Francesco Morlacchi

[32] Francesco Morlacchi aus Perugia, zwei Jahre älter als Weber, ursprünglich Violinspieler, war ganz der Mann dazu, die ihm durch diese Verhältnisse gebotenen Vortheile auszunutzen.

Caruso und Mazzetti waren seine Lehrer im Gesange, Zingarelli zu Loretto unterrichtete ihn im Contrapunkt. Der berühmte Pater Mattei zu Bologna, der sich für ihn lebhaft interessirte, ließ ihn unter seiner Leitung nochmals einen vollständigen Cursus der Compositionslehre durchmachen und veranlaßte ihn, in richtiger Würdigung des Emporblühens der Instrumental-Musik, ungewöhnlich viel Instrumente selbst spielen zu lernen. Er musicirte fertig auf Violine, Piano, Clarinette, Flöte, Fagott, Waldhorn und Cello. Nichtsdestoweniger wurde ihm von den gründlichen deutschen Componisten stets Mangel an Kenntniß der eigentlichen Musik-Wissenschaft und der Instrumentation vorgeworfen, Als Dramatiker erschien er zuerst im Jahre 1807 mit »Il Poeta in campagna« auf dem Florentiner, dann mit »Il Ritratto« auf dem Veroneser Theater. Parma, Mailand, Livorno und Rom bestellten Opern bei dem aufblühenden Talente. Seine Opera buffa »La Principessa per ripiego« und seine Opera seria »Le Danaidi« hatten allenthalben in Italien ungemeinen Erfolg. Besonderes Glück machte er durch eine brillante, für die Scala in Mailand geschriebene lyrische Scene »Saffo« mit welcher die berühmte und schöne Sängerin Marcolini dann allenthalben das Publikum in großen italienischen Städten entzückte. Marie Marcolini war nicht undankbar, sie wußte von dem jungen »Maestro«, der so sangbar für ihren mächtigen Contra-Alt zu schreiben verstand, an ihren hochgestellten Verwandten, den Minister Camillo Marcolini in Dresden, so viel Schönes zu berichten, daß, als Ignaz Schuster, nach Seidelmann's Tode mit Arbeit überhäuft, eine Assistenz verlangte, Morlacchi 1810 nach Dresden berufen und 1811 als Capellmeister angestellt wurde. Vor dem Dresdener Theaterpublikum trat er zu Ostern 1812 zuerst mit einer prachtvoll ausgestatteten Oper »Raoul de Crequi« auf, die in Italien,[32] ohne Kenntniß deutschen Kunstlebens, geschrieben, den Zuhörern zumuthete, mit Balletmusik geschmückte Unmöglichkeiten schmackhaft zu finden. Sie fiel durch. Seine erste Messe, die am Allerheiligen-Tage 1812 aufgeführt wurde, fanden selbst die Verehrer Schuster's und Seidelmann's zu wenig kirchlich und die Musiker zu ungediegen gearbeitet. Gleiches Schicksal hatte sein am 1. April 1814 aufgeführtes Miserere für 3 Solostimmen, das eine Nachahmung des von Palestrina für die Sixtini'sche Capelle in Rom componirten sein sollte; keine »Danaiden« (Ende 1812) und die », Capricciosa pentita« (Januar 1815), in der Kenner der italienischen Musik allzuviel greifbare Anklänge an eine Anzahl weniger bekannter italienischer Meister finden wollten. Mehr Glück machte der »Barbier von Sevilla« (Juni 1816), in dem man indeß Längen und Reminiscenzen an Paësiello's Meisterstück gleiches Namens erkannte, und seine Passionsmusik (Ostern 1812), obwohl man letztere wieder der Composition gleichen Textes von Paësiello sehr ähnlich finden wollte.

Des sehr geringen Erfolgs seiner Werke beim Publikum ungeachtet, gewann sich Morlacchi die Gunst des Hofes von Tag zu Tag mehr, den er durch eine kleine, für das Pillnitzer Schloßtheater 1810 geschriebene Operette, »La Villanella rapita di Pirna«, in solches Entzücken setzte, daß gewisse Italianissimi unter den alten Hofherren von dem Werke nur mit schwelgerisch hintenüber gelehntem Haupte, halb geschlossenen Augen und den Mund wie zum Schlürfen eines köstlichen Getränkes gerundet, sprachen. Ganz besonderes Wohlgefallen zeigte aber der König selbst an Morlacchi's Compositionen und sogar auch an dessen Individualität, wodurch der Minister Einsiedel, der selbst für Kunst so viel wie keine Wärme hatte, zum eifrigen Verehrer und Protektor des Italieners wurde, welchen die ganze Hofgesellschaft bald als ihren Mignon hegte.

Morlacchi, ein Zögling der Bologneser Jesuitenschulen, war ein seiner, elegant aussehender Italiener von viel Talent für das Machwerk, großem Fleiße, bedeutender Kenntniß der äußern Technik seiner Kunst, die er leidenschaftlich liebte. Sein ganzer Bildungsgang hatte ihm indeß die Aeußerung freier, gerader Männlichkeit geradezu unmöglich[33] gemacht. Seine Natur nöthigte ihn, sich, auch zur Erreichung des Nächstliegenden, mit der Hand zu Fassenden, der Intrigue zu bedienen, in deren Leitung und Führung er eine unglaubliche Gewandtheit besaß. Es war daher auch zum großen Theile Absichtlichkeit, daß er sich niemals, trotz dreißigjährigen Aufenthaltes in Deutschland, der deutschen Sprache ganz bemächtigte. Es gab ihm dieß Gelegenheit, Mißverständnisse plausibel zu machen. Vitzthum, der ihm auf's Aeußerste mißtraute und dem die unmännliche Katzenhaftigkeit des Schlauen antipathisch war, sandte ihm daher seine wichtigeren Weisungen fast stets in's Italienische übersetzt zu.

Mit seinem Mangel an Gradheit und Energie gingen auch die Schwächen seiner Direktionsform und seiner Orchesterleitung Hand in Hand. Sein Ohr war sein, sein Markiren präcis, aber er scheute sich energisch und kräftig eine Probe durchzubrechen und Fehler zu rügen und zog es vor, die Musiker mit Wiederholungen zu plagen, bis sie die Fehler selbst gewahr wurden.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 32-34.
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