Chiappone's Laden

[162] Er meditirte und concipirte sogar dann oft sogleich Repliken, die zum Glück allergrößtentheils ungedruckt blieben. Einige der erschienenen, die wir, zum Theil, an geeigneter Stelle eingeschalten haben, trugen nicht zur Vermehrung der Annehmlichkeit seines Lebens bei. Durch Kirchen-Nachmittagsdienst oder Leitung im Theater wurde dann der Abend in Bezug auf Arbeit abgeschlossen, die freien Abende hingegen auf's Ernsteste zur geistigen Arbeit verwandt, ja sogar nach dem Abendbrote, bei dem man Thee zu nehmen liebte, noch der oder jener Brief bis in die Nacht hinein expedirt. Nach den Theater-Abenden, die ihn körperlich sehr abspannten, mochte Weber sich sehr gern im Männerkreise ungezwungenster Form bewegen. Wir sehen ihn zu diesem Zwecke, selbst in den Flitterwochen seiner Ehe, ein bis zwei Mal wöchentlich, aus dem Theater, durch Wind und Schneegestöber, nach der Schloßgasse hinabschreiten und in eins der schmalen, hohen Häuser, welche diese Straße bilden, einbiegen. Hier, fast an der Ecke dieser und einer andern, ähnlichen Straße, der Wilsdruffergasse, dämmert das Licht von zwei röthlich brennenden Astrallampen aus einem kleinen Laden, von dessen Decke Salami di Verona, Trüffelwürste, Pommersche Gänsebrüste, Bayonner Schinken in phantastischen Formen bis auf den Hut des Eintretenden herabhängen und dämonisch gestaltete Schlagschatten an die Decke werfen. Auf dem langen Verkaufstische liegen Lachse, Seefische und Haufen von Südfrüchten, stehen Terrines aux truffes du Perigord, Caviarfäßchen und gewaltige grüne Käseglocken. An den Laden stoßen zwei kleine, ebenfalls ziemlich trüb beleuchtete Zimmerchen.

Es ist dieß der Laden des »Italieners« Chiappone, ein mit Dresdens ganzem Literatur- und Kunstleben der ersten Decennien dieses Jahrhunderts eng in Beziehung stehender Raum!

In das Zimmerchen hinter dem Laden tritt Weber ein und wird von einer Gesellschaft Grauköpfe und ernster Männergesichter begrüßt, die hier sokratisch heiter ihre Falten durch die verjüngende Kraft des[162] Hochheimers und Burgunders, des Caviar und der Austern glätten. Da sitzt im Schatten, selten seine sonore Stimme erhebend, der Schöpfer der »ironischen Schule« in der Poesie, Ludwig Tieck; gebeugt, hinter einem Austerberge fast verschwindend, ein Bild bewußten Lebensgenusses. Unter der Lampe spielt ein röthlicher Reflex auf der imposanten Glatze Böttcher's, der behaglich schmunzelnd eine zierliche, kleine Skandalgeschichte erzählt; der freundliche »Freund« Carl Förster, der »deutsche Petrarka«, versetzt sich durch eine Schnitte Salami di Verona in italische Stimmung. Hinter dem Tische am Ofen lehnt sich der »jederzeit verkannte« Friedrich Kind in seiner Dichterwürde zurück und schlürft sparsam den Rheinwein, den ihm der seine, hochgebildete Legationsrath Breuer, der »einzige Kopf im sächsischen Lager« während des östreichischen Exils, ein klarer Denker, Frauenliebling, Hofmann und warmer Schützer der Kunst, einschenkt. Vor den Beiden steht lebhaft gestikulirend, achselzuckend, ein Theatervorkommniß pikant mittheilend und doch alle handelnden Parteien vorsichtig entschuldigend, Theodor Hell. Sein unschön-faltiges, kluges Gesicht mit dem starken Haarbusche, mildert durch sein gutmüthig lebhaftes Mienenspiel die bedenklichsten Pointen, geschickt umschifft er die Charybdis, ohne in die Scylla zu gerathen, und der alte »Don Juan-Bassi«, der »Alles weiß«, läßt sein dröhnendes Lachen dazwischen schallen! –

Hier schüttelt Weber den Schnee behaglich vom Mantel, drückt sich in den belederten Stuhl, der ihm reservirt oder achtungsvoll frei gemacht wird und ist gleich mitten im Gespräch, belebt und angeregt, mag es nun Geistesfunken aus einem halben Dutzend ausgezeichneter Köpfe schlagen, oder, was weit öfter der Fall und ihm lieber war, im dulce desipere in loco, mit Geschichtchen, Pößchen oder Zötchen die Zwerchfelle der Herren erschüttern. Niemals aber berührte, gut Dresdnisch vorsichtig, die ernste oder heitere Rede, selbst in diesem, der Strömung der Welt fern liegenden, behaglich düsterm Zimmer, die öffentlichen Verhältnisse, den Dienst, die »Herrschaften«, und wenn Weber, wie er dieß von Prag und Berlin her gewohnt war, nur einen Ton der dahin leitenden Skala anschlug, verstummte das Wort, die Gesichter wurden lang, man sah sich an – trank verlegen. – Doch[163] verstanden damals Männer die jetzt verlorene Kunst, auch ohne Politik und höhere Staatskritik, geistreich froh beisammen zu sitzen!

Wenn Weber's Geist und Humor nun aber auch in diesem Kreise mit Tieck's großem Dichterrufe und Böttcher's verblüffendem Gelehrtengedächtnisse die Herrschaft völlig ebenbürtig theilte, so war er doch nicht der Ort, wo Weber's gesellige Vorzüge im hellsten Lichte hervortreten konnten.

Dieß war nur da möglich, wo er das große Gewicht seines musikalischen Talents mit in die Schaale werfen konnte. Und in dieser Beziehung hatte er in seiner Frau einen neuen und wichtigen Alliirten erhalten.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 162-164.
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