2.

[130] Misericordias Domini.

Offertorium.


Während Mozart an der Oper arbeitete, welche die Reihe seiner dramatischen Arbeiten eröffnete, nährte er den Wunsch und die Hoffnung, an die Spitze dieses ausgezeichneten Orchesters in München gestellt zu werden, dem, wie er sagt, Nichts als ein Chef fehlte. Idomeneo sollte ihn als Theater-Componisten empfehlen. Das Werk, mit welchem wir uns jetzt beschäftigen [131] wollen, wurde zu gleicher Zeit mit der Oper gefertigt, damit Carl Theodor auch die Fähigkeiten des Autors für die Kirchenmusik kennen lerne. Mozart hatte in Salzburg schon mehrere Messen geschrieben, die er aber den Anforderungen des Erzbischofs Colloredo hatte unterordnen müssen, mit dessen musikalischem Geschmacke es nicht zum besten bestellt war. Der geistliche Herr wollte sich beim Hören nicht anstrengen; er verabscheute die Wissenschaft der Fugisten, welche mit ihren endlosen Entwickelungen ihn ermüdeten. Daher verlangte er, daß die Meßgebete so kurz als möglich sein sollten; die Musik mußte so klar und leicht als möglich sein, und den Hirten und die Heerde in eine heitere Stimmung versetzen. Ueberall mußten Trompeten und Pauken angebracht werden. Mozart bediente den Erzbischof nach Wunsch für die zwölf Gulden und dreißig Kreuzer Besoldung, welche ihm dessen Freigebigkeit zukommen ließ. Die Arbeit war fast der Besoldung würdig.

Einem Kurfürsten von Bayern, dem freigebigen Fürsten, welcher als Kenner dem Idomeneo begeisterten Beifall gezollt hatte, durfte Mozart nicht wagen, eine Kirchenmusik zu bieten, wie er sie, um seine Sünden abzubüßen, in Salzburg machte. In München hatte er keine Rücksichten auf den Erzbischof zu nehmen; es war ihm vergönnt, nach seiner Ueberzeugung als Künstler zu handeln, sich durch seinen christlichen Glauben zu inspiriren und ein Werk für die Kirche in jenem wahren Kirchenstyle zu schreiben, der sich mehr und mehr in den oberflächlichen und anti-religiösen Tendenzen der damaligen Zeit verlor. Der hohe Beruf des jungen Musikers für die heilige Gattung kündigte sich also zu derselben Zeit wie sein Genie für das Theater an, und weil nach einer unserer früher gemachten Bemerkungen Mozart in seinen Fortschritten in kurzem Auszuge die ganze Geschichte [132] der Musik reproducirte, weil er ein großer Contrapunctist und ein großer Harmonist war, ehe er ein großer Melodist wurde, so können wir dar aus schließen, daß im Jahre 1780 seine Arbeiten für die Kirche mehr der Vollendung sich näherten, als seine dramatischen Werke. Man kann in Wahrheit einen vereinzelten Chor, wie das Misericordias Domini, mit einer Oper in drei Acten, wie Idomeneo, nicht vergleichen; aber weil der Kirchenstyl in seinen wesentlichen Merkmalen und seinen radikalen Formen bei weitem beschränkter als der Theaterstyl ist, so reicht auch eine geringe Anzahl Blätter aus, um den Componisten danach bemessen zu können; und es ist sicher, daß wenn Mozart eine ganze Messe statt eines Offertoriums zu componiren gehabt hätte, das Werk nicht diese ungeheuren Ungleichheiten aufzuweisen gehabt haben würde, welche wir zwischen den Scenen seiner Oper gefunden haben.

Das Offertorium ist nicht veraltet, und es wird nie eine Note darin veralten, weil Alles darin alt ist. Alles ist Fuge oder Chorgesang darin. Der Text beschränkt sich auf:


Misericordias Domini

Cantabo in aeternum.


Diese zwei Glieder des Satzes, von welchem das erste piano gesungen wird, nach Art des Chorals, und das zweite die Fuge und das Forte mit sich bringt, wechseln unaufhörlich von Anfang bis zu Ende, und wen den, so zu sagen, die Composition um sich selbst herum. Um die Monotonie zu vermeiden, welche so oft auf einem Subjecte wiederholten Worte in einem Stücke von 160 Tacten, in einem langsamen Tempo vorgetragen, hervorbringen müssen, besaß der Componist unerschöpfliche Hilfsmittel der Modulation und der contrapunctischen Analyse. Er verwendete sie mit dem Wissen eines Bach, mit dem salbungsreichen Ernste der katholischen Meister des [133] siebzehnten Jahrhunderts, mit dem tiefen Gefühle und dem Geschmack, die nur Mozart eigen waren. Der größern Manchfaltigkeit wegen verband er mit den alten Formen eine modernere Form, die aber der Art war, daß die strengsten Puristen sie ohne allen Scrupel als Kirchenstyl annehmen mußten. Bald ist der Choralgesang in vier Stimmen auf die Intervalle des Accords vertheilt; bald hält die Hälfte des Chors, einmal die der hohen, ein andermal die der tiefen Stimmlagen, eine einzige Note, während das Orchester zu wiederholten Malen einen melodischen Satz ausführt. Diese Passage, so wie der vierstimmige Choralgesang, und ebenso die Fuge kommen in verschiedenen Tönen wieder vor. Einmal hören wir sie in C-moll und gleich darauf in D-moll, in einer Modulation, die an und für sich nicht sehr empfehlenswerth, jedoch mit solcher Kunst herbeigeführt und so originell und großartig durch die Vermittelung einer Note wird, welche dem einen wie dem andern Tone fremd scheint, daß ich mir das Vergnügen nicht versagen kann, sie hier anzuführen:


2. Misericordias Domini

2. Misericordias Domini

2. Misericordias Domini

[134] Läßt man das Gis in den Singstimmen aus, so ist die Modulation nicht mehr zu ertragen; die falschen Quinten des Instrumentalbasses und der Stimmen lassen sich in ihrer ganzen Blöße hören. Man sieht, dieses Gis, eine so zweideutige und [135] trügerische Note, wie es eine gibt, eine wahre Chamäleonsnatur, ist durchaus kein Gis, so lange man es hört. Es verläßt seine falschen Merkmale nicht, und wird erst das wirklich, was es zu sein scheint, in dem Augenblicke, in welchem man es nicht mehr hört. Es ist dieß ein ganz wundervoller Effect.

Die fugirten Theile des Chors erinnern sehr an den Anfang des Requiems, ohne aber diesen zu erreichen. So viel bleibt gewiß, daß nach den Stücken des Requiems, in welchen die ursprünglichen Elemente der Kirchenmusik mehr vorherrschen, als der melodische Gesang, Mozart nichts Reineres, nichts Erbaulicheres, mit einem Worte, nichts der Kirche Würdigeres geschrieben hat, als sein Misericordias Domini. Diese Ansicht theilte er selbst auch, und wir stimmen ihr ganz einfach bei.

Mit Ausnahme der Stelle, welche wir citirt haben, und bei der das Orchester eine unabhängige und nothwendige Rolle spielt, könnte man den Chor ohne Begleitung singen. Die Instrumente verdoppeln nur die Stimmen, nach der gewohnten Weise der alten Meister.

Vielleicht wäre zu wünschen gewesen, daß die Stimmen des Chors im Choralgesange, statt einer Reihenfolge von ziemlich gewöhnlichen, obschon sehr wohlklingenden Accorden, sich mehr der Harmonie des sechszehnten Jahrhunderts genähert hätten. Das Werk hätte dabei gewonnen, denke ich. Wenn dieß eine Ausstellung ist, so umfaßt sie die ganze Summe der mißbilligenden Bemerkungen, welche wir über das Meisterwerk zu machen wüßten, von welchem Mozart so naiv bedauerte, keine Abschrift behalten zu haben.

Der Kurfürst von Bayern scheint von Idomeneo entzückt worden zu sein. Nie, sagte er, habe eine Musik einen solchen Eindruck auf ihn gemacht. Nun, dieses Misericordias Domini [136] verbürgte demselben die Acquisition eines vollendeten Capellmeisters, eines Maestro, wie es keinen zweiten auf der Welt gab. Mozart wurde mit Ehrenbezeugungen und Lobeserhebungen überschüttet; Hof und Stadt wünschten ihm Glück, dann aber mußte er zu seinem Erzbischof sich nach Wien verfügen, und mit den Dienern des heiligen Mannes an einem Tische speisen! O göttliche Vorsehung!

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 130-137.
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