Siebentes Kapitel.

Salzburg und dritte italienische Reise.

1772 – März 1773.

[213] Kaum war Vater und Sohn nach Salzburg zurückgekehrt, verfiel Wolfgang in eine schwere Krankheit, die er aber bald überstand. Das Porträt, das damals von dem sechszehnjährigen Maestro gemalt wurde, sieht deßwegen, nach einer späteren Mittheilung seiner Schwester, »kränklich und sehr gelb aus.« Ein für Salzburg, und wie wir später sehen werden, auch für Wolfgang wichtiges Ereigniß trug sich unmittelbar nach ihrer Rückkehr zu. Erzbischof Sigismund starb am 16. December 1771 nach einer langwierigen Krankheit. Zu seinem Nachfolger wurde am 14. Mai 1772 Hieronymus, Joseph Franz von Paula aus der fürstlichen Familie von Colloredo-Waldsee und Möls, seither Bischof von Gurk gewählt, eine Wahl, die von der Bevölkerung keineswegs begrüßt werden konnte, da dieser Fürst einen hochmüthigen und mürrischen Charakter besaß, und in seinen Neigungen eher den Vergnügungen der Welt als der Pflege der Künste und Wissenschaften huldigte. Er war ein Mann von hoher, herrischer Statur, ein Freund von Pferden und der Jagd, und liebte es, von einem Kreise glänzender Damen umgeben zu sein. Für die Musik hatte er nicht den geringsten Sinn, und es hat lang gedauert, bis er zur Einsicht kam, daß an seinem jungen Concertmeister Wolfgang Mozart irgend etwas Außerordentliches sei. Ich habe den neuen Herrscher, welchen das Geschick Salzburg [214] gegeben hatte, bei seinem Namen, seinen Titeln und mit seinem Vornamen genannt, denn er verdient diese traurige Berühmtheit so gut wie alle Diejenigen, welche Widersacher großer Männer gewesen sind. In späteren Kapiteln werden wir finden, wie er die Bevölkerung, deren Hirte er war, behandelte, und welchen Werth er auf das glückliche Ungefähr legte, Wolfgang Amadeus Mozart unter seine Diener zählen zu dürfen.

Zu den Festlichkeiten, welche für die Inthronisation des neuen Erzbischofs bestimmt waren, hatte Wolfgang Mozart den Auftrag erhalten, eine allegorische Serenade: Il sogno di Scipione (der Traum des Scipio) zu componiren. Den Text hatte Metastasio schon im Jahr 1735 für eine andere Feierlichkeit, das Geburtsfest der Kaiserin Elisabeth (mit Musik von Predieri) geschrieben. Was der Traum Scipio's mit dem Einzug eines Erzbischofs zu schaffen hat, ist schwer einzusehen. Es ist daher diese Serenade als bloßes Gepränge- und Gelegenheitsstück gewählt worden, und Mozart ließ sich so wenig davon inspiriren, daß er in seiner Composition mehr auf äußerlichen Effekt, als auf Innigkeit des Ausdrucks Rücksicht nahm.

Ueber die Aufnahme dieser Composition von Seiten des neuen Erzbischofs verlautet Nichts, auch ist von keiner Belohnung dafür irgend Ewas zu lesen. Der junge Mozart scheint sich jedoch Mühe gegeben zu haben, sich in die Gunst desselben zu setzen, denn wir finden, daß er für das fürstliche Orchester in kurzer Reihenfolge sieben Symphonien schrieb, überdieß mehrere Divertimentos für einzelne Instrumente. Wenn diese Compositionen jetzt in Vergessenheit gerathen sind, so ist dieß keineswegs der Fall mit einem anderen größeren Werke aus dieser Zeit, einer großen Litanei de venerabili, welche wohl das glänzendste Zeugniß von den Leistungen des sechszehnjährigen Componisten liefert, und [215] jetzt noch zu den bedeutenderen Werken der katholischen Kirchenmusik gezählt werden kann29.

Ende Oktober reiste Wolfgang, von seinem Vater begleitet, ab, um seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Oper für den nächsten Carneval nachzukommen. Der Weg ging über Insbruck, Botzen, Verona, wo sie bei ihren alten Bekannten und Gönnern sich mehrere Tage aufhielten, so daß sie in Mailand erst am 4. November eintrafen. Es wurde ihnen von Seiten des Impresario eine freie Wohnung zur Verfügung gestellt. Für die Composition der Oper selbst waren 130 Gigliati (Florentiner Dukaten) festgesetzt worden. Der Titel der Oper warLucio Silla, der Text von einem Mailänder, Giovanni da Gamera gedichtet. Es kostete viel Mühe und Noth, bis die Oper in Scene gesetzt werden konnte. Für's erste wurde das Libretto, nachdem Wolfgang die Recitative schon geschrieben hatte, nach Wien an Metastasio geschickt, um von ihm revidirt zu werden. Dieser machte nicht nur große Aenderungen und Verbesserungen, sondern fügte im 2ten Akt noch eine ganze Scene ein, so daß Wolfgang genöthigt war, einen beträchtlichen Theil der Recitative umzuschreiben. [216] Sodann verkürzte sich die Zeit zum Einstudiren, indem die Hauptsänger sich sehr spät einstellten. Ein weiterer Unfall war die Krankheit des Tenors, Cardoni, für welchen ein Ersatzmann in Turin gesucht werden mußte, der aber nicht zu bekommen war, so daß man einen Kirchensänger aus Lodi, der noch wenig Bühnenroutine hatte, Namens Bassano Morgnoni dazu verwenden mußte. Dieser traf sehr spät ein, nachdem die Proben längst im Gange waren. Wolfgang hatte daher eine sehr schwere Arbeit vor sich. Die Aufführung sollte am 26. December sein, und Anfangs dieses Monates hatte er noch 14 Numern zu schreiben, so daß er seiner Schwester schrieb, er habe keinen andern Gedanken mehr und laufe Gefahr, ihr statt Worte eine ganze Arie hinzuschreiben. Und doch fand Wolfgang Zeit, mit seinem Vater in den Dom zu gehen, um zur Genesung ihres Salzburger Hausfreundes, des uns von früher her bekannten Hagenauer, Gebete gen Himmel zu schicken.

Der Vorwurf zu der neuen Oper, die er componiren sollte, war also ebenfalls der römischen Geschichte entnommen. Auf Mithridates folgte ein noch viel furchtbarerer Feind der Republik, Lucius Sylla. Es konnte nicht fehlen, daß der Dictator, mit Hülfe der Beschützerin, welche der Zufall ihm beigesellt hatte, die Stadt Mailand an seinen Siegeswagen fesselte. Diese war die Signora de Amicis, eine der größten Sängerinnen, ja vielleicht die größte jener Zeit, nach den außerordentlichen Lobsprüchen zu urtheilen, welche ihr L. Mozart in seinen Briefen und Burney in seiner Geschichte der Musik spenden. Burney sagt von ihr: »daß sie nicht eine Bewegung gemacht, die nicht hingerissen und keinen Ton gesungen, der nicht das Ohr entzückt hätte.« Man kann mit wenigen Worten nicht mehr sagen. Mozart schrieb für sie eine Arie voller neuer, ungeheuer schwerer Passagen, [217] welche, nachdem ihr die Ehre zu Theil geworden war, eine Lieblingsarie von ihr zu werden, von einer Menge Sängerinnen vorgetragen wurde, von denen einige damit einen Beweis ihres Talents ablegten, die meisten aber nur den Grad ihrer Ansprüche dadurch beurkundeten. So geht es fast immer mit Favorit-Arien.

Der römische Dictator triumphirte in sechsundzwanzig aufeinander folgenden Vorstellungen unter der mächtigen Aegide der Signora de Amicis, worauf er glorreich zu Grabe getragen wurde.

Ueber die erste Aufführung des Lucio Silla verweisen wir auf die beigefügte Correspondenz, und erwähnen hier nur, daß selbst an diesem Abende mehrere Umstände zusammen trafen, welche im Stande gewesen wären, den Erfolg in Frage zu stellen, wenn nicht die Musik und der Vortrag der Primadonna die Zuhörerschaft in so großes Entzücken hätte versetzen können. Denn erstens konnte die Oper erst um 8 Uhr angefangen werden, weil der Hof so spät eintraf, zweitens versetzte der Tenor durch allzu heftige Gesticulationen das Publikum in ein Gelächter, welches die de Amicis, die es zuerst auf sich bezogen hatte, für den ganzen Abend in eine unbehagliche Stimmung versetzte, die aber durch ihre glänzenden Stimmmittel überwunden wurde.

In Herrn v. Nissen's Buche findet man nachstehende Bemerkungen über diese Oper. »Mitritade undLucio Silla unterscheiden sich weder im Plane, noch in der Instrumentation von den damals gewöhnlichen Opern. Nur der feurige Gesang, das Leben und der warme Geist ihrer Melodieen heben sie weit über den Troß der übrigen. Sie behaupten, wie die meisten italienischen Opern, den dreistimmigen Satz, und besitzen nur wenig von den künstlichen harmonischen Constructionen, die man an seinen späteren Arbeiten anstaunt. Eine auffallende Erscheinung bei den [218] Chören dieser beiden Opern, so wie bei seinen früheren Messen, ist eine Steifheit, die sich ängstlich an die Regel bindet, und die man eher von einem alten trockenen Componisten, als von diesem emporkeimenden Talent erwartet hätte.« Ich gestehe, daß mich dieß nicht überrascht. Für einen Componisten von sechzehn Jahren, der so eben erst die gefährlichste Laufbahn der Kunst betreten hat, ist es eine Hauptsache, Kenntnisse an den Tag zu legen, durch welche er das Frühzeitige seines Auftretens zu rechtfertigen sucht. Ehe man wagen darf, die Regeln hintanzusetzen, muß man nothwendiger Weise zuerst zeigen, daß man sie kennt und im Stande ist, sie zu befolgen. Die Regeln bilden die Autorität der Erfahrung; sie sind die Garantieen des Erfolges, die sich auf die Beispiele gründen, den unsere Vorgänger ihren Ruhm verdankten; sie sind die Schranken der theoretischen und praktischen Kenntnisse einer gewissen Epoche. Um sich zu erlauben, diese Regeln zu überschreiten, das heißt, um überzeugt zu sein, daß man es besser als die Anderen machen könne, indem man es anders macht als sie, und sich herausnimmt, was sie nicht wagten, muß man entweder ungemein viel oder gar nichts wissen. Kann man daher mit sechzehn Jahren, in denen die Ideen nichts weiter als Gedächtniß sind, hoffen, in einer so weitverzweigten und schwierigen Kunst, wie die des Componirens, Neuerungen mit Glück einführen zu können!

Im Frühjahre 1773 kamen Vater und Sohn wieder nach Hause, nachdem Ersterer vergebliche Schritte in Florenz gethan hatte, für sich oder seinen Sohn eine Anstellung dort zu erhalten.

Es war dieß Wolfgangs letzter Aufenthalt in Italien. Die Oper Lucio Sylla bildet daher einen Wendepunkt in der Laufbahn des jungen Maestro. Denn es ist kein Zweifel, daß, wenn Mozart fortgefahren hätte, seine Opern für Italien zu [219] schreiben, er noch auf lange Zeit sich in den Conventionalismen der italienischen Bühne hätte bewegen müssen. Dadurch daß er seine Thätigkeit von nun an auf deutschen Boden beschränken mußte, war seinem Genius die Laufbahn eröffnet, auf der er zu der Höhe steigen konnte, welche er in seinem Don Juan erreichte. Den Nutzen trug er jedoch von seinen italienischen Kunstreisen nach Hause, daß er in seinem weiteren Entwicklungsgänge seiner Kenntnisse der Behandlung des Sologesanges bei dem geistreicheren, complicirteren und würdigeren Aufbau seiner späteren klassischen Opern zur Geltung bringen konnte.


Wir fügen nun die Correspondenz von Vater und Sohn über diesen Zeitraum bei.


Botzen, den 28. Oktober 1772.


Da in St. Johann keine frühere Messe als das Frühamt um 6 Uhr war, so ward es 7 Uhr, ehe wir weiter reis'ten. Von Inspruck fuhren wir nach Hall spaziren, um das Damenstift zu sehen, wo die Gräfin Lodron uns allenthalben herumführte. Wolfgang spielte in der Kirche die Orgel. Botzen ist ein trauriger Ort; aber meine Gesundheit ist dermalen, Gott Lob, bei der lieben Unordnung der Reise, wie mir scheint, ziemlich wieder in Ordnung gekommen. Wenn mir zur Gesundheit das Reisen nothwendig ist, so werde ich mir Mühe geben, eine Courierstelle zu erhalten, oder wenigstens Conducteur eines Postwagens zu werden. Wolfgang befindet sich wohl: er schreibt eben für die lange Weile eineQuattro.

[Leopold Mozart.]


[220] Nachschrift von Wolfgang A.M.


Nun sind wir schon zu Botzen. Schon? erst! Mich hungert, mich dürstet, mich schläfert, ich bin faul; ich bin aber gesund. Ich hoffe, Du wirst Dein Wort gehalten haben. – –


Mailand, den 7. November 1772.


Erschrecken Sie nicht, da Sie anstatt der Schrift des Papa die meine finden. Die Ursache ist, weil wir bei dem Herrn von Osto sind, und ist der Baron Christiani da, und da haben sie so viel zu reden, daß er unmöglich Zeit hatte, zu schreiben.

Wir sind am 4. angelangt; wir sind gesund. Von dem italienischen Kriege, von dem in Deutschland stark gesprochen wird, und den hiesigen Schloß-Befestigungen ist Alles nicht wahr.

Wir küssen die Mama 1,000,000 Mal (mehr Nullen habe ich nicht hingebracht) und meine Schwester umarme ich lieber in persona, als in der Einbildung.

[Wolfgang Mozart.]


Nachschrift vom Vater.


Den Namenstag des Wolfgang haben wir in Ala bei den Gebrüdern Piccini lustig zugebracht, hernach uns auch in Verona aufgehalten; daher sind wir so spät nach Mailand gekommen. In Verona und auch schon hier haben wir Opera buffa gesehen.


[221] Mailand, den 14. November 1772.


Nachdem ich nun bald ein Paar Wochen in Mailand ruhig lebe, melden sich wieder einige Kleinigkeiten von Unpäßlichkeiten, und ich komme zu Zeiten in salzburgische Gedanken, in denen ich eine Zeit stecke, ohne es zu merken, die ich mir denn geschwinde ausschlage, oder wenigstens auszuschlagen mir Mühe gebe, geschwind als alle böse Gedanken, die mir der Teufel in meinen jungen Jahren eingab. – Von den Singenden ist noch Niemand da, als die Sign. Suarti, die den secondo uomo macht. Indessen hat Wolfgang Unterhaltung genug gehabt, die Chöre, deren drei sind, zu schreiben, und die wenigen Recitative, die er in Salzburg gemacht hat, zu ändern, zum Theil neu zu schreiben, indem der Poet die Poesie an Metastasio zur Untersuchung nach Wien gesandt hatte, und dieser ihm Vieles verbessert, abgeändert, und eine ganze Scene im zweiten Akte beigesetzt. Dann hat er alle Recitative und dieOvertura geschrieben.

In Brescia ist ein Graf Lecchi, starker Violinspieler, großer Musikverständiger und Liebhaber, bei dem wir bei unserer Rückreise schnurgerade abzusteigen versprochen haben.

[Leopold Mozart.]


Mailand, den 21. November 1772.


Wir sind, Gott Lob, frisch und gesund, wie die Fische im Wasser, denn es hat seit acht Tagen erstaunlich geregnet. Heute ist die Jahrszeit unsers Hochzeittags. Es werden, wie ich glaube, 25 Jahre sein, daß wir den guten Gedanken hatten, uns zu heirathen; diesen Gedanken hatten wir zwar viele Jahre zuvor. Gute [222] Dinge wollen ihre Zeit! Der Primo uomo, Herr Rauzzini, ist angelangt. Es wird also immer mehr zu thun geben. Es wird aber auch an kleinen Comödien, wie es beim Theater gewöhnlich ist, nicht fehlen. Das sind Kleinigkeiten. Die Feigen, die Wolfgang von Salzburg mit bekam, waren so wundersam, wie das Brod und die Fische im Evangelio; sie haben uns bis jetzt gedauert.

Ja, ja, es gibt jetzt viel zu thun. Ist es keine Arbeit, so sind es halt dennoch Verrichtungen.

[Leopold Mozart.]


Nachschrift von Wolfgang A.M.


Ich sage Dir Dank, Du weißt schon für was. – Ich kann dem Herrn von Heffner unmöglich schreiben. Wenn Du ihn siehst, so laß ihn das Folgende lesen. Ich bitte ihn, er möge sich indessen begnügen.

Ich werde meinem wohlfeilen Freunde nicht vor übel haben, daß er mir nicht geantwortet hat: so bald er wird mehr Zeit haben, wird er mir gewiß, Zweifelsohne, ohne Zweifel, sicher, richtiglich antworten.


Mailand, den 5. December 1772.


Wir sind, Gott Lob, gesund, wiewohl ich mit einer schlechten Feder schreibe. Die De Amicis ist erst gestern angekommen. Der arme Tenor Cardoni ist so krank geworden, daß er nicht kommen kann. Man hat daher um einen andern nach Turin und Bologna geschickt, der nicht nur ein guter Sänger, sondern absonderlich ein guter Akteur und eine ansehnliche Person sein [223] muß, um den Lucio Silla mit Ruhm vorzustellen. Das Meiste und Hauptsächlichste der Oper hat aus diesen zwei Ursachen noch nicht componirt werden können. Nun wird es erst ernstlich darauf los gehen.

[Leopold Mozart.]


Nachschrift von Wolfgang A.M.


Nun habe ich noch 14 Stücke zu machen, dann bin ich fertig. Freilich kann man das Terzett und das Duett für vier Stücke rechnen. Ich kann unmöglich viel schreiben, denn ich weiß nichts; und zweitens weiß ich nicht, was ich schreibe, indem ich nun immer die Gedanken bei meiner Oper habe, und Gefahr laufe, Dir statt Worte, eine ganze Arie herzuschreiben. Ich habe hier ein neues Spiel gelernt, welches heißt Mercante in fiera. Sobald ich nach Hause komme, werden wir es spielen. Eine neue Sprache habe ich auch von einer Frau gelernt, die ist zum Reden leicht, zum Schreiben mühsam, aber auch tauglich. Sie ist aber ein wenig – – – kindisch, aber gut für Salzburg. Meine Empfehlung an unsere schöne Nandl und an den Kanarienvogel, denn diese zwei und Du sind die unschuldigsten in unserm Hause. Euer Capellmeister Fischietti wird wohl bald anfangen, an seiner Opera buffa (auf deutsch, an seiner närrischen Oper) zu arbeiten.


Mailand, den 12. December 1772.


Wir befinden uns, sonderheitlich ich, in guter Gesundheit. Während der nächsten acht Tage hat Wolfgang die größtes Arbeit; denn die gebenedeiten Theaterpersonen lassen Alles auf die letzten Augenblicke ankommen. Den Tenor, der aus Turin[224] kömmt, sehen wir erst am 15.: er ist aus der königlichen Capelle. Dann müssen erst vier Arien für ihn componirt werden. Die De Amicis ist mit ihren drei Arien, die sie dermalen hat, ganz außerordentlich zufrieden. Wolfgang hat ihr die Hauptarie mit solchen Passagen gemacht, die neu und ganz besonders und erstaunlich schwer sind. Sie singt solche, daß man erstaunen muß, und wir sind in der allerbesten Freundschaft und Vertraulichkeit mit ihr. Heute war die erste Recitativ-Probe: die zweite wird, wenn der Tenor kömmt.

Daß Wolfgang der Fräulein Waberl die Menuett nicht gegeben hat, war ein Fehler, den sie ihm verzeihen wird, wenn sie bedenkt, daß er ein flüchtiger Mensch ist, der leichtlich etwas in die Vergessenheit bringt.

Ich lasse der Nannerl sagen, daß sie ihre kleine Schülerin mit Fleiß und Geduld lehren soll, ich weiß, daß es zu ihrem eigenen Nutzen ist, wenn sie sich gewöhnt, Jemanden etwas gründlich und mit Geduld zu zeigen. Ich schreibe es nicht umsonst.

[Leopold Mozart.]


Mailand, den 18. December 1772.


Morgen ist die erste Probe mit allen Instrumenten. Dieser Tage waren drei Recitativ-Proben. Gestern Nachts ist erst der Tenor angekommen, und heute hat Wolfgang zwei Arien für ihn gemacht, und hat ihm noch zwei zu machen. Samstag ist die zweite Probe, Erchtag die dritte, Mittwoch die Hauptprobe. Am 26. die Oper, mit Gott, eben an dem Tage, da Ihr diesen Brief erhaltet. Dieß schreibe ich Nachts um 11 Uhr, da Wolfgang [225] eben die zweite Tenor-Arie fertig hat. Morgen spielen, oha! speisen wir bei Herrn von Mayr.

[Leopold Mozart.]


Mailand, den 26. November 1773.


In drei Stunden wird die Oper aufgeführt. Gott gebe seine Gnade. Die Hauptprobe ist so gut vorbei gegangen, daß wir den besten Erfolg hoffen können. Die Musik allein ohne Ballette dauert vier Stunden. Das Unglück des Herrn Hagenauer, das Du uns meldest, geht uns sehr zu Herzen. Wir haben heute in der Kirche Beide für seine Besserung Gott inständigst gebeten. In drei Tagen war alle Abende große Gesellschaft in dem Firmian'schen Hause. Sie dauerte jedes Mal unter beständiger Vocal- und Instrumental-Musik von 5 Uhr Abends bis 11 Uhr. Wir waren auch eingeladen. Wolfgang spielte jeden Abend; sonderheitlich den dritten Tag mußte Wolfgang gleich beim Eintritte Sr. Königlichen Hoheit auf Ihr Verlangen spielen. Beide Königl. Hoheiten sprachen lange Zeit mit uns. Die De Amicis ist unsere beste Freundin, sie singt und agirt wie ein Engel, und ist in ihrer Vergnügenheit, weil Wolfgang sie unvergleichlich bedient hat. Ihr würdet mit ganz Salzburg erstaunt sein, sie zu hören.

Wir befinden uns zwar, Gott Lob, gesund, doch bleibt mein Kopf noch immer mein heimlicher Feind. Von Zeit zu Zeit kömmt mir meine Empfindung im Kopfe wieder, besonders da, wo ich unglücklicher Weise Nachts den Fall gethan. Ich wünsche, daß ich diese Empfindung noch fünfzig Jahre zu leiden habe.

[Leopold Mozart.]


[226] Mailand, den 3. Januar 1773.


Glückseliges neues Jahr! Letzthin habe ich dieses zu wünschen vergessen, weil ich nicht nur in Eile, sondern in Verwirrung, in Gedanken, zerstreut und in dem Augenblicke geschrieben habe, wo wir bald in's Theater gehen mußten. Die Oper ist glücklich abgelaufen, obwohl den ersten Abend verschiedene verdrießliche Umstände sich ereigneten. Der erste war, daß die Oper gewöhnlich eine Stunde nach Betläuten anfangen soll, aber dieß Mal drei Stunden später anfing, nämlich um acht Uhr, und erst um zwei Uhr bei der Nacht geendigt wurde. Der Erzherzog kam nämlich spät, weil er nach der Tafel noch fünf eigenhändige Neujahrglückwünsche an den Kaiser, die Kaiserin etc. zu schreiben hatte; und NB. er schreibt sehr langsam. Stelle Dir nur vor, daß das ganze Theater um halb sechs Uhr erfüllt war. Sänger und Sängerinnen sind den ersten Abend in einer großen Angst, sich das erste Mal einem so ansehnlichen Publikum zu zeigen. Die beängstigten singenden Personen mußten in ihrer Angst das Orchester und das ganze Publikum in Ungeduld und auch Hitze, Viele stehenden Fußes, drei Stunden auf den Anfang warten. Zweitens ist zu wissen, daß der Tenor, den man aus Noth nehmen mußte, ein Kirchensänger aus Lodi ist, der niemals auf einem so ansehnlichen Theater agirt hat, der nur etwa zwei Mal in Lodi einen Primo Tenore vorgestellt, endlich erst acht Tage vor der Oper verschrieben worden ist. Dieser, da die Prima donna in ihrer ersten Arie von ihm eine Action des Zorns erwarten muß, machte diese zornige Action so übertrieben, daß es schien, als wollte er ihr Ohrfeigen geben und ihr die Nase mit der Faust wegstoßen: dieß bewog das Publikum zum Lachen. Die Sign. De Amicis beobachtete nicht sogleich im Eifer ihres Singens, warum [227] das Publikum lachte, und sie war betroffen und wußte Anfangs nicht, wer ausgelacht wurde, und sang den ganzen ersten Abend nicht gut, weil noch die Eifersucht dazu kam, daß dem Primo uomo, so bald er auf das Theater trat, in die Hände von der Erzherzogin geklatscht wurde. Dieß war ein Castratenstreich, denn er hatte gemacht, daß der Erzherzogin gesagt wurde, daß er vor Furcht nicht werde singen können, um dadurch zu erhalten, daß ihm der Hof gleich Courage und Applauso machen sollte. Um nun die De Amicis wieder zu trösten, ward sie gleich den Tag darauf nach Hofe berufen und hatte eine ganze Stunde Audienz bei beiden Königl. Hoheiten; dann fing die Oper erst an, gut zu gehen, und da sonst bei der ersten Oper das Theater sehr leer ist, so war dasselbe nun die ersten sechs Abende (heute ist der siebente) so voll, daß man kaum hinein kam, und hat noch meistens die Prima Donna die Oberhand, deren Arien wiederholt wurden.

[Leopold Mozart.]


Mailand, den 9. Januar 1773.


Die Oper geht unvergleichlich gut, so daß das Theater stets erstaunlich voll ist, da doch sonst die Leute in die erste Oper nicht zahlreich gehen, wenn sie nicht sonderbaren Beifall hat. Täglich werden Arien wiederholt, und die Oper hat nach der erstenSera täglich aufgenommen und von Tag zu Tage mehr Beifall erhalten. Ja, Graf Castelbarco hat meinem Sohne eine goldene Uhr mit einer goldenen Uhrkette verehrt, daran eine Portechaise und eine Laterne von Gold hangen. Du kannst Dich also in der Portechaise tragen und Dir vorleuchten lassen.

[Leopold Mozart.]


[228] Mailand, den 16. Januar 1773.


Wir befinden uns wohl. Nur zwei Mal war mein Kopf nicht gut. Wenn ich bei Freunden in der Akademie gespielt habe, ward er erhitzt, und den Tag darauf kam der gewöhnliche Schwindel und Dummheit im Kopfe wieder, so wie ich's alle Abende in Salzburg nach der Musik hatte. Nun ist Wolfgangs Oper siebenzehn Male gegeben, und wird in Allem etliche und zwanzig Male gegeben werden.

[Leopold Mozart.]


Mailand, den 30. Januar 1773.


Heute ist die zweite Oper zum ersten Male. Ich bin unglücklich genug, sie nicht hören zu können. Ich schicke Wolfgang in die Loge des Herrn von Grimani, und werde unterdessen Trübsal blasen. Ich liege an einem verfluchten Rheumatism nieder und leide wie ein Hund30. Wolfgang befindet sich wohl, denn eben da ich dieses schreibe, macht er immer Capriolen.

[Leopold Mozart.]

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 213-229.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klingemann, August

Die Nachtwachen des Bonaventura

Die Nachtwachen des Bonaventura

Erst 1987 belegte eine in Amsterdam gefundene Handschrift Klingemann als Autor dieses vielbeachteten und hochgeschätzten Textes. In sechzehn Nachtwachen erlebt »Kreuzgang«, der als Findelkind in einem solchen gefunden und seither so genannt wird, die »absolute Verworrenheit« der Menschen und erkennt: »Eins ist nur möglich: entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.«

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon