Viertes Kapitel.

Zweiter Aufenthalt in Wien.

1767–1768

[90] Jedermann in Salzburg wollte jetzt die Salzburger sehen, die als unbekannte Menschen abgereis't waren und berühmt zurückkamen. Es ging ihnen, wie es Vielen in ähnlicher Lage ergeht, man drängte sich um sie, zeigte sich zuvorkommender, freundlicher gegen sie, und war ihnen im Herzen weniger gut als zuvor. Unter anderen Besuchern kam auch eine Notabilität der Stadt, ein Baron, der nicht wußte, wie er die Künstler anreden sollte, Sie, schien ihm in Hinsicht des Abstandes, der damals zwischen dem Adel und Bürgerstande in Deutschland herrschte, zu viel; das beliebte Er glaubte er aber bei Künstlern, die in die intimen Kreise von Königen und Fürsten Zutritt erhalten hatten, doch nicht anwenden zu dürfen, und so meinte er einen glücklichen Mittelweg gefunden zu haben, indem er seine Anrede folgendermaßen einkleidete: »Nun, wir sind weit herumgereist; Wir haben viel Ehre eingelegt ....« Wolfgang unterbrach ihn sogleich mit den Worten: »Verzeihen Sie, Herr; aber ich erinnere mich nicht, Sie je wo anders als in Salzburg gesehen zu haben.« Diese Anekdote, welche die Schwester unseres Helden nacherzählt, beweis't, daß das Kind nicht nur Genie, sondern auch Geist besaß.

Das Jahr 1767 verdiente in den Jahrbüchern der Musik eine goldene Ziffer zu tragen. Mozart brachte es ruhig zu Hause zu, und verwendete seine Zeit zum höhern Studium der Compositionen von Sebastian und Emanuel Bach, von Händel und Eberlin. Ich las irgendwo, daß Letzterer, welcher damals [91] Capellmeister in Salzburg und folglich ein College L. Mozart's war, unserem Helden Unterricht im Contrapuncte gegeben habe17. Aber auch den berühmten italienischen Meistern wandte Wolfgang seine Aufmerksamkeit zu. Man findet nirgends die Namen dieser Meister verzeichnet; wenn aber eine aufmerksame Vergleichung von Mozart's Styl mit den Schöpfungen der verschiedenen Epochen der italienischen Schule, dieses Uebersehen der früheren Biographen zu vervollständigen vermag, so glaube ich für meinen Theil, daß die italienischen Meister, denen unser Held am Meisten zu verdanken hatte, diejenigen sind, welche den Uebergang vom siebenzehnten zum achtzehnten Jahrhunderte bilden, und es namentlich Stradella, Carissimi, vor Allen aber A. Scarlatti, Leo und Durante waren. Wie dem auch sein mag, so viel steht fest, daß dieses gedoppelte, gründliche Studium, das jedes National-Vorurtheil fern hielt, von höchster Wichtigkeit war. Wir finden darin wesentlich den Schlüssel zu Mozart's Werken, worauf wir seiner Zeit zu sprechen kommen werden.

Im Herbste dieses Jahres nahmen unsere Virtuosen ihr wanderndes Leben wieder auf. Sie begaben sich nach Wien, von wo sie aber die Blattern eben so schnell wieder vertrieben, die viele Verheerungen anrichteten. Die Kinder entgingen aber der Krankheit doch nicht; sie befiel sie in Ollmütz, wo sie sie zwei Monate hinhielt. Als die Gefahr vorüber war, kehrten sie wieder nach Oesterreichs Hauptstadt zurück. Am Hofe Joseph's II. wurde ihnen die schmeichelhafteste und ausgezeichnetste Aufnahme zu Theil. Die einflußtreichsten Personen, wie der Graf Kaunitz, der Herzog von Braganza, Fräulein von Guttemberg, die Günstlingin der Kaiserin Mutter und auch Metastasio, schienen sich lebhaft für sie zu interessiren. Wie viele Aussicht auf Erfolg! [92] Und dennoch wurde der dießmalige Aufenthalt in Wien für die Familie eine fortgesetzte Kette von Unannehmlichkeiten, Plackereien und Täuschungen. Wir werden sehen, warum.

Wolfgang hatte nahezu das Kindesalter hinter sich, ein Alter, das so ganz geeignet ist, wohlwollende Gesinnungen zu erwecken, und welches selbst den Neid entwaffnet. Mag ein Kind auch mit noch so hervorragenden Talenten ausgestattet sein, so ist man doch stets geneigt, dasselbe mehr als eine Sache, denn eine Person zu betrachten. Es ist nichts als ein seltener und bewundernswerther Gegenstand, und keinesweges ein uns überlegenes, ebenbürtiges Wesen. Bei einem Kinde bleibt ferner dem neidisch Gesinnten der Trost, sich sagen zu können: diese kleinen Wunder werden in der Regel sehr gewöhnliche Menschen oder bleiben nicht am Leben. Der Fall wird aber schon ernster, wenn das Wunder, bereits in das Jünglingsalter getreten, zu- statt abnimmt, und so die heimliche Hoffnung der Nebenbuhler, die nur dem Kindesalter verziehen hatten, zu Nichte macht. Der junge Mozart kam als ein Musiker von zwölf Jahren in eine Stadt, die bis zu den Dachstuben mit Clavierspielern und Componisten angefüllt war. Dieser junge Mensch von drei ein halb Fuß Höhe stellte sich bereits den ersten Künstlern in die Seite und zeigte sich als der stärkste Improvisator seiner Zeit. Nur zu sichere Anzeichen waren vorhanden, daß er mit der Zeit noch mehr als dieses werden würde. Daraus erklärte sich hinreichend die Unruhe im Lager der gewerbsmäßigen Musiker, die gegen den gemeinschaftlichen Feind den gegenseitigen Haß und die heimischen Eifersüchteleien bei Seite setzten. Alle vereinigten sich gegen einen Feind, der ihnen ihr bereits schon sehr knappes Brod vollends zu rauben drohte. Weil nun die würdigen Herren die Thatsachen nicht in Abrede zu ziehen vermochten, so gaben sie sich [93] gegenseitig das Wort, alles Zusammentreffen mit den Mozart's zu vermeiden; die Folgen davon ergaben sich dann von selbst; denn wenn man einen derselben aufforderte, feine Meinung über den jungen Menschen auszusprechen, so bedauerte er zuerst leichthin, ihn noch nicht gehört zu haben, lächelte sodann fein, machte sich über die Modewelt lustig, und schien von der Ueberzeugung auszugehen, daß dieselbe weder so unwissend noch so leichtgläubig wäre, um an alle die Fabeln zu glauben, die man sich erzählte. Die Leute aus der großen Welt, ihres vermeintlichen Irrthums sich schämend, glaubten dann den Künstlern dagegen die Versicherung geben zu müssen, daß sie gewissermaßen die Ersten gewesen seien, die über die Sache gelacht hätten, und baten um aufrichtigen Aufschluß, was denn eigentlich daran wäre. Dann vertraute man ihnen unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit, daß der Vater ein sehr gewandter Charlatan und der Sohn ein trefflich abgerichtetes kleines Geschöpf sei, um damit Geld zu verdienen und Anderen einen blauen Dunst vorzumachen. Auf diese Art mußten die Verschworenen ihre Absichten erreichen, ohne daß man sie der Verläumdung beschuldigen konnte, denn im schlimmsten Falle konnten sie immer sagen, daß man sie selbst so berichtet habe, und daß sie keine Gelegenheit gehabt, sich vom Gegentheile zu überzeugen, L. Mozart kam aber dieser Taktik auf die Spur, und es gelang ihm, durch einen Meisterstreich sie zu Schanden zu machen. Er erfuhr, daß einer der Angesehensten unter den Verschworenen in einem sehr zahlreichen Kreise von Musikliebhabern ein von ihm selbst componirtes (Concert, das noch Manuscript und als das non plus ultra von Schwierigkeiten zum Voraus angekündigt und ausposaunt werden war, zu spielen beabsichtige. Was that nun unser schlauer Salzburger; er ging in das Haus des Musikfreundes, in welchem die Production stattfinden sollte, und bot ihm die Dienste [94] seines Sohnes für den festgesetzten Abend, jedoch mit der ausdrücklichen Bedingung an, daß er Niemandem ein Wort davon lagen dürfe. Der Andere, welcher in diesem Anerbieten nur ein vermehrtes Vergnügen für seine Gäste erblickte, nahm dasselbe mit Freuden an. Am festgesetzten Abende erscheint der vermeintliche Held des Festes in dem selbstzufriedenen Bewußtsein des sicher zu erwartenden Beifalles. Bereits liegt das Manuscript auf dem Pulte; schon haben sich die Liebhaber um das Clavier gruppirt und warten mit gespannter Aufmerksamkeit auf den bevorstehenden Genuß. Der Professor setzt sich, räuspert und schnäuzt sich. In diesem Augen blicke wird die Thüre geöffnet, – Ohne Zweifel ein Gast, der sich verspätet hatte. Welche Ueberraschung, welche Hinterlist! es ist der gefürchtete Salzburger, er selbst, der Geist Banko's bei Macbeth's Mahle. Jetzt gab es keine Möglichkeit, ihm zu entgehen. Der Herr des Hauses, der Nichts ahnete, drückt sein Vergnügen aus, das ihm zu Theil werde, zwei so ausgezeichneten Virtuosen Gelegenheit zu verschaffen, sich gegenseitig kennen zu lernen. Man sagt sich die schmeichelhaftesten Dinge, wie man es stets bei solchen Gelegenheiten zu halten pflegt. Während aber der Wiener Professor und L. Mozart sich in Artigkeiten erschöpfen, geht Wolfgang, der in seinem Leben nie lernte Complimente zu drechseln, auf die Hauptsache, das heißt, auf das Clavier zu, und spielt das Concert vom Blatte weg, und zwar wie eine Composition, die man zuvor mit allem Fleiße für den öffentlichen Vortrag einstudirt und auswendig gelernt hat! Um aber dem Componisten des Concerts Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, müssen wir berichten, daß sein Gewissen, durch die Bewunderung erweckt, sein Uebelwollen nicht länger mehr die Oberhand behalten ließ. Er konnte nicht umhin, öffentlich zu bekennen: »daß er als ehrlicher Mann eingestehen müsse, daß dieses Kind der größte [95] Meister sei, der jetzt auf der Welt lebt. Er habe es zuvor nicht glauben können.«

Es war aber nicht hinlänglich, einen einzelnen Widersacher auf eine so edle Art besiegt zu haben, die ganze furchtbare Verbrüderung mußte überwunden und das Wiener Publicum selbst in den Stand gesetzt werden, zwischen Mozart und seinen Gegnern zu entscheiden. Dazu bot sich eine Gelegenheit, wie man sie nicht besser hätte wünschen können. Kaiser Joseph hatte dem jungen Maestro zu erkennen gegeben, daß er eine komische Oper von ihm zu hören wünsche. Dieser Wunsch war ein Befehl, dem man mit größtem Vergnügen gehorchte. Die Oper, welcheLa Finta semplice (die einfache List) betitelt wurde, war in einigen Wochen geschrieben und erhielt Hasse's und Metastasio's Beifall. Allein die Composition derselben war dieses Mal die geringste Schwierigkeit. Kaum waren die Verschworenen von der Gefahr unterrichtet, mit der sie bedroht waren, als sie Himmel und Erde in Bewegung setzten, um die Aufführung zu hintertreiben. Es gelang ihnen. Das italienische Theater war an einen gewissen Affligio verpachtet, und zwar unter der Bedingung, alle die Sänger, die zuvor vom Hofe ihre Gage erhalten hatten, fortzubezahlen, und sämmtlichen Personen des Hofes freien Eintritt zu gewähren. Da auf diese Art der Impresario die Gefahr des Unternehmens ganz allein zu tragen hatte, so hatte er sich, wie natürlich, vollständige Freiheit, sein Repertoir zu machen, vor behalten; von ihm allein hing die Annahme oder Verwerfung aller neuen Stücke ab, und der Hof hatte ihm in dieser Beziehung gar nichts vorzuschreiben. An diesen armen Mann machte man sich nun, den der Gedanke an einen nahe bevorstehenden Bankerott ohnehin fast zu Boden drückte, und brachte ihm die Ansicht bei, daß er mit der Darstellung der Finta semplice sich selbst den Todesstoß versetzen würde; [96] daß das Publicum im höchsten Grade Aergerniß daran nehmen würde, einen Jungen von zwölf Jahren als Dirigent am Claviere eine Oper leiten zu sehen, nachdem den Tag zuvor ein Gluck dirigirt habe; daß sein unfehlbarer Ruin die augenblickliche Folge sein würde, und was dergleichen mehr war. Affligio ließ sich dergestalt einschüchtern, daß er nur daran dachte, sich seiner Verbindlichkeiten gegen unsern Helden auf gute Art zu entledigen, dem er ein Honorar von hundert Ducaten zugesichert hatte. Die Hauptaufgabe war nur die, ihn, ohne ihm förmlich abzusagen, los zu werden, um den Hof nicht aufzubringen, der die Oper bestellt hatte und zu sehen wünschte. Die Maschinen, welche bestimmt waren, den ersten dramatischen Versuch Mozart's zu vernichten, mußten künstlich angelegt werden. Zuerst durfte der Dichter mit den für nöthig erachteten Aenderungen im Libretto nie fertig werden; dann kamen die Sänger und erklärten, daß sie die Arien nicht zu singen im Stande wären, die sie in den, bei dem Maestro angestellten Proben ihren Stimmmitteln völlig anpassend gefunden hatten. Nach diesen kam das Orchester. Konnten die im Dienste grau gewordenen Veteranen sich unter einen unbärtigen Director stellen? Welche Schmach! Während der Impresario gegen sich selbst conspirirte, blieben die Individuen, deren Werkzeug und Opfer er war, nach Außen ebenfalls nicht müßig. Sie gaben sich alle Mühe, die neue Oper zum Voraus in Mißcredit zu bringen, und schrieen sie überall als abscheulich aus, was sie als Kenner zu beurtheilen verstehen müßten. Dieß war aber, wie man sich auszudrücken pflegt, ein in die Luft geführter Hieb. Mozart hatte bereits in einigen der ausgezeichnetsten Häusern Wien's seine Arbeit auf dem Clavier Preis gegeben, und Alle, die sie gehört hatten, stimmten in ihrem Lobe überein. Die Verschworenen änderten nunmehr ihr System des Angriffes, indem sie überall herumliefen [97] und die Nachricht verbreiteten, daß diese Musik ein Werk des Vaters sei, indem der Sohn kein Wort italienisch verstehe und kaum das A B C der Composition weghabe. L. Mozart, dem es nie an Gegenmitteln fehlte, verzieh seinen Gegnern von Herzen eine Lüge, die seinem Sohne eine neue Gelegenheit zum Triumphe verschaffen sollte. In Gegenwart von vielen Zeugen nimmt er einen Band von Metastasio's Werken, öffnet ihn auf gut Glück, und man übergibt dem jungen Maestro das Gedicht, welches zufällig aufgeschlagen worden war. Wolfgang besann sich nicht einen Augenblick, sondern schrieb, wie wenn man ihm dictirt hätte, innerhalb einer Stunde etwa, den Gesang und die Begleitung dazu, so daß man sie sogleich hätte produciren können. Eine ähnliche Probe wurde bei dem Grafen Kaunitz, bei dem Herzoge von Braganza, bei Hasse, bei dem Capellmeister Bono, und selbst bei Metastasio vorgenommen, und jedesmal zog sich Wolfgang mit gleichem Erfolge und mit derselben Schnelligkeit aus der Sache. Gegen diese schlagenden Beweise vermochte die Cabale nichts mehr einzuwenden, sie verstummte, fuhr aber nichts desto weniger fort, im Geheimen zu wirken. So verflossen Monate, und an die Stelle trügerischer Versprechungen waren leere Ausflüchte getreten, ohne daß aber daran gedacht wurde, La finta semplice in die Scene zu setzen. Endlich ging L. Mozart unter diesen ewigen Plackereien, und ermüdet von den vergeblichen Schritten, die Geduld aus; denn, statt seine Umstände zu verbessern, mußte er täglich seine Casse immer mehr abnehmen sehen. Er verfügte sich zu dem sogenannten Grafen Affligio, hielt ihm mit kräftigen Worten den Contract vor, den er mit seinem Sohne abgeschlossen habe, und bedrohte ihn, für den Fall, daß er ihn zu hintergehen beabsichtige, mit einer Klage. Der Italiener, den die deutsche Derbheit etwas außer Fassung brachte, [98] suchte nach Ausflüchten. Als er aber sah, daß er damit nicht ausreiche und nicht ausweichen könne, eine entscheidende Antwort zu geben, sagte er endlich: »wohlan, wenn Sie durchaus Ihren Sohn sich prostituiren sehen wollen, so mag es sein, ich werde dagegen seine Oper auspfeifen lassen.« Der Vater unseres Helden wußte nur zu wohl, daß Affligio der Mann wäre, dieses Mal Wort zu halten, und wollte ihn deßhalb nicht auf die Probe setzen. La finta semplice wurde nicht gegeben.

Ich gestehe, daß ich bei'm Durchlesen der Briefe L. Mozart's mich des Gedankens nicht zu erwehren vermochte, daß das Unrecht des Unternehmers Affligio am Ende doch nicht so groß gewesen sein dürfte, und daß der erste dramatische Versuch unseres Helden doch noch zu schwach war, als daß er verdient hätte, in Scene gesetzt zu werden. Diesen Zweifel widerlegte ich mir aber später selbst durch gründlichere Prüfung der Umstände. Nach allen Antecedentien von Seiten Mozart's, nach denen man hauptsächlich schließen muß, erhob er sich weit über die mittelmäßigen Componisten seiner Zeit; sodann stimmten alle Dilettanten, die in Wien den Ton angaben, und die Oper am Claviere gehört hatten, in der Ansicht überein, daß die Musik vermöge ihres Werthes Beifall erhalten müßte; ferner der begeisterte Beifall der Sänger selbst, ehe ihnen untersagt worden war, aufrichtig zu sein; endlich, und zwar vor allem Andern beweis't das uneigennützige Zeugniß zweier großen Kenner, daß die Aufführung der finta semplice den Ruhm ihres Componisten alle stelle (zu den Sternen) erhoben haben würde. Hasse und Metastasio sprachen ihre Bewunderung für das Werk aus, und erklärten, daß sie in Italien dreißig Opern hätten Glück machen sehen, die in keiner Beziehung sich mit Mozart's Versuchen messen könnten. – Es unterliegt keinem Zweifel, daß La finta semplice heut' zu Tage nicht sehr, oder gar nicht gefallen [99] würde; aber gerade aus diesem Grunde hätte sie wahrscheinlich im Jahr 1768 Beifall erhalten. Das Genie unseres Helden bestand damals, und sogar lange nachher noch, in seinem Gedächtnisse; der Maestro von zwölf Jahren stand noch nicht hoch genug, um einen Durchfall zu wagen auf die Gefahr hin, nicht verstanden zu werden; sein Styl war noch nicht der Mozart'sche Styl; er folgte den Irrthümern der Lieblings-Componisten seiner Zeit, wie heute ein junger Mensch seines Alters damit beginnen würde, Rossini oder Beethoven nachzuahmen, wie groß auch immer die Originalität sein möchte, welche er in späterer Zeit entwickeln dürfte. Alle, welche Partituren italienischer Opern gesehen haben, die vor dem Idomeneo geschrieben worden sind, werden wissen, daß zwischen der Zeit vor und nach Mozart ein Abgrund liegt, in welchem der frühere dramatisch-lyrische Geschmack für immer begraben lag. Die italienischen Opern des achtzehnten Jahrhunderts, welche sich im Andenken und in der Zuneigung der Musikliebhaber erhalten haben, wie z.B. Fioravanti's Sängerinnen auf dem Lande und Cimarosa's heimliche Ehe sind sämmtlich während der letzten Lebensjahre Mozart's oder nach seinem Tode componirt worden18.

[100] Dadurch, daß die Verschworenen unserm Helden das Theater versperrt hatten, erreichten sie dennoch nur zur Hälfte ihren Zweck, der namentlich darauf hinauslief, ihm einen öffentlichen Triumph unmöglich zu machen. Mozart nahm sich aber seine Revanche. Eine neue, zum Waisenhause gehörige Kirche, war um diese Zeit fertig geworden. Der Director desselben beauftragte Mozart, zur Einweihung dieser Kirche eine solenne Messe, ein Offertorium und ein Trompeten-Concert zu componiren, welche Werke der junge Maestro in Person dirigiren sollte. Der ganze Hof war bei der Aufführung zugegen; der Zudrang von Menschen war ungeheuer, und Kaiser Joseph wurde endlich das Vergnügen zu Theil, das er sich versprochen hatte, als er die Oper bestellt hatte, nämlich den Kleinen an der Spitze eines ganzen Orchesters zu sehen. Ein schönes Geschenk von Seiten der Kaiserin bezeugte dem Maestro die Zufriedenheit seiner erlauchten Zuhörer.

Wir geben den Anfang des Kyrie als interessantes Beispiel vom Kirchenstyle eines zwölfjährigen Knaben.


4. Kapitel. Zweiter Aufenthalt in Wien 1767-1768

[101] Eine weitere Entschädigung für die fehlgeschlagene Inscenesetzung von La finta semplice, erhielt Wolfgang durch die Privataufführung einer von ihm in Wien componirten einaktigen deutschen Operette, die unter dem Namen Bastien und Bastienne, eine von Schachtner bearbeitete Uebersetzung einer Parodie auf das damals in Frankreich so beliebt gewordene Singspiel Rousseau's: Le devin du Village war. Veranlassung zur Aufführung dieses zweiten dramatischen Versuches gab die mit Mozart sehr befreundete Familie Mesmer, welche in ihrem Gartenhause in einer Vorstadt Wiens, eine Art Liebhabertheater gebildet hatte, um Affligio und der ganzen Kabale zum Trotz eine Oper ihres jungen Freundes dargestellt zu sehen. Es wurden die angesehensten [102] Musikfreunde und die berufensten Kenner dazu eingeladen, und es soll der Erfolg ein höchst erfreulicher gewesen sein19. In der That besitzt die durchaus einfache Musik viel ländliche Frische und Lieblichkeit, eine weiche, anmuthig klingende Instrumentirung, und mehrere pastorale Anklänge, die manchmal hübsche Effekte hervorbringen, wie z.B. die Nachahmung des Dudelsackes in folgendem Beispiele:


4. Kapitel. Zweiter Aufenthalt in Wien 1767-1768

4. Kapitel. Zweiter Aufenthalt in Wien 1767-1768

[103] Hier bringt die Abwechselung des Gis mit dem G eine eigenthümliche Wirkung hervor, die einen mit einem Zauberschlage in's Land der Idylle versetzt. Wir finden dieselbe Figur später öfters mit Vorliebe von ihm angewendet, so namentlich in einem seiner schönsten Quartette.

Interessant ist überdieß der Anfang der Introduction, an dessen Reminiscenz in Beethoven's Eroica Holmes erinnert, was natürlich rein zufällig ist:


4. Kapitel. Zweiter Aufenthalt in Wien 1767-1768

Die lange Abwesenheit des Vicecapellmeisters Leopold Mozart von seinen amtlichen Verrichtungen scheint am Ende doch mißfällig von seinen Vorgesetzten aufgenommen worden zu sein, denn eines schönen Tages erhielt er ein Schreiben vom erzbischöflichen Obersthofmeister, des Inhaltes, daß er zwar im Dienste [104] behalten werde, daß ihm aber während seiner Abwesenheit kein Gehalt vergönnt werden könne.

So unangenehm dieß für Leopold Mozart gewesen sein muß, so findet er doch auch einen Trost darin. Er schreibt hierüber:


Wien, den 11. November 1768.


»Von unserm Oberst-Hofmeister habe ich folgendes Schreiben erhalten:

Per espresso comando di S.A. Rma. devo far sepere a V.S., qualmente il clementissimo Principe Padrone niente abbia in contrario, che il Sign. Mozart se ne possi restar fuori a suo piacimento sin tanto che vuole, ed inoltre gli passerà ancora questo mese di Marzo il suo salario; ma inavvenire, quando non sej attualmente pressente in Salisburgo, sarà ben si mantenuto come prima nel suo servizio, ma durante la sua assenza non gli lascierà più correre il solito salario.20

Sehen Sie, welche Gnade! Ich kann nach meinem Belieben ausbleiben, wenn ich nur nicht begehre, daß man mich bezahle. Ich bin sehr wohl damit zufrieden. Wenigstens kann ich [105] ohne fernern Vorwurf ausbleiben. Daß ich durch den Vorspruch des Herrn Bruders Sr. hochfürstlichen Gnaden die Besoldung als Instructor in der Violine in dem fürstlichen Capellhause und erster Geiger wieder erbetteln könnte, wie man mir schreibt, mag wohl wahr sein. Der Bruder weiß die schöne Historie; ich erzählte sie ihm hier. Allein wie kann ich mit Billigkeit und Ehre etwas erbetteln, was ich, da ich meinen Dienst in Salzburg nicht verrichte, nach dem gewissesten Ausspruche der meisten dasigen Hofleute nicht verdiene? Es ist im Gegentheile dieses dasjenige, was mir eine Erlaubniß zur Reise nach Italien erleichtert: eine Reise, die, wenn man alle Umstände in Erwägung zieht, nicht mehr kann verschoben werden und dazu ich vom Kaiser selbst allen Vorschub in alle kaiserliche Staaten und nach Florenz und Neapel habe. Oder sollte ich vielleicht in Salzburg sitzen, in leerer Hoffnung nach einem bessern Glücke seufzen, den Wolfgangerl groß werden und mich und meine Kinder bei der Nase herum führen lassen, bis ich zu Jahren komme, die mich, eine Reise zu machen, verhindern, und bis der Wolfgangerl in die Jahre und den Wachsthum kömmt, die seinen Verdiensten die Verwunderung entziehen? Soll mein Kind durch die Oper in Wien den ersten Schritt umsonst gethan haben und nicht auf dem ein mal so breit gebahnten Wege mit starken Schritten forteilen?« – – – –


Die Familie Mozart war nun vierzehn Monate in Wien, eine Zeit, welche der Vater als doppelt verloren betrachten mußte, weil er seine Ersparnisse hatte angreifen müssen und sein Sohn die Kosten für seine Partitur verloren hatte. Es wurde daher Ende Decembers 1768 die Rückreise angetreten.

[106] Ehe wir die Familie nach Salzburg zurück begleiten, lassen wir die wichtigsten Auszüge aus Leopold Mozart's Correspondenz folgen, die von höchstem Interesse für diesen Abschnitt von seines Sohnes Künstlerleben sind.


Ollmütz, den 10. November 1767.


Te Deum Laudamus! Der Wolfgangerl hat die Blattern glücklich überstanden und wo? In Ollmütz und wo? In der Residenz Sr. Excellenz des Herrn Grafen Podstatsky.

Sie denken sich die Verwirrung, die in Wien gewesen ist. Nun muß ich Ihnen einige besondere Sachen erzählen, die uns allein angehen, und daraus Sie sehen werden, wie die göttliche Vorsehung Alles so zusammen verbindet, daß wir, wenn wir uns derselben mit gänzlichem Vertrauen überlassen, unser Schicksal nicht verfehlen können.

Ein Sohn unsers Wirths bekam die Blattern gleich bei unserer Ankunft, wie wir ein paar Tage später erst erfuhren. Vergebens suchte ich in der Geschwindigkeit eine andere Wohnung. Ich floh mit Wolfgang allein zu einem Freunde. Nun hörte man von Nichts als von den Blattern reden, an denen unter zehn Kranken neun starben. Wie mir zu Muthe war, läßt sich leicht einbilden. Die Nächte schlief ich nicht und bei Tage hatte meine Flau keine Ruhe. Ich war entschlossen, gleich nach dem Tode der Prinzessin nach Mähren zu gehen, bis die erste Traurigkeit vorüber war. Allein man ließ uns nicht weg, weil der Kaiser oft von uns sprach, daß es nie sicher war, wann es ihm einfiele, uns kommen zu lassen. Sobald sich aber die Erzherzogin übel befand, ließ ich mich von Nichts aufhalten, denn ich konnte den Augenblick kaum erwarten, meinen Wolfgang aus dem mit den Blattern gänzlich angesteckten Wien in eine andere Luft zu führen. [107] Wir eilten nach Brünn, wo ich mit dem Wolfgangerl dem Grafen Schrattenbach und der Gräfin Herberstein aufwartete. Es wurde von einem Concerte gesprochen, um die Kinder zu hören; allein ich hatte einen innerlichen Trieb, den ich mir nicht aus dem Kopfe bringen konnte, und der nur auf einmal kam, nach Ollmütz zu reisen, und das Concert in Brünn bei der Rückkunft zu machen. Graf Schrattenbach war es zufrieden.

Gleich bei unserer Ankunft erkrankte Wolfgang. Ich ging zu dem hiesigen Domdechant Grafen Podstatsky (der in Salzburg Domherr ist). Als ich ihm von der Krankheit sprach, und meine Furcht äußerte, daß es die Blattern wären, erbot er sich, uns zu sich zu nehmen, weil er diese Krankheit nicht scheute. Er befahl gleich seinem Hausmeister, zwei Zimmer für uns in Ordnung zu bringen, und schickte seinen Arzt uns zu. Darauf kamen wir in die Domdechantey. Es wurden wirklich die Blattern; aber er ist schon in der Besserung.

Sie sehen schon, daß mein Leibspruch wahr ist: In te, Domine, speravi, non confundar in aeternum. Ich überlasse Ihnen zu betrachten, wie wunderbarlich wir durch unser Schicksal nach Ollmütz gezogen worden sind, und wie außerordentlich es ist, daß Graf P. aus eigenem Triebe uns mit einem Kinde aufgenommen hat, das die Blattern bekommen sollte. Ich will nicht melden, mit was für Güte, Gnade und Ueberfluß wir in Allen bedient sind; sondern ich will nur fragen, wie viele es etwa noch dergleichen geben möchte, die eine ganze Familie mit einem Kinde, das in solchen Umständen ist, und noch dazu aus eigenem Triebe der Menschenliebe in ihre Wohnung aufnehmen würden. Diese That wird dem Grafen in der Lebensgeschichte unseres Kleinen, die ich seiner Zeit in den Druck geben werde, keine geringe Ehre [108] machen, denn hier fängt sich auf eine gewisse Art eine neue Zeitrechnung seines Lebens an.

Aber nun werde ich später in Salzburg eintreffen, als ich gedacht hatte, um nicht Wolfgangs Leben in Gefahr zu setzen. Inzwischen bitte ich, drei heilige Messen zu Loretto bei dem heiligen Kindel, und drei heilige Messen zu Maria-Plain lesen zu lassen.

Aus dem offenen Schreiben des Mr. Grimm, das Sie mir sandten, werden Sie gesehen haben, was er mir vom russischen Hofe und von dem Erbprinzen von Braunschweig schreibt.

Uebrigens sehen Sie wohl, wie krumm alles gegangen ist. Da wir glaubten, daß Alles recht arg wäre, hat Gott uns mit der großen Gnade erfüllt, und unsern lieben Wolfgang die Blattern glücklich überstehen lassen. Nun achte ich gar nichts, so nur dieses gut vorbei ist. Da wir nichts verdienen, so habe nun schon mehrmalen Geld auf meinen Credit aufgenommen. Basta! wer weiß, wem der Vater den Schimmel schenkt?


Wien, den 30. Januar 1786.


Es ist Zeit, Ihnen eine mehrere und klärere Nachricht von unsern, ich weiß nicht glücklichen oder unglücklichen Umständen zu geben. Wenn das Gold die einzige Glückseligkeit der Menschen ausmacht, so sind wir ohne Zweifel dermalen zu bedauern, indem wir so viel von dem Unsrigen ausgelegt haben, daß wenig scheinbare Hoffnung übrig ist, uns wieder erholen zu können. Ist hingegen die Gesundheit und die Geschicklichkeit in Wissenschaften das beste Gut des Menschen, so sind wir, Gott sei gelobt! noch wohl daran. Der gefährlichste Hauptsturm ist überstanden. Wir sind alle durch [109] die Gnade Gottes gesund, und meine Kinder haben gewiß nichts vergessen, sondern wie es sich zeigen wird, größern Fortgang gemacht.

Nichts wird Ihnen nun unbegreiflicher sein, als wie es zugeht, daß unsere Sachen keinen bessern Fortgang haben. Ich werde es Ihnen, so gut ich kann, erklären, obwohl ich die Sachen, die der Feder nicht anzuvertrauen sind, weglassen muß. Daß die Wiener in genere reden, nicht begierig sind, Ernsthaftes und Vernünftiges zu sehen, auch wenig oder gar keinen Begriff davon haben, und nichts als närrisches Zeug, Tanzen, Teufel, Gespenster, Zaubereien, Hanswurste, Lipperl, Bernadon, Hexen und Erscheinungen sehen wollen, ist eine bekannte Sache und ihre Theater beweisen es täglich. Ein Herr, auch mit einem Ordensbande, wird wegen einer hanswurstischen Zote oder einfältigen Spasses mit den Händen klatschen, lachen, daß er fast aus dem Athem kömmt, hingegen bei der ernsthaftesten Scene, bei der rührendsten und schönsten Aktion und bei den sinnreichsten Redensarten mit einer Dame so laut schwatzen, daß andere ehrliche Leute kein Wort verstehen. Das ist nun der Hauptgrund. Die Hauswirthschaft des Hofes, die ich hier nicht beschreiben kann, ist eine Sache, die viele Folgen nach sich zieht, und der zweite Grund. Aus diesen zwei Gründen entspringen unzählige wunderliche Sachen, weil Alles von dem puren blinden und ungefähren Glücke, auch öfters von einer abscheulichen, doch nicht allen Menschen gegebenen, Niederträchtigkeit, oder gar von einer recht kecken und verwegenen Windmacherei abhängt. Nun auf unsere Sache zu kommen, so haben sich viele andere widrige Zufälle ereignet. Bei unserer Ankunft konnten wir nichts Anderes thun, als uns den Eingang nach Hofe zu eröffnen. Allein die Kaiserin hält keine Musik mehr bei sich; sie geht weder in die Oper noch in die Comödie. Sie ließ [110] uns an den Kaiser anweisen. Allein, da dieser Herr Alles, was Ausgaben nach sich ziehen möchte, im höchsten Grade verabscheut, so ging es lange her, bis er zu einem Entschlüsse kam. Darauf folgte der Todesfall der Prinzessin Braut.

Nach unserer Rückkunft aus Mähren kamen wir zu den allerhöchsten Herrschaften, ohne daß wir daran dachten. Kaum wurde der Kaiserin erzählt, was in Ollmütz vorgegangen war und daß wir zurück waren, erhielten wir Tag und Stunde, wann wir erscheinen sollten. Allein, was hilft alle die erstaunliche Gnade, die unbeschreibliche Leutseligkeit? Was ist die Wirkung davon? Nichts, als eine Medaille, die zwar schön ist, aber so wenig betragt, daß ich gar nicht einmal deren Werth hersetzen mag. Sie überläßt das Uebrige dem Kaiser, und dieser schreibt es in das Buch der Vergessenheit ein und glaubt ganz gewiß, daß er uns mit seinen gnädigsten Unterredungen bezahlt hat.

Was die Noblesse in Wien thut? Die Ausgaben schränken Sie Alle ein, so viel es möglich ist, um sich dem Kaiser gefällig zu machen. So lange der Fasching dauert, denkt man hier auf Nichts als das Tanzen. In allen Ecken ist Ball, aber NB. Alles auf gemeine Unkosten. Sogar die Redoute bei Hofe ist für baares Geld. Und wer hat den Nutzen davon? Der Hof; denn alle Tänze, Redouten, Bälle und Spektakel sind verpachtet. Andere haben den Namen und der Nutzen wird zwischen dem Hofe und den Pächtern so zu sagen getheilt. Wer also hingeht, erweist auch dem Hofe einen guten Dienst. Dieß sind demnach die politischen Ausgaben des Adels. Wir haben die größten Personen desselben zu unserer Protektion. Der Fürst Kaunitz, der Herzog von Braganza, die Fräulein Guttenberg, die das linke Auge der Kaiserin ist, der Oberst-Stallmeister Graf Dietrichstein, welcher Alles bei dem Kaiser vermag, sind unsere Freunde. Aber welcher [111] Zufall! Noch haben wir dieß Mal den Fürsten Kaunitz nicht sprechen können, weil er die Schwach heit hat, die Blattern so zu fürchten, daß er Leute scheuet, die auch nur noch rothe Flecken im Gesichte haben. Da dieses der Fall mit Wolfgang ist, so ließ er uns nur durch unsern Freund de l'Augier sagen, daß er in der Fasten für unser Interesse sorgen werde, weil man in der Faschingzeit die Noblesse nicht unter einen Hut bringen könne. Als ich nun diese Sache am besten überlegte und bedachte, daß ich bereits so viel Geld ausgelegt hätte, so ereignete sich eine ganz andere Begebenheit. Ich erfuhr, daß alle Clavieristen und Componisten in Wien sich unserm Fortgange widersetzten, ausgenommen der einzige Wagenseil, der aber, da er krank ist, wenig oder nichts für uns thun kann. Die Hauptmaxime dieser Leute war, alle Gelegenheit, uns zu sehen und die Wissenschaft des Wolfgangerls einzusehen, sorgfältigst zu vermeiden. Und warum? Damit sie bei den so vielen Fällen, wo sie gefragt würden, ob sie diesen Knaben gehört haben und was sie davon halten, allezeit sagen könnten, daß sie ihn nicht gehört haben und daß es unmöglich wahr sein könnte; daß es Spiegelfechterei und Harlekinade wäre; daß es abgeredete Sachen wären, da man ihm Musik zu spielen gäbe, die er schon kenne; daß es lächerlich sei, zu glauben, er componire. Sehen Sie, deßwegen fliehen sie uns. Denn wer gesehen und gehört hat, kann nicht mehr so reden, ohne sich in Gefahr zu setzen, seine Ehre zu verlieren. Einen von dieser Art Leute habe ich in das Garn bekommen. Wir hatten mit Jemand abgeredet, uns in der Stille Nachricht zu geben, wenn er zugegen wäre. Er sollte aber dahin kommen, um dieser Person ein recht außerordentlich schweres Concert zu überbringen, welches man dem Wolfgangerl vorlegen sollte. Wir kamen also dazu und er hatte hiemit die Gelegenheit, sein Concert von dem Wolfgangerl [112] so wegspielen zu hören, als wüßte er es auswendig. Das Erstaunen dieses Compositeurs und Clavieristen, die Ausdrücke, deren er sich in seiner Bewunderung bediente, gaben uns Alles zu verstehen, was ich Ihnen oben angezeigt habe. Zuletzt sagte er: ich kann als ein ehrlicher Wann nicht anders sagen, als daß dieser Knabe der größte Mann ist, welcher dermalen in der Welt lebt: es war unmöglich zu glauben.

Um nun das Publikum zu überzeugen, was eigentlich an der Sache ist, so habe ich es auf einmal auf etwas ganz Außerordentliches ankommen zu lassen mich entschlossen. Nämlich, er soll eine Oper für das Theater schreiben. Und was glauben Sie, was für ein Lärmen unter der Hand unter den Componisten entstanden ist: »Was? heute soll man einen Gluck, und morgen einen Knaben von zwölf Jahren bei dem Flügel sitzen und seine Oper dirigiren sehen?« Ja, trotz allen Neidern! Ich habe sogar den Gluck auf unsere Seite gebracht, so zwar, wenn es ihm auch nicht gänzlich von Herzen geht, daß er es nicht darf merken lassen, denn unsere Protectoren sind auch die seinigen. Und um mich wegen der Acteurs sicher zu stellen, die den Componisten gewöhnlich den meisten Verdruß machen, so habe ich die Sache mit ihnen selbst angefangen und einer von ihnen mußte mir selbst alle Anschläge dazu geben. Den ersten Gedanken aber, den Wolfgangerl eine Oper schreiben zu lassen, gab mir, die Wahrheit zu bekennen, der Kaiser selbst, indem er den Wolfgang zwei Mal gefragt hat, ob er nicht eine Oper schreiben und selbst dirigiren wolle. Dieser antwortete freilich: Ja; allein der Kaiser konnte auch mehr nicht sagen, indem die Opern den Affligio angehen.

Nun darf ich mich kein Geld gereuen lassen, denn es wird wohl heut oder morgen wieder kommen. Wer Nichts wagt, [113] gewinnt Nichts; ich muß die Sache recht an's Licht bringen. Es muß gehen oder brechen. Und was ist dazu geschickter als das Theater?

Es ist aber keine Opera seria, denn es wird keineOpera seria mehr jetzt gegeben und man liebt sie auch nicht, sondern eine Opera buffa. Nicht aber eine kleine Opera buffa, sondern zu drittehalb bis drei Stunden lang. Zu seriösen Opern sind keine Sänger hier. Selbst die traurige Gluck'sche Oper: Alceste ist mit lauter Opera buffa-Sängern aufgeführt worden. Jetzt macht G. auch eine Opera buffa. Für die Opera buffa sind excellente Leute da: Signori Caribaldi, Caratoli, Poggi, Laschi, Polini; die Signore Bernasconi, Eberhardi, Baglioni.

Was sagen Sie dazu? Ist der Ruhm, eine Oper für das Wiener Theater geschrieben zu haben, nicht der beste Weg, nicht nur einen Credit in Deutschland, sondern in Italien zu erhalten? – – – –


Wien, den 30. Juli 1768.


– – – – Unsern so langen Aufenthalt hierselbst betreffend, sind wir höchst mißvergnügt; ja, Nichts als unsere Ehre hält uns zurück, sonst würden wir bereits lange in Salzburg zurück sein. Denn wollten sie wohl, daß man in ganz Wien sagen sollte, der Wolfgangerl hätte die Oper in Wien nicht verfertigen können, oder sie wäre so elend ausgefallen, daß man sie nicht hätte aufführen können, oder er hätte sie nicht gemacht, sondern der Vater? Wollten Sie, daß man mit kaltem Blute erwarten sollte, daß derlei Verläumdungen in alle Länder ausgeschrieben würden? Würde dieses wohl zu unserer Ehre, ja, wurde [114] es zur Ehre unsers gnädigsten Fürsten sein? Sie werden fragen, was der Kaiser dazu sagt. Hier muß ich die Sache nur kurz berühren, denn ausführlich läßt es sich nicht beschreiben. Doch Sie werden es einsehen. Hätte ich Alles gewußt, was ich nun weiß, und hätte ich Zufälle vorhersehen können, die sich ereignet haben, so würde der Wolfgangerl gewiß keine Note geschrieben haben, sondern längst zu Hause sein. Das Theater ist verpachtet, oder vielmehr einem gewissen Affligio überlassen. Dieser muß jährlich einige tausend Gulden an Leute bezahlen, die der Hof sonst bezahlen mußte. Der Kaiser und die ganze kaiserl. Familie zahlen Nichts für die Entree. Folglich hat diesem Affligio der Hof nicht ein Wort zu sagen, indem Alles auf feine Gefahr geht und er nun wirklich in Gefahr steht, in's Verderben zu gerathen.

Der Kaiser fragte einst unsern Wolfgangerl ob er nicht eine Oper schreiben möchte, und setzte hinzu, daß er ihn gerne bei dem Claviere die Oper dirigiren sehen würde. Der Kaiser ließ dieses auch dem Affligio zu erkennen geben, der es denn auch gegen Bezahlung von 100 Dukaten mit uns richtig machte. Die Oper sollte Anfangs auf Ostern gemacht werden; allein der Poet war der erste, der es hinderte, indem er, um nur da und dort nothwendige Veränderungen vorzunehmen, es immer verzögerte, so daß man von den veränderten Arien um Ostern erst zwei von ihm erhalten konnte. Es wurde auf Pfingsten, und dann auf die Rückkunft des Kaisers aus Ungarn festgesetzt. Allein hier fiel die Larve vom Gesicht. Denn unter dieser Zeit haben alle Componisten, darunter Gluck eine Hauptperson ist, Alles untergraben, um den Fortgang dieser Oper zu hindern. Die Sänger wurden aufgeregt, das Orchester aufgehetzt, und Alles angewandt, um die Aufführung der Oper einzustellen. Die Sänger, die ohnehin kaum die Noten kennen, und darunter ein und Anderer Alles gänzlich [115] nach dem Gehöre lernen muß, sollten nun sagen: sie könnten ihre Arien nicht singen, die sie doch vorher im Zimmer bei uns hörten, genehmigten, applaudirten, und sagten, daß sie ihnen recht wären. Das Orchester sollte sich nun nicht gerne von einem Knaben dirigiren lassen, u.s.w. Inzwischen wurde von Einigen ausgesprengt, die Musik sei keinen blauen Teufel werth; von Andern, die Musik sei nicht auf die Worte, und wider das Metrum geschrieben, indem der Knabe nicht genug die italienische Sprache verstehe. Kaum hörte ich dieses, so bewies ich an den ansehnlichsten Orten, daß der Musikvater Hasse und der große Metastasio sich darüber erklärten, daß diejenigen Verläumder, die dieses aussprengten, zu ihnen kommen sollten, um aus ihrem Munde zu hören, daß dreißig Opern in Wien aufgeführt worden wären, die in keinem Stücke der Oper dieses Knaben beikämen, welche sie beide in höchstem Grade bewunderten. Nun hieß es, nicht der Knabe, sondern der Vater habe sie gemacht. Aber auch hier fiel der Credit der Verläumder, denn sie verfielen ab uno extremo ad aliud, und hier saßen sie gleich im Pfeffer. Ich ließ den nächsten besten Theil der Werke Metastasio's nehmen, das Buch öffnen, die erste Arie, die in die Hände kam, dem Wolfgangerl vorlegen. Er ergriff die Feder und schrieb, ohne sich zu bedenken, in Gegenwart vieler Personen von Ansehen die Musik dazu mit vielen Instrumenten in der erstaunlichsten Geschwindigkeit. Dieß that er bei dem Kapellmeister Bono, bei Metastasio, bei Hasse, bei dem Herzoge von Braganza und bei dem Fürsten Kaunitz. Indessen war wieder eine andere Oper ausgetheilt worden: da aber nun nicht mehr zu widersprechen ist, so soll Wolfganger's gleich darauf gemacht werden.

Hundertmal habe ich wollen zusammen packen und davon ziehen. Und wäre es eine Opera seria, wäre ich den Augenblick, [116] ja den ersten Augenblick abgereist, und hätte sie Sr. hochfürstlichen Gnaden zu Füßen gelegt. Allein, da es eine Opera buffa ist, und zwar eine solche, die besondere Charaktere von persone buffe erfordert, so muß ich unsere Ehre hier retten, es koste, was es wolle. Es steckt die Ehre unseres gnädigsten Landesfürsten ebenfalls darunter. Se. hochfürstl. Gnaden haben keinen Lügner, keinen Charlatan, keinen Leutebetrüger in Ihren Diensten, die mit Vorwissen und gnädigster Erlaubnis an fremde Orte geben, um den Leuten gleich den Taschenspielern, einen blauen Dunst vor die Augen zu machen, nein, sondern ehrliche Männer, die zur Ehre ihres Fürsten und Vaterlandes der Welt ein Wunder verkündigen, welches Gott in Salzburg hat lassen geboren werden. Ich bin diese Handlung dem allmächtigen Gott schuldig; sonst wäre ich die undankbarste Creatur. Und wenn ich jemals schuldig bin, die Welt dieses Wunders halber zu überzeugen, so ist es eben jetzt, da man Alles, was nur ein Wunder heißt, lächerlich macht, und allen Wundern widerspricht. Man muß sie demnach überzeugen; und war es nicht eine große Freude und ein großer Sieg für mich, da ich einen Voltairianer mit einem Erstaunen zu mir sagen hörte: Nun habe ich einmal in meinem Leben ein Wunder gesehen; das ist das erste. Weil nun aber dieses Wunder zu sichtbarlich und folglich nicht zu widersprechen ist, so will man es unterdrücken. Man will Gott die Ehre nicht lassen. Man denkt, es kömmt nur noch auf einige Jahre an, alsdann verfällt es in's Natürliche und hört auf, ein Wunder Gottes zu sein. Man will es demnach den Augen der Welt entziehen; und wie würde es sichtbarer, als in einer großen volkreichen Stadt durch ein öffentliches Spektakel? Aber sollen wir uns über fremde Verfolgungen wundern, da fast dergleichen in [117] dem Geburtsorte dieses Kindes geschehen? Welche Schande? Welche Unmenschlichkeit!

Nun werden Sie sich noch wundern, warum der Fürst Kaunitz und andere Große, ja der Kaiser selbst nicht befehlen, daß die Oper aufgeführt wird. Erstlich können sie es nicht befehlen, weil es nur das Interesse des Sign. Affligio (den einige Graf Affligio heißen) betrifft. Zweitens würden sie es ihm zu einer andern respektive befehlen. Allein, da der Fürst Kauniz wider den Willen des Kaisers den Affligio beredet hat, daß er französische Comödianten hat kommen lassen, die ihm jährlich über 70,000 fl. kosten, und die ihm nun, da sie den gehofften Zulauf nicht haben, den Untergang bringen, und A. die Schuld auf den Fürsten Kauniz wälzt, dieser Fürst hingegen sich Hoffnung machte, den Kaiser dahin zu bewegen, daß er an dem französischen Theater Belieben haben und die Unkosten dem A. ersetzen sollte, so ließ der Kaiser sich viele Wochen in keinem Spektakel sehen. Sehen Sie den verdrießlichen Umstand, der sich zu gleicher Zeit ereignen mußte, und der auch dazu half, daß A. sich leicht bereden ließ, die Oper des Wolfgangerl's vom Hals zu schieben, und die 100 Dukaten im Sacke zu behalten, und die anderer Seits verhinderte, daß aus Furcht des Ersatzes der 70,000 fl. Niemand mit einem scharfen und befehlenden Nachdruck mit A. sprechen wollte. Inzwischen ist doch Alles dieses unter der Hand geschehen. A. schob den Verschub auf die Sänger, und sagte, sie könnten und wollten die Oper nicht singen. Die Sänger hingegen schoben es auf den A., und gaben vor, er hätte gesagt, daß er sie nicht aufführen werde; sie könnten sich ja ein und anderes ändern lassen. Sie soll also aufgeführt werden. Sollte nun aber ein neues Hinderniß sich äußern, so werde ich meine Klage an die Majestäten gelangen lassen und eine solche Genugthuung verlangen, die unsere Ehre vor [118] der ganzen ehrlichen Welt rettet; denn es würde keine Ehre für uns, ja für den Hof zu Salzburg sein, wenn wir uns durch den uns verfolgenden Neid so platterdings abtreiben, und den Botschaften Platz ließen, nach unserer Abreise dem unwissenden Publikum vorzusagen (wie es bereits geschehen), daß der Wolfgang die Oper gar nicht zu Stande gebracht habe, oder daß sie so schlecht ausgefallen, daß man sie gar nicht habe aufführen können. So muß man sich in der Welt durchraufen. Hat der Mensch kein Talent, so ist er unglücklich genug. Hat er Talent, so verfolgt ihn der Neid nach dem Maße seiner Geschicklichkeit. Ueber alles dieses fällt jetzt die Sängerin Bernasconi in einen starken Katarrh, und die Baglioni ist auch nicht wohl. Das wird wieder die Sachen auf drei Wochen verschieben, so daß ich mit dem äußersten Verdrusse, dergleichen ich auf unsern vorigen Reisen keinen gehabt habe, den Ausgang dieser verhaßten Sache abwarten muß. Alle vernünftigen Menschen müssen mit Scham bemerken, daß es eine Schande für unsere Nation ist, daß wir Deutschen einen Deutschen zu unterdrücken suchen, dem fremde Nationen durch die größte Bewunderung, ja durch öffentliche Schriften haben Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Allein mit Geduld und Standhaftigkeit muß man die Leute überzeugen, daß die Widersacher boshafte Lügner, Verläumder und neidische Creaturen sind, die über ihren Sieg in die Faust lachen würden, wenn man sich erschrecken oder ermüden ließe, um so mehr als solche Leute in Wien, die etwa eine Prinzessin oder einen königl. Prinzen zu unterrichten haben, ja auch diejenigen, die nur die hiesige Luft einschlucken, sonst stolz genug sind, weil hier der Sitz des Kaisers ist, Leute, die auswärtigen Fürsten dienen, mit Verachtung anzuschauen, und von auswärtigen Fürsten höhnisch und niederträchtig zu sprechen. Nun, glaube ich, wissen Sie meine Umstände, und dennoch habe ich nur [119] überhaupt erzählt. Ich würde auch diese Begebenheit an Se. hochfürstliche Gnaden unsern gnädigsten Herrn selbst gerichtet haben, wenn ich Höchstdieselben mit einer so langen Geschichte, in wichtigern Sachen zu stören, nicht Anstand genommen hätte. Wir empfehlen uns Ihre Hochwürden und Gnaden, dem gnädigen Herrn Beichtvater, und bitten, er möchte uns Sr. hochfürstlichen Gnaden zu Füßen legen.

Sie sehen aus Allem, daß meine Feinde in Salzburg es gut mit uns meinen, da sie daselbst aussprengen, der Wolfgang hätte 2000 fl. für die Oper bekommen. – – – –


Wien, den 3. August 1768.


– – – Ich würde der verdrießlichen Begebenheiten, die mich hier halten, müde sein, wenn ich nicht aus Erfahrung wüßte, daß manche Sache oft eine ganz andere Wendung bekömmt, als man jemals hoffen konnte. Wie manchmal hat mich die göttliche Vorsehung augenscheinlich mit Gewalt angetrieben oder zurückgehalten! – – –


Wien, den 13. September 1768.


– – – Das beste ist noch, daß wir Alle, Gottlob! gesund sind. Ich kann Ihnen unsere Sachen unmöglich umständlich genug beschreiben: es fehlt an Zeit und Geduld. Mündlich sollen Sie Alles und zwar erstaunliche Sachen hören. Sobald unser Handel aus ist, reisen wir augenblicklich ab.

Wir speisen manchmal bei dem P. Parhammer, und waren auch bei ihm, als der Kaiser den Grundstein zu der neuen Kirche [120] legte. Damals fragten Se. Majestät, wie Mehrere hörten, den Wolfgang, wie weit er mit der Oper gekommen wäre, und sprach sehr lange mit ihm. – – – –


Wien, den 14. September 1768.


– – – – Was die Oper des Wolfgang anbelangt, kann ich Ihnen kurz nichts anders sagen, als daß die ganze Musikhölle sich empört hat, um zu verhindern, daß man die Geschicklichkeit eines Kindes sehen soll. Ich kann sogar auf die Aufführung nicht dringen, da man sich verschworen hat, sie, wenn es sein müßte, elend aufzuführen, und zu verderben. Ich mußte die Ankunft des Kaisers erwarten: sonst würde die Bataille längst ihren Anfang genommen haben. Ich werde Nichts unterlassen, was die Rettung der Ehre meines Kindes erheischt. Ich wußte es schon lange: noch länger aber argwohnte ich es. Ich sagte es sogar dem Grafen von Zeil, welcher aber glaubte, daß alle Musici für den Wolfgang eingenommen wären, weil er auch nach dem Aeußerlichen urtheile, und ihm die innerliche Bosheit dieser Vieher nicht bekannt war. Geduld! die Zeit wird Alles aufklären, und Gott läßt Nichts vergebens geschehen. – – –


Wien, den 24. September 1768.


Heute habe ich an Se. Hochfürstliche Gnaden geschrieben. Ich hoffe, der Bruit, von dem Sie melden, werde ohne Grund sein. Sollte aber Gott etwas Anderes mit uns vorhaben, so stünde es zu ändern nicht in unserer Gewalt. Immer hoffe ich, [121] Sie werden mich nicht in Ungewißheit lassen, auch nur einen Augenblick.

Am 21. d.M. hatte ich bei dem Kaiser Audienz und überreichte ihm meine Beschwernisse wider den Theaterimpressar. Es ist auch schon die Untersuchung dem Grafen Spork übergeben, und Affligio hat Befehl sich zu verantworten. Der Kaiser war auf das gnädigste und versprach alle Gerechtigkeit. Heute habe ich wieder Geld aufnehmen müssen. Der Himmel wird Alles wieder ersetzen. – – –


Species facti.

Wien.


Nachdem viele des hiesigen Adels sowohl durch auswärtige Nachrichten als durch eigene Untersuchung und angestellte Proben von dem außerordentlichen Talente meines Sohnes überzeugt waren, wurde es durchgehends als eine der bewunderungswürdigsten Begebenheiten dieser und der vorigen Zeiten angesehen, wenn ein Knabe von zwölf Jahren eine Oper schreiben und selbst dirigiren sollte. Eine gelehrte Schrift aus Paris bestärkte diese Meinung, indem solche, nach einer ausführlichen Beschreibung des Genie's meines Sohnes, behauptet: es wäre kein Zweifel, dieses Kind werde in einem Alter von zwölf Jahren auf einem oder dem andern Theater Italiens eine Oper schreiben. Und Jedermann glaubte, ein Deutscher müsse solch einen Ruhm nur seinem Vaterlande vorbehalten. Ich wurde hierzu einhellig aufgemuntert. Ich folgte der allgemeinen Stimme, und der holländische Gesandte, Herr Graf von Degenfeld war der erste, welcher dem Theaterimpressarius Affligio den Vorschlag machte, weil ihm die Fähigkeit des Knaben [122] schon von Holland aus bekannt war. Der Sänger Carattoli war der zweite, der es dem Affligio vortrug. Und die Sache ward bei dem Leibmedicus Laugier in Gegenwart des jungen Baron von Swieten und der zwei Sänger Carattoli und Caribaldi mit dem Impressarius beschlossen, um so mehr als Alle, sonderbar die zwei Sänger, mit größtem Ausdruck behaupteten, daß eine auch sehr mittelmäßige Musik von einem so jungen Knaben wegen des außerordentlich wunderbaren, und schon um dieses Kind ein Orchester bei Clavier sein Werk dirigiren zu sehen, die ganze Stadt in's Theater ziehen müsse. Ich ließ also meinen Sohn schreiben.

Sobald der erste Akt fertig war, bat ich den Carattoli selbst, solchen zu hören und zu beurtheilen, um mich sicher zu stellen. Er kam, und seine Verwunderung war so groß, daß er gleich den folgenden Tag wieder bei mir erschien, und den Caribaldi mit sich brachte. Caribaldi, nicht weniger erstaunt, führte ein paar Tage darauf den Poggi zu mir. Alle zeigten einen so ungemeinen Beifall, daß sie alle auf mein wiederholtes Fragen: ob sie wohl glaubten, daß es gut wäre? ob sie dafür hielten, daß er fortfahren sollte? sich über mein Mißtrauen ärgerten, und öfters mit vieler Bewegung ausriefen: Cosa! Come! Questo è un portento. Questa opera andrà alle stelle. È una maraviglia. Non dubiti, che scrivi avanti! sammt einer Menge anderer Ausdrücke. Das Nämliche sagte mir Carattoli in seinem eigenen Zimmer.

Durch den Beifall der Sänger eines erwünschten Erfolgs versichert, ließ ich meinen Sohn in der Arbeit fortfahren, bat aber auch den Leibmedicus Laugier, mit dem Impressarius der Bezahlung halber in meinem Namen Richtigkeit zu machen. Es geschahe, und Affligio versprach 100 Dukaten. Um nun meinen theuern Aufenthalt in Wien zu verkürzen, machte ich damals den Antrag, daß die Oper noch vor der Abreise Sr. Majestät nach Ungarn [123] aufgeführt werden möchte. Allein einige Abänderungen, die der Poet im Texte zu machen hatte, hemmten die Composition; und Affligio erklärte sich, daß er solche auf die Zurückkunft Seiner Majestät wolle aufführen lassen.

Nun lag die Oper schon einige Wochen fertig. Man fing zu copiren an, und der erste Akt wurde den Sängern, gleich darauf der zweite, ausgetheilt, da unter dessen mein Sohn eine und andere Arie, ja sogar das Finale des ersten Akts bei verschiedenen Gelegenheiten der Noblesse beim Clavier produciren mußte, welche von Allen bewundert worden, davon bei dem Fürsten von Kaunitz Affligio selbst Augen- und Ohrenzeuge war.

Nun sollten die Proben ihren Anfang nehmen. Allein, wie hätte ich dieses vermuthen sollen! hier nahmen auch die Verfolgungen gegen meinen Sohn ihren Anfang.

Es geschieht sehr selten, daß eine Oper gleich bei der ersten Probe vollkommen gut ausfallen, und nicht hin und wieder eine Abänderung erleiden sollte. Eben deßwegen pflegt man Anfangs beim Flügel allein, und bis nicht die Sänger ihre Parthien, besonders die Finalen wohl zusammen studirt haben, niemals mit allen Instrumenten zu probiren. Doch hier geschah das Gegentheil. Die Rollen waren noch nicht genug studirt, es war keine Probe der Sänger bei dem Claviere gemacht, die Finalen nicht zusammenstudirt; und dennoch nahm man die Probe des ersten Akts mit dem ganzen Orchester vor, um nur der Sache gleich Anfangs ein geringes und verwirrtes Ansehen zu geben. Niemand, der zugegen war, wird es eine Probe nennen, ohne darüber zu erröthen. Das lieblose Betragen derjenigen, denen es ihr Gewissen sagen wird, will ich nicht anführen. Gott mag es ihnen verzeihen!

Nach der Probe sagte mir Affligio: es wäre gut; doch da [124] ein und anderes zu hoch wäre, so müßte da und dort einige Veränderung gemacht werden; ich möchte nur mit den Sängern sprechen: und da Se. Majestät schon in 12 Tagen hier wären, so wolle er die Oper in vier, längstens sechs Wochen aufführen, damit man Zeit habe, Alles in gute Ordnung zu bringen, ich solle mich darüber gar nicht aufhalten; er sei Mann von seinem Worte, und werde in Allem sein Versprechen halten; es sei nichts neues; auch bei andern Opern gingen Veränderungen vor.

Es wurde demnach dasjenige, was die Sänger verlangten, abgeändert, und in dem ersten Akte zwei neue Arien gemacht, unterdessen aber im Theater la Caschina aufgeführt.

Nun war die bestimmte Zeit verflossen, und ich hörte, Affligio habe abermals eine andere Oper austheilen lassen. Es ging sogar die Rede, Affligio werde die Oper gar nicht aufführen; er hatte sich verlauten lassen, die Sänger könnten sie nicht singen. – Und diese hatten sie vorher nicht nur gut geheißen, sondern auch bis in den Himmel erhoben.

Um mich auch wider dieses Geschwätz sicher zu stellen, mußte mein Sohn bei dem jungen Baron von Swieten in Gegenwart des Grafen von Spork, des Duca di Braganza und anderer Musikverständigen die ganze Oper beim Clavier produciren. Alle verwunderten sich höchstens über das Vorgeben des Affligio und der Sänger: Alle waren sehr gerührt und erklärten einhellig, daß ein so unchristliches, unwahrhaftes und boshaftes Vorgeben nicht zu begreifen wäre; daß sie diese Oper mancher italienischen vorzögen, und daß, statt ein solches himmlisches Talent zu ermuntern, eine Kabale dahinter stecke, welche sichtbarlich nur dahin abziele, dem unschuldigen Knaben den Weg zu seiner verdienten Ehre und Glück abzuschneiden.

Ich begab mich zu dem Impressarius, um die wahre [125] Beschaffenheit der Sachen zu erfahren. Dieser sagte mir: er wäre niemals dagegen, die Oper aufzuführen; ich werde es ihm aber nicht verdenken, wenn er auf sein Interesse sehe; man hätte ihm einigen Zweifel beigebracht, daß die Oper vielleicht gefallen möchte; er habe die Caschina und wolle nun auch die Buona figliuola probiren lassen, dann aber gleich des Knaben Oper aufführen; sollte sie nicht, wie er wünsche, gefallen, so wäre er wenigstens schon mit zwei andern Opern versehen. Ich schützte meinen bereits langen Aufenthalt vor, und dessen Verlängerung. Er erwiederte: Ei was! acht Tage mehr oder weniger! Ich lasse sie dann gleich vornehmen. Bei diesem blieb es nun. Des Carattoli Arien waren geändert, mit Caribaldi Alles richtig gemacht, deßgleichen mit Poggi und Laschi. Jeder versicherte mich insbesondere: er hätte nichts einzuwenden. Alles käme lediglich auf den Affligio an. Inzwischen verflossen mehr als vier Wochen. Der Copist sagte mir, er habe noch keine Ordre, die veränderten Arien abzuschreiben; und da ich bei der Hauptprobe der Buona figliuola vernahm, Affligio wollte wieder eine andere Oper vornehmen, stelle ich ihn selbst zur Rede. Hierauf gab er in meiner und des Poeten Coltellini Gegenwart dem Copisten Befehl, daß Alles in zwei Tagen ausgetheilt und die Oper längstens in 14 Tagen mit dem Orchester probirt werden sollte.

Allein die Feinde des armen Kindes (wer sie immer sind) haben es abermals hintertrieben. An dem nämlichen Tage bekam der Copist Befehl, mit dem Schreiben einzuhalten. Und in ein paar Tagen erfuhr ich, Affligio hätte nun beschlossen, die Oper des Knaben gar nicht auf das Theater zu geben. Ich wollte Gewißheit in der Sache haben, ging zu ihm, und erhielt den Bescheid: er hätte die Sänger zusammen berufen, diese geständen ein, daß die Oper zwar unvergleichlich componirt, aber nicht theatralisch [126] wäre, und folglich von ihnen nicht könnte aufgeführt werden. Diese Rede war mir unbegreiflich. Denn sollten wohl die Sänger wirklich wagen, dasjenige, ohne schamroth zu werden, zu verachten, was sie vorher bis an die Sterne erhoben, zu welchem sie den Knaben selbst aufgemuntert, und was sie dem Affligio selbst als gut angepriesen haben? Ich antwortete ihm: er könnte nicht verlangen, daß der Knabe die große Mühe, eine Oper zu schreiben, umsonst unternommen habe. Ich erinnerte ihn seines Accordes. Ich gab ihm zu verstehen, daß er uns vier Monate herumgezogen, und uns in mehr als 160 Dukaten Unkosten gebracht habe. Ich erinnerte ihn der von mir versäumten Zeit, und versicherte ihm, daß ich mich sowohl der 100 Dukaten, die er mit dem Leibmedicus Laugier accordirt hätte, als übrigen Unkosten halber an ihn halten werde. Auf diese meine billige Forderung ertheilte er mir eine unverständliche Antwort, die seine Verlegenheit verrieth, mit der er sich, ich weiß nicht wie, von der ganzen Sache loszumachen suchte, bis er endlich mich mit den schändlichst lieblosen Ausdrücken verließ: wenn ich den Knaben wollte prostituirt haben, so werde er die Oper belachen und auspfeifen lassen. Coltellini hörte dieses Alles.

Dieß wäre also der Lohn, der meinem Sohne für seine große Bemühung, eine Oper zu schreiben, davon sein Original 558 Seiten beträgt, für die versäumte Zeit und die gemachten Unkosten angeboten wird! Und wo bliebe endlich, was mir am meisten am Herzen liegt, die Ehre und der Ruhm meines Sohnes, da ich nun nicht mehr wagen darf, auf die Vorstellung der Oper zu dringen, nachdem man mir deutlich genug zu verstehen gegeben hat, daß man sich alle Mühe geben würde, solche elend genug zu produciren; daß man ferner bald vorgibt, die Composition sei nicht zu singen, bald, sie sei nicht theatralisch, bald, sie sei nicht nach [127] dem Texte, bald, er wäre nicht fähig gewesen, eine solche Musik zu schreiben, und was derlei albernes und sich selbst widersprechendes Geschwätz immer ist, welches doch Alles bei einer genauen Untersuchung der musikalischen Kräfte meines Kindes, – um welche ich hauptsächlich zu seiner Ehre angelegentlichst und allerunterthänigst bitte – zur Schande der neidischen ehrenräuberischen Verläumder wie ein Rauch verschwinden und Jedermann überzeugen wird, daß es lediglich dahin abziele, ein unschuldiges Geschöpf, dem Gott ein außerordentliches Talent verliehen, welches andere Nationen bewundert und aufgemuntert haben, in der Hauptstadt seines deutschen Vaterlandes zu unterdrücken und unglücklich zu machen.


Wien, den 12. November 1768.


– – Am Feste der unbefleckten Empfängniß wird die neue Kirche des P. Parhammer'schen Waisenhauses benedicirt werden. Der Wolfgang hat zu diesem Feste eine solenne Messe, ein Offertorium und Trompeten-Concert für einen Knaben componirt und dem Waisenhause verehrt. Glaublich wird der Wolfgang selbst tactiren. Es hat Alles seine Ursachen. –


Wien, den 14. December 1768.


Die Messe, die am 7. December in Gegenwart des kaiserlichen Hofes bei dem P. Parhammer von Wolfgang aufgeführt worden und wobei er selbst den Tact geschlagen hat, hat dasjenige, was die Feinde durch Verhinderung der Oper zu verderben gedacht haben, wieder gut gemacht, und hat den Hof und das Publikum, da der Zulauf erstaunlich war, von der Bosheit unserer Widersacher überführt.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 90-128.
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