Einundzwanzigstes Kapitel.

Figaro's Hochzeit. – Mozart in Prag.

1786.

[170] Kaum war der Schauspieldirector vollendet, so bekam Mozart Gelegenheit seinen Genius in einer neuen Sphäre zu entfalten, in einem Werke, das bis auf die heutige Zeit als höchstes Muster jener Operngattung gilt, welche unter dem Namen Spieloper die Gegensätze der komischen und ernsten Oper so wohlthuend vermittelt.

Beaumarchais' Figaro beschäftigte damals Jedermann mit seinen Abenteuern. Nachdem der Barbier von Sevilla seines Herrn Vermählung zu Stande gebracht hatte, wollte er selbst sich auch verheirathen. Es gelang ihm dieß trotz Almaviva und Censur, und seine Hochzeit wurde auf allen Theatern gefeiert, und scandalisirte Europa ebenso sehr, als sie es unterhielt. Figaro war eine große literarische Berühmtheit geworden, und so kam man auf den Gedanken, auch eine musikalische Berühmtheit aus ihm zu machen. Mozart wurde dazu ausersehen, ihn mit dem Talente des Gesanges auszustatten, dem einzigen, das ihm vielleicht noch fehlte. Ob der Auftrag nach Mozart's Geschmacke war oder nicht, kam nicht in Betracht; der Kaiser wollte es, und er mußte gehorchen. Wir bedauern sehr, daß uns hier die Nachrichten fehlen, wie wir sie bei seinen Unterhandlungen mit Stephani zu geben im Stande waren; aber so viel weiß man, daß Mozart seinen neuen Librettomacher, den Abbate da Ponte ebenso [171] leitete, wie er es bei dem andern gehalten hatte; daß er ihm den Plan des Buches, sowie die scenische Eintheilung, soweit sie auf die richtige Vertheilung der Musik Bezug hatte, auf's Genaueste vorzeichnete. Der Plan ist an und für sich ein Meisterstück; und was die Partitur der Nozze di Figaro anbelangt, so glaube ich, dem Leser nichts Neues mit der Behauptung zu sagen, daß Mozart wenig Schöneres, und nichts, was schwieriger zu componiren war, geschrieben hat.

Wie kommt es nun, daß dieses unnachahmliche Meisterwerk a terra ging? und wie, daß la Cosa rara von Martin, die zur selben Zeit in Wien gegeben wurde, alle stelle stieg? Ein seltenes Beispiel eines solchen Sieges neben einem solchen Durchfalle! Wie es zuging, will ich sogleich auseinandersetzen. Salieri, der Ober-Director, protegirte Martin, von dem er nichts zu fürchten und viel zu hoffen hatte, wenn er mit Mozart in die Schranken trat. Die Sänger protegirten diesen Maestro ebenfalls, der ihr sehr ergebener und gehorsamer Sklave, gleich allen Maestri's auf der Welt war. Hiezu kam, daß die Musik zur Cosa rara, in welcher sich das Talent eines ganz gefälligen Componisten kundgibt, Jedermann sehr leicht in die Ohren fiel. Figaro dagegen ist eine der Opern, die niemals Jedermann gefallen werden, und die namentlich den italienischen Sängern, aus vielen Gründen, auf die wir an einem andern Orte zu sprechen kommen werden, unerträglich sein mußte. Ein Zusammentreffen anderer günstiger Umstände für die anti-mozart'sche Partie, deren Haupt Salieri war, durfte man nicht unbenützt vorübergehen lassen. Mozart, welcher sein Werk einer Gesellschaft anvertraute, die ihm vom Oberdirector bis zum letzten Sänger herab entschieden feindlich gesinnt war, gab sich auf diese Art förmlich in die Hände seiner [172] Henker. So wurden auch die beiden ersten Acte26 der Oper auf eine schändliche Art dargestellt. Der Componist eilte, wie man sagt, voll Entrüstung in die kaiserliche Loge, um den Schutz Sr. Majestät anzuflehen, die selbst über das, was vorging, indignirt war. Joseph ließ den Schuldigen eine strenge Zurechtweisung zugehen, der übrige Theil der Oper ging etwas besser, aber der Streich war bereits geglückt. Das Publikum hörte bis an's Ende mit Kälte zu. Figaro fiel und konnte sich lange Zeit von seinem Falle in Wien nicht mehr erholen.

Der folgende Auszug aus einem Briefe des Vaters Leopold an seine Tochter erwähnt die Kabalen, mit welchen Mozart zu kämpfen hatte:

»Am 28. April geht le nozze di Figaro zum ersten Male in die Scena. Es wird viel sein, wenn er reüssirt, denn ich weiß, daß er erstaunlich starke Kabalen wider sich hat. Salieri mit seinem ganzen Anhange wird wieder suchen, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen. Duschek sagte mir neulich, daß Dein Bruder so viele Kabalen wider sich habe, weil er wegen seines besondern Talents und Geschicklichkeit in so großem Ansehen stehe.«

Nichts desto weniger fand die verdammte Oper gerechtere oder competentere Richter. Alle die Werke Mozart's, an die sich der Wiener Geschmack nicht gewöhnen konnte, nahmen natürlicher Weise ihren Weg nach Böhmen, wo sie gewiß sein durften, eine Aufnahme zu finden, wie sie jenen edelen Verbannten aus Athen und Rom bei den fremden Nationen zu Theil wurde, bei denen ihr undankbares Vaterland sie nöthigte, ein Asyl zu suchen. Figaro wandte sich an das Prager Publicum, das ihm die glänzendste[173] Genugthuung zu Theil werden ließ. Hören wir darüber einen Augenzeugen, den Professor Niemetscheck, den wir schon ein Mal anzuführen Gelegenheit hatten.

» Le nozze di Figaro wurden im Jahre 1786 von der Bondini'schen Gesellschaft, die ab wechselnd in Leipzig, Warschau und Prag spielte, in letzterer Stadt auf das Theater gebracht, und gleich bei der ersten Vorstellung mit einem Beifalle aufgenommen, der nur mit demjenigen, welchen die Zauberflöte nachher erhielt, verglichen werden kann. Es ist die strengste Wahrheit, wenn ich sage, daß diese Oper fast ohne Unterbrechung diesen ganzen Winter gespielt ward, und daß sie den traurigen Umständen des Unternehmers vollkommen aufgeholfen hat. Der Enthusiasmus, den sie bei dem Publicum erregte, war bisher ohne Beispiel; man konnte sich nicht genug satt daran hören. Sie wurde bald von einem unserer besten Meister in einen guten Clavierauszug gebracht, in Partieen für Blasinstrumente, in's Quintett für Kammermusik, in deutsche Tänze verwandelt: kurz, Figaro's Gesänge wiederhallten auf den Gassen, in den Gärten, ja selbst der Harfenist auf der Bierbank mußte sein Non più andrai tönen lassen, wenn er gehört werden wollte.«

»Diese Erscheinung hat freilich größtentheils in der Vortrefflichkeit des Werkes seinen Grund; aber nur ein Publicum, welches soviel Sinn für das wahre Schöne in der Tonkunst, und so viel gründliche Kenner unter sich besitzt, konnte den Werth einer solchen Kunst auf der Stelle empfinden. Dazu gehört auch das unvergleichliche Orchester der damaligen Oper, welches die Idee Mozart's so genau und fleißig auszuführen verstand. Denn auf diese verdienten Männer, die zwar größtentheils keine Concertisten, aber desto gründlichere Kenner und Orchester-Subjecte waren, machte die neue Harmonie und der feurige Gang des Gesanges [174] den entschiedensten und tiefsten Eindruck. Der nunmehr verstorbene, rühmlich bekannte Orchester-Director Strohbach versicherte oft, daß er sammt seinem Personale bei der jedesmaligen Vorstellung so sehr in's Feuer gerathe, daß er trotz der mühsamen Arbeit mit Vergnügen von vorne wieder anfangen würde.«

»Die Bewunderung für den Verfasser dieser Musik ging so weit, daß einer unserer edelsten Cavaliere und Kenner der Musik, der Graf Joseph v. Thun, der selbst eine vortreffliche Capelle unterhielt, ihn nach Prag zu kommen einlud, und ihm Wohnung, Kost und alle Bequemlichkeiten in seinem Hause anbot. Mozart war zu sehr über die Wirkung erfreut, die seine Musik auf die Böhmen machte – zu begierig, eine Nation von einem solchen Musikgefühle kennen zu lernen, als daß er die Gelegenheit nicht mit Freuden ergriffen hätte. Er kam im Februar 1787 nach Prag: am Tage seiner Ankunft wurde Figaro gegeben und Mozart erschien bei der Vorstellung. Alsogleich verbreitete sich die Nachricht von seiner Anwesenheit im Parterre, und so wie die Symphonie zu Ende ging, klatschte ihm das ganze Publicum Beifall und Will kommen zu.«

Einige Tage nachher gab Mozart in demselben Opernhause ein Concert, in welchem er sich dem böhmischen Publicum während der Aufführung seines Werkes gezeigt hatte. Der ausübende Künstler fand eben so ungeheuern Beifall, wie der Compositeur, und die Vereinigung dieser beiden Talente, setzte ein anderer Zeitgenosse27 hinzu, brachte auf die Zuhörer einen Eindruck hervor, welcher einer süßen Bezauberung glich. Zum Schlusse des Abends setzte sich Mozart noch an's Clavier und phantasirte über eine [175] halbe Stunde. Ein Ausmalen des ungeheuersten Enthusiasmus, der endlosen Beifallsbezeugungen, des Suchens nach Ausdrücken, die sich unvermeidlich um die banale Wendung drehen müssen, daß es keine gebe, in welcher man ein unaussprechbares Vergnügen auszusprechen vermöge, ist eine eben so unnöthige als langweilige Sache, zumal wenn es sich um ein vor mehr als sechzig Jahren gegebenes Concert handelt. Was aber angeführt zu werden verdient, ist, daß Mozart nie zuvor vielleicht so vortrefflich phantasirt hatte. Das läßt sich begreifen, die Seele des phantasirenden Künstlers ist ein Instrument, auf das die moralische Temperatur, in welche es versetzt wird, einen entscheidenden Einfluß ausübt und dessen Umfang die Stimmung des Publicums zu vermehren oder zu verringern vermag. Die inneren Saiten ertönen viel vernehmlicher und reiner, je größer die Anzahl gleichgestimmter Saiten ist, die sich im Publicum erwecken. Durch die Lebhaftigkeit und die zu rechter Zeit gespendeten Beifallsbezeugungen, theilen die Zuhörer dem Künstler die Erschütterungen mit, die sie durch ihn zu fühlen bekommen, und steigern und nähren die Quelle der Inspiration. Dazu kommt noch, daß die Böhmen, die natürlichen Richter einer Kunst, die selbst in den untersten Volksklassen28 heimisch ist, noch nie etwas gehört hatten, was Mozart gleichkam, während er noch nie vor einem Publicum gespielt hatte, das so würdig war, ihn zu hören. Künstler und Publicum wirkten also gewissermaßen zusammen, indem sie sich gegenseitig kennen lernten. Man stritt sich in dieser Stadt der Musik darum, wie man diesen König unter den Musikern ehren wollte. Jeder wollte ihn in der Nähe sehen, mit ihm sprechen, und wem es gelang, der liebte ihn wo möglich noch mehr, als zuvor. Wie einfach, wie gemüthlich [176] war der große Mozart, der Jedem vorspielte, wie wenn ein Monarch ihn darum angegangen hätte; wie bürgerlich waren seine Manieren, wie höchst naiv war seine Sprache, er, der erhabene Künstler! So war Mozart. Wie kommt es aber, daß sein Charakter, der ihm in Wien so viele Feinde erweckt hatte, ihm in Prag lauter Freunde, wahre, warme, ergebene, begeisterte Freunde erwarb? Keiner seiner Biographen hat diese Frage berührt, und so will ich sie beantworten, da es keine schwierige Sache ist. In Wien wurde Mozart nur halb verstanden; in Prag verstand man ihn aber vollkommen, und deßhalb konnte Niemand ein solcher Thor sein, sich eifersüchtig auf ihn zu zeigen. Er dagegen, der sich von lauter Künstlern und Dilettanten umgeben sah, die schon durch die außerordentliche Bewunderung, welche sie für ihn an den Tag legten, den hohen Grad ihrer musikalischen Kenntnisse beurkundeten, der von allen Seiten nur Angenehmes und Schmeichelhaftes zu hören bekam, fand keine Veranlassung, seinen kritischen Geist kund zu geben, und somit konnte er Niemanden durch seinen rücksichtslosen Freimuth verletzen. Sein wohlbekannter Freimuth gereichte ihm hier sogar zum Vortheile, weil er seinen neuen Freunden eine Bürgschaft für die Wahrhaftigkeit seiner Zuneigung für sie war. Die Musiker des Orchesters waren ihm mit Leib und Seele ergeben; sie spielten ihn bewunderungswürdig, und nirgends gingen seine Opern so gut zusammen, als in Prag. Zusammen, sage ich? waren denn die italienischen Sänger in Prag besser mozartisch gesinnt als ihre Kunstgenossen in Wien? Ich weiß es nicht, ob sie es mehr waren oder nicht, aber es lag wenigstens in ihrem Interesse, ihre Schuldigkeit zu thun. Die Nozze di Figaro hatte ihre Casse gefüllt, und für lange Zeit ihrem Director die Mittel verschafft, die Gagen richtig zu bezahlen. Aus diesem Grunde thaten sie ihr Möglichstes, Mozart's Opern gut [177] zu singen. Darin liegt das ganze Geheimniß, warum Jedermann in Prag unserem Meister freundlich gesinnt war. Böhmen und Italiener, Musiker von Fach und Dilettanten, das Orchester und die Bühnenmitglieder, der Adel und der Bürgerstand. Ich wiederhole also, nichts war natürlicher, als dieß. Wenn Mozart heute wieder aus seinem Grabe erstünde, so wäre die ganze Welt sein Prag, weil die Musiker aller Länder ihn in unserer Zeit verstünden, wie ihn die Prager im Jahre 1786 verstanden haben.

Mein etwas längeres Verweilen bei diesen Einzelnheiten gründet sich aber entfernt nicht darauf, daß ich meinte, ein localer Erfolg, der einem großen Componisten und Künstler zu Theil geworden sei, verdiene vor tausend anderen Erinnerungen dieser Art dem besondern Andenken der Leser eingeprägt zu werden, sondern ich lege darum ein besonderes Gewicht darauf, weil dieser Erfolg ein ungeheures Resultat zur Folge hat, welches ihn für immer in den Annalen der Musik heiligen muß.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 170-178.
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