Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Mozart in Leipzig.

1789.

[187] Die Ausarbeitung neuer Meisterwerke, und die Umarbeitung älterer, beschäftigten Mozart, als er wieder in seine Heimath zurückgekommen war. Der Baron v. Swieten30, sein Freund, und gleich ihm ein begeisterter Bewunderer Händel's sprach oft und mit Bedauern mit ihm, von der Vergessenheit, in die dieser Meister in Deutschland gerathen war. Beide erkannten allerdings an, daß die ungeheueren Fortschritte, welche die Instrumental-Musik seit fünfzig Jahren gemacht hatte, nicht wenig dazu beigetragen habe, Händel zu veralten. Eben so mußten sie auch zugeben, daß die melodischen Formen und der Zuschnitt der Arien ebenfalls sehr hinter dem modernen Geschmacke zurückgeblieben seien. Wenn nun schon Eingeweihte wie sie, nicht umhin konnten, Händel's Cantilenen etwas lang und matt zu finden, so waren die Profanen gewiß zu entschuldigen, daß ihnen eben diese Cantilenen entsetzlich langweilig vorkamen. Der Musik liebende Baron und [187] Mozart sannen nach, ob es denn kein Mittel gebe, Händel zu verjüngen, ohne daß dadurch die Größe und majestätische Einfachheit beeinträchtigt würde, welche seine Oratorien und Cantaten auszeichnete; daß eine Verjüngung seiner Opern dagegen rein unmöglich sei, sahen beide vollkommen ein. Mozart übernahm diese schwierige Aufgabe auf die dringenden Bitten des Barons, und überarbeitete innerhalb dreier Jahre die Partituren von Acis und Galathea (seine Serenade), des Messias und des Alexander-Festes. Die Prüfung dieser restaurirten Arbeiten soll ihre Stelle in unseren Analysen finden.

Aus dem Jahre 1788 schreiben sich unter anderen Original-Compositionen die Symphonieen aus G moll und C dur mit der Fuge, die schönsten, die Mozart uns zurückgelassen hat.

Im Frühjahre 1789 regte sich in Mozart auf's Neue wieder der Reisetrieb, und zwar dieß Mal mit um so mehr Macht, als nicht nur die schöne Jahreszeit, sondern auch bedeutende finanzielle Verlegenheiten in's Spiel kamen. Einer seiner Schüler, der Fürst Lichnowsky, bot ihm seine Begleitung und seinen Wagen bis Berlin an. Man hatte Leipzig und Dresden zu passiren, welche beide Städte Mozart noch nicht besucht hatte. Von Dresden wissen wir nichts zu berichten; aber ein Mann, der Mozart oft in Leipzig gesehen hat, hat über seinen Aufenthalt in dieser Stadt Nachrichten aufbewahrt, die uns aus keiner bessern Quelle zufließen konnten. Dieser Zeitgenosse ist der im Jahre 1842 in Leipzig verstorbene Hofrath Rochlitz, ein Kritiker voll Wissen und Geschmack, ein ausgezeichneter Schriftsteller und Gründer der Leipziger musikalischen Zeitung, welche er bis zum Jahre 1819 redigirte. Kaum war Mozart angelangt, als ihn alle musikalischen Notabilitäten der Stadt beglückwünschten, und ihm den Wunsch zu erkennen gaben, ihn öffentlich zu hören. Es wurde [188] ein Conzert angekündigt und Rochlitz, der einer unter den ersten die Bekanntschaft des berühmten Reisenden zu machen gekommen war, fand sich bei der Probe ein. Einige Tage zuvor hatte sich Mozart in sehr kräftigen Ausdrücken beklagt, daß man seine Werke durch Uebertreibung der Schnelligkeit »verhunze.« »Da glauben sie, hierdurch soll's feurig werden; ja wenn's Feuer nicht in der Composition steckt, so wird's durch's Abjagen wahrlich nicht hineingebracht.« Seine Kritiken trafen namentlich die italienischen Sänger. Sie jagen oder trillern oder verschnörkeln, weil sie nicht studiren und keinen Ton halten können. Rochlitz bemerkte aber, daß Mozart bei der Probe das Tempo des ersten Allegro's einer Symphonie sehr schnell nahm. Kaum waren zwanzig Tacte gespielt, als das Orchester das Tempo zurückhielt und schleppte. Mozart rief halt! und sagte, worin man fehlte, rief Ancora, und fing eben so geschwind wieder an. Der Erfolg war derselbe. Er that Alles, um das Tempo gleich fort zu halten, und stampfte ein Mal den Tact so gewaltig, daß ihm eine Schuhschnalle in Stücke zersprang. Alles umsonst. Er lachte über seinen Unfall, rief nochmals Ancora und fing zum dritten Male in demselben Tempo an. Die Musiker wurden unwillig über das kleine blasse Männchen, das sie so hudelte, arbeiteten darauf los, und nun ging es. Alles Folgende nahm er gemäßigt. Mozart wollte sich nun auch wieder die Liebe des Orchesters gewinnen, ohne jedoch die gute Wirkung seines Eifers zu verscherzen. Er lobte also nun das Accompagnement und sagte: »Da die Herren so fest sind, so brauche ich meine Conzerte nicht zu probiren; denn die Stimmen sind richtig geschrieben; Sie spielen richtig und ich auch. Was braucht es mehr?« Das Orchester, das zuerst durch das Blasen des Boreas gepeitscht, dann aber durch Phöbus Strahlen, gleich dem Reisenden in der Fabel, wieder ermuthigt worden war, fühlte [189] sich durch diesen doppelten Stachel angetrieben. »Es accompagnirte,« sagt Rochlitz, »das äußerst schwere und intricate Conzert ohne Probe und zwar nun vollkommen richtig, denn es spielte mit Ehrfurcht gegen Mozart und mit möglichster Delicatesse, denn es spielte aus Liebe zu ihm.« Nach der Probe wandte sich Mozart an einige Kenner mit den Worten: »Wundern Sie sich nicht über mich. Es war nicht Caprice; ich sah aber, daß die meisten Musiker bejahrte Leute sind; es wäre des Schleppens kein Ende gewesen, wenn ich sie nicht erst in's Feuer getrieben und böse gemacht hätte. Vor lauter Aerger thaten sie nun ihr Möglichstes.« Dieser Kunstgriff, welcher ebenso einzig in seiner Art, als genial war, beweist, daß dieser sonst so kindliche und zerstreute Mann auch Beobachter werden, als Psycholog berechnen, die Menschen behandeln konnte, wenn es darauf ankam im Interesse der Kunst, dem einzigen Interesse, das er je recht begriffen hatte, zu handeln.

Die Stücke, welche Mozart vor dem Leipziger Publikum spielte, waren alle von seiner Composition und beinahe sämmtlich noch Manuscripte. Um auf seinen Reisen dem damals gewöhnlichen Stehlen seiner Arbeit, nämlich dem heimlichen Abschreiben seiner Conzert-Manuscripte vorzubeugen, spielte er von einer Clavierstimme, die nichts als einen bezifferten Baß enthielt, über der nur die Hauptideen ausgeschrieben, die Figuren und Passagen leicht angedeutet waren; so sehr konnte er sich auf sein Gedächtniß und auch auf sein Gefühl verlassen. Auf diese Art sah man ihn in Leipzig zwei Concerte, eine Phantasie, Variationen und einige andere, schon vor mehreren Jahren componirte Stücke spielen. Der Abend brachte ihm zwar viele Beifallsbezeugungen ein, die Einnahme dagegen deckte kaum die Kosten. Alle, welche den Benefizianten kannten, hatten Freibillete erhalten; an der Kasse zeigten [190] sich wenige Liebhaber. Mozart spielte aber für die Freibillets, in einem halbvollen Saale, alles, ja sogar noch mehr, als er auf dem Zettel versprochen hatte. Es lag nicht in seinem Charakter, die Anwesenden, so wenig es ihrer auch waren, das Unrecht derer entgelten zu lassen, die nicht gekommen waren. Sein kleines, fast aus lauter Musikern von Fach oder Dilettanten gebildetes Publikum, verstand ihn, und ließ ihm Gerechtigkeit angedeihen. Bedurfte es für ihn mehr, um ihn in die beste Laune zu versetzen!

Auf Bitten seiner Freunde, der Inhaber von Freibillets wahrscheinlich, spielte Mozart auf der Orgel der St. Thomaskirche. Ein Schüler Sebastian Bach's, der alte ehrwürdige Doles, hatte nach seinem Meister die Anstellung als Cantor (Musik- und Gesanglehrer) an der berühmten Thomasschule erhalten. Mozart's Spiel brachte auf diesen einen schwer zu beschreibenden Eindruck hervor. »Ich meinte,« sagte dieser, »der alte Bach sei wieder aufgestanden.« Doles nahm den lebhaftesten Antheil an dem Manne, dessen mächtiges Talent zum ersten Male seit vierzig Jahren31 mit dem glorreichen Andenken rivalisirte, welches er heraufbeschworen hatte. Die Erkenntlichkeit des guten alten Mannes, für eine so große Freude, veranlaßte ihn auf ein Mittel zu sinnen, durch welches er Mozart einen Gegendienst zu leisten vermochte. Endlich glaubte er eines gefunden zu haben. Zu jener Zeit waren Bach's Werke noch in wenigen Händen. Mozart selbst, der sein ganzes Leben hindurch Bach studirte, scheint nur die Fugen und die Präludien für Orgel und Clavier, nicht aber die Vocalcompositionen des Patriarchen der deutschen Musik gekannt zu haben. Doles ließ daher seine Schüler die Motette [191] mit Doppelchor ihm vorsingen: »Singet dem Herrn ein neues Lied«, ohne ihm zu sagen, von wem es wäre. Gleich bei den ersten Tacten stutzte Mozart; nach einigen weiteren Tacten aber rief er aus: »Was ist das?« Und nun schien seine ganze Seele in seinen Ohren zu sein. Als die Motette zu Ende war, sagte er mit vor Freude strahlendem Gesichte: »Das ist doch einmal Etwas, aus dem sich was lernen läßt.« Man sagte ihm, daß die Thomasschule die ganze Sammlung der Motetten Bach's besitze, und daß sie dieselben wie eine Reliquie betrachte. »Das ist recht, das ist brav! ich möchte sie sehen,« rief er aus. Weil aber diese Motetten nicht in Partitur vorhanden waren, so ließ er sich die einzelnen Hefte bringen. Es war eine Freude für den stillen Beobachter, zu sehen, wie eifrig sich Mozart setzte, die Stimmen um sich herum, auf den Knieen und auf die nächsten Stühle vertheilte, was er nicht in den Händen halten konnte, und, alles Andere vergessend, nicht eher aufstand, bis er Alles, was von Bach da war, durchgesehen hatte. Er erbat sich eine Copie, hielt diese sehr hoch, und – wenn ich nicht sehr irre, kann dem Kenner der Bach'schen Compositionen und des Mozart'schen Requiems, besonders etwa der großen Fuge: Christe eleïson – das Studium, die Werthschätzung und die volle Auffassung des Geistes des alten Contrapunctisten nicht entgehen.

Mozart wollte einen kleinen Ausflug nach Dresden machen und dann wieder nach Leipzig zurückkehren. »Am Vorabende speis'te er bei Doles, und war sehr aufgeräumt. Als er weggehen wollte, vermochte Doles seine Betrübniß nicht zu verbergen, und wandte sich mit den Worten an ihn: ›Wer weiß, ob wir Sie wieder sehen: geben Sie uns eine Zeile von Ihrer Hand.‹ Mozart, gegen jedes Bewillkommen und Abschiednehmen ziemlich gleichgiltig, hielt sich über das sentimentale Wesen auf, und wollte [192] schlafen gehen, statt zu schreiben. Zuletzt sagte er doch! ›Nun, Papa, geben Sie mir ein Stück Papier!‹ Dieses war gleich da, Mozart rieß es in zwei Hälften, setzte sich und schrieb fünf oder sechs Minuten. Dann gab er dem Vater die eine und dem Sohne32 die andere Hälfte33. Auf dem ersten Blatte war ein dreistimmiger Canon in halben Noten, ohne Worte. Der Canon war trefflich und sehr wehmüthig. Auf dem zweiten Blättchen war gleichfalls ein dreistimmiger Canon, aber in Achteln und auch ohne Worte; wir sangen ihn und fanden diesen trefflich und sehr drollig. Jetzt bemerkten wir und freuten uns, daß beide zusammen gesungen werden konnten, und also ein sechsstimmiges Ganzes ausmachten. ›Nun die Worte,‹ sagte Mozart, und schrieb unter den ersten: ›Lebet wohl, wir seh'n uns wieder,‹ und unter den zweiten: ›Heult noch gar wie alte Weiber.‹ So wurden sie noch einmal durchgesungen, und es ist nicht zu sagen, welch' eine lächerliche und doch tief, fast ergrimmt einschneidende, also vielleicht erhaben-komische Wirkung dieß auf uns machte, und irr' ich nicht, auch auf ihn selbst; denn mit etwas wilder Stimme rief er: ›Adieu Kinder!‹ und – war fort. Nach einem reichlich genossenen Abendessen, innerhalb fünf bis sechs Minuten, ein musikalisches Rechen-Exempel zu lösen, wie die Composition eines sechsstimmigen Canons ist, und mit dieser an und für sich schon verwickelten Aufgabe eine ästhetisch noch weit schwierigere zu verbinden, Weinen und Lachen in dieselben Accorde zu zwingen, das würde jeden Glauben übersteigen, wenn nicht unser Vertrauen in Mozart durch vorangegangene, nicht weniger überraschende und ebenso beglaubigte Beispiele fest stünde.

[193] Mozart erfüllte das gewissermaßen im Canon gegebene Versprechen, indem er bald wieder zu seinen Freunden nach Leipzig zurückkehrte. Die meiste Zeit während seiner Anwesenheit hielt er sich in Doles' Hause auf, wo sich immer die ganze Familie um ihn versammelte. Eines Tages war die Unterhaltung auf einen andern lebenden Componisten gefallen, und man stritt sich über die Verdienste eines Musikers, der offenbar Talent für die komische Oper hatte, aber irgendwo als Kirchen-Compositeur angestellt war34. Vater Doles, der überhaupt etwas mehr, als recht und billig war, auf den Theaterstyl bei den für die Kirche bestimmten Werken hielt, nahm jenes Componisten Partie gegen Mozart's stetes ›Ist ja all' nichts!‹ sehr lebhaft. – ›Und ich wette, Sie haben noch nicht Vieles von ihm gehört,‹ fiel Doles ebenfalls ein. ›Sie gewinnen,‹ antwortete Mozart; ›aber das ist auch nicht nöthig; so Einer kann nichts Rechtes dieser Art machen. Er hat keine Idee in sich. Herr, wenn der liebe Gott mich so in die Kirche und vor ein solches Orchester gesetzt hätte35!‹ – ›Nun, Sie sollen heute noch eine Missa von ihm haben, die Sie mit ihm aussöhnen wird.‹ – Mozart nahm die Messe und brachte sie den folgenden Abend wieder. – ›Nun, was sagen Sie zu der Missa?‹ – ›Läßt sich all' gut hören, nur nicht in der Kirche! Sie werden's nicht übel nehmen, ich habe bis zum Credo einen andern Text unterlegt, so wird sich's besser machen. Nein, es muß ihn Keiner vorher lesen! Wollen's gleich aufführen!‹ – Er setzte sich an's Fortepiano, theilte die vier Singstimmen aus; [194] wir mußten ihm schon zu Willen sein; wir sangen und er accompagnirte. Eine possierlichere Aufführung der Missa hat es nie gegeben. Die Hauptpersonen – Vater Doles mit der Altstimme, die er unter stetem ernsten Kopfschütteln über den Scandal doch so trefflich absang; Mozart immer die zehn Finger voll in den Trompeten- und Pauken-reichen Sätzen, unter ausgelassener Freude immer wiederholend: ›Na, geht's nicht so besser z'sammen?‹ Und nun der arge und doch herrlich angepaßte Text – z.B. das brillante Allegro zu Kyrie Eleison: ›Hol's der Geier, das geht flink!‹ Und zum Schlusse die Fuge: ›Cum sancto spiritu in gloria Dei patris!‹ Das ist gestohlen Gut, ihr Herren nehmt's nicht übel.«

Es lag in seiner Reizbarkeit, launig zu sein, und in der Stimmung seines Gemüthes, nicht selten unmittelbar von einem Extrem zum andern überzugehen. Nachdem er in jener ausgelassenen Lustigkeit noch eine Weile verblieben war, und, wie öfters, in sogenannten Knittelversen gesprochen hatte, trat er an's Fenster, spielte, wie gewöhnlich, Clavier auf dem Fensterpolster, und schwärmte, ohne auf die an ihn gerichteten Reden etwas zu geben, als gleichgiltige Antworten, fast ohne Bewußtsein. Das Gespräch über Kirchenmusik war allgemeiner und ernsthafter geworden. »Unersetzlicher Schade,« sagte Einer, »daß es so vielen großen Musikern, besonders der vorigen Zeit, ergangen ist, wie den alten Malern; daß sie nämlich ihre ungeheueren Kräfte auf meistens nicht nur unfruchtbare, sondern auch Geist-tödtende Sujets der Kirche verwenden mußten!« – Ganz ungestimmt und trübe wendete sich Mozart hier zu den Anderen und sagte – dem Sinne nach, obschon nicht auf diese Weise: »Das ist nun auch einmal wieder so ein Kunstgeschwätz! Bei Euch aufgeklärten Protestanten, wie Ihr euch nennt, wenn Ihr Eure Religion im Kopfe habt – kann [195] etwas Wahres darin sein; das weiß ich nicht. Aber bei uns ist das anders. Ihr fühlt gar nicht, was das sagen will: Agnus Dei, qui tollit peccata mundi, dona nobis pacem. Aber wenn man von frühester Kindheit, wie ich, in das mystische Heiligthum unserer Religion eingeführt ist; wenn man da, als man noch nicht wußte, wo man mit seinen dunkelen, aber drängenden Gefühlen hinsollte, in voller Inbrunst des Herzens seinen Gottesdienst abwartete, ohne zu wissen, was man wollte; und leichter und erhoben daraus wegging, ohne eigentlich zu wissen, was man gehabt habe; wenn man Diejenigen glücklich pries, die unter dem rührenden Agnus Dei hinknieeten und das Abendmahl empfingen, und bei'm Empfange die Musik in sanfter Freude aus dem Herzen der Knieen den sprach: Benedictus, qui venit, etc.; dann ist's anders. Nun ja, das geht freilich dann durch das Leben in der Welt verloren; aber – wenigstens ist mir so – wenn man nun die tausend Mal gehörten Worte nochmals vornimmt, sie in Musik zu setzen, so kommt das Alles wieder, und steht vor Einem und bewegt Einem die Seele.« Mozart schilderte nun einige Scenen jener Art aus seinen frühesten Kinderjahren, dem Alter, in welchem die religiösen Empfindungen sich so ganz mit der jungfräulichen Reinheit des Herzens verschmelzen und dasselbe mit einem entzückenden Zauber erfüllen. Mit besonderm Interesse verweilte er dann bei der Erinnerung an die Zeit, als die Kaiserin Maria Theresia ihm als vierzehnjährigem Knaben aufgetragen hatte, das Te Deum zur Einweihung eines Krankenhauses oder einer ähnlichen Stiftung, zu componiren, und an der Spitze der ganzen kaiserlichen Capelle selbst aufzuführen. »Wie mir da war! – wie mir da war!« – rief er einmal über das andere. »Das kommt doch all' nicht wieder! Man treibt sich umher in dem [196] leeren Alltagsleben« – sagte er, ward bitter, trank viel starken Wein und sprach kein vernünftiges Wort mehr.

Diese ganze Erzählung des Herrn Rochlitz schien mir so interessant, selbst bis auf ihre unbedeutendste Einzelnheit herab, und so reich an den wichtigsten Schlußfolgerungen aus derselben für den Verfasser einer philosophischen Biographie Mozart's, daß ich jede Phrase gern mit Gold aufgewogen hätte, wenn ich nicht Alles um einen mäßigen Ladenpreis hätte haben können.

Unser Reisender konnte sich nicht rühmen, in Leipzig glänzende Geschäfte gemacht zu haben, dennoch verläugnete sich sein gutes Herz nicht. Im Augenblicke der Abreise sieht er einen alten Clavierstimmer bei sich eintreten, der eine kleine Forderung an ihn zu machen hatte. Dieser Mann stammelte. – »Nun, was verlangen Sie, Alter?« fragte Mozart. – »Eu–e–e–re kai–kaiserliche Majestät, i–ich wo–wollte sagen, Herr Ca–Capellmei–meister Sr. kaiserlichen Majestät, i–ich bi–bin mehrmals dagewesen, und wei–eil die Zeiten hart sind, so–o mei–ein–ne ich, ein Tha–ler wäre nicht zu viel.« – »Ein Thaler! man soll nicht sagen, daß ein so braver Mann wegen eines Thalers zu mir gekommen sei. Hier;« und damit drückte er einige Ducaten in die Hand des erstaunten alten Mannes. »Eu–eu–re Ma–a–je–jestät, ich wo–ollte sa–agen ...« »Adieu, Alter, lebt wohl;« und damit sprang er in den Wagen.

Ich vermag die Quelle dieser Anekdote nicht anzugeben, aber sie ist Mozart's Charakter ganz angemessen; es ist aber ein Umstand dabei, der Aufklärung erheischt; nämlich der Titel Capellmeister, mit dem ihn der stotternde Clavierstimmer anredete. Mozart war, wie wir gesehen haben, ohne Anstellung, aber durch ein Decret vom Jahre 1787 war er zum Kammer-Componisten Sr. kais. königl. Majestät ernannt worden, was zwar nur ein [197] Ehrentitel, mit dem aber doch ein Gehalt von 800 Gulden verbunden war. Der Hof machte nie eine Bestellung bei ihm, zu welcher er vermöge dieses Titels hätte verbunden sein können. Er sagte deßhalb auch von diesem Gehalte: »Viel zu groß für das, was ich leiste, und viel zu klein für das, was ich leisten könnte.«

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 187-198.
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