[23] Das alte Stammbuch der Elise Vigitill ist es auch, das die ersten kindischen Schriftzüge der Hand zeigt, welche später die Partituren des »Freischütz« und des »Oberon« in so bewundernswerther Klarheit niederschrieb. Die Kinderhand des sechs Jahr alt gewordenen, kleinen Carl Maria schrieb mit so festen Zügen, daß sie von sorgsamem Unterrichte zeugen, in jenes Stammbuch:


Lieben Sie beste Elise alzeit


Ihren aufrichtigen

Freund Carl v. Weber

im sechsten Jahre seines Alters.

Nürnberg,

den 10. 7ber 1792.


In der That war das Kind der Augapfel der Mutter, welche Kränklichkeit fort und fort an das Haus bannte, und der Gegenstand der erneuten Mirakel-Produktions-Experimente des Vaters, durch die ihm, bei vieler Plage, wenigstens der Vortheil einer, für damalige Zeit, ziemlich guten Erziehung zu Theil wurde. Der Knabe kränkelte viel, besonders quälte ihn ein örtliches Leiden, das seinen Sitz im Obertheil des Schenkelknochens gehabt zu haben scheint. Er wurde vier Jahre alt, ehe er selbstständig gehen lernte, und jede angestrengte Bewegung machte ihm Schmerz. Dieses Leiden hat sich nie ganz verloren und war Ursache des später an Weber bemerkten Lahmgehens[23] auf dem rechten Fuße. In der Kindheit hinderte es ihn anfänglich sehr an den Spielen seiner Altersgenossen Theil zu nehmen; er war, besonders so lange sein Vater die Hoffnung hegte, ein Wunderkind aus ihm zu machen, und der unaufhörliche Musikunterricht ihn nervös reizte und degoutirte, ängstlich und aufgeregt und trug Scheu vor den innern und äußern Bewegungen und Kraftanstrengungen, mit denen Knabenleben und Knabenstreit unvermeidlich verknüpft ist. Später, als sein frohmuthiges, elastisches Temperament, bei freierem Schwunge seines Geistes, die Oberhand über die äußeren Hindernisse gewann, der Knabe inne wurde, daß sich um ihn, trotz seiner körperlichen Schwäche, die Gefährten mit einer Art Deferenz, sammelten und seine Seele die Fertigkeit gewann, ihre Thätigkeit von den Einflüssen körperlicher Leiden fast ganz zu befreien, entwickelte sich in dem Kinde eine Lebensfülle, die oft fast zum Uebermuthe wurde und ihn sogar zur Seele aller Kraft- und Schelmenstücke machte, die im Kreise seiner Spielgefährten ausgeführt wurden. Die erwähnte, von frühester Jugend aus geübte Fertigkeit, die Geistesarbeit über den Druck des kranken Leibes zu erheben, hat es Weber allein möglich gemacht, die Offenbarungen seines Genius in ihrer ganzen Gesundheitsfülle zu verkörpern, denn das Gefühl des Gesunden, des Entbürdetseins vom Körper, den man nicht empfindet, weil er Nichts verlangt, hat Weber nie gekannt. Unter den Mahnrufen der Schwäche, den Mißtönen des Schmerzes, aus den Dumpfheiten der Beklemmung heraus hat er die Klänge erlauschen müssen, die uns und unsere Epigonen durch ihre Quellenfrische und ihren Waldesduft erquicken und erquicken werden.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 23-24.
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