2) Erster Aufenthalt in Paris.

[40] Die Familie Mozart kam zu einer günstigen Zeit in Paris an. Der siebenjährige Krieg war durch bestimmte Verträge abgeschlossen worden, deßgleichen der Colonialkrieg – so daß die Welt wieder die für die Kunst so nothwendige Ruhe des Friedens genießen konnte. Die Künstler – gewissermaßen von einem geheimen Instinkte getrieben – strömten nach Paris. »Die Stimme Frankreichs, stets von Künstlern in hohen Ehren gehalten, theils wegen ihrer Unparteilichkeit, theils wegen des Alles beherrschenden Einflusses der ›Encyclopédie‹, galt für maßgebend, und ihr Urtheil wurde allgemein anerkannt. Welches Glück für einen Künstler, wenn dieses Urtheil günstig ausfiel! Sein europäischer Ruf war gemacht, und auch Mozart's Name wurde erst durch seine Pariser Reise in Europa bekannt12

Unter den zahlreichen Empfehlungsbriefen, welche unsere Reisenden nach Paris mitbrachten, befand sich auch einer an Herrn Grimm, den Secretair des Herzogs von Orleans. Wer kennt nicht den innigen Freund Rousseau's und Diderot's, den Verfasser der literarischen Bulletins für mehrere deutsche Fürsten, den unerschrockenen Kämpfer der coin de la reine, und den geistreichen Verfasser des petit prophète de Boehmesbrod. Ein Musikfreund wie Grimm konnte Landsleute, die an ihn empfohlen[41] waren, nicht anders als auf die zuvorkommendste Weise aufnehmen. Nachstehendes schrieb er an einen deutschen Fürsten über die salzburger Familie, deren Beschützer und Führer er in Paris machte.

»Die ächten Wunder sind zu selten, als daß man nicht gern davon plaudern sollte, wenn man einmal das Glück gehabt, so etwas zu sehen. Ein Capellmeister von Salzburg, Namens Mozart, ist hier so eben mit zwei ganz allerliebsten Kindern eingetroffen. Seine eilfjährige Tochter spielt das Clavier auf eine brillante Manier; mit einer erstaunlichen Präcision führt sie die größten und schwierigsten Stücke aus. Ihr Bruder, der künftigen Februar erst sieben Jahre alt sein wird, ist eine so außerordentliche Erscheinung, daß man das, was man mit eigenen Augen sieht und mit eigenen Ohren hört, kaum glauben kann. Es ist dem Kinde nicht nur ein Leichtes, mit der größten Genauigkeit die allerschwersten Stücke auszuführen, und zwar mit Händchen, die kaum die Sexte greifen können; nein, es ist unglaublich, wenn man sieht, wie es ganze Stunden hindurch phantasirt und so sich der Begeisterung seines Genius und einer Fülle entzückender Ideen hingibt, welche es mit Geschmack und ohne Wirrwarr auf einander folgen läßt. Der geübteste Capellmeister kann unmöglich eine so tiefe Kenntniß der Harmonie und der Modulationen haben, welche es auf den wenigst bekannten, aber immer richtigen Wegen durchzuführen weiß. Es hat eine solche Fertigkeit in der Claviatur, daß, wenn man sie ihm durch eine darüber gelegte Serviette entzieht, es nun auf der Serviette mit derselben Schnelligkeit und Präcision fortspielt. Es ist ihm eine Kleinigkeit, Alles, was man ihm vorlegt, zu entziffern; es schreibt und componirt mit einer bewunderungswürdigen Leichtigkeit, ohne sich dem Claviere zu nähern und seine Accorde darauf zu suchen. Ich habe ihm ein Menuet aufgesetzt und es ersucht, den Baß darunter zu legen; das Kind [42] hat die Feder ergriffen, und ohne sich dem Claviere zu nahen, hat es dem Menuet den Baß untergesetzt. Sie können wohl denken, daß es ihm nicht die geringste Mühe kostet, jede Arie, die man ihm vorlegt, zu transponiren und zu spielen, aus welchem Tone man es verlangt. Allein Folgendes, was ich gesehen habe, ist nicht weniger unbegreiflich. Eine Frau fragte ihn letzthin: ob er wohl nach dem Gehöre und ohne sie anzusehen, eine italienische Cavatine, die sie auswendig wußte, begleiten würde? Sie fing an zu singen. Das Kind versuchte einen Baß, der nicht nach aller Strenge richtig war, weil es unmöglich ist, die Begleitung eines Gesanges, den man nicht kennt, genau im Voraus anzugeben. Allein, sobald der Gesang zu Ende war, bat er die Dame, von vorn wieder anzufangen, und nun spielte er nicht allein mit der rechten Hand das Ganze, sondern fügte zugleich mit der Linken den Baß ohne die geringste Verlegenheit hinzu; worauf er zehnmal hinter einander sie ersuchte, von Neuem anzufangen, und bei jeder Wiederholung veränderte er den Charakter seiner Begleitung. Er hätte noch zwanzigmal wiederholen lassen, hätte man ihn nicht gebeten, aufzuhören. Ich sehe es wahrlich noch kommen, daß dieses Kind mir den Kopf verdreht, höre ich es nur noch ein einziges Mal, und es macht mir begreiflich, wie schwer es sein müßte, sich vor Wahnsinn zu bewahren, wenn man Wunder erlebt.«

Unter der Leitung dieses eifrigen und einflußreichen Freundes mußte der Aufenthalt unserer Reisenden in Paris mit Erfolg gekrönt werden. Sie gaben Concerte, erhielten Einladungen in die ersten Gesellschaften, wurden dem Könige, der ganzen königlichen Familie und auch der Frau v. Pompadour vorgestellt. Alle drei fanden ihre Rechnung dabei. L. Mozart schien mit den Louisd'ors, die er einmahm, zufrieden zu sein; Nannerl erhielt hübsche Geschenke und Wolfgang durfte Leckerbissen von dem[43] Teller der Königin naschen, und Ihrer Majestät auf deutsch Alles sagen, was ihm durch den Kopf ging. Sein Geplauder, welches die Königin Ludwig XV. übersetzte, unterhielt selbst diesen blasirten Monarchen. Sollte man es glauben, daß unser Held die Verwegenheit hatte, sich selbst über Frau v. Pompadour zu äußern, weil sie ihn nicht hatte küssen wollen. »Wer ist denn die da,« fragte er, »daß sie mich nicht küssen will? Hat mich doch die Kaiserin geküßt!« Von allen Seiten regnete es Gedichte auf »diese von den Göttern und den Königen geliebten Sterblichen,« und ein ausgezeichneter Kupferstich stellte die ganze Familie in einer Gruppe dar, den Vater Violine spielend, den Sohn am Claviere und die Tochter zum Singen den Mund geöffnet. Durch so vielfache Huldigungen ermuntert, entschloß sich jetzt Leopold Mozart die Versuche des jungen Componisten herauszugeben. Es sind dies vier Clavier-Sonaten mit Violinbegleitung ad libitum, wovon zwei Madame Victoire de France, der jüngern Tochter des Königs, und die beiden anderen der Frau Gräfin Tessé, Ehrendame der Dauphine, gewidmet waren.

In allen Biographien Mozarts werden die französischen Dedicationen dieser Sonaten mitgetheilt, sie sind allerdings zu bezeichnend für das erste Opus Mozarts, als daß wir sie nicht auch der Aufnahme für würdig halten dürften.

Der Titel und die Dedication an die Prinzessin Victoire lautet:


II Sonates pour le Clavecin qui peuvent se jouer avec l'accompagnement de Violon dédiées à Madame Victoire de France.

Par J.G. Wolfgang Mozart de Salzbourg, âgé de sept ans.

Oeuvre premier.


[44] A madame Victoire de France.


Madame!


Les essais que je mets à Vos pieds, sont sans doute médiocres mais lorsque Votre bonté me permet de les parer de Votre auguste Nom, le succès n'en est plus douteux, et le Public ne peut manquer d'indulgence pour un Auteur de sept ans, qui paroît sous Vos auspices.

Je voudrois, Madame, que la langue de la Musique fut celle de la reconnaissance; je serois moins embarrassé de parler de l'impression que Vos bienfaits ont fait sur moi. Nature qui m'a fait Musicien comme elle fait les rossignols, m'inspirera, le Nom de Victoire restera gravé dans ma mémoire avec les traits ineffaçables qu'il porte dans le coeur de tous les François.

Je suis avec le plus profond respect


Madame

Votre très humble, très obéissant et

très petit serviteur

J.G. Wolfgang Mozart.


Von diesen beiden Sonaten befindet sich die erste in Breitkopf und Härtel's Oeuvres complettes, Heft 17, als Sonate III., und die zweite ebendaselbst als Sonate IV. In der Steinerschen Ausgabe ist die erste im 7ten Hefte als Sonate I. und die zweite im 8ten Hefte als Sonate VII.

Folgendes ist Titel und Dedication an die Gräfin v. Tessé.


II Sonates pour le Clavecin

qui peuvent se jouer avec l'accompagnement de Violon

dédiées à Madame la Comtesse de Tessé

Dame de Madame la Dauphine.

Par J.G. Wolfgang Mozart de Salzbourg, âgé de sept ans.

Oeuvre II.


[45] A Madame la Comtesse de Tessé

Dame de Madame la Dauphine.


Madame!


Votre goût pour la Musique et les bontés, dont Vous m'avez comblé, me donnent le droit de Vous consacrer mes foibles talens. Mais lorsque Vous en agréez l'hommage, est-il possible que Vous défendiez à un enfant l'expression des sentiments, dont son coeur est plein?

Vous ne voulez pas, Madame, que je dise de Vous ce que tout le Public en dit. Cette rigueur diminuera le régret que j'ai de quitter la France. Si je n'ai plus le bonheur de Vous faire ma cour, j'irai dans le pays où je parlerai du moins tant que je voudrai, et de ce que Vous êtes, et de ce que je Vous dois.

Je suis avec un profond respect,


Madame

Votre très humble et très obéissant petit serviteur

J.G. Wolfgang Mozart.


Von diesen zwei Sonaten ist nur die erste in der Breitkopfschen Ausgabe Heft 7, und in der Steinerschen Heft 10 enthalten, deren Thema folgendes ist:

Sonata II. Op. 2


2. Erster Aufenthalt in Paris

2. Erster Aufenthalt in Paris

2. Erster Aufenthalt in Paris

[46] Ueber das nähere Treiben der Mozartschen Familie in Paris, sowie über die damaligen dortigen Zustände giebt der folgende Brief des Vaters an Madame Hagenauer in Salzburg interessante Aufschlüsse.


[47] An Madame Hagenauer.


Paris, den 1. Februar 1764.


»Man muß nicht immer an Mannspersonen schreiben, sondern sich auch des schönen und andächtigen Geschlechts erinnern. Ob die Frauenzimmer in Paris schön sind, kann ich Ihnen mit Grund nicht sagen, denn sie sind, wider alle Natur, wie die Berchtesgadner Docken, so gemalt, daß auch eine von Natur schöne Person durch diese garstige Zierlichkeit dem Auge eines ehrlichen Deutschen unerträglich wird. Was die Andacht anbelangt, so kann ich versichern, daß man gar keine Mühe haben wird, die Wunderwerke der französischen Heiliginnen zu untersuchen; die größten Wunder wirken diejenigen, die weder Jungfern, weder Frauen noch Wittwen sind; und diese Wunder geschehen alle bei lebendigem Leibe. Genug! man hat Mühe, hier zu unterscheiden, wer die Frau vom Hause ist; Jeder lebt, wie er will, und (wenn Gott nicht sonderheitlich gnädig ist) so geht es dem Staate von Frankreich wie dem ehemaligen persischen Reiche.

Ich würde seit meinem letztern Schreiben aus Versailles Ihnen unfehlbar wieder geschrieben haben, wenn ich nicht immer gezaudert hätte, um den Ausgang unserer Affaire zu Versailles abzuwarten und folglich Ihnen benachrichtigen zu können. Allein, da hier Alles noch mehr als an anderen Höfen auf der Schneckenpost geht, sonderlich diese Sachen durch die Menu des plaisirs müssen besorgt werden, so muß man Geduld haben. Wenn die Erkenntlichkeit dem Vergnügen gleich kömmt, welches meine Kinder dem Hofe gemacht haben, so muß es sehr gut ausfallen. Es ist wohl zu merken, daß hier keineswegs der Gebrauch ist, den königlichen Herrschaften die Hände zu küssen, oder sie au passage, [48] wie sie es nennen, wenn sie nämlich durch die königlichen Appartements und Gallerie in die Kirche gehen, weder mit Ueberreichung einer Bittschrift zu beunruhigen, noch solche gar zu sprechen; wie es auch hier nicht üblich ist, weder dem Könige, noch Jemanden von der königl. Familie, durch Beugung des Hauptes oder der Kniee einige Ehrenbezeugung zu erweisen, sondern man bleibt aufrecht ohne mindeste Bewegung stehen, und hat in solcher Stellung die Freiheit, den König und seine Familie hart bei sich vorbei gehen zu sehen. Sie können sich demnach leicht einbilden, was es denen in ihre Hofgebräuche verliebten Franzosen für einen Eindruck und Verwunderung muß gemacht haben, wenn die Töchter des Königs nicht nur in ihren Zimmern, sondern in der öffentlichen Passage, bei Erblickung meiner Kinder stille gehalten, sich ihnen genähert, sich nicht nur die Hände küssen lassen, sondern solche geküßt und sich ohne Zahl küssen lassen. Eben das Nämliche ist von der Madame Dauphine zu verstehen. Das Außerordentlichste schien denen Herren Franzosen, daß au grand couvert, welches am Neuen-Jahrstage Nachts war, nicht nur uns Allen bis an die königliche Tafel hin mußte Platz gemacht werden; sondern daß mein Herr Wolfgangus immer neben der Königin zu stehen, mit ihr beständig zu sprechen und sie zu unterhalten, ihr öfters die Hände zu küssen, und die Speisen, so sie ihm von der Tafel gab, neben ihr zu verzehren die Gnade hatte. Die Königin spricht so gut Deutsch, als wir. Da nun aber der König nichts davon weiß, so verdolmetschte die Königin ihm Alles, was unser heldenmüthiger Wolfgang sprach. Bei ihm stand ich; auf der andern Seite des Königs, wo an der Seite der Mr. Dauphin und Mme. Adelhaide saß, stand meine Frau und meine Tochter. Nun haben Sie zu wissen, daß der König niemals öffentlich speist; als alle Sonntage Nachts speist die ganze Familie [49] beisammen. Doch wird nicht gar Jedermann dazu eingelassen. Wenn nun aber ein großes Fest ist, als der Neujahrstag, Ostern, Pfingsten, die Namenstage u.s.w., so heißt es das große Couvert, dazu werden alle Leute von Unterschied eingelassen; allein der Platz ist nicht groß, folglich ist er bald voll. Wir kamen spät, man mußte uns demnach durch die Schweizer Platz machen, und man führte uns durch den Saal in das Zimmer, das hart an der königl. Tafel ist, und wodurch die Herrschaft in den Saal kommt. Im Vorbeigehen sprachen sie mit unserm Wolfgang und dann gingen wir hinter ihnen nach zur Tafel.

Daß ich Ihnen übrigens Versailles beschreiben sollte, das können Sie unmöglich von mir verlangen. Nur das will ich Ihnen sagen, daß wir am Weihnachts-Abende da angelangt sind und in der königlichen Kapelle der Metten und den drei heiligen Messen beigewohnt haben. Wir waren in der königlichen Gallerie, als der König von der Madame Dauphine zurückkam, wo er ihr wegen der erhaltenen Nachricht des Todesfalles ihres Bruders, des Churfürsten von Sachsen, Nachricht gab.

Ich hörte da eine schlechte und gute Musik. Alles, was mit einzelnen Stimmen war und einer Arie gleichen sollte, war leer, frostig und elend, folglich französisch; die Chöre aber sind alle gut, und recht gut. Ich bin täglich mit meinem kleinen Manne deßwegen in die königl. Kapelle zu des Königs Messe gegangen, um die Chöre in der Motette, die allezeit gemacht wird, zu hören. Des Königs Messe ist um ein Uhr, geht er aber auf die Jagd, so ist seine Messe um zehn Uhr und der Königin Messe um halb ein Uhr. In sechszehn Tagen hat es uns in Versailles gegen die zwölf Louisd'or gekostet. Vielleicht ist es Ihnen zu viel und unbegreiflich? In Versailles sind keine Carosses de remise noch Fiacres, sondern lauter Sesselträger; für jeden Gang müssen zwölf [50] Sols bezahlt werden. Jetzt werden Sie bald einsehen, daß uns manchen Tag, da wir, wo nicht drei, doch allezeit zwei Sessel haben mußten, die Sessel auf einen Laubthaler und mehr gekommen sind, denn es war immer böses Wetter. Wenn Sie nun vier neue schwarze Kleider dazu rechnen, so werden Sie sich nimmer wundern, wenn uns die Reise nach Versailles auf 26 bis 27 Louisd'or zu stehen kommt. Nun wollen wir sehen, was uns dafür vom Hofe einkommt. Außer dem, was wir vom Hofe zu hoffen haben, haben wir in Versailles mehr nicht als zwölf Louisd'or in Gelde eingenommen. Dann hat mein Meister Wolfgang von der Madame la Comtesse de Tésse eine goldene Tabatiere, eine goldene Uhr, die wegen ihrer Kleine kostbar ist, dann die Nannerl ein ungemein schönes, starkes, ganz goldenes Zahnstocher-Etui bekommen.

Von einer andern Dame hat der Wolfgang ein silbernes Reise-Schreibzeug und die Nannerl ein ungemein feines schildkrötenes Tabatierl mit Gold eingelegt bekommen. Unsere Tabatieres sind mit einer rothen mit goldenen Reifen, mit einer von, weiß nicht, was für glasartigen Materie in Gold gefaßt, mit einer von Laque Martin, mit den schönsten Blumen von gefärbtem Gold und verschiedenen Hirten-Instrumenten eingelegt, vermehrt worden. Dazu kommt noch ein in Gold gefaßter Carniolring mit einem Antique-Kopf, und eine Menge Kleinigkeiten, die ich für Nichts achte, als: Degenbänder, Bänder und Arm-Maschen, Blumen zu Hauben und Halstüchel etc. für die Nannerl etc. Mit einem Worte! in Zeit von vier Wochen hoffe etwas Besseres von Louisd'or berichten zu können; denn es braucht mehr als zu Marglan13, bis man in Paris rechtschaffen bekannt wird; und ich kann Sie versichern, daß man die schlechten Früchte des letzten [51] Krieges ohne Augenglas aller Orten sieht. Denn den äußerlichen Pracht wollen die Franzosen im höchsten Grade fortführen, folglich ist Niemand reich als die Pächter; die Herren sind voll Schulden. Der größte Reichthum befindet sich etwa unter hundert Personen, die sind einige große Bankiers und Fermiers generaux, und endlich das meiste Geld wird auf Lucretien, die sich nicht selbst erstechen, verwendet. Daß man übrigens hier ganz besonders schöne und kostbare Sachen sieht, das werden Sie sich wohl einbilden; man sieht aber auch erstaunliche Narrheiten. Die Frauenzimmer tragen nicht nur im Winter die Kleider mit Pelz garnirt, sondern sogar Halskreserl oder Halsbindel, und statt der Einsteckblümchen alles dergleichen von Pelz gemacht in den Haaren, auch anstatt der Maschen an den Armen u.s.w. Das Lächerliche ist, ein Degenband (welche hier Mode sind) mit einem Pelze um und um ausgeschlagen zu sehen. Das wird gut sein, daß der Degen nicht eingefriert. Zu dieser ihrer närrischen Mode in allen Sachen kommt noch die große Liebe zur Bequemlichkeit, welche verursacht, daß diese Nation auch die Stimme der Natur nicht mehr hört, und deßwegen gibt Jedermann in Paris die neugebornen Kinder auf das Land zur Auferziehung. Es sind eigens geschworne sogenannte Führerinnen, die solche Kinder auf das Land führen; jede hat ein großes Buch, da hinein sich Vater und Mutter etc. schreiben, dann am Orte, wo das Kind hingebracht wird, der Name der Amme, oder besser zu sagen, des Bauern und seines Weibes, von dem Parocho loci eingeschrieben wird; und das thun hohe und niedere Standespersonen, und man zahlt ein Bagatelle. Man sieht aber auch die erbärmlichsten Folgen davon; Sie werden nicht bald einen Ort finden, der mit so vielen elenden und verstümmelten Personen angefüllt ist. Sie sind kaum eine Minute in der Kirche und gehen kaum durch ein paar Straßen, so kommt ein [52] Blinder, ein Lahmer, ein Hinkender, ein halb verfaulter Bettler, oder es liegt einer auf der Straße, dem die Schweine als ein Kind die Hand weg gefressen; ein anderer, der als ein Kind (da der Nährvater und die Seinigen im Felde bei der Arbeit waren) in das Kaminfeuer gefallen und sich einen halben Arm weggebrannt u.s.w., und eine Menge solcher Leute, die ich aus Ekel im Vorbeigehen nicht anschaue. Nun mache ich einen Absprung vom Häßlichen auf das Reizende, und zwar auf dasjenige, was einen König gereizt hat. Sie möchten doch auch wissen, wie die Madame Marquise Pompadour aussieht, nicht wahr? – Sie muß sehr schön gewesen sein; denn sie ist noch sauber. Sie ist von großer, ansehnlicher Person; sie ist fett, wohl bei Leibe, aber sehr proportionirt, blond und in den Augen einige Aehnlichkeit mit der Kaiserin Majestät. Sie gibt sich viel Ehre und hat einen ungemeinen Geist. Ihre Zimmer in Versailles sind, wie ein Paradies, gegen den Garten zu, und in Paris der Fabourg St. Honoré, ein ungemein prächtiges Hotel, so ganz neu aufgebauet ist. In dem Zimmer, wo das Clavecin war, welches ganz vergoldet und ungemein künstlich lakirt und gemalt ist, ist ihr Porträt in Lebensgröße und an der Seite das Porträt des Königs. Nun was Anderes! – – Hier ist ein beständiger Krieg zwischen der französischen und italienischen Musik. Die ganze französische Musik ist kein T – – werth; man fängt aber nun an grausam abzuändern; die Franzosen fangen nun an stark zu wanken, und es wird in zehn bis fünfzehn Jahren der französische Geschmack, wie ich hoffe, völlig erlöschen. Die Deutschen spielen in Herausgabe ihrer Compositionen den Meister, darunter Mr. Schoberth, Eckard, Hannauer für's Clavier; Mr. Hochbrucker und Mayr für die Harfe sehr beliebt sind.Mr. le Grand, ein französischer Clavierist, hat seinen Goût gänzlich verlassen und [53] seine Sonaten sind nach unserm Geschmacke. Die Herren Schoberth, Eckard, le Grand und Hochbrucker haben ihre gestochenen Sonaten alle zu uns gebracht und meinen Kindern verehrt. Nun sind vier Sonaten von Mr. Wolfgang Mozart beim Stecher. Stellen Sie sich den Lärmen vor, den diese Sonaten in der Welt machen werden, wenn auf'm Titel steht, daß es ein Werk eines Kindes von sieben Jahren ist, und wenn man die Unglaubigen herausfordert, eine Probe dießfalls zu unternehmen, wie es bereits geschehen ist, wo er Jemanden ein Menuett oder sonst etwas niederschreiben läßt und dann gleich (ohne das Clavier zu berühren) den Baß, und wenn man will, auch das zweite Violino darunter setzt. Sie werden seiner Zeit hören, wie gut diese Sonaten sind; ein Andante ist dabei von einem ganz sonderbaren Goût. Und ich kann ihnen sagen, daß Gott täglich neue Wunder an diesem Kinde wirkt. Bis wir (wenn Gott will) nach Hause kommen, ist er im Stande, Hofdienste zu verrichten. Er accompagnirt wirklich allezeit bei öffentlichen Concerten. Er transponirt sogar prima vista die Arien beim Accompagniren, und aller Orten legt man ihm bald italienische, bald französische Stücke vor, die er vom Blatte spielt. – – Mein Mädel spielt die schwersten Stücke, die wir jetzt von Schoberth und Eckard etc. haben, darunter die Eckard'schen Stücke die schwereren sind, mit einer unglaublichen Deutlichkeit und so, daß der niederträchtige Schoberth seine Eisersucht und seinen Neid nicht bergen kann, und sich bei Mr. Eckard, der ein ehrlicher Mann ist, und bei vielen Leuten zum Gelächter macht.«


[54] Paris, den 22. Februar 1764.


– – – – Ich bitte, vier heilige Messen zu Maria-Plain und eine heil. Messe bei dem heiligen Kindel zu Loretto, so bald es sein kann, lesen zu lassen. Wir haben sie wegen meines lieben Wolfgangs und der Nannerl, die beide krank waren, versprochen. Ich hoffe, die anderen heiligen Messen zu Loretto werden allezeit fortgelesen werden, so lange wir aus sind, wie ich gebeten habe.

Wir werden in vierzehn Tagen wieder nach Versailles gehen, wohin es der Duc d'Ayas gebracht hat, um das Oeuvre I. der gestochenen Sonaten der Madame Victoire, zweiten Tochter des Königs, zu überreichen, welcher es dedicirt wird. Oeuvre II. wird, glaub' ich, der Gräfin Tessé dedicirt werden. In Zeit von vier Wochen müssen, wenn Gott will, wichtige Dinge vorgehen. Wir haben gut angebauet; nun hoffen wir auch eine gute Ernte. Man muß Alles nehmen, wie es kömmt. Ich würde wenigstens zwölf Louisd'or mehr haben, wenn meine Kinder nicht einige Tage das Haus hätten hüten müssen. Ich danke Gott, daß ihnen besser ist. Die Leute wollen mich alle bereden, meinem Buben die Blattern einpfropfen zu lassen. Ich aber will Alles der Gnade Gottes überlassen. Es hängt Alles von seiner göttlichen Gnade ab, ob er dieß Wunder der Natur, welches er in die Welt gesetzt hat, auch darin erhalten, oder zu sich nehmen will. Von mir wird Wolfgang gewiß so beobachtet, daß es eins ist, ob wir in Salzburg, oder auf Reisen sind. Das ist es auch, was unsere Reise kostar macht.

Mr. d'Hebert, Trésorier de menu plaisir du Roi, hat dem Wolfgang fünfzig Louisd'or und eine goldene Dose vom Könige eingehändigt.


[55] Paris, den 1. April 1764.


– – – – – – Ich hoffe, in wenig Tagen dem Bankier M. 200 Louisd'or einzuhändigen, um sie nach Hause zu schicken. Am 9. dieses habe ich wieder einen solchen Schrecken auszustehen gehabt, als ich am 10. März hatte. Doch zweifle ich, ob dieser zweite Schrecken so groß als der erste sein wird. Am 10. März nahm ich 112 Louisd'or ein. Nun, 50 bis 60 sind auch nicht zu verachten.

Unsere Concerte werden gegeben au Théatre de Mr. Félix, rue et porte St. Honoré. Dieß ist ein Saal in dem Hause eines vornehmen Mannes, in welchem ein kleines Theater steht, auf dem die Noblesse unter sich Schauspiele aufführt. Und diesen Platz habe ich durch Madame de Clermont, die in dem Hause wohnt, erhalten. Die Erlaubniß aber, diese zwei Concerte zu halten, ist etwas ganz besonderes und schnurgerade wider die Privilegien der Oper, des Concert spirituel und der französischen und italienischen Theater; sie hat durch Botschaften und eigene Zuschriften des Herzogs von Chartres, des Herzogs von Durat, des Grafen Tessé und vieler der ersten Damen an den Herrn Sartin, Lieutenant général de la police, erhalten werden müssen.

Ich bitte, vom 12. April an acht Tage nach einander täglich eine heilige Messe für uns lesen zu lassen. Sie mögen sie nach Ihrem Belieben austheilen, wenn nur vier davon zu Loretto bei dem heil. Kindel und vier auf einem Unserer lieben Frauen Altare gelesen werden. Nur bitte, ja die erwähnten Tage gewiß zu beobachten. Sollte mein Brief, wider Vermuthen, nach dem 12. April erst ankommen, so bitte ich, gleich den andern Tag anfangen zu lassen. Es hat seine wichtigen Ursachen. Nun ist's [56] Zeit, Ihnen von meinen zwei sächsischen Freunden, den Baronen Hopfgarten und Bose, mehr zu sagen. Als sie von hier nach Italien gingen, gab ich ihnen einen Empfehlungsbrief an Sie mit. Sie sind unsere getreuen Reisefreunde gewesen; bald haben wir ihnen, bald sie uns Quartier bestellt. Sie werden da ein paar Menschen sehen, die Alles haben, was ein ehrlicher Mann auf dieser Welt haben soll. Und wenn sie gleich Lutheraner sind, so sind sie doch ganz andere Lutheraner und Leute, an denen ich mich oft sehr erbauet habe. Zum Abschiede hat der Baron Bose dem Wolfgangerl ein schönes Buch, Gellert's Lieder, zum Angedenken verehrt und voran Folgendes hinein geschrieben:


Nimm, kleiner siebenjähriger Orpheus, dieß Buch aus der Hand deines Bruders und Freundes. Lies es oft – und fühle seine göttlichen Gesänge und leihe ihnen (in diesen seligen Stunden der Empfindung) Deine unwiderstehlichen Harmonieen, damit sie der fühllose Religionsverächter lese – und aufmerke – damit er sie höre – und niederfalle und Gott anbete.

Friedrich Karl Baron v. Bose.


Nun sind wir mit allen hiesigen Gesandten der auswärtigen Potentaten bekannt. Mylord Bedford und sein Sohn sind uns sehr gewogen. Fürst Gallizin liebt uns wie seine Kinder. Die Sonaten, die der Herr Wolfgangerl der Gräfin Tessé dedicirt, wären fertig, wenn die Gräfin zu überreden gewesen wäre, die Dedication anzunehmen, die unser bester Freund Mr. Grimm gemacht hat. Man mußte also eine Aenderung vornehmen. Allein die Gräfin will nicht gelobt sein; sie und mein Bub sind beide in dieser Schrift lebhaft abgeschildert. Es ist recht Schade, daß sie nicht hat dürfen gestochen werden. Späterhin schenkte die [57] Gräfin Tessé dem Wolfgang noch eine goldene Uhr und der Nannerl ein goldenes Etui.

Dieser Mr. Grimm, mein großer Freund, von dem ich hier Alles habe, ist Sekretär des Herzogs von Orleans, ein gelehrter Mann und ein großer Menschenfreund. Alle meine übrigen Briefe waren Nichts. Ja wohl, der französische Botschafter in Wien! Ja wohl, der kaiserliche Gesandte in Paris und alle Empfehlungsschreiben vom Minister zu Brüssel, Grafen Cobenzl! Ja wohl, Prinz Conti, Herzogin von Aiguillon und die Anderen, deren ich eine Litanei hersetzen könnte. Der einzige Mr. Grimm, an den ich von einer Kaufmannsfrau in Frankfurt einen Brief hatte, hat Alles gethan. Er hat die Sache nach Hofe gebracht. Er hat das erste Concert besorgt. Er allein hat mir 80 Louisd'or bezahlt, also 320 Billets abgesetzt, und noch die Beleuchtung mit Wachs bestritten; es brannten über 60 Tafelkerzen. Nun, dieser Mann hat die Erlaubniß zu dem Concerte ausgewirkt und wird nun auch das zweite besorgen, wozu schon hundert Billets ausgetheilt sind. Sehen Sie, was ein Mensch kann, der Vernunft und ein gutes Herz hat! Er ist ein Regensburger, aber schon über fünfzehn Jahre in Paris, und weiß Alles auf die rechte Straße so einzuleiten, daß es ausfallen muß, wie er will.

Mr. de Mechel, ein Kupferstecher, arbeitet über Hals und Kopf an unsern Porträten, die Herr von Carmontelle, ein Liebhaber, sehr gut gemalt hat. Der Wolfgang spielt Clavier, ich, hinter seinem Sessel, Violine; die Nannerl lehnt sich aus das Clavier mit einem Arme, mit der andern Hand hält sie Musikalien, als sänge sie.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 40-58.
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