Erstes Kapitel.

Mozart's Kindheit.

1756–1762.

[3] Eine neue Wissenschaft, die Philosophie der Geschichte, lehrt uns die nothwendige und vorausbestimmte Verbindung gewisser, vom menschlichem Willen unabhängigen Thatsachen zu entdecken, welche der Zufall in ihren jetzigen Zusammenhang gebracht zu haben scheint. Aber was ist die Geschichte im weitesten Sinne des Wortes? Ist es nicht die Gesammtheit aller merkwürdigen Begebenheiten, welche auf unserer Erde, seit sie bewohnt ist, geschehen sind? Wenn man daher die leitende Hand der Vorsehung in den Begebenheiten anerkennt, welche das Schicksal mächtiger Reiche entschieden, und die Völker auf so verschiedenen Bahnen ihre Rollen spielen läßt, sollte man andere Begebenheiten, welche außerhalb der politischen Sphäre, dennoch zum Fortschritt der Menschheit beigetragen haben, von blos zufälligen Ursachen abhängig machen? Eine solche Unterscheidung wäre weder philosophisch noch vernünftig. Die Wissenschaften, die Literatur und die Künste können ebensowenig blindlings einherschreiten, als die historischen Begebenheiten. Warum sollten die Gelehrten, die Schriftsteller [3] und die Künstler nicht auch dieselbe göttliche Sendung erhalten haben, wie wir sie bei den an die Spitze von Nationen gestellten Männern – bei Fürsten, Eroberern oder Gesetzgebern anerkennen? Es erfordert nicht viel Scharfsinn um einzusehen, welche göttliche Sendung Peter der Große oder Napoleon zu erfüllen hatten. Und doch wird sich die göttliche Sendung jener, aus einer niederen Klasse auserlesenen Männer, welche durch geistige Eroberungen im Gebiet der Künste und Wissenschaften die Menschheit ihrer gesitteten Vervollkommnung entgegenführten, ebenso deutlich erkennen lassen, wenn man nur nicht in dem Wahne befangen ist, als gehören blos die politischen Begebenheiten in den Bereich der Weltgeschichte.

Unter den Auserlesenen dieser Klasse gibt es wohl Wenige, deren Leben und Wirken so deutlich ihre göttliche Sendung beweist, wie das Leben und Wirken Mozart's. Mozart war ein gottgesandter Tonkünstler. Andere haben dies vor mir gesagt, und dieses Buch habe ich geschrieben, um es zu beweisen!

Johann Chrysostomus Wolfgang Amadeus Mozart wurde den 27. Januar 1756 in Salzburg, der Hauptstadt des nach ihr genannten Erzbisthums, geboren. Er war das jüngste unter sieben Kindern, von denen er und eine um fünf Jahre ältere Schwester allein am Leben blieben. Er stammt aus einer Familie, welche schon im siebzehnten Jahrhundert in Augsburg ansäßig war und dem Handwerkerstande angehörte. Sein Großvater, Johann Georg Mozart, war ein Buchbinder, aus dessen Ehe mit Anna Maria Peterin, der Wittwe eines Buchbinders, mehrere Söhne hervorgingen, darunter Leopold Mozart, geboren am 14. November 1719, der Vater Wolfgangs.

Es sei uns vergönnt, zuerst einige Worte über diesen Mann zu sagen, der wohl verdient, daß man von ihm spricht, und [4] welcher überdies in der Lebensbeschreibung seines Sohnes eine so wichtige Rolle spielt.

Leopold Mozart zeichnete sich als Mensch und Künstler so sehr aus, daß er vermöge seines Charakters, seines Geistes, seiner Frömmigkeit, und seiner mannichfachen, und, wie ich glaube, für einen Musiker jener Zeit sehr seltenen Kenntnisse, eine Zierde jedes andern Standes gewesen wäre. Schon in seiner Jugend fühlte er sich beschränkt in seinen sämmtlichen Verhältnissen und strebte nach einem höheren Ziele. Während seine Brüder in der gewerblichen Stellung des väterlichen Hauses verharrten, wandte er alle Energie seines Willens und seines Verstandes an, um es zum Studiren bringen zu können. Nach langem Emporringen durch die kümmerlichen häuslichen Verhältnisse setzte er es endlich durch, Jurisprudenz studiren zu dürfen, und er begab sich zu diesem Zwecke nach Salzburg. Ohne Zweifel verschaffte er sich, theilweise wenigstens, die Mittel dazu durch Privatunterricht in der Musik, die er von Frühe auf eifrig und gründlich getrieben hatte. Nach vollendeten Studien bewarb er sich um eine Anstellung als Jurist. Seine Bemühungen waren aber erfolglos, und es blieb ihm zuletzt nichts übrig, als bei einem Domherrn in Salzburg, dem Grafen Thurn, in der Eigenschaft eines Kammerdieners in Dienste zu treten. Hier hatte er Muße, sich in der Musik zu üben; namentlich legte er sich eifrigst auf's Violinspiel, so daß er sich bald darin auszeichnete, und einen so bedeutenden Ruf als Violinist erhielt, daß der Erzbischof Sigismund ihn im Jahr 1743 in seine Kapelle nahm, und ihn später zum Hofkomponisten und endlich 1762 zum Vice-Kapellmeister ernannte.

Die Salzburger Hofkapelle gehörte stets zu den besten Deutschlands und zählte unter ihren Mitgliedern viele ausgezeichnete Künstler, [5] wie z.B. Eberlin, Michael Haydn, Adlgasser. Auch Leopold Mozart darf als Zierde derselben betrachtet werden. Wenn auch seine Compositionen das Schicksal so vieler damaliger Gelegenheitsmusik getheilt haben, und jetzt in Vergessenheit gerathen sind, so hat sich doch noch Manches erhalten, das ihn als gründlichen Theoretiker und einer höheren Weihe fähigen Componisten bezeichnet, so namentlich seine Kirchen-Compositionen, darunter eine große Litania de Venerabili, deren Original-Manuscript im Mozarteum zu Salzburg aufbewahrt wird.

Sein vorzüglichstes Werk jedoch, das ihm auch im Ausland einen bedeutenden Ruf verschaffte, ist sein im Jahr 1756 erschienener »Versuch einer gründlichen Violinschule«, den er auf seine Kosten zu Augsburg drucken ließ. Es war allerdings zu seiner Zeit der erste Versuch einer gründlichen Methode des Violinspiels, und wie vortrefflich seine Methode sich auch in praktischer Beziehung erprobte, beweist die Thatsache, daß sie lange Zeit in ganz Deutschland beliebt war, in mehreren Auflagen und Uebersetzungen erschien, und noch von Neukomm in einer umgearbeiteten Ausgabe auch für die neuere Zeit brauchbar gemacht werden konnte.

Aber nicht blos als Componist, ausübender Künstler und Lehrer verdient Leopold Mozart die Erinnerung der Nachwelt, auch seinem Charakter gebührt die vollkommenste Achtung. Aus dem Briefwechsel, den Leopold Mozart mit seiner Familie geführt hat, kann man ihn ganz erkennen lernen. Er war ein Deutscher von ächtem Schrot und Korn, ernst, überlegt, methodisch, arbeitsam, äußerst sparsam, ein fast pedantischer Freund der Ordnung und gewöhnt, mit fester Hand die Zügel des Hausregiments zu führen; ein Mann von unerschütterlicher Ausdauer und Rechtlichkeit. Den Großen gegenüber, mit welchen ihn sein Beruf so viele Jahre hindurch in Berührung brachte, beobachtete er [6] ein ehrerbietiges Benehmen, bei welchem er sich aber im mindesten nichts vergab; gegen Leute von seinem Stande war er zurückhaltend, stets höflich, aber kalt. Niemand hatte einen würdigern Begriff von der Kunst und dem hohen Berufe eines Künstlers, wie er nichtsdestoweniger setzte er einen größern Werth auf eine klingende Kundgebung des Enthusiasmus von Seiten des Publikums, als auf jede andere Art von Anerkennung, womit dasselbe ihn an den Tag zu legen pflegt. Das Positive und Gegenwärtige beschäftigte ihn mehr als die Ungewißheit, wie die Nachwelt urtheilen würde. Unter den ihm angeborenen Eigenschaften dürfen wir vielen Scharfsinn und Klugheit nicht vergessen. Bei jedem Geschäfte, in dem es sich um seine Interessen handelte, zeigte Leopold Mozart eine auffallende Gewandtheit, Anderen in die Karten zu sehen, und wir finden ihn häufig geneigt, da etwas Verborgenes vorauszusetzen, wo nichts zu finden war. Bei Allem, was er that, zeigte er stets die ängstlichste Vorsicht. So hütete er sich unter Anderem in den Briefen, die er während seines Aufenthaltes in Italien an seine Frau schrieb, den Betrag seiner Einnahmen dieser mitzutheilen, weil eine Frau Dinge der Art nicht verschweigen könne, und da, wie er sagte, die lieben Salzburger, welche die Reisekosten und andere Auslagen nicht zu schätzen vermöchten, ihn nach diesen Einnahmen für viel reicher halten würden, als er es in der That wäre. Obgleich er sich in seiner Correspondenz stets von Politik fern hielt, so hatte er doch mehrere, sehr schwer zu enträthselnde Chiffern erfunden, die er in dem Falle anwandte, wenn in einem seiner Briefe von seinen Verhältnissen zu hochgestellten Personen die Rede war. Ohne diese diplomatische Vorsicht hätte er es nie über sich vermocht, einem Freunde die Mittheilung zu machen, daß sein Erzbischof ihn schlecht behandle und noch schlechter bezahle.

[7] Meine Leser werden aus diesem wohl ersehen haben, wenn sie es nicht zuvor schon wußten, daß der Compositeur des Don Juan diesem Muster eines vollendeten Spießbürgers nicht sehr gleichen konnte. Sie werden im Gegentheile die Individualität des Sohnes im schneidendsten Gegensatze zu der des Vaters sich entwickeln sehen, indem Beide nichts mit einander gemein hatten, als jene Offenheit und Rechtschaffenheit, die sie, Einen wie den Andern, so ehrenvoll auszeichnete. Allein diese Contraste, sowohl nach Gemüthsart als Temperament, zwischen zwei Wesen, deren Fähigkeiten so verschieden ausfielen, während doch ihre gegenseitige Verbindung unumgänglich nothwendig war, zeigten eigentlich doch nichts Anderes, als die vollkommenste Uebereinstimmung zwischen den Mitteln und dem Zwecke. Die Summe der Fähigkeiten des Einen stellt den reinen Genius dar, die Mensch gewordene musikalische Kunst, das Fleisch gewordene Vermögen übersinnlicher Begriffe. Die Summe der Fähigkeiten des Andern stellt, wie man finden wird, alles das vor, was durchaus nothwendig war, um diesen Genius auf den äußersten Punkt der Möglichkeit des Vollbringens zu erheben, um diese übersinnlichen Begriffe praktisch in eine Menge Meisterwerke zu verwandeln. Einen geeignetern Vater hätte der Sohn gar nicht haben können.

Am 21. November 1747 verehlichte sich Leopold Mozart mit Anna Maria Pertlin, einer Pflegetochter des Stiftes von St. Gilgen. Wie Nissen in seiner Biographie Mozarts sagt, waren Beide von einer so vortheilhaften Körpergestalt, daß man sie zu ihrer Zeit für das schönste Ehepaar in Salzburg hielt. Mozarts Mütter wird als eine gutmüthige und liebevolle Hausfrau geschildert, ohne bedeutende geistige Anlagen, wie man sie so häufig bei Müttern großer Männer findet. Nur ihre Neigung für das Derbkomische, das die Salzburger Frauen charakterisirt, [8] mag ihr Sohn, dessen Briefe namentlich davon übersprudeln, von ihr ererbt haben.

Die Stellung, welche L. Mozart in der erzbischöflichen Capelle einnahm, machte ihm viel zu thun, obgleich seine Besoldung kaum zur Deckung seines Lebensunterhaltes hinreichte. Musikunterricht und der Verkauf seiner Werke mußten das Fehlende ersetzen, um sich mit den Seinigen durchbringen zu können. Natürlicherweise blieb ihm auf diese Art wenig Muße übrig. Schüler und Musikalienhändler wurden aber von dem Augenblicke an vergessen, als der kleine Wolfgang die himmlische Sprache zu stammeln anfing, die kein Sterblicher wie er sprechen sollte. Der Vater hätte selbst den Dienst darüber vergessen, wenn es möglich gewesen wäre, die Fortschritte des Kindes zu überwachen, ohne es ernähren zu müssen. Wir dürfen nicht vergessen, daß L. Mozart mit ganzer Seele Katholik war. Er war daher sogleich mit sich im Reinen, wem er das Wunder, das er vor Augen hatte, zuzuschreiben habe; er erkannte sogleich das in dem Kinde, was wir heutzutage in demselben erkennen; und weil er vollkommen überzeugt war, daß die Vorsehung ihn zum Werkzeuge einer außerordentlichen Erscheinung erkoren habe, so weihte er sein ganzes Ich der Pflege dieser Wunderblume, welche Gottes Gnade ihm hatte erblühen lassen.

Wie wir bereits gesagt haben, so besaß Wolfgang eine ältere Schwester, deren ebenso frühzeitige Talente viel mehr Aufsehen in der Welt erregt hätten, wenn sie nicht durch die des Bruders verdunkelt worden wären. Anna Maria, die man in der Familie Nannerl nannte, war sieben Jahre alt, als ihr Vater mit ihr den Clavierunterricht begann, Wolfgang zählte damals deren drei. Bis dahin hatte man nur eine ungestüme Lebhaftigkeit und eine große Vorliebe für alle Spiele seines Alters [9] bei ihm wahrgenommen, die in dem Knaben die den Kindern seines Alters eigene Naschhaftigkeit weit überwog; auch hatte er stets eine große Empfindlichkeit an den Tag gelegt. Jeden Augenblick fragte er die Personen und die Bekannten des Hauses, ob sie ihn liebten, und wenn sie dies verneinten, fing er an zu weinen. Von dem Tage an, an welchem Nannerl's Unterricht anfing, wurde der Kleine ganz anders. Gespannt und aufmerksam wartete er, bis das Clavier frei wurde, um sogleich ebenfalls sich zu üben. Wenn man ihn ungestört ließ, so sah man ihn ganze Stunden damit hinbringen, Terzen zu suchen, und sein Gesicht strahlte von Entzücken, wenn es ihm glückte, ein harmonisches Intervall zu treffen. Der Vater beobachtete ihn, und wußte nicht, ob er Gewicht darauf legen solle oder nicht. Doch wollte er einen Versuch machen. Man legte dem Kinde einen sehr kurzen Menuet vor. Nach einer halben Stunde spielte das Kind den Menuet so fertig und im Tacte, als man es nur erwarten konnte. Zu etwas längeren Musikstücken brauchte er eine Stunde, und kaum war ein Jahr verflossen, so dictirte Wolfgang seinem Lehrer Stücke, die er erdacht hatte. Er componirte, ehe er eine Note schreiben konnte1. Noch zwei Jahre und der Kleine hätte den guten Clavierspielern seiner Zeit beigezählt werden können.

Der Lehrer, welchen solche Fortschritte im höchsten Grade überraschten und fast beunruhigten, suchte ihn mehr zurückzuhalten, als anzutreiben. Er wagte nicht, ihn so frühzeitig mit den Regeln der Composition bekannt zu machen. Vergebliche Vorsicht, denn bereits beschäftigte der Plan zu einem Clavier-Concert diesen [10] jungen Kopf, aus dem später die Vervollständigung und Feststellung der wahren Regeln der Kunst, sowie die Verwerfung so vieler seither giltigen Grundsätze hervorgehen sollte, welche so lange die Autorität der berühmtesten Theoretiker aufrecht erhalten hatte. Wolfgang fing an, daran zu schreiben, aber ein unerwartetes Hinderniß schien die Ausführung unmöglich machen zu wollen. Weil er seine Feder immer bis auf den Grund des Tintenfasses eintauchte, hatte er statt Noten lauter Kleckse gemacht. Dies machte ihm Vieles zu schaffen; er weinte, doch ließ er sich darum nicht abhalten, fortzufahren. Er wischte die Flecken mit der flachen Hand ab, und fuhr, nur mit den Gedanken beschäftigt, die er im Kopfe hatte, mit dem Schreiben fort. Welches Aussehen das Notenblatt bekam, kann sich Jedermann selbst vorstellen. Der Vater, welcher von dem Unternehmen seines Sohnes nichts wußte, trat in diesem Augenblicke mit einem Bekannten in das Zimmer. »Was machst denn Du da?« fragte er ihn. – »Ein Clavier-Concert; der erste Theil ist bald fertig.« – »Laß sehen, das muß was Schönes sein.« – »Nein, nein, es ist noch nicht fertig.« – Der Vater nahm es ihm aber weg und brach bei'm Anblicke dieses Geschmieres in ein lautes Lachen aus. Als er aber die Composition aufmerksamer durchsah, nahm sein Gesicht einen ganz andern Ausdruck an; Thränen der Freude und Bewunderung rollten über seine Wangen. »Sehen Sie,« sagte er zu seinem Freunde, dem Hoftrompeter Andreas Schachtner, dem wir die schriftliche Aufzeichnung mehrerer Anekdoten aus Wolfgangs Kindheit verdanken. »Sehen Sie, wie Alles richtig und regelmäßig gesetzt ist, nur ist's nicht zu brauchen, weil es so außerordentlich schwer ist, daß es kein Mensch zu spielen im Stande wäre.« Der Wolfgangerl (wir führen Schachtners eigene Worte an) fiel ein: »Drum ist's ein Concert, man muß so lange exercieren [11] bis man es treffen kann. Sehen Sie, so muß es gehen. Er spielte, konnte aber auch just soviel herausbringen, daß wir kennen konnten, wo er aus wollte. Er hatte damals den Begriff, daß Concert spielen und Mirakel wirken, einerlei sein müsse.«

Schachtner, der ein alter Freund des Mozartschen Hauses in Salzburg war, wurde nach Wolfgang's Tode von dessen Schwester, damals Gattin des Freiherrn von Berchtold zu Sonnenburg, Pflegers zu St. Gilgen, um Aufzeichnung der interessantesten Erscheinungen in Mozarts erster musikalischer Entwicklung gebeten, eine Bitte, der er in einem ausführlichen Briefe2 an sie entsprach, welchem wir außer der obigen Anekdote noch folgende Notizen entlehnen wollen.

Auf die Frage was Mozart in seiner Kindheit für Lieblingsspiele hatte, antwortete er: »Auf diese Frage ist nichts zu beantworten: denn sobald er mit der Musik sich abzugeben anfing, waren alle seine Sinne für alle übrigen Geschäfte soviel als todt, und selbst die Kindereien und Tändelspiele mußten, wenn sie für ihn interessant sein sollten, von der Musik begleitet werden: wenn wir, Er und Ich, Spielzeuge zum Tändeln von einem Zimmer ins andere trugen, mußte allemal derjenige von uns, so leer ging, einen Marsch dazu singen und geigen. Vor dieser Zeit aber, ehe er die Musik anfieng, war er für jede Kinderei, die mit ein bischen Witz gewürzt war, so empfänglich, daß er darüber Essen und Trinken und alles andere vergessen konnte. Ich ward ihm daher, weil ich, wie Sie wissen, mich mit ihm abgab, so äußerst lieb, daß er mich oft zehnmal an einem Tage fragte, ob ich ihn [12] lieb hätte, und wenn ich es zuweilen, auch nur zum Spaß verneinte, stunden ihm gleich die hellichten Zähren im Auge, so zärtlich und so wohlwollend war sein gutes Herzchen. «

Obiges bestätigt auch Leopold Mozart in einem Briefe an seinen Sohn: »Als Kind und Knab warst Du mehr ernsthaft als kindisch, und wenn Du beim Clavier saßest oder sonst mit Musik zu thun hattest, so durfte sich niemand unterstehen Dir den mindesten Spaß zu machen. Ja Du warest selbst in Deiner Gesichtsbildung so ernsthaft, daß viele einsichtsvolle Personen wegen dem zu früh aufkeimenden Talente und Deiner immer ernsthaft nachdenkenden Gesichtsbildung für dein langes Leben besorgt waren.«

»Fast bis in sein zehntes Jahr,« erzählt Schachtner, »hatte Mozart eine unbezwingliche Furcht vor der Trompete, wenn sie allein, ohne andere Musik geblasen wurde; wenn man ihm eine Trompete nur vorhielt, war es ebensoviel, als wenn man ihm eine geladene Pistole aufs Herz setzte. Papa wollte ihm diese kindische Furcht benehmen, und befahl mir einmal trotz seines Weigerns ihm entgegen zu blasen, aber mein Gott! hätte ich mich nicht dazu verleiten lassen. Wolfgangerl hörte kaum den schmetternden Ton, ward er bleich und begann zur Erde zu sinken, und hätte ich länger angehalten, er hätte sicher das Fraise3 bekommen.«

Doch zurück zu den ersten Compositionsversuchen Mozarts. Diese fallen, wie wir oben gesehen haben, in sein viertes Jahr, und erregten so sehr die Aufmerksamkeit seines Vaters, daß er bald anfing, dieselbe zu sammeln. Er trug sie mit genauer Zeitangabe sorgfältig in ein Buch ein, welches Wolfgangs Schwester als ein [13] theures Vermächtniß bewahrte. Man findet in Nissens Biographie mehrere Beispiele dieser kleinen Arbeiten, so wie auch die ersten Stücke, die sein Vater ihn spielen lehrte. Da es höchst interessant ist, den Entwicklungsgang eines Künstlers von seinen Uranfängen an verfolgen zu können, so mögen hier zwei dieser ersten Versuche folgen, wobei wir bemerken, daß wir hier, sowie in den im Verlaufe dieses Werkes gegebenen Notenbeispielen, zur Bequemlichkeit unserer Leser stets den nun außer Gebrauch gekommenen Diskantschlüssel 1. Kapitel. Mozart's Kindheit 1756-1762 mit dem jetzt allgemein üblichen Violinschlüssel 1. Kapitel. Mozart's Kindheit 1756-1762 vertauscht haben4.


Nro. 1

Comp. im Januar 1762.


1. Kapitel. Mozart's Kindheit 1756-1762

1. Kapitel. Mozart's Kindheit 1756-1762

[14] Nro. 2

Comp. 4. März 1762.


1. Kapitel. Mozart's Kindheit 1756-1762

1. Kapitel. Mozart's Kindheit 1756-1762

[16] Aber nicht allein in der Musik, sondern in Allem, was man den kleinen Wolfgang lehrte, zeichnete er sich aus. Ein ganz besonderes Talent zeigte er aber namentlich für die Mathematik, diese dem musikalischen Genius so nahe verwandte Wissenschaft; er wurde auch in der Folge ein gewandter Rechner, und löste leicht die verwickeltsten arithmetischen Aufgaben im Kopfe auf. Sein Gedächtniß, von dem er ganz merkwürdige Proben ablegte, war in der That ebenso außerordentlich als sein Genius. »Was man ihm immer zu lernen gab,« sagte Schachtner, »dem hing er so ganz an, daß er alles Uebrige, auch sogar die Musik auf die Seite setzte; z.B. als er Rechnen lernte, war Tisch, Sessel, Wände, ja sogar der Fußboden voll Ziffern mit der Kreide überschrieben.«

Interessant sind auch die folgenden Charakterzüge, die sowohl Schachtner, als sein Vater von ihm aufgezeichnet haben. Mozart verrieth als Kind nichts weniger als Stolz oder Ehrsucht: denn diese hätte er nie besser befriedigen kennen, als wenn er Leuten, die die Musik wenig oder gar nicht verstanden, vorgespielt hätte, aber er wollte nie spielen, außer seine Zuhörer waren große Musikkenner, oder man mußte ihn wenigstens betrügen und sie dafür ausgeben. Seine Bescheidenheit war so groß, daß er zu weinen anfing, wenn man ihn zu sehr lobte. Er war so folgsam selbst in Kleinigkeiten, daß er nie eine körperliche Strafe erhalten hat. Er hatte eine so zärtliche Liebe zu seinen Eltern, besonders zu seinem Vater, daß er eine Melodie componirte, die er täglich vor dem Schlafengehen sang, wozu ihn sein Vater auf einen Sessel stellen und immer zweistimmig mitsingen mußte. Wenn diese Feierlichkeit vorbei war, welche keinen Tag unterlassen werden durfte, küßte er dem Vater noch ein Mal mit innigster Zärtlichkeit die Nasenspitze und sagte oft: »wenn der Vater alt wäre, [17] würde er ihn in einer Kapsel, vorn mit einem Glase, vor aller Luft bewahren, um ihn immer bei sich und in Ehren zu halten.« Auch während des Singens küßte er bisweilen die Nasenspitze des Vaters, und legte sich dann mit voller Zufriedenheit und Ruhe zu Bett. Dieses trieb er bis in sein zehntes Jahr. Die Worte waren ein verketzertes Italienisch und lauteten ungefähr: oragna figata fa marina gamina fa. Die Melodie giebt Nissen in folgendem Beispiele:


1. Kapitel. Mozart's Kindheit 1756-1762

Eine Redensart, die er häufig brauchte, war die: »Nach Gott kömmt gleich der Papa.« Wahrscheinlich, bemerkt Nissen, war dies nicht allein Ausdruck von Liebe, sondern auch von Bewunderung, weil er wußte, daß der kluge Vater für Alles Rath schaffte.

Er war voll Feuer, seine Neigung hing jedem Gegenstand sehr leicht an, sagt Schachtner, der aber doch zu weit geht, wenn er hinzusetzt: »ich denke, daß er im Ermanglungsfalle einer so vortheilhaft guten Erziehung, wie er hatte, der ruchloseste Bösewicht hätte werden können, so empfänglich war er für jeden Reiz, dessen Güte oder Schädlichkeit er zu prüfen noch nicht im Stande war.«

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 3-18.
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