Prolog.[102] 1

Ein Hochgefühl beseligendster Art

Zieht ein in uns're Brust mit dieser Stunde,

Denn ein Gedanke, lang geheim gewahrt,

Gewinnt Gestalt und einigt uns zum Bunde,

Der fest und treu zusammenhalten wird,

Weil uns doch All' der gleiche Wunsch beseelt:

Zu sühnen, wo die Väter schon gefehlt.


Der Kranz, der dem Unsterblichen gebührt

Und den die Menschheit unbewusst oft windet,

Bis endlich sie das Haupt, das würd'ge findet –

Schmiegt wohl schon längst sich an die Schläfen dessen,

Den sie zu Wien – fast sind es hundert Jahre –

Auf schmucklos schlichter, unbekränzter Bahre

Zu Grab' getragen, um ihn zu vergessen.


Wer ist auch unersetzlich wohl für Alle?

An wessen Grabe trauert eine Welt?

Die Liebe geht nicht selten in die Falle,

Die trügerisch der falsche Schein ihr stellt.

So Manchen, den noch uns're Väter priesen

Als Einzigen und Grössten seiner Zeit,

Hat unser Urtheil rauh' zurückgewiesen

Vom Strahlentempel der Unsterblichkeit;

Und Manchen wieder, welchen sie verleugnet,

Hat unser Herz sich liebend angeeignet.


[102] Hinauf, hinab schwankt wohl die Wage immer,

Bald heller wird und matter bald der Schimmer,

Den Menschengunst um Menschen weben kann,

Denn auch die Grösse fühlt der Zeiten Bann.

Allein der Glanz, der allgemach entglüht,

Der Knospe gleich, die an zur Rose blüht,

Er dauert länger als die Glut, die hell

Mit einem Mal aufflammend, sich verzehrt:

Die guten Früchte reifen niemals schnell

Und sind uns eben darum doppelt werth.


Und mälig wuchs und unscheinbar der Ruhm

Des armen Todten im verscholl'nen Grabe,

Bis endlich seines Geistes Schöpferthum

Und seiner Lieder unschätzbare Gabe

Bewundernd ward und jubelnd anerkannt,

Wo über Leben sich der Himmel spannt.


Dein Grab vergassen – Meister Mozart – sie,

Doch jenen Schatz, den Deine Kunst der Welt

Verschwenderisch in reichster Fülle lieh,

Damit der schöne Glaube sich erhält

An Ideale, die unwandelbar

Dem Sturm der Zeiten trotzend, hell und klar

Der bangen Seele süssse Sehnsucht bilden –

Den Wunderschatz, den Du aus Lichtgefilden

Herabgeholt, der Menschheit zum Gewinnst –

Wir lernten ehren ihn in vollem Maass

Und rückhaltslos erkennend Dein Verdienst,

Flocht eine Welt, die einst Dein Grab vergass,

Den Lorbeer Dir – der dauernd um Dein Haupt

Sich als des Sieges stolzes Zeichen laubt.


Wie Mozart schuf, kann keine Sprache schildern

Und seine Grösse, sie bestimmt kein Wort,

Denn unnachahmlich klingt aus seinen Bildern

Der reinen Sphären heiliger Accord.


[103] Nur die Natur war seine Lehrerin

Und sie liess ihn hinweg die Schleier zieh'n,

Die ihre Wunder andern Staubgebor'nen

Als Räthsel unlösbar erscheinen lassen;

Ihm war vergönnt es, ihm, dem Gotterkor'nen

In's Tongebild', in's herrliche zu fassen,

Was nur dem Blick der Sel'gen sich verräth:

Der Schöpfung stolz erhab'ne Majestät.


Sein Genius trug ihn auf sicherm Pfad

Dem Lichte zu, dem sonst kein Auge naht;

Er durfte wandeln über Wunderbrücken,

Die von den Sternen hin zu Sternen geh'n

Und lernte dort in staunendem Entzücken

Die Harmonie der Welt des Lichts versteh'n.


Der holde Lenz und alle seine Pracht,

Die duftig aus unzähligen Blüthen lacht;

Die reine Liebe, die da selbstvergessen

Ihr Glück nur will nach fremdem Glücke messen,

Der Seligen heit're lichterfüllte Räume

Und ihrer Herzensunschuld schöne Träume –

Dies Alles schildert Mozart uns im Lied',

Das uns erfrischt so Seele als Gemüth.

Doch auch die wilderglühte Leidenschaft,

Die sich verbündet mit Dämonenkraft,

Um kühn des Lasters Banner zu entfalten

Und mit des Schicksals streng gerechtem Walten

Den Kampf zu wagen, spricht zu uns in Tönen,

Die mächtig nach in unsern Herzen dröhnen.


Und Wesen gab er und Gestalt und Leben

Den Liedern, die aus seinem Herzen quollen,

So dass nicht geisterhaft sie uns umschweben,

Gleich flücht'gen Träumen, die uns täuschen wollen,

[104] Das Menschendasein, seine Lust, sein Leid,

Bedingt vom wechselvollen Gang der Zeit;

Stellt er in klangerfüllten Bildern dar,

So wirkungsvoll als einzig schön und wahr.

Messias ward er für die deutsche Kunst,

Der deutschen Muse der Musik errang

Vor Allem er zuerst der Menge Gunst,

Bahnbrechend ihr, für ihren Siegesgang!

Ist nun der Kranz, den um des Meisters Haupt

Die Welt gewunden, Lohn genug für ihn?

In Einem wohl, denn keine Zeit entlaubt

Den Lorbeerzweig und trübt sein helles Grün,

In Allem nicht, denn das Symbol allein

Kann nicht das Zeichen wahren Dankes sein.


Wer Grosses schuf, lebt in den Menschen fort,

Die seine Schöpfung immer neu bestaunen

Und unbeirrt von eitlen Tageslaunen

Kämpft für das Schöne stets das rechte Wort.

Von selbst gestaltet vor dem Blick der Menge

Das Bild des grossen Mannes sich – und gerne

Flieht aus des Lebens flimmerndem Gedränge

Ins eig'ne Herz man, wo gleich einem Sterne

In trüber Nacht das liebgeword'ne Bild

Dem innern Auge strahlend sich enthüllt.

Und solch' ein Bild, das in den Herzen wohnt,

Ist würdig wohl, dass an erhabener Stelle,

Wo mächtig brandet stets des Lebens Welle,

Aus Erz und Stein geformt es herrlich thront –

Um Denkmal wohl, doch Dankmal auch zu sein,

Das Liebe durfte dem Geliebten weih'n.


Und Mozart's Bild, das hier in uns'rem Wien

So Greis als Kind im Herzen liebend trägt,

Weil jede Stunde uns gemahnt an ihn

Und neue Dankesschuld uns auferlegt.


[105] Und Mozart's Bild, wir schauen es noch nicht,

Verabsäumt ward bis nun die schöne Pflicht,

Den Genius in würd'ger Form zu ehren,

Den ewigen Ruhm durch irdischen zu mehren.

Ein Hochgefühl beseligendster Art

Zieht ein in uns're Brust mit dieser Stunde,

Wo von uns Allen hier vereint im Bunde

Der erste Stein gelegt zum Denkmal ward,

Das baldigst uns vollendet grüssen mag.


O lang ersehnter, freudenreicher Tag,

An dem von Mozart's Bild die Hülle fällt;

An dem um ihn, der einst der Uns're war,

Sich jubelnd drängt die unzählbare Schaar,

Die seine Kunst begeistert und beseelt.


Wien säume nicht, von allen deinen Söhnen

Der besten Einen gilt es ja zu krönen;

Und in dem Denkmal, das du Mozart's Manen

Als dauernd Zeichen deiner Liebe weihst,

Liegt eine Bürgschaft mehr, dass, auf den Bahnen

Des Lichtes wandelnd, herrlich du gedeihst.


Fußnoten

1 Für das von dem Gau-Verbande der Gesangs-Vereine Wiens und Umgebung am 25. December 1883 im k.k. priv. Theater a.d. Wien zu Gunsten des Mozart-Denkmal-Fondes veranstaltete Festconcert geschrieben und von dem Hofschauspieler Hrn. Emerich Robert gesprochen.


Quelle:
Albert Josef Weltner: Mozart's Werke und die Wiener Hof-Theater. Wien 1896, S. 102-107.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Clementine

Clementine

In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.

82 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon