Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Die Zauberflöte. – Titus. – Requiem.

1791.

[209] So wären wir also zu dem zweiten Semester des verhängnißvollen Jahres einundneunzig, dem letzten in Mozart's Leben, gelangt, in welchem er noch eine übermenschliche Fruchtbarkeit und einen Reichthum himmlischer Phantasieen entwickelte, welche durch die Schöpfungen der Zauberflöte, des Titus und des Requiems, das ganze, lange Leben eines andern Musikers auszufüllen und zu verherrlichen vermögend gewesen wären. Glücklicherweise fehlen hier die Materialien nicht. Wir wollen sogleich an das Historische dieser drei Meisterwerke gehen, welche das Leben Mozart's krönen und sein Grab mit einem ewigen Strahlenkranze umschließen.

Es lebte um diese Zeit in Wien ein Original mit Namen Schikaneder, Theaterunternehmer, Schauspieler, Dichter in gebundener [209] und ungebundener Sprache, Librettomacher, Decorateur und sehr häufig auch Componist für die tragisch-komisch-lyrisch-tanzende Gesellschaft, deren Director er war; ein Mensch, unerschöpflich an Hilfsmitteln jeder Art, der sowohl auf der Bühne als auch außerhalb derselben Geniestreiche machte, und weder in Geschäften noch in der Wahl seiner dramatischen Combinationen zuverlässig, sonst aber, wie man sich auszudrücken pflegt, ein guter Mensch war. Ich vergaß zu sagen, daß dieser Zögling sämmtlicher Musen, dieses Universalgenie, auch sang, und daß seine Stimme, nach den Zeugnissen der Musikfreunde seiner Zeit, die Mitte zwischen dem Knarren einer Wetterfahne und dem eines Bratenwenders hielt. Trotz seiner seltenen Talente behandelte ihn Dame Fortuna ebenso, wie er selbst sich zuweilen erlaubte, Andere zu behandeln. Die blinde Göttin betrog ihn so, daß er eines Tages seine Casse völlig leer sah. Es blieb ihm nichts übrig, als sein Haus zu schließen und die Rechnungen zu ordnen, welche das Gefängniß sicher liquidirt hatte. Unser Mann schien verloren. Allein noch ist nicht Alles verloren! Er ist Dichter, und zwar ein Dichter, dem es eben so wenig Mühe macht, die außer-dramatischen Ereignisse zu lenken, als die Stücke auf dem Theater. Die Katastrophe, die ihn bedroht, soll eine bewunderungswürdige Entwickelung erhalten, die ihn in bessere Umstände, als je zuvor, und ihn, Schikaneder, unsterblich machen soll! Dazu bedurfte es aber der Beihilfe eines intimen und ganz ergebenen Freundes. Das ist kein Hinderniß. Schikaneder war der Pylades aller Oreste, bei denen es etwas zu schmausen und zu trinken gab. Seit vielen Jahren konnte er das Eine oder das Andere bei Mozart finden. Er hat den Charakter desselben gründlich studirt; er kennt ihn also genau und sieht sich folglich gerettet, denn das Publicum wird ihm wieder zuströmen, ihm Beifall zollen, und dabei kann es nicht fehlen, daß [210] er halb im Rausche seinen Namen auf die Nachwelt vererbt. Er geht zu Mozart, und stellt diesem in passendem Pathos seine verzweiflungsvolle Lage vor, und schließt mit der Erklärung, daß er auf ihn seine letzte Hoffnung setze.

»Womit kann ich Ihnen helfen?« – »Schreiben Sie eine Oper für mich, ganz im Geschmacke des heutigen Wiener Publicums; Sie können dabei den Kennern und Ihrem Ruhme immer auch das Ihrige geben, aber sorgen Sie vorzüglich auch für die niedrigen Menschen aller Stände. Ich will Ihnen den Text besorgen, will Decorationen schaffen u.s.w., Alles, wie man's jetzt haben will.« – »Gut, ich will's übernehmen.« – »Was verlangen Sie zum Honorar?« – »Sie haben ja nichts! Nun – wir wollen die Sache so machen, damit Ihnen geholfen und mir doch auch nicht aller Nutzen entzogen werde. Ich gebe Ihnen einzig und allein meine Partitur; geben Sie mir dafür, was Sie wollen, aber unter der Bedingung, daß Sie mir dafür stehen, daß sie nicht abgeschrieben werde. Macht die Oper Aufsehen, so verlaufe ich sie an andere Directionen, und das soll meine Bezahlung sein.« – Man kann sich denken, mit welcher Freude und unter welchen Betheuerungen unverbrüchlichen Einhaltens dieser edelmüthigen Bedingungen, der Handel von dem bedrängten Theaterunternehmer eingegangen wurde. – Mozart machte sich an's Werk; er arbeitete Tag und Nacht, wobei er seine Gefälligkeit so weit trieb, daß er sogar einige Nummern mehrmals umarbeitete, die diesem schwer zu befriedigenden Richter nicht zusagten. Es blieb ihm übrigens keine andere Wahl, weil er sonst zu befürchten gehabt hätte, daß Schikaneder, wie es einmal seine unsaubere Art war, seine Partitur durch Einflicken von Stücken nach seinem Geschmacke verdorben hätte. Die Zauberflöte erntete einen beispiellosen Beifall, der immer mehr zunahm, und den auch bald [211] andere Städte theilten; denn in kurzer Zeit wurde sie schon auf mehreren auswärtigen Theatern gegeben, ohne daß eine Direction sich deßhalb wegen der Partitur an Mozart gewendet hätte! Ein Werk, das lange Zeit beinahe allen, die von Musik in Deutschland lebten, bis auf den unbedeutendsten Copisten hinaus, Geld genug einbrachte, ertrug seinem Componisten nichts oder fast so viel als nichts! Was that aber Mozart, als er den Streich erfuhr, den ihm sein Pylades gespielt hatte? »Der Lump!« rief er aus, und den folgenden Tag setzte sich Schikaneder, wie früher, an sei nen Tisch.

Es ist wohl Keiner unter meinen Lesern, dem die Geschichte des Requiems nicht bekannt wäre. Sie wurde mit tausend Abweichungen erzählt, in tausend Werken veröffentlicht, und hat eine Menge Menschen mit dem Namen Mozart bekannt gemacht, welche zu ernst, zu sehr mit soliden Dingen beschäftigt sind, als daß sie sich mit Musik befassen könnten, welche aber nichts desto weniger gern wunderbare Geschichten am warmen Ofen erzählen hören oder lesen. Der Mann im schwarzen Mantel, sein dreimaliges, feierliches Erscheinen, wovon das letzte mit dem Tode Mozart's zusammenfiel, die Natur seiner Botschaft, das undurchdringliche Geheimniß, das ihn allen späteren Nachforschungen entzieht, Alles dieß zusammen machte eine Art von Legende daraus, welcher eine Notorität und ein Glaube während vierzig Jahren jede Anfechtung benommen zu haben schienen. Allein die Wahrheit verjährt sich nicht, und ein Biograph heutigen Tages ist genöthigt, statt eine Art von Gespenstergeschichte zu erzählen, was so ganz nach unserm Zeitgeschmacke wäre, sich in ein Labyrinth kleinlicher prosaischer Begebenheiten zu vertiefen, wo er überall auf Dunkelheiten, Ungewißheit, Widerspruch, Tücken und Unwahrheiten stößt. Der unerforschliche Bote ach! ist an's Tageslicht gezogen worden; [212] er ist vor den Nachforschungen, die Herr Gottfried Weber angestellt hat, gleich den Phantomen, mit denen er so viele Aehnlichkeit hat, und welche bei'm ersten Strahle der Morgenröthe unsichtbar werden, verschwunden.

Die berühmte Controverse, auf welche ich so eben anspielte, und welche die Echtheit und den Ursprung des Requiems betrifft, hat seit 1826 eine Menge Federn von musikalischen Literaten und Dilettanten in Bewegung gesetzt. Ohne Zweifel haben viele meiner Leser von dem großen Processe gehört, ohne daß sie aber vielleicht die Acten desselben genau kennen zu lernen Gelegenheit hatten. Meine Pflicht ist es, sie damit bekannt zu machen, damit die Fragen, welche in demselben besprochen, leider aber nicht entschieden worden sind, von dieser Zeit an einen mit der Biographie Mozart's eng verwebten Theil bilden. Ich werde aber das Ganze in einem eigenen Capitel zusammenfassen, welches ich in der Form eines Anhanges dieser Biographie einverleiben will; ich sage aber zum Voraus, daß es zum Lesen das langwierigste Capitel bilden wird, wie es, auch ohne allen Vergleich, am schwierigsten und mühsamsten unter allen zusammenstellen war.

So viel mir bekannt ist, hat sich bis jetzt noch nirgends ein Zeugniß oder ein Beweis vorgefunden, welche die ursprüngliche Sage über die Entstehung des Requiems widerlegt hätten, so wie sie die Wittwe Mozart erzählt hat, mit Ausnahme des Wunderbaren daran, welches das unter ihrer Leitung abgefaßte Buch enthält, und dessen Quelle sie wahrscheinlich selbst ist. Indem wir ihren Bericht als den meist authentischen annehmen, wenn auch nicht in allen, doch wenigstens in den hauptsächlichsten Einzelnheiten, wollen wir ihn auch als Leitfaden bis zum Schlusse des Bandes, mit Ausnahme des Anhanges, sammt allem, was er [213] Zweifelhaftes oder selbst der Wahrheit offenbar Zuwiderlaufendes enthält, benützen.

Mozart arbeitete noch an der Zauberflöte, als er einen anonymen Brief erhielt, welcher den Auftrag in sich schloß, eine Todtenmesse zu componiren und die Anfrage, um welchen Preis und binnen welcher Zeit er sie liefern könne. Da er nicht den geringsten Schritt ohne seine Frau zu thun pflegte, erzählte er ihr den sonderbaren Auftrag und äußerte dabei seinen Wunsch, sich in dieser Gattung auch einmal zu versuchen, um so mehr, da der höhere pathetische Styl der Kirchenmusik immer sein Lieblingsstudium war. Seine Frau rieth ihm zur Annahme dieses Auftrages, und Mozart schrieb dem unbekannten Besteller zurück, daß er das Requiem für ein gewisses Honorar verfertigen werde. Die Zeit der Vollendung könne er nicht genau bestimmen, doch wünsche er den Ort zu wissen, wohin er das vollendete Werk abzuliefern habe. Nach einiger Zeit erschien derselbe Bote wie der, brachte nicht nur das bedungene Honorar mit, sondern auch das Versprechen einer beträchtlichen Zulage bei Uebergabe der Partitur, da er mit seiner Forderung so billig gewesen sei. Uebrigens möge er ganz nach Laune seines Geistes arbeiten. Doch solle er sich gar keine Mühe geben, den Besteller zu erfahren, indem es gewiß umsonst sein werde.

Während dem erhielt Mozart den ehrenvollen und vortheilhaften Antrag, für die Prager zur Krönung des Kaisers Leopold die Opera seria: La Clemenza di Tito zu schreiben, welchen er auch annahm.

Eben als er mit seiner Frau in den Reisewagen stieg, stand der Bote gleich einem Geiste wieder da, zupfte die Frau am Rocke und fragte: »Wie wird es nun mit dem Requiem aussehen?« Mozart entschuldigte sich mit der Nothwendigkeit der Reise und der Unmöglichkeit, seinem unbekannten Gebieter davon Nachricht [214] geben zu können; übrigens werde es bei seiner Zurückkunft seine erste Arbeit sein, es käme nur auf den Unbekannten an, ob er so lange warten wolle, und damit war der Bote gänzlich befriedigt.

Dieß ist Wort für Wort die Angabe der Frau v. Nissen hinsichtlich der Entstehungsart des Requiems. Sie ist sehr einfach, ganz natürlich, nur etwas lakonisch, und, wie wir bereits bemerkt haben, vermochten die von Herrn G. Weber gesammelten und zusammengestellten Zeugnisse ihr keineswegs etwas anzuhaben. Im Gegentheil, die wichtigsten Zeugenaussagen haben nur neue Gründe für deren Glaubwürdigkeit geliefert.

Mozart, dessen Gesundheit schon bedeutend erschüttert war, als er Schikaneder's Oper angefangen hatte, kam ganz krank und durch die übermenschliche Anstrengung seines Arbeitens, das er selbst während der Reise nicht aussetzte, in Prag an. La Clemenza di Tito hatte mit ihm auf der Heerstraße Fortschritte gemacht, so daß achtzehn Tage genügten, ihn die Oper vollenden zu lassen.

Mozart's Freunde bemerkten mit Unruhe seine matten Augen und das Leidende, das sich in allen seinen Zügen ausdrückte; doch dachten sie entfernt nicht daran, daß das Uebel so traurige Folgen haben sollte. Er blieb nicht zu Hause, man sah ihn arbeiten, Besuche abstatten, die Proben leiten, sich unterhalten, Musik machen, wie wenn er über Nichts zu klagen hätte; kaum sagte er Jemand, daß er einen Arzt gebrauche. Die Abende brachte er gewöhnlich am Billard in einem benachbarten Kaffeehause zu. Dieses Spiel liebte er leidenschaftlich. Einstmals, als er sich eben wieder demselben mit all' der Aufmerksamkeit zugewendet hatte, die man einem Lieblingsvergnügen schenkte, hörte man ihn mehrmals auf irgend eine Melodie hum hum hum vor sich hin summen. Als der Stoß an seinen Gegner kam, zog er ein Stückchen Papier [215] aus der Tasche, warf einen raschen Blick darauf, spielte dann weiter, wobei er auf's Neue hum hum trällerte. Nachdem er zwei oder drei Tage hinter einander dasselbe gethan hatte, sagte Mozart mit einem Male zu seinen Freunden: »jetzt kommt und hört.« Was war es? Es war das köstliche Quintett im ersten Acte der Zauberflöte, das er während des Billardspielens componirt hatte, und das eben mit hum hum anfängt, weil Papageno durch sein Schloß am Munde stumm ist. Damals arbeitete Mozart Hals über Kopf an seinem Titus, und es ertönten in einem und demselben musikalischen Kopfe zu gleicher Zeit die coquetten Phrasen der drei Damen und die pathetischen Laute Vitellia's, das drollige Geplauder des Vogel-Menschen, und das Geschrei des Abscheues und der Verzweiflung, welches die Römer bei'm Anblicke des brennenden Capitols und ihres geliebten Fürsten ausstoßen, den sie von dem Eisen eines Mörders getroffen sehen; und diese beiden Productionen, nämlich das Finale in Titus und das Quintett in der Zauberflöte, bilden die sich völlig entgegenstehenden Extreme der theatralischen Musik; und jedes der beiden Gemälde ist von höchster, unnachahmlichster Vollendung; und Mozart war bei all' dem doch nur ein Sterblicher! Warum machte er aber sich die an und für sich schon hinreichend ermüdende Arbeit noch verwickelter? Fühlte er vielleicht schon jetzt die Nothwendigkeit, sich zu beeilen? Aus der außergewöhnlichen Rührung die er nicht bergen konnte, als er sich von seinen Freunden in Prag verabschiedete, sollte man es beinahe vermuthen. Er vergoß Thränen, bei einer Veranlassung die er sonst immer so leicht genommen hatte.

La Clemenza di Tito sprach als Neuigkeit nicht besonders an. Der Eindruck, den sie machte, wurde durch die Festlichkeiten und Bälle, die aus Veranlassung der Krönung stattfanden, verwischt. [216] Die Musik ist von dem Augenblicke an Nichts mehr, sobald sie aufhört, für den Zuhörer Alles zu sein, und nur als obligate Zugabe zu Lustbarkeiten anderer Gattung erscheint. Unter solchen Verhältnissen ziehe ich die schlechteste, oder, wenn man will, die trivialste Musik vor, weil diese dann wenigstens an ihrem Platze ist, und das zerstreute Ohr durch Nichthören gewinnt.

Sobald Mozart wieder zu Hause in Wien war, wo ihn dieß Mal ein glänzender Triumph, Anstellung, Aussichten auf glücklichere Verhältnisse – und der Tod erwarteten, legte er die letzte Hand an das Populärste seiner Meisterwerke. Die Ouverture zur Zauberflöte und der Priestermarsch zu Anfange des zweiten Actes, wurden zwei Tage vor der Aufführung, welche den 30. September stattfand, componirt oder wenigstens geschrieben. Titus war am 6. desselben Monats in Scene gesetzt worden.

Vom 30. September an (die Daten werden hier von äußerster Wichtigkeit) konnte demnach Mozart, weil ich kein anderes Geschäft mehr in Anspruch nahm, seine ganze Sorgfalt dem Requiem widmen, welches der Unbekannte bei ihm bestellt hatte. Weil er die Bezahlung zum Voraus empfangen hatte und ihn noch überdieß »der Wunsch, sich in dieser Gattung auch einmal zu versuchen« antrieb, so arbeitete er Tag und Nacht an dem Requiem mit unermüdlichem Eifer und einem Interesse, welches keines seiner früheren Werke ihm einzuflößen vermocht hatte, und welches die Fortschritte seines Uebels nicht zu erkalten im Stande waren. Die Ohnmachten, welche sich öfters eingestellt hatten, während er an der Partitur der Zauberflöte schrieb, erneuerten sich wieder, ohne daß er aber durch sie von seiner Arbeit sich hätte abhalten lassen. Seine Anstrengungen nahmen mit seiner Schwäche zu und jeden Tag wurden die Zufälle häufiger und schwerer. Seine Frau, durch diese Symptome, so wie durch die auffallende [217] Schwermuth des Kranken beunruhigt, gab sich alle Mühe, ihn aufzuheitern und zu zerstreuen, und begleitete ihn an einem schönen Herbsttage im Wagen in den Prater. Hier sprach sich Mozart über das Geheimniß des Requiems gegen sie aus. »Ich schreibe es für mich selbst,« sagte er weinend. »Mit mir dauert es nicht mehr lange: gewiß, man hat mir Gift gegeben.« Centnerschwer fiel die Rede auf das Herz seiner armen Frau. Sie suchte ihn zu überreden, daß solche Gedanken nur in seiner Einbildung lägen. Man rief einen Arzt herbei, welcher dem Kranken anbefahl, die verhängnißvolle Partitur bei Seite zu legen. Mozart unterwarf sich dem Ausspruche, wurde aber nur noch trauriger, denn er fühlte wohl, daß dieses Opfer ihn nicht zu retten vermöge. Er sah sich nun in's Zimmer gebannt und durfte nicht einmal mehr arbeiten. Während er hier traurig und unthätig sitzen mußte, brachten die fortgesetzten Darstellungen der Zauberflöte, von denen er einige selbst noch dirigirt hatte, die ganze große Stadt Wien in freudige Aufregung. Alles wollte diese Oper sehen. Es regnete Geld in die Theatercasse, man zankte sich um die Billets. Der Saal des Schauspielhauses ertönte fortwährend von Beifalls- und Freudengeschrei, das Außen wiederhallte! Fast alle Echo's Deutschlands schien der Genius der Zauberflöte zumal erweckt zu haben. Was macht aber der Meister, während sein Werk so viele reich und glücklich macht, und Jedem die schönen Augenblicke seines Lebens vermehrt. Man sucht ihn im Orchester; ein Anderer führt den Tactirstab! Man sucht ihn im Opernhause; der Meister ist nicht darin, aber sein Geist schwebt noch über dem Kampfplatze, den er durch so viele unsterbliche Triumphe verherrlicht hatte. Einsam, die Augen auf die Uhr gerichtet, folgt er der Vorstellung in Gedanken. »Jetzt,« spricht er zu sich, »ist der erste Act zu Ende. – Jetzt [218] singt man den Schwur: Die große Königin der Nacht...« dann fällt ihm ein, daß für ihn Alles aus sein werde, und seine Augen wenden sich mit Schauder von dem Zeiger weg, der plötzlich viel rascher sich zu bewegen scheint.

Einige Tage erzwungener Ruhe verschafften ihm jedoch einige Linderung. Am 15. November fühlte er sich so erträglich, daß er im Stande war, eine kleine Cantate: das Lob der Freundschaft, zu schreiben, die für eine Freimaurer-Loge bestellt worden war. Mozart war Mitglied dieser Brüderschaft. Die gute Aufführung, und der große Beifall, mit dem sie aufgenommen wurde, schien seinen Geist noch mehr zu beleben. Er verlangte nun dringend die Rückgabe der Partitur des Requiem. Seine Frau, welche ihn jetzt außer Gefahr glaubte, nahm keinen Anstand, sie ihm zurückzugeben, doch kaum hatte er auf's Neue Hand an dieses Werk des Todes gelegt, als sowohl seine moralischen als physischen Leiden sich wieder mit doppelter Macht einstellten, und alle Aussicht auf Hoffnung verschwand. Dießmal sollte der Kampf nicht lange dauern, und fünf Tage nach dem maurerischen Feste sank Mozart auf sein Lager, von dem er sich nicht mehr erheben sollte, auf welchem er sich aber fortwährend mit den erhabenen Vorbereitungen beschäftigte, die er zu seinem Leichenbegängnisse traf.

Während Mozart mit aufgeschwollenen Gliedern, und am ganzen Körper von einer schlagartigen Unbeweglichkeit gelähmt auf seinem Todtenbette lag, brachte man ihm seine Ernennung zum Capellmeister an der Kathedrale von St. Stephan. Diese Stelle hatte der Magistrat von Wien zu vergeben, und es waren von alten Zeiten her ein sehr bedeutender Gehalt und beträchtliche Nebeneinkünfte damit verbunden. Bald stritten sich auch die ersten Theater Deutschlands, welchen die glänzenden Einnahmen, die ihnen die Zauberflöte verschaffte, die Augen geöffnet hatten, um den [219] Besitz des Compositeurs derselben, um jeden Preis, den derselbe fordern würde. Zu gleicher Zeit liefen aus Preßburg und Amsterdam Briefe ein, in welchen man ihm den Antrag machte, gegen ein ansehnliches Honorar, periodische Arbeiten von verschiedener Gattung, musikalische Miscellaneen, zu liefern.

Als Mozart alle diese unerwarteten Glücksfälle, die sich so rasch hinter einander folgten, erfuhr, rief er aus: »Eben jetzt soll ich fort, da ich ruhig leben könnte! Jetzt meine Kunst verlassen, da ich nicht mehr als Sclave der Mode, nicht mehr von Speculanten gefesselt, den Regungen meiner Empfindung folgen, frei und unabhängig schreiben würde, was mein Herz mir eingibt! Ich soll fort von meiner Familie, von meinen armen Kindern, in dem Augenblicke, da ich im Stande gewesen wäre, für ihr Wohl besser zu sorgen! Habe ich es nicht vorhergesagt, daß ich dieß Requiem für mich schreibe?«

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 209-220.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Pascal, Blaise

Gedanken über die Religion

Gedanken über die Religion

Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.

246 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon