Zum zweiundzwanzigsten Kapitel.

[256] Fragment aus einer musikalischen Reise, die vielleicht erscheinen wird.


Voll Zufriedenheit über eine Vormittags glücklich geendete Symphonie und ein vortreffliches Mittagsmahl entschlummerte ich, und sah mich im Traume plötzlich in den Concertsaal versetzt, wo alle Instrumente belebt, große Assemblée unter dem Vorsitze der gefühlvollen und mit naiver Naseweisheit erfüllten Oboe hielten. Rechts hatte sich eine Partie aus einer Viole d'amour, Bassethorn, Viole di Gamba und Flûte douce arrangirt, die über die verflossenen guten alten Zeiten klagetönten; links hielt die Dame Oboe Zirkel mit jungen und alten Clarinetten und Flöten, mit und ohne unzählige Modeklappen, und in der Mitte war das galante Clavier, von einigen süßen Violinen, die sich nach Pleyel und Gyrowetz gebildet[256] hatten, umgeben. Die Trompeten und Hörner zechten in einer Ecke, und die Piccoloflöten und Flageolettchen durchschrieen den Saal mit ihren naiven kindlichen Einfällen, wovon Madame Oboe durchaus behauptet, es sei ächt Jean Paul'sche Anlage, durch Pestalozzi zur höchsten Natürlichkeit erhoben, in ihren Tönen. Alles war seelenvergnügt, als auf einmal der grämliche Contrabaß, von einem Paare verwandter Violoncelle begleitet, zur Thüre hereinstürmte, und sich so voll Unmuth auf den da stehenden Direktionsstuhl warf, daß das Clavier und alle anwesende Geig-Instrumente vor Schrecken unwillkürlich miterklangen. »Nein,« rief er aus, »da sollte einen ja der Teufel holen, wenn täglich solche Compositionen vorkämen; da komme ich eben aus der Probe einer Symphonie eines unserer neuesten Componisten; und obwohl ich, wie bekannt, eine ziemlich starke und kräftige Natur habe, so konnte ich es doch kaum mehr aushalten, und binnen fünf Minuten wäre mir unausbleiblich der Stimmstock gefallen, und die Saiten meines Lebens gerissen. Hat man mich nicht wie einen Geisbock springen und wüthen lassen, habe ich mich nicht zur Violine umwandeln sollen, um die Nicht-Ideen des Herrn Componisten zu executiren, so will ich zur Tanz–Geige werden und mein Brod mit Müller'chen und Kauer'schen Tanzdarstellungen verdienen.«

Erstes Violoncell (sich den Schweiß abwischend). Allerdings haben cher père recht, ich bin auch so fatiguirt, daß ich seit den Cherubinischen Opern mich keines solchen Echauffements erinnere. –

Alle Instrumente. Erzählen Sie, erzählen Sie!

Zweites Violoncell. Erzählen läßt sich so etwas kaum, und eigentlich wohl noch weniger hören, denn nach den Begriffen, die mir mein göttlicher Meister Romberg eingeflößt hat, ist freilich die von uns eben executirte Symphonie ein musikalisches Ungeheuer, wo weder auf die Natur irgend eines Instrumentes, noch auf Ausführung eines Gedankens, noch auf irgend einen andern Zweck, als den des neu und originell Scheinenwolens hingearbeitet wäre. Man läßt uns gleich der Violine in die Höhe klettern...

[257] Erstes Violoncell (ihn unterbrechend). Als ob wir das auch nicht ebenso gut könnten.

Eine zweite Violine. Ein jeder bleibe in seinen Schranken.

Bratsche. Ja, denn ich stehe ja auch noch zwischen Ihnen, und was bliebe denn mir übrig? –

Erstes Violoncell. Ach, von Ihnen ist ja gar nicht mehr die Rede. Sie fluthen nur noch mit uns im Unisono, oder sind des Schauder- und Spannungerregens wegen, wie z.B. im Wasserträger, da; aber was den schönen Gesang betrifft –

Erste Oboe. Da kann sich doch wohl mit mir niemand messen.

Erste Clarinette. Erlauben Madame, daß wir auch unsere Talente bemerken.

Erste Flöte. Ja, für Märsche und auf Hochzeiten.

Erstes Fagott. Wer kommt dem göttlichen Tenore näher, als ich?

Erstes Horn. Sie werden sich doch nicht einbilden, so viel Zartheit und Kraft verbinden zu wollen, als ich?

Clavier. Und was ist alles dieses gegen die Fülle der Harmonie, die ich umfasse? Wo Ihr Alle nur Theile eines Ganzen seid, bin ich selbstständig, und –

Alle Instrumente (schreien zugleich). Ach, schweigen Sie, Sie können ja nicht einmal einen Ton aushalten.

Erste Oboe. Kein Portamento.

Zwei Flageolettchen. Da hat Mama recht.

Zweites Violoncell. Da kann kein ordentlicher Ton zum Tönen kommen in diesem Lärme.

Trompeten und Pauken (fallen fortissimo ein). Stille! Wir wollen auch reden. Was wäre die ganze Composition ohne unsern Effekt? Wenn wir nicht knallen, applaudirt kein Mensch.

Flöte. Gemeine Seelen reißt der Lärm dahin, das Hohe wohnt im Lispeln.

[258] Erste Violine. Und wenn ich Euch nicht führte, was würde aus Euch Allen?

Contrabaß (aufspringend). Meine doch, ich halte das Ganze, und ohne mich ist nichts.

Alle Instrumente (zugleich schreiend). Ich allein bin die Seele, ohne mich nichts!

Auf einmal trat der Kalkant in den Saal, und erschrocken fuhren die Instrumente auseinander, denn sie kannten seine gewaltige Hand, die sie zusammenpackte und den Proben entgegentrug. »Wartet,« rief er, »rebellirt Ihr schon wieder? Wartet! gleich wird die Sinfonia Eroica von Beethoven aufgelegt werden, und wer dann noch ein Glied oder eine Klappe rühren kann, der melde sich.«

»Ach, nur das nicht!« baten Alle. »Lieber eine italienische Oper, da kann man doch noch zuweilen dabei nicken,« meinte die Bratsche.

»Larifari!« rief der Kalkant, »man wird Euch schon lehren. Glaubt Ihr, daß in unsern aufgeklärten Zeiten, wo man über alle Verhältnisse wegvoltigirt, Euretwegen ein Componist seinem göttlichen riesenhaften Ideen–Schwunge entsagen wird? Gott bewahre! es ist nicht mehr von Klarheit und Deutlichkeit, Haltung der Leidenschaft, wie die alten Künstler, Gluck, Händel und Mozart wähnten, die Rede. Nein, hört das Rezept der neuesten Symphonie, das ich so eben von Wien erhalte, und urtheilt darnach: Erstens, ein langsames Tempo, voll kurzer abgerissener Ideen, wo ja keine mit der andern Zusammenhang haben darf; alle Viertelstunden drei oder vier Noten! – das spannt! dann ein dumpfer Paukenwirbel und mysteriöse Bratschensätze, alles mit der gehörigen Portion General-Pausen und Halte geschmückt; endlich, nachdem der Zuhörer vor lauter Spannung auf das Allegro Verzicht gethan, ein wüthendes Tempo, in welchem aber hauptsächlich dafür gesorgt sein muß, daß kein Hauptgedanke hervortritt, und dem Zuhörer desto mehr selbst zu suchen übrig bleibt; Uebergänge von einem Tone in den andern dürfen nicht fehlen; man braucht sich aber deswegen nicht zu geniren, man braucht z.B. wie Pär in der Leonore nur[259] einen Lauf durch die halben Töne zu machen, und auf dem Tone, in den man gern will, stehen zu bleiben, so ist die Modulation fertig. Ueberhaupt vermeide man alles Geregelte, denn die Regel fesselt nur das Genie.« –

Da riß plötzlich eine Saite an der über mir hängenden Guitarre, und ich erwachte voll Schrecken, indem ich durch meinen Traum auf dem Wege war, ein großer Componist im neuesten Genre, oder – ein Narr zu werden.

Dank Dir, freundliche Begleiterin des Gesanges, für Deine Aufmerksamkeit; ich eilte schnell zu meiner eben vollendeten Arbeit, fand sie nicht nach dem Rezepte des gelehrten Kalkanten, und ging, beruhigt und den Himmel im Busen vor Erwartung, in die Aufführung des Don Juan.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 256-260.
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