Der »Harmonische Verein«

[226] Es war daher natürlich, daß die sich gegenseitig befeuernden, ermuthigenden und stärkenden jungen Männer sich selbst in die Herzen faßten und fragten, ob ihnen nicht selbst die Eigenschaften beiwohnten, die zur Pflege einer Kritik und rationellen Kunstbesprechung in ihrem Sinne nöthig seien, und sie mußten sich, nach allerdings nur sehr subjectiver Prüfung, sagen, daß dieß bei ihnen jedenfalls in höherm Grade, als bei den meisten Kunstkritikern der damaligen Zeit der Fall sei.

Aus dieser Intuition schien ihnen nun unmittelbar die Pflicht hervorzugehen, das ihnen gegebene Pfund zum Vortheile der Musik wuchern zu lassen und nicht blos mit Ton und Note, sondern auch mit Wort und Lehre treibend in die Rennbahn der Kunst einzutreten.

Daß die jungen Männer, wenn sie sagten: »die Kunst fördern«, »Kunstwerke würdigen«, »den öffentlichen Sinn auf das Gute und Wahre lenken«, damit auch ein wenig stillschweigend meinten, »sich gegenseitig nach Verdienst heben«, »die Welt auf die Werke der Freunde aufmerksam machen«, »ihre verborgenen guten künstlerischen Thaten an's Licht ziehen« und »für den gegenseitigen Ruhm sorgen zu können«, war um[226] so verzeihlicher, als in der That alle Gutes leisteten und viel zu redlich waren, um ein Werk eines Freundes, das sie nicht aus vollem Herzen und mit gutem Gewissen loben konnten, über Verdienst zu erheben.

So verwerflich daher Vereinigungen dieser Art unter Geistern sind, denen die salus publica der Kunstrepublik nicht über Alles geht, so war doch hier von diesen jungen Kunstgenossen, die so selbststreng in ihrem Bunde verfuhren, niemals Mißbrauch der Gewalt, welche ihnen die systematische Ausübung einer gegenseitigen, öffentlichen Kritik in die Hand gab, zu fürchten.

Der Erfolg hat gelehrt, daß zwar der Verein, der damals geschlossen wurde, die wahrhaften Begabungen in seiner Mitte wirksam auf ihrer äußern Laufbahn gefördert hat, und dafür kann ihm die Kunstwelt nur Dank wissen, aber keine Mittelmäßigkeit, kraft seiner kritischen Gewalt, zu hohem Werthe hat in Cours bringen wollen. Eine andere, hier nicht zu erörternde Frage, bleibt es immer, ob der Verkehr mit der philosophischen Schärfe des Begriffes, der mit der Rede durch das Wort unzertrennbar ist, der Künstlerpsyche nicht jenen Blüthenstaub von den Flügeln streife, der ihr naives, fast unbewußtes Gaukeln zu einem so wundervollen Schauspiele für das seelische Auge macht? – –

Die Kunst ist eine andere zu anderer Zeit, das ewig unwandelbare Krystall des Schönen zeigt der Welt zu verschiedenen Zeiten verschiedene Facetten und vielleicht wohnt der Kunstgeist der Zeit Richard Wagner's verträglicher in einem Hirne mit dem philosophischen Denken, als der heitere, aus dem Vollen mit goldnem Eimer schöpfende Gott, der Mozart's und Haydn's Seelen bewohnte und eines ganzen Menschenherzens ausschließlich zu seiner Behausung bedurfte.

Gewiß ist, daß Weber, wie er in einigen seiner spätern Werke einen Pfad einschlug, der nach dem der neuen, reflectirenden Kunst neigte, auch zuerst von allen namhaften Künstlern den Versuch gemacht hat, zugleich zu produciren und zu kritisiren, zu tönen und zu sprechen. Das überwiegend echt künstlerische seiner Natur ließ ihn beide Bestrebungen wieder verlassen, ließ ihn nach der »Euryanthe« den[227] »Oberon« schreiben und im Jahre 1823 seine letzte künstlerische Besprechung in die Welt senden.

Der mit diesen Tendenzen zwischen Gottfried und Carl Maria Weber, Alexander von Dusch, dem Sänger Berger, Gänsbacher und Meyerbeer schon seit Beginn ihres trauten Verkehrs stillschweigend geschlossene Verein, erhielt im October 1810 die früher schon vielfach besprochene äußere Form, als Weber, auf Einladung der »Museum-Gesellschaft«, die ein Concert vor der Erbgroßherzogin von Baden, der liebenswürdigen und allgemein geliebten Stephanie Adriane Napoleon, zu veranstalten beabsichtigte, im November aus dem, für ihn, seit Gänsbacher's Weggange, nur zu trüben Darmstadt, das ihm des allzufleißigen Meyerbeer Umgang nicht zu erheitern vermochte, glücklich der Gelegenheit, nach Mannheim kam und hier mit Gottfried Weber, Berger und Dusch die Statuten des Vereins ausarbeitete, von denen jedes Mitglied ein, von zwei andern geschriebenes, Exemplar erhielt.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 226-228.
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