[193] Vogler, dem der Großherzog Ludwig I., welcher sein großer Verehrer[193] war, durch Schenkung eines Wohnhauses und einer reichlichen Pension für den Abend des Lebens eine behagliche Heimath bereitet und durch den Titel eines Geheimen Raths und das Großkreuz seines Verdienstordens zu ehren geglaubt hatte, empfing den geliebten Schüler mit offenen Armen und Gänsbachers Freude war groß. Bei Vogler traf auch am 4. April 1810 Carl Maria zuerst den jungen Jacob Meyerbeer aus Berlin, den Sohn eines reichen Banquiers, dessen eminentes, musikalisches Talent sich frühzeitig entwickelt hatte, der schon, kaum 16 Jahre alt, Ruf als Pianist besaß und nun mit eisernem Fleiße bei Vogler Musik studierte, nachdem seiner früheren Lehrer Zelter und Anselm Weber rauhe Natur dem seinen Organismus des Knaben zu antipathisch gewesen war, um voll entwickelnd auf seine herrlichen Gaben wirken zu können.

Meyerbeer war bei Vogler, zum Zwecke des Unterrichts, vollkommen in Kost und Logis aufgenommen und die Freude seines Meisters durch seinen Eifer, seine rastlose Thätigkeit, seine unglaubliche Auffassungsgabe und seine an die Divination streifenden Talente für die Technik der Musik. Noch halb Knabe war er damals schon einer der ersten Partiturspieler, die es je gegeben hat, seine Fertigkeit als Pianist würde ihn befähigt haben, erfolgreiche Kunstreisen als Virtuose zu unternehmen, wenn ihn sein Reichthum nicht über diese bittere Nothwendigkeit hinausgehoben hätte. Er benutzte diese Talente um, vermöge des Durchspielens aller hauptsächlichen Partituren der großen Meister (die er sämmtlich als von seinen Freunden viel beneidetes und noch mehr benutztes Eigenthum wohlgebunden, schön ausgestattet in seiner großen musikalischen Bibliothek besaß), seinem außerordentlichen Gedächtnisse die ganze Eigenthümlichkeit und Technik derselben einzuprägen. Die Vollstimmigkeit, mit der er die reichst instrumentirten Werke vom Blatte spielte, war staunenswerth wie sein Fleiß. Es war ihm leicht, wochenlang das Zimmer und den Schlafrock nicht zu verlassen, wenn er einen neuen Zweig des Studiums erfaßt hatte. Seine vierstimmigen »geistlichen Lieder von Klopstock« waren damals schon erschienen und hatten ihn auch als Componisten in Respect gesetzt. Der knabenhafte junge Künstler von unscheinbarem Aeußern,[194] aber ungemein liebenswürdiger, freundlicher, gesellig glatter Umgangsform, schloß sich rasch an die älteren von Mannheim herübergebrausten, etwas lärmenden, lustigen Halbmeister an, obwohl seine kühlere, reservirtere und norddeutsch kritische Natur es nie zu einer so innigen und warmen Verschmelzung mit ihnen kommen ließ, wie diese unter einander und mit Gänsbacher vereinigte.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 193-195.
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