Viardot über Mozart

[223] »Haben Sie vergessen, vor wem Rossini das Knie beugte? – Ah, Sie erbleichen; Sie sind besiegt! – Aber Mozart ist nicht ein Mann, er ist eine Legion! – Sagen Sie lieber, wie Marc-Antonius in Cäsar: willst du Cäsar preisen? nenne ihn Cäsar und bleibe dabei Nennen Sie ihn Mozart. .... Aber ich will meinen Sieg nicht mißbrauchen; beachten Sie nur wie leicht er mir sein würde, selbst gegen Cimarosa: den ›Horatiern‹ würde ich ›Idomeneo‹, der ›heimlichen Ehe‹ die ›Hochzeit des Figaro‹ entgegen stellen; es bliebe mir noch ›Don Juan‹, dem bis zur Stunde noch kein Werk in keiner Scene entgegengesetzt werden konnte, diese Oper aller Opern, die jedes Genre in sich schließt, von der burlesken Komödie an bis zum tragischen Entsetzen. Es würde mir noch jenes Spielzeug der Liebe und Lust, ›Cosi fan tutte‹, und diese wunderbare ›Zauberflöte‹ bleiben, und das ›Requiem‹ und die ›Symphonien‹ und die ›Quartette‹ und die ›Concerte‹ und die ›Sonaten‹ – und diese ganze immense Arbeit von mehr als 600 einzelnen Werken in einem Leben von 36 Jahren hervorgebracht. Ach, wenn Mozart nicht eben so bescheiden als groß gewesen[223] wäre, wenn er nicht begriffen hätte, daß das Genie wie die Schönheit eine Gabe des Himmels ist, er hätte zur Devise das Wort jenes, ich weiß nicht welches eitlen spanischen Poeten nehmen können, der eine aufgehende Sonne mitten unter die Sterne malte und stolz sagte: me surgente quid istae? .... Lassen Sie mich wiederholen, was ich jüngst in einer Parallele zwischen der Musik und der Malerei sagte: die beiden großen Strömungen der Musik, der deutsche Strom und der italienische Strom, haben gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts ihre Wässer in einen gemeinsamen See vermengt. Dieser See ist Mozart. Mozart ist weder die deutsche noch die italienische Musik; er ist die Musik überhaupt. Mozart ist Mozart, wie Allah Allah ist«.

Der Aufruf zum Mozartdenkmal enthält folgende Characteristik Mozart's: »Wenn irgend einem Künstler der Kranz der Unsterblichkeit gebührt, so ist es Wolfgang Amadeus Mozart; der größte Tonsetzer, der in Kirchen- und Kammer-, in Concert- und Opernstyl Unerreichtes leistete; der in Anordnung und Ausführung gleich vortrefflich war; der in seinen Werken, wie Keiner vor und nach ihm, die Ergötzung des Laien mit der Befriedigung des Kenners zu verbinden wußte und so die Musik auf den höchsten Gipfel erhob, den sie ihrer Natur und ihren Grenzen nach zu erreichen vermochte; auf jenen Gipfel, über welchen hinaus Originalität zur Bizarrerie, Melodie zum Singsang, Gediegenheit zur Pedanterie, Kraft zum Getöfe, Kunstfertigkeit zur Seiltänzerei wird«.

Noch mögen die Aussprüche zweier Ungenannten folgen, deren einer lautet: Shakespeare und Mozart sind die einzigen Künstler, welche Geister, die sich wirklich als Geister geriren, auftreten zu lassen im Stande[224] waren. – Das Zweite, eben so einfach als wahr, künstlerisch schön und mit wenig Worten Alles sagend, besteht aus folgenden Versen auf Mozart:


Gigantisch wohl an Pracht und Würde,

Baut manches Wunder die Natur;

Doch ihrer Werke schönste Zierde,

Des Menschen Seele ist es nur.


Sie lehrt uns denken und empfinden,

Bewundern einer Gottheit Kraft,

Sie lehrt uns jene Gaben finden,

Wodurch der Mensch selbst Wunder schafft.


Und wundervoll war Mozart's Gabe,

Und ewig bleibt, was er uns gab,

Die Wunder gehen nicht zu Grabe,

Sie streift kein Frost der Zeiten ab.


An Mozart:


Wodurch gibt sich der Genius kund? Wodurch sich der Schöpfer

Kund gibt in der Natur, in dem unendlichen All.

Klar ist der Aether und doch von unermeßlicher Tiefe,

Offen dem Aug', dem Verstand bleibt er doch ewig geheim.


Eine meisterhafte, in wenigen Seiten zusammengefaßte und für jeden Menschenkenner als zutreffend erscheinende Characteristik Mozart's des Menschen (nicht des Künstlers), des Menschen, der aber ein Kunstgenie in des Wortes reinster Bedeutung ist, gibt Mörike in einer reizenden Novelle: »Mozart auf der Reise nach Prag«, welche noch durch Oulibicheff's auf S. 220 und 221 mitgetheilten Worte verstärktes Gewicht erhalten.

Quelle:
Mozart-Buch. Von Constantin von Wurzbach, Wien 1869, S. 223-225.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mozart-Buch
Das Mozart-Buch
Das Mozart-Buch
Das Mozart-Buch
Mozart-Buch
Das Mozart-Buch