3) Aufenthalt in London.

[58] Nach einem Aufenthalte von fünf Monaten in Frankreich wandten sich die Reisenden dem Lande der Guineen und der alten Musik zu. Der Ruf war ihnen bereits vorangeeilt. Kaum waren sie in London angekommen, als sie auch gleich Zutritt bei Hof erlangten, also an den Ort, an welchem sie in jedem neuen Lande, das sie besuchten, sogleich festen Fuß zu fassen gewöhnt worden waren. Der Empfang, der ihnen hier zu Theil wurde, übertraf nach L. Mozart's Aussage, alle die Beweise von Wohlwollen, die ihnen an anderen Höfen zu Theil geworden war. Georg III. war Liebhaber und Kenner der Musik. Seine Gemahlin, Charlotte von Mecklenburg, galt für eine treffliche Virtuosin. In ganz Europa hätte unser Held keine ausgezeichneteren und fähigeren Richter, ihn zu beurtheilen, finden können. Ich glaube auch, daß örtliche Einflüsse mitwirkten, seinen Eifer anzuspornen. Er befand sich an dem Orte, wo Händel's Andenken noch herrschte, welchem die Dankbarkeit Alt-Englands in der Westminster-Abtei, neben königlichen Grabmälern, zwischen denen von Newton und Shakespeare ein Monument errichtet hatte. Unter den Lebenden sah aber Mozart einen andern berühmten Landsmann, den damaligen Lieblingstonsetzer der Engländer, den unter dem Namen »Londoner Bach« auch »galanter Bach« bekannten Johann Christian Bach, jüngster Sohn des Sebastian Bach. Vielleicht halten es viele meiner Leser für unwahrscheinlich, daß Einflüsse der Art auf den Geist eines Kindes von acht Jahren hätten einwirken können; diese aber bitte ich in Betracht zu ziehen, daß dieses Kind in allem, was seine Kunst betraf, ein Mann war, und zwar ein solcher, mit dem wenige, selbst damals, einen Vergleich [59] auszuhalten im Stande waren. »Er weiß jetzt schon Alles,« schrieb sein Vater, »was man nur von einem Professor von vierzig Jahren verlangen kann.« Die Namen großer Musiker machten ihn bereits jetzt schon vor Wetteifer und Begeisterung erbeben. Wie dem auch sein mochte, der kleine Zauberer glaubte durch ganz andere Mittel die Begeisterung für sich in St. James bewirken zu müssen, als er bereits angewendet hatte, um die Musikliebhaber in Wien und Paris für sich zu gewinnen. Er fing an vom Blatte und ohne Fehler Fugen von Bach und Händel zu spielen! Das übertraf ohne alle Zweifel alle seine früheren Bravourstücke. Hierauf nahm er einmal eine der Instrumentalstimmen, zu einer Händel'schen Arie, die zerstreut auf dem Claviere lagen, auf gut Glück heraus. Es war eine Baßstimme, die er, ohne eine Note zu verändern, mit der schönsten Melodie ergänzte. Alle, welche schon beim Anblicke eines Notenblattes erblaßt sind, wissen, daß diese Aufgabe ungleich schwerer zu lösen ist, als wenn es sich nur darum handelt, einen Baß unter eine Melodie zu setzen. Man kann sich das Erstaunen der Künstler vorstellen, als sie vermöge augenblicklicher Eingebung ein Problem auf so glänzende Art gelöst sahen, daß die wirkliche Melodie dieses Basses, das Werk tiefer Ueberlegung des Compositeurs, bei einem Vergleiche kaum gewann. Bach konnte nicht mehr an sich halten; er eilte auf den kleinen Nebenbuhler Händel's zu, um ihn zu umarmen, hierauf setzte er ihn auf die Kniee und fing an, die ersten Tacte einer Sonate zu spielen, die auf dem Pulte lag. Mozart spielte die folgenden Tacte, und so wechselten sie bis an's Ende derselben mit einem Einverständniß und einer Genauigkeit ab, daß die entfernter sitzenden Personen kaum bemerkten, was eigentlich vorgehe. Man glaubte, Bach habe allein gespielt. Einige Tage hernach spielte unser Virtuose die Orgel des Königs [60] und in Paris wie in London stimmte das Urtheil der Kunstverständigen darin überein, daß seine Meisterschaft auf der Orgel noch mehr als auf dem Claviere zu bewundern sei.

Ein sehr interessanter Bericht über Mozart findet sich im 60. Bande der Philosophical Transactions aus dem Jahre 1770. Derselbe ist von Daines Barrington, Mitgliede der königlichen Gesellschaft in London und an den Secretär eben dieser Gesellschaft gerichtet. Der gelehrte Verfasser bespricht darin das Wunder, das er vor Augen hat, in musikalischer und psychologischer Beziehung. Nachdem sich Barrington zuerst über mehrere Einzelnheiten ausgelassen, die ich übergehe, um nicht zu wiederholen, erzählt er mehrere Thatsachen, von denen er Zeuge gewesen war. Eines Tages überbrachte er Mozart ein Duett, das von einem Engländer, mit Begleitung zweier Violinen und eines Basses, auf einen Text von Metastasio componirt worden war, und veranlaßte ihn, dasselbe zu spielen. Um denen meiner Leser, welche die Schwierigkeiten des Lesens einer Partitur nickt kennen, einen Begriff von der Leistung des Knaben zu geben, will ich ihnen den eben so genialen als richtigen Vergleich anführen, welchen Herr Barrington machte. Er sagt, man solle sich fünf unter einander stehende Linien denken, von denen die erste einen Text von Shakespeare und die vier unteren die Commentare zu diesem Texte enthalten; alles wäre aber so geschrieben, daß die Buchstaben des Alphabets auf jeder Linie verschiedenartig ausgesprochen würden; daß auf einer z.B. a ein a, auf der zweiten aber ein b und auf der dritten ein c bedeutete. (Barrington will damit die verschiedenen Schlüssel andeuten.) Man denke sich nun, fährt der Verfasser fort, ein Kind von acht Jahren, das auf den ersten Anblick eine so verwickelte Zusammenstellung aufzufassen im Stande ist, den Text mit der Fertigkeit eines Garrick [61] vorträgt und den Hauptinhalt der Commentare auf jeder Linie zugleich andeutet, oder vielmehr aus den verschiedenen Zeichen übersetzt, und man wird einen Begriff von den Fähigkeiten dessen erhalten, von dem ich spreche. Kaum die größten Meister vermöchten ein Duett auf diese Art zu singen und zu spielen, wie es dieses Kind that; das heißt aus der Partitur heraus vom Blatte ein Musikstück ganz im Sinne und im Geiste der Composition mit Rundung und Präcision vorzutragen. Aus Herrn Barrington's Bericht ersehen wir auch, daß Mozart singen konnte und zwar entzückend schön. Zwar war seine Stimme etwas schwach und durchaus kindlich; aber seine Methode war reizend und von classischer Reinheit. Es befand sich damals ein ausgezeichneter Sänger, Namens Manzuoli, in London, auf den unser Held ungemein viel hielt. Zur Vervollständigung seiner musikalischen Untersuchung gab Barrington Mozart zu erkennen, daß er einmal eine Liebesarie von ihm hören möchte, so wie sein Freund Manzuoli eine in der italienischen Oper singe. Der Kleine sah ihn schelmisch an und fing sogleich mit einem Jargon, in Form eines Recitativs an; daran knüpfte er ein Ritornell, als ganz passende Einleitung zu einem erotischen Gesange. Sodann spielte er eine Symphonie, welche einer Arie, über das einzige Wort Affeto (Liebe) entsprechen konnte. Hierauf verlangte man von ihm einen Zorngesang, den er eben so rasch improvisirte, und in derselben Form und mit aller Leidenschaftlichkeit, welche das Wort Perfido (der Ungetreue) verlangte, vortrug. Bei dem Vortrage schien Mozart sich einem ihm gänzlich neuen Eindrucke hinzugeben. Die dramatische Begeisterung wirkte dergestalt auf seine Nerven, daß er wie ein Besessener aus die Tasten schlug und einige Male von seinem Stuhle in die Höhe fuhr. Obgleich diese improvisirten Compositionen keine Meisterstücke genannt [62] werden konnten, fährt Barrington fort, so erhoben sie sich doch weit über die Mittelmäßigkeit in dieser Gattung und zeugten von einer außerordentlichen Erfindungsgabe. – Das Wunder eines solchen Talents, das siegreich alle Proben bestand, welche der gelehrte Engländer mit ihm anstellte, ließ ihn an das Vorhandensein eines gedoppelten Phänomens bei dem Individuum glauben, welches er studirte. Er meinte nämlich, daß Mozart's Gestalt, die selbst für einen Knaben von acht Jahren klein zu nennen war, ebenfalls eine Ausnahme von der Regel, wie sein Genius wäre. Möglicherweise konnte der Vater das Alter des Sohnes, der aller Wahrscheinlichkeit nach seine fünfzehn bis sechszehn Jahre haben mochte, verbergen, und die eine Hälfte des Wunders auf Kosten der andern geheim halten. Ein Zufall warf aber diese Hypothese des gelehrten Herrn mit einem Male über den Haufen. Es kam nämlich eines Tages, als er gerade anwesend war, eine Katze in's Zimmer; Wolfgang, der diese Thiere sehr liebte, lief ihr, ohne sich weiter um Musik noch um Barrington zu kümmern, nach. Ein ander Mal fiel es ihm plötzlich ein, auf dem Stocke seines Vaters zu reiten. Dieß war nun freilich ein starker Gegenbeweis gegen die vorgefaßte Meinung, denn ein derartiges Benehmen stimmte vollkommen mit der kleinen Gestalt und den kindischen Zügen überein. Beinahe alle Musiker Londons theilten die Zweifel unseres Gelehrten, ohne sich aber deßhalb so viele Mühe wie er zu geben, sie aufzuklären, der sich nicht eher beruhigte, bis es ihm gelungen war, durch den Grafen Haslang, dem bairischen Gesandten am britischen Hofe, sich einen Auszug aus dem Kirchenbuche des Ortes zu verschaffen, in dem Wolfgang Mozart geboren worden war. Nachdem dieser Punkt zur Ehre des Vaters und Sohnes aufgeklärt war, veröffentlichte Barrington den Bericht, aus dem ich das Hauptsächlichste angeführt habe, und den er mit einem [63] Vergleiche zwischen Händel und Mozart schließt. Der Erstere spielte mit sieben Jahren das Clavier und fing im neunten an zu componiren, wonach der Verfasser den Schluß zieht, daß der Zweite, dessen Talente sich noch frühzeitiger entwickelten, seinem großen Vorbilde wohl gleich kommen könnte, wenn er so lange lebe als Händel, der in einem Alter von achtundsechszig Jahren gestorben war. Die Prophezeiung mußte namentlich in England sehr gewagt erscheinen, und doch wie weit ist sie hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben!14

Die Familie Mozart blieb von Mitte April 1764 bis Ende Juli 1765 in London. Leider fließen die Notizen über diesen in der Entwicklungsgeschichte Wolfgang's so wichtigen Zeitraum nur spärlich, auch möchte man hie und da einen Blick in das Innere ihres Familienlebens werfen, namentlich möchte man auch etwas von der guten Mutter erfahren. Sonderbarerweise wird dieselbe auf der ganzen Reise in der noch vorhandenen Correspondenz des Gatten nur während der Krankheit der Tochter auf der Heimreise erwähnt – freilich dann auf eine Weise, die rührend ist, wie wir später sehen werden (im Briefe aus dem Haag)15.

Von Holmes erfahren wir, daß die Familie in London im [64] Hause eine Mr. Williamson, in Frith Street, Soho wohnte, einem Stadttheil, der jetzt noch viel von Misikern bewohnt wird. Später zogen sie nach Chelsea, einer der angenehmsten Vorstädte Londons, dicht an der Themse, wo sie in Five Field Row im Hause eines Mr. Randall wohnten.

Ueber ihn Thun und Treiben gibt uns Leopold Mozart nur spärliche Angaben. Wir entlehnen das Interessanteste aus seiner Correspondenz in den folgenden Auszügen.


London, den 28. Mai 1764.


– – – – Den 27. April, fünf Tage nach unserer Ankunft, waren wir von 6 bis 9 Uhr Abends bei den Majestäten. Das Präsent war zwar nur 24 Guineen, die wir im Herausgehen aus des Königs Zimmer empfingen. Allein die uns von beiden hohen Personen bezeigte Gnade ist unbeschreiblich. Ihr freundschaftliches Wesen ließ uns gar nicht denken, daß es der König und die Königin von England wären. Man hat uns an allen Höffen noch außerordentlich häflich begegnet; allein, was wir hier erfahren haben, übertrifft alles Andere. Acht Tage darauf gingen wir in St. James Park spazieren. Der König kam mit der Königin gefahren, und obwohl wir Alle andere Kleider anhatten, erkannten sie uns, grüßten uns nicht nur, sondern der König öffnete das Fenster, neigte das Haupt heraus und grüßte lächelnd mit Haupt und Händen, besonders unsern Master Wolfgang.

Ich habe neuerdings zu bitten, folgende heilige Messen baldigst lesen zu lassen: drei heilige Messen bei dem heiligen Kindel zu Loretto, drei zu Maria-Plain, zwei bei dem heiligen Franz de Paula im Bergel und zwei bei dem heiligen Johann von [65] Nepomuck in der Pfarre, oder wo Sie wollen; dann auch zwei bei dem heiligen Antonius in der Pfarre.

Wir haben die meiste Bagage bei dem Bankier Hummel in Paris gelassen, z.B. alle Tabatieren, zwei Uhren und andere kostbare Sachen. Mr. Grimm, unser geschworner Freund, der Alles in Paris für uns gethan hat, hat zum Abschiede über alle seine Gutthaten noch der Nannerl eine goldene Uhr und dem Wolfgangerl ein Confect-Obstmesser, dessen Heft von Perlmutter in Gold gefaßt ist und das eine Klinge von Gold, eine von Silber hat, verehrt.

Den 19. Mai haben wir abermals Abends von 6 bis 10 Uhr bei den Majestäten zugebracht, wo Niemand als die zwei Prinzen, der Bruder des Königs und der Bruder der Königin zugegen waren. Bei dem Austritte aus dem Zimmer wurden mir abermals 24 Guineen gereicht. Nun werden wir ein sogenanntes Benefiz am 5. Juni haben. Es ist jetzt eigentlich keine Zeit mehr, Concerte zu geben, und man kann sich nicht viel versprechen, da die Unkosten sich auf 40 Guineen belaufen. Basta! Es wird schon gut werden, wenn wir nur mit der Hülfe Gottes gesund bleiben und wenn Gott nur unsern unüberwindlichen Wolfgang gesund erhält. Der König hat ihm nicht nur Stücke von Wagenseil, sondern auch von Bach, Abel und Händel vorgelegt: Alles hat er prima vista weggespielt. Er hat auf des Königs Orgel so gespielt, daß Alle sein Orgelspiel weit höher als sein Clavierspiel schätzen. Dann hat er der Königin eine Arie, die sie sang, und einem Flütraversisten ein Solo accompagnirt. Endlich hat er die Violinstimmen der Händel'schen Arien, die von ungefähr da lagen, hergenommen und über den glatten Baß die schönste Melodie gespielt, so daß Alles in das äußerste Erstaunen gerieth. Mit einem Worte: das, was er gewußt hat, als wir Salzburg verließen, ist [66] ein purer Schatten gegen das, was er jetzt weiß. Es übersteigt alle Einbildungskraft. Er empfiehlt sich Ihnen vom Claviere aus, wo er eben sitzt und Bach's Trio durchspielt; es vergeht kein Tag, wo er nicht wenigstens dreißig Mal von Salzburg und seinen und unseren Freunden und Gönnern spricht. Er hat jetzt immer eine Oper im Kopfe, die er von lauter jungen Salzburgern aufführen lassen will. Ich habe ihm oft alle jungen Leute zusammen zählen müssen, die er zum Orchester aufschreibt. – – –


London, den 8. Juni 1764.


– – – – Ich hatte wieder einen Schrecken vor mir, nämlich 100 Guineen in Zeit von 3 Stunden einzunehmen. Es ist glücklich vorbei. Da Alles aus der Stadt ist, so war der 5. Juni der einzige Tag, an dem man etwas versuchen konnte, weil der 4. der Geburtstag des Königs war. Es war mehr, um Bekanntschaften zu machen. Nur ein paar Tage hatten wir, um Billete zu vertheilen, weil Niemand eher in der Stadt war. Da zu einer solchen Vertheilung sonst vier bis acht Wochen gebraucht werden, so hat man sich verwundert, daß uns 200 abgenommen worden sind. Es waren alle Gesandten und die ersten Familien Englands zugegen. Ich kann noch nicht sagen, ob mir 100 Guineen Profit bleiben, weil ich noch Geld von Mylord March für 36, von einem Freunde aus der Stadt für 40 Billete haben soll, und die Kosten erstaunlich groß sind. Für den Saal, ohne Beleuchtung und Pulte, 5 Guineen; für jedes Clavier, deren ich, wegen der Concerte mit zwei Claviers, zwei haben mußte, eine halbe Guinee; dem Sänger und der Sängerin, Jedem 5 bis 6 Guineen; dem ersten Violinisten 3 u.s.w.; und so auch die Solo- [67] oder Concertspieler, 3, 4, 5; den gemeinen Spielern Jedem eine halbe Guinee. Allein ich hatte das Glück, daß die ganze Musik mit Saal und Allem nur auf 20 Guineen zu stehen gekommen ist, weil die meisten Musiker Nichts angenommen haben. Nun Gottlob! diese Einnahme ist vorbei.

Partikularitäten kann ich Ihnen nicht mehr berichten, als was Sie hier und in Zeitungen finden. Genug ist es, daß mein Mädel eine der geschicktesten Spielerinnen in Europa ist, wenn sie gleich nur zwölf Jahre hat; und daß der großmächtige Wolfgang, kurz zu sagen, Alles in diesem seinem achtjährigen Alter weiß, was man von einem Maune von vierzig Jahren fordern kann. Mit Kurzem: wer es nicht sieht und hört, kann es nicht glauben. Sie selbst Alle in Salzburg wissen nichts davon, denn die Sache ist nun ganz etwas Anderes. – – – –


London, den 28. Juni 1764.


– – – – Ich habe wieder 100 Guineen nach Salzburg zu schicken, die ich zwar um die Hälfte vermehren könnte, ohne mich zu entblößen. Künftige Woche gehen wir nach Tunbridge, wo sich viel Adel im Juli und August zum Bade versammelt.

In Ranelagh wird ein Benefiz zum Vortheile eines neu aufgerichteten Spitals für Wöchnerinnen gegeben. Da lasse ich den Wolfgangerl ein Concert auf der Orgel spielen, um dadurch den Akt eines englischen Patrioten auszuüben. Sehen Sie, das ist ein Weg, sich die Liebe dieser Nation zu erwerben.


[68] London, den 3. August 1764.


– – – – Der große Gott hat mich mit einer jähen und schweren Krankheit heimgesucht, die ich mir durch eine Erkältung bei dem Zuhausegehen aus dem bei Mylord Thanet gehaltenen Concert zugezogen habe. – – – –


Chelsea, den 13. September 1764.


Meiner Unpäßlichkeit wegen haben wir hier ein Haus bei Mr. Randal in Fivefield-Row gemiethet. Unter meinen Freunden in London ist ein gewisser Sipruntini, ein großer Virtuose auf dem Violoncell. Er ist der Sohn eines holländischen Juden, fand aber diesen Glauben und seine Ceremonieen und Gebote, nachdem er Italien und Spanien durchgereist hatte, lächerlich und verließ den Glauben. Da ich neulich von Glaubenssachen mit ihm sprach, fand ich aus allen seinen Reden, daß er sich dermalen begnügt, Einen Gott zu glauben und ihn zuerst, und dann seinen Nebenmenschen wie sich selbst zu lieben und als ein ehrlicher Mann zu leben. Ich gab mir Mühe, ihm Begriffe von unserm Glauben beizubringen, und ich brachte es so weit, daß er nun mit mir einig ist, daß unter allen christlichen Glauben der katholische der beste ist. Ich werde nächstens wieder eine Attaque machen; man muß ganz gelinde darein gehen. Geduld! Vielleicht werde ich noch Missionarius in England. – – – –


[69] London, den 27. November 1764.


– – – – Noch ist die Noblesse nicht in der Stadt. Ich muß aus dem Beutel zehren. Seit Juli bin ich um 170 Guineen geringer geworden. Ueberdieß habe ich eine große Ausgabe, 6 Sonaten von unserm Herrn Wolfgang stechen und drucken zu lassen, die der Königin nach ihrem Verlangen dedicirt werden.

Als ich aus Ihrem Briefe die Standesveränderung Ihres Sohnes [er war geistlich geworden] vorlas, weinte der Wolfgang. Auf Befragen, warum, antwortete er: es wäre ihm leid, weil er glaubte, daß er ihn nun nicht mehr sehen würde. Wir belehrten ihn eines Anderen, und er erinnerte sich, daß Ihr Sohn ihm oft Fliegen gefangen, die Orgel aufgezogen und die Polzel-Windbüchse gebracht hatte; so bald er nach Salzburg zurück komme, wolle er nach St. Peter gehen und sich von ihm eine Fliege fangen lassen, und dann müsse er mit ihm Pölzel [kleine Bolzen] schießen. – – – –


London, den 3. Dezember 1764.


– – – – Mir ist leid, daß einige Fehler im Stechen der Pariser Sonaten und in der Verbesserung nach geschehener Correctur stehen geblieben sind. Madame Vendôme, die sie gravirte, und ich waren zu sehr entfernt, und da Alles in Eile geschahe, so hatte ich nicht Zeit, einen zweiten Probeabdruck machen zu lassen, welches verursachte, daß besonders in Oeuvre II. in dem letzten Trio drei Quinten mit der Violine stehen geblieben sind, die mein junger Herr gemacht und die ich dann corrigirt hatte. Es ist immer ein Beweis, daß unser Wolfgangerl sie selbst [70] gemacht hat, welches, wie billig, vielleicht nicht Jeder glauben wird. Genug, es ist doch also.

Mein Wolfgangerl empfiehlt sich Ihnen sämmtlich und besonders Hrn. Spitzeder, und er soll Sr. Hochfürstl. Gnaden die Sonaten produciren und Hr. Wenzl das Violin dazu spielen. Den 25. Oktober, am Krönungstage des Königs, waren wir von 6 bis 10 Uhr beim Könige und der Königin.


London, den 8. Februar 1765.


– – – – Am 15. werden wir ein Concert aufführen, welches mir wohl 150 Guineen verschaffen wird. Ob und was mir werden wird, muß die Zeit lehren. Der König hat durch die Zurücksetzung der Einberufung des Parlaments den Künsten und Wissenschaften großen Schaden gethan.

Niemand macht diesen Winter großes Geld, als Manzuoli und einige Andere von der Oper. Manzuoli hat 1500 Pf. St. für diesen Winter, und das Geld hat müssen in Italien assecurirt werden, weil der Impresario vorigen Jahres, Dejardino, fallirte. Sonst wäre er nicht nach London gegangen. Nebst diesen hat er auch ein Benefiz. Man hat ihn rechtschaffen bezahlen müssen, um der Oper aufzuhelfen. Fünf oder sechs Stücke werden aufgeführt. Das erste war Ezio, das zweite Berenice (alle beide Pasticci von entschiedenen Meistern), das dritte Adriano in Syria, von Bach neu componirt. Es kömmt noch Demofoonte, von Vento neu componirt.

Die Symphonieen im Concerte werden alle von Wolfgang sein. – – – –


[71] London, den 19. März 1765.


Mein Concert ward erst den 21. Februar gegeben und war wegen der Menge der Plaisirs nicht so stark besucht, als ich es hoffte. Doch waren es 130 Guineen, wovon 27 für Unkosten abzurechnen sind. Ich weiß aber auch, wo es fehlt und warum man uns nicht reichlicher behandelt hat: ich habe einen mir gemachten Vorschlag nicht angenommen. Allein was hilft's, viel von einer Sache zu sprechen, die ich nach reifer Ueberlegung und schlaflosen Nächten mit Wohlbedacht gethan habe, und die nun vorbei ist, da ich meine Kinder an keinem so gefährlichen Orte (wo der meiste Theil der Menschen gar keine Religion hat, und wo man nichts als böse Beispiele vor Augen hat) erziehen will. Sollten Sie die Kinderzucht hier sehen, Sie würden erstaunen. Von übrigen Religionssachen ist gar Nichts zu sprechen. Die Königin hat unserm Wolfgang für die Dedication der Sonaten 50 Guineen geschenkt. Und doch werde ich nicht so viel Geld hier gewonnen haben, als es Anfangs das Aussehen hatte.

Ich bitte drei heilige Messen lesen zu lassen, eine zu Loretto bei dem heiligen Kindel, eine bei den Franziskanern auf dem Hochaltare und eine im Nonnberge.


Während seines langen Londoner Aufenthaltes hatte Wolfgang hinreichend Muße, um sich den ernsteren Studien der Tonsetzkunst hinzugeben, und es ist in der That erstaunenswerth, wenn wir lesen, daß »die Symphonien (d.h. kurze Instrumentalsätze) im Concerte alle von Wolfgang sein werden.« Sein erster derartiger Versuch soll durch folgenden Umstand veranlaßt worden sein. Als der Vater (wie wir aus obiger Correspondenz ersehen haben), todtkrank lag, durfte kein Clavier berührt werden. Um [72] sich zu beschäftigen, componirte Wolfgang seine erste Symphonie. Die Schwester mußte, neben ihm sitzend, abschreiben. Indem er componirte und schreib, sagte er einmal zu ihr: »Erinnere mich daran, daß ich dem Waldhorn was Rechtes zu thun gebe. Die Symphonie war gesetzt für Streichquartett, zwei Oboen und zwei Hörner« (Nissen sagt: »für alle Instrumente, besonders für Trompeten und Pauken,« was durchaus irrig ist). Holmes giebt den Anfang dieses äußerst lebhaften Tonstückes:


3. Aufenthalt in London

Eine weitere Frucht seiner angestrengten Thätigkeit im Compositionsversuchen sind die Sechs Sonaten für Clavier mit Begleitung von Violine oder Flöte, welche der Königin gewidmet werden durften, und die sich in Breitkopfs Ouvres complettes unter folgender Rubrik befinden:


Op. 3.Nro. 1. Heft IX, 11; Nro. 2. Heft XI, 21;

Nro. 3. Heft X, 14; Nro. 4. Heft XI, 11;

Nro. 5. Heft XI, 22; Nro. 6. Heft VIII, 6.


Auch zu diesen Sonaten ist die Widmung so charakteristisch für die damalige Zeit, daß wir dem Beispiele Nissens und Otto [73] Jahn's folgend, denken, sie werde auch unsern Lesern von Interesse sein. Sie lautet:


Six Sonates pour le Clavecin

qui peuvent se jouer avec l'accompagnement de Violon

ou Flûte traversière

très humblement dédiées à sa Majesté

Charlotte, Reine de la Grande-Brétagne.

Composées par J.G. Wolfgang Mozart, âgé de huit ans.

Oeuvre III. London.


A la Reine.


Madame!


Plein d'orgueil et de joie d'oser Vous offrir un hommage, j'achevois ces Sonates pour les porter aux pieds de Votre Majesté; j'ètois je l'avoue, ivre de vanité et ravi de moi-même, lorsque j'aperçus le Génie de la musique à côté de moi.

»Tu es bien vain« me dit-il »de savoire écrire à un âge où les autres apprennent encore à épeler.«

»Moi, vainde ton Ouvrages?« lui répondis-je. »Non, j'ai d'autres motifs de vanité. Reconnois le favori de la Reine de ces Isles fortunées. Tu prétends, que née loin du rang suprême qui la distingue, ses talens l'auroient ilustrée: eh bien! placée sur le trône, Elle les honore et les protège. Qu'Elle te per mette de lui faire une offrande, tu es avide de gloire, tu feras si bien que toute la terre le saura; plus philosophe, je ne confie mon orgueil qu'à mon clavecin, qui en devient un peu plus éloquent.«

»Et cette éloquence produit des Sonates! ... Est-il bien sûr que j'aie jamais inspiré un faiseur des Sonates?«

Ce propos me piqua. »Fi, mon père,« lui dis-je, »tu parles ce matin comme un pédant ... Lorsque la Reine daigne m'écouter, je m'abandonne à toi et je deviens sublime; loin d'Elle le charme s'affoiblit, son auguste image m'inspire quleques idées, que l'art conduit ensuite et acheve ... mais que je vive, et un jour je lui offrirai un don digne d'Elle et de toi; car avec ton sécours, j'égalerai la gloire de tous les grands hommes de ma patrie, je deviendrai [74] immortel comme Haendel et Hasse, et mon nom sera aussi célèbre que celui de Bach.«

Un grand éclat de rire déconcerta ma noble confiance. Que Votre Majesté juge de la patience qu'il me faut pour vivre avec un Ettre aussi fantastique! ... Ne vouloit-il pas aussi que j'osasse reprocher à Votre Majesté cet excès de bonté qui fait le sujet de mon orgueil et de ma gloire? Moi, Madame, Vous reprocher un défaut! Le beau défaut! Votre Majesté ne s'en corrigera de sa vie.

On dit qu'il faut tout passer aux Génies; je dois au mien le bonheur de Vous plaire et je lui pardonne ses caprices. Daignez, Madame recevoir mes foibles dons. Vous fûtes de tout temps destinée à régner sur un peuple libre: les enfans du Génie ne le sont pas moins que le Peuple Britannique, libres surtout dans leurs hommages, ils se plaisent à entourer Votre trône. Vos vertus, Vos talens, Vos binefaits seront à jamais présens à ma mémoire; partout où je vivrai, je me regarderai le sujet de Votre Majesté.

Je suis avec le plus profond respect


Madame

de Votre Majesté

le très humble et très obéissant

petit serviteur

J.G.W. Mozart.

à Londres

ce 18. Janvier 1764.


Wir wissen nicht, welcher Londoner Literat diese Dedication für den jungen Componisten aufgesetzt hat, oder ob Grimm in Paris, mit welchem Leopold Mozart correspondirte, damit zu schaffen hatte. Jedefalls trug ihm diese Widmung, wie wir aus der Correspondenz ersehen haben, 150 Guineen ein, und es fand sich auch bald ein Verleger dafür(Bremner im Strand).

Außer diesen Sonaten schrieb Wolfgang auch eine vierhändige Sonate, von welcher aber nichts Näheres bekannt geworden ist.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 58-75.
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