Evangelist Wallishauser (Valesi.)

[44] Der greise Sänger Evangelist Wallishauser, der sich seit der Zeit seines Triumphzuges durch Italien Valesi nannte und vom Jahre 1771 an Mitglied der Oper in München war, galt damals für einen den ersten, wenn nicht den größten Gesangmeister Deutschlands. Seit seinem 22. Jahre berühmter Sänger, dessen schönen Tenor die Anstrengungen von 41 Jahren Bühnenlebens in allen Theilen des civilisirten Europa, nicht ganz verschwinden gemacht, dessen sorgsames, lebenslanges Studium ihn aber zu einem der berühmtesten Singlehrer aller Zeiten gemacht hatte, war zu Carl Maria's Glück wenige Monate vorher pensionirt worden und verstand sich daher um so leichter dazu, dem Knaben Unterricht zu geben, nachdem er ihn spielen und singen gehört hatte. Diesem Unterrichte wurde nun, aus Prinzip und Neigung, der höchste Fleiß gewidmet, denn, sagte Franz Anton in seiner praktischen Anschauungsweise sehr richtig: »Niemand kann gut für die Stimme schreiben, Niemand kann eine gute Oper componiren, der nicht selbst ordentlich singen kann.«

Diese Vereinigung der Lehrkräfte und besondern Persönlichkeiten, hier ein noch junger, besonnen anleitender Theoretiker, dort ein feurig spornender, lebensvoller, praktischer Greis, die beide das volle Vertrauen und die Liebe des Knaben besaßen, hätte nicht zweckmäßiger sein können, um das Talent Carl Maria's zur Production zu treiben, obwohl nicht zu leugnen ist, daß das rechte Maß hiervon damals vielleicht selbst überschritten worden ist, das Kind sich nicht allein geistig und körperlich übermäßig anstrengte, sondern auch gewissermaßen wieder zum krankhaften Tragen frühreifer Früchte und zu einem übermäßigen Behagen an der Production gedrängt wurde, von welchen beiden Tendenzen es durch Heuschkel's und Haydn's Lehre abgelenkt und geheilt worden war.

Während Carl Maria bei Kalcher, der unverheirathet war, fast mehr als bei seinem Vater wohnte und mit rastlosem Fleiße Partituren umfangreicher Werke häufte, die unter den Augen des über sein rasch emporblühendes Talent und seine ungemeine Erfindungskraft erstaunten Lehrers entstanden, zog ihn Valesi zu seinen Vocal- und Instrumental-Akademien zu, die damals für eine vortreffliche Pflanzschule[45] für junge Musiker galten und in denen der Knabe zuerst als Clavierspieler, dann auch bald als Sänger, Ehren errang, um die ihn die ältesten Mitglieder der Akademie beneideten. Diese Erfolge steigerten den Stolz Franz Anton's in einem Maße, daß Carl Maria die größte Mühe hatte, die hyperbolische Ausdrucksweise des alten Herrn niederzuhalten und durch hohe, eigene Bescheidenheit, deren nachtheiligen Einfluß zu paralysiren.

Bei Kalcher lagen bald die fertigen Partituren einer Oper: »Die Macht der Liebe und des Weins«, einer ungenannten Posse und einer großen Messe, die neben Trio's und andern Instrumental-Sachen, ferner Sonaten, Variationen, Liedern etc., alle in den Jahren des Studierens von 1798–1800 entstanden waren. Kalcher bewahrte die Opern und die Messe in einem besonders dazu bestimmten Schranke auf.

Franz Anton legte diesen jugendlichen Arbeiten, die gewiß voll reger Phantasie, Erfindungsgabe und Talent, aber immerhin mit allen Mängeln der zu großen Jugendlichkeit des Autors behaftet waren, nach seiner sanguinischen Art, einen weitaus zu hohen Werth bei, und trachtete auf das Eifrigste danach, eine Auswahl derselben, so bald irgend möglich, in die Welt zu senden. Zu Carl Maria's Glück fand sich, trotz aller Umfrage, kein Musikhändler, der sich dazu verstanden hätte, die Arbeiten zu publiciren und Franz Anton's Verhältnisse gestatteten ihm nicht, den Druck auf eigene Kosten zu veranstalten.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 44-46.
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