33. An Keferstein in Jena.

[373] Leipzig, den 31. Januar 1840.


Mein verehrtester Herr und Freund,


Ihr freundliches Schreiben mit der interessanten Beilage erhielt ich erst heute. Von der letzteren hab' ich nur erst kosten können; das erstere muß ich Ihnen gleich mit einigen dankenden Zeilen beantworten.

Eine große Pause liegt zwischen diesem und meinem letzten Brief, viel Freud und Leid auch, musikalisches wie menschliches. Wenn der Redakteur Ferien hat, bricht der Componist hervor, und überdem haben mir Verhältnisse der aufregendsten Art Zeit und Kräfte vielfach in Anspruch genommen. So möchten Sie denn mein langes Stillschweigen entschuldigen. Oft, wenn ich es gestehen darf, habe ich auch gezweifelt, ob Sie an dem Streben der jüngern Kunstwelt noch den Antheil nähmen, den ich früher bemerkt. Eine neuliche Aeußerung von Ihnen im Stuttgarter Blatt bestärkte mich in meinem Zweifel. Sie sprechen an jener Stelle »nach Bach und Kuhnau verstünde man erst, wie Mozart und Haydn zu ihrer Musik gekommen seien, desto weniger aber wie die Neueren zu ihrer.« So wenigstens war der Sinn22. Doch theile ich Ihre Ansicht nicht ganz. Mozart und Haydn kannten Bach nur seiten- und stellenweise, und es ist gar nicht abzusehen, wie Bach, wenn sie ihn in seiner Größe gekannt, auf ihre Productivität gewirkt haben würde. Das Tiefcombinatorische, Poetische und Humoristische der neueren Musik hat ihren Ursprung aber zumeist in Bach: Mendelssohn, Bennett, Chopin, Hiller, die gesammten sogenannten Romantiker (die Deutschen mein' ich immer) stehen in ihrer Musik Bach'en weit näher, als Mozart, wie diese denn sämmtlich auch Bach auf das Gründlichste kennen, wie ich selbst im Grund tagtäglich vor diesem Hohen beichte, mich durch ihn zu reinigen und stärken trachte. Dann aber darf man doch Kuhnau, so ehrenvest und ergötzlich er ist, nicht mit Bach auf eine Linie stellen. Hätte Kuhnau nur das wohltemperirte Clavier geschrieben, so wär' er doch immer nur erst ein[373] Hunderttheilchen von jenem. Bach'en ist nach meiner Ueberzeugung überhaupt nicht beizukommen; er ist incommensurabel. Niemand (Marx ausgenommen) hat wohl besser über Bach geschrieben, als der alte Zelter; er, der sonst so grob, wird sanft wie ein bittendes Kind, wenn er auf Bach zu sprechen kömmt. Nun genug, und verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen schreibe, was besser in meine Zeitung gehört. Mit dem Berliner23 haben Sie Recht; er war sehr keck; indeß wenn Sie von seiner Musik kennten, würden Sie manches milder beurtheilen; er ist eines der kühnsten Talente, das mir vorgekommen. War übrigens in jenem Aufsatz Beethoven's contrapunktische Kunst nicht der Bach's gegenüber gestellt? Ich entsinne mich nicht genau.

Daß Sie die Zeitung so spät erhalten, thut mir leid. Vieles darin wirkt und nützt doch nur den Augenblick. So gern wünschte ich wieder einmal von Ihrer Hand. Das Honorar für den Druckbogen ist zwei Louisd'or. Hr. Organist Becker sagte mir, daß Sie ihm geschrieben »die Zeitschrift ginge ein«. Daran ist nicht zu denken, so lange ich nicht durch andere Verhältnisse gezwungen bin, die Redaktion niederzulegen. Im Gegentheil, die Zeitschrift hat jährlich an Einfluß gewonnen, und steht so, daß es auch nichts schadet, wenn einmal 100 Abonnenten wegblieben.

Nun noch eine vertrauliche Bitte; ich wüßte mich damit an keinen Kundigeren und Wohlgesinnteren zu wenden, als an Sie. Geben Sie mir aber, mein verehrtester Freund, das Versprechen, daß Sie keinem Dritten davon sagen.

Sie wissen vielleicht, daß Klara meine Verlobte ist, vielleicht auch, welche....... Mittel ihr Vater angewandt, die Verbindung zu hindern. – – – – – – Wie dem sei, verzögern kann er die Verbindung noch eine Weile, hindern aber nicht. Klara's bedeutende Stellung als Künstlerin hat mich nun oft über meine geringe nachdenklich gemacht, und weiß ich auch, wie sie schlicht ist, wie sie in mir nur den Musiker und Menschen liebt, so glaub' ich doch auch, würde sie es erfreuen, wenn ich etwas für eine höhere Stellung im staatsbürgerlichen Sinne thäte. Erlauben Sie mir nun die Frage: ist es schwer, in Jena Doktor zu werden? Müßte ich ein Examen bestehen, und welches? An wen wendet man sich deshalb? Mein Wirkungskreis als Redakteur eines 7 Jahre nun bestehenden angesehenen Blattes,[374] mein Standpunkt als Componist, und wie ich hier und dort ein redliches Streben verfolge, sollte mir das nicht behülflich sein, jene Würde zu erlangen? Sagen Sie mir darüber Ihre aufrichtigste Ansicht, und erfüllen mir meine Bitte, gegen Jedermann darüber vor der Hand zu schweigen. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Bleiben Sie mir denn wohlwollend gesinnt und erfreuen mich bald durch eine Antwort

Ihren

ergebensten

R. Schumann.


Von meinen Compositionen kennen Sie wohl die neuen nicht? Kreisleriana? Eine 2. Sonate? Novelletten? Kinderscenen? Ich schicke Ihnen davon, wenn Sie mir schreiben.

22

Nach einer Mittheilung des Herrn Dr. Keferstein hatte Schumann den Sinn der oben angezogenen Aeußerung mißverstanden.

23

Herrmann Hirschbach.

Quelle:
Wasielewski, Wilhelm Joseph von: Robert Schumann. Bonn 31880, S. 373-375.
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