Spielplätze und Jugendeindrücke

[25] Der Spielplatz im Haus, auf den Straßen, in Garten, Wald. und Wiese, das Kampfesfeld auf den Bänken der Schule, auf dem sich sonst die Grundlagen der Anschauungen des Knaben-Seelenlebens, des Charakteraufbaues legen, blieben dem Kinde fast fremd. Zweifelsohne sind die Spiele, die ihn mit seinen Altersgenossen vergnügten und in denen so oft der Keim zu der ganzen spätern Anschauungsweise liegt, soweit ihm seine Körperzustände Kräfte dazu liehen, zum Theil ähnliche gewesen wie die, welche das Treiben der Freistunden anderer Knaben bewegen, aber ihr Schauplatz war ein anderer und es mischten sich Elemente hinein, die sonst den Kinderanschauungen fern liegen. Sohn des Theaterdirektors, Gespiele der Kinder der Schauspieler und Musiker, durch seine Schwäche an die Nähe seiner Aeltern gebunden, war für ihn das Theater, das Orchester, die Bühne die Welt, die sonst dem Knaben Straße, Garten und Hof umschließt. Die Schlachten, die sonst die Knabenschaar mit Knütteln und Gerten auf der Haide schlägt, wurde von diesen Kindern mit silberpapierbeklebten Schwertern und pappnen Schilden, die Abends ihre Väter als Räuber und Helden führten, auf der Bühne ausgefochten. Die Rampe wurde als Festung gegen die Stürmer aus dem Orchester vertheidigt, Theatergerümpel lieferte Höhlen und Hinterhalte, und verstohlen[25] benutztes Costüm schmückte die Könige und Officiere. Die Coulissen, Maschinerien, Decorationen und gemalte Wälder waren ihre Heimath, wie die des Jäger-Sohnes der rauschende Forst ist. Die ersten Jugendeindrücke durchwebten sich auf das Dichteste und Festeste mit Erinnerungen an Orchester- und Bühnen-Arrangements, an halbverstandene Theaterintriguen, welche die Stelle der Schulthorheiten vertreten mußten, an den ganzen Mechanismus der Technik des Bühnenlebens, der dem Knaben geläufig wurde, wie die Gesetze der Kreisel- oder Murmel- oder Versteckensspiele, die er mit seinen Cameraden trieb. Wie aber kein Studium der Grammatik und Syntax beim Erlernen einer Sprache die Lebendigkeit des von Jugend auf gehörten Worts ersetzen kann, so gewährte Weber diese absolute Geläufigkeit in allen Aeußerlichkeiten der theatralischen Praxis, die das Rechte ohne nachzudenken instinktiv treffen läßt, einen immensen Vortheil bei seinen Bestrebungen als dramatischer Componist, indem er dessen, worauf es ankam, um eine Idee, eine Handlung, eine dramatische Form bühnengerecht wirksam zu machen, a priori instinktiv bewußt war, während es ihm, als Direktor, großes Uebergewicht über Alle gab, die nur einzelne Zweige des Bühnenlebens theoretisch oder praktisch kennen gelernt hatten.

So groß nun demnach auch einerseits die Vortheile waren, die dem Knaben für seine spätere Entwickelung aus dem Aufenthalte bei der Theatergesellschaft seines Vaters erwuchsen, so drohend zeigten sich andrerseits die Gefahren desselben in Gestalt der Zerfahrenheit des Theaterlebens, der da herrschenden Laxheit der Moral, der Kleinlichkeit der Auffassung und Aeußerlichkeit in Behandlung der Kunst. Daß er diesen Gefahren mehr als viele Andere entging, das ist zum Theil Verdienst der Natur seiner innern Wesenheit, die, wie klares Wasser das schmierige Fett, alles Besudelnde, von der Richtung nach oben Ableitende, idiosynkratisch abstieß, zum bei weitem größeren Theile aber dem Einflusse der sanften, reinen und dabei tief melancholischen Individualität seiner jungen Mutter, die, sein gebildet und klug, das kränkelnde Kind unablässig unterrichtete und unter ihre Seelensittige nahm, die Einwirkungen der ihr antipathischen Theaterexistenz so viel sie konnte[26] schwächte und seine natürliche Anlage zur Herzensgüte sorgsam und weiblich sein ausbildete, endlich aber auch dem Umstande zu danken, daß sein guter Stern ihn unter die Leitung ernster und edelstrebender Lehrer führte, deren Wirksamkeit jene zweifelhaften Einflüsse paralysirte, deren Macht, wir müssen es zu unserem Bedauern sagen, um so drohender war, als der Charakter des Vaters dem Knaben nicht Aufblick und Halt genug zu wirksamem Schutze gewährte.

Franz Anton's Wesenheit hatte, wie schon oben angedeutet, durch sein Wirken als Theaterdirektor wohl an Thatkraft und Rührigkeit, nicht aber an Solidität des Denkens und Strenge des Empfindens gewonnen. Die Leichtigkeit seiner Formen, die dem jungen Fähndrich einst sehr wohl anstanden, hatte jetzt einen Anstrich von unschöner Nonchalance der Sitten erhalten, seine cavaliermäßige Tendenz zu dominiren war in eine etwas derbhändige Herrschsucht umgeformt worden, deren Ausdruck einen ziemlich polternden Tonfall hatte, und vor allen war auf sein, immerhin löbliches, Streben, sich hervorzuthun und zu glänzen, ein Wiederschein von Theatergold und Bühnenmagie gefallen, so daß Personen, die ihm nicht gerade wohl wollten, mit dürren Worten sein Gebahren großthuerisch und prahlerisch nannten.

Die eben erwähnten Einwirkungen waren es, die den bescheideneren und größeren Sinn seines Sohnes vor jedem in die Augen fallenden Reflex dieser Eigenschaften bewahrten und seinen ethischen Geschmack von den Tendenzen seines Vaters so weit ablenkten, daß er später oft gegen Kundgebungen des sonst so geliebten Greises, die diesen Geschmack zu sehr verletzten, offen revoltirte, besonders wenn sie die Form überschwänglicher Aeußerungen über Carl Maria's eigenes Talent annahmen.

Es gehört zu den wenigen unklaren Zügen in C. M. v. Weber's sonst so durchsichtigem, reinem Leben und Streben, daß er mit großer Beflissenheit später jeder Erwähnung der Thätigkeit seines Vaters als Theaterdirektor und seiner Familienglieder als Mitwirkende bei dessen Bühne auswich. Selbst in seiner kleinen Autobiographie (die wir als Muster seiner Weise, solche Stoffe darzustellen, im III. Bande dieses Werkes geben) übergeht er alles Detail der ersten vierzehn Jahre[27] seines Lebens mit Stillschweigen und hüllt die Wirksamkeit Franz Anton's, in so weit sie sich auf seines Sohnes erste Heranbildung bezieht, mit noch mehr kindlicher Liebe als historischer Treue, in einen Schimmer von Sorgsamkeit, stiller Häuslichkeit und Ruhe, der sicher mehr in der Erinnerung des edeln Sohnes, als in Wirklichkeit das unruhige Haupt Franz Anton's umleuchtete.

Gewiß ist, daß dieser keinen Pfad unbetreten ließ, um ein hervorragendes Talent in seinem nachgebornen Sohne zu wecken, und ihn in den Tempeln aller schönen Künste umherzuführen versuchte, in der Hoffnung, daß er sich in einem derselben heimisch fühlen und Hoherpriester werden sollte.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 25-28.
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