I. Die Entführung aus dem Serail.

Im Jahre 1776 erhob bekanntlich Kaiser Josef II. das Wiener Theater zum Hof- und Nationaltheater und bekundete hiedurch sein reges Interesse an der darstellenden Kunst, der seine schöpferische That die Bahn zu ihrer künftigen Blüthe und Entwickelung erschloss. Wenngleich nun der Wunsch des Monarchen in erster Linie dahin ging, gute deutsche Schauspiele zu sehen und das Publikum an deren Genuss zu gewöhnen, wendete er bald seine Aufmerksamkeit aber auch der italienischen Oper und dem Ballet zu, die damals die Bühne ausschliesslich beherrschten, und war bestrebt, an deren Stelle das »Nationalsingspiel« zu setzen. In seinem Auftrage erwarb der seit 20. April 1776 mit der Oberleitung der Hoftheater betraute Graf Franz Xaver Orsini-Rosenberg mehrere deutsche Singspiele, die, da das Theater nächst dem Kärnthnerthore verpachtet war, im Hofburgtheater zur Aufführung gelangten. Auch Mozart wurde eingeladen, für Wien ein Singspiel zu componiren. Der Meister suchte lange nach einem tauglichen Libretto, das er endlich in Bretzner's »Entführung aus dem Serail« gefunden zu haben glaubte. Im October 1781 machte er sich an die Arbeit, allein die Fortsetzung verzögerte sich, denn einerseits musste das Textbuch durch den jüngeren Stephanie den Wiener Verhältnissen erst angepasst werden, anderseits sah sich Mozart, der in jenen Tagen seine spätere Gattin Constanze Weber kennen gelernt hatte, durch das entstehende Liebesverhältnis mit den damit verbundenen Aufregungen und Sorgen in seinem geistigen Schaffen behindert. Im Juni 1782 war die Oper übrigens glücklich vollendet und sollte an die Aufführung geschritten werden. Diese letztere zu hintertreiben und unmöglich zu machen, war das eifrigste Bestreben der offenen und geheimen Gegner des jungen Tondichters, und hätte nicht, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, Kaiser Josef II. das erlösende Machtwort gesprochen, »Die Entführung im Serail« würde als unbrauchbar zurückgelegt worden sein. Im Burgtheater den 16. Juli 1782 zum ersten Male mit schönem Erfolge gegeben, ging »Die Entführung im Serail« im Musentempel am Michaelerplatze bis 14. October 1810: 31 Male in Scene. Im k.k. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthore zählen wir vom 25. November 1785 bis 15. Februar 1866: 104 Aufführungen. Im neuen Hause fanden vom 17. Jänner 1872 bis 30. November 1891: 29 Vorstellungen derselben statt. [8] Im Ganzen wurde sonach »Die Entführung aus dem Serail« 164 Male gegeben.

Der Theaterzettel der Première hatte folgenden Wortlaut:


Die k.k. National-Hofschauspieler werden heute, Dienstag den 16. Juli 1782 aufführen:


(Zum ersten Mahle)


Die Entführung aus dem Serail.


Ein Singspiel in drey Aufzügen nach Bretznern frei bearbeitet und für das k.k. National-Hoftheater eingerichtet. In Musik gesetzt von Herrn Kapellmeister Mozart.


Eine Angabe der darstellenden Künstler enthält – der damaligen Gepflogenheit entsprechend – der Zettel nicht.

Die erste Aufführung im alten Opernhause wurde wie folgt angekündigt:


Freitag den 25. November 1785

Im k.k. Theater nächst dem Kärnthnerthore

Von den deutschen Hofoperisten


Die Entführung aus dem Serail.


Ein Singspiel in 3 Aufzügeu, frei bearbeitet nach Bretzner und für das hiesige k.k. Hoftheater eingerichtet.


Die Musik ist von Herrn Mozart.


Madame Lange wird nach ihrer langen Krankheit heute wieder zum ersten Mal das Theater in der Rolle der Konstanze betreten.


Ueber diese Vorstellung finden wir in der »Wiener Zeitung« vom Sonnabend den 3. December 1785, Nr. 97, eine Notiz folgenden Inhaltes:


»Im k.k. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthore ward Freitag den 25. November ein deutsches Singspiel nach Herrn Bretzner, mit Musik von Herrn Mozart, vorgestellt: Die Entführung aus dem Serail, wobey Mad. Lange nach ihrer grossen Krankheit das erste Mal wieder zum Vorschein kam und verdienstgemäss aufs Beste bewillkommt wurde«.


[9] Wir geben eine vergleichende Zusammenstellung der Besetzung der einzelnen Rollen der Oper bei den Vorstellungen am 14. October 1810 (zum letzten Male im Burgtheater), 22. Jänner 1856 (neu studiert), 15. Februar 1866 (letzte Aufführung im Kärnthnerthortheater), 17. Jänner 1872 (erste Aufführung im neuen Hause) und 30. November 1891 (letzte bisherige Aufführung).

14. October22 Jänner15. Februar17. Jänner30. November

18101856186618721891


Selim:Saal,Koch,KochLayHablawetz.

Constanze:Md. Campi,Titjens,Murska,Wilt,Lehmann.

Blondchen:Md. Rosner,Liebhardt,PappenheimHauck,Artner.

Belmonte:Anders,Ander,Dr. Gunz,Walter,Müller.

Osmin:Dirzka,Draxler,Rokitansky,Rokitansky,Rokitansky.

Pedrillo:Demmer d.J.,Erl,Erl,Pirk,Schittenhelm.


Noch einer Vorstellung von »Die Entführung aus dem Serail« sei hier gedacht. Am Freitag den 1. Juni 1821 hatte neben Herrn Meier als Selim, Dlle. Brondra als Blondchen, Herrn Gerstäcker als Belmonte, Herrn Gottdank als Pedrillo und Herrn Siebert als Osmin, wie der Theaterzettel besonders bemerkt: »Dlle. Josefine Fröhlich, ein Zögling der Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates die Ehre, als Constanze ihren ersten theatralischen Versuch zu wagen«. Josefine Fröhlich, die Schwester der »ewigen Braut« Grillparzer's, Katharina Fröhlich, debutirte am 5. Juli desselben Jahres in der gleichen Rolle als Mitglied der Wiener Hofoper.

Mozart erhielt für die Composition der Oper ein Honorar von 100 kaiserlichen Ducaten = 426 fl. 40 kr.; Stephanie der Jüngere für die Textüberarbeitung ein solches von 100 fl. Erwähnt mag noch sein, dass der grosse Tondichter am 4. August 1772 seine »Constanze« heimführte.

Eine interessante zeitgenössische Recension der Oper, die sich in Johann Friedrich Schink's Dramaturgischen Fragmenten, vierter Band (Graz, mit den von Widmannstätten'schen Schriften 1782) pagina 1001 u. ff. findet, sei hier in Erinnerung gebracht. Wir behalten die Orthographie des Originals bei: »Die Entführung aus dem Serail ist zu Wien mit einem sehr ausgezeichneten Beifall aufgenommen worden. Ein Beifall, den sie nicht sich, sondern der vortrefflichen Musik des Herrn Mozard (!) und der sehr guten Vorstellung der Sänger der Nazionalbüne zu verdanken[10] hat. Ich bin kein eigentlicher Kenner der Musik; ich verstehe von den eigentlichen Kunstregeln der Komposizion ganz und gar nichts; nicht einmal die Noten kenn' ich. Ich beurtheile die Musik blos nach dem allgemeinen Grundsazze aller schönen Künste, nach dem Grundsazze der Warheit und Natur. Die Musik, die auf menschliches Herz, und menschliche Leidenschaft wirkt, die Freud und Leid, kurz jede Art der Empfindung rege macht, die etwas mehr, als Ohrenkizzel, die Narung der Seele ist: die Musik ist in meinen Augen vortrefflich, und das unläugbare Produkt eines musikalischen Genies. Nach diesem Grundsaz geurteilt, hat denn auch Herren Mozard's Musik meinen ganzen Beifall, und ich bekenne mit Vergnügen, dass nur Benda (?) und Gluck mein Herz stärker treffen und rüren können, als es Herr Mozard mit seiner lieblichen Musik getroffen hat.

Ich kann das Werk dieses noch sehr jungen Künstlers nicht im Detail loben; dazu bin ich zu wenig eigentlicher Musikverständiger. Ich kann nur sagen, dass seine Deklamazion richtig, sein Gesang ungemein redend, Sprache des Herzens und der Natur sei, und dass er durchaus die richtigsten Begriffe von dem wahren Zweke der schönsten aller menschlichen Künste verrät. Die Sänger der hiesigen Nationalbüne verdienen das Lob; dass sie gefült haben, was sie sangen; dass sie mit der ganzen Seele wiedergeben, was Mozard sezte; dass auch bei ihnen der Gesang aus dem Herzen kam; dass sie nicht bloss gurgelten, sondern sprachen; und ich bin überzeugt, dass Mozard's Werk auf keiner Büne Teutschlands so vollkommen gefült und dargestelt werden wird: als es auf der hiesigen Nazionalbüne geschehen ist. Daher ist's denn auch kein Wunder, dass diese ›Entführung aus dem Serail‹ trotz den Makeln, die ihr von Seiten des Dichters und der unreifen Verbesserung ankleben, mit dem allgemeinen Beifall ist aufgenommen worden, und noch immer mit diesem allgemeinen Beifall aufgenommen wird. Wenn Komponist und Sänger so mit vereinigten Kräften arbeiten, den wahren Zwek der Musik zu erfüllen, so muss auch unser Herz dadurch interessirt werden; und wo die Kunst unser Herz interessirt, da ist auch ihr Eindruk dauernd und bleibend.«

Quelle:
Albert Josef Weltner: Mozart's Werke und die Wiener Hof-Theater. Wien 1896, S. 8-12.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Vorschule der Ästhetik

Vorschule der Ästhetik

Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon