Abwelken des Lebens in Darmstadt

[219] Die sechs so schwer geborenen Sonaten wurden endlich am 18. October in Darmstadt fertig, wo das Leben für Weber, nachdem Gänsbacher diese Stadt verlassen und nach Prag in das Gräflich Firmian'sche Haus, als Geschäftsleiter zurückgekehrt war, fast unerträglich wurde, wie er Gottfried am 8. October und Gänsbacher am 9. October klagt, obwohl auch in diesen Briefen sein guter Humor aufblitzt:


Darmstadt, den 8. October 1810.


»Lieber Bruder.4


Deinen Brief vom 2. habe ich den 4. richtig erhalten. Ich lebe hundemäßig fleißig und arbeite mich an den 6 kleinen Sonaten halb todt; 3 sind fertig und die anderen 3 hoffe ich auch noch binnen 8 Tagen fertig zu machen. Mein Clavierconzert ist fix und fertig, ja sogar abgeschrieben habe ich es selbst, denn hier nimmt ein Schlingel von Copist 20 Xr. per Bogen. Sobald die Sonaten vollends fertig, geht's hinter den ›Abu Hassan‹ her.

An Beer habe ich Deinen Brief abgegeben, so ihm viel Freude machte; er wird Dir selbst und allein antworten. Die Statuten5 sind angefangen, aber noch nicht vollendet.

Ich möchte gar zu gern mein Conzert im ›Museum‹ zum ersten Male spielen, wenn ich nur wüßte, wie ich es anfangen sollte.

Das Vogler'sche Fugensystem ist nicht gedruckt, sondern Manuscript, ich habe es aber in den Klauen, nur habe ich die Geduld nicht, es abzuschreiben, so wichtig es auch ist.

Berger hat mir auch noch nicht geschrieben, ich erwarte aber von Hiemer einen ausführlichen Brief über ihn.[219]

Der Frau von Gustel6 meinen Respekt und ich hoffe zu Gott, daß sich diese verminderte Sept., die doch eigentlich vermehrt ist, bald zu gänzlicher Zufriedenheit in einen Dreiklang, als einen gefunden Jungen oder 6/4, als ein artiges Mädchen auflösen wird.

Den Dusch putze einmal recht mit seiner verfluchten imaginären Imagination, und sage ihm, daß er mir schreiben soll. Da bist Du doch ein ganz anderer Kerl, hast zu thun und schreibst doch, aber der Jörgel hat gar nichts zu thun und ist faul.

Ad vocem Jörgel fällt mir ein, daß ich auch noch nichts von unserm lieben Gänsbacher gehört habe. Ich habe ihm vor ungefähr 11 Tagen geschrieben, und warte nun sehnlich auf Antwort.

Eigentlich lebe ich recht mißvergnügt und traurig. Du glaubst gar nicht, was mir das Leben hier verleidet ist, und doch ist es gut für mich, daß ich einmal die nothwendigsten Dinge abgearbeitet.

Ich habe den ganzen Tag gearbeitet, und möchte Dir nun eigentlich so gern was vernünftiges schreiben, es geht aber nicht, ich bin wie vernagelt, und sitze ich noch lange so, so schrumpfe ich wie ein alter Mantelsack ein. Du glaubst nicht, was ich für eine Sehnsucht nach Dir habe; bei jeder Note, die ich componire, stehst Du vor mir und ich denke, was wird da der Weber dazu sagen. Vielleicht schicke ich Dir bei den Vogler'schen Sachen die umgearbeitete Schlußfuge mit für's ›Museum‹; es ist doch quasi meine Schuldigkeit, daß sie es ordentlich haben. etc. etc.«


An Gänsbacher.


Darmstadt, den 9. October 1810.


»– – Unser schöner Heidelberger Zirkel ist ganz zerstört, die Meisten weggereißt oder conciliirt, Schleifer, Lovzow, die beiden Starkloff, worunter der Schreyer und noch ein paar, deren Nahmen mir nicht einfallen, haben Heidelberg verlaßen. Da mein Clavier-Concert jetzt ganz fertig ist, möchte ich es gar zu gern in Mannheim spielen, aber ich glaube nicht, daß meine Verhältnisse mir erlauben[220] werden jetzt wieder dahin zu gehen. Habe ich einmal das lederne Darmstadt verlassen, so wird es wohl schneller mit mir vorwärtsgehen. etc. etc. – ich habe vorgestern unsre alte Hausfrau besucht, die sich angelegentlichst nach Ihnen erkundigte, und der ich versprach Sie von ihr zu grüßen, unsre Aufwärterin das häßliche Beest, – Heirathet! man denke ein Kanzleydiener, der zwar ein wenig saufen soll, aber doch übrigens eine vortreffliche Seele ist. Herr Steiner macht noch immer wizzige Bemerkungen, Therese singt noch immer falsch, Herr Beer Collega macht canzonetten und Psalme, die Alte schnupft Tabak, die Mariane winselt, die Bärbel kocht, und das Haus hat sich um einen schwarzen Köter von Hund vermehrt, den Herrn Beers Bedienter prügelt, und der Herr küßt, und nun haben Sie den vollständigsten Bericht von unserm Haus. ich erwarte einen ewig langen Brief von Ihnen, und bin ewig Ihr treuester Harmonischer Bruder.

Weber gen. Melos

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 219-221.
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