Vorwort zur zweiten Auflage.

Ulibischeff, der geistreiche Dilettant, dessen Leben Mozart's in der Schraishuon'schen Uebersetzung so große Theilnahme in Deutschland gefunden hat, ist am 5. Februar 1858 verschieden. Es war ihm nicht vergönnt, an der neuen Auflage seines so beliebt gewordenen Werkes selbst Hand anzulegen. Ohne Zweifel würde er selbst Manches verbessert, berichtigt und erweitert haben. Vielleicht hätte er selbst noch ausführlichere Analysen über die Mozart'schen Werke beigefügt. Der Unterzeichnete, welcher von der Verlagshandlung der deutschen Uebersetzung aufgefordert worden ist, das Geschäft zu übernehmen, welches der Verfasser nicht mehr selbst besorgen konnte, hat sich bemüht, dem Ulibischeff'schen Werke, das durch das seither erscheinende höchst umfassende Werk des berühmten Philologen Otto Jahn, in den Hintergrund gedrängt zu werden Gefahr lief, eine solche Gestalt zu geben, daß es neben der gründlichsten aller musikalischen Monographien, dennoch sich in der Gunst des deutschen Volkes erhalten könnte. Die hiedurch nothwendig gewordene Erweiterung [3] und theilweise Umarbeitung des Ulibischeff'schen Werkes stützt sich hauptsächlich auf folgende Punkte:

Erstens hat Ulibischeff die Lebensgeschichte Mozart's selbst etwas zu kurz und übersichtlich behandelt. Nun ist aber bei einem Manne, wie Mozart, Alles, auch das kleinste Detail, interessant genug, um der Vergessenheit entzogen zu werden. Es stellt sich daher diese neue Umarbeitung zur Aufgabe, die Ulibischeff'sche übersichtliche Schilderung mit zahlreichen Detailzügen auszuschmücken. Hiezu wird besonders für die frühere Periode von Mozart's Leben die Correspondenz des Vaters Leopold benutzt, welche in Nissens Biographie gesammelt worden ist. Da Nissens Werk längst vergriffen ist, und auch Otto Jahn die Briefe des Vaters mehr inhaltlich als wörtlich benutzt hat, so hat man der neuen Bearbeitung des Ulibischeff'schen Werkes den größeren Theil der Briefe Leopold Mozart's einverleibt, damit dieselben auch für größere Leserkreise zugänglich werden.

Zweitens ist die Analyse der Mozart'schen Werke, die sich bei Ulibischeff nur auf die berühmtesten Schöpfungen des Meisters beschränkt, so ausgedehnt worden, daß derselben alle seine übrigen bedeutenderen Werke, namentlich seine kleineren Sinfonien, seine Messen, seine Kammer-und Clavier-Compositionen unterworfen worden sind, während die Original-Analysen Ulibischeff's unverändert wiedergegeben werden.

Drittens sind die musikalischen Beispiele in weit größerem Maße beigegeben worden, so daß sie als thematische Motive benützt werden können. Dadurch kommt das Stück, welches besprochen wird, auch augenblicklich in die [4] Erinnerung des Lesers, ein Vortheil, der bei keinem musikalisch-literarischen Werke fehlen sollte, und der für diesen Theil der Kunstgeschichte das leistet, was die Holzschnitt-Illustrationen bei den bildenden Künsten bezwecken.

Endlich ist die, fast einen ganzen Band einnehmende Uebersicht der allgemeinen Geschichte der Musik, als nicht zum Zwecke des Buches gehörig, ausgeschlossen worden, wodurch zugleich Raum für die Vermehrung der Analysen und Erweiterung des rein biographischen Theiles gewonnen wurde.

Zwar hat Ulibischeff durch die Aufnahme dieser Uebersicht zu beweisen suchen wollen, daß Mozart nicht eine vereinzelte Kunsterscheinung, sondern das Resultat und der Abschluß der abendländischen Tonkunst sei, allein es ist dieß eine ganz verfehlte Beweisführung, wie O. Jahn in seinem Vorworte deutlich nachgewiesen hat. Mozart ist allerdings das Resultat der vorangehenden Kunstepochen, dieß zu beweisen ist aber Aufgabe der tief eingehendsten Geschichtsforschung, und nicht einer kritischen Biographie. Und daß er der Abschluß der Geschichte der Tonkunst sei, kann Angesichts Beethovens und der von ihm, entzündeten neuesten Kunstrichtung auch von den wärmsten Verehrern Mozart's nicht behauptet werden.

Da es nicht immer thunlich war, die Ueberarbeitung in den Text selbst aufzunehmen, um das Kolorit des Ganzen nicht in seiner Harmonie zu stören, so wurden häufig die Berichtigungen und Zusätze in Amerkungen beigefügt. Bei den Analysen der Werke selbst, sind die Ulibischeff'schen ebendeßwegen [5] so viel als möglich unverändert geblieben, dagegen sind die vom Bearbeiter selbst hinzugefügten Analysen, der von Ulibischeff nicht besprochenen Werke in ganz besonderen Abschnitten in das Werk ausgenommen worden.

Möge nun das Buch auch in seiner neuen Gestalt sich dieselbe Gunst erwerben, wie zuvor, und zum Verständniß und Genusse der unsterblichen Werke Mozart's, auch fernerhin segensreich wirken. Möge es neben dem, weniger für das größere Publikum berechnete, voluminösen O. Jahn'schen Werke, in seiner bescheidenen, aber dennoch vollständigen Ausführung sich der lebhaftesten Theilnahme des deutschen Volkes erfreuen dürfen.


Stuttgart, den 12. Januar 1859.

Ludwig Gantter.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. III3-VI6.
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