Nach der Aufführung von Mozart's Requiem 1887.

[107] Und wieder klang's durch meine Seele

In mächtigen Accorden hin,

Dass nie die Grösse sich verhehle

Dem gläubig, kindlich frommen Sinn,

Der in der trüben Welt der Lüge

Die Pfade nicht des Lichts verlor,

Weil er nicht ekle Winkelzüge

Für Wahrheit nahm und keck beschwor.


O Zauberklang, der gottgegeben

In Melodien sich ergiesst,

Aus welchen unvergänglich Leben

In tausend Tönen quillt und fliesst;

O Zauberklang, in deinem Banne

Empfindet dankbar das Gemüth,

Dass aus des Lebens kurzer Spanne

Das Unvergängliche erblüht.


Der Mensch vergeht, doch seine Werke

Entringen sich dem Fluch der Zeit

Und offenbaren ihre Stärke

Im Kampfe mit der Ewigkeit,

Die siegesfreudig thront auf Särgen,

Die auf der Schooss der Erde nimmt,

Um sie in treuer Hut zu bergen,

Bis an der ewige Morgen glimmt.


[107] O Zauberklang, o Wunderweise,

Die Mozart Himmeln abgelauscht,

Als er gerüstet sich zur Reise

Ins Sternenland – von dir berauscht,

Beglückt von dir, von deiner Töne

Bezwingend süsser Allgewalt,

Empfand ich tief, dass stets das Schöne

Im Menschenherzen widerhallt.


Und dass der Widerhall des Schönen

Des Daseins dunkle Schatten klärt,

Und wir uns mit dem Wahn versöhnen,

Der an dem Mark des Lebens zehrt;

Wir sind nur Gäste auf der Erde –

Wohl dem, den heim die Heimat ruft,

Auf dass er wahrhaft selig werde

In Klang und Glanz und Licht und Luft.

Quelle:
Albert Josef Weltner: Mozart's Werke und die Wiener Hof-Theater. Wien 1896, S. 107-108.
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