Brief an Rochlitz am 4. Febr. 1816

[505] »Prag den 4. Februar 1816.


Mein lieber, theurer Freund.


Es drängt mich so recht eigentlich dazu ein Stündchen mit Ihnen zu plaudern, und mir dadurch die mancherlei trockenen Geschäfte, die meiner diesen Abend noch warten, zu versüßen, so wie man mit einer guten, lieben Ouvertüre anfängt, um sich in Gang zu setzen. Als ich Ihnen das letzte Mal schrieb, den 26. November, hatte wirklich auch der Himmel mir gerathen. auf lange Zeit die letzte Schäferstunde (nemlich die, die meine gehörte) dazu zu benutzen, und 12 Stunden später hätte ich mir bis jetzt diese Freude versagen müssen. Denselben Tag nemlich entschied es sich noch unvorhergesehen und schnell, daß ich mein jährliches Concert schon den 22. Dezember geben solle. Dazu nun meine Cantate zu vollenden war eben so schnell mein Entschluß, zu dessen Ausführung wahrlich kein Augenblick Zeit mehr zu verlieren war. Ich nahm mir also vor, Alles, außer den wichtigsten Dienstangelegenheiten liegen und stehen zu lassen, war heimlich froh,[505] durch eine solche Veranlassung mir selbst einen gewaltsamen Sporn in die Seite setzen zu müssen, und arbeitete nun, buchstäblich Tag und Nacht, alle Nächte meist bis 2–3 Uhr. Gott sey Dank, das, was mir selbst beinah un möglich schien, gelang, und den 18. Dezember wär Alles fix und fertig, welches ich mir für etwas anrechne, zumal in diese Zeit, außer mehreren Aufsätzen, nothwendig zu componirenden Kleinigkeiten für's Theater, noch 3 von mir zu dirigirende Concerte und eine neue Oper fielen. Reichlich belohnte sich diese Anstrengung durch die herrliche Aufführung den 22sten. Orchester und Sänger waren wirklich begeistert, und ließen mir kaum etwas zu wünschen übrig. Die Aufnahme war so, wie ich sie von einem Publikum, das des Enthusiasmus beinahe unfähig ist, dessen Landsleute den Sieg nicht ausgefochten haben, und die, auch im entgegengesetzten Falle, den Feind doch noch nicht an ihrem Mittagstisch gesehen hätten – erwarten konnte. Manches packte sie gewaltig und riß sie mit fort. So viel ich beurtheilen konnte, habe ich mich in keinem Effekt verrechnet. Wird mein Abschreiber fertig, so schicke ich Ihnen einen Aufsatz über meine Arbeit, den ich vor ein paar Tagen niederschrieb, nebst dem Texte zu. Und so Gott will, hören Sie das Werk selbst im nächsten Herbste. Die Zwangshöflichkeiten des neuen Jahres raubten mir nun meine Zeit. Den 1. Januar 1816 kam Fränzel von München hier an, wohnte bei mir, gab den 12. Concert, und reiste den 15. wieder ab. Da ich ihm alles besorgte, auch alle lästigen Visiten mit ihm schnitt, so blieb da kein Augenblick für mich übrig. Wie er weg war, sank ich, wie so ein überhetztes Pferd, zusammen, in eine so totale Abspannung, daß ich beinah fürchtete diese letzten Wochen mit einer Krankheit bezahlen zu müssen. Dieser unüberwindliche Ekel vor aller Arbeit, wie einmal eine Berlinerin ihre Krankheit nannte, hielt bis vor wenig Tagen an. Gegenwärtig hält mich ein kleines Fieber, von Hals und Kopfweh erzeugt, zu Hause, und in der Einsamkeit fange ich an, mich wieder zu sammeln. Nach diesem treuen Referat nun vor allem zu Ihrem lieben Brief vom 2. Dezember 1815, Ja! Sie verstehen mich wahrhaft und unendlich wohlthuend ist es mir, das so ausgesprochen vor mir zu sehen. Erheiterung und Stärkung sauge[506] ich daraus. Die Bestätigung, die Ihre Erfahrung und Einsicht meinen Ansichten und Gefühlen giebt, ist um so beruhigender für mich da es mir nur zu häufig geschieht, daß selbst übrigens kluge Menschen, das was mich unwiderstehlich ins thätige, schaffende Leben der Kunst treibt, – oft nur mit dem mir höchst widerlichen und falschen Prädikat eines unruhigen Geistes der nirgends Ruhe hat, bezeichnen wollen. Aber ich lasse mich nicht irre machen, und gehe meinen Weg in ruhiger Ueberzeugung fort. Mein Abgang von hier wird auch häufig unrichtig beurtheilt werden – item. –«

»Was Sie von meiner Cantate sagen, ist sehr wahr. Sie ist zwar nicht so beziehend im Texte, daß sie ganz Gelegenheitsstück wäre, aber doch halte ich es für kaum möglich, ihr eine noch allgemeinere Tendenz zu geben. Ehe ich sie vollendete, machte mich dieser Gedanke freilich manchmal kraus, aber jetzt ist es mir gleich. Eine Arbeit ist nie verloren, und darum immer Gewinn für mich.«

»Bei der Gelegenheit fällt mir ein, daß es doch sehr ärgerlich ist, daß Schlesinger unsere Hymne noch nicht herausgegeben hat, die ich gar zu gern weiter verbreitet gesehen hätte.«

» Manchmal kann ich recht böse über Sie werden, wenn Sie mich falsch verstehen; Ey, wie zum Kukuk kann es mir einfallen mit ein paar Melodieen in Ihren Erzählungen denselben helfen zu wollen. Dan werden Sie schon allein thun; ich wäre nur gerne mitgegangen, und da ich mich freue auf Ihre herzigen Lieder, und sie gerne bald haben möchte, da sieht mein Freund beinahe nur den Dünkel eines frisch aufgehenden Compositeurleins, der glaubt der Kohl wäre schon fett, wenn nur seine hochgeehrte Firma mit dabei ist. Ey, ey, die Künstler haben Ihnen schon übel mitgespielt, und es kann wohl noch eine Reihe von Jahren dauern, ehe Sie es wahrhaft glauben, daß es einmal Einen giebt, der nicht alle diese Gebrechen hat. Nichts für ungut – aber ich erboße mich jedes Mal ein bischen, wenn ich die Stelle lese.«

»Nun gute Nacht. Ich habe Ihnen eigentlich nicht eher schreiben wollen, als bis ich zugleich wieder einen Aufsatz über Prag als versprochene[507] Fortsetzung des Ersten mitschicken könnte. Aber noch kam ich dazu nicht, und mußte doch eins mit Ihnen reden. etc. – –«


So wurde ihm die schöne Genugthuung, das Jahr mit dem Blicke auf ein erreichtes, bedeutsames Ziel beschließen zu dürfen.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 505-508.
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