[99] zur Feier des 100. Gedenktages der 1. Aufführung der Oper »Idomeneus« von W.A. Mozart.1
Die Zeit ist flüchtig und wie sie das Leben
Und mit dem Leben jede Menschenthat;
Was Grosses auch die Seele mag erstreben,
Des kühnsten Geistes hoffnungsreiche Saat,
Verwelkt und dorrt, eh' noch in vollem Schmucke
Des Blüthenlenzes herrlich sie geprangt,
Weil schon ihr Keim erstorben unter'm Drucke
Des Wechselnden, nach dem die Welt verlangt.
Das Irdische haftet an dem Staub der Erde
Und zittert vor dem strengen Bann der Zeit,
Die mit dem stolzen Schöpfungsspruche: Werde!
Das Leben fesselt an die Endlichkeit.
So dauert nichts von dem, was nicht bewundert,
Woran die Liebe unserer Väter hing,
Und wird zum Riesensarge das Jahrhundert
Für all' den Zauber, der uns hold umfing?
Wie können der Vernichtung wir entfliehen,
Die uns aus Trümmern stets entgegenhöhnt:
Sieh', Sterblicher, wie Deines Lebens Mühen
Der finst're Richterspruch der Zukunft krönt!
[99] Es führt ein Pfad in jenes Reich hinan,
Wo auch der Mensch unsterblich werden kann
Weil mit den Schätzen, die er geistig hebt,
Sein Name fort in Ewigkeiten lebt.
Wohl strebten Viele schon nach jenem Ziele
Und wollten Bürger sein der Ewigkeit;
Es pries die Mitwelt ihre frohen Spiele
Und süsser Dank ward ihrer Kunst geweiht;
Und doch! – Vergessen sind sie alle heute,
Die lebend schwelgten in der Ehren Glanz:
Ihr Name ward des stummen Grabes Beute
Und um ihr Denkmal windet sich kein Kranz.
Die Ewigkeit will schwer erstritten sein,
Der Weg zum Licht führt lange durch die Nacht
Und in die Himmel dringt nur Der hinein,
Der kühn bekämpft der Erde Uebermacht!
So war's bei Mozart, den wir heute feiern!
Ihm bot das Schicksal manche bitt're Frucht;
Den Genius, den allen Herzen theuern,
Hat schwer das Leid des Lebens heimgesucht;
Doch wider der Verzweiflung Nachtgespenst,
Das seine Schreckensarme nach ihm streckte,
Stritt er mit seiner Kunst – bis unbekränzt
Die kalte Erde seinen Sarg bedeckte.
Und Jahre kamen, Jahre gingen wieder –
Wenn auch verschollen lag des Meisters Grab,
Der süsse Zauber seiner holden Lieder
Stieg zu den Schatten nicht mit ihm hinab,
Denn plötzlich klang es durch die deutschen Gauen,
Im Wiederhall begeisternd eine Welt:
Ein Denkmal lasst uns Mozart's Manen bauen,
Das späten Enkeln seinen Ruhm erzählt!
[100] Und unter'm Klang der herrlichen Accorde
Der ewigen, unsterblichen Musik,
Die seinem Volke Mozart liess zurück,
Als strahlend ihm erschlossen sich die Pforte
Zum Wunderland, das selig er geahnt,
Zu dem sein Lied uns lichte Wege bahnt –
Erhob sein Standbild sich aus Stein und Erz
Und schrieb sein Name sich in jedes Herz.
Es schliesst mit heute ab sich ein Jahrhundert,
Seit Mozart's erstes Lied im Siegesflug
Vom Neid geächtet, vom Gemüth bewundert,
Des Schöpfers Namen durch die Lande trug.
Idomeneus! Dein Melodienbronnen
Schwoll an zum Strom, der eine Welt entzückt,
Und schwelgen lässt in ungeahnten Wonnen
Selbst Seelen, die der Fluch des Schicksals drückt.
Frohlockend dürfen, müssen wir bekennen,
Dass Mozart wir der »Töne Meister« nennen!
Was unverständlich seinen Zeitgenossen
Erschien, begeistert heute unser Ohr,
Vom Wohlklang seiner Melodie umflossen
Schwingt unser Herz zu Sternen sich empor.
Wir müssen mit ihm lachen, beten, weinen –
Jetzt fasst es uns – ein banges, tiefes Grauen,
Dann wieder will es milde uns durchthauen,
Wie wenn harmonisch Lust und Weh sich einen,
Und endlich zittert himmlisches Empfinden
Versöhnend sanft und sacht uns an's Gemüth
Und alle Sorgen dieses Lebens schwinden
Aus uns'rer Brust, durch die ein Ahnen zieht
Von jener Heimat der Unsterblichkeit,
Der Mozart sich und seine Kunst geweiht!
So dauert nichts? Das Ewige überdauert
Des engbemessenen Lebens flücht'ge Frist.
Das Staubgeborne werde fromm betrauert.
Bejubelt werde, was unsterblich ist!
Wien, im Jänner 1881.
1 Geschrieben für die am 27. Jänner 1881 im Wiener Hofoperntheater stattgehabte Aufführung der Oper »Idomeneus«.
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