[118] 21. Das Lorbeerkind.

[118] Es war einmal ein Mann und eine Frau, die bekamen keine Kinder und waren darüber sehr betrübt. Einstmals baten sie den lieben Gott, er möchte ihnen ein Kind geben und wäre es auch nur ein Lorbeerkern. Der liebe Gott erhörte ihr Gebet, und der Leib der Frau wurde gesegnet. Als aber ihre Zeit herankam, da gebar sie einen Lorbeerkern. Die Weiber, welche ihr beistanden, merkten das nicht, und trugen ihn mit dem Weißzeuge zur Wäsche. Während sie wuschen, fiel der Lorbeerkern zu Boden, und es ward daraus ein goldner Lorbeerbaum, dessen Gezweige wie die Sonne glänzte. Von weit und breit kamen nun die Prinzen herbei, um diesen goldnen Lorbeerbaum zu betrachten, und einer von ihnen schlug sein Zelt hart an dessen Wurzel auf, und ging dann mit den andern Prinzen auf die Jagd. Sein Koch aber blieb zurück, um die Speisen zu bereiten, und als diese fertig waren, ging auch er weg, um sich ein bischen umzusehen.

Da rief es im Baume: »Mein Lorbeer von oben, mein Lorbeer von unten, tue dich auf, damit ich herauskann«; und es öffnete sich die Rinde des Baumes, und kam ein wunderschönes Mädchen heraus, das sah sich überall um, aß von allen Speisen, nahm dann eine Hand voll Salz und versalzte sie alle, ging wieder zum Baum, und sprach: »Mein Lorbeer von oben, mein Lorbeer von unten, tue dich auf, damit ich hinein kann!« Und der Baum öffnete sich und sie schlüpfte hinein.

Zu Mittag kam der Prinz zurück, um zu essen, und fand die Speisen so versalzen, daß sie ungenießbar waren. Da packte er seinen Koch, und wollte ihn umbringen; der aber jammerte und schrie: »Gnade, Gnade, o Herr! ich[119] bin nicht Schuld daran, ich hab es nicht getan!« Da kamen auch die andern Prinzen herbei und baten für den Koch, daß er ihn leben lassen und ihm verzeihen möge.

Tags darauf tat der Koch kein Körnchen Salz in die Speisen, und als er fertig war, ging er wieder spazieren; das Lorbeerkind machte es aber wie das erstemal, und als der Prinz zurückkam und essen wollte, da fand er die Speisen noch versalzener als den Tag vorher, und begriff nun, daß sein Koch nicht Schuld daran sei, sondern Jemand anders ihm diesen Streich spiele. Deswegen zankte er ihn diesmal nicht aus, sondern sagte ihm nur: »Wenn du morgen das Essen gekocht hast, so geh' weg und ich will hier bleiben, um zu sehen, wer uns das antut.«

Des andern Tags ging der Koch weg, nachdem er fertig war, und der Prinz versteckte sich hinter den Lorbeerbaum. Da hörte er plötzlich eine Stimme von innen, welche sprach: »Mein Lorbeer von oben, mein Lorbeer von unten, tue dich auf, damit ich herauskann!« Und drauf trat das Mädchen aus dem Baum, aß von allen Speisen, und wie es nach dem Salz griff, sprang der Prinz hervor, faßte sie, und sprach: »Also du bist's, die mir das antut?« Drauf trug er sie in sein Zelt und umarmte sie und küßte sie, tat dann, als wollte er ein bischen spazieren gehn, und ließ sie dort allein.

Da lief das Mädchen weinend zu seinem Baume und sprach: »Mein Lorbeer von oben, mein Lorbeer von unten, tue dich auf, damit ich hinein kann!« Der Baum aber antwortete: »Du bist gezwickt, du bist geküßt, in den Baum kommst du nimmermehr!« Und nachdem er das gesagt, vertrocknete er auf einmal. Als der Prinz sah, daß der Baum vertrocknet war, wunderte er sich[120] sehr, wie das möglich sei, ging in das Zelt zurück und koste mit dem Mädchen, und am Abend ließ er Citronen- und Apfelsinensträucher schneiden und das Lager daraus bereiten. Und nachdem das Mädchen eingeschlafen war, machte er sich heimlich auf und ließ sie zurück.

Als am andern Morgen das Mädchen erwachte und den Prinzen nicht fand, machte sie sich auf, um ihn zu suchen. Unterwegs begegnete sie einem Derwisch, und sprach zu ihm: »Lieber Vater, wenn ich dir meine goldnen Kleider gebe, giebst du mir dafür die deinen und dein Pferd?« – »Meinetwegen«, erwiederte der Derwisch. Sie tauschten also ihre Kleider, und das Mädchen stieg auf das Pferd und trieb es so wacker an, daß es den Prinzen einholte. Da sagte der Prinz: »Erzähle mir, Herr, was du auf deinem Wege gesehn hast.« Und sie antwortete: »Ich sah ein Mädchen, welches weinte, seufzte und sagte: Ihr Citronen- und Orangenzweige, was habt ihr mir angetan, daß ich mein Glück verloren?«

Als das der Prinz hörte, seufzte er. Nachdem sie ein gutes Stück weiter geritten, fragte der Prinz dasselbe, und erhielt dieselbe Antwort, und seufzte wiederum. Der Prinz aber gewann den falschen Derwisch lieb, lud ihn ein, mit ihm nach Hause zu ziehn, und sagte: »ich bin verlobt und mache nächstens Hochzeit und möchte dich dabei haben.« Sie zogen also mit einander, und wie sie ankamen, gab der Prinz dem Derwisch ein besonderes Gemach. Drauf begann die Hochzeitsfeier, und man brachte die Braut herbei. Das Lorbeerkind versteckte sich aber in den Wandschrank des Saales, wo das Paar getraut werden sollte, zog seinen Derwischanzug aus, und legte goldene Kleider an. Und als es fertig war, leuchtete es wie die Sonne, ging in den Saal, und verbreitete einen solchen Glanz, daß alle Welt geblendet wurde. Wie[121] sie der Prinz erblickte, erkannte er sie und sagte zu den Schwiegerältern: »Nehmt die Braut und bringt sie in ihr Vater haus zurück, denn ich will mit diesem Stern leben, so wie ich gewohnt bin.« Und darauf wurden sie getraut und lebten glücklich mit einander.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 118-122.
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