Die Beantwortung einer Sylvester-Frage.

[230] Ein bürgerliches Familien-Mährchen.


(25. December 1821.)


»Es war einmal ein Musikant, der war sehr unglücklich. Er aß fast nur Weniges, und des Schlafes bediente er sich kaum hinlänglich. Es wunderte sich aber Niemand darüber, denn es ging ihm wie dem Räuber Jaromir. Schicksal, die böse Fee, hatte ihn in einem Brief-Couvert überrascht, und seitdem war er immer so in Gedanken versunken, daß er gar nicht mehr ordentlich denken konnte. Eines Tages dachte er aber doch einmal, und zwar auf folgende Weise. Ach warum bin ich geboren, oder warum giebt es überhaupt einen 7. Decbr., der schlimmer ist, als die Februare, und wozu dient überhaupt alles Fragen, frage ich, dachte er. Hierauf setzte er sich und dachte weiter. Doch! geschehene Dinge sind nicht zu ändern, die Frage ist gefragt, die Kugel aus dem Laufe, nun Freischütz, triff, und hilf dir selber. Opern machen, ist keine Kunst, aber antworten, antworten. Dieser Musikant hatte auch ein Weiblein, das ihm den Kolofonium nachtrug, und überhaupt sein pflegte, wenn er etwas wurmig im Kopfe war, welches so der Musikanten Art zuweilen.[230] Edler Herr mein, sprach das Weiblein (dachte aber anders), sage mir doch zur Güte, was dir den Butterzopf so verleidet, und laß mich Theil nehmen an deinem schmerzhaften Gedankenkrampfe. Darauf Er zornentbrannt schrie, nur nicht gefragt, oder gar nach der Frage gefragt. Kannst du lesen? so lies. Und das dicke Musikanten-Weiblein nahm fast bebend ein klein schier leeres Blättlein, mit zwei zierlichen Zeilchen versehen, und las:


Was hätten wohl die Tonkünstler vorgenommen, wäre der Weltuntergang am 7. December gekommen?


Sie lächelte dann darob und sprach: was fürchtest du dich, Lieber? Was kann dir geschehen? Antworte, was du willst, wer kann dir beweisen, daß du Unrecht habest. Ueberdies ist der Gedanke gar nicht neu, sondern aus dem Shakspeare, und nichts weiter als eine Variation über das Thema: Sein oder nicht sein, das ist die Frage. Ja, ja, das ist die Frage, sind Musikanten nach dem Weltuntergange, was werden sie vornehmen? Gewiß anderes nichts als sie vorher vorgenommen, und was du dann thust, weiß ich – darauf der Musikant mit fremder Stimme aus sich heraussprach: –

›Was einmal in der großen Sphären-Musik vom allmächtigen Tonsetzer da oben angeklungen, wird nicht verhallen in Ewigkeit, die zitternde Saite hier wird drüben nicht mehr beben, und frei vom irdischen Geräusche, das sie vom Saitenhalter der Erde noch an sich trug, wird sie dort in ungestörten Tönen fortklingen in allen Zeiten. – Amen.‹

Das Weiblein aber lachte heimlich und dachte, was ist so ein Musikant für ein Kerl, Dur und Moll nur einen halben Ton auseinander, und ist denn das eine Antwort, frug sie!«[231]

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 230-232.
Lizenz:
Kategorien: