Continentalsperre

[223] In Folge des Dekrets aus Fontainebleau vom 12. Sept. 1810, das die schon am 21. Nov. 1800 geschaffene Continentalsperre unerträglich verschärfte und besonders dadurch allgemeinen Ingrimm hervorrief, daß es sich nicht darauf beschränkte, die Einführung englischer und von England kommender Waaren zu verfügen, sondern sogar auf's Strengste befahl, die vorhandenen Waaren, ohne Entschädigung der Besitzer, zu vernichten, sollten in Frankfurt sämmtliche englische Waaren zerstört werden.

Daß diese Maßnahme, die an Härte und Rücksichtslosigkeit selbst von wenigen Napoleonischen übertroffen wird, ohne Waffengewalt und brutalen Soldatenzwang nirgends durchzuführen sein werde, lag auf der Hand, daß aber an keinem Orte der Schrei der Entrüstung darüber so laut, der Widerstand dagegen so zäh sein werde, wie in dem, gerade mit jenen Waaren hauptsächlich handelnden Frankfurt, war natürlich. Und am Tage, wo Weber's Concert sein sollte, rückten die Executionstruppen zur Durchführung des Dekrets ein! Ueberall sah man Läden erbrechen, Thüren einschlagen, hörte man das Gekrach der aufgeschlagenen[223] Tonnen und Kisten und das Wuthgeschrei der Verletzten, gemischt mit dem rohen Gelächter der französischen, übermüthigen Soldateska, die um die Feuer tanzte, in denen kostbare Seiden- und brauchbare Baumwollenstoffe, soweit die Franzosen sie nicht benutzen konnten, Gewürze, Thee's, Kleidungsstücke etc. in allen Straßen brannten.

Das Concert zerrann natürlich wie ein Schemen und Weber eilte nach einigen Tagen, eine Stadt zu verlassen, wo er keinen Schritt thun konnte, ohne ein Bild zu sehen, das ihm Schmerz verursachte. Auf dem Heimwege nach Darmstadt besuchte er André wieder, mit dem er den, im nachfolgenden Briefe an Gottfried Weber geschilderten Aerger hatte:


»Darmstadt 1. November 1810.


Liebster Bruder Giusto!


Deinen Brief ohne Datum nebst Sonaten habe ich den 27. October richtig in Frankfurt erhalten, und zwar spät in der Nacht, als ich von einer langweiligen Gesellschaft nach Hause kam. Du kannst Dir daher vorstellen, mit welcher verdoppelten Freude ich ihn verschlang. Zweimal las ich ihn durch, legte mich dann in's Bett und verzehrte ihn da gemächlich noch einmal. Das nenne ich noch einen Brief der für einiges Warten entschädigt; denn lebendig stundest Du ehrlicher alter Kerl vor mir, als ich ihn las, und innigst rührte mich Deine wahre, gerade Liebe. Nein es ist bei Gott unmöglich, daß uns je etwas trennen oder kälter machen kann, und selbst bei dem vortrefflichen Glauben, den mir die Hundeseelen von Menschen mit Gewalt aufgeprügelt haben, durch meine bittren Erfahrungen, glaube ich freudig bei Dir eine Ausnahme machen zu können.

Sieh, ich möchte Dir so gerne zum Danke auch etwas Erfreuliches schreiben, aber es geht nicht und so nimm denn den Wermuthskelch auch mit an, der sich mir überall bietet.

Ich ging den 24. nach Offenbach um mit André zu sprechen wegen denen verfluchten 6 Sonaten, die ich ihm endlich im Schweiße meines Angesichts fertig gemacht und gebracht hatte. Den 29. ging ich nochmals zu André, und hatte da Gelegenheit mich weidlich zu[224] ärgern. Der Kerl hatte mir meine Sonaten zurückgeschickt unter dem vortrefflichen Grund, – sie seyen zu gut, das müßte viel platter seyn, die Violine nicht obligat etc. kurz, wie die von Demar (nun so etwas Schlechtes giebt's gar nicht mehr auf der Welt, als diese sind). Ich erklärte ihm kurz und bündig, daß ich solchen Dreck nicht schreiben könnte, nie schreiben würde, und somit gingen wir ziemlich verdrießlich auseinander. Der Simrock ist auch so ein langsamer Seehund, es geht gar nicht vorwärts. etc. etc.

Wenn ich nur irgend wüßte, was ich in Mannheim verdienen sollte, so könnte ich doch aufs Frühjahr, wenn der Krieg mit Rußland losbrechen sollte, zu Euch; Wir könnten gar zu herrliches Zeug zusammenschmieden.

Die Statuten sind fertig, ich bin aber zu faul sie heute abzuschreiben, daher bekommst Du sie in ein paar Tagen.

Von Beer alles Schöne, er sagt, er hätte an Dich geschrieben, und so viel ich mich erinnere ist das auch wahr. Auch Vogler grüßt Dich. etc.

Glaube ja nicht, daß ich Dir im mindesten zu nahe treten wollte, als ich Gänsbacher so erhob, ich habe das gut in ganz anderem Sinne verstanden. Ich kenne Dich und kein Satan soll Dir einen als Besseren vor die Nase setzen. Deinen jungen Organisten (à propros, wie heißt der Kerl) umarme in meinem Namen zärtlichst und sage ihm daß ich schon ein Doppelconzert für ihn und mich unter der Feder habe. etc. etc.«

Je wärmer die Herzen der damals in Mannheim und Darmstadt vereinigten jungen Künstler und Kunstfreunde für die Pflege des Wunderbaumes der echten und reinen Kunst schlugen, je klarer sie, als nicht blos talentbegabte Menschen, sondern als gebildete, logisch denkende Männer, deren ganze Existenz mit dem Kunstleben verwachsen war, die das Handwerk der Kunst und den Usus ihres Zunftwesens, unter dem sie alle mehr oder weniger lehrten und litten, aus dem Grunde inne hatten, erkannten, daß es, für die Förderung eines gedeihlichen Zustandes der Musik, neben dem Machen guter Musik, noch ein Hauptagens gebe, und daß dieß eine redliche, warmherzige,[225] geistvolle und objective Kritik sei. Es war ein seltener Fall, der in der Geschichte der Musik, die viel von bedeutenden Kunsttalenten und wenig von durchgebildeten Menschen zu erzählen hat, nicht leicht wieder vorkommen wird, daß die fünf Darmstädter und Mannheimer Kunstbrüder, nicht allein fast alle hervorragende musikalische Begabungen, sondern auch in mehr oder minderem Grade die Fähigkeit besaßen, ihren Gedanken mit der Feder eine sprachlich richtige, angenehme Form zu geben, und daß ihnen dabei eine vielseitige, allgemeine Bildung zur Seite stand.

Mit der Erkenntniß von der Nothwendigkeit einer gesunden Kritik und bei der Umschau auf die traurigen, feigen und seichten Produkte, welche die damaligen Organe der öffentlichen Besprechung fast sämmtlich lieferten, bei der Musterung der Persönlichkeiten, in deren Händen die Wage der musikalischen Justiz hing, mußte ihnen die Ueberzeugung kommen, daß auf diesem Wege und durch diese Kräfte nicht zu jenen Pforten zu gelangen sei, für deren Erschließung sie die »Kritik« als einzigen Schlüssel erkannten.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 223-226.
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