Neunzehntes Kapitel.

Mozart's Verehelichung mit Constanze Weber.

1782.

[156] Zu der Zeit, in welcher wir nun angelangt sind, als mit den ersten Vorstellungen der Entführung eine neue Aera der dramatischen Musik in Deutschland zu beginnen anfing, kümmerte sich Mozart weniger als je um das Geschrei der Neider, die sein Glück zu stören suchten. Er stand im Begriffe, sich mit Aloysia's Schwester, seiner geliebten Constanze zu vermählen. Die Familie Weber war von München nach Wien übergesiedelt. Aloysia glänzte auch hier als dramatische Sängerin ersten Ranges, und Mozart schrieb mehrere Bravour-Arien für sie. Er konnte ihre Treulosigkeit wohl vergessen und vergeben, denn sein Herz hing jetzt unabänderlich an ihrer jüngeren Schwester Constanze, deren Gesang, wenn auch weniger brillant und prächtig als Aloysia's, ihn schon in München gefesselt hatte, und deren edles, zärtlich liebendes Herz ihm eine glückliche Ehe versprechen durfte. Die Heirath kam aber nicht ohne Hindernisse zu Stande. Der Vater des jungen Mannes ließ sich lange bitten, ehe er seine Einwilligung gab; endlich gab er nach; aber die Mutter des Fräuleins weigerte sich, [156] warum, weiß man nicht, hartnäckig. Mozart-Belmonte war genöthigt, seine Constanze, wie in der Oper, zu entführen. Er führte sie zu der Baronin v. Waldstetten, wo die Liebenden, beide vor Wonne weinend, den ehelichen Segen erhielten. Die Baronin gab ein fürstliches Souper, bei dem eine sechszehnstimmige Harmoniemusik gemacht wurde, deren sämmtliche Nummern von Mozart componirt waren. Den folgenden Tag aßen die Neuvermählten bei Gluck zu Mittag. Zwei Tage zuvor war die neue Oper auf ausdrückliches Verlangen des berühmten Veteranen gegeben worden, der, als ein über Eifersucht erhaben stehender Mann, seinen Nebenbuhler darüber beglückwünschte.

Seine Verheirathung brachte für Mozart Ausgaben mit, für die er nur durch eine verdoppelte Thätigkeit die Mittel anzuschaffen im Stande war. Aus seinen Briefen ist zu ersehen, wie er seine Zeit verwendete. Der ganze Morgen wurde den Schülern gewidmet, die Lectionen fingen um neun Uhr an und gingen um zwei Uhr zu Ende. Nach dem Mittagessen ruhte Mozart eine Stunde lang aus. Abends war er beinahe immer in irgend eine musikalische Gesellschaft eingeladen, am häufigsten zu den Fürsten Esterhazy und Galitzin. Seine zahlreichen Bekanntschaften in der großen Welt und die Gunst, in der er bei den Musikfreunden stand, erlaubten ihm häufig Soireen und öffentliche Concerte (Akademieen, wie man sie nannte) im Theater zu veranstalten.

Als die Zeit herankam, in welcher Mozart Vater werden sollte, gelobte er, in der Freude seines Herzens, wenn Alles gut vorübergehe, eine Messe zu componiren; und wie der Augenblick der Entbindung seiner Frau nahte, begab er sich in das Zimmer der Dulderin, und brachte Dinte, Feder und Notenpapier mit sich. Wie, in einem solchen Augenblicke und unter solchen Umständen [157] wollte er arbeiten? Ja, er schrieb und zwar mit seiner stets gewohnten Schnelligkeit. Er hört schreien, wirft die Feder weg, eilt zu seiner Frau, umarmt, tröstet und ermuthigt sie, und als er sie ruhiger werden sieht, kehrt er zu seinem Geschäfte zurück. Sollte man dieß für möglich halten? Erhoben sich seine Fähigkeiten über die Grenzen, innerhalb welcher es andern Menschen möglich ist, Meisterwerke zu schaffen; brauchen nicht selbst die größten Genie's dazu Ruhe, Stille und Sammlung? Und an was arbeitete Mozart, während er das Schmerzensbett vor Augen hatte, und herzzerreißende Laute an sein Ohr tönten? An einem der sechs Violinquartetts, die er Haydn widmete. Das Menuet sammt Trio des zweiten Quartetts war eben fertig geworden, als der Erstgeborene des durch Nichts zu erschütternden Musikers das Licht der Welt erblickte. Wir verdanken diese Anekdote der Wittwe Mozart's selbst. Man wird wohl fragen, wie er im Stande war, unter solchen Umständen zu arbeiten? Wenn Mozart seine Musik schrieb, war er fast nichts anderes, als beinahe ein bloßer Abschreiber. Er componirte im Kopfe, ohne bei seiner Arbeit sich um Ort oder Stunde zu kümmern, ohne sein Piano zu Rathe zu ziehen; denn wenn er ein Mal die Feder zur Hand nahm, so war das, was er componiren wollte, schon ganz vollendet, und er hatte es eigentlich nur noch in's Reine zu schreiben. Aus diesem Grunde findet man in Mozart's Manuscripten, selbst in seinen Skizzen nur wenige Correcturen und Durchstriche.

Nach dem Wochenbette seiner Frau besuchte Mozart mit ihr Salzburg. Diese Reise kam aber beinahe durch einen Vorfall nicht zu Stande, welcher einen tiefen Blick in die nichts weniger als blühenden finanziellen Verhältnisse des Meisters zuläßt. Einer seiner Gläubiger, den er für den Augenblick nicht zu befriedigen vermochte, wollte sich seiner Abreise widersetzen. Nur mit großer [158] Mühe gelang es Mozart, sich diesen Menschen vom Halse zu schaffen, und man weiß heute noch nicht, durch welches Mittel es ihm gelang, ob durch Bitten, oder das Versprechen höherer Interessen, oder ob er dadurch, daß er ihm etwas vorspielte, sein Felsenherz erweichte, oder, was wahrscheinlicher ist, daß er sich durch Anleihen anderwärts half. Kurz, man machte sich auf den Weg. Die zu bezahlende Summe betrug dreißig Gulden Reichswährung.

Die Freude, seinen alten Vater nach einer zweijährigen Trennung wieder zu sehen, ließ Mozart das Gelübde, das er zu erfüllen hatte, nicht vergessen. Die Messe, ex voto, war schon in Wien angefangen worden; sie wurde in Salzburg vollendet und in der St. Peterskirche daselbst ausgeführt.

Kaum hatte der Componist seine Feder niedergelegt, die ein bedeutendes Werk vollendet hatte, zu dem ihn religiöses und zärtliches Gattengefühl angetrieben, als die Freundschaft ihn veranlaßte, sie wieder zu ergreifen. Einer seiner ehemaligen Genossen, Michael Haydn, ein Bruder Joseph Haydn's, hatte vom Erzbischofe den Auftrag erhalten, Duetts für Violine und Bratsche zu componiren. Haydn erkrankte aber so schwer, daß er außer Stande zu arbeiten war. Als die zur Anfertigung bestimmte Frist abgelaufen war, verlangte man die Duetts. Der Kranke entschuldigte sich mit seinem Zustande, allein der Erzbischof, der keine Entschuldigungen liebte, befahl sogleich den Gehalt Haydn's zurückzuhalten, weil dieß das sicherste Mittel ist, die Wiederherstellung eines Menschen zu beschleunigen, der nichts als seinen Gehalt zur Befriedigung des Arztes und Apothekers hatte20. Mozart, der [159] den Kranken täglich besuchte, fand diesen in Verzweiflung, und erhielt auf Befragen den Beschluß des Erzbischofes mitgetheilt. Er liebte es nicht, zu Tröstungen seine Zuflucht zu nehmen, wenn er helfen konnte. Ohne seinem armen Freunde ein Wort zu sagen, setzt er sich zu Hause hin, und bringt ihm zwei Tage nachher die Duetten, völlig in's Reine geschrieben, auf deren Vorderblatt nichts mehr als der Name Michael Haydn gesetzt werden durfte, um sie dem Erzbischofe überreichen zu können. Das Geheimniß wurde von beiden Theilen bewahrt, und der Erzbischof wünschte sich Glück über die Art, wie er es verstanden, den Genius des Componisten zu erwecken und dem Kranken die Gesundheit wiederzugeben. – Zwei Schüler von Michael Haydn, Schinn und Otter erzählen diese Anekdote in einem Lebensabrisse ihres gelehrten Meisters. »Noch oft ergötzen wir uns,« sagen sie, »in der spätern Zeit mit diesem trefflich gerathenen Liebeswerke, das auch unser Meister als ein Heiligthum im Original aufbewahrte, und darin immer Mozart's unsterbliches Andenken ehrte.« Diese Duetten erschienen einige Jahre später in Offenbach unter dem Namen ihres wirklichen Verfassers, der aber deßhalb doch dieser Veröffentlichung ganz fremd blieb.

Nach einem Aufenthalte von drei Monaten kehrten die Gatten von Salzburg wieder nach Hause zurück.

Im folgenden Jahre (1784) lenkte sich die Aufmerksamkeit der Wiener Musikliebhaber in hohem Grade einer Signora Strinassacchi zu, einer Künstlerin auf einem Instrumente, welches [160] selten die Finger einer Frau mit Glück handhaben. Sie war eine sehr berühmte Violinspielerin ihrer Zeit. Nachdem sie ein Conzert bei Hofe gegeben hatte, erhielt sie die Erlaubniß, ein Conzert im italienischen Theater veranstalten zu dürfen. Die Signora wünschte mit einem neuen Conzertstücke aufzutreten, in dem sie mit einem andern Künstler, der in Hinsicht des Rufes und Talents dieses Wettkampfes würdig wäre, in die Schranken treten könnte. Zu diesem Zwecke vermochte ihrer künstlerischen Eigenliebe Niemand besser zu dienen, als Mozart, denn es gab keinen Namen, an dessen Seite sich der ihrige auf dem Programm besser ausnahm; den Vortheil ganz abgerechnet, daß sie bei einem Partner, wie er war, nicht lange erst nach einem Componisten sich umzusehen hatte, der das Concertstück, auf eine den Mitteln, Wünschen und Absichten der Dame anpassendere Art zu schreiben verstanden hätte. Sie wandte sich daher an Mozart mit der Bitte, eine Sonate für Violine und Clavier zu componiren und mit ihr zu spielen. Es scheint, daß Mozart Gesuche dieser Art nie abgeschlagen habe, mochte der, welcher sie an ihn richtete, die Gewährung als Künstler und Mensch verdienen oder nicht. Er arbeitete für Diejenigen umsonst, welche ihn nicht bezahlen konnten und wollten; obgleich die öftere Wiederholung von dergleichen Bestellungen ihm manchmal ungelegen kam, und selbst unangenehm war. Sie nahmen ihm Zeit weg und vermehrten weder seinen Ruhm noch seine Einnahmen. Viele dieser Stücke, deren willfährige Ausführung den Katalog der Werke Mozart's unnöthigerweise vergrößerte, sind Kleinigkeiten, die den Stempel der Eile und Nachlässigkeit an sich tragen; einige zeigen augenscheinlich, daß sie auf die persönliche Schwäche der Künstler oder Liebhaber berechnet waren, für die sie gemacht wurden. Die Sonate, welche die Signora Strinassacchi von ihm verlangte, erforderte größere Sorgfalt. Die Signora [161] besaß wirklich eine große Stärke, und überdieß sollte er selbst mit ihr spielen. Allein, sei es, daß es ihm an Zeit gebrach, oder, daß er sich zu dieser Arbeit nicht aufgelegt fühlte, er verschob sie von einem Tage auf den andern. So war der Tag vor dem Concert herangekommen und es war noch nichts fertig. Als die Signora erfuhr, daß die Sonate bis jetzt nur auf den Zetteln bestehe, die bereits gedruckt und ausgetheilt waren, eilte sie ganz außer sich zu Mozart, den sie glücklicher Weise zu Hause trifft, und erklärt ihm, nicht eher von der Stelle zu gehen, bis er wenigstens die Violinstimme geschrieben habe. Zum Studiren derselben bleibt ihr nur noch die Nacht und der folgende Morgen; überdieß mußte sie allein sich einüben. Mozart, der wie immer viel zu thun hatte, vergißt die Probe und läßt sich erst im Concert sehen. Vorwürfe hätten zu nichts geholfen, die Gefahr war groß, aber sie war unvermeidlich. Man nimmt die Sonate vor. Das Publicum, das von Nichts weiß, bewundert das treffliche Zusammenspiel der beiden Künstler, in welchem sie die schwierigsten Passagen vortragen. Der Kaiser befindet sich in seiner Loge und bemerkt, daß Eines der Spielenden, man erräth wohl welches, nur ein weißes Blatt vor sich liegen hat. Se. Majestät täuscht sich nicht. Mozart, welcher seine Partie sich in Gedanken aufgesetzt hatte, hatte den ganzen Tag über keine Zeit gefunden, sie zu Papiere zu bringen. Joseph verlangte die Musik zu sehen und erblickte in der That auf den doppelten Linien für das Clavier nichts, als die Tactstriche. »Haben Sie es wieder ein Mal darauf ankommen lassen?« sagte der Kaiser. – »Ja, Euere Majestät«, erwiederte Mozart, »es ist aber doch keine Note ausgeblieben.« Wir dürfen ihm kecklich auf's Wort glauben.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 156-162.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Pascal, Blaise

Gedanken über die Religion

Gedanken über die Religion

Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.

246 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon