Achtzehntes Kapitel.

Die Entführung aus dem Serail.

1781–1782.

[138] Joseph II., der eben so großartig in seinen Absichten, als andere Souveraine in ihren Handlungen, war, hatte selbst das lyrische Theater in seine Reformprojecte eingeschlossen. Sein edler Patriotismus gab ihm den Gedanken ein, eine nationale Oper neben der italienischen zu gründen, welcher Deutschland tributpflichtig war. Er hatte den Mann herausgefunden, der sein Vaterland vom Joche des Auslandes befreien sollte. Joseph berief deßhalb die besten eingeborenen Sänger in seine Hauptstadt, gab ihnen Mozart zum Maestro, und diesem ein artiges Stück von Bretzner zum Texte einer Oper. Der Titel derselben hieß: die Entführung aus dem Serail oder auch: Belmonte und Constanze.

Die Absichten des Kaisers wurden durch den glänzendsten Erfolg gekrönt. Die erste dieses Namens würdige deutsche Oper wurde mit Begeisterung aufgenommen, und bald darauf auf den ersten Theatern Deutschlands gegeben. Es war dieß die glücklichste Reform Joseph's II., in der Hinsicht nämlich meine ich, als sie die dauerhafteste war.

[139] Bretzner's Stück war in seiner ursprünglichen Form eine Operette oder Komödie mit Arien. Um eine wirkliche Oper aus ihr zu machen, mußte sich Mozart erst zuvor an einen Herrn Stephani wenden, der die nöthigen Einschiebungen unter seiner eigenen Leitung ausführte. Jeder Musiker, Künstler oder Liebhaber wird gewiß mit großem Interesse den Brief lesen, den unser Componist an seinen Vater schrieb, nachdem er sich an die Bearbeitung der Entführung gemacht hatte. Er ist eines der werthvollsten Stücke seiner Correspondenz, vielleicht das einzige Bruchstück von seiner Hand, in welchem Mozart sich die Mühe gab, seine eigene Arbeit zu erklären und zu zergliedern. Ich will dasselbe ganz geben, allein ich mache den Leser darauf aufmerksam, daß, um es völlig zu verstehen, derselbe die Musik der Oper ganz im Gedächtniß oder vor Augen haben muß.


Wien, am 26. September 1781.


»Die Oper hatte mit einem Monolog angefangen, und da bat ich Herrn Stephani, eine kleine Ariette daraus zu machen, und daß, anstatt nach dem Liedchen des Osmin die zwei zusammenschwatzten, ein Duo daraus würde. – Da wir die Rolle des Osmin Herrn Fischer zugedacht haben, welcher gewiß eine vortreffliche Baßstimme hat, obwohl der Erzbischof zu mir gesagt, er singe zu tief für einen Bassisten, und ich ihm aber betheuert, er würde nächstens höher singen, so muß man so einen benutzen, besonders da er das hiesige Publicum ganz für sich hat. – Dieser Osmin hat aber im Original-Büchel das einzige Liedchen zu singen, und sonst nichts, außer in dem Terzett und Finale. Dieser hat also im ersten Acte eine Arie bekommen, und wird auch im zweiten noch eine haben. Die Aria habe ich dem Herrn Stephani [140] ganz angegeben, und die Hauptsache der Musik davon war schon ganz fertig, ehe Stephani ein Wort davon wußte. – Sie haben nur den Anfang daran und das Ende, welches von guter Wirkung sein muß. – Der Zorn des Osmin wird dadurch in das Komische gebracht, weil die türkische Musik dabei angebracht ist. – In der Ausführung der Aria habe ich seine schönen tiefen Töne schimmern lassen. – Das: d'rum bei'm Barte des Propheten etc. – ist zwar im nämlichen Tempo, aber mit geschwinden Noten – und da sein Zorn immer wächst, so muß, da man glaubt, die Arie sei schon zu Ende – das Allegro assai – ganz in einem andern Zeitmaße und andern Tone eben den besten Effect machen; denn ein Mensch, der sich in einem so heftigen Zorne befindet, überschreitet ja alle Ordnung, Maß und Ziel, er kennt sich nicht – und so muß sich auch die Musik nicht mehr kennen. – Weil aber die Leidenschaften, heftig oder nicht, niemals bis zum Ekel ausgedrückt sein müssen, und die Musik, auch in der schaudervollsten Lage, das Ohr niemals beleidigen, sondern doch dabei vergnügen, folglich allezeit Musik bleiben muß, so habe ich keinen fremden Ton zum F (zum Tone der Arie), sondern einen befreundeten, aber nicht den nächsten, D minore, sondern den weitern A minore dazu gewählt. – Nun die Arie von Belmonte in A dur: O wie ängstlich, o wie feurig etc. wissen Sie, wie es ausgedrückt ist – auch ist das klopfende Herz schon angezeigt – die Violinen in Octaven. – Dieß ist die Favorit-Arie von Allen, die Sie gehört haben – – auch von mir – und ist ganz für die Stimme des Adamberger geschrieben. Man sieht das Zittern, Wanken, man sieht, wie sich die schwellende Brust hebt, welches durch ein Crescendo exprimirt ist; man hört das Lispeln und Seufzen, welches durch die ersten Violinen mit Sordinen und einer Flauto mit im Unisono [141] ausgedrückt ist. – Der Janitscharen-Chor ist als solcher Alles, was man verlangen kann, kurz und lustig und ganz für die Wiener geschrieben. – Die Arie von der Constanze habe ich ein wenig der geläufigen Gurgel der Mademoiselle Cavalieri aufgeopfert. – Trennung war mein langes Loos, und nun schwimmt mein Aug' in Thränen – habe ich, so viel es eine welsche Bravour-Arie zuläßt, auszudrücken gesucht. – Das Hui habe ich in schnell verändert, also: doch wie schnell schwand meine Freude etc. Ich weiß nicht, was sich unsere deutschen Dichter denken; wenn sie schon das Theater nicht verstehen, was die Opern anbelangt, so sollen sie doch wenigstens die Leute nicht reden lassen, als wenn Schweine vor ihnen stünden.«

»Nun das Terzett, nämlich den Schluß vom ersten Acte. Pedrillo hat seinen Herrn für einen Baumeister ausgegeben, damit er Gelegenheit habe, mit seiner Constanze im Garten zusammen zu kommen: der Bassa hat ihn in seine Dienste genommen; Osmin, als Aufseher, und der davon nichts weiß, ist, als ein grober Flegel und Erzfeind von allen Fremden, impertinent, und will sie nicht in den Garten lassen. Das Erste, was ich angezeigt, ist sehr kurz, und weil der Text dazu Anlaß gegeben, so habe ich es so ziemlich gut dreistimmig geschrieben; dann fängt aber gleich das Major pianissimo an, welches sehr geschwind gehen muß, und der Schluß wird recht viel Lärmen machen, und das ist ja Alles, was zu einem Schlusse von einem Acte gehört: je mehr Lärmen, je besser, – je kürzer, je besser, – damit die Leute zum Klatschen nicht kalt werden. – Die Ouverture ist ganz kurz, wechselt immer mit Forte und Piano ab, wo bei'm Forte allezeit die türkische Musik einfällt, – modulirt so durch die Töne fort, und ich glaube, man wird dabei nicht schlafen können, und sollte man eine ganze Nacht hindurch nicht geschlafen haben.« –

[142] »Nun sitze ich wie der Hase im Pfeffer. – Ueber drei Wochen ist schon der erste Act fertig, und eine Arie im zweiten Acte, und das Sauf-Duett, welches in Nichts, als in einem türkischen Zapfenstreiche besteht, mehr kann ich aber nicht daran machen, weil jetzt die ganze Geschichte umgestürtzt wird, und zwar auf mein Verlangen. Im Anfange des dritten Actes ist ein charmantes Quintett oder vielmehr Finale, dieses möchte ich aber lieber zum Schlusse des zweiten Actes haben19. Um dieß bewerkstelligen zu können, muß eine große Veränderung, ja eine ganz neue Intrigue vorgenommen werden, und Stephani hat über Hals und Kopf Arbeit!«

»Nun wegen des Textes von der Opera. – Was des Stephani seine Arbeit anbelangt, so haben Sie freilich Recht, doch ist die Poesie dem Charakter des dummen, groben und boshaften Osmin ganz angemessen. – Ich weiß wohl, daß diese Versart darin nicht die beste ist; doch ist sie so passend mit meinen musikalischen Gedanken, die schon vorher in meinem Kopfe herumspazierten, übereingekommen, daß sie mir nothwendig gefallen mußte, und ich wollte wetten, daß man bei dessen Aufführung nichts vermissen wird. Was die in dem Stücke selbst sich befindende Poesie betrifft, so könnte ich sie wirklich nicht verachten. – Die Arie von Belmont: O wie ängstlich etc. könnte fast für die Musik nicht besser geschrieben sein. – Das Hui und Kummer ruht in meinem Schooß (denn der Kummer kann nicht ruhen) ausgenommen, ist die Arie auch nicht schlecht, besonders der erste Theil; – und ich weiß, bei einigen Opern muß schlechterdings die Musik gehorsame Tochter sein. – Warum gefallen denn die welschen komischen Opern überall, sammt all dem Elend, was das Buch hat? [143] – sogar in Paris, wovon ich selbst ein Zeuge war? – Weil da ganz die Musik herrscht und man darüber Alles vergißt; um so mehr muß ja eine Opera gefallen, wo der Plan des Stückes gut ausgearbeitet, die Wörter aber nur bloß für die Musik geschrieben sind, und nicht hier und dort, einem elenden Reime zu gefallen (die doch bei Gott zum Werthe einer theatralischen Vorstellung, es mag sein, was es wolle, gar nichts beitragen, wohl aber eher Schaden bringen), Worte stehen, oder ganze Strophen, die des Componisten ganze Idee verderben. – Verse sind wohl für die Musik das Unentbehrlichste – aber Reime – des Reimens wegen das Schädlichste; die Herren, die so pedantisch zu Werke gehen, werden immerhin sammt der Musik zu Grunde gehen. Da ist es am besten, wenn ein guter Componist, der das Theater versteht, und selbst Etwas anzugeben im Stande ist, und ein gescheiter Poet, als ein wahrer Phönix zusammenkommen – dann darf Einem vor dem Beifalle der Unwissenden auch nicht bange sein. – Die Poeten kommen mir fast vor, wie die Trompeter mit ihren Handwerkspossen; wenn wir Componisten immer so getreu unseren Regeln (die damals, als man noch nichts Besseres wußte, ganz gut waren) folgen wollten, so würden wir eben so untaugliche Musik, als sie untaugliche Bücher verfertigen. – Nun habe ich Ihnen, dünkt mich, genug albernes Zeug daher geschwatzt.«

Wenn man halbweges wollte, so könnte man einen ganzen Band als Commentar zu diesem Briefe schreiben. Ich begnüge mich aber, nur einige Schlußfolgerungen daraus zu berühren, auf welche ich mich später zu stützen veranlaßt sehen werde.

Vor Allem wird man bemerkt haben, wie Mozart seine Poeten zu leiten verstand, oder vielmehr, wie er sie ihr Gewerbe lehrte und selbst den wichtigsten Theil ihrer Aufgabe ausarbeitete; und, wenn der Leser die Musik zur Entführung genau kennt, [144] so wird ihm auch nicht entgangen sein, daß der originellste lyrische Charakter des Stückes, eine der ausgezeichnetsten Schöpfungen des komischen Genius, mit einem Worte, Osmin allein von dem Componisten geschaffen worden ist. Ohne das Duett und die beiden wundervollen Arien, die er dieser Person gab und deren poetische Grundzüge er dem Dichter vorschrieb, hätte Osmin musikalisch gar nicht existirt. Und doch besaß Mozart zur Beurtheilung des Verses nichts als sein Ohr, zur Beurtheilung der Handlung nur seinen geraden Verstand; aber dieses Ohr täuschte sich nie, da wo es sich um Wohlklang handelte, und sein gerader Verstand zeigte sich als eine hohe literarische und kritische Intelligenz, sobald es sich darum drehte, die Beziehungen seiner Kunst mit der dramatischen, auf die für den Musiker vortheilhafteste, die einzige gute, die einzige wahre Art in der Oper zu ordnen. Die Analyse der Arien Osmin's und Belmonte's beweist uns, wie überlegt der Musiker bei seiner Arbeit zu Werk ging, und welchen Werth er auf die Wahrheit des Ausdruckes hinsichtlich der Worte legte. Aber während er Alles dem Grundsatze der dramatischen Wahrheit unterordnet und diese völlig zur rationellen Basis in seinen Opern nimmt, zeigt er zugleich, welche Rücksichten bei Befolgung dieses Prinzips genommen werden müssen, damit es nicht in einem ganz unbeschränkten, oder wenigstens übertriebenen Grade angewendet werde. Die Musik, sagt er, muß, selbst in den furchtbarsten Situationen, stets dem Ohre wohltönen, stets Musik bleiben; darin liegt es auch, daß Mozart's Opern systematisch weder in die Klasse der französischen Opern der alten Schule, die von Gluck mit eingeschlossen, noch in die italienischer Opern, älterer oder moderner, gehören. Das in seinen classischen Werken unabänderlich beobachtete Princip des Wohlklanges unterscheidet diese vollkommen von den Schöpfungen der erstern Schule, die in ihrem Haschen [145] noch dramatischer Wahrheit häufig das Ziel verfehlte, weil sie darüber hinausging, was stets zu geschehen pflegt, sobald die Musik aufhört Musik zu sein, und in Geschrei und reinen Lärmen der Instrumente ausartet. Das möglichst getreue Wiedergeben des Sinnes der Worte, das den Personen und der Situation getreue Anpassen der Musik unterscheiden Mozart's dramatische Werke nicht weniger scharf von denen der italienischen Meister, für welche der Text einer Oper nur beiläufig als Leitfaden dient, welche die Costüme nur als eine Maskerade behandeln, und die musikalischen Situationen als Mittel benützen, um die individuellen Talente der Sänger, je nach der Modeschreibart und den Anforderungen des vorherrschenden Geschmackes glänzen zu lassen.

Hindernisse verschiedener Art veranlaßten das Verschieben der Darstellung der neuen Oper bis zum 12. Juli des Jahres 1782. Mozart verlor bei diesem Zuwarten nichts. Belmonte und Constanze wurde mit rauschendem Beifalle aufgenommen; die meisten Stücke mußten wiederholt werden. Eine ziemlich verzweigte Kabale wagte es nicht, ihre Mißtöne durch die allgemein erschallenden Applause und Bravo's hören zu lassen; die Ueberzahl der Gutgesinnten war zu bedeutend, als daß man ihr ungestraft hätte entgegen treten können. Die Neider trösteten sich aber mit der Hoffnung, ein ander Mal eher durchdringen zu können, was ihnen auch in Figaro's Hochzeit gelang. Allem Anscheine nach hatte man darauf hingearbeitet, die Entführung bei dem Kaiser in Mißkredit zu bringen, was für die Wohldiener unter den Maestri's um so leichter war, als Joseph selbst Kenner sein wollte. Er ließ auch nach der Aufführung den Componisten zu sich rufen und sagte zu ihm: »Gewaltig viel Noten, lieber Mozart.« – »Gerade so viel, Eure Majestät, als nöthig ist.« »Wie sonderbar!« bemerkt v. Nissen. »Als Bonaparte die vortreffliche Composition [146] auf den Tod des General Hoche gehört hatte, richtete er an Cherubini dieselben Worte, wie der Kaiser, auf die der berühmte Componist dieselbe Antwort wie Mozart gab.«

Daß auch bei den schnell auf einander folgenden Aufführungen das Haus stets gedrängt voll war, und sich die Begeisterung des Publikums, trotz der steten Kabalen, steigerte, beweisen die folgenden Briefe Wolfgang's an seinen Vater:


Wien, den 20. Julius 1782.


Gestern ist meine Oper zum zweiten Male gegeben worden. Könnten Sie wohl noch vermuthen, daß gestern noch eine stärkere Kabale war, als am ersten Abend? Der ganze erste Act ging verloren, aber das laute Bravo-Rufen unter den Arien konnten sie doch nicht verhindern. Meine Hoffnung war also das Schluß-Terzett, da machte aber das Unglück den Fischer (Osmin) fehlen, dadurch fehlte auch der Dauer (Pedrillo), – und Adamberger allein konnte auch nicht Alles ersetzen; mithin ging der ganze Effect davon verloren, und wurde für dieß Mal nicht repetirt. Ich war so in Wuth, daß ich mich nicht kannte, so wie auch Adamberger, und sagte gleich, daß ich die Oper nicht geben lasse, ohne vorher eine kleine Probe für die Sänger zu machen. Im zweiten Acte wurden die beiden Duetts wie das erste Mal, und dazu das Rondo von Belmonte: Wenn der Freude Thränen fließen etc. wiederholt. Das Theater war noch fast voller als das erste Mal; den Tag vorher konnte man schon keine gesperrten Sitze mehr haben, weder auf dem noble parterre, noch im dritten Stocke, und auch keine Loge mehr. Die Oper hat in den zwei Tagen 1200 fl. getragen.

Hier überschicke ich Ihnen das Original davon und zwei Büchel. Sie werden viel Ausgestrichenes darin finden, das ist, [147] weil ich gewußt habe, daß hier gleich die Partitur copirt wird, mithin ließ ich meinen Gedanken freien Lauf, und bevor ich es zum schreiben gab, machte ich erst hie und da meine Veränderungen und Abkürzungen. Und so, wie Sie nun die Oper bekommen, so ist sie gegeben worden. Es fehlen hie und da die Trompeten und Pauken, Flauten, Clarinetten und türkische Musik, weil ich kein Papier von so viel Linien bekommen konnte, die sind auf ein besonderes Papier geschrieben, der Copist wird sie vermuthlich verloren haben, denn er konnte sie nicht finden.

Nun habe ich keine geringe Arbeit, bis Sonntag über acht Tage muß meine Opera auf die Harmonie gesetzt sein, sonst kömmt mir ein Anderer zuvor und hat anstatt meiner den Profit davon, und ich soll nun auch eine neue Symphonie machen! Wie wird das möglich sein! Sie glauben nicht, wie schwer es ist, so was auf die Harmonie zu setzen, daß es den Blas-Instrumenten eigen ist und doch dabei nichts von der Wirkung verloren geht. Je nun, ich muß die Nacht dazu nehmen, anders kann es nicht gehen, und Ihnen, mein liebster Vater, sei es aufgeopfert. Sie sollen alle Posttage sicher Etwas bekommen, und ich werde, so viel möglich, geschwind arbeiten, und so viel es die Eile zuläßt, gut schreiben.

Den Augenblick schickt der Graf Zitchi zu mir und läßt mir sagen, ich möchte mit ihm nach Laxenburg fahren, damit er mich beim Fürsten Kaunitz einführen kann. Ich muß also schließen, um mich anzukleiden; denn wenn ich nicht gesonnen bin, auszugehen, so bleibe ich allezeit in meinem Negligée. So eben schickt mir der Copist auch die übrigen Stimmen. Adieu! Ich küsse Ihnen die Hände 2000 Mal, und meine liebe Schwester umarme ich von Herzen und bin ewig etc.

[Wolfgang Mozart.]


[148] Wien, den 27. Julius 1782.


Meine Opera ist gestern allen Nannerln zu Ehren mit allem Applauso das dritte Mal gegeben worden, und das Theater war wiederum, ungeachtet der erschrecklichen Hitze, gestrotzt voll. Künftigen Freitag soll sie wieder sein, ich habe aber dagegen protestirt, denn ich will sie nicht so auspeitschen lassen. Die Leute, kann ich sagen, sind recht närrisch auf diese Oper. Es thut Einem doch wohl, wenn man solchen Beifall erhält. Ich hoffe, Sie werden das Original richtig erhalten haben. Liebster, bester Pater! Ich muß Sie bitten, um Alles in der Welt bitten, geben Sie mir Ihre Einwilligung, daß ich meine liebe Constanze heirathen kann. – Glauben Sie nicht, daß es um des Heirathens wegen allein ist, wegen diesem wollte ich gern warten. Allein ich sehe, daß es meiner Gesundheit und meinem Gemüthszustande unumgänglich nothwendig ist. Mein Herz ist unruhig, mein Kopf verwirrt – wie kann man da was Gescheidtes denken und arbeiten?

[Wolfgang Mozart.]


Wien, den 31. Julius 1782.


Gestern war meine Oper zum vierten Male, und Freitag wird sie wieder gegeben, und das Theater wimmelt allezeit von Menschen. – Sie schreiben mir, daß die ganze Welt behauptet, daß ich durch mein Großsprechen und Kritisiren die Professori von der Musik und auch andere Leute zu Feinden habe. Was für eine Welt? Vermuthlich die Salzburger Welt? Denn, wer hier ist, der wird genug davon das Gegentheil sehen und hören, und [149] das soll meine Antwort darauf sein. Sie werden unterdessen meinen letzten Brief erhalten haben, und ich zweifle auch gar nicht, daß ich mit künftigem Briefe Ihre Einwilligung zu meiner Heirath erhalten werde. Sie können nichts dagegen einzuwenden haben, und haben es auch wirklich nicht, das zeigen mir Ihre Briefe, denn Constanze ist ein ehrliches, braves Mädchen, von guten Eltern, und ich bin im Stande, ihr Brod zu verschaffen, wir lieben uns und wollen uns, da ist also nichts aufzuschieben.

[Wolfgang Mozart.]


Prag ist die einzige Stadt der Welt, in welcher Mozart's Werke bei seinen Lebzeiten schon so beurtheilt wurden, wie es die Nachwelt zwanzig Jahre nach seinem Tode that. Professor Njemetschek, der Verfasser einer Biographie Mozart's in Anekdoten, erzählt uns, welches Aufsehen die Entführung in der Hauptstadt Böhmens und bei den wahren Kennern erregt habe. »Alles war hingerissen, Alles staunte über die neuen Harmonieen, über die originellen, bisher ungehörten Sätze der Blasinstrumente. Es war, als wenn das, was man bisher gehört und gekannt hatte, keine Musik gewesen wäre.«

Ein solcher Beifall mußte alle Diejenigen aufschrecken, deren Eigenliebe Mozart's nationaler Triumph kränkte, deren Credit oder deren Existenzmittel sogar dadurch bedroht wurden. Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß Mozart eine Masse von Feinden hatte; denn außer seinem täglich wachsenden Ruhme machte man ihm auch seine etwas herb schmeckende Freimüthigkeit und seine Vorliebe für das Kritisiren, welche sich so offen in seinen Briefen kund geben, und welche er auch in Gesellschaft nicht zügelte, zum Vorwurfe. Er sprach sich gegen Jedermann und über Alles ganz freimüthig aus, als wenn sein ungemeines Talent nicht [150] an und für sich schon tödtliche Beleidigung genug für alle die gewesen wäre, deren Werke und Spiel er bekrittelte. Unter den italienischen Meistern, welche in Wien lebten, gab es mehrere, die weit genug blickten, um einzusehen, daß Mozart auf ihr Verderben losarbeite; daß seine deutsche Oper der erste Streich sei, den gegen die Universal-Monarchie der italienischen Oper geführt habe, und daß die deutschen Barbaren ihnen zuletzt ebenso den musikalischen Scepter aus den Händen winden würden, wie die Vorfahren derselben Italiener den Scepter der Welt geraubt hatten. Die Wunden, welche man auf diese Weise dem Nationalstolze schlug, der sich aus seinen letzten Verschanzungen vertrieben und in seiner Eigenliebe an der verwundbarsten Stelle getroffen sah, mußten tief und unheilbar sein. Viele deutsche Musiker, welche die einfältige Eitelkeit besaßen, auf Mozart eifersüchtig zu sein, machten mit den Italienern gemeinschaftliche Sache. Unter allen diesen Anfeindungen, die sich gegen den großen Mann erhoben, ist aber nur eine, welche historisch geworden ist, nämlich der Haß Salieri's. Als Schüler Gluck's, und gelehrter als alle die Opernschreiber unter seinen Landsleuten, mußte Salieri eben aus diesen Gründen der unversöhnlichste Feind Mozart's werden. Der schmeichelhafte Irrthum, in Folge dessen man in Paris seine Oper, die Danaiden, für ein Werk Gluck's gehalten hatte, seine Stellung als erster Kapellmeister am kaiserlichen Hofe, sein großer Ruf und seine zahlreichen dramatischen Triumphe, Alles dieß zusammen mußte sei nen Widerwillen gegen einen jungen Mann ohne Titel und Anstellung, den armseligen Musiklehrer, der, wie er sich nicht verbergen konnte, ihn und alle Anderen überragte, auf's Höchste steigern. Bald vermehrten aber noch viel gefährliche Feinde, welche jederzeit die Rache in ihren Händen, oder vielmehr Kehlen haben, die schon an und für sich hinreichende furchtbare[151] Phalanx. Es waren dieß die italienischen Sänger, die sich um ihre Maestri pro aris et focis schaarten. Sie konnten Mozart viel Uebles zufügen, was sie auch nicht unterließen. Waren die Anderen weniger glücklich? gibt es vielleicht nicht noch eine schwarze That von denjenigen seiner Mitgenossen zu berichten, über die Mozart sich zu beklagen hatte? Wenn man einer Sage Glauben schenken will, die noch heut' zu Tage Nachhall findet, so würde sich einer durch eine gräßliche Handlung bemerklich gemacht haben; Salieri hätte, dieser zu Folge, Mozart vergiftet. Glücklicherweise für das Andenken des Italieners entbehrt diese Sage eben so sehr aller Begründung als Wahrscheinlichkeit, und ist eben so abgeschmackt als abscheulich. Nein, der Haß allein gebiert heutigen Tages unter Menschen der gebildeteren Klassen sehr selten solche Verbrechen. Er gibt sich nicht in Meuchelmorden, Vergiftungen oder anderen dramatischen Katastrophen und Effekten kund. Glückliches Zeitalter! das seine Aufklärung selbst über die Menschen verbreitet hat, welche sich so recht von Herzen hassen. Die Feinde grüßen sich, sprechen mit einander, drücken sich die Hände und flüstern einander in die Ohren, es sind gute Bekannte, Zunftgenossen oder Mitbrüder in Apollo, beinahe Freunde; man sieht sie und besucht sie, wie Mozart Salieri sah und besuchte, der ihn stets auf die herzlichste Art empfing. Der Teufel verliert aber bei diesem Verfahren nichts gegen das frühere. Denn statt physisch den Menschen zu morden, wird er nun moralisch um's Leben gebracht, und diese Kunst verstanden Mozart's Feinde aus dem Grunde. Sie gingen aber in ihren Machinationen mit so vieler strategischer Kunst zu Werke, daß unser Freund nur die Folgen davon empfunden zu haben scheint, ohne daß es ihm je gelungen wäre, den geheimen Ursachen auf die Spur zu kommen. Auf dieselbe Weise wurden, trotz der günstigsten Aussichten, seine Plane [152] auf ein dauerndes Glück in Mannheim und München durch Hände über den Haufen geworfen, die ihm stets unsichtbar blieben. Ebenso erklären weder er, noch seine Biographen gründlich die Ursachen, warum Joseph II., trotz der Verehrung für seine Talente und der Vorliebe, die er für seine Person hegte, es nur bei leerem Wohlwollen bewenden ließ. In Wien begnügte man sich nicht damit, ihm die Gunst und die Aussicht auf eine Anstellung abzuschneiden, das Publikum konnte ihn hier für das Vergessen des Hofes entschädigen, man mußte ihn also auch in der Meinung des Publikums vernichten. Auf welchem Wege war aber dieses Ziel am leichtesten zu erreichen? Sein Spiel anzugreifen, wäre schwer gewesen; eher hätte es mit seinen Compositionen gelingen mögen, obgleich selbst von dieser Seite der Versuch sehr gewagt war, denn es gab doch gar zu viele Ohren, die der Haß nicht taub gemacht hatte! Sollte aber nicht der Mensch für den Künstler entgelten können? Der Mensch war eines der besten, edelsten und vernünftigsten Geschöpfe. Gleichviel, wenn der Neid einmal, weil er nichts Anderes findet, die Sitten und den Charakter seiner Opfer angreift, so wird er Keinen finden, der ganz unverwundbar wäre. Mozart suchte nach der Arbeit Zerstreuung; sein Herz war den Verlockungen der Liebe nicht unzugänglich; er liebte das moussirende Getränk, das die Nerven des Musikers und des Dichters anregt. Seine, Freunden stets offene Börse, deren Wahl eine bessere hätte sein können, war, wie nicht zu läugnen, oft leer und beinahe immer leicht. Er entlehnte nach allen Seiten und oft zu wucherischen Zinsen. Weit weniger, als Alles dieß, hätte hingereicht, um einen Menschen ganz schwarz zu malen, um ihn als Trunkenbold, Wüstling und zügellosen Verschwender hinzustellen. Der Haß suchte also dem Publikum sein trübes Mikroskop herzuleihen, in welches dasselbe aus Neugierde blickte. Viele fromme[153] und kluge Leute schüttelten den Kopf, scheinbar sehr entrüstet, innerlich aber sehr befriedigt über eine Entdeckung, die stets mittelmäßigen Menschen angenehm ist, selbst wenn sie nicht neidisch sind. – Es gibt nichts Tröstlicheres, als wenn man sich sagen kann: ich besitze allerdings die Talente oder den Geist dieses Menschen nicht, aber ich schätze mich nichts desto weniger glücklich, daß ich ihm nicht gleiche. Man glaubte also: die Einen, weil sie leichtgläubig waren, die Anderen, weil sie es gern glaubten; die Mehrzahl aber, weil ihnen die Sache nicht werth dünkte, aufgeklärt zu werden. Eben auf diese Gleichgültigkeit speculiren die Verläumder, und durch sie gelangen sie an's Ziel. Ihr Sieg über Mozart war vollständig, und zwar so, daß seine Spuren selbst theilweise bei der Nachwelt haften geblieben, und wie ich fürchte, unverwischbar geworden sind. Vergebens wird der Biograph die Thatsachen sprechen lassen; vergebens wird er sagen, daß ein Mensch, der so jung starb und dessen Werke allein eine ganze musikalische Bibliothek zu füllen im Stande wären, wenige Zeit seinem Vergnügen habe widmen können; daß ein Gatte, der seine Frau leidenschaftlich liebte und von dieser stets geliebt wurde, der in einer neunjährigen Ehe sechs Kinder zeugte, kein Wüstling von Gewerbe sein konnte; daß ein von Jedermann gesuchter Künstler, der jeden Tag in die ausgewählteste Gesellschaft Zutritt hatte, nicht die Gewohnheit haben könnte, sich täglich zu berauschen. Im Gegentheil, wenn man sich über Etwas zu wundern hat, so mag es darüber sein, daß ein Familienvater, dessen Einkommen kaum dem Erwerbe eines mittlern Gewerbsmannes gleichkam, der bei keiner Art von Ausgabe knickerte, der seinen Freunden, ohne Aussicht auf Wiedererstattung, lieh, und zu all' dem doch noch so viel erübrigen konnte, um seinem alten Vater von Zeit zu Zeit Ersparnisse von 20 bis 30 Ducaten zu schicken, daß dieser Mann, sage ich, bei seinem [154] Tode nicht mehr Schulden, als die elende Summe von 3000 Gulden hinterließ! Immerhin! In den Augen der Mehrzahl, die sich nicht besser unterrichten will, wird Mozart immer ein Mensch bleiben, den man mit dem Worte Taugenichts bezeichnet.

Der Haß legte sich nicht ein Mal mit Mozart zu Grabe. Außer dem unsterblichen Vermächtnisse seiner Werke blieb noch Etwas von ihm zurück, eine Wittwe und zwei unmündige Kinder. Wie die Liebe, so hat auch der Haß seinen Glauben. Der Haß wie die Liebe bilden sich gern ein, daß man durch Verfolgung oder Wohlthätigkeit gegen Wesen, in welchen sich ein erloschenes Leben fortpflanzt, unsichtbare Bande berühre, die selbst im Tode vielleicht noch fortbestehen. Allem Vermuthen nach durfte man voraussetzen, daß die Lage der Wittwe Mozart's einen Fürsten wie Leopold II. interessiren würde, man wußte aber auch, daß die Verhältnisse, zur Zeit, in welcher Joseph's Nachfolger auf den Thron gelangte, diesem vor Allem eine strenge Sparsamkeit auferlegten. Was that man nun? Man setzte eine Null an die Zahl der Schulden Mozart's, und diese lügenhafter Weise um einen Zehner vermehrte Zahl schreckte, wie man erwartet hatte, den Kaiser ab. Eine Dame von hohem Range, und ehemalige Schülerin Mozart's, erfuhr diese Schändlichkeit und setzte die Wittwe davon in Kenntniß, diese erbat sich sogleich eine Audienz bei dem Kaiser, erhielt diese, klärte diesen über die Wahrheit auf, und erlangte dadurch augenblicklich eine Pension von zweihundert und fünfzig Gulden des Jahres. Durch ein Concert, dessen Ertrag die Freigebigkeit des Kaisers garantirte, war man im Stande, die Schulden zu bezahlen.

Ich bin den Ereignissen vorangeeilt, weil ich von einer Classe Menschen zu sprechen hatte, die so mächtig auf Mozart's Geschick einwirkten, nicht durch Handlungen, welche man genau und nach [155] der Reihenfolge anzugeben vermochte, sondern durch im Verborgenen schleichenden Ränke und ihre stete Bereitwilligkeit, ihm zu schaden. Ich wollte Alles, was sich über diesen traurigen Gegenstand sagen läßt, mit einem Male kurz abmachen.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 138-156.
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