»Euryanthe« in Dresden

[552] Die Ursache, die im Herbst 1823 den Aufschub der Vorführung der »Euryanthe« in Dresden bedingt hatte, war im Februar weggefallen. Caroline hatte, mit Graf Kalkreuth, das Kind der Frau Devrient am 9. März aus der Taufe gehoben und am 15. konnte Weber mit der Künstlerin das Privatstudium der Rolle beginnen, am 16. die erste Probe halten.

Es war eine andre Zeit der Produktionskraft im Bühnenmechanismus damals! Weber konnte funfzehn Tage nach der ersten Probe dieser großen, schwierigen Oper, wie er zu thun pflegte, wenn er zufrieden war, das Käppchen vor Orchester und Personal abziehen und sagen: »Jetzt kann die Oper sein!« Und der Maßstab, den er und ganz besonders bei dieser Oper und in Dresden anlegte, war kein pygmäenhafter.

Der Enthusiasmus, Eifer und Fleiß des Personals bei diesem Studium war aber auch ohne Gleichen in der Dresdener Theatergeschichte. Die Urtheile, die über das Werk aus dem Munde der ersten Autoritäten in Kunst und Geschmack, welche den Proben anwohnten, im Publikum sich verbreiteten, erhoben dasselbe fast einstimmig und die Vormeinung gestaltete sich ungewöhnlich günstig.

Am anregendsten wirkten diese gute Omina auf Carolinen, in deren froher Laune wieder jener Geist der koboldartigen Neckerei aufblitzte,[552] der ihren künstlerischen Leistungen wie ihrem Sein im Freundeskreise stets einen so pikanten Reiz verliehen hat. Sie war wieder reich an den kuriosesten Einfällen und Schelmereien, die zwar gewöhnlich den Meister lachen machten, ihr aber zuweilen auch, zu ihrer großen Bestürzung, ein sehr kaltes Gesicht eintrugen. So fand Weber unter anderm als er zur Generalprobe auf die Bühne trat, seinen großen Jagdhund »Ali« höchst ernsthaft, einen Kranz auf dem Kopfe und eine Guirlande um den Leib geschlungen, auf dem Souffleurkasten sitzend, ein Lobgedicht im Maule. Ein andermal hing sie das in Dresden bekannte Gebäck, »Fasten-Brezeln«, dem Jägerchor heimlich au die Waffen, so daß ihn beim Auftreten schallendes Gelächter begrüßte. Als einst der Sänger Bergmann der Prosceniumsloge, in der sie saß, zu nahe kam und eine weite Armbewegung machte, legte sie ihm eine große Semmel in die Hand, so daß er gezwungen war, mit derselben die ganze Scene zu spielen. – Ein andermal saß sie plaudernd mit der Devrient auf der Bühne und diese versäumte darüber ihr Stichwort. Da klopfte Weber böse auf das Pult: »Die von den beiden Damen, die die Euryanthe singt, soll Acht geben!« und als diese erschrocken vortrat, frug er mit blitzenden Brillengläsern hinauf: »Werden Sie für's Singen oder Plaudern bezahlt?« Ueberhaupt zeigte er sich gegen die Devrient, weil er sie als Künstlerin hochhielt, strenger als gegen die meisten andern Bühnenmitglieder. Als sie in einer Euryanthenprobe sich das Arrangement der Scene im Waldthal nach ihrem Geschmacke zurecht legen wollte, sah er erst eine geraume Zeit dem Getreibe auf der Bühne zu, dann rief er vom Dirigentenpulte aus: »Minna! Sie haben wohl nicht gesehen, daß ich da bin? Wenn ich hier sitze, hat da oben Niemand zu commandiren!«

Die »Euryanthe« ging nach elf Proben am 31. März in Scene. Weber hatte die Garderoben der Sängerinnen Devrient und Funk mit Blumen decoriren lassen.

Die Hauptrollen waren in den Händen der Schröder-Devrient, Euryanthe; der Funk, Eglantine; Bergmann's, Adolar; Mayer's, Lysiart; und Keller's, König. Die erstere war damals eine wundervolle Euryanthe, voll Würde, Jungfräulichkeit und maßvollstem Gleichgewicht[553] der Erscheinung, Eigenschaften, die ihre späteren Vorführungen dieser Rolle, wo eine fast wilde Leidenschaftlichkeit dem vom Componisten gedachten Bilde eine uneigentliche Färbung gab, oft vermissen ließen. Man glaubte damals das zu häufige Tremuliren und den etwas larmoyanten Ton ihres Vortrags tadeln zu müssen. Die Funk hat nie Besseres, als ihre Eglantine geleistet, sie sang und spielte sie vortrefflich. Bergmann's Adolar ließ in den lyrischen Stellen kaum etwas zu wünschen übrig, während ihm, und noch mehr Mayer als Lysiart, die heroische Kraft der Stimme gebrach, so daß letzterer, als weniger geschulter Sänger, sich sogar überschrie. Die Leistung der Capelle entzückte Weber selbst.

Das Dresdener Publikum, das mit Weber lebte, viel von ihm hörte, dessen Erwartungen von der Oper, zu deren Glücke, durch manche Berichte von auswärts her nicht zu hoch gespannt waren und das die Aufführung der Oper nicht als eine Schlacht zwischen streitenden Parteien aufzufassen hatte, verfolgte den Gang derselben mit weniger fieberischer Spannung, unaufgestachelt durch Leidenschaften. Der Theil desselben, der seinen Bestrebungen principiell entgegen war, hatte sich von der ersten Vorstellung fast ganz fern gehalten (man sah in dem sonst gedrängt vollen Hause leere Logen im ersten Range), und so wurde das Werk mit Wohlwollen für den Componisten und in der Stimmung aufgenommen, die geeignet ist, mit Wärme aufzufassen, mit Ruhe zu urtheilen und mit Feinheit zu empfinden. Der Erfolg des Werks war daher ein ganz vollständiger, und zwar ein solcher, wie ihn eine klassische Schöpfung erringen soll: ohne Uebermaß von Beifall an einigen, völligem Nicht- oder Mißverstehen an andern eben so trefflichen Stellen, ohne Aufregung hier, ohne Erschlaffung dort. Man hörte mit gleicher Aufmerksamkeit Anfang und Ende, faßte fast alle Pointen und Feinheiten auf, zeigte dem Componisten, daß man sein Werk groß und vortrefflich finde, durch lauten, gleichförmig vertheilten Beifall, und ließ ihn die Ueberzeugung gewinnen, daß er verstanden worden sei und bewundert werde.

Er selbst schreibt über den Erfolg an Lichtenstein am 1. April:[554]


»etc. Gestern Abend war nun Euryanthe, und welch über alle Beschreibung glänzenden Triumph habe ich erlebt. So ergriffen. so enthusiasmirt habe ich unser Publikum noch nie gesehen. Mit jedem Akt stieg die Begeisterung. Am Schlusse wurde erst ich mit wahrem Sturme gerufen, dann Alle. Es war aber auch eine vortreffliche Vorstellung. Besonders die Devrient als Euryanthe und die Funk als Eglantine übertrafen sich selbst, in Spiel und Gesang. Mayer als Lysiart und Bergmann als Adolar sehr brav. Die Chöre ganz ausgezeichnet. Die Kapelle mit einer Vollendung der Nüancirung, wie man sie nur bei uns hören kann.

Es ist nur eine Stimme darüber, um wie Vieles höher diese Oper als der Freischütz stehe.

Tieck unter anderm sollte nach der Oper in Gesellschaft gehen, erklärte aber, daß sein Gemüth zu sehr erfüllt sei und sagte (zu Andern natürlich): Es seien Sachen in dieser Oper, um die mich Gluck und Mozart beneiden müßten. Ich weiß lieber Bruder, daß ich dir so etwas wieder erzählen kann, ohne mißverstanden zu werden, zu Niemand sonst in der Welt würde ich es wagen. Ich werde alle Augenblicke von Glückwünschenden gestört, du wirst daher schon mit diesem Geschreibsel vorlieb nehmen müssen. etc.«


Die warme, ja enthusiastische Theilnahme an dem großen Tonwerke hat sich in Dresden, das die Wiege der neuen Schule in der Musik werden sollte, deren dramatischer Theil in der »Euryanthe« wurzelt, bis auf die heutige Zeit nicht allein erhalten, sondern noch gesteigert.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 552-555.
Lizenz:
Kategorien: