[71] 13. Von der unter der Erde versteckten Prinzessin.

[71] Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne und große Reichtümer, und bevor er starb, verteilte er sie an seine Söhne. Die beiden älteren Söhne lebten in Saus und Braus, Jahr aus Jahr ein, und verpraßten und verschwendeten die Schätze ihres Vaters, bis nichts mehr übrig war, und sie in Elend gerieten. Der Jüngste dagegen hielt mit seinem Erbteil Haus, nahm eine Frau und bekam von ihr eine wunderschöne Tochter. Als diese herangewachsen war, baute er für sie unter der Erde einen großen Palast und tötete den Baumeister, welcher ihn gebaut hatte. Drauf sperrte er seine Tochter hinein und schickte Herolde durch die ganze Welt, welche verkündigten, daß der, welcher im Stande sei, des Königs Tochter zu finden, sie zur Frau bekommen solle. Wenn er sie aber nicht finden könne, so müsse er sterben. Da kamen nun viele junge Männer, um das Wagstück zu bestehen; aber alle ihre Mühe war vergeblich. Sie konnten die Prinzessin nicht finden, und verloren ihre Köpfe.

Nachdem schon Viele ihren Tod gefunden hatten, kam es einem jungen Mann, der bildschön und ebenso klug war, in den Sinn, den Versuch zu machen. Er ging also zu einem Hirten und bat ihn, er möge ihn in ein Schaffell stecken, welches ein goldenes Vließ habe, und ihn in dieser Verkleidung zum Könige bringen. Der Schäfer ließ sich überreden, nahm ein Schaffell, welches goldenes Vließ hatte, nähte den Burschen hinein, tat auch Speise und Trank und Schaaflosung dazu, und brachte ihn so vor den König.

Als dieser das goldene Lamm sah, fragte er den[72] Hirten: »verkaufst du das Lamm?« Der Hirt aber erwiderte: »nein, Herr König, ich verkaufe es nicht, wenn du aber Gefallen an ihm findest, so will ich mich dir gerne dienstbar erzeigen, und es dir ohne Entgelt auf drei Tage borgen. Dann aber mußt du mir es wiedergeben.«

Der König versprach das, und machte sich mit dem Lamm auf zu seiner Tochter; und nachdem er es in sein Schloß und durch viele Zimmer geführt, kam er an eine Tür, und rief: »öffnet Euch, Tartara Martara der Erde!« Da öffnete sich die Türe von selbst, und nachdem sie wieder durch viele Zimmer gegangen waren, kamen sie an eine zweite Tür. Bei dieser rief der König wieder: »öffnet Euch Tartara Martara der Erde!« Drauf öffnete sich die Türe von selbst und sie kamen in das Gemach, in dem die Prinzessin wohnte, und dessen Boden, Wände und Decke ganz von Silber waren. Nachdem der König die Prinzessin begrüßt hatte, gab er ihr das Lamm. Sie hatte eine große Freude daran, streichelte und hätschelte es und spielte mit ihm. Aber nach einem Weilchen loste das Lamm; da sagte die Prinzessin zum König: »Vater, das Lamm hat gelost!« Und dieser erwiderte: »es ist eben ein Lamm, warum soll es denn nicht losen!« Drauf ließ er das Lamm bei der Prinzessin und ging seiner Wege.

In der Nacht aber zog der Bursche das Fell aus. Und als die Prinzessin sah, daß er so schön war, verliebte sie sich in ihn, und fragte: »warum hast du dich in das Fell gesteckt und bist hierher gekommen?« Der erwiderte: »als ich sah, daß so Viele dich nicht finden konnten und das Leben verloren, ersann ich diese List und kam zu dir.« Da rief die Prinzessin: »ei, das hast du gut gemacht! Aber du mußt wissen, daß, wenn du mich[73] hier gefunden hast, deine Wette noch nicht gewonnen ist. Denn dann verwandelt mich der Vater sammt meinen Mägden in Enten und fragt dich: welche von diesen Enten ist die Prinzessin? Da werde ich nun den Kopf rückwärts wenden und mir mit dem Schnabel die Flügel putzen, damit du mich erkennst.«

Nachdem sie drei Tage lang mit einander geplaudert und gekost hatten, kam der Hirte wieder zum König und verlangte sein Lamm.

Und der König ging zu seiner Tochter um es zu holen. Diese tat sehr betrübt, weil sie so schön mit dem Lamme gespielt hätte. Der König aber sagte: »ich kann es dir nicht lassen, denn es ist nur geborgt«, und nahm es mit und gab es an den Hirten zurück.

Nun warf der Bursche das Fell ab, ging zum König und sprach: »Herr, ich bin im Stande deine Tochter zu finden.« Als der König den schönen Burschen sah, sagte er zu ihm: »mich dauert deine Jugend, liebes Kind. Dies Wagestück hat schon so Vielen das Leben gekostet und wird auch dein Tod sein.« – »Ich bleibe dabei, Herr König; ich will sie entweder finden oder den Kopf verlieren.«

Drauf ging er vor dem König her, und dieser folgte ihm, bis sie zu der großen Tür kamen. Da sprach der Bursche zum König: »sage drei Worte, damit sie aufgehe.« Und der König antwortete: »was sind das für Worte? Soll ich etwa sagen: Schloß, Schloß, Schloß!« »Nein«, sprach Jener, »sage: öffnet Euch, Tartara Martara der Erde!«

Als das der König getan hatte, öffnete sich die Tür, und sie gingen hinein, und der König kaute vor Zorn an seinem Schnurrbart. Dann kamen sie zur zweiten Tür, da ging es wie bei der ersten. Sie traten ein und fanden die Prinzessin.[74]

Drauf sprach der König: »gut, die Prinzessin hast du gefunden. Nun werde ich sie aber mit sammt ihren Mägden in Enten verwandeln, und wenn du errätst, welche von diesen meine Tochter ist, dann sollst du sie zum Weibe haben.« Und sofort verwandelte der König alle Mädchen in Enten, führte sie dem Burschen vor und sagte zu ihm: »Nun zeige mir die, wel che meine Tochter ist.« Da putzte sich die Prinzessin nach der Abrede mit dem Schnabel die Flügel, und der Bursche sprach: »die da, welche sich die Flügel putzt, ist die Prinzessin.« Nun konnte der König nicht anders und mußte sie ihm zum Weibe geben, und er lebte mit ihr herrlich und in Freuden.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 71-75.
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