Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Mozart's Tod.

5. December 1791.

[220] Während der vierzehn Tage, binnen welchen ihn die furchtbaren Schmerzen der Krankheit quälten, der er unterlag und welche die Aerzte für eine Gehirnentzündung erkannten, oder wenigstens [220] zu erkennen glaubten, verläugnete sich die bewunderungswürdige Güte und die Sanftmuth seines Charakters keinen Augenblick. Er zeigte sich vollkommen ergeben, wenn gleich ein nagender Schmerz an seinem Herzen fraß. Mozart wußte den Tag seines Todes voraus. Als am Abende des 5. Decembers Sophie Weber, seine Schwägerin, kam, um nach seinem Befinden sich zu erkundigen, sagte der Kranke zu ihr: »Gut, daß Sie da sind: heute Nacht bleiben Sie bei mir: Sie müssen mich sterben sehen.« Als ihm seine Schwägerin diesen Gedanken ausreden wollte, fuhr er fort: »Nein, nein, es ist vergebens. Ich habe ja schon den Todesgeschmack auf der Zunge, ich wittere den Tod, und wer wird meiner Constanze beiste hen, wenn Sie nicht bleiben?« Sophie eilte ihre Mutter zu benachrichtigen und kam sogleich wieder. Sie traf Süßmayer39 am Bette des Sterbenden stehend. Die Partitur des Requiems lag aufgeschlagen auf der Bettdecke. Nachdem Mozart einige Zeit darin geblättert und sein Werk mit feuchten Augen betrachtet hatte, gab er seinem Schüler Anweisungen, deren Geheimniß, das jetzt zwei Gräber besiegeln, einige dreißig Jahre später, so viele Debatten und so vieles Aergerniß veranlassen sollte. Hierauf wandte sich Mozart an seine Frau und empfahl ihr seinen Tod so lange geheim zu halten, bis sie Albrechtsberger habe benachrichtigen können. »Denn ihm,« sagte er, »gehört mein Dienst von Gott- und Rechtswegen«40. Unterdessen kam sein Arzt, der kalte Umschläge um den brennenden [221] Kopf verordnete, welche aber den Kranken so erschütterten, daß er augenblicklich Bewegung und Sprache verlor. Seine Gedanken waren aber noch beisammen, was er durch eine letzte Handlung beurkundete. Man sah die bleichen Lippen und Wangen des Sterbenden sich aufblasen, wie um Süßmayer an einen gewissen Effect, den er mit den Pauken im Requiem hervorbringen solle, zu erinnern. Die erhabene Seele Mozart's flog der Quelle alles Lichtes und aller Harmonie zu.

Den Tag, welcher auf diese thränenvolle Nacht folgte, erzählte Sophie Weber, kamen die Menschen schaarenweise unter die Fenster der Wohnung des Verstorbenen, welche laut um ihn weinten und schrieen; sie beweinten Mozart, wie man ihn in seiner Familie beweinte. Es ist dieß nicht der gewöhnliche Tribut der Trauer, welche Musikfreunde dem Andenken eines großen Musikers zollen; sondern es ist dieß die wahrhafteste und schönste Leichenrede, jener allgemeine Schmerz, der stets mit unwiderlegbarer Beredsamkeit bei dem Tode eines Wohlthäters des Menschengeschlechtes sich kund gibt. Es leben zu viele Menschen, deren Dasein die Musik verschönert, veredelt oder welchen sie zum Troste gereicht. »La sua vita era, così dire, una fortuna pubblica; una pubblica calamità la sua morte«41 sagte von ihm, ich weiß nicht welcher Italiener, und noch nie ist ein wahreres Wort gesprochen worden.

Prag zeichnete sich durch die höchste Theilnahme aus, welche man den Manen eines Privatmannes an den Tag legen kann. Sobald die traurige Nachricht bekannt geworden war, vereinigten sich sogleich aus freiem Antriebe sämmtliche Musiker des Theaters [222] und alle Tonkünstler der Stadt zur Abhaltung feierlicher Exequien für den Gestorbenen. Man wählte zu dieser Feier, welche in der Pfarrkirche St. Nicolaus stattfand, ein Requiem von Rösler. Den Tag zuvor wurden die Einwohner Prag's durch gedruckte Anzeigen davon in Kenntniß gesetzt. Am Tage der Feierlichkeit selbst wurden eine halbe Stunde lang alle Glocken der Pfarrkirche geläutet. Fast die ganze Stadt strömte hinzu, so daß weder der sogenannte welsche Platz die Wagen, noch die sonst für beinahe viertausend Menschen geräumige Kirche die Verehrer des Verklärten alle fassen konnte. In der Mitte der Kirche stand ein herrlich beleuchteter Katafalk; zwölf Schüler des Gymnasiums, mit quer über die Schulter hangenden Flören und Fackeln in der Hand, standen um denselben her. Das von Strohbach dirigirte Orchester zählte hundertundzwanzig der ersten Tonkünstler. Diese Leute, von denen ein Theil zum ersten Male und zwar vom Blatte, die Ouvertüre zu Don Juan gespielt hatte, executirten die Todtenmesse mit einer Einmüthigkeit und einem Ausdrucke des Gefühles, welches eine ganze Stadt mit ihnen theilte. Als man um die ewige Ruhe dessen flehte, der den Anwesenden so großes und edles Vergnügen bereitet hatte, floßen die Thränen der Freundschaft und Dankbarkeit vereint. Auf diese Art wurde Mozart's Andenken in seinem lieben Prag geehrt. Was hätte das Publicum erst empfunden, wenn es statt einer Musik Rösler's, den Schwanengesang des Sterbenden selbst gehört hätte, den er mit seinem letzten Athemzuge ausgehaucht. Sein Lacrymosa dies hätte allein an diesem wahren Tage der Thränen ertönen sollen. Der Meister wußte wohl, daß er allein im Stande sei, den Ausdruck eines unendlichen Schmerzes, eines Schmerzes, der dem glich, welchen die ganze Welt erlitten hatte, in der Musik hervorzubringen.

[223] Während man in Prag einem leeren Sarge Ehren erwies, wie sie nur Verstorbenen vom höchsten Range zu Theil werden, wußte die Familie des Dahingeschiedenen in Wien nicht, womit sie seine Begräbnißkosten bestreiten solle. Der Preis eines eigenen Platzes auf dem Kirchhofe überstieg die Kräfte der Erben, und so wurde Mozart's Leichnam in einer gemeinschaftlichen Grube beerdigt!

Einige Fremde, welche sich im Jahr 1808 in Wien befanden, wünschten den Ort kennen zu lernen, wo seine Gebeine ruhen. Man konnte ihn nicht angeben. Andere Todte hatten von diesen Gräbern Besitz genommen, die von Zeit zu Zeit geleert werden! Doch was liegt am Ende an der Stelle, an der ein wenig Staub ruht? Wer dächte daran, auf derselben ein Monument zu errichten? Ich für meinen Theil zöge wenigstens eine Blume auf dieser Stelle vor, die von der Asche befruchtet und jedes Frühjahr neu erblühend, das Sinnbild der musikalischen Geschlechter bildete, die an dem intellectuellen Leben Mozart's sich nähren werden, ohne Gefahr zu laufen, es je zu erschöpfen.

Von zwei Söhnen, welche Mozart hinterließ, wählte der jüngere, Wolfgang Amadeus, geboren im Jahr neunzig oder einundneunzig, die Laufbahn, welche ihm gewissermaßen sein Familien- oder Taufname vorzeichnete. Er wurde Musiker. Verschiedene Blätter haben seiner als eines talentvollen Pianisten und Compositeurs gedacht. Als sein Vater eines Tages Musik machte, hörte er ihn in dem Tone schreien, aus welchem gespielt wurde. Das wird ein Mozart, sagte der Vater lachend. Es möchte sich aber sehr fragen, ob die im Scherze ausgesprochene Prophezeihung in Erfüllung gegangen wäre, selbst wenn dem Kinde der unschätzbare Vortheil des väterlichen Unterrichtes zu Theil geworden wäre. Die Natur ruht lange aus, ehe sie ein ähnliches Geschöpf[224] wieder hervorbringt. Ueberdieß macht sie keine unnöthigen Ausnahmen in ihren beharrlichsten Gesetzen; und bei dem gegenwärtigen Stande der Musik ist es sehr zweifelhaft, ob ein zweiter Mozart, das heißt eine allgemeine musikalische Reform, je nöthig werden dürfte. Wenn die Tonsetzkunst verloren gegangen wäre, so würde der erste hinreichen, sie uns in ihrem ganzen Umfange und ihrer ganzen Schönheit wieder aufzufinden.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 220-225.
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