Clms. Brentano. Ludwig Robert

[416] Als daher der Congreß die Menge von Persönlichkeiten in Prag zusammenführte, die dem kranken Europa die bitteren Dekokte ihrer Heilkunst einzuflößen trachteten, und zu denen auch Humboldt, Stein, Niebuhr und andere gehörten, hielt er sich denselben fern, dagegen kam er mit Individualitäten, die mit jener hohen Sphäre verkehrten, in Beziehung, welche bedeutsame Erscheinungen in seinem Leben sind, und zwar durch Ludwig Tieck (den er seit 1810 von Baden-Baden her kannte) und der, seit jenem verhängnißvollen Besuche im Lipperle-Theater zu München, aus einem kräftig-schönen Manne und feurigen Dichter zum kranken Dulder geworden, die mittleren Provinzen Deutschlands mit ihrem Kriegslärm für seinen unbehülflichen, unheilbaren gichtischen Zustand zu unruhig fand, und, auf Wilhelm Humboldt's Rath, Prag zum Aufenthalte gewählt hatte. Hier hatte er in des Oberstburggrafen Kolowrat Hause Niebuhr's Bekanntschaft erneuert, war zu Stein und Schwarzenberg in Beziehung getreten und seine Freunde und Bewunderer, Clemens Brentano und Ludwig Robert, hatten sich zu ihm gefunden, so daß Weber sich sofort mitten im Kreise derjenigen Geister befand, die seiner innersten Richtung in ihren Tendenzen am congruentesten und in ihren Sphären die hervorragendsten Repräsentanten der Romantik waren, deren Banner im Bereiche der Musik er selbst, und zwar glücklicher als jene in der Poesie, vortragen sollte. Nichts charakterisirt die Beziehung der romantischen Dichterschule zu Weber besser, als des geistreichen Professor Hettner Ausspruch: »Was die romantischen Dichter anstrebten aber nicht konnten, das wollte Weber auch und konnte es!«[416]

Wenn auch Tieck's Ansichten vom Amt der Bühne und der Wesenheit des Dramas diametral von denen Weber's abstanden, so wirkte doch die Tiefe, Gelehrsamkeit und geistige Potenz des großen Poeten, der damals gerade lebhaft an die Abfassung des »Anti Faust« dachte, nicht wenig zur Festigung und Belebung der romantischen Anschauungsweise des jungen Meisters mit.

Er schreibt am 28. Juli an Gänsbacher, der in Salzburg war:


»– Neues weiß ich Nichts mehr, als daß Du eine Menge hübsche Madeln hier finden wirst beim Ballett und daß der Dichter Tieck hier ist, dem ich manche belehrende schöne Stunde verdanke. Ich sang ihm sein Lied vor, Du weißt? – das verfluchte – und es gefiel ihm außerordentlich. Vielleicht macht er mir auch eine Oper. etc. –«


Die Bruchstücke seines Romans »Künstlerleben« las Weber Tieck vor und empfing von ihm nutzbare Winke über die fernere Behandlung des Stoffs.

Der geistvollen Rahel geistvoller Bruder, Ludwig Robert, klein, braun, sein von Gestalt und Lebensform, stachlig wie jeder Apostat, mit seinem scharfen, sarkastisch-epigrammatischen Wesen, seiner Beweglichkeit, dem Realismus seiner Anschauungen, sorgte redlich dafür, daß die Schärfe der Denkkraft, die Lebendigkeit und die Präzision der Debatte bei dem, manchmal etwas in's Blaue verschwimmenden, Verkehre der Romantiker nicht zu kurz kam. Als dritter, und fast bis zur Carrikatur am schärfsten ausgeprägter Charakter, gesellte sich zu diesen Clemens Brentano. Tieck nannte ihn den »liebenswürdigsten Lügner seiner Zeit« und versicherte oft, daß er ihn in der Barockheit seiner innern Natur an die Charaktermasken der alt-italienischen Comödie erinnere. Dieser scheint, wenigstens eine Zeit lang, Weber in hohem Grade captivirt zu haben, und in der That war der liebenswürdige, überschwängliche Poet voll schlagender Einfälle, sein Gespräch voll unerwarteter Wendungen, unwiderstehlich sein Scherz und von wahrhafter Zauberkraft sein Lügen (oder wie er es lieber nannte »Improvisiren«), so daß er es sich häufig zur Belustigung machte, dieselbe Geschichte[417] denselben Personen mit dem Eingeständniß, daß die vorige erlogen sei, in drei verschiedenen Formen zu erzählen, und doch die letzte immer glauben zu machen. Schon diese Heterogenität von Weber's Charakter mußte diesen, wenigstens zeitweilig, fasciniren, und so saßen im Sommer 1813 in Liebich's gastlichem Salon, um den Wirthstisch der »Traube«, oder im »rothen Hause«, oder »Roß«, oft drei Charaktere und Talente mit Weber, beim Schoppen Ober-Oestreicher, beisammen, wohl geeignet, auf seine Anschauungsweise großen und nachhaltigen Einfluß zu üben, besonders, da seine seelischen Kräfte, unbeschäftigt mit der Produktion, für die Aufnahme der Eindrücke von fremden Individualitäten geeignet waren.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 416-418.
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