Weber's Porträt 1810

[191] Bei diesem blutigen Kritisiren wurde es üblich, die bösesten Aeußerungen mit der Phrase anzufangen: »Ich weiß Du nimmst mir das nicht übel, lieber Bruder!« wo dann der, dem die Kritik galt, einen tiefen Seufzer auszustoßen pflegte. Sehr oft wurde dann auch ex abrupto Mancherlei am Clavier durchgesungen, oder mit immer bereiter Guitarre ein Lied zum Besten gegeben oder improvisirt. So schlang sich zwischen den drei warmbegeisterten Kunstjüngern schon im Frühjahre 1810 der »harmonische Verein« zusammen, als dessen Mittelpunkt im Anfange Gottfried Weber gelten konnte, dessen Alter, Erfahrung, Erscheinung und kräftiges Auftreten ihn dafür vollständig zu berechtigen schienen. Wenigstens hätte den breitschulterigen Mann mit tönender Stimme Jeder für den Tonangebenden gehalten, der die Drei Abends um die Punschbowle in Weber's kleinem Zimmer versammelt sah, wo Gottfried meist fest in die Sophaecke gegossen lag und der feingebaute, schwarzäugige und dunkle Alexander von Dusch unruhig im Zimmer auf- und abschritt, während Carl Maria, wie er es auch später noch liebte, mit den Beinen schlenkernd auf dem Tische saß. Seine Gestalt war damals, wie später immer, unscheinbar, schwach und klein, obwohl durchaus nichts Mißgebildetes an ihm hervortrat, wenn man einen gar zu schlank und lang über den schmalen Schultern sich erhebenden Hals nicht als dergleichen ansehen will. Die später schärfer hervortretende Schwäche der linken Hüfte, die seinem Gange etwas Lahmendes gab, war damals noch nicht so merkbar. Wenn man den Blick auf die schöne Form des länglichen, edel geformten Kopfes, die tiefen, blaugrauen Augen, die von seinen Freunden[191] als unausschöpfbarer Brunnen von Liebe und Freundlichkeit bezeichnet wurden, den geistigen Ausdruck der ganzen Gesichtsbildung, in der Humor, Jovialität heiteren Lebensgenusses, Schalkhaftigkeit und das Durchlauchtige der edelsten Empfindungen wechselten, richtete, der fließenden und nur im heftigen Affekt kurz abgebrochen werdenden, mit sonorer Baritonstimme vorgetragenen Rede lauschte, welche ausdrucksvolle, aber sparsam angewandte Gestikulationen der schön geformten, langen Hände begleiteten und in der noch nichts von dem Eiseston war, den später das harte Leben Weber so trefflich einstudirt hatte, und mit dem er oft Liebes und Unliebes schreckte; wenn man endlich die unverkennbare Atmosphäre von Genialität, die sein ganzes Wesen umgab, auf sich wirken ließ, so mochte man wohl begreiflich finden, daß. wenigstens die geistigeren unter den Frauen, ihn – schönen Männern vorzogen. Schon damals trug er meist einen Leibrock von schwarzem Stoff, eng anliegende Beinkleider, Jabot und weißes Halstuch und fast bis aus Knie reichende Pistolenstiefeln.

Ohne es zu wollen, ohne sich in den Vordergrund zu drängen, übte er eine eigene Superiorität über selbst ältere und gereiftere Männer aus, die sich gern einem sanften Joche fügten, von dem der, welcher es auflegte, in liebenswerther Bescheidenheit selbst am wenigsten zu wissen schien. So kam es auch, daß er sich im »harmonischen Vereine« bald unwillkürlich und faktisch an die erste Stelle gedrängt sah, obgleich dieß, so zu sagen, officiell erst bei förmlicher Constituirung des Vereines ausgesprochen wurde.

Bei allem Reize, den Mannheim auf Weber übte, bei allem fördersamen Einflusse, den der Umgang mit so vielen liebenswerthen und edeln Frauen und ausgezeichneten Männern für ihn hatte, bei aller Lebendigkeit des Wunsches, daß dieß schöne Zusammensein dauernd werden möge, verhehlte es sich Carl Maria eben so wenig, wie es seine Freunde verkannten daß es, um seines Rufes als Künstler, seiner Ausbildung als solcher und auch um der materiellen Existenz willen, für die ihm in Mannheim allzu spärliche Quellen flossen, durchaus nothwendig sei, daß er eine Zeit lang producirend und schauend reise. Das Virtuosenthum, das in den zwanziger Jahren die Höhe seiner[192] Entwickelung erreichte, war damals im vollen Aufblühen begriffen und gewährte, wenn auch nicht wie später Kränze und Gold, so doch Ehre und behagliches Auskommen. Zum Glück für den Freundesverkehr und, wie sich später zeigte, auch für die Kunst, war es möglich, den Mittelpunkt, von dem aus eine Menge mehr oder weniger bedeutsame Kunstreisen sich ausführen ließen, so nahe an Mannheim und Heidelberg zu legen, daß es für rüstige junge Leute, die eine Nacht im Postwagen nicht scheuten, unschwer war, alle wichtigeren Momente ihres künstlerischen Lebens zusammen zu verbringen, gemeinschaftlich alle Familienfesttage in werthgewordenen Kreisen mitzufeiern, gemeinschaftlich nach Stift Neuburg, Baden, dem Odenwalde zu pilgern, mit vereinten Herzen und Stimmen lieblichen Mädchen und werthen Frauen Ständchen und Serenaden zu bringen. Als dieser Ort bezeichnete sich Darmstadt ganz von selbst, wo einer der größten Melomanen, der je auf einem deutschen Throne gesessen hat, regierte, der berühmteste Lehrer der Tonkunst, Vogler, lebte und das unsern von großen und musikalisch bedeutsamen Städten, wie Frankfurt, Cassel, Mainz und kleineren Residenzen, wie Aschaffenburg etc. gelegen war, wo Freunde der verbrüderten jungen Männer lebten und wohin Carl Maria sein Hang zu Vogler und dem ihn getreulich begleitenden Gänsbacher zog.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 191-193.
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