit Inbegriff des Schwächlings, den man eben so tanzen läßt, obgleich sein Herz nicht bei den Violinen verweilt. Alles pêlê-mêle, was wir im technischen Ausdrucke eine schöne Unordnung nennen. Plötzlich läßt sich mitten unter diesem Gewühle im Nebenzimmer ein durchdringendes Geschrei vernehmen. Was gibt's denn? Man sieht sich um, und bemerkt die junge Frau nicht, auch Briccone ist nicht da. Ha, der Verräther![226] Ha, der Erzbösewicht! Sie verstehen ... Man schreit, man beschwört, man bestürmt, man schlägt an die Thür mit Gewalt, sie springt auf und der Briccone tritt heraus mit dem Degen in der Hand und seinen Bedienten an den Haaren ziehend. – Das ist der Schuldige! O nein! frecher Lügner. Er wird umgeben, umzingelt, gedrängt, beleidigt, betäubt, bestürzt gemacht; hundert Stöcke erheben sich über seinem Haupte. Der Tenorist zieht vom Leder, die Frauen unterstützen ihn mit ihrem Geschrei, wie es die alten Gänse thun, wenn die Gänschen miteinander kämpfen; die Musiker springen über ihre umgeworfenen Pulte hinweg und suchen das Weite; ein Sturm, welcher zufällig vorbeisauste, kommt wie gerufen, um Theil an dem Heidenlärmen zu nehmen. Geschrei und Verwirrung sind im Uebermaße vorhanden. Ah, mein Herr! von unserem Taugenichts wären wir also endlich befreit; der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht. Nein, keinesweges! Unser Briccone, welcher Augen wie ein Tiger macht, den bloßen Degen in der Rechten, mit der Linken Alles, was sich seinem Wege entgegensetzt, niederwirft, der Briccone prügelt die zu seinem Feste Eingeladenen, erhält keine Wunde und verschwindet hinter den Coulissen, indem er ein teuflisches Lachen ausstößt. Der Vorhang fällt; klatschen Sie Beifall.

Mozart (indem er den Abbate mehrmals mit Entzücken umarmt). Freund! Bruder! Wohlthäter! welcher Dämon oder welcher Gott hat dies Alles in Dein armes Dichtergehirn eingegossen? Weißt Du wohl, daß Dir die Welt für dieses Finale eine Bildsäule schuldig ist? Sagen Sie mir weiter nichts; jetzt weiß ich die Sache besser als Sie. Sie sind ein großer Mann. Sie setzen den Musiker erschrecklich auf die Probe, aber nie ist aus dem Kopfe eines Künstlers ein glänzenderes Opernsujet hervorgegangen, und nie wird mehr ein ähnliches daraus hervorgehen. [227] Lassen Sie mich Sie noch einmal umarmen, mein theuerster Freund, und Ihnen danken im Namen der ganzen Facultät der Componisten, Sänger, Instrumentalisten und Dilettanten nunc et in saecula saeculorum!

Da Ponte (sehr geschmeichelt). O zuviel Güte, theuerster Maestro! Schonen Sie meine Bescheidenheit. Nach Ihrer Meinung hätte ich also ein Meisterwerk hervorgebracht?

Mozart (begeistert). Ohne den geringsten Zweifel, Sie oder die Bestimmung Mozart's. Es bleibt uns jetzt noch übrig, die Ensemblestücke zu combiniren. In Bezug darauf werden Sie von mir, wie für Figaro, die umständlichsten und genauesten Instructionen erhalten. Ich liefere Ihnen auch den poetischen Gedanken der Arien, welche die Personen, so wie ich sie auffasse, charakterisiren sollen. Was die Handlung anlangt, ist nichts darüber zu sagen.

Da Ponte. Mein Richtscheid, mein metrischer Compaß, meine Scheere und meine Feile stehen zu Ihren Diensten, und ich werde Alles sagen, was Sie werden thun wollen. Sie glauben also, daß unsere Oper zu den Sternen gehen wird?

Mozart. Ich weiß nichts davon, aber ich glaube, daß früh oder spät Don Juan einigen Lärm in der Welt machen wird.


Da Ponte25 und Mozart wußten zwar das Kind hervorzubringen, aber sie verstanden nicht, es zu taufen. Ein Drama, [228] dessen Knoten der Tod in Person, in einem von ihm selbst vorgeschriebenen Finalstücke löst, hieß man und heißt man noch Drama giocoso.

Wir wollten die Untersuchung des Gedichtes unter einer weniger trockenen und weniger wortreichen Form, als die Analyse, geben, und zugleich auch beweisen, daß die Arbeit des Dichters nicht ganz unabhängig von der des Musikers betrachtet werden dürfe. Je wunderbarer das von unserem Heros errichtete Gebäude erscheint, je weiter es sich in seinen phantastischen Verhältnissen von allen Denkmalen der Bühne entfernt, die vor oder nach ihm errichtet worden sind; jemehr es sie durch die Manchfaltigkeit der Anordnung, den Reichthum der Materialien und den Glanz der Verzierungen übertrifft, um so mehr muß das Fachwert dieses Gebäudes bizarr erscheinen, wenn man ihm seine Verkleidung wegnimmt. Man darf dem Dichter durchaus keinen Vorwurf über die Art machen, wie er seine Personen geschaffen hat. Da Ponte wollte ganz einfach eine Opera buffa, dramma giocoso machen, wie er sich selbst ausdrückt, mit all' den obligaten Anomalien eines Sujets, in welchem die Possen mit einem Morde ihren Anfang nehmen und mit einer Statue, die spricht, endigen, das bewunderungswürdig, barok und außergewöhnlich den großen Haufen [229] unterhalten sollte, welcher in die Oper geht, um zu sehen, nicht um zu hören. Nachdem die Situationen einmal festgestellt sind, so fragt man sich, was der Verfasser eines komischen Libretto in dem Helden des Stückes Anderes erblicken konnte, als einen verächtlichen Wüstling; in Elviren eine Närrin, die auf den Straßen umherläuft; in Octavio einen kraftlosen, faden Galan, wenn man ihn nicht gar einen Poltron nennen will; in Zerlinen eine ländliche Coquette, und auf dem besten Wege, noch etwas Schlimmeres zu werden; in Anna eine für die Liebe ihres Bräutigams nicht sehr zugängliche Verlobte, die ganz von dem Gedanken der Rache erfüllt ist, die sie nicht zu vollbringen vermag; unfruchtbare Thränen, ein Zorn, der im Geiste des Libretto nichts zu Wege bringt. Allein, wie wir bereits sagten, so wird es keinen nur einigermaßen mit einem Sinne für das Schöne und wahrhaft Poetische begabten Zuhörer geben, der in diesen Personen nicht noch etwas Anderes fände, als sie zu sein scheinen; nicht einen, der nicht im Verlaufe des Dramas eine verborgene und ideale Handlung erkennte, welche die materielle Handlung, die man vor Augen hat, weit überragt; daß dieser Rhapsodie, die halb der lustigen Fabel, halb der Legende angehört, wie im Faust und Hamlet, ein allgemeines oder rein die menschlichen Verhältnisse berührendes Sujet zu Grunde liege, ein Sujet, das aber nur dem Musiker zugänglich wäre. Wenn die Kritik die Arbeit eines Componisten in einer Oper prüft, so muß sie als unabänderliche Richtschnur ihn in Allem, was die Charaktere betrifft, nach den Andeutungen des Gedichtes richten. Warum haben denn die zahlreichen Ausleger des Don Giovanni stets die Nothwendigkeit eingesehen, die natürliche Basis ihrer kritischen Würdigungen bis auf einen gewissen Grad fallen zu lassen und die Erklärung des Haupt-Charakters außerhalb des Textes zu suchen? Weil Alle diese [230] psychologische und dramatische Zweiseitigkeit, diesen Contrast und diese Uebereinstimmung gefunden haben, welche wir in der Unterredung zwischen den beiden Verfassern des Werkes klar zu machen gesucht haben.

Die ideale Natur Don Juan's ist Gegenstand einer Menge von Glossen geworden, die unter allen möglichen Formen, als Analysen, Journal-Artikel, Romane, phantastische Erzählungen erschienen sind, die Schriften gar nicht gerechnet, welche den Gegenstand nur vorübergehend berühren. Unter diesen Glossen gibt es sehr bemerkenswerthe, und Hoffmann's Erzählung namentlich ist ein Meisterwerk. Dennoch hat mich keine ganz befriedigt. Wir haben geglaubt, überall mehr oder weniger willkürliche oder falsche Auslegungen zu finden; willkürliche, wenn sie sich weder auf die Arbeit da Ponte's, noch auf die Mozart's gründeten, falsche, wenn sie geradezu der Musik zuwider liefen. So wird in einem deutschen Romane, der denselben Titel wie die Oper trägt und sie erklären soll, Giovanni dargestellt, als wenn er, wie Faust, einen Pact mit dem Teufel gemacht hätte. Die Version ist völlig absurd, welcher Buchstabe und Geist des Mozart'schen Werkes widersprechen. Eine andere Art, Don Giovanni auszulegen, welche die Autorität eines originellen Componisten und berühmten Schriftstellers, in der Person Theodor Hoffmann's vereinigt, für sich hat, erscheint uns zwar viel poetischer, aber durchaus nicht richtiger. Hoffmann ertheilt dem Musterbilde unter den Wüstlingen eine privilegirte Organisation, eine glühende und begeisterte Seele, eine hohe Intelligenz, die alle drei im Jagen nach einem nicht zu findenden Glücke sich aufgerieben haben. In seiner Verzweiflung wirft sich Don Juan der Wollust in die Arme, und sinkt so immer tiefer, ohne darum glücklicher zu werden. Im Gegentheil, seine Misanthropie vermehrt sich und treibt ihn, sich [231] an dem weiblichen Geschlechte für alles Uebel, was er sich selbst zufügt, zu rächen. Eines Tages sieht er endlich Anna. Die ist es! Sein früherer Traum, sein Ideal, das Glück, dem er so lange nachjagt. Aber Anna kommt zu spät, Don Juan kann sie nur verführen, er soll sie nie besitzen. In dieser bittern Ueberzeugung singt er: Fin c'han dal vino calda la testa, und seine Stirn zieht sich auf noch fürchterlichere Weise als gewöhnlich zusammen. – Wir gestehen, diese Gestalt à la Byron entbehrt keineswegs der Größe, ja konnte zu ihrer Zeit höchst originell sein; sie interessirt noch wie alle gefallenen Engel, wie alle hypochondrischen Dämonen, wie alle tief enttäuschten Menschen, die an ihren letzten Illusionen scheitern. Nur Schade, daß weder da Ponte noch Mozart von alle dem auch nicht das Geringste sagen. Dies Alles befand sich einzig und allein in den wenigen Flaschen, die der reisende Enthusiast um 3 Uhr früh, bevor er sich in's Theater begab, geleert hatte. Wenn er die Gegenstände nicht doppelt sieht, sieht er sie wenigstens verkehrt, der reisende Enthusiast oder der enthusiastische Reisende, Theodor Hoffmann. Erstens hat der Don Juan Mozart's nicht einen Tropfen deutschen oder englischen Blutes in seinen Adern, er hat weder den Spleen, noch hypochondrische Zufälle, noch Ideale, noch Träume (die im Schlafe ausgenommen). Im Libretto ist er zügelloser Wüstling sonder Furcht und Sorge: giovane cavaliere estramamente licenzioso, wie er auf dem Personenverzeichnisse bezeichnet ist. In der Musik sehen wir ihn stolz, dann den Comthur verächtlich bemitleidend, verführerisch und halb selbst verführt bei Zerline, im Quartett von bewundernswerther komischer Unverschämtheit, in der Champagner-Arie durch die ausgelassenste Laune bewundernswerth, bewundernswürdige Kühnheit im ersten Finale zeigend, männlich vor der Statue, und sonst überall um die Vergangenheit und [232] Zukunft unbekümmert, nur vom Augenblicke beherrscht, Künstler und Dichter nach seiner Art, in der Seele Musiker, Buffo von unerschütterlicher Fröhlichkeit, was auch immer kommen möge. Ist dieß der Don Juan Hoffmann's?

Was die Tochter des Comthurs betrifft, so lassen sich auf dem Wege der poetischen Conjecturen zwischen ihr und Don Juan keine anderen Beziehungen entdecken, als daß Don Juan Anna zu besitzen gestrebt hat, wie er es mit allen Frauen, die ihm gefallen, macht; daß er aber, nachdem in der ersten Scene sein Versuch mißglückt ist, nicht mehr daran denkt und Anna selbst zu vermeiden sucht. Von nun an richten sich seine Angriffe gegen Zerlina. Liebt er Anna mehr als irgend Jemand, so bewahrt er wenigstens sein Geheimniß; nicht ein Wort, nicht eine Note verrathen ihn. Nun fragen wir, wie Hoffmann und seine Nachbeter uns haben überreden wollen, daß Anna verführt worden wäre. Der Textverfasser hat ihre Ehre bewahrt, und Mozart hat sie als erhabene Heldin dargestellt. Warum will man also so mir nichts dir nichts den schönsten Charakter, den die Musik je geschaffen, herabwürdigen?!

Ohne Zweifel steht Jedem frei, sich einen Don Juan nach seiner Phantasie vorzustellen, aber dann soll man ihn nur nicht für den Don Juan Mozart's ausgeben.

Man erlaube mir, meinerseits einen Charakter hinzustellen, der so wenig verstanden worden und doch von Jedem, der sich nur die Mühe geben will, ihn zu suchen, wo er ist, in der Oper nämlich, leicht aufgefaßt werden kann. Wir müssen Don Juan in Cherubino wieder aufnehmen, wo wir bereits seinen Ursprung erkannt und festgestellt haben.

In der Jugend des Menschen, in dem glücklichen Alter, wo die Poesie allein herrscht, gibt es ein gemeinschaftliches Ziel, nach [233] dem direct oder indirect alle unsere Pläne und Wünsche hinstreben. So lange das Herz jung ist, zeigt sich der Traum des Glückes fast immer im Bilde eines Weibes, ja wohl mehrerer. Nun verschwindet für die Meisten der Traum des Glückes unter dieser allgemeinsten und anziehendsten Form sehr schnell, und läßt nichts zurück, als ein peinliches Erwachen, die Sorgen und Widerwärtigkeiten des Haushaltes oder die demüthigende Erinnerung an einige verächtliche Liebesverhältnisse. Er realisirt sich wohl für einige Auserwählte in einer größern oder kleinern Summe von Genüssen, aber niemals in einem solchen Verhältnisse, wie ihn z.B. ein ungeheurer Egoismus und Stolz mit einer vulkanischen Organisation und zügellosen Einbildungskraft verbunden sich wünschen würden. Nun denke man diese Eigenschaften in einem und demselben Individuum vereinigt; man füge vollkommene Körperbildung hinzu, die glänzendsten Geistesgaben und einige der höchsten Seelenfähigkeiten, man füge einen magnetischen Blick hinzu, der verwirrt und bethört, bezaubert und anzieht, wie das auf die Beute gerichtete Auge der Schlange, man füge endlich einen Willen, den nur die Leidenschaft leitet, und eine Leidenschaft hinzu, die das ganze Geschlecht als ein einziges Weib umfaßt, und man wird so den idealen Typus Don Juan's haben, eine moderne Variante eines Mythus, der so alt wie die Welt ist. Die Fabel von den Titanen hat nach und nach die verschiedenen Farben der Alter der Menschheit angenommen. Es gab zuerst Titanen des Ehrgeizes und Stolzes. Prometheus war der Titan der thätigen Intelligenz, Faust der Titan der philosophischen Speculation, Don Juan ist der Titan der Sinnlichkeit, der personificirte Sensualismus. Es ist immer in einem oder dem andern Sinne der stolze Aufstand des Geschöpfes gegen den Schöpfer, der jedoch stets in der nämlichen Katastrophe wieder erdrückt und[234] gleichsam begraben wird; denn die Poesie, welche überall die Philosophie in der Interpretation großer philosophischer Wahrheiten überholt, hat stets eine Züchtigung der Vorsehung gegen das Verbrechen des Genius verhängt, welcher es wagte, die ungeheure Nacht, die ihm verliehen worden, gegen Gott zu wenden.

Als da Ponte sein Libretto schrieb, dachte er gewiß nicht daran, daß er jene hohe Ueberlieferung in den Kreis der musikalischen Poesie zu versetzen hatte, und dennoch hat er in einigen Scenen die Handlung so angeordnet, als wenn er eine unklare Idee davon gehabt hätte. Prometheus und Faust (ich meine den Göthe'schen), die Titanen des Gedankens paßten nicht für die Musik, aber nur die Musik konnte Don Juan, den Titan des Fleisches, würdig darstellen. –

Die Organisation Giovanni's, so wie wir sie beschrieben haben, und so wie sie sich schon sehr deutlich in Cherubino kundgibt, harmonirt ganz herrlich mit der materiellen Welt, die für ihn bald die einzige wahre Welt wird, weil seine Wünsche ihre Grenzen nicht überschreiten und seine Fähigkeiten seinen Wünschen entsprechen. Die Erde, nichts als die Erde, aber die ganze Erde! In dieser Lebensansicht verschwindet das religiöse und moralische Gesetz auf viel folgerichtigere Art, als im Faust. Alle Beide, Giovanni und Faust, die sich anderen Menschen unendlich überlegen fühlen, obgleich in sehr verschiedenartigen Beziehungen, wollen herrschen; aber welche Art von Herrschaft wird Giovanni erwählen? Er verachtet die Menschen viel zu sehr, um nach ihrer Bewunderung zu geizen. In seinen Augen ist daher die Wissenschaft, welche das Leben beschäftigt und abnützt, ohne je zu einem Endresultate zu führen, eine lächerliche Täuschung; der Ruhm ein leerer Schall; die Macht, welche der Dienst im Staate verleiht, eine fruchtlose Anstrengung. Nein, Giovanni wird eine reellere, [235] individuellere, seinem titanischen Stolze mehr zusagende Herrschaft ausüben, welche sich im Egoismus concentrirt, den Beifall verachtet, vor Allem aber nutzbringender ist, und mit seiner Logik mehr im Einklange steht. Die Menschen, spricht er zu sich, rennen darum nur Chimären nach, weil sie unfähig sind, die Wirklichkeit zu besitzen. Ich bin aber befähigt dazu. Sie träumen von, was weiß ich, welchem Paradies, und sehen nicht, daß das Paradies überall da sich befindet, wo die Sonne warm, der Himmel blau, die Welle klar und mild, die Luft mit Wohlgerüchen erfüllt ist; überall da, wo die Traube reift; und wo diese Elemente zum Glücke fehlen, überall da, wo es Frauen gibt. Die Frauen! sagt mir dieses eine Wort nicht den Grund, warum ich hier bin, als all' dieser Wortkram, den man mit dem Titel Philosophie beehrt? Wenn die Idee des Lebens sich ganz in der des Genusses zusammenfaßt, sind dann nicht alle Genüsse durch das Wort Frau ausgedrückt? Reizende Wesen, einzige Gottheiten, welche ich anerkenne und anbete, wie sehr sind diese einfältigen Träumer und diese elenden kränklichen Personen zu beklagen, welche noch das Glück suchen, nachdem sie das gekostet haben, das ihr zu gewähren vermögt. Diese Frauen! Warum sollte ich das höchste Gut nicht ebenso genießen, wie ich die Sonne, das saftige Grün, die Wohlgerüche und die Musik immer und überall genieße. Die ganze Welt wird aber die Hand gegen mich erheben. Um so besser, ja, um so besser sage ich, und zwar von Herzen. Wenn Alles mir gesetzlicher Weise gehörte, wie sie sagen, so möchte ich Nichts mehr und es bliebe mir nur übrig zu sterben. Aber jeden Tag die Macht dieser Fähigkeiten gegen die Hindernisse ohne Zahl, welche die Gesellschaft einem Wesen meiner Art entgegensetzt, zu versuchen; alle Schranken vermittelst Erfindungsgabe und Genie über den Haufen zu werfen; sich vermittelst Muth und [236] Gewandtheit aus allen Gefahren zu erretten; die Seele stets von Freude und Stolz über den Triumph erfüllt zu sehen, und bei jedem Siege durch die berauschendste Wonne entschädigt zu werden, ach! das ist es, was ich leben nenne. Die Dummköpfe und die Memmen werden sagen, daß man, um auf diese Weise zu leben, zuerst mit dem Teufel anbinden müsse. Ich würde eine solche Hilfe verschmähen, selbst wenn ich daran glaubte. Den Schönen gegenüber kann ich ihn entbehren, und im Angesichte des Feindes würde mir eine solche Hilfe die Gemüthsbewegung rauben, welche die Gefahr hervorbringt, und welche ich am meisten liebe. Wird der Teufel mir einen Trank nach seiner Art bringen? Großen Dank, Herr Satan, Mephistopheles oder welchen Namen es Ihnen beliebt, anzunehmen, ich danke für Ihren Trank. Behalten Sie Ihr Geschmier für unsern lieben Vetter Faust, den Einfaltspinsel von Doctor, der sich zu todt berauscht, indem er aus der Schale des Wissens trinkt, und der Sie ruft, um sich zu berauschen, der unmächtige Greis, der von der Magie verlangt, was ihm die Natur versagt. Was mich betrifft, der ich kein Gelehrter bin, ich werde mich Ihnen nicht übergeben, um mehr zu erfahren. Sie sind mir zu gar nichts nütze, nicht einmal um mir Angst zu machen, selbst wenn es Ihnen belieben sollte, sich eines Tages in großem Costüme ganz in Schwefel parfümirt, und im Gefolge von einer Legion gehörnter Ungeheuer und unsauberer Geister bei mir einzufinden. Ich werde mit Vergnügen Sie bei mir empfangen.

Das ist der Don Juan da Ponte's und Mozart's, Zug für Zug nach dem Libretto skizzirt, und Note für Note nach der Partitur commentirt und ausgeführt. Nachdem die Grundlagen des Haupt-Charakters festgestellt sind, so läuft der übrige Theil bei Dramas natürlich ab, und in demselben zusammen. Alles, [237] was dieser Sphäre von betäubender Bezauberung zu nahe kommt, deren Mittelpunct Giovanni ist, wird in diesen Wirbel hinabgezogen. Wenn dieser Mann des Genusses strahlend von Schönheit und Anmuth erscheint, so geräth Alles in Bewegung bei seinem Anblicke; Alles nimmt ein festliches Aussehen an; der Glanz, der ihn umgibt, zieht den Schwarm von Schmetterlingen an, der die Flamme so lange umfliegt, bis er von ihr aufgezehrt wird. Es bereiten sich Feste vor; die Narrheit setzt ihre Schellenkappe auf, in den Gläsern perlt der Wein, die helltönend an einander klingen; die Hände suchen sich zum Drucke, Saal und Gemächer strahlen von einem Meere von Flammen; die Sinnlichkeit wird in vollen Zügen geschlürft. Und Du, ohne welche es keinen vollständigen Genuß auf unserer Weltkugel gibt, Du Gottheit, ebenso wohlthuend für Glückliche wie für Unglückliche, geliebte Musik, Du konntest eben so wenig fehlen, wie Deine Begleiterin, der Tanz, bei diesem allgemeinen Stelldichein irdischer Lust. Konnte Mozart sich ein Glück denken ohne Musik! Damit haben wir einen Theil des Gemäldes, die Lichtseite; die Schattenseite ergab sich von selbst auf der Leinwand.

Jede Handlungsweise, welche die gewöhnlichen Schranken durchbricht und zu Gewaltthätigkeiten gegen die menschliche Gesellschaft in Masse führt, veranlaßt eine zu der Größe der Unordnung im Verhältniß stehende Reaction. Je mehr die Menschheit in ihrem theuersten Glauben und in ihren tiefsten Gefühlen verletzt worden ist, um so mehr glaubt sie durch das Organ eben dieses Glaubens und dieser Gefühle dagegen protestiren zu müssen; je mehr das Unendliche in uns und außer uns auf eine ruchlose Weise mißachtet worden ist, um so deutlicher und offenbarer muß sie sich nach Innen und Außen kundgeben. So steigern die brutalen und unerbittlichen Liebesbewerbungen Giovanni's in rückwirkendem [238] Einflüsse die Zärtlichkeit der anbetenden Liebe, die leidenschaftliche aber keusche Verehrung, welche Don Octavio personificirt; der absolute Egoismus setzt die absolute Ergebenheit, in Elvira personificirt, in Thätigkeit und in's rechte Licht; der wilde Muth eines ungestümen Blutes hat mit dem Heroismus der Seele, in Anna personificirt, einen Kampf zu bestehen, und den Triumphen des Verbrechens stellt sich eine außergewöhnliche moralische Kraft entgegen, welche das Unglück in einem jungen Mädchen zur Reife gebracht hat. Endlich trägt ein entsetzliches Wunder dazu bei, den Menschen, welcher das Heiligste mit Füßen tritt, zu vernichten.

Auf diese Weise erscheint das Sujet des Dissoluto punito, dessen Tiefen die geistige Anschauung des Musikers erkannt hat, aus einem andern Gesichtspuncte, wird großartiger, allgemeiner und gibt sich der Seele als eine fortwährende und universale Thatsache zu erkennen, als eine Art von musikalischer Kosmogenie, in welcher sich in poetischem und logischem Vereine das Hohe und Niedrige in der menschlichen Natur, das Tragische und Komische, das Erhabene und das Lächerliche, der Sensualismus und Spiritualismus, das Leben und der Tod unter all' ihren Gesichtspuncten vereinigt finden.

Wenn Don Juan ein eingebildetes Meisterwerk wäre, wie man es zuweilen von Romanen vorausgesetzt, welchen Charakter müßte man dem Verfasser dieser, in allen ihren Theilen, mit einer absoluten Wahrheit und Vollkommenheit verwirklichten Kosmogenie geben? Müßte man sich nicht einen Menschen von zweifacher und contrastirender Individualität unter ihm denken, der das Leben und die Kunst an den sich entgegenstehenden Extremen erfasse, und welcher sich abwechselungsweise in den Strom sinnlicher Genüsse und in die Abgründe der Melancholie stürze; einen Menschen, [239] in welchem das energische Gefühl der Existenz unaufhörlich von den klarsten Vorgefühlen der Vernichtung bekämpft würde? Man hätte ganz andere Contraste außerhalb der Wahrscheinlichkeit ersonnen. Aber Don Juan existirt und Mozart, den man auf diese Weise Zug für Zug geschildert hätte, ist keine Fiction.

In dem Augenblicke, in welchem der Compositeur die Wahl eines Gedichtes getroffen hat, wird ihm ein schwarz gesiegelter Brief eingehändigt. Er verkündigt ihm den Tod seines Vaters, eines Vaters, der sein Lehrer, sein Führer während zwanzig Jahren, der unzertrennliche Begleiter auf seinen jugendlichen Triumphen war. Dieses Ereigniß, so natürlich und leicht voraussichtlich es sein mochte, mußte auf Mozart's liebende Seele und auf seinen bereits an die trübseligsten Gedanken gewöhnten Geist einen starken Eindruck machen. Man sehe ihn aber einige Monate später, als er wieder in sein geliebtes Prag zurückgekehrt war, das ihn vergötterte, und wo ein Fest, ein Concert das andere jagte, sich an dem Enthusiasmus, den er einflößte, begeistern, drolliger als je in seinen Reden, bewundernswürdiger als je an seinem Claviere. Hunderte, ja vielleicht tausende vertrauter Freunde umgeben ihn; die ganze Stadt ist sein vertrauter Freund. Er befindet sich mitten in einer Gesellschaft italienischer Sänger, lustiger Brüder und junger Liebhaber aus den ersten Classen, welche alle Tage sich um ihn versammeln, wie um den Centralpunct in Geschäfte und des Genusses, und die wetteifern, wer unter ihnen das neue Meisterwerk am besten zu kosten vermöge, und welche jede neu geschaffene Numer durch Libationen in Champagner begrüßen. Eine Taufe, die eines Don Juan ganz würdig war, wie Jedermann zugeben wird. Mozart läßt den vollen Bechern, welche ihm die Freundschaft reicht, volle Anerkennung zu Theil werden, und ohne Zweifel liefen insgeheim auch einige Liebeshändel [240] mit unter. Die Besuche, die Lustpartieen, die musikalischen Abende, die vertraulichen Sitzungen um den Punschnapf, endlich auch die Proben, nehmen ihn den ganzen Tag über in Anspruch. Wie gewöhnlich bleibt ihm nur die Nacht zum Schreiben. Da ändert sich aber die Decoration; alle lachenden Bilder des Tages sind verwischt; all' das lärmende Geräusch ist verstummt; Mozart ist allein, und er sitzt hinter zwei Wachskerzen an seinem Arbeitstische bei seiner Partitur. Der Octoberwind pfeift in seine Ohren unter Begleitung der abgestorbenen Blätter, welche rauschend herabfallen. Er fühlt mit Schaudern den Augenblick seiner täglichen Umwandlung kommen. Das Gestirn, dessen Rotation sein intelectuelles Leben lenkt, kehrt ihm die nächtliche Seite seiner Scheibe zu, auf welcher stets dasselbe Bild abgedruckt ist. Er möchte diesem unvermeidlichen Bilde entfliehen; er schreibt die jovialen, erotischen oder grotesken Inspirationen nieder, welche die Eindrücke des Tages in seinem Kopfe erweckt und bereits gezeitigt haben. Er schreibt, aber plötzlich fällt ihm ein, daß der Held des Stückes, das lebende Sinnbild aller Freuden der Erde, ein dem Grabe geweihter junger Mann ist, in das er mitten in der größten Thätigkeit seines verderblichen und nur zu verführerischen Genius steigen muß. Ist aber dieser Genius nicht der des Musikers selbst, der seinen höchsten Gipfel erreicht hat? Muß er nicht, nachdem er in so ungeheurem Verhältnisse alle bekannten Grenzen überschritten hat, auf eine Verderben bringende Art auf den Componisten wie auf jene Gestalt zurückwirken; erwartete nicht dasselbe Loos alle Beide? Bei diesen Grabesgedanken, welche die Schlafsucht in Folge zu langen Wachens vielleicht in Bilder umgestaltet, bevölkert sich die Einsamkeit des Musikers mit Phantomen. Bald ruft ihn der Schatten seines Vaters durch die Stimme des [241] Commandeurs; bald zeigt sich die geliebte Muse, die ihn so fest an das Leben bindet, blaß, mit aufgelösten Haaren, in weiten Trauergewändern, unter Anna's Zügen, und flüstert ihm ein Lebewohl zu, wie nur er es hören und wieder von sich geben konnte: Lascia almen alla mia pena etc. (Sextett.) Auf diese Weise lieferten die Eindrücke des Tages die Lichtseiten des Bildes; die der Nacht gaben den Schatten.

Wie soll man nicht über alle Maßen betroffen sein, wenn man den wunderbaren Rapport aller Gedanken des Gedichtes nicht allein zwischen den tiefsten und speciellsten der Individualität Mozart's, sondern auch zwischen den zufälligen Ursachen entdeckt, welche ihn, den Componisten, in Umstände und Gemüthsstimmungen versetzten, die so völlig analog waren mit den zahlreichen und einander so sehr entgegenstehenden Anforderungen seiner Arbeit. Wenden wir uns zu anderen, nicht weniger wichtigen Umständen.

Das einzige Publicum von Europa war das von Prag, welches Mozart's Musik vollkommen verstand; dieses allein betrachtete den Menschen mit den Augen der Nachwelt. »Was von Mozart ist, wird sicher immer den Böhmen gefallen,« sagte der Capellmeister Strohbach zu unserem Heros. Und Mozart erwiederte: »Weil die Böhmen mich so gut verstehen, so will ich ausdrücklich für sie eine Oper schreiben.« Das Orchester, welches die Ouverture zur Zufriedenheit des Maestro spielte, war ein Orchester, wie man schwer ein zweites auf der Welt finden konnte. Zur Vervollständigung des Zusammentreffens aller glücklichen Umstände gewährte das Geschick Mozart eine Truppe italienischer Sänger, die Musik verstanden; eine Primadonna, Teresa Saporeti, welche eine ausgezeichnete Stimme und Geläufigkeit besessen haben muß, weil die Partie der Anna, an der so viele Sängerinnen scheitern, für sie geschrieben war. Der [242] Tenor war ein Signor Baglioni, dessen Partie des Octavio ebenfalls von schönen Mitteln zeugt. Andererseits müssen wir den Schluß ziehen, daß bei einer Partitur, welche keine einzige Numer enthält, in welcher die dramatische Wahrheit und der Ausdruck irgend einem untergeordneten Zwecke aufgeopfert worden wäre, die Prager Gesellschaft ebenso lenksam als gut zusammengesetzt gewesen sein muß. Mozart war der Liebling des Publicums, ein Maestro, der gute Einnahme verschaffte. Sein Wille schrieb demnach das Gesetz vor. Die Hauptrolle wurde einem jungen Manne von der schönsten Gestalt und zweiundzwanzig Jahren übertragen, der ein so guter Darsteller und Sänger war, als diese erforderte. Nenn man der Sage und dem Bilde des Signor Bassi, im Costüme des Don Juan, Glauben beimessen will, so hatte der Teufel der Verführung nie einen würdigern Repräsentanten in der Oper. Glücklich, dreimal glücklich sind die Musikfreunde zu nennen, welche den Don Juan von einem Bassi oder Garcia, einem Spanier gleich der von ihm dargestellten Person gesehen haben. Was mich betrifft, der ich nicht so glücklich war, so habe ich immer das Werk in meiner Phantasie besetzt, um mich dafür zu entschädigen, daß ich es auf der russischen, italienischen und deutschen Bühne, im Auslande und in unseren beiden Hauptstädten gehört habe. Ich habe wenigstens einundzwanzig Subjecte sich in der Rolle des Giovanni abmühen oder dieselbe parodiren sehen. Alle waren unerträglich darin und Jeder in seiner Weise. Nicht die geringste Intelligenz, nicht das mindeste Verständniß der Rolle. Der Eine machte aus Don Juan einen Lärmmacher und einen Menschen, der nur schlechte Orte zu besuchen gewöhnt ist; der Andere einen nachlässigen, faden Dandy, der Dritte einen widerlichen sentimentalen Süßling; ein Vierter machte einen Hanswurst aus ihm, indem er auf den Brettern herumsprang, und in [243] dem Allegro von Là ci darem Entrechats machte. Wieder ein Anderer ging hinter die Coulissen, sich das Gesicht mit Puder einzureiben, um ja recht erschrocken auszusehen, wenn die Statue erscheint, wodurch die Statue und das Orchester genöthigt wurden, einige Minuten zu warten und einstweilen durch das Hohngeschrei des Paterre's sich ersetzen zu lassen. Ich könnte diese Herren alle bei Namen nennen, aber einige davon sind bereits gestorben, darum Friede ihrer Asche, die übrigen sind alt und haben sich von der Bühne zurückgezogen; also Friede ihrer Gebrechlichkeit.26

Wie ist es denn möglich, so geist- und verstandlos zu sein, eine Gestalt so sehr zu parodiren, von der jede Bewegung anmuthig, jede Stellung eine Studie für den Maler, jeder Blick verführerisch und ein muthiges Blitzen ist, was Alles sich ganz genau in der Melodie und im Rhythmus ausgedrückt findet. Giovanni muß sich so geben, daß die Ruhe einer Frau und das Leben eines Mannes niemals in Sicherheit sind, sobald er sich naht; der Art, daß seine dämonische Größe sich noch mit einiger Wahrscheinlichkeit dem Tode und der Hölle gegenüber erhalten kann, welche ihn in Anspruch nehmen. Wenn aber unsere Histrionen dich nicht begreifen, so sollten sie wenigstens das begreifen, daß Don Juan ein cavaliere, ein Edelmann mit feinen Manieren ist, der nichts mit einem burschicosen Studenten, noch [244] mit den Kunden in Auerbach's Keller gemein hat, welche Mephisto auf die bekannte berüchtigte Art regalirte.

Man verzeihe diese Abschweifung der bittern Erinnerung eines Musikfreundes, der in zwanzig Jahren nicht das Glück hatte, in dem Werke, das er analysirt, weder einen Don Juan, noch Octavio, noch Anna, noch Elvira, noch Zerlina gesehen zu haben, und welchem das Lesen der Partitur allein eine Idee von all' diesen Leuten beigebracht hat. Ein einziges Mal glaubte ich Leporello unter Zamboni's Maske zu erkennen; aber ach, dieser hinfällige Leporello machte den Eindruck auf mich, als wäre er vor seinem Vater geboren, und sein Gesang war fast nicht mehr hörbar.

Ein Umstand tröstet mich übrigens, und muß tausend Musikfreunde trösten, welche Don Juan nicht besser gesehen haben, als ich; nämlich die Schwierigkeit und vielleicht die Unmöglichkeit, diese Oper auf eine ganz zufriedenstellende Weise in die Scene zu setzen. Diese Oper leidet hinsichtlich der Inscenesetzung an einem Hauptfehler. Es gibt keine untergeordnete Rollen darin. Alle Rollen und alle Partieen, mit Ausnahme der Masetto's, sind von der höchsten Wichtigkeit; alle verlangen dramatische und musikalische Talente ersten Ranges; und fügt man hiezu noch ein ausgezeichnet schönes Aeußere für Don Juan, einen donnernden Baß und eine monumentale Statur für den Commandeur, Eigenschaften, welche diese Rollen gebieterisch im Interesse der materiellen Illusion und der moralischen Wahrscheinlichkeit verlangen, so fragen wir, wo man drei Sänger und ebenso viele Sängerinnen auftreiben soll, die auch nur entfernt der Idee dieser sechs Personen entsprechen, von denen jede der Typus ihrer Gattung ist.

Meine Leser mögen die außerordentlichen Glücksfälle wohl in Betracht nehmen, welche Mozart zu Statten kamen, als er [245] die Oper der Opern, das Meisterwerk der Meisterwerke schuf. Ein Sujet, reicher und glücklicher gewählt, als alle möglichen lyrisch-dramatischen Stoffe, ein universales Sujet, wie der Genius, der es befruchtete; ein Zusammentreffen von Umständen, welche den Musiker persönlich den vielfachen und einander entgegenstehenden Eindrücken aussetzen, deren Organ und Dolmetscher er zu machen berufen ist; eine italienische Truppe aus dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts, die kühn genug war, sich an die gelehrteste Partitur zu wagen, die existirt, und musikalisch genug gebildet war, sich mit Ehren aus einem, selbst heute noch schwierigen Studium zu ziehen; Sänger und Sängerinnen, welche für ihre Rolle geschaffen zu sein scheinen; ein unvergleichliches Orchester und zur Vervollständigung von all' dem ein Auditorium, das aus begeisterten Freunden bestand, welche in der Würdigung einer wunderbaren Arbeit ganz Europa um dreißig Jahre voran waren! Noch nie traf es sich, daß ein Componist weniger durch Schwierigkeiten und locale Rücksichten beengt, oder mehr inspirirt wurde, und sich freier seinen Inspirationen überlasse konnte; noch nie fand das Zusammentreffen aller glücklichen Umstände zu Gunsten irgend eines Werkes in dem Grade statt, und man wird wohl annehmen dürfen, daß es sich nie wieder erneuern wird. Die ungeheure Ueberlegenheit des Don Giovanni über alle alten und modernen Opern ist eine längst anerkannte Thatsache; unsere Pflichten als Biograph und Commentator nöthigten uns, die Ursachen dieser Thatsachen aufzusuchen; und wenn unsere Bemerkungen als ebenso richtig anerkannt werden, als unsere Nachforschungen gewissenhaft waren, so wird man begreifen, warum alle Bühnenmusik, mit Ausnahme, wie natürlich, der herrschenden Neuigkeiten, neben dieser erbleicht.

Streng genommen könnten wir uns eigentlich der Mühe [246] entheben, die Partitur zu prüfen, unter dem Vorwande, daß es heut' zu Tage nichts Neues mehr darüber zu sagen gebe. Wer hat aber über Don Juan Alles gesagt? Die kritische Ernte scheint uns so wenig hier vollendet, daß wir im Gegentheil nur eine Befürchtung haben, daß wir, nachdem wir hinter tausend Anderen kommen, sehr umständlich und noch viel umständlicher als unsere Vorgänger sein müssen. Dieser Artikel droht, sehr gegen unsern Willen, zu einem Buche im Buche auszuarten, weil er die eclectische Methode nicht zuläßt, welche wir bei den Prüfungen der anderen Opern Mozart's angenommen haben. Man kann in einer Partitur nichts auswählen, welche vom ersten bis zum letzten Stücke, fast ohne Ausnahme, die vollkommensten Muster aller Style und aller Charaktere der Theatermusik und selbst einige Stücke von superdramatischer Musik bietet, wie man sehen wird. Wir sind daher genöthigt, das Werk vollständig die Musterung passiren zu lassen.

Was in einer Legende oder in einer poetischen Fabel, wie Don Juan, am meisten auffällt, das ist die Katastrophe. Es ist daher ganz natürlich und ganz der Sache gemäß, sie beim Beginne des Berichtes in Erinnerung zu bringen. Ich werde also mit den Abenteuern und dem schrecklichen Ende dieses verwegenen Sünders anfangen, welcher weder Gott noch die Menschen fürchtend, den Schatten des Greifes bei sich eintreten sieht, den er ermordet hat, und lebendig durch Dämone in ein Flammengrab geworfen wird. Die Fabel könnte ganz Wohl damit anfangen, und dieß ist gerade der Eingang, den Mozart gewählt hat. Hört! leiht uns das Ohr! rufen Einem die ersten Accorde der Ouverture entgegen, welche mit Kraft vom ganzen Orchester in Angriff genommen werden. Der in zwei gleiche Hälften getheilte Rhythmus erzittert in Stößen auf der geheimnißvollen Modulation, [247] die er führt; halbe Noten, welche in grauenvollen Octaven nachhallen, tauchen von allen Seiten auf, gleich den Gesichtern von Gespenstern, welche einen matten Blick auf Einen richten, dann verschwinden und anderen Gestalten Platz machen. Von Zeit zu Zeit ertönen die Pauken in dumpfen Tönen, wie unterirdischer Donner. Was wollen aber diese klagenden Synkopen der ersten Violine und jene andere Stimme sagen, die so schwach in der zweiten Violine wimmert, und sich gleich einem zertretenen Wurme krümmt, der sich gerne erheben möchte und nicht kann. Das ist eine menschliche Stimme, eine ersterbende Stimme. Das Phantom antwortet ihr, und wenn dieses mit seiner erschrecklichen Anrede zu Ende ist, so sieht man einen schwarzen riesigen Arm aus der Erde herauslangen und den Sünder ergreifen. Die Blechinstrumente vollenden den Todeskampf in dem entscheidenden vermehrten Sextenaccorde und das Tremolo der Violinen hat die letzten Zuckungen angedeutet. Nach diesem erhabenen Eingange, welcher an den Tod Don Juan's erinnert, kommt die eigentliche Erzählung, das Allegro der Ouverture, welche die Ergebnisse erläutert, das heißt wie der Held des Stückes gelebt hat. Indem wir den poetischen Charakter Giovanni's analysiren, haben wir ihm den Satz geliehen, der mit den Worten anhebt: »Jeden Tag die Macht der Fähigkeiten gegen die zahllosen Hindernisse zu versuchen, welche die menschliche Gesellschaft einem Wesen meiner Art entgegensetzt etc.« Dieser aus dem Geiste der Ouverture geschöpfte Satz wird zum genauesten Programm, welches wir uns erdenken können. Gleich bei'm Beginn des Allegros bezeichnet das Dis der Violinen, gegenüber dem D des Basses die feindliche Stellung gegen das Menschengeschlecht, oder vielmehr gegen das männliche Geschlecht. Der reißende Wolf kommt heimlich herbeigeschlichen; mit einem Satze hat er das Lamm ergriffen und die Trompeten [248] begrüßen das glücklich vollführte Verbrechen mit ihren triumphirenden Fanfaren27. Die Nachricht vor dem geraubten Lamme kommt in Umlauf und verbreitet sich immer mehr; man schlägt Lärmen; man versammelt sich, um den Wolf zu vernichten (vom 16. bis zum 46. Tacte). Von hier fängt die Reihenfolge der zauberhaften Blendwerke an, welche aus dieser Ouverture ein Werk einzig in seiner Art machen, wie die Oper selbst, von welcher sie Mozart unzertrennlich gemacht hat, indem er sie mit der Introduction verband. Auf welche Art wurde dieses Blendwerk zu Stande gebracht? Durch Mittel, welche heut' zu Tage bei nicht Vielen mehr im Gebrauche sind, vermittelst zweier kleiner Figuren, welche unsere heutigen großen Männer nicht aufzuheben gewürdigt hätten, wenn sie sie auf diesem Wege gefunden hätten. Die Figur Nr. 1. hat etwas Peremtorisches und Drohendes; sie stützt sich auf das Unisono sämmtlicher Kräfte des Orchesters. Die Figur Nr. 2. ist leicht tändelnd und scherzhaft; ein einziges Instrument, die erste Violine, ist damit beauftragt. Das ist Don Juan einerseits; von der andern sind es die Väter, Brüder, Gatten, Liebhaber, Vettern und Cicisbeen, die heilige Hermandad und ihre Sbirren, der ausgebrachte Haufe, welcher aus demselben Tone singt. Zweimal rottet sich diese Masse zur Verfolgung des Räubers zusammen, der ihr aber entschlüpft und sie fliehend verhöhnt. Das Quartett fängt den Tact an; die Oboen und Fagotte folgen im dritten Viertel; die Flöten im folgenden Tacte. Während dieser Bewegung bleibt die au diese Weise getheilte Nr. 1. deßhalb nicht weniger identisch; die Nr. 2. ist verschwunden. Man eilt ihr nach. Alles geht Anfangs gut, die kanonisch-strategischen Bewegungen [249] werden mit vollkommenster Präcision und Regelmäßigkeit ausgeführt; da verwirren sich aber die Violinen; statt einesGis greifen sie G, was die Modulation über den Haufen wirft und den Dingen eine ganz andere Wendung gibt. Voll Scham über ihren Mißgriff lassen die Violinen die Partie im Stiche; die Anderen, von ihren Oberen aufgegeben, beobachten nunmehr weder Ordnung noch Disciplin mehr; Jedes wiederholt den Satz nach seiner Art, und der ganze, Anfangs so gut geleitete Angriff löst sich in eine Moll-Cadenz vom köstlichsten Effect auf. Der Feind hat den Preis seiner Kühnheit empfangen, den süßen Preis der Liebe, Jubel, Triumph, rauschende und fröhliche Musik. Im Mittelsatze erneuern sich die contrapunctischen Spiele, aber anders, mit mehr Abwechselung und noch mehr Kunst. Dießmal sind die kriegführenden Figuren auf eine Weise vereinigt, daß man sie gleichzeitig hört; der durch ein Hilfscorps, die Clarinette, verstärkte Angriff erneuert sich, und die Nr. 2. theilt sich zwischen der ersten und zweiten Violine. Daraus entstehen ganz verschiedene Combinationen, die Schnelligkeit der modulatorischen Bewegungen der Nr. 2. erlaubt Nr. 1. nicht mehr, dem kanonischen Gange im Unisono und in der Octave zu folgen; man ist genöthigt, in der Secunde, Terze, Sexte, Septime, Moll und in Dur zu antworten, den Feind auf allen Seiten anzugreifen; aber überall macht die Vertheidigung gegen den Angriff Fronte. Man glaubt ein Schwert zu sehen, dessen Funken nach allen Seiten blitzen, oder ein Irrlicht, das einen phantastischen Walzer um uns herumtanzt. Das Ohr, das sich in diesem harmonischen Labyrinthe verwirrt, und die unentwirrbaren Fäden nicht zu fassen vermag, überläßt sich entzückt dem Total-Eindrucke; diese wundervolle Ouverture hat keinen Schlußsatz. Nachdem der zweite Theil in der Tonica das reproducirt hat, was die erste in der Dominante [250] hatte hören lassen, geht die Modulation in F-dur über; das Orchester wird ruhiger, eine wollüstige Schläfrigkeit folgt auf die rührigste Energie; die Ouverture stirbt gewissermaßen da ab, wo die Introduction ihren Anfang nimmt. Wollte nicht Mozart auf diese Weise die nachahmenden Formen der reinen Musik mit denen der angewandten Musik verbinden, und uns von der instrumentalen Erzählungsweise ebenso unmerklich in die dramatische Handlung einführen, wie die Gedanken eines noch wachenden Menschen nach und nach mit den Bildern eines schönen Traumes sich verbinden und vermischen?

Der Vorhang rauscht in die Höhe, und ich lade meine Leser zu einer idealen Vorstellung des Don Juan ein, zu einem Schauspiele, an welchem die Kritik nichts auszusetzen hat. Die Darsteller und die Darstellerinnen machen sowohl in moralischer, wie physischer Hinsicht mit den Personen nur Eins aus. Mit wundervollen Stimmen und einer klassischen Schule ausgerüstet, werden sie so singen, wie man es meist nur in der Phantasie zu hören bekommt. Das Orchester, welches aus lauter Virtuosen besteht, und die in Folge einer allerdings fabelhaften Ausnahme eben so gute Ripienisten als Symphonisten sind, wird nie, auch nicht einmal um einen Viertelston oder eine Achtelspause sich verfehlen. Die Decorationen werden schöner und wahrer sein, als die Natur selbst. Endlich wird man in mir einen jener dienstfertigen und geschwätzigen Nachbarn finden, bei denen es sich vielleicht zuweilen trifft, daß sie das verstehen, was sie erklären.

Nr. 1. Introduction. Man fängt an: wir sehen den Garten einer spanischen Villa vor uns; rechts ein Gitter, die Façade eines Hauses, links im Hintergrund ein mit Orangebäumen [251] und Blumen umgebener Pavillon28. Aurora zeigt uns nur erst den kleinsten ihrer rosigen Finger am Himmel; ein Individuum steht vor dem Pavillon Schildwache. Der Anfang unserer Oper ist so bescheiden, als Virgil's Arma virumque cano. Es ist dieses Niemand Anderes, als ein Bedienter, der seinen abwesenden Herrn zu allen Teufeln wünscht, als Entgegnung auf die Artigkeiten, die er alle Tage schlucken muß: Notte e giorno faticar, eine Melodie, die sich auf den Intervallen des Accords ohne alle Harmonie wiegt. Dieser Hochmuthspinsel wirft sich in die Brust; er will auch den Herrn machen und das Orchester mit dieser lächerlichen Unabhängigkeits-Erklärung überbieten. Wie trefflich ist dieß! Ein träger, unverschämter Lakai, der sogar im Selbstgespräche den Schwätzer und Prahler nicht verläugnet. Man hört Schritte nahen; der Esel ändert oder stimmt den Ton herab, und denkt an nichts Weiteres, als seine Ohren in Sicherheit zu bringen. Unter einer heftigen Explosion des Orchesters erscheinen Giovanni und Anna, welche aus dem Pavillon herausgestürzt kommen. Wie bewunderungswürdig schön sind alle Beide! Er hält sein Gesicht durch den Mantel verborgen, wobei er aber sein Incognito durch den Adel in seiner Haltung und in seinen Bewegungen verräth; gezwungen zu fliehen, wird er wollüstig zurückgehalten durch die kleine Hand, die sich Kraft genug zutraut, ihn aufhalten zu können; sie klammert sich zitternd mit aufgelösten Haaren, halb angekleidet, convulsivisch an das furchtbare Wesen, dessen Hauch sie vernichten könnte. Non sperar se non m'uccidi, ein herrliches Terzett![252] Welch' ein Ausdruck und welche Kraft in der Melodie, welch' energischer Pulsschlag im Rhythmus; wie jagt diese Musik das heiße rasche Blut durch die Adern des Zuhörers, da kommt Anna's Vater aus der Thüre zur Linken, nicht im Schlafrocke und in der Nachtmütze, wie man es so häufig sieht, sondern in einen spanischen Mantel gehüllt, den Kopf unbedeckt und in der Hand eine Fackel, welche sein ehrwürdiges, von edlem Zorne entflammtes Gesicht beleuchtet. Sei es aus Stolz oder Mitleid, genug, Don Juan weigert sich zum ersten Male in seinem Leben, sich zu schlagen. Der Commandeur nennt ihn einen Feigen. Feiger, ich! ruft Don Juan. Es gibt keine Worte noch Pantomime, um die musikalische Erhabenheit in seiner Antwort wiederzugeben. Misero! eine gedehnte Ausrufung von Verachtung und Mitleiden, welche der Donner begleitet; at-ten-di, zwei monotone halbe Noten, auf die eine Pause folgt; sodann die klagende Cadenz in Moll auf se vuoi morir. Diese Worte haben den unglücklichen Greis bereits aus der Liste der Lebenden gestrichen. Die Degen kreuzen sich; funkelnde Tonsteigerungen sprühen aus dem Orchester; die beiden Arme strecken sich aus, verkürzen sich in umgekehrter Ordnung; das Eisen trifft das Eisen, und die Funken fliegen bei'm Geklirre der Waffen. Der Kampf ist leider nur zu ungleich und dauert nur einen Augenblick. Giovanni's Arm (die Striche der Violinen) sucht die Stelle des Herzens, die Stöße fallen rascher, immer näher ihrem Ziele. Eins, zwei, drei, und der Degen öffnet die tödtliche Wunde; der Baß, welcher drei Schritte zurückgemacht hat, fällt auf den herzzerreißenden Halt, den seine letzte Bewegung hervorgerufen hat. Es ist nicht möglich, daß die nachahmende Musik weiter gehen kann, denn es läßt sich nicht läugnen, daß die Analogie viel stärker an Illusion hier ist, als das reelle Bild des nachgeahmten Vorganges, den man [253] wirklich vor Augen hat. Zwei Schauspieler, mögen sie auch in der Fechtkunst noch so erfahren sein, werden sich nie so natürlich schlagen, als wie man sich im Orchester schlägt, in der Absicht, sich um jeden Preis zu tödten.

Ton und Tempo ändern sich; aus D-moll sind wir durch einen unmerklichen, obgleich sehr raschen Uebergang in F-moll gekommen; langsam sich absondernde Triolen folgen auf die blitzenden Zweiunddreißigstel, und die Octave der Hörner verlängert sich wie ein stöhnendes Echo, das aus der klaffenden Brust des Greises aufsteigt. Ah soccorso! Hier streitet sich das scenische Gemälde mit dem musikalischen. Die imposante Gestalt Giovanni's zeigt sich in der Partitur unbeweglich, tief in seinen Mantel verhüllt, nachdenklich, mit noch verächtlichem Ausdrucke, aber doch erschüttert. Sie trägt das Kainszeichen an der Stirne. Zu seinen Füßen liegt der Commandeur hingestreckt, mit einer Hand sich auf den Boden stützend, und die andere voll Blut auf seine Wunden gedrückt, und der mit einer Stimme, die ihm mehr und mehr ausbleibt, um Hilfe gegen den Tod ruft, welcher bereits seine Gesichtszüge zu entstellen und seine Glieder starr zu machen anfängt. Als Staffage sieht man die ausdrucksvolle Maske Leporello's, in welchem sich in schrecklicher Uebertreibung Erstaunen, Schrecken, Abscheu und Mitleiden malen. Diese drei Melodieen von contrastirenden Bässen heben sich in einer erhabenen Gruppe auf einer Grundlage eines ganz geschlossenen Accompagnements hervor. Der Vocalgesang hat aufgehört, und der letzte Funke von Leben entflieht in dem Ritornell.

Wir haben dem Regisseur und Capellmeister unserer Truppe anempfohlen, unmittelbar nach diesem traurigen Terzett zur zweiten Scene überzugehen, welche sich auf diese Weise an die Introduction anschließen wird. Statt Giovanni und Leporello einige [254] nichtssagende und ganz am unrechten Orte stehenden Redensarten wechseln zu lassen, vollführen diese, ohne ein Wort zu sprechen, ihre Flucht, und Donna Anna erscheint sogleich mit Octavio und im Comparsen. Sie trifft Niemanden als den Leichnam ihres Vaters. Der von den Violinen ausgehende Allarm, welchem das plötzlich erwachende Orchester in kläglichem Geschrei antwortet, erbebt sich in dem Augenblicke, in welchem die Fackeln den Schauplatz der Trauer erhellen. Padre! Caro Padre! Ist es an uns, diese Energie zu schildern, welche in ihrem Schmerze noch erhabener ist, als in ihrem Unwillen, diese feurigen Worte, die in Thränen ersticken; diese stets sich mehrende Bangigkeit, welche jeden Augenblick sich an den äußersten Grenzen des Leides brechen zu müssen scheint, und den Augenblick hernach uns noch ärgere moralische Qualen aufweckt: Quel sangueQuella piagiaQuel voltotinto e coperto del color di morte; dann dieses Herz, welches plötzlich zu schlagen aufhört und so eisig kalt wird, wie das des Leichnams: E' non respira piu ... Fredde le membra. Hat nicht Jedermann diese grauenvolle Wonne selbst gefühlt; wie möchte man also von uns verlangen, viele Worte über das Recitativ Donna Anna's zu machen. Anna ist das höchste Gebilde des Genius in der Malerei tragischer Leidenschaften; sie ist die erhabene Tragödie von Fleisch und Bein. Um Anna vollkommen darzustellen, braucht man nichts Geringeres als unsere imaginäre Primadonna: eine Frau, welche die Schönste ihres Geschlechtes ist, die größte tragische Schauspielerin und die erste Sängerin aus der Welt.

Für jeden Andern als Mozart wäre das Recitativ, das man so eben gehört hat, eine Verlegenheit und beinahe ein Unglück gewesen. Ein Duett schließt die Scene, und wenn das Ende [255] nicht das Werk krönt, so verderbt es dieselbe. Mozart verdarb sie aber nicht. Der Dichter hatte ihm einen herrlichen Rahmen geliefert, und der war ihm genug; das Duett der Duette folgt ganz natürlich auf das Recitativ der Recitative. Ehe wir aber das Duett hören, sprechen wir ein wenig von Anna's Partner, der darin zu debutiren hat. Octavio ist die Person, welche die Kritiker am wenigsten begriffen zu haben scheinen, weil sie ihn vorzugsweise in seiner dramatischen Bedeutung in's Auge gefaßt haben. Die wahre Liebe, jenes Gefühl, das uns in unseren eigenen Augen und in der Achtung der Frau, welche wir lieben, so hoch erhebt, reicht nicht immer aus, uns ebenso in den Augen der Welt zu erheben. Im Romane und selbst im Drama schafft die Liebe ihre Helden nur mit Hilfe der moralischen Eigenschaften, die sie entwickelt und in Thätigkeit setzt. In der Wirklichkeit, wie in der Poesie, muß man, um etwas zu sein, auch etwas zu Stande bringen, eine schöne Handlung, ein schönes Buch, eine schöne Partitur, ein schönes Gemälde oder ein schönes Kleid, oder muß man etwas werden: General, Minister, oder wenigstens landwirthschaftlicher Schriftsteller, der in Ermangelung von eigenen Gütern, die er umzutreiben hat, Artikel in Journale liefert. Mag außerdem ein Mensch noch so viele erhabene Gedanken besitzen, so bleibt er, wenn sie sich nicht äußerlich kundgeben, und wäre es auch selbst nur in mißlungenen Werken, oder in Worten, welche der Wind mit sich genommen hat, eine unverständliche Größe, das heißt, ein träger Mensch, dem man meistens große Ansprüche und kleine Mittel zuschreibt. Man interessirt vernünftige Leser nicht einmal bei'm Lesen. Octavio thut nichts oder kann nichts thun, was am Ende auf dasselbe herauskommt, und wird dessenungeachtet doch das, was er schon war, der Verlobte seiner Geliebten. Für den Roman und das Drama wäre Octavio eine traurige Gestalt. Die[256] beredtesten Analysen der Gefühle, die ihn beschäftigen, würden seine Thatlosigkeit nicht ausgleichen. Er liebt; darin besteht allein sein Talent, seine einzige Tugend, was wir aber beides unmöglich im Libretto würdigen können, weil es uns an Beweisen und Zeugnissen fehlt, außer den Worten, die er spricht, welche aber nichts beweisen. Der Componist allein vermochte es, uns einen Maßstab dieses Talentes und dieser Tugend zu liefern; er allein vermochte dieses Gefühl durch eine Handlung zu übersetzen, das heißt durch eine Arie oder ein Duett, und dieselbe mit aller Augenscheinlichkeit und aller moralischer Schönheit auszustatten, welche in ihr liegt. In diesem Falle konnte aus dem armen Octavio, trotz seiner passiven Rolle, seinem furchtlosen Eifer und seinem fortwährenden Auftreten als Begleiter, wenn es dem Musiker gefiel, der bestbedachte Tenor geschaffen werden. Die Musik erklärte den unverständlichen Menschen, und machte aus seinem Stillleben einen Helden, der auf alle Seelen einwirkt, welche mit der seinigen in Berührung kommen, durch die Macht einer Liebe, welche in ihrem innersten Princip aufgedeckt wurde. Sehen wir ihn nun in dem Duett in Thätigkeit.

Anna, welche der Dichter gewandterweise nach der furchtbaren Gemüthsbewegung in dem Recitativ einen Augenblick irre reden läßt, glaubt den Mörder ihres Vaters zu sehen: Fuggi crudele, fuggi. Allegro aus D-moll, Octavio's göttlich modulirter Gesang, im Moll-Tone der Quinte und Dur-Tone der Terz, voll der unaussprechlichsten Zärtlichkeit, bringt die heißgeliebte wieder zu sich selbst. Guardami un sol istante. Sie blickt ihn an und erkennt ihn. Ma il padr mio dov' è? und das Orchester bemächtigt sich sogleich dieses Satzes, den es commentirt und in düsteren Farben ausmalt; die furchtbare [257] Wahrheit kommt durch den geistigen Schleier, der sie deckte an den Tag. Hai sposo e padre in me, erwidert Octavio. Wie sehr athmet dieser Fall auf die Septime, deren Initiative die Oboe ergreift, eine liebevolle Protection, eine begeisterte Ergebenheit, einen tröstenden Zauber; wie bereit ist der zärtliche Octavio, wie glücklich würde er sich fühlen, sein Leben, seine Seele und noch mehr, wenn es möglich wäre, hinzugeben, um Anna's Thränen zu trocknen. Schwöre meinen Vater zu rächen, spricht sie zu ihm, in einigen Tönen in gebieterischem Recitativ: Giuro und die ganze Religion der Liebe geht in diesen feierlichen und ernsten Schwur über. Adagio. Das Feuer lodert auf's Neue in Anna's Herzen auf; (tempo primo) die Figuren in zwei Noten von der Violine, welche die Flöte in der Octave zurückwirft, leuchten gleich Blitzen an dem sturmbewegten Horizonte der Leidenschaften; die Stimmen schließen sich an einander an; Accorde von unbeschreiblich zauberischer Wirkung, instrumentale Antworten, welche den klagendsten Tönen der Seele entlehnt sind, begleiten ihre leidenschaftlichen Worte und theilen sie. Wenn die Worte des Schwures wiederkommen, bringt Mozart denselben Gedanken, unter ganz anderem Aspect wieder vor. Er läßt das Tempo nicht mehr ralentiren, die frappantesten Modulationen folgen sich Schlag und Schlag. So viele Feierlichkeit zuerst in dem Versprechen lag, so viele hinreißende Gewalt und Begeisterung spricht sich nun aus. Die großartige Seele Anna's erhebt einen Augenblick ihren Geliebten zu ihrer eigenen Größe; denn Entschlossenheit und Heroismus sind in Octavio nur der Reflex von jener. Er hat nichts Persönliches als seine Liebe. Wenn wir so vielen Schönheiten noch die weitere am Ende des Stückes hinzufügen, nämlich die ausdrucksvolle und nachahmende Passage Vammi ondeggiando il cor, die kräftigen Synkopen des [258] folgenden Satzes und den Sturm der Instrumente, der über den Schlußsatz hinbraust, so haben wir ein ziemlich genaues Kriterium von dem erhabensten aller Duette gegeben, die je componirt und gesungen worden sind. Der Meister selbst hat kein Zweites gemacht, das diesem nur entfernt gleich käme.

Es ist nun Zeit, daß die musikalische Tragödie ruhe und der Buffo-Oper ebenfalls erlaube, sich bemerkbar zu machen.

In dem Streite zwischen den Classikern und Romantikern sind wir stets der Meinung jenes Mannes gewesen, der auf die Aufforderung, sich zu erklären, ob er dem schwarzen oder dem rothen Hammel den Vorzug gebe, erwiderte, daß er den, der am zartesten schmecke, am meisten liebe. Es liegt auch in der That nichts an der Farbe des Hammels, wenn nur das Fleisch gut ist. Ohne uns darum zu bekümmern, was Laharpe und Schlegel sagen und denken mögen, von denen der Eine das Französische sehr schlecht, und der Andere weder deutsch noch englisch verstand, erklären wir, daß wir stets für das waren und noch sind, was uns interessirt, gefällt und bewegt: für die schönen Scenen Shakespeare's und Corneille's, für Racine und Schiller, für Byron und Goethe, für Chateaubriand und Walter Scott, für Puschkin und Jukowski, mit der Obliegenheit jedoch, alle diese Herren in ihrer Sprache zu lesen, Scott allein ausgenommen, den man mit gleichem Vergnügen in allen Idiomen Europa's lesen wird. Nichts desto weniger hat uns eine Sache in einigen Dramen der romantischen Schule beständig angewidert, und widert uns noch an, nicht wegen unseres Bekenntnisses des literarischen Glaubens, das wir nie abgelegt haben, sondern in Folge eines unwillkürlichen, passiven und von jedem literarischen Urtheile unabhängigen Eindruckes. Es ist dieß [259] nämlich die Vermischung des Tragischen und Komischen, welche nach unserem Gefühle sich stets auf eine Art neutralisirte, daß wir weder gerührt wurden, noch von Herzen zu lachen vermochten, und nach und nach in eine Gleichgiltigkeit verfielen, bei der wir uns glücklich fühlten, wenn die Handlung noch einigermaßen das Interesse wach erhielt. Der größte Dramatist des vergangenen und unseres Jahrhunderts, Schiller, welcher den Eindruck dieser Mischung auf das Publicum bemerkt hatte, schloß sie ganz aus seinen Tragödien aus, nachdem er sie in seinen Jugend-Dramas in Prosa angewendet hatte. Schiller ist eine Autorität, welche die Romantiker nicht verwerfen werden.

Wenn aber gleich die Vermischung zweier Elemente, wie das Tragische und Komische, einen unbesiegbaren Widerwillen erregt, weil er in allen, nicht von den literarischen Doctrinen blind eingenommenen Zuschauern instinctartig liegt, so bringt sie im musikalischen Drama ganz andere Resultate hervor. Die rein dramatischen Effecte wollen vorbereitet und durchgeführt sein, wie Alles, was an die Intelligenz gerichtet ist. Es bedarf einiger Zeit und vieler Kunst, damit die moralischen Dispositionen des Zuschauers die Richtung annehmen, die man ihnen geben will. Mischt man die Gegensätze, so verdirbt man den Eindruck zum Voraus, den man hervorbringen will, wenn man nicht dieselben durch lange und gelehrte Uebergänge verbindet, welche sich aber fast nie mit dem raschen Gange eines Theaterstückes vertragen. Und selbst in diesem Falle verzichtet der Autor auf den kostbarsten seiner Vortheile, auf den Fortschritt eines homogenen Interesses. Ganz anderer Art sind aber die Bedingungen in der Oper. Der Musiker wendet sich geradezu an die Seele und wirkt ohne alle logische Vorbereitung auf sie. Eine einfache Aenderung des Rhythmus, ein Uebergehen aus dem Dur-Tone in den von Moll genügen bei ihm, [260] uns sogleich mit der neuen psychologischen Weise vertraut zu machen, wie verschiedenartig sie auch von der sein mag, welche man verlassen hat. Ja noch mehr, die unmittelbare Aufeinanderfolge der contrastirendsten Effecte ist, ganz unabhängig von aller Anwendung, in der Natur der musikalischen Kunst begründet. Violin-Quartetts und Symphonieen, oder heitere und lebendige Stücke von entgegengesetztem Charakter folgen. In der Oper ist die Mischung des Ernsten und Komischen nicht nur noch viel zulässiger, sondern sie ist ihr im höchsten Grade vortheilhaft. Weil die Eindrücke ohne allen Vergleich stärker sind, als alle Eindrücke des gesprochenen Dramas, so würden sie sich auch viel rascher erschöpfen, wenn man sie nicht vermanchfaltigte. Die schönsten lyrischen Tragödieen, Idomeneo, die beiden Iphigenien, die Vestalin würden ohne die Tänze, die Intermezzos und andere Zugaben der Handlung etwas ermüden. Die besten Buffo-Opern würden vom ersten Acte an zu unterhalten aufhören, wenn zwischen die Tollheiten nicht auch Gefühlsnumern eingestreut würden. Darin liegt der Grund, warum Don Juan, welcher die Quintessenz aller musikalischen Effecte in sich schließt, die höchste Tragödie und die höchste Komik, und diejenige Oper ist, welche unter allen anderen den Kennern am besten gefällt, und welche sicher am wenigsten ermüdet.

Der lebendige und singende Uebergang des Erhabenen zum Lächerlichen ist nun die schöne Dame, welche in dem Augenblicke die Scene betritt, von dem wir sprechen, und welche wir zu betrachten bitten, Elvira zeigt zwei sehr deutlich unterschiedene Seiten, je nachdem man sie hinsichtlich ihrer Rolle oder ihrer Partie in's Auge faßt, als Object oder als Subject. Vom objectiven Gesichtspuncte aus, welcher der der Rolle ist, erscheint diese Person nichts weniger als angenehm, namentlich in den [261] Augen der Männer, die solche Verhältnisse von lange her kennen. Es ist der Kobold oder der Wehrwolf, der Einen in jüngeren Jahren überall hin verfolgt hat in der Gestalt einer Geliebten, welcher man überdrüssig geworden ist, und welche Einem später unter der noch weit furchtbarern Gestalt einer legitimen und tugendhaften Gattin wieder erschienen ist, um jedesmal zur ungelegensten Zeit die unschuldigsten Erholungen und die süßesten Zeitvertreibe zu stören. Wenn man aber Elvira aus dem subjectiven oder musikalischen Gesichtspunkte betrachtet, so wird man eine seltene und auserlesene Natur, eine große und edle Frau in ihr erblicken. In ihr hat der Musiker die unbedingte Ergebenheit, die über das Verlassen und Vergessen triumphirende Liebe, welche Demüthigungen, Beleidigungen und selbst die Verzweiflung überdauert, repräsentirt. Das Ritornell der beginnenden Arie (Nr. 3.) gibt uns die Gestaltsbezeichnung eines höchst leidenschaftlichen Weibes. Eine imponirende Tonart, aus Es; ein fester, majestätischer und bestimmter Rhythmus; melodische Figuren, die wissen, was sie gelten, und Einem sagen: blickt mich an; mein stattliches Aussehen, meine edlen Bewegungen, mit einem Anfluge von Coquetterie zwar, aber nach dem besten Geschmacke. Das Präludium des Orchesters ist so positiv, so glänzend, so charakteristisch, es hat so den Anschein, das Hauptthema zu sein, daß man kaum erwartet, ein anderes ihm vorgezogen zu sehen. Kaum ist es aber zu Ende, als der Componist es Note für Note wieder ausnimmt, um was daraus zu machen –? die Begleitung der Singstimme. Und die Gesangpartie zeichnet sich melodisch auf dieser melodischen und ausgeschmückten Grundlage, mit einer Natürlichkeit und Präcision, welche sich sogleich dem Ohre einprägen. Darin erkennt man Mozart. Ah chi mi dice mai quel Barbaro dov' è? Elvira hat ein orrendo scempio im Sinne (sich [262] furchtbar zu rächen), sie will das Herz des empio durchbohren, mm sie ihn findet, nur aus diesem Grunde ist sie von Burgos hierhergeeilt. Wieder etwas Tragisches! Nicht so ganz. Unser Maestro ließ sich weder von den Frauen, noch von dem Dichter, ihrem Mitschuldigen, täuschen. Man höre, wie er in der zweiten Arie die Worte übersetzt: gli vo cavar il cor (reiß ich das Herz ihm aus). Er übersetzt sie so: Weinend werde ich mich in seine Arme werfen, wenn er mich noch annehmen will. Was sagen uns aber die nachahmenden Striche, welche wie Zeichen zwischen der ersten Violine, Viola und dem Basse gewechselt werden, die das Ohr bezaubern und eine neugierige Erwartung erwecken? Sie sagen, daß Don Juan da ist, im Hintergrunde des Theaters und von Elviren nicht bemerkt. Man hat Mühe, den verderblichen Menschen wieder zu erkennen, der in der Dunkelheit erschienen und verschwunden ist, und einen Leichnam als Beweis, daß er hier gewesen ist, zurückgelassen hat. Don Juan hat sich die Hände gewaschen; er ist frisch und aufgelegt, in glänzendem Anzüge, voll neuer Verführungskünste und in bester Laune, wie es sich für seine Morgenjagd geziemt; sein zweifüßiger Spürhund folgt ihm, die Jagd scheint einen glücklichen Anfang zu versprechen. Eine Frau, ganz allein, welche den Anschein hat, als begriffe sie, daß es nicht gut wäre, daß die Frau allein sei, so wenig wie der Mann; das Alles läßt sich trefflich an. Poverina, poverina! läßt Don Juan hören. Cerchiam di consolar il suo tormento. Und Leporello: Così ne consolò mille e otto cento. Man bemerke die neckende und spöttische Instrumentalfigur, welche ihre doppelte Note über dieses erbauliche Zwiegespräch verlängert. Nachdem Donna Elvira ihre Numer durch ein Bravourstück geschlossen, und die classische Cadenz die gebräuchliche Vervollständigung hinzugefügt hat, redet [263] Giovanni die Dame auf eine Weise an, wie man den Vögeln lockt: Signorina! Signorina! Die schelmische Figur erscheint wieder, noch neckender als zuvor, aber mit dem fünften Tacte halten Sänger und Orchester plötzlich inne, als wenn sie das Haupt der Medusa sähen. Das Stück endigt hier, das heißt, es endigt durchaus nicht. Der Galan und die Dame haben sich erkannt. Bewundern wir aus Leibeskräften, genießen wir mit unserem ganzen Heißhunger, verlieren wir aber keine Zeit mit Loben.

Don Juan, der durchaus nicht geneigt ist, noch einmal Elvira's Eroberung zu machen, läßt sie mit Le porello allein. Unsere Darstellerin hat zu vielen Verstand, um während des Vorlesens des Registers (Nr. 4.), wie so viele Andere, einem Departement-Chef zu gleichen, der dem dienstlichen Berichte eines Untergebenen zuhört. Elvira hört gar nicht zu, sondern sie geht mit großen Schritten auf der Bühne auf und ab, läßt sich endlich auf einer Bank nieder und vertieft sich in ihre Gedanken. Leporello, der das Stillschweigen seiner Zuhörerin für Aufmerksamkeit hält, ein Mißverständniß, das manchem Autor begegnet, fängt seine Vorlesung pian pianino, mit dem Quartett allein an. Es handelt sich nicht darum, den ganzen Folioband durchzugehen, sondern nur die Totalsumme zu zeigen, welche Giovanni's Statistik von Europa umfaßt. Die Violine und der Baß wenden regelmäßig das Blatt um, zeigen die Königreiche und die Provinzen an, deuten mit dem Finger auf diesen Paragraphen oder jenes Capitel, und Leporello liest, je nachdem er das findet, was er suchte. In Italia sei cento e quaranta. Hier mit großen Buchstaben, Sie sehen wohl, Madame. Und die Violinen laufen ganz erstaunt mit den Flöten davon und schreien laut auf, während der Oboen und der Hörner spaßhaftes Volk hohnlächelnd [264] die ungeheure Größe der Zahl bestreitet. Wenn er an das Capitel Spanien kommt, so läßt unser Historiograph, der bis dahin mit der Monotonie eines Meßgehilfen mit der Brille auf der Nase gelesen hatte, die Stimme mehr und mehr sinken, und überschreitet den Tact auf derselben Sylbe, mamama in Ispagna. Er ist erschrocken über das, was er zu sagen hat, und stockt. Es ist dieß ein Kunstgriff des Styls, die Erzählung in dem Augenblicke zu unterbrechen, in welchem die Zuhörer mit offenem Munde dasitzen, um das große Wort zu erhaschen, das jetzt kommen wird. Nachdem der Coup auf diese Weise vorbereitet ist, nähert man sich Einem, und sagt in ernstem und geheimnißvollem Tone: Ma in Ispagnia, son già mille e tre. Nun! was sagen Sie dazu? Mille e tre, wiederholen die Violinen; Mille e tre, wiederholen nach ihnen das Fagott und das Oboe. Jetzt, nachdem das Ohr ganz sicher ist, die unglaubliche Zahl recht verstanden zu haben, wird die Erzählung wieder rascher, und sie fährt in syllabischen Noten fort: V'han fra queste contadine, cameriere, cittadine, v'han contesse, baronesse, marchesine, principesse. Ja, sie alle gehen dem Dienstalter nach im Orchester vorüber. Der Zug ist ungeheuer lang und besteht ganz aus Frauen. Alles dieß spricht zu gleicher Zeit, plaudert und schwatzt, schreit und gesticulirt, daß man nicht weiß, wen man hört. Schluß. Die Vorlesung ist zu Ende, und Leporello will einige Sprichwörter und Maximen anhängen, die er dem moralischen Gesetzbuche entnimmt, von dem er die praktische Anwendung im Auszuge uns kennen gelehrt hat. Man geht vom Allegro in's Andante, und von der Declamation zur Melodie über. Es liegt so viele Augenscheinlichkeit und Weisheit in den Aphorismen Don Juan's, daß das Orchester glaubt, nicht deutlich genug seine Beistimmung zu [265] verstehen geben zu können. Es entsteht ein Wetteifer, wer den Vocalgesang mit der meisten Gefälligkeit zu verstärken, oder mit der meisten Erbaulichkeit wiederholen, oder durch die überzeugendsten Glossen gewichtiger machen kann. Wir sind übrigens an den Bildern der grande maestosa und der piccina stehen geblieben, nach welchen das der vecchia kommt. Man sieht, was es kostet, mit sechzig Jahren jung sein zu wollen. Der Fuß gleitet der alten Thörin aus; sie fällt, sie und ihre Perücke über eine abgebrochene Cadenz aus B-dur. Das Fagott, welches Mitleiden mit ihr hat, gibt ihr den Arm und führt sie, indem es ihr aber einige sehr bedeutungsvolle Worte über die Nothwendigkeit, ihr Testament zu machen, zuraunt. Ich bin zu Ende, Madame. Da Sie nun Alles wissen, so müssen sie vollkommen getröstet sein. Ich wünsche Ihnen einen recht angenehmen Tag. Die Arie des Registers ist das vollendetste Muster des Buffo-Styls, was die Italiener selbst zugeben, die natürlichsten und competentesten Richter in dieser Materie, weil der Buffo-Styl zum Theil mit ihrer Sprache verwachsen ist.

Aufgepaßt! da kommen sehr brave Leute gar munter einher, in G-dur und im Sechsachtel-Tact. (Nr. 6.) Die ländliche Hochzeit sei gegrüßt! Es ist dieß weder Ekloge noch Idylle, es ist Masetto in Begleitung seiner Freunde, ein Haufe Bauern und Bäuerinnen, in ihren Sonntagskleidern und Gesichtern, tanzend und singend; ein sehr fröhlicher Chor, aber von einer Fröhlichkeit, die man gern im Ganzen und in der Perspective sieht, wie die Heerden in einer Landschaft. Es ist ganz der Volksgesang, der sich auch angenehmer in der Ferne als in der Nähe hören läßt. Das kleine Duett der Brautleute rahmt sich mit gutem Effect in den lärmenden Unisonos der Tutti: Trallala! Trallala!

[266] Aber mitten unter diesem ganz ländlichen Chore befindet sich Jemand, der uns sogleich ganz andere Töne singen wird. Dieser Jemand ist die Braut, Zerlina, in welche Mozart sich verliebt zu haben scheint, wie Pygmalion in seine Statue. Sollte es wohl nicht schon mehreren meiner Leser begegnet sein, daß sie bei einem ländlichen Feste unter einer Gruppe Bäuerinnen eine Gestalt entdeckt hätten, welcher alle anderen nur als Einfassung und Folie dienten, eine jener Gestalten, die man nicht leicht vergißt, wenn man sie einmal gesehen hat? Ohne Zweifel hat sich dann Jeder gesagt, daß hier ein Irrthum des Schicksals mit unterlaufe, und daß diese eine verkleidete Prinzessin sein müsse. Ohne allen Zweifel muß sie Seele, Geist, Charakter, ehrgeizige Wünsche haben. Stets Bäuerin bleiben zu müssen, wäre entsetzlich für sie. Man dürfte hoch wetten, daß eine genauere Bekanntschaft mit diesem Idole einige dieser Voraussetzungen zerstört hätte, und eben darin unterscheidet sich Zerlina von der Mehrzahl der Bäuerinnen, die ihr äußerlich gleichen. Zerlina ist gerade das, was man wünscht, daß sie sein möchte. Sie besitzt Seele, Geist und viele Eitelkeit. Mit einem Blicke hat Giovanni errathen, daß sie alles dieß besitzt. Eine solche Schönheit sollte die Frau eines solchen Bauernlümmels werden? Wie, er, der adelige Cavalier sollte dieß zugeben? Besinne Dich nicht lange, meine Schöne, es handelt sich nur darum, den Freier zu wechseln. Giovanni für Masetto, der Tausch scheint annehmbar. Doch schwankt man noch, und da die Situation für die Musik reif wird, so beginnt das köstliche Duettino. (Nr. 8.) Viele Musikfreunde finden das Allegro von La ci darem etwas trivial, und weit entfernt nicht dem Andante entsprechend. Wir sind auch ihrer Ansicht, aber ehe wir diese Bemerkung in einen Tadel verwandeln, sollen wir zuvor sehen, ob der Componist nicht irgend einen [267] guten Grund hatte, eine ziemlich gewöhnliche Melodie auf einen Gesang ersten Ranges folgen zu lassen. Die Unschuld im Kampfe mit der Verführung und in diesem immer schwächer werdend, ist ein, wenn auch nicht gerade sehr erbauliches, doch wenigstens sehr musikalisches Bild. Damit es wahr sei, mußte die Verführung in der Seele der Zuhörer eben so bald gefühlt werden, als sie in Zerlinen's Seele drang, und folglich lebte die moralische Würde der Person noch, so lange Wort und Musik den Widerstand ausdrückten. Aber von dem Augenblicke an, in welchem Zerlina sagt andiam, ist sie so tief gefallen, als irgend eine der Frauen, welche das Register anfüllen; und wenn ihr Name die Liste nicht vermehrt, so verdankt sie dieß einzig Umständen, die nicht von ihr abhingen. Andiam, andiam, mio bene, a ristorar le pene d'un' innocente amor. Innocente ist gut; das Uebrige ebenfalls nicht schlecht. Eine verführerische Melodie solchen Worten zu geben, eine mehr als alltägliche Situation mit einschmeichelnden und anmuthigen Zügen zu verkleiden, wäre dieß nicht so viel gewesen, als sich gewissermaßen zum Mitschuldigen der Zügellosigkeiten der Hauptperson zu machen, und so zu sagen das Laster zu verschönern? Davor hütete sich Mozart weislich. Der Gesang seines Allegro drückt nichts als eine plebejische Trunkenheit aus; er zeigt uns den bei'm Anblicke eines schönen mit Gold und Federn reich geschmückten Cavaliers, und bei dem Gedanken an schöne Kleider, Edelsteine und Wagen und Pferde ganz schwindlich gewordenen armen Kopf einer Bäuerin. Sie sieht sich schon auf dem Balle. Man höre das unruhige pizzicato, welches die Modulation nach dem Tone der Quarte hinneigend macht und sie sodann wieder zur Tonica zurückführt, wie ein gewandter Tänzer, der mit Anmuth seiner Dame gegenüber balancirt. Rossini hätte es nicht besser gemacht, [268] aber Mozart blieb nicht dabei stehen. Mitten in einer fließenden und ganz natürlichen Melodie, die sich auf einem Basse bewegt, der wie bei'm Dudelsack schnarrt, hat er eine chromatische Passage einfließen lassen, deren Effect ebenso merkwürdig ist, als die Intention berechnet und tiefgedacht erscheint. (Der siebente und achte Tact des Allegro.) Ist diese harmonische Verwickelung, die nur einen Augenblick anhält, nicht ein Zeichen, durch welches der Musiker uns alles das andeuten wollte, was Gefährliches und Mißliches in dieser Situation liege, welche auf blumigem Pfade direct zum Abgrunde führt. So ist also das Allegro von La ci darem ohne Widerrede das schwächste Stück in der Oper, dennoch ein Meisterwerk von Wahrheit, von trivialer und sehr bezeichnungsvoller Musik, während der Text nur frivol ist.

Die unvermeidliche Elvira entreißt aber die Taube den Klauen des Geiers, und klärt die junge Bäuerin über die ihr drohende Gefahr auf.

Wenige meiner Leser haben wahrscheinlich auf der Bühne im musikalischen Sermon gehört, den die verlassene Frau an die geliebkoste richtet, ich meine die Arie: Fuggi il Tradiator' (Nr. 9.), der man zwar das Verdienst einer schönen Arbeit nicht absprechen kann, welche aber stets bei der Aufführung weggelassen wird. Und man thut wohl daran. Es wäre wohl interessant, zu wissen, warum Mozart es für passend fand, in eine Partitur wie Don Giovanni, eine Händel nachgeahmte Arie einzuschieben, die sich vor allem Andern so sehr durch die veralteten Formen des Gesanges und der Begleitung, das Weglassen der Blasinstrumente und in dramatischem Ausdrucke unterscheidet; ein Stück, in welchem man eigentlich nichts als eine vortrefflich ausgearbeitete Studie des Contrapunctes auf gut Glück genommene Worte zu erkennen vermag. War es Phantasie, Laune, oder am unrechten Orte [269] angebrachte Ehrfurchtsbezeugung gegen Händel, dessen Chorstyl er in seinen kirchlichen Compositionen hie und da nachahmte, der aber nie sein Muster für dramatische Musik war? Vielleicht könnte man diese Frage durch eine andere beantworten und fragen, warum nach der Scene der Erscheinung im letzten Finale, einer Scene, für welche das Wort erhaben noch viel zu schwach erscheint, wir ein Duett von ächt alt-italienischem Zuschnitte finden, in welchem Don Octavio und Donna Anna in Terzen und Seiten girren: Or che tutti, o mio tesoro? Könnte man dieses nicht für eine Lieblings-Composition (vor siebenzig Jahren) von Guglielmi, Piccini, Sacchini oder Paisiello halten? In der That, nichts gleicht mehr einem Scherze, ja selbst einer Mystifikation. Wenn aber zufälligerweise unser Heros die Absicht gehabt hätte, für den Fall, daß das Stück an anderen Orten wie in Prag zur Aufführung kommen sollte, seine Zuhörer zu mystificiren; wenn Mozart durch die Unwissenheit der Zeitgenossen in seiner Eigenliebe, in seiner Ueberzeugung und in seinen pecuniären Interessen verletzt, der Nachwelt zugerufen hätte: Ihr Richter, die ich nicht mehr sehen werde, hier ist auf einer Seite der große Händel, mein Meister im Kirchenstyle, der aber ohne Zweifel besser daran gethan hätte, seinen dramatischen Styl nach dem von Gluck zu modeln, als Gluck mit seiner Köchin zu vergleichen29; [270] auf der andern Seite seht meine Nebenbuhler, die man mir gegenwärtig alle weit vorzieht. Hört die englisch-deutsche Arie und das welsche Duett; so arbeiteten die Geschicktesten und Berühmtesten vor mir. Dann hört den übrigen Theil der Oper, der von Eurem gehorsamen Diener ist. Urtheilt und sprecht Euch dann aus. Nachdem das Urtheil gefällt und die Vergleichung unnöthig geworden ist, läßt man heut' zu Tage Arie und Duett weg, welche ihm zum Vergleiche gedient haben.

Der Tag hat schlimm für Don Juan angefangen und geht in dieser Weise fort. Anna und Octavio erscheinen und bitten ihn, ihnen behilflich zu sein, den Mörder des Commandeurs ausfindig zu machen; auch Elvira kommt wieder und klagt ihn, zwar nicht als Mörder, an, denn davon weiß sie nichts, sondern als treulosen Verräther am ganzen schönen Geschlechte, was eine noch viel härtere Anklage ist. Don Juan, der nicht mehr weiß, wie er sich diese Nemesis im Federhute vom Halse schaffen soll, die sich wie sein Fleisch gewordener Unstern an seine Fersen heftet und ihm sein Verbrechen vorhält, als wäre sie sein überlebendes Gewissen, begeht die Frechheit, sie für verrückt zu erklären. Er geräth in Wuth und ist doch gezwungen, Theilnahme zu heucheln. Anna und Octavio theilen sich in Zweifel und lebhaftem Interesse, welche ihnen diese Frau einstößt, die sie nicht kennen. Darin liegt der Stoff zu einem Quartett (Nr. 11.), von welchem [271] man vergeblich ein ähnliches, sowohl nach Ausarbeitung als Ausdruck suchen würde; eine jener Scenen, die Jeder von uns in der Welt schon mit angesehen haben kann, wenn eine der handelnden Personen, durch Leidenschaftlichkeit hingerissen, die Maske der Convenienz weit von sich geworfen hat, während die anderen verlegen oder bewegt sich bemühen, sie noch zu behalten. Elvira spielt darin die erste Rolle, weil sie allein sich zeigt, wie sie ist. Die Melodieen Elvira's sind immer sanfter als ihre Worte: Non ti fidar o misera di quel ribaldo cor. Mi già tradì quel barbaro, te vuol tradir ancor. Der in den zwei letzten Tacten dieses Solo's enthaltene Satz, te vuol tradir ancor, ist das Hauptmotiv, das, welches am meisten die Einbildungskraft und das Ohr beschäftigen muß. Er wird die obligate Endigung anderer, sehr verschiedener Wortsätze, und weil das Orchester ihn jedesmal wiederholt, so fangen neue Gesänge bei dieser Wiederholung an, welche auf diese Weise zur Melodie und Begleitung, zum Ende und zur Verbindung der verschiedenen Stimmen des Quartetts dient. So viele Mannigfaltigkeit und zarte Nüancen hinsichtlich der Gefühle und des jeweiligen Standpunktes der Personen die Scene darbietet, so viele musikalische Hilfsmittel hat der Compositeur darin angewendet und zusammengestellt. Schnelle Regungen der Leidenschaft bei Elvira, liebevolles Interesse, in das sich einige Zurückhaltung mischt, in Octavio und Anna; schelmische und halb komische Frechheit in den Anreden Don Juan's an diese beiden, und schlecht verhaltener Zorn in seinen Zuflüsterungen an Elvira; alle diese speciellen Beziehungen verstand Mozart deutlich auszudrücken; alle diese Gegensätze hat er wunderbar in dem Ensemble-Effecte zu vereinigen gewußt. Da herrschen vereint die ausdrucksvollste Melodie und die sprechendste Declamation, eine Modulation, die jedem [272] Satze das individuelle Siegel dessen, der ihn ausspricht, aufdrückt; ein unaufhörlich abwechselndes, stets bezeichnendes und directes Zusammenwirken der Instrumente; da findet man kaum einen jener parallelen Gänge, welche gewöhnliche Liebhaber so sehr entzücken, dagegen aber einen Contrapunct voll Kraft und Anmuth, Sätze von verschiedener Länge, verschiedener Anlage, verschiedenem Rhythmus, alle in einander verflochten, daß sie ein Wunder für Auge und Ohr sind; vier Stimmen, welche mit voller Freiheit und voller Gleichheit sich bewegen und die harmonischste Consistenz aufrecht erhalten, die je da war. Wie Schade, daß ein solches Problem nur in der Musik gelöst werden kann. Mozart wollte, daß in der Oper der Opern Alles im höchsten Grade originell und voll Abwechselung sei, Alles, bis auf die Form der Cadenzen und Endschlüsse der Stücke. So endigt das Quartett durch den Motivsatz des Anfanges. Die Flöte und das Clarinett prägen ihn nochmals pianissimo dem Ohre ein, durch zwei Accorde, die pizzicato gespielt werden. Te vuol tradir ancor. Merkt Euch Elvira's Rath, sie gibt ihn Euch auf ihre Kosten.

Die angebliche Verrückte geht ab. Wie wenn es gefährlich wäre, sie allein zu lassen, erklärt Don Juan, sie begleiten zu wollen, und erneuert beim Abschiednehmen von seinen Freunden seine Anerbietungen, ihnen behilflich sein zu wollen. Seine letzten Worte, die er hauptsächlich an Anna richtet, erregen eine furchtbare Erinnerung in ihr. Der Ton der Stimme und der glühend auf sie gerichtete Blick Giovanni's lassen sie in ihm den Mörder des Commandeurs, ihres Vaters, erkennen. Wir steigen wieder zum erhabensten Tragischen durch ein Recitativ (Nr. 12.) hinauf, das zwar weniger reich instrumentirt als das erste, aber nicht [273] weniger ausdrucksvoll ist. Die Orchesterfigur, welche dieses Recitativ eröffnet und in zwei Sätze theilt, unterbricht sich, und wiederholt sich wie ein langer Schrei der Verzweiflung und des Abscheus. Es ist dieß ein gräßlicher Stoß in der Melodie, eine convulsivische Synkope, von Retardationen und schneidenden Dissonanzen begleitet, weil, mit Ausnahme der Violinen, die anderen Instrumente einem natürlichen rhythmischen Gange ohne punctirte Noten oder Bindungszeichen folgen. In den Pausen ruft Anna mit erstickter Stimme ans: O Dei! O Dei! und nimmt dann das hohe A mit siegreicher Energie, welche den überwältigenden Schmerz niederdrückt. Quegli è il carnifice del padre mio. Eine vollkommene Recitativ-Cadenz. Das ist ein oratorisches Auftreten, um welches Beredsamkeit und Poesie ewig die Musik beneiden werden. Der ganze übrige Theil der Erzählung entspricht diesem erhabenen Eingange. In Berücksichtigung der vielen Bilder, welche sich in dem Texte des Recitativs drängten, hat Mozart eine häufige und kühne Modulation angewendet.

Or sai chi l'onore bezeichnet den Culminationspunct einer Rolle, welche an und für sich, in ihrem Ensemble, die höchste tragische Schöpfung Mozart's ist. Diese Arie bereitet gewissermaßen die übernatürliche Einmischung vor und rechtfertigt sie; sie verleiht ihr Glaubwürdigkeit und Wahrscheinlichkeit; sie bringt dieses zukünftige Element mit den andern Elementen des Stückes in Einklang. Anna befindet sich in einem jener Momente, in denen es scheint, daß die Macht des Willens die Gesetze der Natur verändern und selbst auf das Vergangene zurückwerfen muß. Hingerissen von ihrer Exaltation, berührt Anna die Grenzen jener verborgenen Macht, welche die Siegel des Grabes erbricht und in deren Besitz sie die furchtbare Energie ihrer Gelübde auf einige Zeit setzt. Sie ist nicht mehr eine schwache Frau, die nur auf [274] unfruchtbare Thränen und eine unergiebige Verzweiflung beschränkt ist; sondern sie ist eine furchtbare Zauberin, welche durch ihre Beschwörungsformel das ewige Stillschweigen nöthigen wird, ihr zu antworten. Bereits bringen ihre Worte einen unbekannten Nachhall hervor. Bei ihrer Stimme, welche übermenschliche Kraft belebt, erzittert das Orchester, die Tiefe bewegt sich, feurige Schatten huschen gleich Blitzen im leeren Raume umher; die unsichtbaren Mächte erheben sich: Königin, hier sind wir, was willst Du von uns? (Die Töne der Hoboe.) Vendetta ti chieggio! und dieser oberste Befehl, dieser wunderbare Anruf, welcher den Reiter von Marmor auf seinem unbeweglichen Pferde erbeben macht, tönt sogleich in donnerndem Echo in den Tiefen wieder. (Die nachahmenden Gänge des Basses.) Aber plötzlich verwandeln sich diese mächtigen Anrufungen in Seufzer, Thränen überwältigen diese Stimme, welche dem Geschicke Befehle ertheilt hat. Rammenta la piaga del misero seno. Woher kommt dieser tief melancholische Uebergang mitten in einen übernatürlichen Heroismus, welcher den Charakter des Stückes bildet? Anna ist sicher, gehört worden zu sein; ihr durch Hellsehen erleuchtetes Auge hat den Nebel durchdrungen, welcher die Katastrophe bedeckt; sie wird gerächt werden, sie weiß es, aber sie erräth auch zugleich, um welchen Preis. Dein Leben für das seinige, so lautet der Beschluß der Unsichtbaren30. Die Tochter des Commandeurs ergibt sich in ihr Schicksal, ihr mächtiges Wollen gibt sich auf's Neue noch stärker kund, der Schrei nach Vendetta ertönt von [275] Neuem wieder; er trifft Schlag auf Schlag, wie der Blitz, und fortwährend begleiten ihn unterirdische Donner dumpf rollend. Vergebens vibriren im Schlußsatze andere Corden, welche unaussprechbare Schmerzen einer tödtlichen Wunde, irgend ein Unglück, noch gräßlicher als das furchtbare Ereigniß der Nacht andeuten, ein Geheimniß, das Anna vor sich selbst, vor Gott verbergen möchte ... Aber die Heldin marktet nicht um den Sieg; sie ist zu ihrem Opfer entschlossen. Rache an dem, der ihren Vater getödtet hat! Rache an dem, der einen Angriff auf ihre Ehre gewagt hat; Rache an dem, welchen sie trotz ihres Hasses nicht genug zu hassen fürchtet, die Unglückliche! Das Orchester sagt sie ihr feierlich in einem kurzen Ritornell zu, und der vorletzte Accord, sanft hinausgezogen in ganzen Noten, wirft wie einen geheimnißvollen Schleier auf diese Scene, aus welcher die erhabensten Mysterien der Oper ihren Ursprung herleiten.

Während Giovanni's Untergang sich vorbereitet, ist er munter und guter Dinge, und mit der Vorbereitung zu einem Feste beschäftigt. Auch er erreicht einen jener Culminationspuncte seiner Natur in der Arie (Nr. 13.): Fin ch'han dal vino calda la testa. Die höchste Kraftäußerung der Sinnlichkeit im Gegensatze zu der höchsten Energie des Gefühls. Es liegt, wie Jedermann weiß, selbst in den gemeinsten materiellen Sinnengenüssen ein gewisser Grad von Poesie, welche das lebhafteste Reizmittel und die gefährlichste Verlockung in sich schließt. Die Trunkenheit des Genusses wirkt gerade so auf den Menschen, wie es der olympische Nektar, mit Wasser aus dem Lethe vermischt, thun würde. Sie verjüngt Herz und Sinne, steigert die Einbildungskraft über das Maß, und entledigt das Gedächtniß von der grausamen Last des Positiven. Unsere übertriebensten Hoffnungen, unsere unerreichbarsten Wünsche nehmen dann einen Augenblick [276] die Stelle der abwesenden Wirklichkeit ein. Alle Männer und alle Frauen gehören uns; der Blick der Schönheit gewinnt eine merkwürdige Anziehungskraft; man hört die heitere Musik des Festes, wie wenn sie aus uns selbst herauskäme, die wirbelnden Tänze des Balles erheben uns in eingebildete Räume, welche man ganz nach Bequemlichkeit als König durchmißt, und der Schlaf verlängert endlich das Delirium, bis man mit schwerem Kopfe, ermüdetem Geiste, in der übelsten Laune, mit erschöpftem Körper und Schmerzen in allen Gliedern erwacht, und sich in dem Zustande von vordem wieder findet. Dieser Art sind die Wirkungen jener verdammten Poesie, von welcher Fin ch'han dal vino uns die Quintessenz bietet, weil sie die dreifache Trunkenheit, des Weins, der Liebe und der rhythmischen Bewegung bietet. Es war nicht zu fürchten, daß eine solche Musik ohne Einwirkung auf die armen Sündigen im Parterre und in den Logen bliebe. Es war dieß auch die erste Numer, an welcher Europa unter den Wundern unserer Oper zuerst Geschmack fand, das man lange allen Uebrigen vorzog, und die selbst heute noch ohne allen Vergleich die zahlreichsten Verehrer unter allen Classen des Publicums findet. Die rhythmischen Eindrücke werden selbst von den wenigst musikalischen Naturen gefühlt, und Mozart hat ihnen hier den entscheidenden Antheil zugestanden, welchen der Teil verlangte, ohne aber deßhalb, wie die Rossini'sche Schule, in die eigentliche Tanzmusik zu verfallen. Don Juan ist in herrlicher Laune und in bester Ballstimmung; aber er tanzt noch nicht, und überdieß ist der Ball nicht die einzige Angelegenheit, die ihn beschäftigt. Er kostet in der Einbildung zum Voraus die Genüsse einer tollen Bachanalie, einer Orgie, um Verstand und Athem zu verlieren, und die Liebesheldenthaten, deren er allein fähig ist. Das ganze Delirium des Sängers, das in der Melodie sich ausdrückt, theilt [277] sich dem Orchester unwiderstehlich mit. Da ist auch nicht ein Instrument, das sich nicht bewegt und sich tummelt, selbst der Baß folgt dem allgemeinen Impuls und macht seine Sprünge. Von Zeit zu Zeit läßt die Flöte ihre hohen Töne in einem rhythmischen Schlagworte hören, welches das Tempo, das man nicht schnell genug nehmen zu können meint, noch mehr anzufeuern scheint. Auf diese Tanzwuth, welche mit so vieler Anmuth und so ganz unumwunden die Sätze ausdrücken: chi'l minuetto farai ballar etc. folgt das köstliche Minore, welches ein Delirium ganz anderer Art so herrlich charakterisirt: Ed io fra tanto dall' altro canto etc. Welch' hinreißende Gewalt, welcher Ueberreiz von Begeisterung finden sich in diesen häufigen Wiederaufnahme des Motivs, von denen die letzte zu dem Schluß-und Hauptgedanken des Stückes führt: Ah la mia lista, doman-mattina, d'una dozzina devi aumentar. Wir glauben Giovanni in seiner athletischen Hoffnung auf's Wort; ein Gascogner könnte nicht so singen.

Die Analyse des Werkes, Scene um Scene und Numer um Numer, wie wir es machen, ist bei weitem leichter, als bei irgend einer andern Oper, die nach demselben Plane angelegt wäre. Eine ununterbrochene Reihenfolge von Meisterwerken, welche alle in der Ordnung der musikalischen Schöpfungen so hoch stehen, daß sie Einen von allen Lobeserhebungen dispensiren, und dabei alle von so verschiedenartigem Charakter, daß man nie Gefahr lauft, sich weder in Gedanken noch Worten zu wiederholen. Ueberdieß zeichnet sich jedes Stück durch eine solche absolute Klarheit des Sinnes und der Treue in der Analogie aus, welche keinen Zweifel zulassen, was man darüber zu sagen habe. Bei jeder Numer ist man versucht, auszurufen: das ist es! O! das eben ist es! Mozart hat in dieser Partitur alle Formen des Styls erschöpft. [278] Wir haben soeben eine Arie gehört, deren wunderbarer Eindruck einzig von der Melodie und dem Rhythmus abhängt, eine Arie mit sehr einfacher Melodie und einer mit der Singstimme fast identischen Instrumentation. Nun folgt eine andere Arie (Nr. 14.): Batti, batti o bel Masetto, welche einem Concertstücke für das Orchester gleicht, hinsichlich der Ausarbeitung der vorhergehenden ganz entgegengesetzt, in der Wahrheit des Ausdrucks aber ihr ganz gleich. Man sieht und hört eine Frau ihrem Richter gegenüber, die aus ihren letzten Verschanzungen, dem Läugnen und den Thränen herausgetrieben, mehr zu überreden als zu überzeugen, und mehr zu verführen als zu überreden sucht. Zerlinen's Aufgabe war für den Musiker vortrefflich; hat er sich aber nicht derselben zu gut entledigt? wird irgend ein rigoristischer Kritiker fragen. Wozu diesen Aufwand von Coquetterie und weiblicher Verführungskunst um eines Masetto's willen, des Tölpels von einem Gatten! Der Gürtel der Venus gelehrt aus einander gerollt, um einem Bären einen Maulkorb anzulegen! Daran lachte wohl Meister Wolfgang nicht, daß in dieser Arie mehr liegt, als es bedurfte, um selbst einem Don Juan den Kopf zu verdrehen. Ganz richtig: mußte sie aber den Zuhörer nicht ebenfalls verführen? Man wird sich dar über wohl nie zu sehr beklagen.

Zuerst haben wir hier eine obligate Violoncellstimme, welche ohne die mindeste Unterbrechung von Anfang bis zu Ende dauert. Man hört diesen hinterlistigen Baß, wie er sich dreht und windet, wie er brummt und näselt, wie er den betrügerischen Kreis in's Unendliche um den armen Getäuschten vergrößert. Auf dieser verführerischen Harmonie girren die Violinen wie Turteltäubchen; die Flöte vermischt ihre süßesten Seufzer mit ihren verliebtesten Trillern; wenn die Stimme schweigt, so sprechen ihre Verbündeten [279] und Gevattern, die Instrumente, für sie. Man gebe Achtung, ich bitte, auf diesen Gang von vier Tacten, der in der Singstimme das Motiv der Arie, durch Sechzehntel variirt, wieder herbeiführt, damit es sich genau der Anlage des Ritornells anpasse. Es sind fünf Instrumente: das Fagott, das mit dem Violoncell geht, in obligater und fortgesetzter Stimme; die Flöte, welche sie nachahmt, aber in contrairem Sinne; das Horn, welches die Note des Basses auszuhallen hat; und das Hoboe, welches in synkopirten Achteln die Tonleiter hinabgeht und die flüchtigen Dissonanzen mildert, die ebenso schnell aufgelöst als gefühlt werden. Nichts kitzelt das Ohr köstlicher als die Passage; was die Vocalmelodie anbelangt, so drückt sie die rein ländliche Natürlichkeit und Offenherzigkeit mehr aus, sie ist die unschuldige kleine Zerlina, die an ihren lieben Masetto die zärtlichsten Liebkosungen verschwendet und im treuherzigsten Tone fragt, was sie denn eigentlich gethan habe, daß sie so hart behandelt werde. Als bescheidener, aber sehr getreuer Repräsentant des starken Geschlechts bei dieser Veranlassung, zeigt Masetto nicht die geringste Lust mehr, zuzuschlagen, kaum widersteht er noch dem Wunsche, die Schelmin zu umarmen. Das Allegro kündigt den großen Triumph der Frau an. Pace, pace o vita mia. Von diesem Augenblicke an, werden Kunst und Künstlichkeit, die im Andante entwickelt worden, unnöthig; das Violoncell gibt seinen schlangenförmig gewundenen Gang auf, und eilt in besonderen Tonabstufungen und unruhigen Arpeggien dahin; das Orchester begleitet nur noch; Zerlina überläßt sich einer ausgelassenen Freude, und die Arie endigt mit den Strichen des Basses, welche die Stimme noch um einige Tacte überdauern, und wie ein fernes Hohnlachen pianissimo nachbrummen.

Wir sind jetzt bei dem Finale des ersten Actes (Nr. 15.) angelangt, der ebenso ein Meisterwerk des Musikers wie des Dichters [280] ist. In diesem ewig als Muster dastehenden Finale ist die Handlung mit einer Kunst geführt, welcher sich der vollendetste dramatische Autor nicht schämen würde. Die Situationen entwickeln sich ganz natürlich aus einander; das Ernste mischt sich mit dem Lieblichen, das Komische mit dem Tragischen, ohne allen Zwang und Verlegenheit. Jeder spricht in seiner Sprache und handelt so, wie er muß; die Personen sammeln und gruppiren sich, nicht allein um des Publicums willen, welches da ist, um sie singen zu hören, sondern auch um ihrer eigenen Angelegenheiten willen, was sie nöthigt, nach besten Kräften zu singen; und endlich, inmitten von all' diesem eine wundervolle Steigerung, eine Reihenfolge von stets belebteren, interessanten und vollständiger werdenden Bildern, welche die Totalität der Hilfsmittel des Musikers, gewissermaßen ein sich selbst Ueberbieten verlangen, und die am Schlüsse, wie auf die letzte Stufe an einer Leiter zur Höhe, das Maximum der Effecte stellt, das erreicht werden kann.

Diese herrliche und progressive Entwickelung legte den beiden Schöpfern des Finales die Pflicht auf, es gleich der Tonleiter mit dem untersten Tone zu beginnen. Es ist Anfangs nichts als neu ausgebrochener Zwist zwischen den Brautleuten, ein eheliches Duett, in welchem Masetto einen mit seiner Rolle übereinstimmenden lyrischen Charakter entwickelt. Mozart hatte sicher gehört, wie die Bauern im Zorne mit ihren Pferden oder ihren Frauen reden, und wie die Frauen, ob Bäuerinnen oder nicht, ihren Männern antworten, wenn sie nicht mehr wissen, was sie sagen sollen. Ein Duett voll Originalität und Schalkhaftigkeit. Dießmal ist der wirkliche Oberherr des Hauswesens genöthigt, seinen Willen dem des nominellen Oberherrn unterzuordnen. Don Juan erscheint, und mit ihm nimmt das Fest in prächtigen Accorden seinen Anfang. Su corragio o buona gente. Unterhalte [281] dich, Gesindel, iß, trinke, tanze so viel dir beliebt! Und die guten Leute glauben, nicht tief genug sich verbeugen, nicht genug schreien zu können, vor lauter Dankbarkeit über so freigebige Anerbietungen. Ein halb gebieterischer, halb gnädiger Wink fordert sie auf, in's Haus einzutreten. Die Menge verläuft sich nach und nach, der Chor verliert sich in der Ferne, und es bleibt nur noch ein C übrig, in kurzen Strichen von der zweiten Violine markirt, als Tonica auf dem letzten Tacte des Chors und Dominante des folgenden Tactes, welches C ein anderes Duett, etwas weniges von dem ersten verschieden, herbeiführt. Andante aus F-dur3/4. Giovanni, der mit Zerlinen allein geblieben ist, findet bei ihr seine Stimme und seinen Ausdruck von La ci darem wieder. Mag Zerlina auch singen: Ah lasciatemi andar via; ihre Töne verrathen sie; ihr Herz schlägt noch sehr zärtlich bei'm Anblick des liebenswürdigen Cavaliers. Plötzlich zerstört aber eine Modulation den Zauber, welche wie ein unangenehmer Mißton das Ohr trifft. Masetto! Masetto! erwidert die ungelegen erscheinende Person. So komm' doch, du Ungezogener: La poverina non può più star senza di te. Diese wohlwollende Anrede Giovanni's schließt mit einer Cadenz in Trillern vom komischsten Ernste, welche Masetto Note für Note ihm zurückgibt: capisco sì Signore. Man kann sich nichts köstlicheres Komisches denken. In diesem Augenblicke ertönt die Ballmusik (Allegretto 2/4) aus dem Innern des Hauses, dessen Façade immer mehr erleuchtet wird, je mehr die Dunkelheit auf der Scene zunimmt. Fröhlicher Lärm und crescendo im Orchester. Die Brautleute vereinigen sich mit ihren plebejischen Genossen und räumen guter Gesellschaft das Feld. Anna, Elvira und Octavio erscheinen maskirt und in schwarzen Dominos. Der Moll-Ton, der sie ankündigt, beweist, daß diese Personen [282] nicht in der Absicht, um zu tanzen, sich zu dem Feste begeben. Nie sehr erkennt man gleich die Tochter des Commandeurs an den ersten Worten, die sie in diese musikalische Unterhaltung wirft: Il passo è periglioso. Stets groß und pathetisch! Die Stimme des Balles dringt auf's Neue zu den Zuhörern; man spielt das berühmte Menuet auf, welchem sich sogleich ein köstliches Gespräch, komisch von einer, ernst von der andern Seite, zwischen Giovanni und Leporello, die sich am Fenster zeigen, und den Masken auf der Straße entspinnt. Diese werden zu dem Feste eingeladen, was sie annehmen. Ehe sie aber die Schwelle des Verderbens betreten, welche die Unschuld nie ungestraft überschreitet, rufen die Masken den Himmel an, sie zu unterstützen und zu kräftigen. Adagio aus B-dur4/4 bei dem das Quartett gänzlich schweigt. Auf den Accorden der Blasinstrumente getragen, erheben sich die Stimmen und strahlen in dieser ätherischen Harmonie. Der Erguß dieser drei Seelen, welche dasselbe Gelübde zusammengeführt hat, obgleich ihre Grundstoffe sonst sehr verschiedenartig sind, vereinigt sich im Gebete, ohne sich aber darin zu vermengen. Elvira nimmt einen erhabenen Aufflug; aber nur Anna allein ist fähig, sich in diesen hohen Regionen der Extase zu halten, in denen ihre Seele wie zu Hause ist. Sie ist es, welche die Anrufung mit dem vollen Vertrauen in die Gerechtigkeit Gottes leitet; sie ist der strahlende Mittelpunct der Gruppe. Octavio's Partie, die wenigst hervorragende unter den dreien, ist so angelegt, daß sie nur den beiden anderen das vortheilhafteste Relief verleiht. Kein Meister hat je das Geheimniß der Combination der Perioden und das Verflechten der Partieen mit mehrfacher Anlage so verstanden, wie Mozart; eine Kunst, welche hauptsächlich den unaussprechlichen Effect des Terzetts der Masken, das lichtvolle Wogen, Ab- und Zuströmen der Melodie[283] hervorbringt, welche uns das Gemälde des Musikers wie eine lebende Malerei, in den Lüften von einer dreifachen Morgenröthe getragen, zeigt. Das in den gedehnten Accorden angelegte Accompagnement hat keine andere Figur, als Arpeggien der Clarinette, in den tiefen Tönen des Instruments, welche da und dort mit dem Gange des Gesanges verbunden sind. Im Ritornell hören wir den Schluß der Anrufungen im Orchester von Mund zu Mund und fortwährend steigend gehen, wie wenn unsichtbare Mächte im Raume sich ausbreiteten, um die Ergießungen des Herzens vor den höchsten Thron zu bringen.

Diese Scene ist ein neuer Fortschritt in der idealen Handlung, welche sich hinter der materiellen Handlung des Dramas verbirgt, eine zweite Berufung der Wunder, welche sich erfüllen sollen.

Die Scene verändert sich; wir sind im Hause Don Juan's, mitten im Feste. Ehe wir sehen, was darin vorgeht, geziemt es sich, einen Blick auf die Localitäten zu werfen und einige Worte über die scenische Anordnung zu sagen, die hier von der höchsten Wichtigkeit ist. Auf manchen Theatern ist die Anordnung gerade so, wie sie nicht sein soll, und geradezu der Anordnung Mozart's zuwider, so daß die originellsten Effecte der Ballscene für die Augen sowohl wie für die Ohren verloren gehen. Mozart hat drei Tanz-Orchester auf der Bühne vorgezeichnet, während man manchmal gar keines trifft, und Alles in dem dramatischen Orchester vereinigt, das heißt Alles bunt durch einander findet. Mozart läßt zu gleicher Zeit drei Tänze ausführen, ein Menuet, einen Contretanz und einen Walzer, was natürlicher Weise drei in einander laufende Säle voraussetzen läßt, denn es wäre sehr schwierig, in demselben Zimmer nach dem 3/4-, 2/4- und 3/8-Tacte [284] zu tanzen. Musiker und Tänzer müßten den Tact verlieren. Um diese Verlegenheit zu vermeiden, hat man auf Theatern, welche nur ein Gemach vorstellen, nur das Menuet tanzen lassen, ohne aber den Contretanz und den Walzer im Orchester zu streichen, woraus ein Untereinander entstand, den Nichts dem Zuhörer erklärt. Außerdem führten nur eine oder zwei Violinen jeden dieser Tänze aus, ohne die speciellen Bässe, welche der Componist ihnen gegeben hat, und so kam es, daß keine einzige deutliche Phrase dieser Instrumente, die sich in der Masse des Orchesters verloren, das Ohr erreichte. Sie dienen nur dazu, das Menuet zu verderben. Wir glauben, daß zum melodischen und rhythmischen Verständnisse einer Combination, welche so wundervoll und so natürlich den Tumult der Orgie, die ihren höchsten Grad erreicht hat, malt, die numerischen Kräfte des zweiten und dritten Orchesters, aus der Hälfte der Musiker, welche im Haupt-Orchester spielen, bestehen müssen. Vier Violinen und ein Contrabaß für jedes, wenn zum Beispiel zwanzig Instrumentisten im Menuet beschäftigt sind. Folgen wir nun unseren imaginären Vorstellungen der Oper, welche das Fallen des Vorhangs nach dem Terzett einen Augenblick unterbrochen hatte, um uns die Unannehmlichkeit des Anblicks der Vorbereitungen zu ersparen. – Ein herrlich decorirter und beleuchteter Saal stößt im Hintergrunde an zwei andere Säle oder Gallerien, die sich in der Perspective zeigen, und ebenso erhellt und mit Menschen angefüllt sind. An jeder der Thüren, die dahin führen, steht eine Gruppe Musiker; das Haupt-Orchester befindet sich voran an der Scene. Dieses Orchester ist für die gute Gesellschaft; es ist vollständig; zwei Violinen, Bratsche, Baß, Hörner und Hoboen, lauter feine Herren, in großer Toilette aus dem vorigen Jahrhunderte, gepudert und mit dem Degen an der Seite. Es sind dieß Musiker, wie man die Künstler benennen würde. Die [285] Neben-Orchester sind für das Vergnügen der Landleute bestimmt; einige Violinen und ein Baß reichen hier aus. Da gibt es keine Herren mehr, weder rechts noch links, sondern auf jeder Seite befindet sich ein halbes Dutzend grotesker Gestalten, mit zerrissenen Ellbogen, sichtbar werdenden Hosenträgern und gerötheten Nasen. Jede Bande hat einen Tisch vor sich mit Pulten darauf, der Formalität wegen, und Weinbouteillen ohne Gläser, das nothwendige Hilfsmittel für das Executiren. Dieß sind Musikanten, wie man diese Spielleute benennen würde. Die auf der Bühne zerstreuten Gruppen stellen die malerische Unordnung eines Gemäldes von Teniers vor. Hier eine Gesellschaft Trinker, oder ein zärtliches Pärchen, das seine Gefühle durch Pantomimen verräth; weiter entfernt einige Individuen, die Karten spielen; Andere, die philosophisch sich von Bacchus' in Morpheus' Arme werfen; Andere unter dem Tische sind schon so weit, noch weiter einige mit Federn und Stickereien geschmückte Tänzer, welche mit ihren ländlichen Damen am Arme auf- und abgehen, bis der Tanz wieder seinen Anfang nimmt. Auf allen Nähten galonnirte Lakaien gehen mit Erfrischungen umher und bedienen diese Bauern in der Haltung des tiefsten Respects. Damen und Herren benützen ohne Bedenken die Gastfreiheit, welche ihnen geboten wird. Mitten in der Orgie bewegt sich der, welcher die Seele derselben ist, in glänzendem Anzuge, der seine schöne Gestalt noch mehr heraushebt, und ertheilt mit unnachahmlicher Anmuth eines Amphitryon Leporello, seinem Haushofmeister, seine Befehle. Dieses Gemälde entfaltet sich von selbst der Phantasie während des Allegros aus Es-dur6/8, welches uns in die großen Gemächer einführt. Es ist dieß eines jener Stücke in unserer Oper, welches die größten Componisten, laut oder stillschweigend über alle Bestrebungen der Nachahmung und der Nacheiferung stellen; [286] es gibt dagegen wieder Andere, von denen Jeder glaubt, daß er sie eben so gut zu machen verstände. Welche davon waren am schwierigsten zu machen? Wir werden es von dem Augenblicke an erfahren, sobald Eines oder das Andere erreicht worden ist. Im Gebiete der leichten Musik erscheint sicher nichts als dieses Allegro 6/8, das auf das erhabene und gelehrte Terzett der drei Masken folgt. Eine Musik, welche, ohne gerade Tanzmusik zu sein, in den Zwischen-Acten eines Balles oder allein gespielt werden könnte, weil sie gleichsam unabhängig von den Gesangstimmen ist. Die Stimmen ihrerseits singen und declamiren nach dieser vollständigen, in allen ihren Sätzen von Anfang bis zu Ende verbundenen Melodie, wie wenn sie eben so wenig um das Orchester sich bekümmerten, wie dieses um sie. Der Geist des Balles belebt die Instrumentation; in den Gesangspartieen finden sich alle die kleinen Vorfälle und Intriguen, die unzertrennlich mit einer tanzenden Gesellschaft verbunden sind, ausführlich beschrieben. Wir haben den Eifersüchtigen, der seine Frau überwacht, und den Junggesellen, der auf zierliche Weise Jagd auf sie macht, ohne das es aber ten Anschein hat. Giovanni und Leporello sind dem Aeußern nach mit nichts beschäftigt, als bei sich die Honneurs zu machen. Ehi caffe! cioccolate! sorbetti! confetti! Bei Masetto will aber nichts anschlagen. La bricona fa festa, das ist es, was ihn beschäftigt, ihn quält und ihm den Bissen im Schlunde stecken bleiben macht. Wie Zerlina die verzerrten Gesichtszüge des lieben Mannes sieht, so kann sie nicht umhin, zu lächeln und Don Juan nachzuspreche Quel Masetto mi par stralunato. Schon wirkt der Ball bei ihr. Um so schlimmer für den, welcher die Dummheit beging, sie hinzuführen. Wir kennen keine abgerundeteren Melodieen, leichtere Anmuth, vollkommenere [287] Natürlichkeit, munterere Fröhlichkeit, keine täuschendere dramatische Illusion, als dieses Tempo.

Maestoso,2/4 aus C-dur, das Orchester mit allen Instrumenten, Trompeten und Pauken. Leporello geht mit der hochtrabenden Wichtigkeit eines Ceremonienmeisters den Masken entgegen, der den Auftrag hat, die Würdenträger, welche bei einer Hofgala figuriren, an ihre Plätze zu geleiten. Venite più avanti, vezzose mascherette. Giovanni, welcher keine Damen im eigentlichen Sinne des Wortes erwartete, erkennt in den Angekommenen Leute seines Standes. Er empfängt sie auf eine Weise, in welcher sich die Würde des vornehmen Mannes ausspricht, der sich wohl bei dem Volke vergessen kann, wenn er seine Gründe dazu hat, nicht aber bei seines Gleichen. È aperto a tutti quanti, viva la libertà. Und der Chor fällt rauschend ein: Viva, viva la libertà! Wenn die Anrufung der Freiheit mit dieser Macht in der Menge ertönt, so entsteht nie etwas Gutes daraus, wie man weiß. Man wird es sehen. Giovanni befiehlt, daß der Tanz wieder beginne, und die Tänzer stellen sich auf ihre Plätze; das dramatische Orchster pausirt, und das erste Orchester spielt das Menuet, das wir schon aus der Ferne gehört haben. Dieses Mal geht es aus einem höhern Tone, aus G. Die im vordern Saale vereinigten Paare führen das Menuet im edeln pompösen Schritte aus, in welchem der ältere Vestris Stoff zu so tiefsinnigen Betrachtungen fand. Giovanni tanzt in Erwartung eines Bessern mit Zerlinen und spricht mit ihr; Masetto, welcher Leporello's besonderer Aufmerksamkeit anempfohlen ist, und der sich ihm als Partner aufzudrängen sucht, wehrt sich gegen den Schelmen wie ein widerspenstiger Bock, den man an den Hörnern zerrt. Anna, welche diese Maneuvres mit ansieht, kann ihren Unwillen nicht zurückhalten, [288] und spricht ihn in dem energischen Satze aus: Resister non poss' io. Elvira und Octavio beschwören sie, sich zu mäßigen. Unterdessen erfaßt die Tanzlust alle Anwesenden in dem zweiten Saale; dort will man aber kein Menuet, sondern verlangt einen Contretanz. Das Orchester Nr. 2 stimmt G, D, A, E. Der Baß brummt sein G, um es etwas herabzustimmen, worauf nach einem Präludium der muntere 2/4-Tact beginnt. Im dritten Saal will man einen Walzer. Das Orchester Nr. 3, nachdem es gestimmt und präludirt hat, fällt in ein höllisches Tempo; die Paare fliegen in dem Wirbel des 3/8-Tactes umher, stoßen, treten sich und fallen, durch das Zusammentreffen und durch den reichlich genossenen Wein aus dem Gleichgewicht gebracht, zu Boden. Wenn die Zuschauer den Contretanz und den Walzer sehen, so werden sie auch die Musik verstehen. Und was geschieht denn mit dem Menuet? Das Menuet, dessen spanische Grandezza sich keinen Augenblick um des Dramas willen aus der Fassung bringen ließ, geräth auch durch die Sprünge in den anderen Sälen nicht in Unordnung. Mag die Welt neben dem Menuet in Trümmer gehen, so läßt es sich doch nicht um ein Jota aus seinem Gange bringen. Und die Angelegenheiten der handelnden Personen? Diese gehen, wie man sie immer in derlei Fällen gehen sieht; das heißt, das dreifache Tempo des Balles, weit entfernt, irgend ein Hinderniß zu veranlassen, begünstigt sie!

Auf die angegebene Weise drei verschiedene Rhythmen zusammenzusetzen, ist in der Composition keine so außerordentlich schwierige Aufgabe. Das Kunststück liegt aber auch nicht darin. Der große Zug des Genius in dieser Gattung von musikalischem Hexen-Sabbath ist in der Erfindung der Melodie des Menuets zu suchen, welche Anfangs in ihrer Eigenschaft als Hauptgesang [289] einfach, klar, dem Ohre angenehm, vollkommen abgemessen und ganz dem Charakter des Schrittes, den sie leitet, anpassend sein muß. Zweitens mußte sie sich mit wundervoller Geschmeidigkeit zu den melodischen und declamatorischen Sätzen der Sänger herbeilassen, daß heißt zu der Sprache der verschiedenartigsten Leidenschaften. Endlich mußte drittens diese Melodie die beiden anderen Instrumental-Melodieen tragen, die mit dem Menuet und unter sich contrastirten, nicht allein durch den Rhythmus, sondern durch die Wahl der Figuren und den ästhetischen Charakter jeder dieser drei Tänze. Man trenne diese drei Melodieen und höre sie vereinzelt. Die des Menuets geht im Processionsschritte; die des Contretanzes ist lebhaft, ohne zu rasch zu gehen; die des Walzers geht wie der Wind. Diese außerordentliche Raschheit kommt daher, weil der Walzer in Beziehung auf die beiden anderen Rhythmen nicht ganz genau 3/8-Tact ist. Seine punctirten Viertel haben in dem Haupttempo nur den Werth der einfachen Viertel, so daß ein Tact im Menuet gleich drei Walzertacten ist.

Mit einem Male wird aber ein Geschrei hinter den Coulissen hörbar. Gente ajuto! Die drei Orchester und sämmtliche Tanzenden halten zugleich inne, und das dramatische Orchester, das während des Balles pausirt hatte, fällt ungestüm mit einem Allegro assai 4/4 aus Es-dur ein, das mit einem kräftigen Unisono beginnt, welches Note für Note einer Scene aus Idomeneo entnommen ist. Man stürzt der Seitenthüre zu, durch welche Zerlina entführt worden ist. Ora grida da quel lato, Ah gettiamo giù la porta. Unter diese drohenden Sätze mischen sich, in bewunderungswürdiger Modulation, die klagenden Rufe des Opfers. Die Violinen nehmen in kräftigen Strichen in der Tonica und der Dominante Accorde aus D-moll, die Thüre gibt nach. F-dur,4/4 Andante maestoso [290] Zerlina ist gerettet; mit ihr erscheint Don Juan, Leporello an den Haaren hereinschleifend: Ecco il birbo! Ein elendes Possenspiel, von dem Niemand sich täuschen läßt. Er weiß dieß wohl; denn für alle Fälle hat er Pistolen in seinen Gürtel gesteckt. Die maskirten Personen nehmen die Larven ab; Giovanni erschrickt etwas, wie er sie erkennt. Schöne Sätze in kanonischer Nachahmung, vor Zorn erzitternde Worte, Sylben, die eine nach der andern fallen, wie um schwerer auf dem Gewissen des Missethäters zu wiegen. Tutto, tut-to già-si sa. Jeder articulirt für sich seine Beschwerden. Bald findet aber der Unwille Aller eine gemeinsame Stimme; der großartige Sturm bricht endlich in dem Chore aus: Trema, trema scellerato, die Krone des ganzen Finales.C-dur Allegro. Die Heftigkeit des ersten Stoßes ist so groß, daß selbst Giovanni davon ergriffen wird: E confusa la mia testa. Seine Antworten und Erwiderungen auf die immer ungestümer werdenden Anklagen des Chors zeigen uns diese Person in einem neuen Lichte. Bis jetzt hatte Don Juan nichts gethan, als mit der Menschheit gespielt; ein Mord, zwei Verführungsversuche, das waren Kleinigkeiten. Nun erhebt er sich, um dieselbe zu bekämpfen in der ganzen Größe seiner titanischen Natur. Es wird keine verzweiflungsvolle Anstrengung unversucht gelassen, um ihn zu erschüttern; es gibt keine Verwünschung, die man nicht auf das Haupt des Schuldigen herabruft. Zuerst vereinigt sich diese zornige Masse in einem Unisono, das sich convulsivisch auf die scharfe und unharmonische Intervalle der verminderten Terze stützt: fie-ro crudele; dann trifft sie wie der Blitz in der Octave trema; und kämpft endlich in einer herabsteigenden chromatischen Tonleiter mit wahnsinniger Beharrlichkeit gegen den Baß: Trema, trema, trema o scellerato. Der Verwünschung des menschlichen Geschlechtes[291] schließt sich selbst der Himmel gegen den Gottlosen an, der Sturm vermischt seine donnernde Harmonie mit der harmonischen Wuth des Chors und des Orchesters; Blitze leuchten und kreuzen sich in den Triolen der Violinen. Dieser Sturm der Stimmen und Instrumente wächst immer mehr in Terzen und Quintensprüngen, und erhebt sich mit Hilfe der Modulation höher und höher, wie wenn er bis zu den Wolken hinaufsteigen und sich mit dem Donner vereinigen wollte. Es ist nicht möglich, den Schöpfer einer solchen Musik zu loben, aber dem Dichter müssen wir danken, der ihn dazu inspirirt hat.


Odi il tuon della vendetta

Che ti fischia intorno

Sul tuo capo in questo giorno

Il suo fulmine cadrà.


Don Juan, der Anfangs verwirrt, oder besser gesagt, sich in seinen Erwartungen getäuscht sieht, wird im Angesichte der Gefahr wieder ruhig. Der Anblick einer wüthenden Menge, die ihm an's Leben will, das Blinken eines gezogenen Degens, das Rollen des Donners geben ihn sich selbst wieder, je mehr die Welt unter ihm zu wanken scheint, und er ruft im vollen Bewußtsein seiner Kraft, er allein dem Chore, dem Orchester und dem Sturme die Wage haltend: Se cadesse ancora il mondo, nulla mai temer mi fa. Wie vieler Größe bedurfte es, um das in diesem Satze enthaltene Bild zu verwirklichen, welches an und für sich nichts als eine banale Hyperbel ist, weil sie für die Poesie in Versen zu viel sagt. Wenn man aber diese donnernde Stimme hört, welche die Massen des Chors theilt und mit dem Sturme wetteifert, welche den ganzen Chor nach sich zieht, und ihn in dem beschleunigten und kanonischen Tempo kreiseln macht, das sie [292] dem Stücke gegen das Ende einprägt, dann hört der oben erwähnte Text auf, metaphorisch zu sein. Das Eisen blinkt in den Händen Giovanni's; sein Blick gleicht dem der lebend gewordenen Medusa; die Menge tritt unwillkürlich zurück, um ihm Platz zu machen. Nachdem er, ohne weiteres Hinderniß, bis in den Hindergrund der Bühne gekommen ist, steckt er seinen Degen wieder ein, schießt seine Pistolen in die Luft los und verschwindet unter einem höllischen Gelächter, wie da Ponte es sagte. Der Musiker läßt ihm zu dieser Pantomime neun Tacte im Ritornell.

In Erwartung des zweiten Actes überlegen wir mit dem Regisseur, wie und wo dieser Act anfangen soll. Als Don Giovanni für die italienische Oper in Wien in Scene gesetzt wurde, fügte Mozart vier neue Numern hinzu, welche später in Form eines Supplements der Partitur einverleibt wurden, ohne daß aber die bezüglichen Stellen angegeben worden wären, welche sie in dem Drama einnehmen sollten. Diese vier Numern sind: 1) die Arie der Elvira, der ein obligates Recitativ vorangeht: Mi tradì quell' alma ingrata. 2) Eine Arie für Masetto: Ho capito Signor. 3) Die Arie Octavio's: Dalla sua pace la mia dipende und 4) ein Duett zwischen Leporello und Zerlina: Per queste tue manine.

Ho capito ist eine Arie mit ebenso galanter Wendung und einer eben so feinen Declamation, als die Phrasen Masetto's zu Anfange des ersten Finales; aber das Duett presto ist besser als die Arie und charakterisirt die Person auf viel originellere Weise. Es war unnöthig, das Signalement des Individuums zu wiederholen; denn eine Null mit einer Null multiplicirt wird immer eine Null geben.

Was die Numer 4) anbelangt, so sieht man in der Partitur, [293] daß sie sich der Arie Leporello's anschließen muß. Ah pietà, signori miei. Es ist dieß eine dem Musiker abgezwungene Concession, zu Gunsten des Lokalgeschmackes des wenigst fashionablen Theils seines Publikums. Herr Rochlitz gibt den Direktionen, welche versucht sein sollten, eine unserer Oper so wenig würdige Scene zu benützen, folgenden Rath: »Zerlina trifft Leporello, gleich viel wo; sie hält ihn fest, gleichviel an was, Leporello entledigt sich seiner Bande, gleichviel wie, und entwischt.« Wir haben nie das Mißvergnügen gehabt, diese flache Posse auf irgend einem Theater zu sehen.

Wenn die schönste unter allen Tenor-Arien, Il mio tesoro intanto, die Mittel des Sängers übersteigen sollte, so wäre die Cavatine, welche sie auf dem Theater in Wien zu ersetzen hatte, eine recht schöne Numer als Austausch. Fließend, melodisch, lieblich, leidenschaftlich, Octavio's Persönlichkeit herrlich zusagend, zeichnet sie sich durch Originalität der Erfindung, durch auserlesene Bruchstücke des instrumentalen Dialogs und durch eine Modulation ausEs-dur in H-moll, die von hinreißendem Effekt ist, aus. Es gibt sicher keinen Musikfreund, der nicht die Erhaltung dieser köstlichen Cavatine wünschte, aber die Schwierigkeit ist die, zu wissen, wo man sie in einem Drama anbringen soll, in welchem die Musik das Lebretto so zu sagen überflügelt. Wenn man aber durchaus darauf besteht, so wollen wir ihm seine Reihenfolge nach dem Duett in zweiten Akte anweisen: Fuggi crudele, fugi! oder, wenn man lieber will, nach der Arie: Or sai chi l'onore. Sie wird sich dort etwas beengt, ein wenig gedrückt fühlen vielleicht; allein man weiß ihr gewiß keine andere Stelle anzuweisen.

Nun bleibt noch die große Arie Elvira's. Die Erhaltung derselben zu bekämpfen oder die Unterdrückung eines solchen Stückes [294] zu beantragen, wäre ein musikalisches Majestätsverbrechen ersten Ranges, dessen wir uns sicher nicht schuldig machen möchten. Diese Handlung oder vielmehr Frevelthat der Unterdrückung müßte in ihrer ganzen Abscheulichkeit auf die zurückfallen, die die Schuld trifft; entweder auf die Regie des Theaters oder auf die Sängerinnen; wenn nicht eine höhere Macht sie entschuldigt, zum Beispiel die Unmöglichkeit, diese Arie singen zu können. Sie ist in der That sehr schwer und liegt sehr hoch, wie Alles, was Mozart nach dem Willen der Cavaglieri geschrieben hat. Für uns handelt es sich allein darum, ihr die passendste Stelle anzuweisen. In seiner deutschen Uebersetzung des Don Juan weis't ihr Herr Rochlitz ihre Stelle nach der Register-Arie an. In dramatischer Hinsicht ist diese Stelle gut gewählt, aber nicht so gut, wie wir glauben, hinsichtlich der musikalischen Convenienzen, weil die erste Arie Elvira's: Ah chi dice mai unmittelbar der Register-Arie vorangeht, und aus Es-dur ist, gerade wie auch Mi tradì quell' alma ingrata. Zwei so beträchtliche Numern, die nur durch eine Scene getrennt, von derselben Person und aus derselben Tonart gesungen werden, sind weder für die Sängerin, noch für das Publikum von Vortheil. Wir würden aus diesem Grnnde eine andere Wahl treffen, und Elvira's Arie zu Anfang des zweiten Aktes einschieben, eine Anordnung, von der wir glauben, daß sie Vortheile aller Art in sich schließt. Erstens gleicht sie die beiden Akte der Oper hinsichtlich der quantitativen und qualitativen Vertheilung der Stücke mehr aus; sie verleiht der Wiederaufnahme der Handlung einen imposanten und grandiosen Anfang; sie gibt der Sängerin Zeit, Athem zu schöpfen zur Ausführung ihrer Haupt- und schwierigsten Arie, und erlaubt endlich dem Buffo-Duett, welches die erste Numer des zweiten Aktes in der Partitur ist, sogleich nach Elviren's Abgang seinen Anfang zu nehmen, [295] da die Tonart G-Dur ganz wohl auf die von Es-dur, ohne vermittelnden Accord folgen kann31.

Zweiter Akt. Die Bühne, schwach vom Monde beleuchtet, stellt einen mit Bäumen bepflanzten Ort dar, hinter denen sich eine malerische Landschaft bemerklich macht. Der Mond ist nicht sichtbar, sondern man gewahrt seine Nähe nur durch den Wechsel des Lichtes auf einem Baumschlage. Rechts befindet sich ein Haus, an dessen Façade ein Balcon angebracht ist. Elvira, welche gegen eilf Uhr Abends ganz niedergedrückt von all' dem, was sie bei dem abscheulichen Feste Don Juan's gesehen, nach Hause kommt, hat sich ganz schwermüthig vor ihrer Thüre niedergesetzt. Sie dachte an das Schicksal, welches der Undankbare sich bereitet; sie ahnte die furchtbare Strafe, der er unvermeidlich entgegen geht; und obgleich sie Rache auf sein Haupt hernieder beschwört, so zittert sie doch vor dem Gedanken, daß ihre Wünsche erfüllt werden möchten. Diese Gedanken, welche sie während des Zwischenaktes beschäftigt haben, machen sich beim Aufziehen des Vorhanges in einem lyrischen Ergusse Luft. Elvira erhebt sich auch und declamirt mit bewegter Stimme das herrliche instrumentirte Recitativ: In quali eccessi o Numi, in quai misfatti or ribili, tremendi, è avvolto il sciagurato. Man sieht, wie sehr der Text mit der Stelle übereinstimmt, welche wir der Arie angewiesen haben: Mi tradì quell' alma ingrata, welche unter die gehört, welche am klarsten den Stempel ihres Verfassers tragen, und die am wenigsten irgend einer andern Arie, die wir kennen, gleicht. Die specielle Anlage und der besondere Charakter dieses wundervollen Stückes liegen in etwas, was Mozart hier [296] weder aus der dramatischen Situation geschöpft hat, denn es ist keine Situation im eigentlichen Sinne des Wortes vorhanden, noch aus den Worten, die sich weder auf den psychologischen Charakter der Person beziehen, noch beziehen konnten. Elvira, im Kampfe zwischen Liebe und Rache, in welcher völlig sich entgegen laufende Empfindungen wogen, überläßt sich denselben nicht so, wie wenn unmittelbare und augenblicklich wirkende Ursachen diese nach einander in ihr erweckten; ihr Unglück datirt sich von länger her. Elvira prüft ihr Inneres; sie will sich von dem Rechnung ablegen, was sie empfindet; sie beschwört Erinnerungen herauf, die sich mit den Eindrücken des Augenblickes vermischen; sie befindet sich in einem Zustande unvollkommener Ruhe, in welcher die Empfindsamkeit durch eine Art von unbestimmter Meditation oder Träumerei gemildert ist; mit einem Worte, Elvira ist aus dem Gebiete der angewandten Musik in das der reinen Musik übergegangen; und Mozart, entzückt über diese Entdeckung, behandelte in Folge dessen die Numer nach den Formen eines Instrumentalstückes. Die zierlich sich windende Melodie, die er anwendete, herrscht beinahe ohne Unterbrechung, auf verschiedene Weise wieder vorgebracht und nachgeahmt, in der Vocal- und Orchesterstimme, in Dur und Moll, in allen verwandten Tönen der Tonica vor. Sie dreht sich um ihre Achse wie ein Cylinder, dessen Fläche, mit mancherlei Farben bemalt, die Augen blenden würde, indem er ihnen durch die Bewegung der Rotation ein bis in's Unendliche vermehrtes Farbenspiel zeigt. Außer dem, was die Instrumente und die Stimme gemeinschaftlich haben, kommt letzterer noch Manches ganz eigenthümlich zu; Sätze von der edelsten Declamation und der rührendsten Melodie, eine Menge Rouladen, wenn man überhaupt Passagen, die dem Thema entnommen sind, und welche wie dasselbe in Achteln Allegretto 4/4 gehen, Rouladen [297] nennen kann. Wir würden ein Allegro ma non troppo vorziehen. Die Eindrücke dieser Arie sind ziemlich schwer zu beschreiben, wie es im Allgemeinen bei allen Effekten der reinen Musik der Fall ist. Uebrigens wird Jedermann den Charakter einer sanften und träumerischen Melancholie darin erkennen. Freuden der Jugend, goldene Träume, erste Liebe und deren Hoffnungen, Schmerz über dieses liebliche Alter, die einzige Poesie, welche dem Menschen übrig bleibt, wenn ihn die Jahre und traurige Erfahrungen alt gemacht haben – Alles das liegt darin. So wenig unterscheidbar diese Bilder Anfangs sind, so strahlen sie immer deutlicher, je mehr das Thema sich entwickelt, gleich den Sternen bei zunehmender Dunkelheit, und der Endeindruck bleibt um so tiefer und dauernder, als der Effekt durch eine Reihenfolge von Combinationen gesteigert wurde, welche alle streng aus derselben psychologischen und musikalischen Einheit sich herleiten.

Unterdessen hat Don Giovanni, gezwungen, auf seine Absichten auf Zerlina abzustehen, bereits wieder einen andern Plan entworfen. Die Nacht ist noch nicht weit vorgerückt, und eine Nacht zu verlieren, wäre für ihn ebenso unglücklich gewesen, als für Titus einen Tag zu verlieren. Er durchstreift mit Leporello die Straßen und kommt in dem Augenblicke auf der Scene an, in welchem Elvira sie verlassen hat. Man hört hinter den Coulissen die ersten Takte des Duetts: Eh via buffone, (No. 16) eine allerliebste Kleinigkeit, die ganz in dem Style des italienischen parlando componirt ist. Lauter syllabische Noten. Leporello, der in dem Finale des ersten Aktes für seine Dienste so schlecht belohnt worden war, will sich nicht mehr der Gefahr aussetzen, zum Spasse getödtet zu werden; er will seinen Herrn verlassen. Giovanni sucht ihn zurückzuhalten. Dieses Duett ist in seiner Art so vollkommen, daß es für die Sänger genügt, es richtig zu [298] deklamiren, um es so gut als möglich zu spielen. Die Stellung, der Blick, das Mienenspiel, die lebhafte italienische Geberdensprache und die Art von Possen, die daraus entstehen, alles Dieß scheint deutlich in der Partitur vorgezeichnet. So wiederholt Leporello, nachdem er mit einer außerordentlichen Zungenfertigkeit die syllabischen Achtel: no, no, no, no, etc. durchlaufen hat, dieses no in mehr bedeutungsvollem Tone auf einem Viertel, auf welches eine Pause folgt; nach diesen letzten no, welches mit der vorhergehenden Note eine aufsteigende Sexte bildet, sieht man, wie Leporello plötzlich den Kopf erhebt und einen Blick voll Zorn und komischer Entschlossenheit auf Don Juan richtet. Mag der Andere auch sagen: va che sei matto, che sei matto, matto, matto, matto, so erfolgt doch keine andere Antwort, als dasselbe no, das auf das zweite Tempo des Taktes ausgestoßen wird. Mit einer kräftigen und wohlklingenden Baßstimme muß dieses no, auf einem hohenD, den Effekt von mehreren Pistolenschüssen hervorbringen, welche nach dem Takte abgefeuert werden. Man verlange aber dieses Duett von Niemanden Anderem, als von Italienern. Uebersetzt geht es rein verloren.

Einige Goldstücke stellen aber den Frieden zwischen Herrn und Diener wieder her, denn man wird wohl einsehen, daß zwischen diesen beiden Individuen eine Trennung unmöglich ist. Ohne Giovanni wäre Leporello nur eine träge und unnützliche Maschine, deren Werth und Gebrauch Niemand kennte. Sobald unsere Leute wieder versöhnt sind, wird auch sogleich der neue Feldzugsplan verabredet. Donna Elvira hat ein schönes und gefälliges Kammermädchen. Es handelt sich darum, in die Festung einzudringen, indem man den Feind aus den Mauern herauslockt. Der Feind, das heißt Elvira, zeigt sich oben am Fenster; der Plan der Belagerer ist eben so rasch ausgeführt, als entworfen. Sie [299] wechseln die Kleider. Das glänzende Barett Don Juan's wird auf Leporello's gemeinen Kopf gesetzt; der gestickte Sammetmantel bedeckt die an die strengsten Züchtigungen gewöhnten Schultern; aber wie dem Sprichworte zum Trotze macht das Kleid dießmal nicht den Mann, und Don Juan übernimmt es selbst, die Puppe zu beleben, und für sie zu sprechen und zu gesticuliren, wie auf den griechischen Theatern, auf denen, wie man sagt, für jede Rolle zwei Schauspieler bestimmt waren. Während dieser Vorbereitungen streitet sich die arme Dame mit ihrem Herzen herum, das noch immer nach dem Undankbaren seufzt: Ah taci ingiusto cuore. Andante A-dur,6/8.

Die Situation, welche diesem Terzett (No. 17) zu Grunde liegt, ist an und für sich nichts als eine Posse. Giovanni richtet an Elvira Worte der tiefsten Reue und Leidenschaft; er will sich tödten, wenn er ihre Verzeihung nicht erhält; er verzerrt Leporello's Glieder, um der Pantomime seines seltsamen Repräsentanten Ausdruck und Adel zu verleihen. Elvira, stets glücklich betrogen zu werden, gleich viel auf welche Weise, läßt endlich diesem ingiusto cuore Recht wiederfahren, und kommt auf die Straße herab. Sicher hätte es hier Gelegenheit gegeben, das Parterre heiter zu stimmen, wenn der Musiker Elviren so aufgefaßt hätte, wie der Dichter; vergessen wir aber nicht, daß diese, im Libretto der Lächerlichkeit geweihte Person, einen edeln, großen und leidenschaftlichen Charakter besitzt, welcher in dem Ensemblestücke aufrecht erhalten und selbst da, wo die Couvenienzen des Gesanges ihr die erste Rolle anwiesen, vorherrschen mußte. Andererseits wendet Don Juan hier bald eine ironische und komische Declamation an, wie in dem Satze: Ah credi mi! o m'uccido, bald singt er aber wieder wie ein wahrhaft Verliebter, wie es diese melodische Cantilene aus C-dur beweis't: Discendi [300] o gioja bella. Wie? verliebt in Elvira! Das eben nicht. Aber in wen sonst? Man wende einige Blätter um und man wird sehen, daß diese Cantilene von gioja bella Note für Note den Anfang des Liedes No. 3 enthält, welches Giovanni singt, um die Aufmerksamkeit der Soubrette zu erregen, die nach dem Weggehen der Gebieterin allein im Hause zurückgeblieben ist. Ist also die Behauptung nicht richtig, daß mit dem Terzett schon Don Juan ganz bei seiner neuen Flamme ist. Er beschäftigt sich mit Elviren nur in soweit, um sie als Hinderniß zu entfernen, und er täuscht sie um so mehr, als er nicht nothwendig hat, das Gefühl zu heucheln, das er ausdrückt; er fühlt es ganz aufrichtig, aber nur für eine Andere. Erkennen wir an, daß Mozart bei weitem Geist besaß, als sein Poet, der übrigens sehr vielen hatte. Nach diesen Entwürfen des Componisten ist aus dem Terzett: Ah taci ingiusto cuore etwas ganz Anderes geworden, als was Text und Situation zu versprechen schienen. Statt daß daraus ein Stück von der chargirtesten Komik geworden ist, gestaltete sich dieses Terzett zu einer höchst romantischen Composition, gelehrt in der Form, gefühlvoll in der Grundlage, aber dergestalt nuancirt von unterdrückter Munterkeit, umsichtiger Ironie, wollüstigen Empfindungen und perfider Zärtlichkeit, daß wir es nicht wagen, seinen allgemeinen Charakter festzustellen. Da und dort durchziehen durchsichtige Schatten die Harmonie, und mischen die Farben der Erwartung und des Geheimnisses hinein. Wenn man diese bezaubernde Musik hört, so denkt ein Nordländer unwillkürlich an die Nächte von Sevilla oder Neapel, an diese warmen und balsamische Nächte, welche die Liebe heißer, kühner machen, und sie begünstigen.

Sobald Elvira mit Leporello fort ist, stimmt Don Juan seine Mandoline an, mit der er sich schon zuvor versehen hat, [301] und als galanter Spanier fängt er an, unter den Fenstern seiner Schönen zu singen. Wir wußten dieß, trefflicher Musiker, von dem Augenblicke an, in dem er sang: Voi chi sapete, als die Frauen ihm den Beinamen Cherubin gegeben hatten. Fünfzehn oder sechszehn Jahre sind seitdem verflossen. Das Kind ist ein Mann geworden; der Sopran ein Bariton, der Cherubino ein Teufel. Man wird begreifen, daß er nicht mehr so, wie ehemals singt. Die Romanze für den Pagen war mit der größten Sorgfalt componirt; diese galt einer Gräfin. In diesem Augenblicke handelt es sich aber um ein Kammermädchen, welche poetische und zu zierliche musikalische Sätze nicht verstünde; überdieß gibt sich Giovanni schon lange nicht mehr mit geschriebener Composition ab. Wenn er ein Lied, eine Serenade oder ein Notturno braucht, verläßt er sich auf sein Improvisations-Talent. Und wer improvisirte nicht das Lied: Deh vieni alla finestra, dessen Melodie fließt wie der Honig, von dem im zweiten Verse die Rede ist, und diese Arpeggien der Mandoline, welche das Ohr Jedem einprägt. Es liegen aber gewisse Accorde und eine gewisse Modulation darin, welche den Kennern beweisen würden, daß der Dilettant mehr versteht, als er durchscheinen lassen will. Wären nicht diese Armseligkeiten, diese kleinen harmonischen Kunstgriffe, so würde man jeden Tag ein halbes Dutzend Piecen dieser Art machen. Sicher, aber wie vieler auf diese Weise verwendeter Tage bedürfte es, ehe man eine Melodie von sechszehn Tacten trifft, die so glatt, singend und für Jedermann singbar ist, dabei aber zugleich eine frische und südliche Melodie, voll wollüstigem Schmachten und verliebter Ungeduld enthält; mit einem Worte, eine Melodie, welche die Blüthe ihrer Neuheit und ihres Zaubers noch so viele Jahrzehnte nach ihrem Gebrauche und Mißbrauche sich erhält. Versuche es, musikalischer Leser, und mögest Du lange [302] genug leben, um den Erfolg dieser Probe selbst beurtheilen zu können.

Don Juan verfolgt aber heute ein Verhängniß, welches zu besiegen ihm nicht mehr gelingen soll. Seine best angelegten Unternehmungen scheitern elendiglich. Niemand zeigt sich am Fenster, und statt der Schönen sieht der getäuschte Galan einen Haufen bewaffneter Leute kommen, deren Absichten ihm sehr verdächtig vorkommen. Es ist Masetto und seine Freunde, die ihn nächtlicher Weise aufsuchen, um ihn umzubringen. Es ist dieß eine Art von Entschädigung, welche das Schicksal Don Giovanni zugesteht, weil er auf das Vergnügen verzichten muß, sich unter vier Augen mit Elvira's Zofe zu unterhalten, so wird ihm dafür das Glück zu Theil, Masetto eine Lection der Lebensart geben zu können; unter dem Schutze seiner Verkleidung schließt er sich kühn dem Haufen an; gibt sich für Leporello aus, billigt höchlichst den Plan der braven Leute und bietet sich an, sie selbst gegen sich selbst zu führen. Die strategischen Anordnungen, das Losungswort, die Art der Ausführung, das Signalement des Feindes, enthält die Arie No. 9. Metà di voi quà vadano, ein auf drollige italienische Weise declamirtes Stück, das mit unendlich vieler Kunst und Interesse instrumentirt, und voll feiner, boshafter und komischer Intentionen ist. Es bringt aber dessenungeachtet nur einen geringen Effekt hervor, wenn der Sänger nicht auch Schauspieler ist, und wenn er sich nicht bemüht, die Worte hervorzuheben. Eine deutliche Aussprache macht das wesentliche Verdienst der Singstimme aus, weil die Melodie und die Figuren alle im Orchester sind. Eben so nothwendig, ist es aber, daß die Comparsen aus ihrem maschinenartigen Zustande heraustreten, eine menschliche Gestalt annehmen und sich an der Handlung betheiligen. Sie müssen es verstehen, ihren neuen Chef anzuhören, [303] sich erstaunt über die Dispositionen zu zeigen, welche er anordnet und vom besten Geiste und dem heroischsten Entschlusse sich beseelt zu zeigen, zu dreißig sich gegen Einen zu schlagen. Endlich muß der Darsteller des Masetto seinen Kameraden durch ausdrucksvolle und komische Pantomime unterstützen. Ohne diese Beigaben die offenbar in der Berechnung des Componisten liegen, und ohne italienische Worte, deren harmonische Prosodie die Gesangsstimme ergänzt, geht, wir wiederholen es, der Effect dieser rein scenischen Arie ganz verloren.

Don Juan, der mit Masetto allein zurückgeblieben ist, entwaffnet diesen, wirft ihn zu Boden, bläut ihn tüchtig durch, und läßt ihn für todt auf dem Platze liegen. Das ist er nun aber nicht; sein Geschrei überzeugt uns nach dem Abgange des vorgeblichen Leporello davon. Auf dieses kommt Zerlina herbei, untersucht die Wunden und Beulen, und da sie keine derselben als unheilbar erkennt, so verspricht sie dem Manne gänzliche Wiederherstellung, wenn er in Zukunft vernünftiger sein will.

Wir müssen bemerken oder vielmehr uns erinnern, daß seit dem Finale des ersten Actes Zerlinens Herz sich gänzlich verändert hat. Der Mann, welcher beinahe öffentlich sie entehrt hätte, ist ihr wahrhaft zum Abscheu geworden; und da denn doch Masetto einmal ihr Mann ist, warum sollte sie also diesen Masetto nicht lieben. Der arme Teufel bat um ihretwillen so viel ausgestanden. Daher der außerordentliche Unterschied zwischen der Arie: Batti, batti und der Arie: Vedrai carino. Diese ist bei weitem weniger ausgearbeitet, weniger ausgeschmückt, und weit kürzer als die andere. Ist sie aber auch an Schönheit untergeordneter? Ich weiß es nicht; wenn ich aber zwischen den beiden Stücken zu wählen hätte, so würde ich nicht zögern, mich für das zweite zu entscheiden. Viele Kenner mögen nicht meiner [304] Ansicht sein, und vortreffliche Gründe für das Gegentheil anführen. Als Musiker kann ich ihre Gründe errathen; als Kritiker unterschreibe ich zum Voraus; als Dilettant spreche ich meinen individuellen Geschmack aus und erkläre ihn unumwunden, damit der Leser gegen die Parteilichkeit des Verfassers auf seiner Hut, sein kann. Noch nie hat eine Melodie einen so tiefgehenden köstlichen Eindruck auf mich gemacht, als die von Vedrai carino. Ich kenne sie seit meiner Kindheit, und sie tönt noch immer mit demselben unaussprechlichen Zauber in meinem Ohre und Gedächtnisse, wo sie ohne Nebenbuhlerin bis jetzt geblieben ist.

Vedrai carino ist, wie so viele Stücke unserer Oper, super-dramatische Musik. Wenn man sie hört, vergißt man den Text, vergißt man die Person. Es gibt weder eine Zerlina noch einen Masetto. Etwas Unendliches, Absolutes, wahrhaft Göttliches gibt sich der Seele kund. Ist es vielleicht nichts, als die Liebe, dargestellt unter einer der unzähligen Modificationen, die sie in jedem Individuum verschieden machen, je nach den Gesetzen seiner Natur und den besonderen Wechselfällen seines Geschickes? Nein; die Seele fühlt vielmehr ein directes Ausströmen des Princips selbst, aus welchem alle Jugend, alle Liebe, alle Wollust, jede lebendige Reproduction fließt. Der Genius der Metamorphosen des Frühlings, der nämlich, den die alten Theosophen Eros nannten, welcher das Chaos entwirrte, der die Keime befruchtete und die Herzen vermählte, dieser Genius spricht zu uns in dieser Musik, wie er schon so oft in dem Murmeln des Baches, der seinem eisigen Gefängnisse entflohen, im Rauschen der jungen Blätter, in den melodischen Gesängen der Nachtigall, in den Wohlgerüchen, welche das beredete oder begeisternde Schweigen einer Mainacht durchdüften, zu uns gesprochen hat. Mozart hatte [305] diese Grundaccorde dieser universalen Harmonie erlauscht und festgehalten, er arrangirte sie für eine Sopranstimme mit Begleitung des Orchesters, und machte die Arie einer Neuvermählten daraus. Zerlina singt, umgeben von den Schatten der Hochzeitnacht, im Begriffe, die Schwelle zu überschreiten, an welcher die Jungfräulichkeit stehen bleibt, bittend und zitternd die Bestätigung des heiligen Titels Gattin erwartend. An dieser Stelle wurde die Arie zur wahrhaften Liebesscene, der Quelle des Lebens und der ewigen Verjüngung für die ganze Natur, der Liebe, des Frühlings der Seelen und der freigebigsten Kundgebung der Allgüte des Schöpfers. Sie ist ein Hochzeitgesang für Alles, was liebt, in demselben universalen Geiste entworfen, wie die Ode an die Freude von Schiller, mit Ausnahme der Verschiedenheit des Tones und Styls, welcher zwischen der Dithyrambe und Ekloge besteht. Das Thema, das Bild der reinsten Glückseligkeit, verräth nichtsdestoweniger jenen unerklärlichen und selten zugestandenen Aufschwung, welcher in den schönsten, poetischen Stunden unseres Lebens uns jenem unbekannten Gute zuführt, von welchem alle übrigen Güter der Erde nur der Schatten oder der Vorgeschmack sind. Ein Rhythmus ohne markirte Betonung, eine Harmonie ohne Dissonanzen, eine Modulation, welche in der Tonica ruht und sich vergißt, wie wenn sie dort durch einen Zauber festgehalten würde, eine Melodie, welche sich nicht aus ihrem unverwischbaren Motiv absondern kann, dieses ruhige Entzücken, diese sanfte Extase, füllen die erste Hälfte der Arie aus. Nach der Fermate fangen sämmtliche Nachtigallen im Orchester an im Chore zu singen, während die Stimme mit köstlicher Monotonie murmelt: Sentilo battere, toccami quà. Dann werden dieselben Worte mit dem Ausdrucke der Leidenschaft wieder gesprochen; das Herz der jungen Frau schlägt stärker und stärker; die Seufzer des Orchesters verdoppeln sich, und der letzte Vocalsatz, [306] mit dem Gepräge keuscher Ergebung, läßt uns die Gattin sehen, wie sie sanft ihrem Manne an den Busen sinkt. Mozart scheint den Wunsch des Ohres voraus gesehen zu haben, indem er das Orchester das ganze Motiv und die bezaubernden Sätze am Schlusse noch einmal wiederholen läßt. Er wußte, daß man das Stück zu kurz finden würde, wie es auch in der That der Fall ist. Mozart liebte im Allgemeinen nicht, sich bei Gedanken, welche keine Entwickelung zulassen, lange aufzuhalten. Die Furcht, weitschweifig zu werden, ließ ihn zuweilen in den entgegengesetzten Fehler verfallen.

Die Decoration ändert sich. Wir sehen den bujo loco (dunkeler, heimlicher Ort), wohin Leporello Elvira geführt hat. Was ist ein bujo loco, der im Libretto nicht anders bezeichnet ist, und aus dem unsere Decorateure nie etwas zu machen wußten? Auf unserem Theater soll er eine verlassene und halbzertrümmerte gothische Capelle sein, in der Nähe des Kirchhofes, den man durch ein ungeheures Fenster bei der Beleuchtung des Mondes, mit seinen Grabdenkmalen und der Statue des Commandeurs sieht, welche alle überragt. Man wird später sehen, warum wir diese Decoration jeder andern vorgezogen haben. Lassen wir einige unumgänglich nothwendige Bemerkungen vorangehen, ehe wir das großartige Musikstück anhören, das jetzt beginnen wird.

Die guten Richter pflichten ziemlich allgemein der Ansicht des Herrn Castil-Blaze bei, welcher das Sextett im Don Juan, als »die erstaunenswertheste Schöpfung, welche der menschliche Geist im lyrisch-dramatischen Styl hervorgebracht hat,« betrachtet, und doch wurde das Allegro des Sextetts, welches das Sextett eigentlich ist, in Deutschland Gegenstand mehrerer Kritiken, auf welche auf den ersten Anblick nichts zu entgegnen zu sein scheint. Man [307] hat geltend gemacht, daß die Situation, die ganz allein auf der Entwickelung einer lächerlichen Täuschung beruhe, keine Veranlassung zur Anwendung des hohen tragischen Styls geben könne, der in diesem Allegro herrscht. Man hat hinzugefügt, daß, wenn es unter den handelnden Personen eine gebe, der es erlaubt wäre und für die es selbst sich schickte, bis zum Tragischen in Affect zu gerathen, diese Elvira sei, der schändlich mitgespielt, und welche in den Augen der Zeugen erniedrigt worden; daß aus diesem Grunde Elvira hier, wie in dem Quartett, die erste Stimme haben müßte. Diese Rolle, welche in der Handlung so ganz vereinzelt dasteht, ist aber nicht einmal in der Musik individualisirt. (Man spricht stets von dem Allegro.) Elvira ist aber nichts darin als ein dritter Sopran. Ihre Partie, stets dominirt von anderen, mehr in die Ohren fallenden, so zu sagen im Medium der Harmonie verborgen, hebt einzig die Combinationen des Ensembles, nie aber die Individualität der Person heraus. Man kann nicht richtiger schließen; selbst Mozart wäre genöthigt gewesen, es lächelnd zuzugeben. Das Sextett wäre demnach nichts anderes, als ein erhabener Fehler, welchen die Musikfreunde Mozart verzeihen müssen. Gehen wir aber nicht so rasch mit unseren Schlüssen.

Erkennen wir zuerst an, daß der Stoff zu diesem Sextett einer der Gedanken ist, den der Musiker allein dem Dichter zu liefern vermag. Da Ponte war weder so geistlos, noch besaß er so tiefe musikalische Kenntnisse, als daß er von selbst den scenischen Rahmen so geordnet hätte, wie er sich in dem Libretto vorfindet. Wozu hätte der Dichter beinahe alle Personen in einer, dem Anscheine nach komischen Situation zusammengeführt und festgehalten, außer er hätte mit Hilfe des Maestro sein Publicum erheitern wollen. Dann hätte er aber die Scene in Dialogen gegeben, statt daß er den Personen einen und denselben Text in den Mund legte.


[308] Mille torbidi pensieri

Mi s'aggiran per la testa.

Che giornata o stelle è questa

Che impensata novità.


Das ist weder tragisch, noch komisch, noch dramatisch auf irgend eine andere Art; damit ist gar nichts gesagt; ein Text, der gut für eine Fuge ist, die keines Sinnes, wohl aber der Worte und Sylben bedarf. Mozart hatte es so vorgeschrieben, und es ist wohl keiner unter meinen Lesern, der den Grund nicht erräth. Mozart wollte den Stoff zu einer viel ausgedehnteren, mehr entwickelten und gelehrtern Composition haben, als es alle vorhergehenden Stücke waren; einer Composition, deren Text ihm die Ellbogen frei ließ, und ihm erlaubte, die Stimmen wie die Orchester-Partieen zu behandeln, mit der Freiheit sie zu verlassen und wieder aufzunehmen, sie zu trennen und zu gruppiren, je nachdem es ihm gefiel. Er wollte eine Art von Vocal-Symphonie, mit Begleitung von Instrumenten machen; er wollte sich zeigen, wie man zu sagen pflegt, und zwar auf die Art, daß man mitten unter den durch seine Phantasie geschaffenen Gruppen deutlich das Profil des Maestro, mit jener großen Mozart'schen Nase hindurchsehe, welche alle die so wohl kennen, welche ein C von einem D zu unterscheiden vermögen. Jeder sollte bei'm Hören zu sich sagen: O das ist er! er! er! Niemand Anderes, als er auf der Welt! Es ist also klar, daß Mozart nicht die Absicht hatte, aus dem Sextett eine Musik zu machen, die sich gerade auf die Handlung beziehe, wenigstens nicht auf die unbedeutende und nichtssagende Handlung, welche der Zuschauer vor Augen hat. Auf was könnte sie sich also beziehen? das soll mir der Leser selbst sagen, nachdem er die beiden Theile des Stückes aufmerksam angehört hat.

[309] Elvira eröffnet die Scene mit einem edeln und halbpathetischen Gesange. Sola sola in bujo loco, palpitar il cor mi sento. Ein gewisser Schauer, der sie dabei bewegt, wird durch die chromatischen Figuren der Saiteninstrumente fühlbar. Leporello, der den Augenblick für günstig hält, sucht tappend die Thüre, ohne auf die etwas phantastischen Stimmen zu hören, welche in den Violinen und Clarinetten singen, das heißt in ihm selbst, durch die Stille, die Finsterniß und die Angst erweckt. Più che cerco, men ritrovo questa porta sciagurata. Endlich stößt er an die so schwer zu findende Thüre, er will eben fliehen, als in der Harmonie eine Art von Krisis vor sich geht, welche uns plötzlich aus B-dur in D-dur führt, der schönste, frappanteste, best' herbeigeführte und einfachste unter allen unharmonischen Uebergängen. Die Trompeten lassen in der neuen Tonart einen feierlichen klagenden Satz ertönen, wie wenn sie einen Leichenzug begrüßten; die Pauken lassen sich dumpf hören; Anna erscheint in einen schwarzen Schleier gehüllt; ihre Leute, welche, wie sie in Trauer um den Commandeur gekleidet sind, tragen Fackeln vor ihr her. Ein erhabenes Schauspiel, durch die Erhabenheit der Musik, deren Sinn, eine nicht in Worte gekleidete Prophezeihung, so klar wie der Tag ist. Welcher Zuhörer erkennt hier nicht das zum Vollbringen des Opfers geschmückte Wesen? Anna hat sich den unterirdischen Mächten geweiht, gleich jenen großen Männern des Alterthumes, deren freiwilliger Tod das Wohl des Vaterlandes begründet. Giovanni's Stunde naht; und wenn diese geschlagen haben wird, so kann ihn Anna weniger hassen und ihm folgen. Bis dahin gibt es aber für sie keine Ruhe mehr. Nachdem sie das verruchte Fest verlassen, hatte sie das Bedürfniß gefühlt, in der verlassenen Capelle zu beten und zu weinen, die dem Orte nahe lag, an dem ihr Vater begraben [310] worden war. Octavio, der sie begleitet, versucht sie zu trösten: Tergi il ciglio o vita mia. Nie wurden melodische Tröstungen mit mehr Ergebenheit und Zärtlichkeit noch in schönerem Styl des italienischen Gesanges ausgesprochen. Aber was vermögen sie gegen den unermeßlichen Schmerz, dessen Ursachen und geheime Qualen Octavio nie erfahren wird. Man höre Anna's Antwort, diese langen ersterbenden Noten, in düsteren und klagenden Lauten, aus denen der unwiderstehliche Drang nach dem Grabe nur zu bemerkbar ist; man höre diese Kraft, welche versagt, diese Stimme, welche im Vorgefühle des Unterganges sich bricht, dieses Leben, welches in einem Strome von Thränen entflieht: Sol la morte, o mio tesoro, il mio pianto può finir. Man versteht nur zu wohl, welche Seelenwunde dem prädestinirten Verfasser des Requiems diesen himmlischen Todtengesang eingab; und man wird ebenso begreifen, daß in Anwesenheit des geheiligten Opfers, dem nur noch wenige Stunden auf Erden zu verweilen vergönnt sind, es keine Possen mehr geben kann. Mußte nicht jedes gemeine Interesse und jeder Egoismus sich in ihrer Berührung mit einer so erhabenen moralischen Größe verwischen, und konnte ein Ensemblestück, an dem Anna Theil nimmt, und in der obersten Hauptstimme die Melodie leitet, etwas Anderes als ihren Seelenschmerz ausdrücken? Darin liegen die hohen ästhetischen Gründe, welche vollkommen den Styl des Sextetts rechtfertigen, die ihn sogar soweit rechtfertigen, daß der Componist einen ungeheuern Fehler begangen hätte, wenn er den scheinbaren Anforderungen der Situation gehorcht haben würde. An den letzten Satz von Anna's Solo knüpft sich eine Instrumental-Figur, eine Art von chromatischem Tonfalle, welcher zur Basis der verschiedenartigsten Vocal-Combinationen wird. Auf diese gründen sich und in ihr drücken sich aus nach einander Elvira's Bitten zu [311] Gunsten des vermeintlichen Don Juan's: È il mio marito! pietà! das Erstaunen der übrigen Personen bei ihrem Anblicke: È Donna Elvira questa ch'io vedo; die allgemeine und peremptorische Weigerung: No, no, no, no! der Schrei der Verzweiflung der armen Liebenden: Pietà! pietà! und gegen das Ende des Andante die allgemeine Verwunderung, wenn das Mißverständniß sich aufklärt: Stupido resto, che mai sarà; und der Gesang in G-moll des Leporello, in dem Augenblicke, in welchem er seine Gesichtszüge sehen läßt, um nicht getödtet zu werden: Perdon, perdono Signori miei. Mit welch' göttlicher Feigheit der Schelm sich seiner Haut wehrt; wie er heult, um die Nerven zu erschüttern, wenn nicht gar um das Herz zu erweichen; wie die semi-tonischen Tonfälle weinend für ihn sich in's Mittel schlagen; wie er sich krümmt und zu Boden wirft und Jedermann die Füße küßt; wie rührend ist er in seinem Selbstmitleiden, wie bewunderungswürdig in seiner Niederträchtigkeit! Wer hätte den Muth, ihn zu schlagen? Ein Hund selbst würde in dieser Stellung begnadigt werden, wie sehr er auch die Züchtigung verdient hätte.

Das Allegro molto unterbricht die Handlung und drückt die Collectiv-Empfindung der Personen bei der Entdeckung dieses neuen Schelmenstreiches aus, welcher Don Juan ihrer Rache entzieht. Ist das wohl eine komische Situation, wie man sie zu benennen beliebt? Komisch, ja, für den gleichgiltigen und hämischen Zuschauer; aber ist sie es auch für Anna, deren Vater Giovanni getödtet hat, und welcher er die Ruhe für immer geraubt hat? ist sie es für Octavio, dessen Vermählung durch ihn in nicht zu berechnende Ferne gerückt worden ist? für Zerlina, welche er an den Rand des Verderbens geführt hat? für Masetto, dessen kostbarste Rechte er sich mit so vieler Unverschämtheit anzumaßen [312] gesucht, den er geschlagen hatte, nachdem er ihn mit Höflichkeiten überhäuft, welche schlimmer als die Schläge waren? ist sie es endlich für Elvira, die nur zu unglückliche Elvira? Gewiß nicht! Im Gegentheile, Alle sind entrüstet über das, was sie sehen, und die Kundgebung der allgemeinen Empfindung muß natürlich die Gefühle der Person enthalten, welche zu der heftigsten Leidenschaft berechtigt ist, welche die allgemeinen Rachegedanken mit dem größten Eifer verfolgt, welche außer der ihr selbst zugefügten Schmach auch die grausame Beleidigung, die einer edeln Frau widerfahren, tief empfindet. Die Musik nimmt deßhalb Anna's Charakter an; was ich auch durchaus thun muß.

Ein einziges Individuum steht außerhalb der allgemeinen Gefühle und Worte, Leporello, für den es keine impensata novità gibt. Seine vereinzelte Stimme behält aus diesem Grunde während des ganzen Allegros einen thematischen Charakter bei. Sie geht auf solche Weise, daß ihre isolirten Perioden den fünf anderen Stimmen, welche den Chor bilden, den Schwung geben, wodurch Leporello gewissermaßen der Koryphäe des Sextetts wird. Er eröffnet das Stück durch ein einfaches und kräftiges Thema, das einem Fugensubject gleicht: Mille torbidi pensieri, was der Chor sogleich wiederholt, aber verkleinernd, in drei statt in fünf Tacten. Dieser Dialog voll Wärme und Bewegung, Nachahmungen und Gegensätzen geht auf diese Weise unter den mannigfaltigsten Formen fort, und bringt bei jedem neuen Satze des Chorführers und bei jeder Antwort des Chores irgend eine bewunderungswürdige Ueberraschung, irgend einen neuen Zug des Genius zum Vorschein. Man denke nur an den Ausbruch der pathetischen Dissonanzen: Che giornata è questa und Leporello's syllabisches Beiseitesprechen: Se mi salvo in tal tempesta etc., während welches zwei kleine Instrumentalfiguren [313] rasch in allen Orchesterstimmen motu contrario alterniren; man erinnere sich des unaussprechlichen Effects des Accordes: D, As, Ces, F, mit einem Es als Grundlage, bei den Sätzen des Chores: che impensata – novità, und die so unerwartete, so ergreifende Modulation in Des-dur, und die unvergleichliche Roulade, welche bei diesem plötzlichen Wechsel des Tones sich hören läßt und so vieler anderer Dinge, von denen man nicht weiß, wie man sie loben oder wie man sie ausdrücken soll. Und doch ist der, welcher diese Musik componirt hat, nur ein Mensch. Nachdem der Dialog durch alle seine Perioden sich wiederholt hat, hört er auf; die Stimmen vereinigen sich zu einer großen Bewegung im fugirten Styl; die beiden ersten Soprane ahmen sich in der Secunde nach; der Tenor tritt in langen Synkopen auf einem hartnäckigen F hervor; der dritte Sopran und die Bässe spielen schaukelnd auf zwei Noten, und die Violinen arbeiten darunter aus Leibeskräften. Aber welche unsichtbare Hand hat das Orchester aufgehalten? Man fühlt den Rhythmus nicht mehr; die Singstimmen, welche in einem contrapunctischen Knäuel sich fortbewegt hatten, entwickeln und verschlingen sich zu gleicher Zeit, durch jene Knoten und Windungen, welche das Ohr nicht festhalten kann. Man möchte glauben, daß die einen aus den anderen entstehen, und sich von ungefähr in der Luft zusammensetzen, gleich den Accorden der Aeolsharfe. Dieser Eindruck, auf acht Tacte des Allegro beschränkt, dauert nur einige Secunden; der Himmel öffnet und schließt sich in demselben Augenblicke wieder. Lange Zeit vor dem Alter, in welchem sich der kritische Verstand entfaltet, kam es mir immer vor, wenn ich dieses Stück hörte, wie wenn etwas Außerordentliches und Uebernatürliches vorginge, das man nicht sehe. Jetzt habe ich aber die Ueberzeugung gewonnen, daß der musikalische Instinkt meiner Kindheit die [314] überlegte oder vielleicht ebenso instinctartige Intention Mozart's errathen hat. Ja, es ist die Seele des Commandeurs, die uns mit ihrem Hauche berührt hat. Anna's Vater hat die gestirnten Regionen der Unendlichkeit verlassen; sein Geist hat seinen Flug nach dem Kirchhofe genommen, und hat im Vorbeistreifen einen Segen auf seine Tochter fallen lassen. Alles, was die Geheimnisse der Harmonie, des Contrapunktes und des Kanons Zartes, Ausgesuchtes, in höchsten Grade Verfeinertes und hinsichtlich des Ausdruckes am wenigsten Analysirbares bieten, wurde in diesen acht Tacten vereinigt, um die leichte Berührung mit der unsichtbaren Welt zu bewerkstelligen. Nach diesem folgt rasch der Schlußsatz; aber ein so glänzender, volltönender Schlußsatz, der endlich ein wenig daran erinnert, daß wir uns in der Oper befinden. Jedermann muß Beifall klatschen, denn der Maestro will für seine Mühe belohnt sein.

Nachdem die Vocal-Symphonie zu Ende ist, kommt das Capitel der Erklärungen. Wie Elender! wie Schändlicher! Mir die Knochen entzwei schlagen, während ich mir doch im Gegentheil vornahm, Dieß Deinem Herrn zu Theil werden zu lassen! Meinen Gatten zu verstümmeln, nachdem er sich kaum erst verheirathet hat! Eine adelige Dame auf solche Weise zu compromittiren, welche glaubte, am Arme eines Edelmannes Luft zu schöpfen! Uns Alle zu verspotten! Ah! pietà signori miei, (No. 22) ruft darauf der Unglückliche aus, der auf den Knieen unter der Last der Anklagen beinahe erliegt, von denen einige, und zwar die schwersten, Räthsel für ihn sind. Weniger berühmt als die Register-Arie, aber nicht weniger bewunderungswürdig, wird ihr selten aus dem Theater die Ehre zu Theil, daß sie vorgetragen wird, und sie scheint auch nicht gerade besonders die Aufmerksamkeit der Kritik auf sich gezogen zu haben. Sie [315] verdient indessen das banale, obgleich vollkommen gerechte Lob, das man beinahe allen Stücken der Oper ertheilen kann, wenn man sagt, daß sie einzig in ihrer Art ist. Einzig ist das Wort, denn wir besitzen keine andere Arie im Buffo-Styl, die natürlicher, sprechender, besser declamirt, mehr italienisch, und zugleich ein Meisterstück des verwickeltsten und gelehrtesten italienischen Styls ist. Geplauder eines Thoren in der Singstimme, Feinheiten und Berechnung des Orchesters. Die Identität findet sich hier in der Verschiedenheit, die zwischen der Sache, die man sagt, und zwischen der Sache, die man denkt, besteht, Sachen, die nicht dieselben sein können, wenn man spricht, um zu lügen und zu betrügen. Leporello wendet sich nach einander an jeden seiner Verfolger, und bringt einen ganzen Schwall von Abgeschmacktheiten mit außerordentlicher Zungenfertigkeit vor; er weiß selbst nicht, was er sagt, dagegen weiß er recht wohl, was er will; auszureißen, sobald sein Geplauder einen Augenblick die Vorsicht und Wachsamkeit einzuschläfern vermag. Alle Feinheiten des Contrapunctes und der Fuge im Dienste einer dramatischen Intention sind darin entwickelt, um die Angst des Taugenichts zu malen, die sich in dem Eifer einer fruchtlosen Rechtfertigung verbirgt, seine Kunstgriffe, seine Ausflüchte, sein heimliches Ausspähen der Localitäten, gleich einem Diebe auf der Lauer, und sein vergebliches langes Bemühen, ein Mittel des Heiles zu finden. Das Orchester entrollt dieses Gemälde einer belachenswerthen Trübseligkeit mit einer Wahrheit des Eindruckes und einer Künstlichkeit des Styls, daß ich meinestheils es nicht genug bewundern kann. Ich beschränke mich darauf, die Haupt-Combination anzudeuten, welche dem Motiv entnommen ist: certo accidente; di fuori chiaro, di dentro oscuro, non c'è riparo, la porta, il muro... Das ist der Text. Darauf hat Mozart einen Kanon zu [316] zwei Stimmen gebaut, der sich zwischen dem Sänger und allen Instrumenten theilt. Diese Stimmen, die im Tempo eines Allegro assai auf die Entfernung einer Viertelnote einherschreiten, führen dieselbe Figur aus, aber da, wo die rhythmische Betonung der Art sich wendet, daß, wenn eine derselben eine punctirte halbe Note nimmt, ein G zum Beispiel, gleitet die andere Stimme, sie nachahmend auf das, um zwei Drittel reducirte G, und bringt dadurch den ganzen Werth der Betonung auf ein A, welches aber im Interesse einesH dieselbe Reduction erfährt, an welches die erste Stimme später kommt und so fort. Die Combination ist damit aber noch nicht erschöpft. Die Orchesterstimmen, die zusammengingen, eilen einander nach; die, welche sich verfolgten, vereinigen sich; die Blasinstrumente verlassen die kanonische Figur und nehmen synkopirte Gänge an, welche die Harmonie der zufälligen Accorde vermischen, während die Violinen und der Baß im Kanon fortfahren. Das ganze Orchester spielt Blindekuh, aber Leporello sieht ein wenig unter der Binde durch. Er sieht sogar so gut, daß wir bald Masetto nebst zwei Comparsen auf dem Boden und den Gefangenen in einem ungeheuern Satze über seine drei Wächter weg der Thüre zueilend erblicken. Il birbo ha l'ali ai piedi, sagt Masetto aufstehend.

Wir haben lange, ja zu lange auf die Tenor-Arie gewartet. Octavio hat nur eine Abschlagszahlung geleistet an der Summe des Genusses, den er dem Publikum schuldet32. Geduld! man [317] verliert nie etwas bei'm Warten bei einem Schuldner wie Mozart; Capital und Interessen werden einem zumal zurückerstattet. Unter allen Arien der Oper ist, Il mio tesoro intanto andante a consolar ohne allen Vergleich die glänzendste für den Sänger. Eine anmuthige und glänzende Melodie, welche selbst die mittelmäßigste Stimme geltend macht, ausdrucksvolle Rouladen, gehaltene Noten, welche dem Sänger erlauben, [318] einen Ton auszuhalten, ihn anzuschwellen und nach und nach verklingen zu lassen, oder selbst darauf Triller zu machen, wenn er es versteht; eine Fermate, in welcher sich so leicht die Läufe, wie sie Jeder zu machen versteht, die Falsetsprünge auf den vom Contr'alt usurpirten Corden, anbringen lassen, kurz lauter Vocalsätze, die sich leicht zu den gewöhnlichen Ausschmückungen hergeben, das ist es, was seit wenigstens zwanzig Jahren aus Il mio tesoro das Paradepferd der Tenore, wie Non più andrai das der Baritone und Sarastro's Arie das der Bässe gemacht hat. Die Mode vergeht, aber die Arie ist nicht mit ihr vergangen; sie ist und bleibt die schönste Tenor-Arie, weil weder Zeit noch die beklagenswerthe Gunst der Mode, ihr die Schönheit der Arbeit und des Ausdruckes haben rauben können. Der Charakter begeisterter Zärtlichkeit, welche Mozart über die ganze Rolle Octavio's ausgegossen hat, und welcher der Text hier einen gewissen Anstrich von Heroismus gibt, verlangte den melodischsten Gesang in der Vocalstimme und einen fast kriegerischen Lärmen im Orchester. Heroismus und Liebe, gibt es etwas Glänzenderes und Wohlklingenderes, etwas Vortheilhafteres für einen Tenor? Ditele che i suoi torti a ven dicar io vado u.s.w. Das verspricht etwas, und die kriegerischen Striche der Violine versprechen noch mehr. Mozart, der stets bei Worten vorsichtig war, wenn sie nichts als Worte sind und das Wesen des Individuums zu wohl kannte, hütete sich sehr, ihn auf einen feurigen Hengst, mit dem Helme auf dem Kopfe und eingelegter Lanze zu setzen. Octavio hat nicht das derbe und cholerische Temperament, welches im Allgemeinen die Helden macht, und die in der Oper ganz insbesondere. Zu viele Bravour hätte seine zarte Brust angegriffen. Er waffnet sich in der That; er feuert sich zum Streite an; es gelingt ihm, seiner Seele einige Funken eines [319] edlen Feuers zu entlocken; schon eilt er zu dem Stelldichein der Ehre, aber unterwegs nehmen seine Gedanken wieder ihre gewöhnte Richtung; und statt des furchtbaren Gegners erblickt er Anna auf der Schwelle zum Kampfplatze. Nun ist es aus mit den Gedanken an Blut. Octavio wird wieder er selbst; die Liebe entströmt in sprudelnden Rouladen seinem Busen; er berauscht sich in dem Glücke sie anzublicken, in der Hoffnung sie zu trösten, ihr stets zu gefallen, ihr ewig anzugehören: Il mio tesoro intanto. Und das unerbittliche Gelübde der Rache! und der Schwur! Ganz gewiß muß man sie rächen; das wird ihr ihre Ruhe und ihre blühende Gesichtsfarbe wieder zurückgeben. Auf dich baue ich, mein guter Degen, auf dich! Der Degen scheint aber ein wenig kurz zu sein; das Schwert der Gerechtigkeit wird etwas länger sein. Man wird es überlegen, man geht ab, und das Orchester, welches die Versprechungen des Helden vergessen hat, wiederholt ganz gerührt die Seufzer des Liebhabers, durch das Organ des Clarinetts und des Fagotts. Welch' köstlicher Wohlduft von Zärtlichkeit quillt aus diesem Ritornell, welch' liebliches und angenehmes Echo des leidenschaftlichen Gesanges hat man gehört. Meister, wir erkennen den Gedanken eines Deiner glücklichsten und glänzendsten Meisterwerke. Dein junger Mann ist die Perle der Bräutigame, sowie der Tenore. Wer zöge es nicht vor, eine angebetete und anbetungswürdige Geliebte zu heirathen, als mit dem Teufel anzubinden.

Octavio's Arie steht wie ein Markstein zwischen den beiden Welten, welche das Drama in Bewegung setzt. Drohende und immer dichter werdende Schatten sind im Begriffe, sich auf die Scene herniederzulassen und Alles zu verschlingen. Wir sind bei'm Anfange des Endes angekommen. »Im Grunde ist der Tod der wahre Zweck des Lebens,« sagte Mozart in dem letzten [320] Briefe, den er an seinen Vater schrieb. Der Zweck durfte im Verlaufe so wenig, wie die Moral in der Fabel, in der Oper fehlen, welche das menschliche Leben vollständig in sich schließt. Der Tod wurde darin unter seinen verschiedenen Gesichtspuncten, wie ein besonders beliebtes Thema behandelt und analysirt. Mit ihm fängt das Werk an, er beschließt es auch. In der Ouverture war es der Tod, welcher sich am Eingange des Themas darstellt; in der Introduction stellt sich der Tod dem Auge durch den Kampf dar, unter dem ein fliehendes Leben dahinschwindet; im Sextett ist es das Hinsterben eines tödtlich verwundeten Herzens, welches sich nach dem Grabe, dem letzten Zufluchtsorte der Unglücklichen, sehnt. Es gibt aber noch ein drittes Bild des Todes, dessen Anblick das fürchterlichste ist, was man sehen kann; der personificirte Tod, der Tod, der zu Einem kommt, wie ein individualisirtes Ding, wie das belebte Nichts, das Einen in der Finsterniß ergreift, wenn man nicht schlafen kann, oder wenn man plötzlich an einem fürchterlichen Traume erwacht, das Einen mit kaltem Schweiße bedeckt und Einen lebend unter dem Gewichte der Erde zermalmt, die Einen nicht decken wird. Dieser Alp, tausendmal furchtbarer als der physische Alp, besuchte noch nie Jemand bei'm hellen Lichte der Sonne. Mozart, der dieses Phantom oft sah, wird ihm nun einen Körper verleihen; er wird es zur Auflösung, zur moralischen Rechtfertigung, zur Entwickelung und zum Wunder eines Dramas benützen, das man nur unter dieser Bedingung unternehmen konnte und selbst durfte.

Das Theater verändert sich nach Octavio's Abgange; es stellt das Innere eines Kirchhofes vor, den man schon zuvor in der Perspective gesehen hat. Von beiden Seiten zeigen sich in malerischem Untereinander Monumente, Urnen mit Inschriften und [321] Emblemen; da und dort einiges Buschwerk. Eine verfallene Mauer, hier von der Höhe einiger Fuße, dort von der eines Mannes, wird durch die Bäume sichtbar. Ganz im Hintergrunde die Statue des Commandeurs, scharf vom Monde beschienen. Sobald die Decoration im Reinen ist, sieht man Don Juan, verfolgt von den Dienern der Gerichte, oder vermuthlich auch von irgend einer ehemaligen Geliebten in leichtem Sprunge über die Mauer setzen. Die Mißgeschicke des Tages haben seinen unzerstörlichen Humor nicht geändert. Es ist noch nicht spät, höchstens zwei Uhr Morgens. Welch' herrliche Nacht, um Abenteuern nachzulaufen! Leporello, der seinen Herrn der Spur nach gesucht hat, kommt auf demselben Wege, wie dieser, herein. Große Freude unserer Leute, sich wieder beisammen zu finden. Giovanni erzählt seinem Begleiter die Abenteuer, bei denen wir ihm nicht haben folgen können; und weil die Geschichte ihm gut dünkt, weil sie für den, der zuhört, ziemlich kränkend ist, so bricht er in ein convulsivisches Lachen aus, das sich über alle Maßen verlängert, und auf dieses convulsivische Lachen fallen die Worte des Choralgesanges: Di rider finirai pria dell' aurora.

Welche wahnsinnigen Conceptionen, welche unnatürliche Träume müßte die Phantasie zu Hilfe nehmen, um mit Worten etwas Aehnliches hervorzubringen, wie den Eindruck der vier Tacte Adagio, dieses furchtbaren Contrastes, welcher den Uebergang aus der realen in die ideale Welt in unserer Oper bezeichnet? – Man denke sich einen phantastischen Carneval, einen blendenden und wohlklingenden Hexen-Sabbath, auf den die Dämone des menschlichen Herzens, die Leidenschaften, Damen und Herren, Einem ihre Schwindel erregenden Worte in's Ohr flüstern. Man sieht sie an; aber unerhört, Maskerade ohne Beispiel, die Seelen erscheinen an der Stelle der Gesichter. Man erkennt Niemand. Sodann [322] wird man aber auf einmal aus dieser mit Wohlgerüchen erfüllten und glühend warmen Luft, die aus einer Mischung von Sauerstoff und Wollustgas besteht, aus diesem Lichte, in welchem alle prismatischen Farben spielen, in eine mit eisiger Grabeskälte erfüllte Dunkelheit versetzt. Ein finsterer Schlund nimmt Einen auf, der gleich einer riesigen Schlange Einen anzieht und verschlingt. Man steigt hinab, steigt immer hinab in diese endlose Tiefe; die Verengung der Seitenwände des Abgrundes verursacht Beklemmungen, von welchen man fühlt, daß sie in Ewigkeit immer mehr zunehmen müssen. Da erhellt aber mit einem Male ein fahles Licht die Finsterniß und verbreitet den Geruch der Verwesung. Beides geht von einem Leichname aus, der vor Einem liegt. Der Leichnam erhebt sich, ohne eine Muskel zu bewegen; er hält seine Augen, welche gleich am Feuer der Verdammniß gerötheten Dolchen erglänzen, fest auf Einen gerichtet. Der Leichnam öffnet die Arme, um Einen in Empfang zu nehmen; man fällt hinein, während in unermeßlicher Höhe die letzten Accorde eines Todtenamtes in ungewissen Tönen in der Luft verklingen. Alles dieß trägt sich in wenigen Secunden zu; denn anders verhält es sich im normalen Zeitverlaufe, anders im Traume.

Du lachst fast ebenso laut, wie Don Juan, wohlwollender Leser, und Du hast Recht. Wir haben versucht, Musik in Worten zu machen nach Art gewisser Dichter, und unser Wunder ist ein verwirrtes Gewäsch geworden. Mozart's Wunder dagegen geht auf eine wahrhaft wunderbare Weise in Erfüllung, weil es eine musikalische Wirklichkeit ist, welche abgesehen von ihrer Anwendung besteht. Man hört leidensfreie, todte Worte aus dem Grabe heraus ertönen, denen eine Veränderung des Accordes auf jeder Sylbe, eine entsetzliche Zergliederung der Harmonie einen unbeschreibbar seltenen Anschein von Leben verleiht, welcher wie [323] der absolute Gegensatz des Lebens selbst ist. Und darin liegt das Wunder, das heißt die Uebereinstimmung von zwei wesentlich sich widersprechenden Gedanken. Die Stimme schließt, als wahrhaft gespensterartig, mit der Dominante der Tonart, mit der großen Terz angeschlagen. Es ist dieß eine Kirchen-Cadenz; sie gehört der Ewigkeit an, die keinMoll, dieses Bild irdischen Unbestandes, kennt. Di rider finirai pria dell' aurora.

Bei diesem Orakelspruche fühlt Giovanni zum ersten Male einen Schrecken, der bis in das innerste Mark seiner eisernen Leibesbeschaffenheit dringt. Chi va la! Chi va la! und die Stimme, welche sich entfernt, antwortet ihm in demselben Tempo des Adagio, dessen 3/4-Tact durch die Entfernung verkürzt erscheint: Ribaldo, audace, lascia ai morti la pace. Das belebte Nichts läßt sich in einem zweiten Verse noch furchtbarer ertönend hören, und auf's Neue schließt die Cadenz der Ewigkeit das halb geöffnete Grab. Das Accompagnement des Chorals, hinter die Statue gestellt, unterscheidet sich von allem Uebrigen nicht allein durch die akustische Färbung, als eben so sehr durch die Harmonie. Die Oboen und Clarinette verstärken die geisterhafte Musik in der obern Octave; die klagendsten Töne des Fagotts vermählen sich in der Mitte mit den Seufzern der hohen Posaunen, und die Baßposaune läßt sich donnernd in gewichtigen Tönen in den Noten der Grundstimme hören.

Der Effect dieses Chorals ist das Höchste und Ergreifendste, was man auf der Bühne hören kann; er ist sogar für gewisse Organisationen, namentlich in der ersten Jugend, zu stark. Ich kenne Jemand, der im Alter von zwölf bis dreizehn Jahren Don Juan zum ersten Male hörte, und in Folge davon sich mehrere Tage fast wie krank fühlte. Der furchtbare Choral hatte sich so in seinem Gehirne festgesetzt, daß er immer wieder von Vorne bis [324] an's Ende ertönte; es ist dieß eine Pein, selbst wenn die Musik einen angenehmen Charakter hat.

Man suche alle die Gespenster, Phantome, Geister und Kobolde hervor, die nach Mozart auf der lyrischen Scene gesprochen haben; man vergegenwärtige sich den ungeheuern Aufwand von Mitteln, welche man entwickelt hat, um uns an diese Erscheinung glauben zu machen. Aber weder Decorationen und Maschinerieen, noch die verschiedenen Instrumente, welche man einzig und allein bei diesen Veranlassungen in Anwendung bringt, noch Alles, was unsere modernen Componisten mit all' den reichen, ihnen zu Gebote stehenden Mitteln versuchen, sind im Stande, den Eindruck, den Mozart zu machen verstand, zu erwecken. Wir begnügen uns nur, die berühmtesten unter denselben zu citiren, die wir gehört haben, wie die Erscheinung der Zauberin in der Geisterinsel von Zumsteeg, die classische Erscheinung des Ninus in Rossini's Semiramis, den höllischen Tanz sammt den anderen Teufeleien in Ro bert der Teufel, und die Teufeleien im Freischütz, welche letztere nach unserer Ansicht weit über denen von Meyerbeer und noch vieler Anderer stehen. Nun, wir wollen wetten, daß der Commandeur alle seine Nebenbuhler aus der andern Welt überleben wird, weil er ohne Widerrede der Todteste in der ganzen Gesellschaft ist.

Unter allen Gedanken des Gedichtes ist die Einladung zum Nachtessen, welche Don Juan an die Statue richtet, ohne allen Zweifel der abgeschmackteste. Da Ponte erlaubte sich ohne Weiteres diese Extravaganz, und überließ es seinem Mitarbeiter, sie genießbar zu machen. Mozart hatte sich aber von Anfang an darauf vorgesehen. Don Juan, so wie die Musik ihn geschaffen hat, ist etwas mehr und etwas weniger als ein Mensch. Alles Vorhergehende in der Rolle und im Charakter knüpft sich [325] musikalisch mit einer bewunderungswürdigen Logik an die Scene der Einladung an. Giovanni kann sich eines Erbebens bei den Worten des Gespenstes nicht erwehren; und diese innere, im Recitative schlecht verhüllte Bewegung ist für ihn etwas Neues, was ihn bei weitem mehr beunruhigt und quält, als das Wunder, das er mit eigenen Augen gesehen hat. Er sollte Furcht haben! er, der mit einer so mächtigen und wahren Ueberzeugung im Finale des ersten Actes sagte: Se cadesse ancora il mondo, nulla mai temermi fa. Der Stolz kommt dem wankenden Riesen zu Hilfe. Lies die Inschrift des Grabmales, sagt er zu seinem zitternden Diener, und sogleich erscheint in feurigen Buchstaben die Rache fordernde Inschrift. Nein! nein! nein! spricht er hierauf zu sich, all' dieses eitle Blendwerk hat durch die Wiederholung seine Macht verloren. Du sollst zweimal besiegt werden, armseliger Greis! Ich werde vor Deinem grollenden Schatten so wenig zurückweichen, als vor Deinem schwachen Degen. Leporello! sage ihm, er solle diesen Abend zum Nachtessen kommen. Ist dieß nicht der höchste Eigendünkel, das Delirium einer verkehrten Stärke, welche sich steigert, weil sie zu wanken im Begriffe stand. Eine blinde Wuth hat sich Giovanni's Herzen bemeistert; sein Blut, das einen Augenblick in seinen Adern gestockt hatte, erhitzt sich und kocht; er hat das Fieber und lacht immer; er scherzt und im bloßen Scherze will er seinen Diener erstechen, der zu langsam seine unsinnigen Befehle ausführt. Wir haben geglaubt, diese physiologischen Bemerkungen machen zu müssen, um, so weit es möglich ist, den undefinirbaren Charakter des Stückes, welches folgt, zu erklären; eine Composition, die nichts mit dem Effect gemein hat, welchen das Wunder auf jeden Andern als Don Juan hätte hervorbringen müssen; eine Composition, die zugleich komisch und furchtbar, glänzend und mystisch, voll Neckereien [326] für das Ohr und Erinnerungen an das zweite Gesicht ist; eine Posse, wird man sagen, die bei Mondschein auf dem Kirchhofe zur Unterhaltung der Hingeschiedenen aufgeführt wird; etwas, das keinen Namen hat: O statua gentilissima.

Wenn man nur den Text und die Declamation der Vocalstimmen betrachtet, so ist der poetische Gedanke des Duetts ebenso einfach, obgleich er getreu und energisch von dem Componisten wiedergegeben wurde. Auf einer Seite Giovanni, der das ganze Decorum einer kalten und spöttischen Unerschrockenheit sich bewahrt, trotz der Gemüthsbewegung, die er verspürt, und welche übrigens die Lebhaftigkeit der Tempo's, die umherirrende Beweglichkeit der Instrumental-Figuren und selbst die unentschiedene Tonart aus E-dur ausdrücken; auf der andern Seite Leporello, welcher zwischen die sprechende Statue und den Degen seines Herrn, also wie zwischen zwei Feuer gestellt, keinen Grund hat, der arme Teufel, die zweifache Todesangst zu verbergen, die ihn peinigt. Contraste dieser Art waren für Mozart stets eine Gelegenheit zu einem herrlichen Triumphe. Im ganzen Duett haben beide Stimmen nur einen Satz gemeinschaftlich: Colla marmorea testa fa così, ein Satz, in welchem das Steigen und Fallen der melodischen Intervalle, im Vereine mit dem Rhythmus, die Bewegung des Kopfes der Statue wiedergeben. Aber obgleich die Darsteller dieselbe Melodie singen, so müssen sie ihr doch einen verschiedenartigen Ausdruck geben. Leporello ahmt maschinenartig das nach, was er gesehen hat, wie es etwa ein erschrockener Affe machen würde; Giovanni, der ihn ausspottet, singt im Tone der verächtlichsten Ironie; sein Kopf senkt und erhebt sich stolz.

Das bis dahin, soweit die Musik es zu leisten vermag, verständliche und theatralische Stück wird allein durch die Instrumentation phantastisch und undefinirbar. Nur einen Augenblick, einen [327] Tact lang wird das Duett durch das Ja des Commandeurs zu einem übernatürlichen Terzett. Diese Antwort des Gespenstes hat auf die Instrumentation influirt, wie es sein mußte; sie hat aber nur einige ziemlich kürze Spuren zurückgelassen, und, vorher wie nachher, hören wir einige Gänge im Orchester, die entschieden weder auf den allgemeinen Effect der Situation, noch auf die drei sprechenden Personen sich beziehen: Figuren, die bald lebhaft und glänzend, bald muthwillig und phantastisch sind; Accorde der Blasinstrumente, welche mit einer ganz besondern Weise und einem mystischen Zauber auf einer abgebrochenen Cadenz vonH-dur in C-dur abschließen, Bratschenstriche, welche auf der tiefsten Saite gleich einem Baß-Phantome summen, mit einem Anstriche von lustiger Ruhe, die Einem die Haut schaudern macht. Augenscheinlich drückt das Orchester hier Beziehungen aus, welche im Drama nicht angedeutet sind und selbst nicht stillschweigend darin begriffen sein konnten. Hätte wohl Mozart etwas so bewunderungswürdig Schönes geschaffen, ohne irgend einen Gedanken damit zu verbinden? Wie wäre es, wenn die Stimme aus dem Monumente Echo's in den umherliegenden Gräbern gefunden hätte; wenn bei den furchtbaren und Rache erfüllten Tönen des Schattens andere sanftere Geister erwacht wären: Geister von Jungfrauen, welche vor der Zeit der Empfindungen der Liebe dahingeschieden, Seelen kleiner Kinder, die am Busen ihrer Ammen starben, jene blasse und gleichgiltige Schaar, welche den Mann von Marmor umschwebt, und die sich glücklich fühlt, nicht mehr leben zu müssen, und in matter Fröhlichkeit Scenen aus dem Leben betrachtet, von der sie nichts versteht?

Wir nehmen von Anna Abschied in der Arie (Nr. 27.): Non mi dir bell' idol mio, die einzige in der ganzen Oper, in welcher Mozart in völliger Uneinigkeit mit seinem Dichter [328] sich befindet. Da Ponte glaubt an Anna's Vermählung und Mozart weiß, daß sie unmöglich ist; Da Ponte läßt sie die Augen auf die Zukunft richten und der Musiker übersetzt diese Hoffnung durch einen melancholischen Rückblick auf die Vergangenheit. Man sage, ob Anna noch Anna in dieser letzten Piece ist? Wo ist die erhabene Heldin des ersten Actes, die Göttin des Sextetts, wo diese Stimme, deren geringste Accente ein tragisches Fieber in uns erregten, welche die Stürme des Orchesters hervorief, den unsichtbaren Mächten gebot und gleich einem Auserwählten im Strahlenkranze des Ruhmes zum Himmel stieg? Ach! dieser Stimme ist kaum noch die Kraft geblieben, einige Seufzer hervorzubringen. Wie sehr ist das Recitativ: Crudele! ah nò mio bene von den beiden ersten verschieden; welche Lebensmüdigkeit und welche Erschöpfung liegt in den Instrumentalfiguren, gegenüber von einem Texte voll Zärtlichkeit und Hoffnung. Das Andante der Arie besteht aus denselben Figuren des Recitativs, welche die Trümmer der Person zu sein scheinen, und die, in die Vocalstimme versetzt, einen um so traurigern Gesang hervorbringen, als diese Traurigkeit sich unter einer heitern Miene verbirgt. Calma calma il tuo tormento, sagt die untröstliche Anna, indem sie den armen Octavio zu trösten versucht. Zuerst sagt sie es ihm in ziemlich festem Tone; wie sie es aber wieder zu sagen versucht, so bricht der klagende Strich der Violine, der im Recitativ kaum vernehmbar war und mit Gewalt unterdrückt wurde, allen Widerstand, und entwickelt sich in einer Reihenfolge fern liegender mit b-en beschwerter Töne, die ihm allmälig den Charakter der düstersten Melancholie verleihen und den bewunderungswürdigen Schluß des Andante auf einer Fermate herbeiführen. Mozart hat den positiven und wirklichen Sinn des Textes calma calma il tuo tormento verlassen, und ihm den zukünftigen und [329] bedingungsweisen gegeben, der im zweiten Gliede des Satzes enthalten ist: se di duol non vuoi ch'io moro, eine Anomalie, welche ganz klar die Verschiedenheit der Ansichten zwischen dem Dichter und dem Musiker beweist. Diese Uneinigkeit setzt sich fort und tritt in dem Allegro noch deutlicher hervor: Forse un giorno il cielo ancora sentirà pietà di me. Der Dichter sagte sich, als er diesen Text schrieb: da ist die Flamme, die sich neu entzündet. Er täuschte sich; und es war dieß nichts als das letzte Auflodern einer Flamme, wenn ihr Nahrungsstoff aufgezehrt ist, und welches völlige Dunkelheit verkündet. So läßt es uns die Musik verstehen. Das Allegretto ist ein Aufschwung in die unbekannten Regionen, wo die Ruhe wohnt, welche die Seele vorherfühlt und in ihren Leiden sich wünscht. Es ist ein erhabenes Lebewohl, in welches sich einige rasch vorübergehende Erinnerungen eines Lebens voll Liebe, Unschuld und jungfräulicher Poesie mischen, die ein Tag zerstört und in der Blüthe geknickt hat. Zierlich angelegte Rouladen, welche aber ebenso unzeitig sind, als die in der Arie Il mio tesoro intanto es an rechter Stelle waren, haben diese hohe Elegie ein wenig verdorben. Allein was läßt sich sagen, Mozart mußte einige Gefälligkeit für eine Sängerin zeigen, welche so viele gegen ihn gehabt hatte. Die Saporeti war nur eine kleine Provinzial-Primadonna, bescheiden und nicht sehr anspruchsvoll, dabei aber eine gute Musikerin. Sie wollte wohl Anna singen, so wie sie der Meister geschaffen hatte, wenn er sie dagegen durch einige Rouladen mit einem hohen Staccato vermischt, am Ende ihrer Rolle entschädigen wollte. Das Staccato war wahrscheinlich ihre Hauptstärke. Konnte man so billige Bedingungen abschlagen? Zwei Linien zuviel in einer Partitur von 500 Seiten, das war ein trefflicher Handel für den Componisten. Man denke sich, was [330] aus der Oper der Opern geworden wäre, wenn Mozart mit den hohen singenden und Rouladen machenden Mächten zu thun gehabt hätte, welche die Gewohnheit haben, dem Maestro ganz genau und in's Einzelne gehend den Gang ihrer Arien vorzuschreiben, ungefähr so wie eine Gesandten-Excellenz mit seinem Oberküchenmeister den Speisezettel zu einem diplomatischen Diner entwirft.

Finale. Allegro assai D-dur4/4. Man hat die ersten Scenen des Finales getadelt, indem man sie schwach in Musik und leer an Handlung fand. Man hat dabei vergessen, daß sie nur vorbereitend sind; und als Vorbereitung halten wir sie für die glücklichste Erfindung. Der poetische Gedanke daran ist bewunderungswürdig. Die meisten der handelnden Personen haben von dem Zuschauer Abschied genommen; die edlen Neigungen und der edle Glauben sind verschwunden. Der Heros des Dramas bleibt allein, sich an nichts mehr haltend, als an den Wurzeln des Egoismus, wie ein von Rinde und Blättern entblößter Baum. Eine letzte Anhänglichkeit, die durch Alles, was sie zerstören sollte, sich vermehrt, klopft noch einmal an diese Pforte, deren Schwelle bald das Kraut der Vergessenheit bedecken soll. Dieses letzte Band bricht, wie alle anderen, an dem undurchdringlichen, verhärteten Felsenherzen. Unterdessen ist es spät geworden; es sind keine ungelegenen Besuche mehr zu fürchten; nach dem Genusse eines gastronomischen Males und einer wollüstigen Musik, geht man zu Bett, um ruhig zu schlafen und morgen zu neuen Genüssen zu erwachen. Man geht zu Bett, aber in dem Grabe; man schläft ein, aber um nicht wieder zu erwachen.

Nach so vielem Umherschweifen und so vielen nächtlichen Abenteuern sollte man denken, daß Don Juan, als er nach Hause kam, etwas ermüdet gewesen sei. Doch nein, er ist unermüdlich [331] und überdieß Philosoph, stets aufgelegt, den Genuß anzunehmen, unter welcher Form er sich darbietet, als Austausch oder Entschädigung der Genüsse, die fehlgeschlagen haben. Im Ganzen war der heutige Tag ein verlorener; die Zahl des Registers ist sich gleich geblieben; dagegen hat sich Giovanni einen trefflichen Appetit geholt, un barbaro appetito, wie sich sein Diener ausdrückt. Glücklicherweise findet sich das Nachtessen, das aus Veranlassung der Hochzeit Zerlina's bestellt worden war, noch unberührt; da weder Ball noch Hochzeit zu einem guten Schlusse hatten geführt werden können. Um das Maß des glücklichen Zusammentreffens voll zu machen, so sind die Musikanten, welche man mitten im Tanze so plötzlich unterbrochen hatte, noch nicht weggegangen; sie haben sich an das Buffet zurückgezogen, wo sie reichlich mit Speise und Trank versehen wurden. Alles trifft sich so vortrefflich, daß, als der Herr der Wohnung nach Hause kommt, er den Saal erleuchtet, das Mahl aufgetragen und das Orchester bereit findet. Es bedurfte nicht so viel, um die eben gehabten Erscheinungen bis auf die Erinnerung zu verwischen; denn der idealste Zug in Don Juan's Charakter ist eine gänzliche Gleichgiltigkeit gegen die Vergangenheit und die Zukunft. Er gehört unter jene unauffindbare Sorte von Menschen, die nur für den gegenwärtigen Augenblick leben. Was nicht mehr oder noch nicht ist, gehört bei ihm nur zu den chimärischen Abstractionen.

Das Finale fängt heiter und glänzend an. Aus vollem Orchester ertönen festliche Klänge, welche dazu einladen, den Platten und Flaschen volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Già la mensa è preparata! Sobald Giovanni sich zur Tafel gesetzt hat, beginnen die Musikanten sogleich. Diese Herren, mit denen wir bereits während des Balles im ersten Acte Bekanntschaft gemacht haben, sind auf dem Laufenden mit dem Modegeschmacke [332] und den musikalischen Neuigkeiten. Sie spielen, ohne sich viel um die Satzübergänge zu bekümmern, eine Reihe von Lieblingsstücken, welche den Opern entnommen sind, die im Jahre 1783 in Gunst standen. Ist dieß nicht ein außerordentlich glücklicher Gedanke, eine im höchsten Grade belehrende Lection in einer Oper, welche so lange dauern wird, wie die Musik selbst, die Erinnerung an ephemere Productionen eingelegt zu haben, welche die Mode über Don Juan stellte? Würde sich noch Jemand dieser Melodieen erinnern, dieser Schatten vergangenen Genusses, wenn Mozart sie nicht als Tafelmusik benützt hätte, als leichte Musik, welche sich vollkommen mit den gastronomischen Genüssen verträgt, trotz des Sprüchwortes, daß ein hungriger Magen keine Ohren hat? Und während man diese Musik aufspielt, ißt, lacht und trinkt man; Leporello lobt die Musikanten und den Koch; er bringt ein Stück Geflügel auf die Seite, und der Herr, welcher den Diebstahl nicht zu bemerken sich den Anschein gibt, befiehlt ihm, mit seinen vollen Backen zu pfeifen. Um diese Possen so unterhaltend zu machen, als sie ohne Musik flach gewesen wären, hatte Mozart den Muth, eine der schönsten Arien aus seinem Figaro zu entnehmen. Bereits hat aber der Hahn zum dritten Male gekräht. Es kommt Jemand die Treppe herauf. Wer kann noch so spät in der Nacht kommen, der sich noch nicht zu Bette gelegt hat, oder vor der Morgenröthe schon wieder aufgestanden ist? Es ist Donna Elvira. Die Musikanten, welche die Gebräuche und Gewohnheiten des Hauses kennen, machen sich sogleich davon33, wie sie eine [333] Frau erscheinen sehen, und das dramatische Orchester nimmt ein Allegro assai aus B-dur3/4-Tact auf. Nie war Elvira edler und rührender, als in dieser Scene. Sie kommt nicht mehr, um Giovanni zu bitten, Mitleiden mit ihr zu haben; für ihn selbst beschwört sie ihn auf den Knieen und mit welch' unwiderstehlichem Ausdrucke: Ah! non deridere gl'affanni miei. Diese Stimme hätte die Reue Abadonna's, des gefallenen Engels, beschleunigt; sie hätte Faust sicherer bekehrt, als Margarethens Thränen. Und Don Juan? Stärker von Herzen und Logik als Faust, und vielleicht Mephistopheles ebenbürtig, wenn dessen Körper als Dämon in Menschengestalt nicht ein schlechter Spaß wäre, fühlt sich Don Juan, eben dieses Unterschiedes wegen, ergriffen; Io ti deridere? Nein, wahrhaftig, er denkt nicht mehr daran, über diese Frau zu lachen, die ihm noch nie so schön vorgekommen; und das verderbt eben die ganze Sache. Denn man sieht, daß Elvira's Augen, von Zärtlichkeit feucht und funkelnd von Begeisterung, ihr anmuthiges Niederknienn, ihre weißen Schultern, ihre schönen Arme, die sich gerundet zur Bitte erheben, schon zum Voraus den Eindruck ihrer Rede zerstören. In Ermanglung aller andern Gesellschaft [334] kann Giovanni nichts erwünschter kommen, als die zurückzuhalten, die sich bei ihm eingefunden, obgleich er sie nicht erwartet hatte. Das kalte, grobe Benehmen beim Anfang verwandelt sich in eine Art Galanterie. Das cosa volete, womit Elvira bei ihrem Eintreten empfangen worden, war eine Unverschämtheit, das che vuoi mio bene, das er nach einer kurzen Prüfung und einem augenblicklichen Ueberlegen an sie richtet, klingt fast zärtlich. Hierauf setzt er hinzu, mit einem Arme sie um den Leib fassend: E se ti piace, mangia con me. Sein unwürdiges Entgegenkommen wird mit Abscheu zurückgewiesen. Ha! da sie diesen Ton gegen ihn annimmt, so zeigt ihr Giovanni, was man damit gewinnt, wenn man Morgens um drei Uhr den Leuten Moral predigen will. Sermon für Sermon, er kann ihr auch predigen: Vivan le femine! viva il buon vino, sostegno e gloria d'umanità. Epikur's Philosophie und Ana kreon's Poesie verschmelzen sich in dieser Melodie, welche in einigen Sätzen den vollkommenen Libertin, den Wüstling aus Temperament und System zusammenfaßt. Er ist da, man hat ihn vor Augen, nachlässig hingestreckt in seinem Armstuhle, sein Glas gleich einem Paniere ausgestreckt, mit dem Ausdrucke der Wollust in den Augen, der unreinsten Freude im Herzen, zufrieden und stolz auf sich selbst, in seinen unzerstörlichen Egoismus gehüllt, die Schleußen des Wassers öffnend, ohne auf die zu achten, welche darin ertrinken. Er fürchtet Nichts, kümmert sich um Nichts; er trinkt, er liebt, er singt, er genießt; er ist der beste Junge auf der Welt: Vivan le femine! viva il buon vino. Er ist malerisch in dieser Scene, wie beinahe in allen, in welchen er erscheint.

Nachdem der letzte Versuch Elvira überzeugt hatte, daß keine Hoffnung vorhanden sei, will sie sich auf immer von dem Orte [335] des Verderbens entfernen; eine Art von Nebel verbreitet sich im Orchester; die Lampen des Banquetts erbleichen und verlöschen eine nach der andern; Elvira stößt einen furchtbaren Schrei aus und stürzt einer Seitenthüre zu. Don Juan, der diesen Schrei gehört hat, befiehlt Leporello, nachzusehen, was es gebe. Dasselbe nebelhafte crescendo begleitet die Schritte des Abgesandten. Leporello prallt zurück, indem er in einem andern Accorde der verminderten Septime Elvira's Schrei wiederholt. Che grido indiavolato! Was gibt es denn? Sprich, sprich, sprich, Unglücklicher! Giovanni's Fragen scheinen ziemlich ruhig; warum werden sie aber in so rascher Aufeinanderfolge wiederholt. Sollte er bereits die Antwort ahnen?

F-dur,4/4, Allegro molto. Man verlangt jetzt von Leporello keine Possen mehr. Diese Zeit ist für ihn, wie für seinen Herrn, vorbei, und möge das Gezisch des ganzen Parterres dem unedlen Histrionen zu Theil werden, der sich von jetzt an nur noch den geringsten Spaß erlaubt. Ein Darsteller in der Oper muß sein Spiel stets nach der Musik richten, und hier drückt die Musik die größte Seelenangst aus. Ah signor, per carità, non andate, fuor di quà. Leporello stößt diese Worte keuchend aus; die Biegungen seiner Stimme möchten sich gern nach einem convulsivischen Schrecken moduliren, dessen innere Bewegungen unaufhörlich wechseln; aber die Modulation stößt auf einen unbesiegbaren Widerstand. Welche Harmonie auch erscheint, das obstinate F des Basses schneidet ihr den Weg ab und wirft sie sogleich, von Dissonanzen übertönt, zurück. Es gleicht jener Spannung der Brust, welche man verspürt, wenn man lange Zeit aus Leibeskräften gelaufen ist, und welche bei jeder Sylbe Schmerzen verursacht, sobald man zu sprechen versucht. Dieser Gesang, obgleich abgerissen, bildet eine sehr charakteristische Melodie, in [336] welcher die vorübergehenden Kreuze, die zugleich die natürliche Note mit der chromatischen von demselben Werthe zieren, eine fahle und schillernde Färbung verbreiten, etwas halb Reales und halb Phantastisches, gleich den ersten, noch etwas zweifelhaften Kundgebungen des Wunderbaren in einer Gespenstergeschichte. Endlich findet Leporello den freien Gebrauch der Sprache wieder; aber die donnernden Schritte die er auf der Treppe gehört hat, hämmern in seinem Gehirne, wie wenn sein Schädel ein Amboß wäre. Der Schrecken hat eine tönende Maschine daraus gemacht, welche vermöge eines physiologischen Gesetzes das abgemessene Geräusch, das den Sitz der Empfindungen erfaßt hat, mechanisch wiedergibt. Ta, ta, ta, ta; und als sein Herr ihm befiehlt, sich deutlicher auszudrücken, antwortet er von Neuem ta, ta, ta, ta, was keine Posse, sondern der Beweis ist, daß Mozart in die Geheimnisse der menschlichen Organisation eingedrungen ist. Die Thüre wankt bei den Schlägen des Orchesters. – Hören Sie es, lieber Herr? – Oeffne! – Dießmal verweigern aber die Beine des nur zu getreuen Dieners durchaus den Dienst. Oeffne, sage ich Dir! – Er könnte den Unglücklichen eher tödten, als daß er ihn von der Stelle brächte. Alles, was er herausbringen kann, sind langgedehnte Seufzer, die von den Schlägen, welche sich verdoppeln, unterbrochen werden. Oeffne! aber nein, mit diesem Elenden ist nichts mehr anzufangen. Oeffnen wir also selbst. Eine fast vollständige Dunkelheit herrscht jetzt auf der Scene; es bleibt jetzt nur noch das Licht zweier Wachskerzen übrig, die wie zu ihrem eigenen Leidwesen in silbernen Leuchtern auf dem Speisetische brennen. Giovanni ergreift einen dieser Armleuchter, und mit dem entblößten Degen in der Hand schreitet er entschlossen der Thüre zu, welche er mit dem Fuße aufstößt. Ein leuchtender [337] Luftstrom verlöscht die Wachskerze; die Scene färbt sich schwach mit einigen bläulichen Streifen, Blitze fahren im Zickzack an den gothischen Fenstern herab, ein dumpfer Donner rollt unterirdisch. In der Vertiefung der Decoration wird die riesenhafte Gestalt des Commandeurs sichtbar, weiß, unbeweglich, von einem matten Lichtscheine umgeben. Andante 4/4 D-moll.

Bei dieser Erscheinung meint man, habe die göttliche Rache Tropfen für Tropfen im Schweigen der ewigen Geheimnisse gesammelt und aufgehäuft, endlich den Rand des Gefässes erreicht, um auf ein verabredetes Zeichen überzulaufen, und in furchtbarer Ueberschwemmung alle Schrecken des letzten Urtheils über die Zuhörer zu verbreiten. Wie war es möglich, daß der Kopf eines Menschen, ohne zu zerbrechen oder wahnsinnig zu werden, diese Accorde hatte zur Welt bringen können, die Alles über den Haufen werfen und mit sich fortreißen, welche auf der Seele wie das Gewicht des ganzen menschlichen Elendes, in eine zerschmetternde Masse vereinigt, wie das Bewußtsein der verderblichsten und nie mehr gut zu machenden Katastrophe, wie die Verwirklichung der Vorgefühle und Bilder lasten, welche man mit so vielem Abscheu von sich entfernt! Hier zerreißt der allegorische und immer lichter werdende Schleier, welcher die menschliche Handlung deckte; hier hört die Fabel des Libretto auf. Das ist der Besuch in Person, welchen Jeder von uns zu erwarten hat, dieser Besuch, die einzige unfehlbare Gewißheit, die es in unserem Leben gibt. Wie Don Juan müssen wir ihm die Pforte öffnen, und möge Gott es gefallen, daß der furchtbare Sänger uns bei unserem letzten Concerte etwas Anderes vorzutragen haben möge.

Sobald das Gespenst erscheint, wirft sich Don Juan mechanisch rückwärts; aber fast ebenso schnell sich wieder fassend, schreitet er in gemessenen Schritten dem andern Ende des Theaters zu, [338] wirft seinen Degen weg und nimmt die Stellung eines Menschen an, der entschlossen ist, Allem zu trotzen. Die Blässe, die ihn bedeckt, ist nichts als der Reflex der Todtenerscheinung auf den Zügen des Lebendigen, der sie betrachtet; die Seele ist nicht erblaßt. Er weiß, daß er verloren ist, verloren für Zeit und Ewigkeit, aber er entschließt sich nicht, um Gnade zu bitten. Die Unbußfertigkeit am Ende wird der letzte und höchste Triumph seines Stolzes sein. Er mag fallen, aber gleich dem Colosse von Rhodus, ohne die Kniee zu beugen oder den Kopf zu senken. Auf diese Weise spricht sich die Situation zwischen zwei redenden Personen aus, welche allein in dem ganzen weiten poetischen Universum eine solche Unterredung anknüpfen und zu Ende führen konnten. Es ist dieß ein zweites Duell zwischen Don Juan und dem Commandeur; beide haben aber die Waffen gewechselt. Dießmal kämpft der Greis mit dem Blitze, und Giovanni hat ihm nichts als die erstaunliche Energie seines verkehrten Willens entgegen zu setzen.

Wir haben diese Scene im Auszuge im Andante der Ouverture gehört. Wie furchtbar und imposant die instrumentale Erinnerung an das Ereigniß gewesen sein mochte, so schwach erscheint sie deßhalb doch neben der wirklichen Handlung. Statt des vollkommenenD-moll-Accordes, mit dem die Ouverture anhebt, bilden hier Accorde der verminderten Septime nach der ersten Inversion den Anfang, welche zu gleicher Zeit, mit aller Macht, zwanzig Orchester-Stimmen in Angriff nehmen, und nach welchen eine Harmonie erhabenen Choralgesanges folgt. Die Octaven der Blasinstrumente werden hier durch die Stimme des Phantoms ersetzt, was den dumpfen und mystischen Schrecken in einen donnernden Schrecken verwandelt, und die wunderbare Dämmerung in eine von übernatürlichem Feuer erhellte Tagesnacht. Die mit [339] sparsamer Weisheit verwendeten Posaunen haben dem Componisten diesen kostbaren Vortheil verschafft. Es hätten diese heut' zu Tage so verschwenderisch verwendeten Posaunen nicht gleich dem Rufe zum Gerichte getönt, wenn sie Mozart nicht zum speciellen und ausschließlichen Accompagnement des Todes gemacht hätte; und wenn er, ihren Effect zum Voraus benützend, sie das ganze Stück hindurch in Requisition gesetzt hätte.

Gewöhnlich, wenn die Musiker Schrecken erregen wollen, so suchen sie nicht denselben durch ein Ensemble von Effecten hervorzubringen, die noch unter sich verbunden und einem untheilbaren Ganzen untergeordnet sind; sie häufen mehr die Effecte auf, als daß sie sie combiniren; ihre häufig sehr glücklichen und sehr schönen, aber beinahe immer ziemlich heterogenen Erfindungen haben keinen andern Rapport, als ein immerwährendes Ueberbieten der einen über die anderen, was natürlich die Sachen zum Extrem treibt. Man könnte die Componisten nicht darüber tadeln, wenn sie damit ihren Zweck erreichten; und es möchte sogar einem Menschen von Talent sehr schwer fallen, auf diesem Wege fehl zu gehen. Durch dieses Chaos von Dissonanzen, diese wahnsinnigen Modulationen, dieses wilde Brüllen des Orchesters, diese Unordnung und diesen Tumult muß nothwendigerweise Schrecken zu Wege gebracht werden, aber ein äußerer und materieller Schrecken, ungefähr so, wie der im Melodrama. Wir citiren als Muster den Schluß der phantasmagorischen Scenen im Freischütz. Nach diesem Systeme konnte und durfte die Erscheinung in unserer Oper durchaus nicht behandelt werden. Dann ist sie in allen Theilen vollkommen homogen und vollkommen verbunden; die Abwechselungen von Schatten und Licht, von Forte und Piano, von Dissonanzen und Harmonie, folgen sich regelmäßig; das gegen das Ende etwas beschleunigte Tempo hört nicht auf, mäßig zu bleiben. [340] Alles dieß ist regelmäßig und correct, und sieht nicht sehr schwarz und fast ruhig auf dem Papiere aus. Und doch, was sind die Schrecken der Wolfsschlucht, was sind alle poetischen und musikalischen Schrecken zusammengenommen vor diesem Schrecken, welcher gleich von Anfang an: Don Giovanni a cenar teco m'invitasti e son venuto den höchsten Grad erreicht zu haben scheint, dennoch sich immer mehr steigert und Einen unter dem Schatten seiner riesigen Fittige begräbt, welcher zugleich die Sinne, das Herz und die Phantasie durchdringt und zuletzt in seinem unerbittlichen Fortschritte bis zur Sphäre der Intelligenz dringt, und unbesiegbar düstere und trostlose Gedanken erweckt. Man frägt sich schaudernd, ob Alles, was in uns ist, nicht ebenso irgendwo außer uns sich wieder finden muß, und ob die gräßlichsten Visionen der Seele, welche sich in der musikalischen Analogie verwirklicht haben, nicht eines Tages sich mit einem substantiellern Körper und noch positiveren Formen als diese Analogie bekleiden werden. Hört Ihr diese Accorde stets sich wiegend auf einem gleichförmigen Rhythmus, die aber bei jeder Wiederholung der äußern Reden, welche aus dem Munde des Phantoms ertönen, kläglicher und herzzerreißender lauten; und dieses Unisono aus der andern Welt auf ungewöhnlichen Intervallen, die jeder menschlichen Empfindungsart fremd sind; und dieses Erbeben des Orchesters auf der gräßlichen Dissonanz der kleinen Secunde, und diese langen, seufzenden Tonreihen, welche steigen und fallen, die heulen und vergeblich sich mitten durch eine verzweifelnde Modulation, gegen die fatale Note abmühen, deren Unbeweglichkeit sie verfolgt, drängt und erdrückt. Hört Ihr es wohl! Das ist der Sinn des Gespräches, das sind die wahren Worte der Erscheinung; das ist der Tod, das Urtheil und die Verdammung; das ist der Zielpunct und die Moral des ganzen Stückes. Welche Moral, großer [341] Gott! Diese läuft wenigstens nicht Gefahr, so schnell vergessen zu werden, als die anderen Beschlüsse, die von der dramatischen, Justiz ausgehen, wenn sie das Verbrechen bestraft und die Unschuld triumphiren läßt. Arme dramatische Gerechtigkeit! Wird das Verbrechen nicht stets zu ihr sagen: Du bist allerdings die Herrin, nach Belieben die Ereignisse eines Theaterstückes zu ordnen und mich nach Deinem Gutdünken sprechen zu lassen. Ich, das Verbrechen, das nicht Komödie spielt, ich lache darüber. Geißele mich, so viel dir beliebt, mit moralischen Tiraden, die Du mir in den Mund legst, hänge mich im Bilde auf, ich werde nicht verfehlen, zuerst von meiner Loge oder meinem Stuhle vom ersten Range aus dir Beifall zu klatschen, wenn es mir nur in der Welt gut geht, wie es so meistens meine Gewohnheit ist. Was wird die dramatische Justiz ihm darauf antworten? Ich verstehe nichts davon, ich weiß aber vollkommen, was der Componist des Dissoluto punito darauf hätte antworten können, und zwar Folgendes: Weit entfernt, Dich der Gerechtigkeit Anderer auszuliefern, überliefere ich Dich nicht einmal den Gewissensbissen, was Deine eigene Gerechtigkeit gewesen wäre. Im Gegentheile, in meinem Stücke trittst Du wohlgemuth und ungestraft die Menschen mit Füßen. Niemand ist stark genug, Dich zu strafen. Ich sinne nichts gegen Dich aus, sondern ich schaffe eine Wirklichkeit außerhalb der Ereignisse, der Handlungen und der Worte; und in dieser Wirklichkeit soll weder Du, noch irgend sonst Jemand das authentische Bild, den lebenden Abdruck einer tief verbrecherischen Seele mißkennen in der Stunde, in welcher Alles ihr entwischt, Alles, selbst bis auf das Nichts. Die einzige Thatsache, welche ich voraussetze, ist das Kommen des weißen Mannes, und Du weißt, daß der weiße Mann für Dich wie für Jedermann kommen wird.

[342] Uebrigens, welche Vortheile hat Mozart dem Verbrechen eingeräumt, als er endlich den unvermeidlichen Besucher einführte? Wo ist der große Schuldbewußte, der sich schmeichelte, ihn wie Don Giovanni zu empfangen? Um darüber urtheilen zu können, wollen wir die andere Hälfte des Dialogs prüfen, das Erhabene dem Erhabenen gegenüber. Von den beiden recitirenden Stimmen, die sich wie im Duett vereinigen, stützt sich die erstere auf die Totalität der Kräfte des Orchesters; es ist dieß das Phantom mit dem Schrecken im Gefolge, ausgerüstet mit aller Gewalt eines Sachwalters der Vorsehung. Die andere Stimme schwach accompagnirt. Das ist der Mensch in vollständigem Verlassensein von dem, was seine äußere Kraft ausmachte, vertheidigungs- und hoffnungslos dem eisernen Arme der Nothwendigkeit überliefert. Nur der individuelle Wille hält ihn in diesem furchtbaren Kampfe aufrecht; aber dieser ist gerade unter allen Kräften des Menschen der reellste und stärkste, und er kommt hier in einer erhabenen Größe zum Vorschein, der Giovanni's Rolle noch an keiner Stelle sich genähert hatte. Non l'avrai giammai creduto, ma farò quel che potrò. Ein Ueberrest von Angst verräth sich in diesem Satze, dem ersten, welchen Don Juan an den Geist des Commandeurs richtet, und während desselben hört man zwei Violinfiguren, die schon am Eingange der Ouverture sich bemerklich gemacht hatten, wovon die eine melodisch und klagend, die andere begleitend murmelnd ist, gleich dem Nachtlüftchen, das über das Gras des Kirchhofes hinstreicht. Sobald aber die lange Periode, in welcher sich die furchtbaren Tongänge entrollen, zu Ende ist, gewinnt Giovanni wieder seine Zuversicht, parla dunque! che chiedi? che vuoi? Nie ist etwas Größeres auf der Bühne ausgesprochen worden. Und wenn er hinzusetzt: parla, parla, ascoltando ti stò, so erreichen Mitleiden [343] und Bewunderung den Gipfel, und es ist nicht einer unter den Zuhörern, der sich nicht versucht fühlte zu rufen: Gnade! Gnade dem großartigen Verbrecher! Nach diesem Satze, der in A-moll schließt, ertönt der Grundton, gleich einer dumpfen und furchtbaren Todtenglocke, allein aus dem erschrecklichen Schweigen der Singstimmen heraus. Man erräth, daß unerhörte Dinge sich vorbereiten. Plötzlich erwecken die Donner des Gespenstes, die auf diese monotone Todtenglocke treffen, eine Reihenfolge von Accorden, die selbst für einen Theoretiker schwer zu analysiren wären; eine Reihenfolge, in welchen das Chromatische und Enharmonische auf eine Weise vermischt und verschmolzen ist, daß das Ohr nicht mehr weiß, wo es ist, noch woher es kommt, noch wohin es geht, und in welcher die Einbildungskraft vollends unter die Schnelligkeit der Aufeinanderfolge und dem Schrecken der Bilder, von denen es erdrückt wird, erliegt. Sie gleicht einem innern Spiegel, in welchem sich gedrängt und in zahlloser Menge die Abscheulichkeiten eines ganzen Lebens voll Verbrechen sich abspiegeln. Jeder Schlag des Herzens erweckt ein neues Schreckbild, welches der Orcan des crescendo sogleich wieder verjagt, um andere Schattenbilder an deren Stelle zu setzen, die ebenso schnell wieder verjagt werden. Das Ganze kettet sich wie zu einer beweglichen Linie furchtbarer in Flammen gegrabener Arabesken. Bei jedem Satze um einen halben Ton steigend, gelangt das Gespenst zu den höchsten Tönen seiner Stimmlage und schließt diese unbeschreibliche Periode auf in Dominante vonB-moll. Nun kommt in dieser neuen Tonart, im Charakter einer großartigen Reminiscenz, die doppelte Figur der Violinen wieder zum Vorschein; der Dialog wird gedrängter. Eine Stimme, welche die Wolken zu durchdringen und die Erde zu öffnen scheint, fragt Giovanni, ob er zur Reise bereit sei? Rī-sōl-vi? Vĕr-rā-i? Der Sünder antwortet: Ho fermo il [344] cuore in petto; non hò timor, verrò. Ein dem Heroismus abgetrotzter Ausruf, der durch nachahmende Gänge von erstaunlicher Kraft unterstützt wird. Das Phantom, welches bis dahin unbeweglich geblieben war, streckt Giovanni die Hand hin, der ihm die seinige reicht. Eiseskälte durchdringt die Adern des verwegen Epikuräers. Der Schmerz entreißt ihm einen Schrei: Ohimè! Von diesem Tacte an gewinnt das Tempo des etwas beschleunigten Andante nach und nach die Lebhaftigkeit und das Feuer eines Allegro, durch den häufigern Wechsel der Sätze des Dialoges und durch das Wogen, welches sich in den Instrumental-Figuren kundgibt. Das tremolo ergreift selbst die Grundlage der Harmonie; der Abgrund geräth in Gährung in Erwartung seiner Beute. Gänge des Basses, die ganz genau an die Duell-Scene erinnern, stürmen wüthend gleich steigenden Wogen einher, und fallen, wie diese, von ihrem höchsten Gipfel in die Tiefen zurück, aus denen sie sich erhoben haben. Bewundern wir die tiefgedachten Gründe des Musikers. Diese Baßstriche, diese kräftigen Angriffe, das colossale Bild der letzten Handlung der Tapferkeit, welche der Arm des Commandeurs ausgeführt hatte, rufen keine Nachahmung mehr bei den anderen Stimmen hervor, das heißt sie begegnen keinen Parirungen mehr, wie bei dem irdischen Duell. Die Violinen, welche auf so mörderische Weise Giovanni's Degen geführt, sind nicht mehr da, um dieselben zurückzuweisen. Jetzt liegt der Degen als unnützes Werkzeug zu den Füßen seines Herrn; denn er kann den Commandeur nicht zweimal tödten. Diesen Adern ist kein Blut zu entlocken, und das Giovanni's ist in der Hand seines unverwundbaren Gegners zusammengeronnen. Die Wiedervergeltung ist furchtbar. Der Sieger im ersten Acte wird aufgefordert, seine Niederlage einzugestehen. Schon blinkt, an einem Haare hängend, das Schwert der ewigen Bestrafung, [345] das stets trifft und immer tödtet, über dem Haupte des Sünders. È l'ultimo momento! pentiti scellerato! pentiti, pentiti; und diese niederschmetternde Aufforderung, auf welche Giovanni beständig mit anwortet, rollt jedesmal, gleich dem Echo der Hölle, donnernd dahin, bis von der unsichtbaren Sanduhr, welche die Zeit des Aufschubes bemißt, das letzte Korn abgelaufen ist. Die Sendung des Commandeurs ist zu Ende; der unwiderrufliche Spruch fällt auf den Verworfenen in schweren und langsamen Choral-Noten; die Harmonie erstirbt im Unisono; das Gespenst ist verschwunden.

Wenn der Beschluß in dem Augenblicke ausgeführt worden wäre, in dem er ausgesprochen wurde; wenn Giovanni todt zu den Fußen des Commandeurs niedergefallen wäre und der Vorhang mit ihm, so würde das Ende das Werk gekrönt haben, und Mozart, zu den Säulen des Hercules in der musikalischen Kunst erhoben, wäre da stehen geblieben, ubi defuit orbis, gleich jenen Erforschern der hyperboräischen Länder, die ihre Reise nicht weiter fortsetzen konnten, weil die Welt zu Ende war. Gewisse Rücksichten erlaubten aber weder dem Dichter, noch dem Musiker, die Oper, oder wenigstens die übernatürliche Scene auf diese Weise zu beendigen. Da Ponte, als gewandter literarischer Arbeiter, der sowohl das Publicum seiner Zeit als die Bedingungen des scenischen Effects im Allgemeinen aus dem Grunde kannte, urtheilte ganz richtig, daß der Titel des Stückes: Il Dissoluto punito und die Erwartung, welche dieser Titel erweckte, nicht sehr gerechtfertigt erscheinen würden, wenn man die Bestrafung nicht sähe; denn unter tausend Individuen, welche es vollkommen verstehen, in der Oper zu sehen, ist es ein Glück, wenn man deren zehn trifft, die zu hören verstehen. Aus diesem Grunde mußten die Verdammniß und die Hölle auch dem Auge sichtbar [346] werden. Der Dichter ließ daher auf den Mann von Marmor, der in seinem Libretto eine ziemlich armselige Maschine ist, etwas Solideres und mehr in die Augen Fallendes folgen, un coro di spettri (Chor von Gespenstern), Geister, Larven, Furien, Teufel, den ganzen Hof Pluto's in großer Gala. Man weiß, welchen Genuß dieser klassische Pomp unsern Vätern machte. Don Juan, welchen der Componist die furchtbarsten moralischen Qualen hat ausstehen lassen, wird nach diesen auch den physischen Qualen überliefert: Che m'agita le viscere! Ein gewagtes Bild, welches über Da Ponte's Zeitalter hinausging, und bei welchem Mozart nicht stehen zu bleiben für nöthig hielt. Ihm, dem Musiker, der das herzzerreißende Geschrei in höchster Natürlichkeit wiederzugeben verstand, wäre es leicht gefallen, die verzweiflungsvollen Schmerzen aus den innersten Eingeweiden heraus ebenso natürlich darzustellen; allein er war weit entfernt, zu vermuthen, welche fruchtbringende Ader diese medicinisch-chirurgischen Operationen dem Theater öffnen würden. Wir haben die Gründe des Dichters angeführt, hören wir nun auch die des Componisten. Mozart mußte anerkennen, daß es unmöglich sei, das letzte Finale mit einer Scene im Tempo des Andante zu schließen, die allerdings die wichtigste im ganzen Stücke ist, und welche pp mit einigen ganzen Noten, von einer einzigen Stimme gesungen, endigt, die im Orchester, gleich dem Schatten selbst, verschweben. Ebenso sah er ein, daß nach einem Stücke von so erhabener psychologischer Tiefe es passend sei, die Seele wieder zu erheben, welche durch so viele furchtbare Stöße heruntergestimmt worden war, und daß man zum Schlusse ein Feuerwerk für das Ohr abbrennen müsse, gerade wie Da Ponte das Bedürfniß eines glänzenden Schlußsatzes für die Augen gefühlt hatte. Aus diesem Grunde hängte er dem Andante ein Allegro von fünfzig Tacten und nicht mehr an; es [347] ist dieß eine Effectmusik, welche der Lärmen auf den Brettern, und ebenso der scenische Lärmen verlangen, weil es keinen mächtigern Bundesgenossen gibt, als den musikalischen Lärmen; das ist Alles recht gut; das dauert nicht lange und Jeder geht zufrieden weg. Es handelt sich hier nicht mehr darum, zu wissen, welche Gattung von Schauspiel man uns bieten wird, oder ob die Herren Regisseure, Decorateure, Theaterschneider und Maschinisten noch immer fortfahren, ihre Welt nach dem Bilde eines Einfaltspinsels zu schaffen. Sie mögen mich wegen dieses Ausdruckes entschuldigen; aber ist es glaublich, daß wir, die Zuschauer des neunzehnten Jahrhunderts, die wir endlich begreifen, was Don Juan ist, noch immer verurtheilt sind, die Finalscene des wunderbaren Meisterwerkes in den mythologischen Tartarus versetzt zu sehen, der von einer Legion Comparsen überschwemmt und förmlich dadurch lächerlich gemacht wird, indem sie mit allen möglichen Farben beschmiert sind, ungeheure Perücken auf dem Kopfe sitzen haben, mit rauchenden und übelriechenden Fackeln um Don Juan herumhüpfen, und welche gleich den etlichen dreißig Kindern, männlichen und weiblichen Geschlechtes, des der Vielweiberei angeklagten Rochus Pumpernickel, um ihren vorgeblichen Vater herumtanzen, der sie zu allen Teufeln wünscht34. Es bedürfte sicher keines großen Aufwandes von Phantasie, um an die Stelle dieser unwürdigen Darstellungsart eine andere, weniger lächerliche und passendere zu setzen. Haben wir denn nicht die Phantasmagorie? Nun, so lasse man im leeren Raume drohende Gespenster vorüberschweben, gräßliche Larven mit von Wuth verzerrten Gesichtszügen oder grinsend von teuflischem Lachen; man mische des Contrastes wegen [348] einen Zug junger und bleicher Frauenbilder darunter, die ihre Liebe zu Giovanni mit dem Leben gebüßt haben, und die ihn betrachten und zu beweinen scheinen. Ist dieses Bild nicht nach dem Geschmacke der Leser, so ist hier ein anderes. Die Verschwindlöcher öffnen sich, und speien Ströme von Flammen aus; die Donnermaschine thut ihr Möglichstes in ihrer olympischen Remise; die entzündeten Coulissen-Stücke der Decoration, welche sich nicht verändert, fallen nach einander mit Lärmen ein; Phantome fliegen nach allen Richtungen durch diese Feuersbrunst. Man darf diese singenden Gespenster nicht sehen, und statt daß der Chor Unisono vorgetragen wird, wie es vorgeschrieben ist, könnte man ihn in verschiedenen Octaven singen. Wir glauben selbst, daß Sprachröhren hier am Platze wären. In diesem Lärmen drückt Giovanni, den Dämonen überlassen, jedoch nur innerlich und frei in seinen Bewegungen, noch mehr durch sein Spiel als durch seinen Gesang, den man schwer gut hören könnte, die Qualen aus, die er erleidet. Und wenn die Schluß-Cadenz kommt, eine in die Länge gezogene Kirchen-Cadenz, stürzt die Mauer im Hintergrunde zusammen, und läßt bei den ersten Strahlen der Morgenröthe im Geist des Commandeurs sehen, der gen Himmel schwebt mit dem Bilde einer vor ihm knieenden Frau auf derselben Wolke. Diese Frau hält eine Palme in der Hand, und ein Schleier bedeckt ihre Gesichtszüge. Ein Blitz, der von dieser himmlischen Vision ausgeht, trifft Don Juan, der todt unter den Trümmern seiner verdammten Wohnung zusammenstürzt.

Wie sonderbar! Obgleich beide Verfasser unserer Oper bei ihrer Arbeit in Shakespeare's Fußtapfen getreten waren, indem sie dem poetischen und theatralischen Styl ihrer Zeit Trotz boten, unaufhörlich das Komische mit dem Tragischen vermischten, so glaubten doch Da Ponte und Mozart der willkürlichsten der [349] Regeln, die ehemals dem lyrischen Drama auferlegt war, sich unterwerfen zu müssen; der Regel nämlich, welche verlangt, daß sämmtliche Personen sich am Ende vereinigen und nach der Reihenfolge ihrer Stimmlage sich in gerader Linie aufstellen sollen, um sich bei dem Publicum für die Zeichen des Beifalls oder Mißfallens zu bedanken, welche ihnen während der Aufführung zu Theil geworden sind. Allerdings konnten unsere Verfasser dieser Vorschrift der Höflichkeit nicht der ganzen Strenge nach nachkommen, weil der Held des Stückes todt war, und das Phantom keine zweite Sendung in der Absicht bekam, dem Publicum seine Reverenz zu machen. Man begnügte sich daher, die Lebenden zu versammeln, daß diese sängen und sich verabschiedeten, wodurch das Finale um drei überzählige Tempo's vergrößert wurde: ein Allegro assai, ein Larghetto und ein Presto. Wir werden sie nicht prüfen; erstens, weil man sie nie auf dem Theater executirt35; dann, weil sie keinen Theil der Handlung mehr ausmachen; drittens, und das ist das Schlimmste, weil sie eine abgeschmackte Lüge hinsichtlich der handelnden Personen sind. Wer sieht nicht klar ein, daß dieser ganze Weg von Leidenschaften, Bezauberungen, Thorheiten und Wunder, ohne Widerkehr mit dem untergegangen ist, der der Mittelpunct und das bewegende Element derselben war. Anna, die erhabene Reaction der moralischen Ordnung der Dinge gegen das Princip, dessen Feindseligkeit alle Grundlagen desselben zugleich angriff, ist nicht mehr Anna. Sie hat mit der Ursache aufgehört, welche sie hervorgebracht hat; sie ist erloschen, wie das Feuer des Himmels erlischt, nachdem es die verworfenen Städte verzehrt hatte, deren Grabstätte das todte [350] Meer bildet. Sobald Anna todt ist, wird Octavio unmöglich. Seine Beschaffenheit ist der Art, daß er seine Geliebte nicht eine Minute überleben konnte, denn sie machte sein ganzes musikalisches und dramatisches Dasein aus. Was Leporello betrifft, so werden Einem die Aerzte sagen, daß er während der beiden letzten Scenen so viel gesehen und gehört hat, daß er sich die Rechte auf eine lebenslängliche Versorgung in einem Irrenhause erworben habe. In der That, es handelt sich bei ihm wohl darum, all' osteria (in's Wirthshaus) zu gehen und dort einenpadron miglior (bessern Herrn) zu suchen. Nein, nein, Leporello hatte und wird in seinem Leben nie mehr als einen Herrn haben. Soll ich von Elvira reden? Ach! Sie ist bewußtlos niedergesunken, als sie von Don Giovanni weggegangen war. In diesem Augenblicke liegt die gute Frau an einer Gehirnentzündung erkrankt zu Bette. Sie hat wenigstens sechs Wochen lang damit zu thun. Elvira versammelt ihre Freunde und Verwandten um sich, und sagt ihnen: In men vado in un ritiro a finir la vita mia (Ich werde mich in die Einsamkeit zurückziehen und dort mein Leben beschließen), sonst nichts, und wir können diesen frommen Entschluß nur billigen, obgleich dieser den Zuschauer nichts angeht. Es bleiben jetzt noch Zerlina und Masetto. Man nimmt gern mit dem Dichter an, daß die beiden Gatten an ihrem Hochzeittage mit einander gegangen sind cenar in campagnia (zusammen zu Nacht zu essen); doch muß man zur Ehre des Masetto glauben, daß ihr Nachtessen um die jetzige Stunde längst vorüber sein muß. Zerlina, bei welcher alle die Beziehungen ausgehört haben, welche aus ihr eine dramatische Person gemacht, ist nicht die Zerlina Don Juan's, sondern die Masetto's, von nun an sicher eine kleine muthwillige Klatschbase, die ihren Mann an der Nase herumführt. Auf diese Weise zieht die großartige Gestalt Giovanni's [351] Alles in seinen Fall hinein, was ihm zum Relief, zur Einfassung oder zum Contrast gedient hatte. Alles stirbt oder verwischt sich mit ihm.

Die drei letzten Tempi des Finales sind also ein ungeheurer Verstoß gegen alle Principien der Kunst; in sofern aber nicht wohl ein Fehler leichter zu verbessern ist, und auch bei der Vorstellung stets verbessert wird, so wäre das Uebel, ich gebe es zu, nicht sehr groß, wenn die Musik, die man unterdrückt, nicht besser als ihr Text wäre. Unglücklicherweise verhält es sich aber nicht so, und alle Liebhaber werden mit Bitterkeit die verlorene Arbeit des herrlichen fugirten Chores beklagen: Questo è il fin di chi fa mal.

Nachdem wir mit unserem Artikel zu Ende sind und die Seitenzahl gezählt haben, unterwerfen wir uns im Voraus den nur zu gerechten Vorwürfen, welche uns über eine so außerordentliche Länge gemacht werden; andere Ausstellungen gar nicht zu rechnen. Wie Vieles haben wir aber abgekürzt oder vielmehr der Nothwendigkeit geopfert, um damit zu Ende zu kommen; wie Vieles ist uns entgangen, das Andere nach uns auffinden werden, gerade wie wir glauben, manche Lücken in den Bemerkungen unserer Vorgänger ausgefüllt haben. Tausende und tausende von Federn haben sich in Bewegung gesetzt, um die Dichtungen Homer's, Virgil's und Dante's, die griechischen und französischen Tragödieen, Shakespeare zu commentiren, und doch haben sie den Stoff nicht erschöpft. Sollte Don Giovanni, die höchste Schöpfung der dramatischen Tonkunst, der kritischen Ernte ein weniger fruchtbares und weniger weites Feld bieten? Das größte, sagen wir, auch selbst in Beziehung auf unser Jahrhundert. Heut' zu Tage, da die Vernunft ohne Gängelband geht, und Gott weiß, wie gerade sie geht, ist man im Allgemeinen ein größerer Freund [352] der Musik, als der Verse, und zwar nicht ohne Grund. Insofern die Musik unter allen Formen der künstlichen Poesie die kräftigste, die seiner Natur vertrauteste und am wenigsten widerstreitende ist, weil sie nur in ihren Anwendungen und nicht in ihrem Princip Urtheilskraft verlangt, so sagt sie dem Jahrhunderte um so mehr zu, je mehr sich dasselbe in die Prosa und den Skepticismus vertieft, gerade wie die extremen Heilmittel bei verzweifelten Krankheitsfällen helfen. Man glaubt noch an die Musik, weil es unmöglich ist, nicht an die Wirklichkeit einer individuellen Empfindung zu glauben; und wenn zufälliger Weise diese Empfindung die intuitive Darstellung irgend einer großen religiösen oder moralischen Wahrheit ist, so vermag der uns innewohnende kritische Geist nicht, sie zu brandmarken. Das ist der Grund, warum die Musik heut' zu Tage so hoch in Ehren steht.

So lange daher die musikalische Kunst bestehen wird, so lange der Rhythmus, die Melodiee und Harmonie ihre Grundlage bilden wird, so lange wird Don Juan die erste Stelle einnehmen. Mag er eines Tages von dem europäischen Repertoire verschwinden, ja noch mehr, mag man das ganze Libretto desselben ausmerzen als eine unnöthige Umhüllung, so werden die wahren Liebhaber das Sujet auf diese Musik neu componiren. Dann wird Jeder selbst der Held des Dramas werden. Es wird dann eine vertraute Selbstbiographie daraus, die in Noten geschrieben ist, und welche man unmöglich anders hätte machen können; eine Geschichte, deren Epochen und Daten die Momente bilden werden, nach welchen wir innerlich unsere Existenz berechnen; unsere leidenschaftlichsten, süßesten, stürmischsten und feierlichsten Stunden; unsere poetischsten Schmerzen, unsere berauschendsten und leider zu oft auch die schuldigsten Genüsse. Alle werden sich in diesem Werke erkennen, [353] welches Mozart mehr als irgend ein anderes nach seinem Bilde schuf, und das so vollständig ein verschwenderisches und verhängnißvolles Leben in sich schließt, welchem nichts, was menschlich ist, fremd bleiben durfte. Einige werden vielleicht unter zauberischen und deßhalb für sie um so trostloseren Farben das verbrecherische Glück erblicken, welches ihrem Geschicke fehlte, und das sie in allen ihren Träumen verfolgen; dem sie im wachen Zustande unter den heißesten Wünschen nachjagten, und dessen Abgang ihrem Leben, in der Jugend wenigstens, die bitterste Täuschung bereitete. Unsinniges Bedauern, Wünsche, welche das Geschick nie erhört, ohne uns grausam dafür zu bestrafen. Ist der Tod nicht der wahre Zweck des Daseins, wie Mozart sich ausgedrückt hat? O Ihr! die Ihr Giovanni gleichen möchtet, und die Ihr es nicht konntet, hört die letzte Scene der Oper, eine Scene, ohne welche Don Juan das unmoralischste der Meisterwerke wäre, und welche dagegen die erhabenste und realste aller poetischen Lehren aus ihm macht; eine Scene, welche allein das Gegengewicht zweier langen Acte von Thorheiten, Verirrungen, Leidenschaften und Verbrechen bildet, und alle vorhergehenden Eindrücke des Werkes verwischt und allein alle Schönheiten aufwiegt. Man denke sich, daß eben diese Scene das Drama des Lebens für Jeden schließt, und dann, statt thörichter Weise Giovanni als ein ideales Wesen zu beneiden, wird Einen ein wohlthätiger Schrecken bei dem Grabmale des Commandeurs erfassen, und man wird sich im Gebete mit seiner Tochter vereinigen und einem Glauben anschließen, den man nicht abschwören kann, ohne sich seiner Würde als Mensch zu entkleiden.


Schlußbemerkung zur Analyse des Don Juan.

[354] Es wird noch auf so manchen Bühnen Deutschlands gegen die einheitliche Totalität des Don Juan gesündigt, daß es Pflicht ist, jede Gelegenheit zu ergreifen, um gegen eine solche Entweihung eines der eisten Kunstwerke aller Zeiten Einsprache zu thun. Noch wird auf vielen Bühnen diese Oper ohne die Recitative gegeben und deren Stelle durch einen Dialog ersetzt, der eines Lipperltheaters würdig ist. Noch muß man die abgedroschenen, schlechten Witze der eingeschalteten Gerichtsscenen à la »Czaar und Zimmermann« anhören, noch die Prügeleien, Purzeleien und Stolpereien der Bauernscenen ansehen, noch ist Leporello, der seinen spanischen Namen (Hasenfuß) nie ganz verläugnen sollte, häufig ein Clown, wie ihn die englische Volksbühne kaum derber zeigt, oder Masetto ein holländischer Boer statt eines spanischen Campesino, noch hetzen Teufel und Teufelchen mit Pechfackeln und Flammengabeln den Helden des Stückes wie ein wildes Thier auf der Bühne herum und zupfen und zerren bis er in den Rachen des Höllendrachen stürzt, noch fehlen die drei Musikantenorchester auf der Bühne, ohne welche die Musik in den betreffenden Scenen unverständlich oder trivial wird. (Glücklicher Meyerbeer! in deinem Nordstern verwendet man alle Mittel, welche Orchester und Garnisonsmusiken darbieten, um den Knalleffect deiner drei gleichzeitigen Musikchöre im Finale des zweiten Altes prunkwürdig auszuführen!) – und das Alles in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, in einer Zeit, die es sich wegen ihrer eigenen kunstschöpferischen Armuth zur Pflicht machen sollte, die reichen, so lang verschmähten Gaben einer großen Vergangenheit zu verwerthen, um neuen Bildungsstoff daraus schöpfen zu können. Einen Don Juan mit vollen Recitativen und den nachcomponirten Arien konnte man langezeit nur in italienischen Opernhäusern hören. Ja, die Italiener haben solchen Respect vor dieser musica metafisica, wie sie Mozart's Musik nennen, daß kein Mißton in der Harmonie der Totalität vorkommen darf. Uebernahmen ja stets die größten Sänger die untergeordneten Rollen – Lablache senior den Leporello, Rubini und Mario den Ottavio, die Persiani die Zerlina, während auf deutschen Bühnen seit Jahrzehnten das vollendetste aller Tonbilder mit dem äzenden Firniß der niederen Posse überzogen und in solchem fleckigen Zustande als Meisterwerk Mozart's ausgestellt wurde. Erst bei der hundertjährigen Feier von Mozart's Geburtsjahr (1856) wurden Vesruche gemacht, durch Abtragung des Firnißes das Bild zu restauriren. Wie ganz anders sah es jetzt aus! Der harmonische Grundton, der von den Grausen erregenden Accorden der Ouvertüre bis zu ihrer noch grausenhafteren Wiederholung im Finale des zweiten Actes, alle die bunten Scenen sich unterordnet, wurde nicht mehr durch das Juchhe »paradiesischer« Entzückung unterbrochen, und die rächende Hand der Nemesis blieb mit dem Finger deutend durchaus sichtbar, bis sie Don Juan mit ihrem kalten er faßte. Auch erwiesen sich die Einlegestücke, selbst die »Buchbinder-« [355] und die »Thränen-Arie« als höchst willkommene Novitäten, welche sowenig die Einheit störten, daß sie vielmehr zur schöneren Verschmelzung der Grundfarben beitrugen. Nur über den richtigen Platz der Einlage hat man sich noch nicht verständigt. Ulibischeff hat hierüber seine Ansicht mit richtigem Geschmacke angedeutet. Der Usus mancher Bühnen richtet sich übrigens in dieser Beziehung nach den Vorschlägen, welche Gottfried Weber über die vier sogenannten Einlegestücke in der Cäcilia (Bd. XI.) gemacht hat, welcher sagt:

»In der That ist das Auslassen und gänzliche Ignoriren dieser Stücke ordentlich durch allgemeine Annahme sanctionirt, sowohl in den Clavierauszügen als auch bei den Aufführungen auf unsern Bühnen, so daß man schier gar nicht mehr anders weiß, als daß diese Stücke gar nicht dazu gehören. Aber fragen möchten wir denn doch einmal, auf welchem guten Grunde diese nun einmal bestehende, allgemeine Annahme denn wohl beruhen soll?

Betrachten wir diese sogenannten Einlegestücke zuerst einmal an sich selber und in ihren Beziehungen auf das Stück selbst und fragen dann, inwiefern sie als Einlegestücke im gemeinüblichen Sinne des Wortes als überzählige Zuthat betrachtet werden können? Wir wollen sie aufzählen:

1. Don Juan hat im ersten Acte die unglückliche Elvira auf offener Straße stehen und hohnlachend seinen Bedienten ihr zur Gesellschaft zurückgelassen, welcher sie vollends durch Vorzeigung und Auszählung des Liebschaftenverzeichnisses seines Junkers verhöhnt. Sie sieht und hört es schweigend an und geht (so ist es wenigstens bei unsern Theatervorstellungen gemeinüblich) schweigend ab. Das ist nun in der That denn doch ein etwas gar zu matter und wirklich unvortheilhafter Abgang für die unglückliche Personage, deren ganzem Charakter ja solch stilles Dulden auch gar nicht ähnlich sieht. Dieser offenbare Fehler des Operndichters mochte denn wohl demnächst bald fühlbar geworden sein und Mozart gab der Elvira statt jenes stummen Abganges, hier eine Scene und Arie. Angehört hat sie die Schilderung der zahllosen Treubrüche des geliebten Verräthers entrüstet, doch mit schweigender Indignation hat sie es vernommen; jetzt aber sieht sie sich allein und die Gefühle ihres zerrissenen Herzens brechen nun in die Worte aus:Recit.: ›In quai eccessi, o Numi! in quai misfatti orribili, tremendi e avvolto il sciagurato! Ah! no! non puote tardar l'ira del cielo‹ etc. Arie: (Es-dur 4/4) ›Mi tradì quell' alma ingrata‹ – ›In welches Elend, o Himmel! in welche schreckliche martervolle Qualen stürzt mich der freche Sünder! Nein! nein! des Schicksals Rache kann nicht länger zögern‹ – ›mich betrog der Undankbare‹ – und mit diesem Bekenntniß auch jetzt noch unbesiegbarer Liebe zum Treulosen verläßt sie die Scene. Das ist das erste sogenannte Einlegestück, nach welchem sodann das leichtfertige Chörchen (G-dur6/8) der in Lustigkeit losgelassenen Dorfmädchen und Jungen in doppelt angenehmerem Contraste eintritt, als wenn es, wie sonst, unmittelbar nach Leporello's muthwilliger Arie (D-dur) folgt.

2. Don Juan faßt die hübsche Braut auf's Korn und möchte sich wohl der Gegenwart des Bräutigams entledigen. Leporello, auf einen wohlverstandenen Wink seines Herrn, nimmt den Bauerntölpel in Beschlag und promo virt ihn, vom Blinken der Klinge des Junkers unterstützt,nolens volens in's Haus hinein. Er geht, scheltend, aber ohne ein Wort zu singen, was in der Oper eigentlich so viel heißt, wie ohne ein Wort zu sagen. – Ist es hier nicht weit angemessener, daß er vor solchem Abgehen[356] Etwas in Tönen sage? – Das hat nun Mozart auch gethan, er hat dem armen, von seiner Braut verscheuchten Jungen eine der Situation gar herrlich entsprechende halbkomische Arie (F-dur Allegro) gegeben, in welchem er, auf dem Sprunge, sich aus dem Staube zu machen, sowohl seine Zerline als ihren neuen Galan erst noch mit dem natürlichsten dèpit amoreux apostrophirt: ›Ho capito! Signor! si! etc. Briconaccia! Malandrina!‹ – Hab's verstanden, gnäd'ger Herr? Ha! du falsche, glatte Schlange! etc. Das ist das zweite sogenannte Einlegestück, dessen gemeinübliches Wegbleiben übrigens auch darum insbesondere noch mehr zu bedauern ist, weil nach dieser Zankscene das folgende zärtliche Duettino des Junkers mit der Braut sich unfehlbar vortheilhafter herausheben muß, als wenn es unmittelbar auf das fröhliche Hochzeitschörchen folgt.

3. Das dritte Stück ist eine anmuthige Tenor-Arie des Ottavio (Andante G-dur2/4) warm und treu, wenn gleich ohne excentrische Glut, ganz wie der biedere, aber überall blos secundäre, blos passiv mit empfindende, zur That nur durch seine Anna angetrieben werdende Ottavio selber und wie er selbst ganz dazu gemacht, als Contrast zwischen der vorhergehenden leidenschaftlichen Arie, der ihn zur Rache antreiben thatkräftigen Anna und dem darauf folgenden Champagnerliede des überkräftigen Don Juan zu stehen. Wenn irgend Jemand noch zweifeln sollte, ob der Dichter und der Componist etwas Anderes aus der Personage des Ottavio hatte machen wollen, als einen Amanten der eben beschriebenen secundären Gattung, so würde jeder Zweifel sich lösen müssen, durch diese die Intention authentisch interpretirende Arie:›Dalla sua pace la mia dipende, quel che lei incresce, morte mi da, s'ella sospira, sospir' anch' io‹ – von ihrem Frieden hängt der meine ab, was sie bekümmert, gibt mir den Tod, wenn sie seufzet, seufz' auch ich – etc. und so erscheint denn auch diese Nummer als zur Vollendung des Gemäldes integrirend. –

4. Endlich: Leporello will nach dem Sextett des zweiten Actes sich mit kurzem Abschied aus dem Staube machen; er hat aber (das ist der Inhalt des vierten Einlegestücks) das Unglück, durch Zerlinen's List festgehalten (oder vielleicht wieder eingefangen) und so tüchtig geknebelt zu werden, daß an kein Entlaufen mehr zu denken ist. Hier entwickelt sich denn ein über die Maaßen lebendiges interessantes Duett zwischen dem Gefangenen und seiner schönen Hüterin, welche er, durch Fuchsschwänzereien aller Art zu erweichen und zu bewegen sucht, ihn wieder entwischen zu lassen, statt wessen aber die wuthentflammte Schöne (›son una tigre irata‹) ihm die Bande nur immer fester zuschnürt; eine Scene, welche durch die frische Lebendigkeit der herrlichen Musik, zumal wenn sie durch geschicktes Spiel unterstützt wird, schon an sich selber nicht anders als von der vortrefflichsten Wirkung sein kann, außerdem aber auch namentlich durch ihren Contrast gegen die darauf folgende Kirchhofscene, die Wirkung dieser letzteren noch erhöht. – Es verdient insbesondere von dieser Scene bemerkt zu werden, daß Mozart sie durch ein recitativo parlante einleitet, in welchem er eben die Figur


4. Il Dissoluto Punito ossia Il Don Giovanni

fortführt, mit welcher kurz vorher Leporello sich zu scüsiren im Begriff gewesen, so daß Mozart also die Scene recht eigentlich innig und als Fortsetzung der vorhergehenden an dieselbe integrirend angeknüpft hat.

[357] Dieses sind die sogenannten vier Einlegestücke. Und wir fragen nun: sind diese in den Gang des Stückes so eingreifenden, dem Geiste des Ganzen entsprechenden und zum Theil sogar durch die Situation als nothwendig befundenen Tonstücke, sind sie als Einlegestücke im gemeinüblichen Sinne des Wortes zu achten? etwa wie eine Arie von Rossini, welche ein Sänger in eine Oper von Weber einlegt, um sich darin produziren zu können? – Wer hat uns das Recht, wer die Verwegenheit verliehen, solche vom Componisten selbst in seine Oper eingefügten herrlichen Musikstücke auf unsern Bühnen fast nie singen zu lassen und ebenso auch sie in unsern meisten Clavierauszügen zu unterdrücken? Es erscheint aber insbesondere auch darum um so fugloser, sie als solche zu behandeln, wenn man die urkundliche Geschichte ihrer Entstehung betrachtet.

Hierzu gibt uns Mozart's eigenhändiger Katalog den Stoff. Wir finden in demselben, als Nr. 67, unterm 28. October 1787 die Oper: Don Juan eingetragen als aus 24 Stücken bestehend – und dann unterm 24., 28. und 30. April des folgenden Jahren als Nr. 79, 80 und 81 des Katalogs die erwähnte Arie Ottavio's, das Duett der Zerline mit Leporello und die Scene der Elvira.

Hier also für's erste der Beweis, daß diese drei Stücke keineswegs als einzelne Einlegestücke componirt worden sind, sondern daß Mozart, kurz nachdem er die aus 24 Stücken bestehende Oper eingeschrieben hatte – diese drei Stücke auf einmal und unmittelbar nacheinander, innerhalb sechs Tagen und also nach einem zusammenhängend gedachten Plane seinem Werke einfügte, demnach keineswegs einzeln als leidige Einlagen, um etwa der Prätension heute dieser, morgen jener Sängerin genug zu thun. –

Fragen wir aber ebenso nach der Entstehungsgeschichte der Abgangs-Arie des Masetto, so finden wir diese im Kataloge gar nicht eigens angeführt und hierin also den Beweis, daß dieses Stück sogar schon unter den ursprünglichen 24 begriffen sein muß, womit die Zählung derselben auch ganz gut übereinstimmt.

Und noch einmal fragen wir nun, auch nach diesem Allen: wie ist es zu verantworten, daß in so vielen unserer Clavierauszüge alle diese Stücke geradezu ausgelassen sind, als ob sie gar nicht existirten und daß unsere Theater-Directionen sie bei den Aufführungen so häufig, ja beinahe gewöhnlich geradezu auslassen, so daß ein großer Theil des Publikums wohl gar nicht einmal weiß, daß sie existiren, (gerade wie es großentheils gar nicht weiß, daß bei den Aufführungen des Don Juan vom letzten Finale gemeinüblich ein ganzes langes Allegro, ein großes ausgeführtes Larghetto und ein langes Presto finale weggestrichen wird).

Das also ist die Ehrfurcht gegen Mozart, welche unser Zeitalter so unausgesetzt im weit aufgesperrten Munde trägt, indeß man, dicht neben dem Schwalle specieus klingender Wortmacherei in der Wirklichkeit ganze, seinem eigenhändigen Kataloge zufolge, unbezweifelt ächte Tonstücke, welche er nach überdachtem Plane zu integrirenden Theilen seines höchsten dramatischen Werkes, seines Don Juan, gemacht hatte, ihm willkührlich frevelnd wegstreicht, und sich vermißt, darüber abzusprechen, es sei besser, sie wegzulassen – wegzulassen nicht blos auf der Bühne, sondern selbst auch in gedruckten Ausgaben.« –

Ueber eine angemessene Bühnen-Darstellung des Don Juan haben sich in nenester Zeit mehrere öffentliche Stimmen ereifert, so z.B. der bekannte Anti-ZukünftlerDr. Viol in Breslau in der Einleitung zu seiner neuen Uebersetzung des italienischen Textes[358] zu Don Juan, und der als Kunstkritiker so hoch stehende, leider zu früh verstorbene Franz Kugler, welcher in dem von uns schon in der Schlußbemerkung zu Figaro erwähnten Aufsatze, über den ursprünglichen Schluß der Don Juan folgende beachtungswerthe Bemerkungen macht.

»Ein entschiedener Fehler des Don Juan, in der Dichtung, wie zum Theil in der musikalischen Ausführung, ist der auf unsern Bühnen in der Regel wegfallende Schluß, in welchem, nachdem Don Juan von den Rachedämonen davon getragen ist, die übrigen Personen des Stückes wieder auftreten, von Leporello das Vorgefallene erfahren, ihre gegenseitige Verhältnisse bestimmt ordnen und mit einem Sextett betreffenden Inhalts, in das einem etwas strengen Style gehalten ist, die durch das Vorige tief erregten Gefühle beruhigend ausklingen lassen. Nach der höchst ergreifenden Handlung, welche Don Juan's Ende herbeiführte, nach dem tief tragischen Effecte derselben, muß dieß handlungslose Thun nothwendig einen abkältenden Eindruck hervorbringen. Es kommt hiezu, daß das in diesen Scenen enthaltene Duett zwischen Octavio und Donna Anna, wenn es auch an einer andern Stelle und in einer andern Oper nicht ohne Weiteres zu verachten wäre, doch nur von mattem Eindruck ist, doppelt matt, wenn man Donna Anna's charaktervolle Größe, – ihre so innerlichste sittliche wie geniale Bedeutung, der Genialität Don Juan's gegenüber, erwägt, wenn man ihrer letzten, großen Arie gedenkt, die schon wie das Vorgefühl ihrer sittlichen Verklärung in dem Stücke dasteht. Man hat daher das Bedürfniß empfunden, der Oper einen Schluß zu geben, der mit ihrer ganzen tragischen Bedeutung in würdigem Einklange stände. Nur dürfte dazu freilich kein andrer als Mozart selbst berufen, dürfte kein Machwerk andrer Hand angeflickt sein. Es wurde mir erzählt, Berlioz habe den Gedanken gehabt, auf die gewaltig bewegte Scene, welche das Ende des Helden darstellt, ein Stück aus Mozart's Requiem folgen zu lassen; die Scene habe sich in eine Kirche verwandelt, in welcher man den Katafalk des Don Juan stehen gesehen, die brausenden Zorneswogen desDies irae seien erschallt und hätten so das Stück auf eine wahrhaft majestätische Weise zu Ende geführt. Der Gedanke hat etwas überraschend Imponirendes, die ergreifende musikalische Pracht, die er zum Ausklingen der Oper in Anspruch genommen, mußte in der That von großer Wirkung sein. Bei näherer Betrachtung will er mir indeß doch nicht ganz stichhaltig erscheinen. Schon in seinem Grundmotive nicht. Eine kirchliche Todtenfeier für Don Juan, für den der Hölle bereits Verfallenen, – die hier doch immer, abgesehen von dem näheren Inhalte des Gesanges, das Gegebene ist, scheint nicht sonderlich am Platz. Dann ist das Dies irae an eigentlichem Inhalt und an künstlerischer Ausführung doch nur eine Wiederholung dessen, was die vorangegangene Scene im engern dramatischen Rahmen schon angedeutet hatte, gibt gerade dies Musikstück, für sich allein genommen, auch nicht das, was wir hier vorzugsweise bedürfen – den künstlerischen Ruhegesang.

Von einer solchen Auffassung ausgehend habe ich geglaubt, der Berlioz'schen Idee, – die mir an sich, in der Herbeiführung des Schlusses durch ein Stück des Mozart'schen Requiems, so durchaus glücklich erschien, – eine andre Wendung geben zu dürfen. Die Darstellung einer Leichenfeier war die naturgemäße Veranlassung zur Ausführung eines derartigen Musikstückes; nur darf es keine Feier für Don Juan sein: wohl aber scheint es mir völlig passend und im Einklange mit dem ganzen Inhalt des Stückes, eine kirchliche Gedächtnißfeier für den Comthur vorauszusetzen. Aber diese Schlußscene (so völlig kurz ich sie mir in der Ausführung denke) darf zugleich nicht [359] ohne genügend vorbereitende Motivirung eintreten. Auch dies indeß läßt sich mit sehr mäßiger Abänderung in dem Vorangehenden leicht bewerkstelligen, – ganz besonders dadurch, daß die Dekoration dieser Schlußscene dem Zuschauer schon vorher gegenübergeführt und dabei zugleich Gelegenheit genommen wird, die wenigen Worte, die zur vorbereitenden Exposition nöthig sind, auszusprechen. Hiezu wähle ich die Scene, in welcher das Steinbild des Comthurs zum Gastmahl eingeladen wird. Statt jenes Lokals im Freien, in welchem das Reiterstandbild steht, nehme ich für diese Scene das Innere einer Kapelle an, in welche der Mondenschimmer hereinfällt36. Hieher, wie in ein gewohntes Asyl, kann sich Don Juan und kann sich hernach Lepo rello eben so gut flüchten, als in jenen offenen, von einer doch nicht gar hohen Mauer umgebenen Raum. Hier steht das Denkmal des Comthurs, freilich nicht als Reiterfigur, sondern als einfache Statue zu Fuß, was der Gallerie wiederum vielleicht weniger zusagen, was aber schon an sich gescheiter sein wird, indem eine Reiterfigur aus Stein (statt etwa aus Bronze) in technischem Belange ein bedeutend mißliches Ding ist, was zugleich künstlerisch noch reiner wirken dürfte, und was eben in diesem künstlerischen Bezuge doppelt wünschenswerth ist, um die Gestalt schon hier völlig in derselben Haltung zu zeigen, wie sie hernach in das Gastmahl des Don Juan eintritt. In der Kapelle sind die Vorbereitungen zu der bevorstehenden Feier bereits zu erkennen, und Don Juan kündigt die letztere, dies bemerkend, mit ein Paar spöttelnden Worten an. Es wird gut sein, wenn auch Donna Anna in der folgenden Scene, in den Worten des einleitenden Recitativs, als Grund für ihr ablehnendes Verhalten gegen das eilig drängende Werben Octavio's, ganz kurz anführt, daß die kirchliche Trauerfeier für den Vater ja noch nicht einmal abgehalten sei. Dann kommt das Finale mit seiner rauschenden Lust, mit seinem dämonischen Entsetzen. Die Bühne hat hier durchaus keine Tiefe; es darf, dem Inhalte entsprechend, durchaus kein Saal, durchaus nur ein mäßig großes, behagliches Gemach sein. Mit dem Verschwinden des steinernen Gastes brechen die Dämonen herein, – Gestalten, in denen das Entsetzensvolle, der grausen Schönheit antiker Furien ähnlich, geadelt und künstlerisch anschaubar erscheint. Es wird finster, Flammen zucken hier und dort empor, Wolkenflöre senken sich über Alles, was die Lokalität bezeichnet, nieder. Wenige schmetternde Accorde leiten am Schluß der Scene nach B-dur hinüber. Die Wolkenflöre theilen und heben sich; wie in eine Vision sieht man in jene Kapelle hinein, in welcher das Bild des Comthurs steht und durch deren gemalte Fenster, mehr und mehr emporleuchtend, der junge Morgen hereinbricht. Alles ist zu der heiligen Feier versammelt, vor den Uebrigen Donna Anna und Octavio (dem ich hier seine Anwesenheit so wenig erlassen kann, wie in der letzten großen Arie Anna's, bei welcher ihn unsre Bühne gewöhnlich undramatischer Weise, durch einen von ihm geschriebenen Brief ersetzt). Alles bleibt aber durchaus im Hintergrunde der Bühne, vielleicht sogar durch einen durchsichtigen Flor von dem Vorraume geschieden. Ein ebendort befindliches Orchester übernimmt die Begleitung und Anna intonirt, in kirchlicher Heiligung die Ruhe nach dem Untergang des Feindes findend, das fromme ›Lux perpetua luceat ei,37 Domine, cum [360] sanctis tuis in aeternum, quia pius es‹ (aus Nr. 12 des Requiems). Der ferne Chor führt das kleine Stück weiter fort und schließt demselben, als eigentlichen kürzen Schlußgesang, – nicht sowohl der Worte als der musikalischen Behandlung wegen, welche zum einfachen Abschluß des Ganzen so vorzugsweise geeignet ist, – das ›Osanna in excelsis‹ (aus Nr. 10 des Requiems) an. Während des Osanna fällt, ganz langsam, der Vorhang.

Ich denke mir diese Schlußscene nicht sowohl dramatisch gehalten, als vielmehr nur wie ein Bild erscheinend, nur wie symbolisch wirkend. Daher diese beiden kurzen Musikstücke, deren Ausführung nur wenige Minuten erfordert, die aber völlig hinreichen, den versöhnenden Gegensatz gegen das Vorige hereinzuführen, in der kurzen, durch Donna Anna gesungenen Intonation doch bestimmt die geweihte Sphäre zu bezeichnen, in welche ihr Gemüth sich erhoben. Daher die kirchlich feierliche Ausstattung, die sich durch das hereinbrechende Licht glanzvoll entwickelt und bei der prächtigen Wiederaufnähme des Et lux perpetua luceat ei, am Schluß des ersten Stückes, durch die volle Glut der Morgensonne, welche hier durch die farbigen Bilder der Fenster hereinstrahlt, zur erhabensten Wirkung gesteigert. Aber die einfache Andeutung ist Alles, was hier noch gegeben werden darf; und so senkt sich der Vorhang schon bei dem kurzen Schlußgefange des Osanna wieder über das Bild herab.

Ich muß es dahingestellt sein lassen, ob unsre Bühnen sich geneigt finden werden, von dem Vorschlage einer derartigen Beendigung des großen Meisterwerkes Gebrauch zu machen.«

Möge dieser Vorschlag Kugler's Beherzigung finden, und recht bald auf deutschen Bühnen ein Versuch damit gewagt werden, auf daß auch kein Tüpfelchen mehr zur vollendeten Darstellung des vollendetsten dramatisch-musikalischen Kunstwerkes, das bis jetzt die Tonkunst geschaffen hat, fehlen möge.

(G.)

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 207-361.
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